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Mährisches Tagblatt. Nr. 124, Olmütz, 01.06.1894.

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[Spaltenumbruch]

trag auf Einführung von Gewerbegerichten ein-
gebracht. Der Antrag besteht in einem ausführ-
lichen Gesetzentwurfe über die Errichtung, den
Wirkungskreis und die Zusammensetzung dieser
Gerichteu über das Verfahren bei denselben. Ob-
wohl der Gesetzentwurf als Anhang zur Civil-
proceßordnung gedacht ist, soll er gesondert von
derselben und noch vor deren Erledigung zur Ver-
handlung kommen.

Nach dieser Vorlage sollen die Gewerbe-
gerichte zur Austragung von gewerblichen Rechts-
streitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern,
ferner zwischen Arbeitern derselben Unternehmung
untereinander dienen in Lohnstreitigkeiten und
in allen damit zusammenhängenden Fragen über
Antritt und Auflösung des Arbeitsverhältnisses,
Entschädigungsansprüche, Conventionalstrafen, Ar-
beitsbücher und Zeugnisse, Pensions- und Unter-
stützungs-Ansprüche, soweit diese nicht den Schieds-
gerichten der Unfallversicherung zufallen. Die Zu-
ständigkeit des Gewerbegerichtes soll eine aus-
schließende sein; diese Gerichte sollen an die
Stelle der politischen Behörden und der bis-
herigen ordentlichen Gerichte treten. Die Bei-
sitzer der Gewerbegerichte sollen zur Hälfte von
den Unternehmern, zur Hälfte von den Arbeitern
in gesonderten Wahlkörpern gewählt, der Vor-
sitzende des Gerichtes vom Justizminister im
Einvernehmen mit dem Handelsminister aus den
zur Ausübung des Richteramtes Befähigten er-
nannt werden. Beisitzer und Ersatzmänner haben
Anspruch auf Entschädigung für Barauslagen
und Zeitversäumniß. Das Gewerbegericht ver-
handelt und entscheidet in Senaten, die aus dem
Vorsitzenden und zwei Beisitzern, je einem aus
jeder der zwei Wahlgruppen, bestehen. Die Ver-
handlungen sind öffentlich, persönlich und münd-
lich; die Klage kann auch schriftlich angebracht
werden. Die Urtheile der Gewerbegerichte sind
exequirbar; bei einer Streitsumme unter 100 fl.
ist keine Berufung statthaft. Die Gewerbegerichte
sind auch verpflichtet, auf Ansuchen der Landes-
behörden Gutachten über gewerbliche Fragen ab-
zugeben und sie können in gewerblichen Angele-
genheiten Anträge stellen.

Wie man sieht, beruht die Vorlage auf dem
Grundsatze, daß Jeder nur von seines Gleichen
gerichtet werden soll und sie werden der Er-
kenntniß gerecht, daß zu einem Richterspruche in
Gewerbe-Angelegenheiten juristische Bildung allein
nicht ausreicht, sondern auch Kenntniß der ein-
schlägigen Verhältnisse nöthig ist, welche man
bei dem gewöhnlichen Richter nicht immer voraus-
setzen und durch "Sachverständige" auch nicht
immer ausreichend vermitteln kann. Der Ent-
wurf des Abg. Baernreither ist ein echt volks-
thümlicher und das insoferne, als er die Er-
reichung des damit verbundenen Zweckes auf die
[Spaltenumbruch] wenigst umständliche und kürzeste Weise, mit
dem möglichst einfachen Apparate zu erreichen
bestrebt ist.




Reichsrath.
Sitzung des Abgeordnetenhauses vom
31. Mai.


In der heutigen Sitzung des Abgeordneten-
hauses beantwortete Landesvertheidigungsminister
Graf Welsersheimb die Interpellation des
Abg. Formanek wegen des bekannten Vorfalles
in Pardubitz, bei dem ein Officier betheiligt
war und sagt, daß die Amtshandlung im Zuge
sei. Ferner beantwortet der Minister die Inter-
pellation des Abg. Dr. Vasaty in Betreff der
Gesundheitsverhältnisse der böhmischen Truppen
in Südtirol und bezeichnet die Interpellation als
auf irrthümlichen Verhältnissen beruhend.

Es wird sodann in der Specialbera-
thung über die Preßnovelle
fortgefahren.

Zu § 7 beantragt Abg. Pacak die Be-
stimmung, daß wahrheitsgetreue, wenn auch aus-
zugsweise Berichte über Verhandlungen des
Reichsrathes, der Landtage, der Delegationen,
sowie aus den Ausschüssen niemals eine strafbare
Handlung begründen dürfen.

Justizminister Graf Schönborn spricht
sich gegen den Antrag aus, weil er sich der An-
schauung des Abg. Kopp anschließe, daß der
Strafrechtspflege und der Presse nicht durch eine
Abänderung der strasprocessualen Bestimmungen,
sondern durch Abänderung der materiellen Be-
stimmungen des Strafrechtes genützt werde; Abg.
Pacak reiße eine Bestimmung, die dem Straf-
gesetzentwurfe entnommen sei, aus dem Zusam-
menhange heraus. Der Minister bittet, die Be-
rathung hierüber für den Zeitpunct aufzube-
wahren, wo die Berathung des ganzen Entwurfes
vorgenommen werde.

Die Abg. Hauck und Hoffmann-Wel-
lenhof
treten für den Antrag Pacak ein,
während der Berichterstatter Rutowski
denselben nicht zur Annahme empfiehlt. Der
Antrag Pacak wird mit 132 gegen 66
Stimmen abgelehnt. Hierauf werden die beiden
Minoritätsanträge, wovon der erste festsetzt, daß
eine vorläufige Beschlagnahme von Druckschriften
nur bei bestimmten strafbaren Handlungen, z. B.
Majestätsbeleidigung u. s. w. erfolgen könne,
und der zweite die Aufhebung des Zeitungs-
stempels fordert, mit 140 gegen 79 Stimmen
abgelehnt.

Die Preßnovelle wird in der Fassung
des Ausschusses in zweiter und dritter Lesung
angenommen.


[Spaltenumbruch]

Abg. Dr. Ruß erstattet den Bericht des
Eisenbahnausschusses über die Regierungsvorlage,
betreffend die im Jahre 1894 zu erbauenden
Localbahnen.

Abg. Lienbacher spricht sich dafür aus,
daß zuerst die großen Staatsbahn-Linien ausge-
baut werden sollten, bevor man an die Schaffung
eines Localbahnnetzes schreite, weil durch die
Staatsbahnen manche Localbahnen überflüssig
werden können, die Localbahnen aber niemals
einen Ersatz für die Staatsbahnen bilden werden.

Abg. Swoboda spricht der Regierung
den Dank für das Entgegenkommen aus, welches
in dem Projecte des Localeisenbahnbaues liege.

Abg. Vasaty bespricht die Zurücksetzung
tschechischer Techniker und sagt, daß das böhmische
Volk bezüglich der Aufnahme in die Staatsämter
sich mehr zu beklagen habe, als die Juden.

Abg. Klun lenkt die Aufmerksamkeit der
Regierung auf den Bau der Strecke Krainburg--
Neumarkt und befürwortet die Fortsetzung der
Unter-Krainer Bahn bis Tschernembl.

Handelsminister Graf Wurmbrand will
seine Grundsätze in Bezug auf den Eisenbahnbau
auseinandersetzen. Die Hauptlinien sind in
Oesterreich, wenn auch weniger sympatisch als in
anderen Ländern, vollendet. Die Linien sind, zum
Theil infolge der schwankenden Eisenbahnpolitik
und infolge der Begünstigung einzelner Gegenden
und Puncte durch die herrschenden Parteien nicht
volkswirthschaftlich richtig angelegt. So wurde
z. B. Triest ganz außer Acht gelassen. Es wären
Correctiv-Linien nothwendig. Diese aber haben
viele Bedenken gegen sich. Da sind die Fragen
der Tanern- und Karawanken-Bahn und der
Verstaatlichung der Südbahn schwer zu entschei-
den. Ich, der ich jetzt erst kurze Zeit im Amte
bin, studiere diese Frage jetzt genau. Die pro-
vinzialen Bedürfnisse werden mich bei diesen all-
gemeinen Eisenbahnfragen nicht beeinflussen. Zur
Berücksichtigung der Provinzen sind die Local-
bahnen da. Diese theilen sich in drei Gruppen.
Erstens die sogenannten Hauptbahnen zweiter
Ordnung; zu diesen muß der Staat beitragen,
weil ihre Bedeutung über die localen Bedürfnisse
hinausgeht und die Anlage hiedurch kostspieliger
wird. Was aber eine solche Hauptbahn zweiter
Ordnung ist, das wird der Staat und nicht
etwa die Projectanten beurtheilen. Dann kommen
die eigentlichen Localbahnen, welche sich als Saug-
adern den Hauptbahnen anschließen. Solche Bahnen
können breit- oder schmalspurig gebaut werden. Ich
bin, sagt der Minister, ein Freund der Schmalspur.
Die dritte Gruppe bilden die Tertiärbahnen,
welche in Oesterreich noch gar nicht berücksichtigt
wurden. Sie sollen bis zur Fabrik oder zur
Wasserkraft führen und die Cultur bis in
die fernsten Thäler tragen. Was das Erträg-




[Spaltenumbruch]

könnte, wäre es geschehen. Aber sie kamen nicht,
die Stückchen in der Suppe, und ich bin wirklich
unschuldig, wenn mir endlich der schwarze Ver-
dacht aufstieg, es seien gar keine Stückchen darin.
Und da die Suppe an sich völlig ungenießbar
war, bin ich schließlich wieder zu dem alten, viel-
verketzerten Restaurant zur "exacten Naturfor-
schung" zurückgekehrt und habe mir dort -- aus
"Kraft" und "Stoff" -- ein ordentliches Beef-
steak braten lassen.

Aber, ruft mir der Spiritist entrüstet zu,
wenn Du selbst so geistverlassen denn gewesen
bist, daß Du selber nichts zu sehen bekamst (Du
wirst selbst schuld gewesen sein, denn die Geister-
welt ist eine streng moralische Institution), willst
Du darum leugnen, was die größten Genies
aller Zeiten mit Händen gegriffen haben? Leug-
nest Du zum Beispiel die Sitzungen zu Leipzig,
wo die ersten Physiker der Zeit, ein Zöllner, ein
Fechner, ein Wilhelm Weber die staunenswer-
thesten physischen Wunder durch die Kraft des
Mediums Slade vollbracht sahen? Tische und
Stühle sind dort auf einander geklettert, die äl-
testen Professoren federleicht wie junge Rafaelsche
Engel auf ihren Sesseln in die Höhe geflogen,
Wandschirme in förmlich anarchistischen Explosio-
nen auseinander geplatzt, Mehltöpfe unter dem
Tisch über sämmtliche Gelehrtenhosen ausgeplantscht
worden, Taschenmesser rein lebensgefährlich durch
die Luft geschwirrt, -- kurz, Dinge geschehen,
die aller gangbaren Physik Hohn sprachen vor
den Augen eines Collegiums bewährtester Phy-
siker! Gut, mein Freund, aber erlaube mir die
eine Frage: Wo stehen diese Dinge beschrieben?
[Spaltenumbruch] Sie stehen in den dicken Bändern von Friedrich
Zöllner, der, nachdem er unvergängliche Leistungen
auf seinem astronomischen und astrophysischen
Fachgebiete hinter sich hatte, in diesen letzten,
polemischen Schriften sich zu einem solchen Con-
fusionarius mit allen Anzeichen der Gedanken-
flucht entwickelt hat, daß er, trotz der vollen Ehr-
lichkeit, wohl als der schlechteste Zeuge von der
Welt gelten kann. Zöllner's Motive waren gewiß
die besten. Sein Kampf gegen den blinden Auto-
ritätsdusel in der Wissenschaft ging von solidester
Wurzel aus. Aber sei es, daß der Kampf seine
Kraft erschöpft, sei es, daß ein tieferes Leiden
gerade unter all' den Aufregungen akut wurde;
kurz, er ist von einem gewissen Punkte an nicht
mehr zurechnungsfähig gewesen. Was aber die
anderen Zuschauer, Weber und Fechner, anbelangt
so haben sie sich nur ganz reservirt über die
Sache ausgesprochen, wohl beide darüber klar,
daß sie als alte, physisch nicht mehr zum ganz
klaren Sehen disponirte Urväter wohl wenig
geeignet seien, Betrug deutlich von Wirklichkeit
zu sondern. Immerhin ist das Urtheil des greisen
Fechner das relativ werthvollste aus den ganzen
Acten des Spiritismus.

Es ist von verschiedenen Seiten darauf hin-
gewiesen worden, daß Slade möglicherweise neben
einfachen Taschenspielertriks auch noch über Mit-
tel verfügt habe, die allerdings mit Geistern
gar nichts zu thun haben, aber doch außerge-
wöhnliche, in gewissem Sinne "neue" sind. Seit-
dem der Hypnotismus, (den man oft fälschlich
mit dem Spiritismus zusammenwirft, obwohl er
rein gar nichts mystisches enthält) in den Händen
[Spaltenumbruch] unserer besten Aerzte so eigenartige Resultate er-
geben hat und einen Ausblick darauf öffnet, wie
man ganz gesunde Menschen durch Versetzung
in gewisse schlafartige Zustände die wunderlichsten
Dinge "suggeriren", d. h. gleichsam in's Gehirn
hinein aufzwingen kann, -- seitdem ist die Frage
offen, ob Slade nicht (allerdings in sehr compli-
cirter Weise) seinen Opfern auf hypnotischem
Wege die Vorstellung beigebracht habe, sie hätten
gewisse Sachen gesehen, seien etwa mit dem Stuhl
in die Luft geflogen oder hätten einen Tisch auf
den andern klettern sehen. Will man ganz kühn
werden, so ließe sich am Ende gar vermuthen,
Slade habe Naturkräfte verwerthet, die unsere
Schulphysik bisher nicht kennt. Unfehlbar ist die
bestehende Physik ja ganz und gar nicht. Es gibt
zweifellos noch eine Anzahl Stellen in unserer
nächsten Umgebung, wo latente Kraft aufgespeichert
ist, die nur geweckt zu werden brauchte, um
Größtes zu leisten. Die Gespenster haben aber
damit so wenig etwas zu thun wie mit den
hypnotischen Sachen. Vielleicht thut man aber
dem guten Slade damit viel zu viel Ehre an.
Denn bei andern Gelegenheiten ist er als so
grober Betrüger entlarvt worden, daß der höchste
Verdacht am Platze bleibt, seine Mittel seien nur
die gröbsten gewesen. Es hilft alles nichts: alle
diese biederen und spannenden Histörchen, die wir
von Slade und Genossen erzählt bekommen,
wir müßten von ihnen endlich einmal hören als
Werken eines unbestritten ehrlichen, kundigen
Physikers selbst. Wenn ein Helmholtz oder Darwin
selber merkten, daß um sie her Stühle fliegen
und verschlossene Tafeln beschrieben werden, so


[Spaltenumbruch]

trag auf Einführung von Gewerbegerichten ein-
gebracht. Der Antrag beſteht in einem ausführ-
lichen Geſetzentwurfe über die Errichtung, den
Wirkungskreis und die Zuſammenſetzung dieſer
Gerichteu über das Verfahren bei denſelben. Ob-
wohl der Geſetzentwurf als Anhang zur Civil-
proceßordnung gedacht iſt, ſoll er geſondert von
derſelben und noch vor deren Erledigung zur Ver-
handlung kommen.

Nach dieſer Vorlage ſollen die Gewerbe-
gerichte zur Austragung von gewerblichen Rechts-
ſtreitigkeiten zwiſchen Unternehmern und Arbeitern,
ferner zwiſchen Arbeitern derſelben Unternehmung
untereinander dienen in Lohnſtreitigkeiten und
in allen damit zuſammenhängenden Fragen über
Antritt und Auflöſung des Arbeitsverhältniſſes,
Entſchädigungsanſprüche, Conventionalſtrafen, Ar-
beitsbücher und Zeugniſſe, Penſions- und Unter-
ſtützungs-Anſprüche, ſoweit dieſe nicht den Schieds-
gerichten der Unfallverſicherung zufallen. Die Zu-
ſtändigkeit des Gewerbegerichtes ſoll eine aus-
ſchließende ſein; dieſe Gerichte ſollen an die
Stelle der politiſchen Behörden und der bis-
herigen ordentlichen Gerichte treten. Die Bei-
ſitzer der Gewerbegerichte ſollen zur Hälfte von
den Unternehmern, zur Hälfte von den Arbeitern
in geſonderten Wahlkörpern gewählt, der Vor-
ſitzende des Gerichtes vom Juſtizminiſter im
Einvernehmen mit dem Handelsminiſter aus den
zur Ausübung des Richteramtes Befähigten er-
nannt werden. Beiſitzer und Erſatzmänner haben
Anſpruch auf Entſchädigung für Barauslagen
und Zeitverſäumniß. Das Gewerbegericht ver-
handelt und entſcheidet in Senaten, die aus dem
Vorſitzenden und zwei Beiſitzern, je einem aus
jeder der zwei Wahlgruppen, beſtehen. Die Ver-
handlungen ſind öffentlich, perſönlich und münd-
lich; die Klage kann auch ſchriftlich angebracht
werden. Die Urtheile der Gewerbegerichte ſind
exequirbar; bei einer Streitſumme unter 100 fl.
iſt keine Berufung ſtatthaft. Die Gewerbegerichte
ſind auch verpflichtet, auf Anſuchen der Landes-
behörden Gutachten über gewerbliche Fragen ab-
zugeben und ſie können in gewerblichen Angele-
genheiten Anträge ſtellen.

Wie man ſieht, beruht die Vorlage auf dem
Grundſatze, daß Jeder nur von ſeines Gleichen
gerichtet werden ſoll und ſie werden der Er-
kenntniß gerecht, daß zu einem Richterſpruche in
Gewerbe-Angelegenheiten juriſtiſche Bildung allein
nicht ausreicht, ſondern auch Kenntniß der ein-
ſchlägigen Verhältniſſe nöthig iſt, welche man
bei dem gewöhnlichen Richter nicht immer voraus-
ſetzen und durch „Sachverſtändige“ auch nicht
immer ausreichend vermitteln kann. Der Ent-
wurf des Abg. Baernreither iſt ein echt volks-
thümlicher und das inſoferne, als er die Er-
reichung des damit verbundenen Zweckes auf die
[Spaltenumbruch] wenigſt umſtändliche und kürzeſte Weiſe, mit
dem möglichſt einfachen Apparate zu erreichen
beſtrebt iſt.




Reichsrath.
Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom
31. Mai.


In der heutigen Sitzung des Abgeordneten-
hauſes beantwortete Landesvertheidigungsminiſter
Graf Welſersheimb die Interpellation des
Abg. Formanek wegen des bekannten Vorfalles
in Pardubitz, bei dem ein Officier betheiligt
war und ſagt, daß die Amtshandlung im Zuge
ſei. Ferner beantwortet der Miniſter die Inter-
pellation des Abg. Dr. Vašaty in Betreff der
Geſundheitsverhältniſſe der böhmiſchen Truppen
in Südtirol und bezeichnet die Interpellation als
auf irrthümlichen Verhältniſſen beruhend.

Es wird ſodann in der Specialbera-
thung über die Preßnovelle
fortgefahren.

Zu § 7 beantragt Abg. Pacak die Be-
ſtimmung, daß wahrheitsgetreue, wenn auch aus-
zugsweiſe Berichte über Verhandlungen des
Reichsrathes, der Landtage, der Delegationen,
ſowie aus den Ausſchüſſen niemals eine ſtrafbare
Handlung begründen dürfen.

Juſtizminiſter Graf Schönborn ſpricht
ſich gegen den Antrag aus, weil er ſich der An-
ſchauung des Abg. Kopp anſchließe, daß der
Strafrechtspflege und der Preſſe nicht durch eine
Abänderung der ſtraſproceſſualen Beſtimmungen,
ſondern durch Abänderung der materiellen Be-
ſtimmungen des Strafrechtes genützt werde; Abg.
Pacak reiße eine Beſtimmung, die dem Straf-
geſetzentwurfe entnommen ſei, aus dem Zuſam-
menhange heraus. Der Miniſter bittet, die Be-
rathung hierüber für den Zeitpunct aufzube-
wahren, wo die Berathung des ganzen Entwurfes
vorgenommen werde.

Die Abg. Hauck und Hoffmann-Wel-
lenhof
treten für den Antrag Pacak ein,
während der Berichterſtatter Rutowski
denſelben nicht zur Annahme empfiehlt. Der
Antrag Pacak wird mit 132 gegen 66
Stimmen abgelehnt. Hierauf werden die beiden
Minoritätsanträge, wovon der erſte feſtſetzt, daß
eine vorläufige Beſchlagnahme von Druckſchriften
nur bei beſtimmten ſtrafbaren Handlungen, z. B.
Majeſtätsbeleidigung u. ſ. w. erfolgen könne,
und der zweite die Aufhebung des Zeitungs-
ſtempels fordert, mit 140 gegen 79 Stimmen
abgelehnt.

Die Preßnovelle wird in der Faſſung
des Ausſchuſſes in zweiter und dritter Leſung
angenommen.


[Spaltenumbruch]

Abg. Dr. Ruß erſtattet den Bericht des
Eiſenbahnausſchuſſes über die Regierungsvorlage,
betreffend die im Jahre 1894 zu erbauenden
Localbahnen.

Abg. Lienbacher ſpricht ſich dafür aus,
daß zuerſt die großen Staatsbahn-Linien ausge-
baut werden ſollten, bevor man an die Schaffung
eines Localbahnnetzes ſchreite, weil durch die
Staatsbahnen manche Localbahnen überflüſſig
werden können, die Localbahnen aber niemals
einen Erſatz für die Staatsbahnen bilden werden.

Abg. Swoboda ſpricht der Regierung
den Dank für das Entgegenkommen aus, welches
in dem Projecte des Localeiſenbahnbaues liege.

Abg. Vašaty beſpricht die Zurückſetzung
tſchechiſcher Techniker und ſagt, daß das böhmiſche
Volk bezüglich der Aufnahme in die Staatsämter
ſich mehr zu beklagen habe, als die Juden.

Abg. Klun lenkt die Aufmerkſamkeit der
Regierung auf den Bau der Strecke Krainburg—
Neumarkt und befürwortet die Fortſetzung der
Unter-Krainer Bahn bis Tſchernembl.

Handelsminiſter Graf Wurmbrand will
ſeine Grundſätze in Bezug auf den Eiſenbahnbau
auseinanderſetzen. Die Hauptlinien ſind in
Oeſterreich, wenn auch weniger ſympatiſch als in
anderen Ländern, vollendet. Die Linien ſind, zum
Theil infolge der ſchwankenden Eiſenbahnpolitik
und infolge der Begünſtigung einzelner Gegenden
und Puncte durch die herrſchenden Parteien nicht
volkswirthſchaftlich richtig angelegt. So wurde
z. B. Trieſt ganz außer Acht gelaſſen. Es wären
Correctiv-Linien nothwendig. Dieſe aber haben
viele Bedenken gegen ſich. Da ſind die Fragen
der Tanern- und Karawanken-Bahn und der
Verſtaatlichung der Südbahn ſchwer zu entſchei-
den. Ich, der ich jetzt erſt kurze Zeit im Amte
bin, ſtudiere dieſe Frage jetzt genau. Die pro-
vinzialen Bedürfniſſe werden mich bei dieſen all-
gemeinen Eiſenbahnfragen nicht beeinfluſſen. Zur
Berückſichtigung der Provinzen ſind die Local-
bahnen da. Dieſe theilen ſich in drei Gruppen.
Erſtens die ſogenannten Hauptbahnen zweiter
Ordnung; zu dieſen muß der Staat beitragen,
weil ihre Bedeutung über die localen Bedürfniſſe
hinausgeht und die Anlage hiedurch koſtſpieliger
wird. Was aber eine ſolche Hauptbahn zweiter
Ordnung iſt, das wird der Staat und nicht
etwa die Projectanten beurtheilen. Dann kommen
die eigentlichen Localbahnen, welche ſich als Saug-
adern den Hauptbahnen anſchließen. Solche Bahnen
können breit- oder ſchmalſpurig gebaut werden. Ich
bin, ſagt der Miniſter, ein Freund der Schmalſpur.
Die dritte Gruppe bilden die Tertiärbahnen,
welche in Oeſterreich noch gar nicht berückſichtigt
wurden. Sie ſollen bis zur Fabrik oder zur
Waſſerkraft führen und die Cultur bis in
die fernſten Thäler tragen. Was das Erträg-




[Spaltenumbruch]

könnte, wäre es geſchehen. Aber ſie kamen nicht,
die Stückchen in der Suppe, und ich bin wirklich
unſchuldig, wenn mir endlich der ſchwarze Ver-
dacht aufſtieg, es ſeien gar keine Stückchen darin.
Und da die Suppe an ſich völlig ungenießbar
war, bin ich ſchließlich wieder zu dem alten, viel-
verketzerten Reſtaurant zur „exacten Naturfor-
ſchung“ zurückgekehrt und habe mir dort — aus
„Kraft“ und „Stoff“ — ein ordentliches Beef-
ſteak braten laſſen.

Aber, ruft mir der Spiritiſt entrüſtet zu,
wenn Du ſelbſt ſo geiſtverlaſſen denn geweſen
biſt, daß Du ſelber nichts zu ſehen bekamſt (Du
wirſt ſelbſt ſchuld geweſen ſein, denn die Geiſter-
welt iſt eine ſtreng moraliſche Inſtitution), willſt
Du darum leugnen, was die größten Genies
aller Zeiten mit Händen gegriffen haben? Leug-
neſt Du zum Beiſpiel die Sitzungen zu Leipzig,
wo die erſten Phyſiker der Zeit, ein Zöllner, ein
Fechner, ein Wilhelm Weber die ſtaunenswer-
theſten phyſiſchen Wunder durch die Kraft des
Mediums Slade vollbracht ſahen? Tiſche und
Stühle ſind dort auf einander geklettert, die äl-
teſten Profeſſoren federleicht wie junge Rafaelſche
Engel auf ihren Seſſeln in die Höhe geflogen,
Wandſchirme in förmlich anarchiſtiſchen Exploſio-
nen auseinander geplatzt, Mehltöpfe unter dem
Tiſch über ſämmtliche Gelehrtenhoſen ausgeplantſcht
worden, Taſchenmeſſer rein lebensgefährlich durch
die Luft geſchwirrt, — kurz, Dinge geſchehen,
die aller gangbaren Phyſik Hohn ſprachen vor
den Augen eines Collegiums bewährteſter Phy-
ſiker! Gut, mein Freund, aber erlaube mir die
eine Frage: Wo ſtehen dieſe Dinge beſchrieben?
[Spaltenumbruch] Sie ſtehen in den dicken Bändern von Friedrich
Zöllner, der, nachdem er unvergängliche Leiſtungen
auf ſeinem aſtronomiſchen und aſtrophyſiſchen
Fachgebiete hinter ſich hatte, in dieſen letzten,
polemiſchen Schriften ſich zu einem ſolchen Con-
fuſionarius mit allen Anzeichen der Gedanken-
flucht entwickelt hat, daß er, trotz der vollen Ehr-
lichkeit, wohl als der ſchlechteſte Zeuge von der
Welt gelten kann. Zöllner’s Motive waren gewiß
die beſten. Sein Kampf gegen den blinden Auto-
ritätsduſel in der Wiſſenſchaft ging von ſolideſter
Wurzel aus. Aber ſei es, daß der Kampf ſeine
Kraft erſchöpft, ſei es, daß ein tieferes Leiden
gerade unter all’ den Aufregungen akut wurde;
kurz, er iſt von einem gewiſſen Punkte an nicht
mehr zurechnungsfähig geweſen. Was aber die
anderen Zuſchauer, Weber und Fechner, anbelangt
ſo haben ſie ſich nur ganz reſervirt über die
Sache ausgeſprochen, wohl beide darüber klar,
daß ſie als alte, phyſiſch nicht mehr zum ganz
klaren Sehen disponirte Urväter wohl wenig
geeignet ſeien, Betrug deutlich von Wirklichkeit
zu ſondern. Immerhin iſt das Urtheil des greiſen
Fechner das relativ werthvollſte aus den ganzen
Acten des Spiritismus.

Es iſt von verſchiedenen Seiten darauf hin-
gewieſen worden, daß Slade möglicherweiſe neben
einfachen Taſchenſpielertriks auch noch über Mit-
tel verfügt habe, die allerdings mit Geiſtern
gar nichts zu thun haben, aber doch außerge-
wöhnliche, in gewiſſem Sinne „neue“ ſind. Seit-
dem der Hypnotismus, (den man oft fälſchlich
mit dem Spiritismus zuſammenwirft, obwohl er
rein gar nichts myſtiſches enthält) in den Händen
[Spaltenumbruch] unſerer beſten Aerzte ſo eigenartige Reſultate er-
geben hat und einen Ausblick darauf öffnet, wie
man ganz geſunde Menſchen durch Verſetzung
in gewiſſe ſchlafartige Zuſtände die wunderlichſten
Dinge „ſuggeriren“, d. h. gleichſam in’s Gehirn
hinein aufzwingen kann, — ſeitdem iſt die Frage
offen, ob Slade nicht (allerdings in ſehr compli-
cirter Weiſe) ſeinen Opfern auf hypnotiſchem
Wege die Vorſtellung beigebracht habe, ſie hätten
gewiſſe Sachen geſehen, ſeien etwa mit dem Stuhl
in die Luft geflogen oder hätten einen Tiſch auf
den andern klettern ſehen. Will man ganz kühn
werden, ſo ließe ſich am Ende gar vermuthen,
Slade habe Naturkräfte verwerthet, die unſere
Schulphyſik bisher nicht kennt. Unfehlbar iſt die
beſtehende Phyſik ja ganz und gar nicht. Es gibt
zweifellos noch eine Anzahl Stellen in unſerer
nächſten Umgebung, wo latente Kraft aufgeſpeichert
iſt, die nur geweckt zu werden brauchte, um
Größtes zu leiſten. Die Geſpenſter haben aber
damit ſo wenig etwas zu thun wie mit den
hypnotiſchen Sachen. Vielleicht thut man aber
dem guten Slade damit viel zu viel Ehre an.
Denn bei andern Gelegenheiten iſt er als ſo
grober Betrüger entlarvt worden, daß der höchſte
Verdacht am Platze bleibt, ſeine Mittel ſeien nur
die gröbſten geweſen. Es hilft alles nichts: alle
dieſe biederen und ſpannenden Hiſtörchen, die wir
von Slade und Genoſſen erzählt bekommen,
wir müßten von ihnen endlich einmal hören als
Werken eines unbeſtritten ehrlichen, kundigen
Phyſikers ſelbſt. Wenn ein Helmholtz oder Darwin
ſelber merkten, daß um ſie her Stühle fliegen
und verſchloſſene Tafeln beſchrieben werden, ſo


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[[2]/0002] trag auf Einführung von Gewerbegerichten ein- gebracht. Der Antrag beſteht in einem ausführ- lichen Geſetzentwurfe über die Errichtung, den Wirkungskreis und die Zuſammenſetzung dieſer Gerichteu über das Verfahren bei denſelben. Ob- wohl der Geſetzentwurf als Anhang zur Civil- proceßordnung gedacht iſt, ſoll er geſondert von derſelben und noch vor deren Erledigung zur Ver- handlung kommen. Nach dieſer Vorlage ſollen die Gewerbe- gerichte zur Austragung von gewerblichen Rechts- ſtreitigkeiten zwiſchen Unternehmern und Arbeitern, ferner zwiſchen Arbeitern derſelben Unternehmung untereinander dienen in Lohnſtreitigkeiten und in allen damit zuſammenhängenden Fragen über Antritt und Auflöſung des Arbeitsverhältniſſes, Entſchädigungsanſprüche, Conventionalſtrafen, Ar- beitsbücher und Zeugniſſe, Penſions- und Unter- ſtützungs-Anſprüche, ſoweit dieſe nicht den Schieds- gerichten der Unfallverſicherung zufallen. Die Zu- ſtändigkeit des Gewerbegerichtes ſoll eine aus- ſchließende ſein; dieſe Gerichte ſollen an die Stelle der politiſchen Behörden und der bis- herigen ordentlichen Gerichte treten. Die Bei- ſitzer der Gewerbegerichte ſollen zur Hälfte von den Unternehmern, zur Hälfte von den Arbeitern in geſonderten Wahlkörpern gewählt, der Vor- ſitzende des Gerichtes vom Juſtizminiſter im Einvernehmen mit dem Handelsminiſter aus den zur Ausübung des Richteramtes Befähigten er- nannt werden. Beiſitzer und Erſatzmänner haben Anſpruch auf Entſchädigung für Barauslagen und Zeitverſäumniß. Das Gewerbegericht ver- handelt und entſcheidet in Senaten, die aus dem Vorſitzenden und zwei Beiſitzern, je einem aus jeder der zwei Wahlgruppen, beſtehen. Die Ver- handlungen ſind öffentlich, perſönlich und münd- lich; die Klage kann auch ſchriftlich angebracht werden. Die Urtheile der Gewerbegerichte ſind exequirbar; bei einer Streitſumme unter 100 fl. iſt keine Berufung ſtatthaft. Die Gewerbegerichte ſind auch verpflichtet, auf Anſuchen der Landes- behörden Gutachten über gewerbliche Fragen ab- zugeben und ſie können in gewerblichen Angele- genheiten Anträge ſtellen. Wie man ſieht, beruht die Vorlage auf dem Grundſatze, daß Jeder nur von ſeines Gleichen gerichtet werden ſoll und ſie werden der Er- kenntniß gerecht, daß zu einem Richterſpruche in Gewerbe-Angelegenheiten juriſtiſche Bildung allein nicht ausreicht, ſondern auch Kenntniß der ein- ſchlägigen Verhältniſſe nöthig iſt, welche man bei dem gewöhnlichen Richter nicht immer voraus- ſetzen und durch „Sachverſtändige“ auch nicht immer ausreichend vermitteln kann. Der Ent- wurf des Abg. Baernreither iſt ein echt volks- thümlicher und das inſoferne, als er die Er- reichung des damit verbundenen Zweckes auf die wenigſt umſtändliche und kürzeſte Weiſe, mit dem möglichſt einfachen Apparate zu erreichen beſtrebt iſt. Reichsrath. Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom 31. Mai. Wien, 31. Mai. In der heutigen Sitzung des Abgeordneten- hauſes beantwortete Landesvertheidigungsminiſter Graf Welſersheimb die Interpellation des Abg. Formanek wegen des bekannten Vorfalles in Pardubitz, bei dem ein Officier betheiligt war und ſagt, daß die Amtshandlung im Zuge ſei. Ferner beantwortet der Miniſter die Inter- pellation des Abg. Dr. Vašaty in Betreff der Geſundheitsverhältniſſe der böhmiſchen Truppen in Südtirol und bezeichnet die Interpellation als auf irrthümlichen Verhältniſſen beruhend. Es wird ſodann in der Specialbera- thung über die Preßnovelle fortgefahren. Zu § 7 beantragt Abg. Pacak die Be- ſtimmung, daß wahrheitsgetreue, wenn auch aus- zugsweiſe Berichte über Verhandlungen des Reichsrathes, der Landtage, der Delegationen, ſowie aus den Ausſchüſſen niemals eine ſtrafbare Handlung begründen dürfen. Juſtizminiſter Graf Schönborn ſpricht ſich gegen den Antrag aus, weil er ſich der An- ſchauung des Abg. Kopp anſchließe, daß der Strafrechtspflege und der Preſſe nicht durch eine Abänderung der ſtraſproceſſualen Beſtimmungen, ſondern durch Abänderung der materiellen Be- ſtimmungen des Strafrechtes genützt werde; Abg. Pacak reiße eine Beſtimmung, die dem Straf- geſetzentwurfe entnommen ſei, aus dem Zuſam- menhange heraus. Der Miniſter bittet, die Be- rathung hierüber für den Zeitpunct aufzube- wahren, wo die Berathung des ganzen Entwurfes vorgenommen werde. Die Abg. Hauck und Hoffmann-Wel- lenhof treten für den Antrag Pacak ein, während der Berichterſtatter Rutowski denſelben nicht zur Annahme empfiehlt. Der Antrag Pacak wird mit 132 gegen 66 Stimmen abgelehnt. Hierauf werden die beiden Minoritätsanträge, wovon der erſte feſtſetzt, daß eine vorläufige Beſchlagnahme von Druckſchriften nur bei beſtimmten ſtrafbaren Handlungen, z. B. Majeſtätsbeleidigung u. ſ. w. erfolgen könne, und der zweite die Aufhebung des Zeitungs- ſtempels fordert, mit 140 gegen 79 Stimmen abgelehnt. Die Preßnovelle wird in der Faſſung des Ausſchuſſes in zweiter und dritter Leſung angenommen. Abg. Dr. Ruß erſtattet den Bericht des Eiſenbahnausſchuſſes über die Regierungsvorlage, betreffend die im Jahre 1894 zu erbauenden Localbahnen. Abg. Lienbacher ſpricht ſich dafür aus, daß zuerſt die großen Staatsbahn-Linien ausge- baut werden ſollten, bevor man an die Schaffung eines Localbahnnetzes ſchreite, weil durch die Staatsbahnen manche Localbahnen überflüſſig werden können, die Localbahnen aber niemals einen Erſatz für die Staatsbahnen bilden werden. Abg. Swoboda ſpricht der Regierung den Dank für das Entgegenkommen aus, welches in dem Projecte des Localeiſenbahnbaues liege. Abg. Vašaty beſpricht die Zurückſetzung tſchechiſcher Techniker und ſagt, daß das böhmiſche Volk bezüglich der Aufnahme in die Staatsämter ſich mehr zu beklagen habe, als die Juden. Abg. Klun lenkt die Aufmerkſamkeit der Regierung auf den Bau der Strecke Krainburg— Neumarkt und befürwortet die Fortſetzung der Unter-Krainer Bahn bis Tſchernembl. Handelsminiſter Graf Wurmbrand will ſeine Grundſätze in Bezug auf den Eiſenbahnbau auseinanderſetzen. Die Hauptlinien ſind in Oeſterreich, wenn auch weniger ſympatiſch als in anderen Ländern, vollendet. Die Linien ſind, zum Theil infolge der ſchwankenden Eiſenbahnpolitik und infolge der Begünſtigung einzelner Gegenden und Puncte durch die herrſchenden Parteien nicht volkswirthſchaftlich richtig angelegt. So wurde z. B. Trieſt ganz außer Acht gelaſſen. Es wären Correctiv-Linien nothwendig. Dieſe aber haben viele Bedenken gegen ſich. Da ſind die Fragen der Tanern- und Karawanken-Bahn und der Verſtaatlichung der Südbahn ſchwer zu entſchei- den. Ich, der ich jetzt erſt kurze Zeit im Amte bin, ſtudiere dieſe Frage jetzt genau. Die pro- vinzialen Bedürfniſſe werden mich bei dieſen all- gemeinen Eiſenbahnfragen nicht beeinfluſſen. Zur Berückſichtigung der Provinzen ſind die Local- bahnen da. Dieſe theilen ſich in drei Gruppen. Erſtens die ſogenannten Hauptbahnen zweiter Ordnung; zu dieſen muß der Staat beitragen, weil ihre Bedeutung über die localen Bedürfniſſe hinausgeht und die Anlage hiedurch koſtſpieliger wird. Was aber eine ſolche Hauptbahn zweiter Ordnung iſt, das wird der Staat und nicht etwa die Projectanten beurtheilen. Dann kommen die eigentlichen Localbahnen, welche ſich als Saug- adern den Hauptbahnen anſchließen. Solche Bahnen können breit- oder ſchmalſpurig gebaut werden. Ich bin, ſagt der Miniſter, ein Freund der Schmalſpur. Die dritte Gruppe bilden die Tertiärbahnen, welche in Oeſterreich noch gar nicht berückſichtigt wurden. Sie ſollen bis zur Fabrik oder zur Waſſerkraft führen und die Cultur bis in die fernſten Thäler tragen. Was das Erträg- könnte, wäre es geſchehen. Aber ſie kamen nicht, die Stückchen in der Suppe, und ich bin wirklich unſchuldig, wenn mir endlich der ſchwarze Ver- dacht aufſtieg, es ſeien gar keine Stückchen darin. Und da die Suppe an ſich völlig ungenießbar war, bin ich ſchließlich wieder zu dem alten, viel- verketzerten Reſtaurant zur „exacten Naturfor- ſchung“ zurückgekehrt und habe mir dort — aus „Kraft“ und „Stoff“ — ein ordentliches Beef- ſteak braten laſſen. Aber, ruft mir der Spiritiſt entrüſtet zu, wenn Du ſelbſt ſo geiſtverlaſſen denn geweſen biſt, daß Du ſelber nichts zu ſehen bekamſt (Du wirſt ſelbſt ſchuld geweſen ſein, denn die Geiſter- welt iſt eine ſtreng moraliſche Inſtitution), willſt Du darum leugnen, was die größten Genies aller Zeiten mit Händen gegriffen haben? Leug- neſt Du zum Beiſpiel die Sitzungen zu Leipzig, wo die erſten Phyſiker der Zeit, ein Zöllner, ein Fechner, ein Wilhelm Weber die ſtaunenswer- theſten phyſiſchen Wunder durch die Kraft des Mediums Slade vollbracht ſahen? Tiſche und Stühle ſind dort auf einander geklettert, die äl- teſten Profeſſoren federleicht wie junge Rafaelſche Engel auf ihren Seſſeln in die Höhe geflogen, Wandſchirme in förmlich anarchiſtiſchen Exploſio- nen auseinander geplatzt, Mehltöpfe unter dem Tiſch über ſämmtliche Gelehrtenhoſen ausgeplantſcht worden, Taſchenmeſſer rein lebensgefährlich durch die Luft geſchwirrt, — kurz, Dinge geſchehen, die aller gangbaren Phyſik Hohn ſprachen vor den Augen eines Collegiums bewährteſter Phy- ſiker! Gut, mein Freund, aber erlaube mir die eine Frage: Wo ſtehen dieſe Dinge beſchrieben? Sie ſtehen in den dicken Bändern von Friedrich Zöllner, der, nachdem er unvergängliche Leiſtungen auf ſeinem aſtronomiſchen und aſtrophyſiſchen Fachgebiete hinter ſich hatte, in dieſen letzten, polemiſchen Schriften ſich zu einem ſolchen Con- fuſionarius mit allen Anzeichen der Gedanken- flucht entwickelt hat, daß er, trotz der vollen Ehr- lichkeit, wohl als der ſchlechteſte Zeuge von der Welt gelten kann. Zöllner’s Motive waren gewiß die beſten. Sein Kampf gegen den blinden Auto- ritätsduſel in der Wiſſenſchaft ging von ſolideſter Wurzel aus. Aber ſei es, daß der Kampf ſeine Kraft erſchöpft, ſei es, daß ein tieferes Leiden gerade unter all’ den Aufregungen akut wurde; kurz, er iſt von einem gewiſſen Punkte an nicht mehr zurechnungsfähig geweſen. Was aber die anderen Zuſchauer, Weber und Fechner, anbelangt ſo haben ſie ſich nur ganz reſervirt über die Sache ausgeſprochen, wohl beide darüber klar, daß ſie als alte, phyſiſch nicht mehr zum ganz klaren Sehen disponirte Urväter wohl wenig geeignet ſeien, Betrug deutlich von Wirklichkeit zu ſondern. Immerhin iſt das Urtheil des greiſen Fechner das relativ werthvollſte aus den ganzen Acten des Spiritismus. Es iſt von verſchiedenen Seiten darauf hin- gewieſen worden, daß Slade möglicherweiſe neben einfachen Taſchenſpielertriks auch noch über Mit- tel verfügt habe, die allerdings mit Geiſtern gar nichts zu thun haben, aber doch außerge- wöhnliche, in gewiſſem Sinne „neue“ ſind. Seit- dem der Hypnotismus, (den man oft fälſchlich mit dem Spiritismus zuſammenwirft, obwohl er rein gar nichts myſtiſches enthält) in den Händen unſerer beſten Aerzte ſo eigenartige Reſultate er- geben hat und einen Ausblick darauf öffnet, wie man ganz geſunde Menſchen durch Verſetzung in gewiſſe ſchlafartige Zuſtände die wunderlichſten Dinge „ſuggeriren“, d. h. gleichſam in’s Gehirn hinein aufzwingen kann, — ſeitdem iſt die Frage offen, ob Slade nicht (allerdings in ſehr compli- cirter Weiſe) ſeinen Opfern auf hypnotiſchem Wege die Vorſtellung beigebracht habe, ſie hätten gewiſſe Sachen geſehen, ſeien etwa mit dem Stuhl in die Luft geflogen oder hätten einen Tiſch auf den andern klettern ſehen. Will man ganz kühn werden, ſo ließe ſich am Ende gar vermuthen, Slade habe Naturkräfte verwerthet, die unſere Schulphyſik bisher nicht kennt. Unfehlbar iſt die beſtehende Phyſik ja ganz und gar nicht. Es gibt zweifellos noch eine Anzahl Stellen in unſerer nächſten Umgebung, wo latente Kraft aufgeſpeichert iſt, die nur geweckt zu werden brauchte, um Größtes zu leiſten. Die Geſpenſter haben aber damit ſo wenig etwas zu thun wie mit den hypnotiſchen Sachen. Vielleicht thut man aber dem guten Slade damit viel zu viel Ehre an. Denn bei andern Gelegenheiten iſt er als ſo grober Betrüger entlarvt worden, daß der höchſte Verdacht am Platze bleibt, ſeine Mittel ſeien nur die gröbſten geweſen. Es hilft alles nichts: alle dieſe biederen und ſpannenden Hiſtörchen, die wir von Slade und Genoſſen erzählt bekommen, wir müßten von ihnen endlich einmal hören als Werken eines unbeſtritten ehrlichen, kundigen Phyſikers ſelbſt. Wenn ein Helmholtz oder Darwin ſelber merkten, daß um ſie her Stühle fliegen und verſchloſſene Tafeln beſchrieben werden, ſo

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 124, Olmütz, 01.06.1894, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches124_1894/2>, abgerufen am 21.11.2024.