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Mährisches Tagblatt. Nr. 18, Olmütz, 24.01.1898.

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Das
"Mährische Tagblatt"
erscheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
Ausgabe 2 Uhr Nachmittag
im Administrationslocale
Niederring Nr. 41 neu.
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Einzelne Nummer 5 kr.



Telephon Nr. 9.


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Mährisches
Tagblatt.

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Insertionsgebühren
nach aufliegendem Tarif



Außerhalb Olmütz überneh[-]
men Insertions-Aufträge.
Heinrich Schalek, Annon-
cen-Exped. in Wien, I., Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein
& Vogler
in Wien, Buda-
pest, Berlin, Frankfurt a. M.
Hamburg, Basel und Leipzig,
M. Dukes Nachf. Max Angen-
feld & Emerich Lessner.
Wien I., Wollzeile 6--8.
Rud. Mosse, Wien München
u. Berlin. Alois Opellik, in
Wien, G. L. Daube und Co,
Frankfurt a. M. Karoly u
Liebmann's
Annoncenbureau
in Hamburg, sowie sämmtl.
conc. Insertionsbureaus des
In- u. Auslandes
Manuscripte werden nicht
zurückgestellt.


Telephon Nr. 9.




Nr. 18. Olmütz, Montag, den 24. Jänner 1898. 19. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
Die Antwort des Statthalters.


Der Statthalter von Böhmen hat gesprochen.
Seine Worte sollen beschwichtigen, sie werden
aber diesen Zw[e]ck ganz und gar nicht erreichen,
Ueber die rechtliche Seite der Angelegenheit sprach
sich Graf Coudenhove nicht genauer aus, obgleich
auch darüber Manches zu sagen wäre. Es bedarf
der ernstlichen Prüfung, ob es der Behörde
überhaupt zusteht, durch einen einfachen Erlaß
den Studentenvereinen ein Recht zu entziehen,
was ihnen statutenmäßig gewährt wurde. Die
berufenen Instanzen werden zu entscheiden haben
und sie müssen schon aus dem Grunde angerufen
werden, weil durch das Verbot unsere ohnehin
sehr magere Vereinsfreiheit ernstlich bedroht wird.
Aus dem Satze, in der Erklärung des Statthal-
ters, höher als das statutenmäßige Recht stehe
die Rücksicht auf die öffentliche Ruhe und Sicher-
heit, könnten recht schlimme Consequenzen ent-
stehen. Ueber das, was die Rücksicht auf die öffent-
liche Ruhe und Sicherheit gebietet, entsche[i]det die
Behörde souverän und das Vereinsrecht müßte
vor dem subjectiven Ermessen der Behörde
in ein Nichts zusammenschrumpfen, wenn die Auf-
fassung des Statthalters die richtige wäre. Das
muß klar gestellt werden, sonst gerathen wir immer
tiefer in die Seitengewässer des administrativen
Beliebens und der Begriff Recht verliert völlig
seinen Inhalt.

Die politische Begründung des Verbotes ist
die denkbar unglücklichste. Der Statthalter wieder-
holte, daß die Tschechen keinen Grund hatten, sich
[Spaltenumbruch] durch die deutschen Abzeichen erregt und heraus-
gefordert zu fühlen. Aber, so fügte er hinzu, die
Erregung ist nun einmal da und mit dieser That-
sache muß die Behörde rechnen. Sie ist nun ein-
mal da -- ein verhängnißvolles Wort, das nicht
eine Minute unwidersprochen bleiben darf, denn
die Folgerungen, welche Graf Coudenhove zog,
sind geradezu gefährlich für Den, welcher grund-
los bedroht und angegriffen wird. Die Tschechen
in Prag werden diese Aeußerung gut im Gedächtniß
behalten; sie werden sich sagen, daß, wenn ihnen
künftig wieder einmal Etwas recht unangenehm
wird, sie nur in Erregung zu gerathen brauchen, um
zu erreichen, was sie anstreben: Eine behördliche
Intervention, ein Verbot. Der Statthalter suchte
sich zu rechifertigen, er verwies auf das Aufgebot
von Sicherheitswachen und Militär, das noth-
wendig war, um die farbentragenden Studenten
vor der Wuth des tschechischen Pöbels zu schützen,
und er meinte, nur ein noch größeres Aufgebot,
nur ganz außerordentliche M[aßreg]eln hätten noch
gefährlichere Ausschreitungen verhüten können.
Wir lassen es dahingestellt, ob das richtig ist:
in der Ferne gewann man den Eindruck, als
käme der Straßenpöbel bereits zur Besinnung;
die Ruhe war ja le dlich wieder hergestellt. Aber
angenommen, Graf Coudenhove sagte das Rich-
tige, dann wäre es eben die Aufgabe der Behörde
gewesen, sich zu einem noch stärkeren Aufgebot zu
entschließen, dann mußte sie die nöthigen außer-
ordentlichen Vorsichtsmaßregeln treffen, sie durfte
und mußte Alles thun, nur zurückweichen durfte
sie nicht.

Denn, das kann nicht nachdrücklich genug
wiederholt werden, nicht mehr die studentischen Farben
[Spaltenumbruch] allein standen in Frage. Um etwas weit Wichtigeres
handelte es sich, um das nationale Recht der Deut-
schen Böhmens, das bei der feststehenden Gemein-
bürgschaft zum nationalen Rechte aller Deutschen
Oesterreichs geworden ist. Dieß Recht durfte die
Behörde in keinem Falle der tschechischen "Er-
regung" preisgeben, ebensowenig als ihre eigene
Autorität, die vor diesem unglückseligen Entschlusse
wohl auch sehr in Betracht zu ziehen gewesen
wäre. Das ist das Wichtigste, das Entscheidende.
Die Stimmung in Prag ist hinlänglich bekannt,
um es Jed rmann klar zu machen, daß seit dem
Verbot die Lage der dortigen Deutschen eine noch
weit schlimmere ist, als sie früher war, und
daß die Tschechen künftig noch rascher zur brutalen
Offensive übergehen werden, denn sie rechnen
ja darauf, daß, wenn die Erregung "einmal da
ist", ihnen ihr Wille geschieht. Diese Wirkung
hat das Verbot hervorgebracht, und Jahre werden
nöthig sein, sie verschwinden zu machen. Von
der Bemerkung des Statthalters, das Verbot
sei ein allgemeines, es treffe ebenso die Deutschen
wie die Tschechen, sagt die "Grazer Tagespost",
reden wir nicht. Sie widerlegt sich selbst. Die
Tschechen werden darüber nur lächeln. Das
Versprechen des Statthalters, das Verbot werde
bald wieder aufgehoben werden, kann den be-
gangenen Fehler ebenso wenig gut machen, als
es imstande ist, die Erbitterung der Deutschen
zu vermindern. Eines aber hat die Antwort des
Statthalters neuerdings gezeigt: Die Rathlosigkeit
der leitenden Kreise.






[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Der alte Holtei.
= Zum 24. Jänner 1898. =
Vom Oberregisseur Max Grube (Berlin.)

Nachdruck verboten.

Soweit die Zunge der "Eselsfresser" und
"Usinger" klingt, wie wir Schlesier, wer kann
sagen warum? genannt werden, soweit wird
heute der hundertste Geburtstag Carl von Holteis
mit "schläscher Gemittlichkeit" gefeiert werden.
Das ist nicht nur das gute Recht, das ist die
Pflicht eines Landes, dessen heimatlicher Dialect
durch einen echten Dichter in die Weltliteratur
eingeführt worden ist, und Schlesien, dem dies
Glück zweimal widerfahren ist, darf und wird
über dem modernen Gerhart Hauptmann seinen
"olen" oder "alen" (o und a laufen im Schlesi-
schen zu einer Art von Diphtong zusammen)
Holtei nicht vergessen.

Aber auch diejenigen, die nicht den heimat-
lichen Reiz der "Schlefischen Gedichte" empfinden
und die Fülle von Humor und reicher Gemüths-
regung, die aus ihnen spricht, wegen des fremden
Dialectes nicht ganz zu verstehen vermögen,
werden heute eines Dichters gern gedenken, den,
obwohl er selbst sich nie zu den Großen gezählt
hat, doch viele seiner Werke überlebt haben.

Von seinen Romanen werden die "Vaga-
bunden," eine in ihrer Art fast classisch zu
[Spaltenumbruch] nennende Verherrlichung und Verspottung des
"künstlerischen" Landstreicherthums, noch heute
viel gelesen. Selbst denen, die dies Werk nicht
kennen, ist sein Name wenigstens geläufig, wie
dies ja bei vielen bedeutenden Dichtungen der
Fall ist, die der "Gebildete," wenn auch nicht
kennen, doch wenigstens neunen können muß.
Das ist in unserer raschlebigen Zeit schon immer
etwas.

Gleichwohl verdienten gar manche der
Holtei'schen Romane noch heute, auch außer
Schlesien, wo sie noch lebendig bleiben, gelesen
zu werden.

Wer sich einmal den "Letzten Comödianten,"
"Christian Lammfell," "Ein Schneider," um
nur wenige seiner Werke zu nennen, ansehen
möchte, der würde mit Staunen bemerken, welch'
ein starker Vorläuser des heute herrschenden
Realismus in Carl von Holtei zu finden ist.
Sind diese Werke auch stellenweise von einer
gewissen Rührseligkeit, die aber zum Theil im
schlesischen Volkscharacter wurzelt, nicht ganz frei-
zusprechen, so spricht sich in ihnen doch eine
starke Vorliebe zur Schilderung echter Wahrheit
aus, ganz besonders wissen sie Ton, Empfindungs-
und Denkart des kleinen Mannes vortresslich
wiederzuspiegeln.

Zu hoher literarischer Bedeutung aber
erhebt sich Holtei in seiner Selbstbiographie, in
den berühmten "Vierzig Jahren." Nicht nur,
daß in ihnen eine classische Quelle für die Lite-
ratur- und Theatergeschichte fließt, daß sie die
interessantesten Mittheilungen über Goethe, Goethes
[Spaltenumbruch] unglücklichen Sohn August, Ludwig Tieck und
andere Literaturgrößen, über Iffland, Ludwig
Devrient, Pius Wolff, Seidelmann und viele
berühmte Schauspieler und Schauspielerinnen
bringt, nicht nur, daß hier die ganze Culturge-
schichte seiner Zeit sich spiegelt, Holtei hat in
diesen Erinnerungen ein so fein und wahr beobach-
tetes Bild der eigenen Characterentwicklung ge-
geben, hat sich so wenig gescheut, auch in die Ab-
gründe einen Blick thun zu lassen, die ihm so
wenig wie irgend einer Menschenseele gefehlt haben,
daß man dies Werk fast den "Confessions"
Rousseaus an die Seite stellen könnte.

Die "Vierzig Jahre" sind, trotz manches
recht wenig "moralischen," was sich darin finden
mag, ein wahrhaft moralisches Buch zu nennen,
und niemand, der es versteht, sich selber in anderen
zu erkennen, wird es ohne Nutzen aus der Hand
legen. Ich halte es daher nicht nur für einen
glücklichen, sondern für einen verdienstlichen Ge-
danken der Verlagshandlung, dies Buch in einer
Jubiläumsausgabe, die auf alles verzichtet, was
nur für die Zeitgenossen zufälliges Interesse
hatte, in handlichem Format herauszugeben.

Holteis Bühnenwerke, die sich meist großer
Beliebtheit erfreuten und in denen er selber als
Darsteller mit Glück in ganz Deutschland auf-
trat, sind freilich zum größten Theil einer anderen
und, wir dürfen wohl sagen, besseren Geschmacks-
richtung gewichen. Aber seine "Lenore," sein
"Lorbeerbaum und Bettelstab," sein "Hans-Jürge"
erscheinen noch oft an kleinen und mittleren
Bühnen, ja "Die Wiener in Paris" halten sich


[Spaltenumbruch]

Das
„Mähriſche Tagblatt“
erſcheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
Ausgabe 2 Uhr Nachmittag
im Adminiſtrationslocale
Niederring Nr. 41 neu.
Abonnement für Olmütz:

Ganzjährig fl. 10.—
Halbjährig „ 5.—
Vierteljährig „ 2.50
Monatlich „ —.90
Zuſtellung ins Haus monat-
lich 10 kr.
Auswärts durch die Poſt:
Ganzjährig fl. 14.—
Halbjährig „ 7.—
Vierteljährig „ 3.50
Einzelne Nummer 5 kr.



Telephon Nr. 9.


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Mähriſches
Tagblatt.

[Spaltenumbruch]

Inſertionsgebühren
nach aufliegendem Tarif



Außerhalb Olmütz überneh[-]
men Inſertions-Aufträge.
Heinrich Schalek, Annon-
cen-Exped. in Wien, I., Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein
& Vogler
in Wien, Buda-
peſt, Berlin, Frankfurt a. M.
Hamburg, Baſel und Leipzig,
M. Dukes Nachf. Max Angen-
feld & Emerich Leſſner.
Wien I., Wollzeile 6—8.
Rud. Mosse, Wien München
u. Berlin. Alois Opellik, in
Wien, G. L. Daube und Co,
Frankfurt a. M. Karoly u
Liebmann’s
Annoncenbureau
in Hamburg, ſowie ſämmtl.
conc. Inſertionsbureaus des
In- u. Auslandes
Manuſcripte werden nicht
zurückgeſtellt.


Telephon Nr. 9.




Nr. 18. Olmütz, Montag, den 24. Jänner 1898. 19. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
Die Antwort des Statthalters.


Der Statthalter von Böhmen hat geſprochen.
Seine Worte ſollen beſchwichtigen, ſie werden
aber dieſen Zw[e]ck ganz und gar nicht erreichen,
Ueber die rechtliche Seite der Angelegenheit ſprach
ſich Graf Coudenhove nicht genauer aus, obgleich
auch darüber Manches zu ſagen wäre. Es bedarf
der ernſtlichen Prüfung, ob es der Behörde
überhaupt zuſteht, durch einen einfachen Erlaß
den Studentenvereinen ein Recht zu entziehen,
was ihnen ſtatutenmäßig gewährt wurde. Die
berufenen Inſtanzen werden zu entſcheiden haben
und ſie müſſen ſchon aus dem Grunde angerufen
werden, weil durch das Verbot unſere ohnehin
ſehr magere Vereinsfreiheit ernſtlich bedroht wird.
Aus dem Satze, in der Erklärung des Statthal-
ters, höher als das ſtatutenmäßige Recht ſtehe
die Rückſicht auf die öffentliche Ruhe und Sicher-
heit, könnten recht ſchlimme Conſequenzen ent-
ſtehen. Ueber das, was die Rückſicht auf die öffent-
liche Ruhe und Sicherheit gebietet, entſche[i]det die
Behörde ſouverän und das Vereinsrecht müßte
vor dem ſubjectiven Ermeſſen der Behörde
in ein Nichts zuſammenſchrumpfen, wenn die Auf-
faſſung des Statthalters die richtige wäre. Das
muß klar geſtellt werden, ſonſt gerathen wir immer
tiefer in die Seitengewäſſer des adminiſtrativen
Beliebens und der Begriff Recht verliert völlig
ſeinen Inhalt.

Die politiſche Begründung des Verbotes iſt
die denkbar unglücklichſte. Der Statthalter wieder-
holte, daß die Tſchechen keinen Grund hatten, ſich
[Spaltenumbruch] durch die deutſchen Abzeichen erregt und heraus-
gefordert zu fühlen. Aber, ſo fügte er hinzu, die
Erregung iſt nun einmal da und mit dieſer That-
ſache muß die Behörde rechnen. Sie iſt nun ein-
mal da — ein verhängnißvolles Wort, das nicht
eine Minute unwiderſprochen bleiben darf, denn
die Folgerungen, welche Graf Coudenhove zog,
ſind geradezu gefährlich für Den, welcher grund-
los bedroht und angegriffen wird. Die Tſchechen
in Prag werden dieſe Aeußerung gut im Gedächtniß
behalten; ſie werden ſich ſagen, daß, wenn ihnen
künftig wieder einmal Etwas recht unangenehm
wird, ſie nur in Erregung zu gerathen brauchen, um
zu erreichen, was ſie anſtreben: Eine behördliche
Intervention, ein Verbot. Der Statthalter ſuchte
ſich zu rechifertigen, er verwies auf das Aufgebot
von Sicherheitswachen und Militär, das noth-
wendig war, um die farbentragenden Studenten
vor der Wuth des tſchechiſchen Pöbels zu ſchützen,
und er meinte, nur ein noch größeres Aufgebot,
nur ganz außerordentliche M[aßreg]eln hätten noch
gefährlichere Ausſchreitungen verhüten können.
Wir laſſen es dahingeſtellt, ob das richtig iſt:
in der Ferne gewann man den Eindruck, als
käme der Straßenpöbel bereits zur Beſinnung;
die Ruhe war ja le dlich wieder hergeſtellt. Aber
angenommen, Graf Coudenhove ſagte das Rich-
tige, dann wäre es eben die Aufgabe der Behörde
geweſen, ſich zu einem noch ſtärkeren Aufgebot zu
entſchließen, dann mußte ſie die nöthigen außer-
ordentlichen Vorſichtsmaßregeln treffen, ſie durfte
und mußte Alles thun, nur zurückweichen durfte
ſie nicht.

Denn, das kann nicht nachdrücklich genug
wiederholt werden, nicht mehr die ſtudentiſchen Farben
[Spaltenumbruch] allein ſtanden in Frage. Um etwas weit Wichtigeres
handelte es ſich, um das nationale Recht der Deut-
ſchen Böhmens, das bei der feſtſtehenden Gemein-
bürgſchaft zum nationalen Rechte aller Deutſchen
Oeſterreichs geworden iſt. Dieß Recht durfte die
Behörde in keinem Falle der tſchechiſchen „Er-
regung“ preisgeben, ebenſowenig als ihre eigene
Autorität, die vor dieſem unglückſeligen Entſchluſſe
wohl auch ſehr in Betracht zu ziehen geweſen
wäre. Das iſt das Wichtigſte, das Entſcheidende.
Die Stimmung in Prag iſt hinlänglich bekannt,
um es Jed rmann klar zu machen, daß ſeit dem
Verbot die Lage der dortigen Deutſchen eine noch
weit ſchlimmere iſt, als ſie früher war, und
daß die Tſchechen künftig noch raſcher zur brutalen
Offenſive übergehen werden, denn ſie rechnen
ja darauf, daß, wenn die Erregung „einmal da
iſt“, ihnen ihr Wille geſchieht. Dieſe Wirkung
hat das Verbot hervorgebracht, und Jahre werden
nöthig ſein, ſie verſchwinden zu machen. Von
der Bemerkung des Statthalters, das Verbot
ſei ein allgemeines, es treffe ebenſo die Deutſchen
wie die Tſchechen, ſagt die „Grazer Tagespoſt“,
reden wir nicht. Sie widerlegt ſich ſelbſt. Die
Tſchechen werden darüber nur lächeln. Das
Verſprechen des Statthalters, das Verbot werde
bald wieder aufgehoben werden, kann den be-
gangenen Fehler ebenſo wenig gut machen, als
es imſtande iſt, die Erbitterung der Deutſchen
zu vermindern. Eines aber hat die Antwort des
Statthalters neuerdings gezeigt: Die Rathloſigkeit
der leitenden Kreiſe.






[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Der alte Holtei.
= Zum 24. Jänner 1898. =
Vom Oberregiſſeur Max Grube (Berlin.)

Nachdruck verboten.

Soweit die Zunge der „Eſelsfreſſer“ und
„Uſinger“ klingt, wie wir Schleſier, wer kann
ſagen warum? genannt werden, ſoweit wird
heute der hundertſte Geburtstag Carl von Holteis
mit „ſchläſcher Gemittlichkeit“ gefeiert werden.
Das iſt nicht nur das gute Recht, das iſt die
Pflicht eines Landes, deſſen heimatlicher Dialect
durch einen echten Dichter in die Weltliteratur
eingeführt worden iſt, und Schleſien, dem dies
Glück zweimal widerfahren iſt, darf und wird
über dem modernen Gerhart Hauptmann ſeinen
„olen“ oder „alen“ (o und a laufen im Schleſi-
ſchen zu einer Art von Diphtong zuſammen)
Holtei nicht vergeſſen.

Aber auch diejenigen, die nicht den heimat-
lichen Reiz der „Schlefiſchen Gedichte“ empfinden
und die Fülle von Humor und reicher Gemüths-
regung, die aus ihnen ſpricht, wegen des fremden
Dialectes nicht ganz zu verſtehen vermögen,
werden heute eines Dichters gern gedenken, den,
obwohl er ſelbſt ſich nie zu den Großen gezählt
hat, doch viele ſeiner Werke überlebt haben.

Von ſeinen Romanen werden die „Vaga-
bunden,“ eine in ihrer Art faſt claſſiſch zu
[Spaltenumbruch] nennende Verherrlichung und Verſpottung des
„künſtleriſchen“ Landſtreicherthums, noch heute
viel geleſen. Selbſt denen, die dies Werk nicht
kennen, iſt ſein Name wenigſtens geläufig, wie
dies ja bei vielen bedeutenden Dichtungen der
Fall iſt, die der „Gebildete,“ wenn auch nicht
kennen, doch wenigſtens neunen können muß.
Das iſt in unſerer raſchlebigen Zeit ſchon immer
etwas.

Gleichwohl verdienten gar manche der
Holtei’ſchen Romane noch heute, auch außer
Schleſien, wo ſie noch lebendig bleiben, geleſen
zu werden.

Wer ſich einmal den „Letzten Comödianten,“
„Chriſtian Lammfell,“ „Ein Schneider,“ um
nur wenige ſeiner Werke zu nennen, anſehen
möchte, der würde mit Staunen bemerken, welch’
ein ſtarker Vorläuſer des heute herrſchenden
Realismus in Carl von Holtei zu finden iſt.
Sind dieſe Werke auch ſtellenweiſe von einer
gewiſſen Rührſeligkeit, die aber zum Theil im
ſchleſiſchen Volkscharacter wurzelt, nicht ganz frei-
zuſprechen, ſo ſpricht ſich in ihnen doch eine
ſtarke Vorliebe zur Schilderung echter Wahrheit
aus, ganz beſonders wiſſen ſie Ton, Empfindungs-
und Denkart des kleinen Mannes vortreſſlich
wiederzuſpiegeln.

Zu hoher literariſcher Bedeutung aber
erhebt ſich Holtei in ſeiner Selbſtbiographie, in
den berühmten „Vierzig Jahren.“ Nicht nur,
daß in ihnen eine claſſiſche Quelle für die Lite-
ratur- und Theatergeſchichte fließt, daß ſie die
intereſſanteſten Mittheilungen über Goethe, Goethes
[Spaltenumbruch] unglücklichen Sohn Auguſt, Ludwig Tieck und
andere Literaturgrößen, über Iffland, Ludwig
Devrient, Pius Wolff, Seidelmann und viele
berühmte Schauſpieler und Schauſpielerinnen
bringt, nicht nur, daß hier die ganze Culturge-
ſchichte ſeiner Zeit ſich ſpiegelt, Holtei hat in
dieſen Erinnerungen ein ſo fein und wahr beobach-
tetes Bild der eigenen Characterentwicklung ge-
geben, hat ſich ſo wenig geſcheut, auch in die Ab-
gründe einen Blick thun zu laſſen, die ihm ſo
wenig wie irgend einer Menſchenſeele gefehlt haben,
daß man dies Werk faſt den „Confeſſions“
Rouſſeaus an die Seite ſtellen könnte.

Die „Vierzig Jahre“ ſind, trotz manches
recht wenig „moraliſchen,“ was ſich darin finden
mag, ein wahrhaft moraliſches Buch zu nennen,
und niemand, der es verſteht, ſich ſelber in anderen
zu erkennen, wird es ohne Nutzen aus der Hand
legen. Ich halte es daher nicht nur für einen
glücklichen, ſondern für einen verdienſtlichen Ge-
danken der Verlagshandlung, dies Buch in einer
Jubiläumsausgabe, die auf alles verzichtet, was
nur für die Zeitgenoſſen zufälliges Intereſſe
hatte, in handlichem Format herauszugeben.

Holteis Bühnenwerke, die ſich meiſt großer
Beliebtheit erfreuten und in denen er ſelber als
Darſteller mit Glück in ganz Deutſchland auf-
trat, ſind freilich zum größten Theil einer anderen
und, wir dürfen wohl ſagen, beſſeren Geſchmacks-
richtung gewichen. Aber ſeine „Lenore,“ ſein
„Lorbeerbaum und Bettelſtab,“ ſein „Hans-Jürge“
erſcheinen noch oft an kleinen und mittleren
Bühnen, ja „Die Wiener in Paris“ halten ſich


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[[1]/0001] Das „Mähriſche Tagblatt“ erſcheint mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage täglich. Ausgabe 2 Uhr Nachmittag im Adminiſtrationslocale Niederring Nr. 41 neu. Abonnement für Olmütz: Ganzjährig fl. 10.— Halbjährig „ 5.— Vierteljährig „ 2.50 Monatlich „ —.90 Zuſtellung ins Haus monat- lich 10 kr. Auswärts durch die Poſt: Ganzjährig fl. 14.— Halbjährig „ 7.— Vierteljährig „ 3.50 Einzelne Nummer 5 kr. Telephon Nr. 9. Mähriſches Tagblatt. Inſertionsgebühren nach aufliegendem Tarif Außerhalb Olmütz überneh- men Inſertions-Aufträge. Heinrich Schalek, Annon- cen-Exped. in Wien, I., Woll- zeile Nr. 11, Haasenstein & Vogler in Wien, Buda- peſt, Berlin, Frankfurt a. M. Hamburg, Baſel und Leipzig, M. Dukes Nachf. Max Angen- feld & Emerich Leſſner. Wien I., Wollzeile 6—8. Rud. Mosse, Wien München u. Berlin. Alois Opellik, in Wien, G. L. Daube und Co, Frankfurt a. M. Karoly u Liebmann’s Annoncenbureau in Hamburg, ſowie ſämmtl. conc. Inſertionsbureaus des In- u. Auslandes Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. Telephon Nr. 9. Nr. 18. Olmütz, Montag, den 24. Jänner 1898. 19. Jahrgang Die Antwort des Statthalters. Olmütz, 24. Jänner. Der Statthalter von Böhmen hat geſprochen. Seine Worte ſollen beſchwichtigen, ſie werden aber dieſen Zweck ganz und gar nicht erreichen, Ueber die rechtliche Seite der Angelegenheit ſprach ſich Graf Coudenhove nicht genauer aus, obgleich auch darüber Manches zu ſagen wäre. Es bedarf der ernſtlichen Prüfung, ob es der Behörde überhaupt zuſteht, durch einen einfachen Erlaß den Studentenvereinen ein Recht zu entziehen, was ihnen ſtatutenmäßig gewährt wurde. Die berufenen Inſtanzen werden zu entſcheiden haben und ſie müſſen ſchon aus dem Grunde angerufen werden, weil durch das Verbot unſere ohnehin ſehr magere Vereinsfreiheit ernſtlich bedroht wird. Aus dem Satze, in der Erklärung des Statthal- ters, höher als das ſtatutenmäßige Recht ſtehe die Rückſicht auf die öffentliche Ruhe und Sicher- heit, könnten recht ſchlimme Conſequenzen ent- ſtehen. Ueber das, was die Rückſicht auf die öffent- liche Ruhe und Sicherheit gebietet, entſcheidet die Behörde ſouverän und das Vereinsrecht müßte vor dem ſubjectiven Ermeſſen der Behörde in ein Nichts zuſammenſchrumpfen, wenn die Auf- faſſung des Statthalters die richtige wäre. Das muß klar geſtellt werden, ſonſt gerathen wir immer tiefer in die Seitengewäſſer des adminiſtrativen Beliebens und der Begriff Recht verliert völlig ſeinen Inhalt. Die politiſche Begründung des Verbotes iſt die denkbar unglücklichſte. Der Statthalter wieder- holte, daß die Tſchechen keinen Grund hatten, ſich durch die deutſchen Abzeichen erregt und heraus- gefordert zu fühlen. Aber, ſo fügte er hinzu, die Erregung iſt nun einmal da und mit dieſer That- ſache muß die Behörde rechnen. Sie iſt nun ein- mal da — ein verhängnißvolles Wort, das nicht eine Minute unwiderſprochen bleiben darf, denn die Folgerungen, welche Graf Coudenhove zog, ſind geradezu gefährlich für Den, welcher grund- los bedroht und angegriffen wird. Die Tſchechen in Prag werden dieſe Aeußerung gut im Gedächtniß behalten; ſie werden ſich ſagen, daß, wenn ihnen künftig wieder einmal Etwas recht unangenehm wird, ſie nur in Erregung zu gerathen brauchen, um zu erreichen, was ſie anſtreben: Eine behördliche Intervention, ein Verbot. Der Statthalter ſuchte ſich zu rechifertigen, er verwies auf das Aufgebot von Sicherheitswachen und Militär, das noth- wendig war, um die farbentragenden Studenten vor der Wuth des tſchechiſchen Pöbels zu ſchützen, und er meinte, nur ein noch größeres Aufgebot, nur ganz außerordentliche Maßregeln hätten noch gefährlichere Ausſchreitungen verhüten können. Wir laſſen es dahingeſtellt, ob das richtig iſt: in der Ferne gewann man den Eindruck, als käme der Straßenpöbel bereits zur Beſinnung; die Ruhe war ja le dlich wieder hergeſtellt. Aber angenommen, Graf Coudenhove ſagte das Rich- tige, dann wäre es eben die Aufgabe der Behörde geweſen, ſich zu einem noch ſtärkeren Aufgebot zu entſchließen, dann mußte ſie die nöthigen außer- ordentlichen Vorſichtsmaßregeln treffen, ſie durfte und mußte Alles thun, nur zurückweichen durfte ſie nicht. Denn, das kann nicht nachdrücklich genug wiederholt werden, nicht mehr die ſtudentiſchen Farben allein ſtanden in Frage. Um etwas weit Wichtigeres handelte es ſich, um das nationale Recht der Deut- ſchen Böhmens, das bei der feſtſtehenden Gemein- bürgſchaft zum nationalen Rechte aller Deutſchen Oeſterreichs geworden iſt. Dieß Recht durfte die Behörde in keinem Falle der tſchechiſchen „Er- regung“ preisgeben, ebenſowenig als ihre eigene Autorität, die vor dieſem unglückſeligen Entſchluſſe wohl auch ſehr in Betracht zu ziehen geweſen wäre. Das iſt das Wichtigſte, das Entſcheidende. Die Stimmung in Prag iſt hinlänglich bekannt, um es Jed rmann klar zu machen, daß ſeit dem Verbot die Lage der dortigen Deutſchen eine noch weit ſchlimmere iſt, als ſie früher war, und daß die Tſchechen künftig noch raſcher zur brutalen Offenſive übergehen werden, denn ſie rechnen ja darauf, daß, wenn die Erregung „einmal da iſt“, ihnen ihr Wille geſchieht. Dieſe Wirkung hat das Verbot hervorgebracht, und Jahre werden nöthig ſein, ſie verſchwinden zu machen. Von der Bemerkung des Statthalters, das Verbot ſei ein allgemeines, es treffe ebenſo die Deutſchen wie die Tſchechen, ſagt die „Grazer Tagespoſt“, reden wir nicht. Sie widerlegt ſich ſelbſt. Die Tſchechen werden darüber nur lächeln. Das Verſprechen des Statthalters, das Verbot werde bald wieder aufgehoben werden, kann den be- gangenen Fehler ebenſo wenig gut machen, als es imſtande iſt, die Erbitterung der Deutſchen zu vermindern. Eines aber hat die Antwort des Statthalters neuerdings gezeigt: Die Rathloſigkeit der leitenden Kreiſe. Feuilleton. Der alte Holtei. = Zum 24. Jänner 1898. = Vom Oberregiſſeur Max Grube (Berlin.) Nachdruck verboten. Soweit die Zunge der „Eſelsfreſſer“ und „Uſinger“ klingt, wie wir Schleſier, wer kann ſagen warum? genannt werden, ſoweit wird heute der hundertſte Geburtstag Carl von Holteis mit „ſchläſcher Gemittlichkeit“ gefeiert werden. Das iſt nicht nur das gute Recht, das iſt die Pflicht eines Landes, deſſen heimatlicher Dialect durch einen echten Dichter in die Weltliteratur eingeführt worden iſt, und Schleſien, dem dies Glück zweimal widerfahren iſt, darf und wird über dem modernen Gerhart Hauptmann ſeinen „olen“ oder „alen“ (o und a laufen im Schleſi- ſchen zu einer Art von Diphtong zuſammen) Holtei nicht vergeſſen. Aber auch diejenigen, die nicht den heimat- lichen Reiz der „Schlefiſchen Gedichte“ empfinden und die Fülle von Humor und reicher Gemüths- regung, die aus ihnen ſpricht, wegen des fremden Dialectes nicht ganz zu verſtehen vermögen, werden heute eines Dichters gern gedenken, den, obwohl er ſelbſt ſich nie zu den Großen gezählt hat, doch viele ſeiner Werke überlebt haben. Von ſeinen Romanen werden die „Vaga- bunden,“ eine in ihrer Art faſt claſſiſch zu nennende Verherrlichung und Verſpottung des „künſtleriſchen“ Landſtreicherthums, noch heute viel geleſen. 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Sind dieſe Werke auch ſtellenweiſe von einer gewiſſen Rührſeligkeit, die aber zum Theil im ſchleſiſchen Volkscharacter wurzelt, nicht ganz frei- zuſprechen, ſo ſpricht ſich in ihnen doch eine ſtarke Vorliebe zur Schilderung echter Wahrheit aus, ganz beſonders wiſſen ſie Ton, Empfindungs- und Denkart des kleinen Mannes vortreſſlich wiederzuſpiegeln. 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Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T15:49:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 18, Olmütz, 24.01.1898, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches18_1898/1>, abgerufen am 21.11.2024.