Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mährisches Tagblatt. Nr. 296, Olmütz, 29.12.1893.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
[Spaltenumbruch]

große Anzahl van Abgeordneten, welche entschie-
den für das allgemeine Stimmrecht eintreten, in
das Parlament gebracht werden, so daß in Zu-
kunft die zur Verfassungsänderung erforderliche
Zweidrittelmajorität leichter erreichbar sein wird.

"Ich glaube übrigens", schloß Professor
Menger, "daß die Bestrebungen nach einer durch-
greifenden Wahlreform durch die geplanten
Maßregeln nicht, wie dies in England bei der
Reformacte des Jahres 1832 der Fall wor, auf
ein Menschenalter hinaus befriedigt werden dürf-
ten, sondern daß sich an die heutige Wahlreform-
bewegung sehr bald mit größeren Machtmitteln
und mit günstigerer Aussicht auf die verfassungs-
mäßige Erreichung ihres Zieles eine neue Be-
wegung anschließen wird."



Der politische Meuchelmord in
Prag.

Olmütz, 29. December.

Die amtliche "Prager Zeitung" bringt an
der Spitze ihrer gestrigen Nummer einen bemer-
kenswerthen, mit: "Ein politischer Mord in
Böhmen" überschriebenen Artikel, in welchem
es u. A. heißt:

Den in Wien gehaltenen Brandreden ist
die schmachvollste Blutthat, ist ein Meuchel- und
zugleich politischer Mord gefolgt. Ein mittelbarer
Zusammenhang zwischen jenen Brandreden und
dieser Blutthat ergibt sich zweifellos aus dem
Geständnisse der Mörder. So weit also ist es in
Böhmen gekommen, daß der politische und natio-
nale Kampf zur Verschwörung und diese zum
Morde ausartet. Wir, die wir selbst zum böh-
mischen Volke gehören, uns durch und durch
kennen, wissen wohl zu gut, daß dieses Volk
ebensowenig mit einer solchen Unthat, als mit
jenen Brandreden das Geringste gemein hat.
Jenseits der Grenzen unseres Landes aber er-
scheint nunmehr der böhmische Name nicht allein
durch Illoynlität, Untreue und schnöden Undank
besudelt, sondern auch durch meuchlerisch ver-
gossenes Blut befleckt, so daß sich alle Welt
außerhalb Böhmens fragen wird, ob das böh-
mische Volk es verdient hat, dem Wahnwitze eines
Häufleins Irreleitender und Irregeleiteter seinen
guten Ruf zum Opfer fallen zu sehen. So gesellt
sich zu eigenem Entsetzen, zu eigener Scham, zu
eigenem Abscheu auch noch tiefer Schmerz eines
jeden böhmischen Patrioten über die Schändung
des böhmischen Namens durch meuchlerisch vergos-
senes Blut in der sonst aller Welt geheiligten Weih-
nachtszeit. Zugleich muß aber auch ein heiliger Zorn,
ja Ingrimm jeden Böhmen von altem Schlage
erfüllen, wenn er sich gestehen muß, daß die blu-
tige, schmachvolle That eigentlich nur das letzte
Glied einer Kette von Ursachen und Wirkungen
ist, die sämmtlich auf dem bewußten, systemati-
schen Mißbrauch des gesprochenen wie des ge-
schriebenen Wortes seitens der jüngeren politi-
schen Generationen zurückzuführen sind. Ihre
Wortführer haben in der heranwachsenden jüng-
sten Schichte des böhmischen Volkes alle Begriffe
von öffentlichem, das ist staatlichem und nationa-
lem Rechte auf den Kopf gestellt. Diese Wort-
führer haben das öffentliche Gewissen eines großen
Theiles der böhmischen Jugend zerrüttet, ihren
nationalen Geist vergiftet, ihre Zukunft in die
Schanze geschlagen. Tausende von Vätern und
Müttern blicken verzweifelnd und bekümmert in
die Zukunft ihrer irregeleiteten Söhne. Wenn
jene gewissenlosen Verführer der Jugend sich nicht
scheuen, offen zu bekennen, das vielberufene böh-
mische Staatsrecht sei keine Pfeife Tabak werth, die
böhmische Nationalität sei nicht im mindesten gefähr-
det, um die Zukunft des böhmischen Volkes sei ihnen
nicht im Geringsten bange und dergleichen, wozu
das wahnwitzige Aufwühlen aller bösen Triebe
und Leidenschaften des Volkes, zumal seiner po-
litisch unreifen Massen, indem ihnen auf den
Tabors, von der parlamentarischen Tribüne und
in den Spalten einer gewissenlosen Hetzpresse
vorgespiegelt wird, das böhmische Volk sei unter-
drückt, seine heiligsten Rechte würden mit Füßen
getreten und dergleichen. Höchste Zeit ist es, daß
alle ehrlichen, und die Zukunft des böhmischen
Volkes bedenkenden Patrioten darüber klar wer-
den, daß in dem Leben des böhmischen Volkes
sich Erscheinungen zu regen beginnen, wie sie vor
den verhängnißvollen Junitagen des Jahres 1848,
wie sie vor dem noch verhängnißvolleren Jahre
[Spaltenumbruch] 1620 aufgetaucht waren. Wenn es ein Volk auf
Gottes Erde gibt, das es doppelt und dreifach
nöthig hat, aus seiner eigenen Geschichte zu
lernen, so ist es das böhmische Volk. Wiederholt
haben es seine leitenden Politiker hart an den
Rand des Abgrundes mit sich fortgerissen. Es
gibt der reifen und einflußreichen Männer in allen
Schichten des Volkes genug, welche die Tragweite
der jüngsten Erscheinungen im öffentlichen Leben zu
ermessen wissen, warum treten sie nicht hervor,
warum öffnen sie nicht der irregeleiteten Masse
und namentlich der Jugend die Augen? Eine
noch so nationale Politik, wie die, die bis zum po-
litischen Meuchelmorde ausartet, kann keine gute,
keine ehrliche sein, keine noch so hervorragende
parlamentarische Beredtsamkeit, welche sich nach-
gewiesenermaßen als Ursache des politischen
Meuchelmordes darstellt, kann eine für das Volk
ersprießliche Vertreterschaft bedeuten. Eine noch
so hoch entwickelte Presse und Literatur über-
haupt, die den öffentlichen Geist durch die causale
Verkettung in ihren letzten Nachwirkungen bis
zum wahnwitzigen politischen Meuchelmord be-
rauscht, bedeutet die moralische Brunenvergiftung
für ein ganzes Volk. Wer ein guter böhmischer
Patriot ist, wird fortan auf eine gründliche
Revision des politischen und nationalen Pro-
grammes, auf eine unnachsichtliche Musterung der
Vertreterschaft des Volkes und auf eine durch-
greifende Moral der öffentlichen Meinung und
ihrer Organe dringen. Aber rasches Eingreifen
aller Patrioten thut noth, sonst müßte von
Außen das Unerläßliche vorgekehrt werden, damit
Böhmens Ruf nie mehr durch politischen Meuchel-
mord befleckt werde.



Eröffnung des böhm. Landtages.

Prag, 28. December.

Der böhmische Landtag trat heute zu seiner
ersten Sitzung zusammen. Die Eröffnung ging
ohne alle äußeren Anzeichen eines sogenannten
"großen Ereignisses" vor sich. Auf dem Fünf-
kirchenplatze vor dem Landhause herrschte keine
ungewöhnliche Aufregung, in den Couloirs fanden
keine Conferenzen zwischen den Mitgliedern der
Parteien statt und auch die Galerien des Sitzungs-
saales waren nur schwach besucht.

Um 11 Uhr zog eine Ehrencompagnie des
Scharfschützencorps unter klingendem Spiele und
von einer großen Menschenmenge gefolgt vom
Radetzkyplatze her auf. Während des Marsches
spielte die Capelle Weisen, welche im Gegensatze
zur Gepflogenheit früherer Jahre keine nationalen
Motive enthielten. Die in außerordentlich starker
Anzahl ausgerückte Sicherheitswache bildete auf
dem Fünfkirchenplatze einen Cordon und drängte
die mit dem Schützencorps herbeigeströmte Men-
schenmenge auf den Radetzkyplatz zurück, wo sie
dann zerstreut wurde.

Auf dem Platze vor dem Landhause war das
Stehenbleiben und Ansammeln verboten.

Statthalter Graf Thun und Statthalterei-
Vice-Präsident Graf Coudenhove betraten
um 12 Uhr unter den Klängen der Volkshymne
das Landhaus. Eine Viertelstunde später eröffnete
Oberstlandmarschall Fürst Lobkowitz, an dessen
Seite sich der frühere Bürgermeister von Prag,
Landmarschall-Stellvertreter Dr. Scholz, befand,
die Sitzung mit einer Anrede in deutscher und
böhmischer Sprache. Er wies in derselben auf
die große Zahl der zu erledigenden wirthschaft-
lichen Arbeiten, die Nothwendigkeit der Ausnützung
der Zeit und die Nothwendigkeit von Creditope-
rationen mit Rücksicht auf die großen, umfassenden
Bedürfnisse des Landes hin, wobei er die Frage
der Erwägung empfahl, ob nicht neue Einnahms-
quellen für das Land zu schaffen seien. Der
Oberst-Landmarschall erwartet von den Abge-
ordneten, daß sie in ernster Weise die Zeit zum
Wohle des Landes ausnützen werden, gemäß den
Intentionen des Kaisers, auf welchen er ein
dreimaliges Hoch und Slava ausbrachte.

Sämmtliche Abgeordnete stimmten in die
Hoch- und Slava-Rufe ein und erhoben dabei
die Hände. Nur auf den Bänken der Jung-
tschechen regte sich keine Hand.

Finanzminister Dr. v. Plener ersucht wegen
dringender Amtsgeschäfte um einen dreiwöchent-
lichen Urlaub. (Abg. Dr. Eduard Gregr ruft:
Meinetwegen sechs Wochen! Heiterkeit.)

Der Urlaub wird bewilligt.

Abg. Dr. Julius Gregr theilt in einer
[Spaltenumbruch] Zuschrift mit, daß er in Folge eines ernsten
Augenleidens verhindert sein werde, an den Sitzun-
gen dieses Sessionsabschnittes theilzunehmen.

Die Abg. Dr. Podlipny und Genossen
überreichen einen Antrag auf Aufhebung des
Ausnahmszustandes in Prag und Umgebuug. In
demselben wird die Regierung zur sofortigen Auf-
hebung der Ausnahmsverfügungen aufgefordert,
weil durch dieselben die geschäftlichen und wirth-
schaftlichen Verhältnisse sehr empfindlich geschädigt
würden und die bestehenden Gesetze vollkommen
ausreichend seien.

Weiters bringen die Jungtschechen einen
Antrag auf Staatshilfe in den Nothstandsbe-
zirken ein.

Die nächste Sitzung findet morgen statt.



Politische Nachrichten.
(Abg. Herold über die Ermordung
Mrva's.)

Ein Mitarbeiter des "Prager Tagblatt"
hat dem Reichrathsabgeordneten Dr. Herold einen
Besuch abgestattet und ihm vor Allem die Frage
vorgelegt, ob die von der "Wiener Allgemeinen
Zeitung" nach dem "Dziennik Polski" gebrachte
Nachricht richtig sei, daß Dr. Herold das Notiz-
buch Mrvas im Drucke zu veröffentlichen beab-
sichtige, um nachzuweisen, daß Mrva thatsächlich
in den Diensten der Polizei stand. Dr. Herold
bezeichnete diese Nachricht als pure Erfindung
und erklärte gleichzeitig, daß er niemals mehr,
auch in der bevorstehenden Landtagssession nicht,
von diesem Notizbuche auch nur mit einem
Worte Erwähnung thun werde. (!) Herold
theilte auch mit, daß er die Vertheidigung der
ihm anvertrauten Omladinisten niedergelegt habe
mit der Begründung, daß ihm wegen seines
Berufes als Abgeordneter die Zeit hiezu
fehle.

(Die Ruhestörungen von Aigues-Mortes.)

Ver dem Schwurgericht der Charentie in Angou-
leme begann am 27. d. Mts. unter großem Zu-
drange die Verhandlung gegen die wegen der
Ruhestörungen in Aigues-Mortes Angeklagten.
Unter den Zuhörern befand sich der italienische
Generalconsul aus Marseille. Die Aussagen der
vernommenen Angeklagten französischer Nationa-
lität gehen dahin, daß die Italiener zuerst die
Franzosen mit dem Rufe: "Nieder mit Frank-
reich, es lebe Italien!" angegriffen hätten. Im
weiteren Verlaufe der Verhandlung unterbrach
der Präsident das Verhör der Angeklagten, um
diejenigen Zeugen zu vernehmen, deren Aussagen
sich auf die bekundeten Thatsachen beziehen. Der
Friedensrichter, welcher bei den Unruhen zwischen
den Italienern und den Franzosen zu vermitteln
suchte, sagte aus, die Italiener hätten in einem
Augenblick eine so drohende Haltung ongenom-
men, daß der Befehlshaber der Gendarmerie
Feuer geben lassen wollte, was er, der Friedens-
richter, verhindert habe. (Siehe Telegr.)



Locales und Provinzielles.

Olmütz, 29. December.
(Landtags-Ergänzungswahl.)

Wie bereits
von uns gemeldet wurde, findet am 10. Jän-
ner 1894 die Wahl eines Landtags-Abge-
ordneten aus dem zweiten Wahlkörper des
Großgrundbesitzes an Stelle des Freiherrn Franz
v. Hopfen, welcher bekanntlich resignirte, statt.
Da mittlerweile auch der Abgeordnete Alfred
Freiherr v. Baillou sein Mandat niedergelegt
hat, werden an dem bezeichneten Tage nunmehr
zwei Landtags-Abgeordnete vom zweiten Wahl-
körper des mährischen Großgrundbesitzes zu
wählen sein.

(Leichenbegängniß.)

Unter ganz außer-
ordentlicher Theilnahme aller Kreise der hiesigen
Bevölkerung fand gestern Nachmittags halb 4 Uhr
vom Trauerhause, Schießstattgasse, aus, das
Leichenbegängniß des am 26. d. M. verstorbenen
Buchbindermeisters und Stadtverordneten Herrn
Adolf Lachnik statt. Diese imposante Bethei-
ligung an der Trauerfeier legte ein beredtes Zeug-
niß ab von der Werthschätzung und Hochachtung,
deren sich der Verblichene hierorts erfreute. Um
die genannte Stunde wurde die Leiche im Trauer-
hause durch den hochw. Obercaplan von Sct.
Mauritz, Herrn P. Mattula, unter geistlicher
Assistenz eingesegnet, worauf sich der Leichenzug
in Bewegung setzte. Zu beiden Seiten des reich
mit prächtigen Kränzen geschmückten Sarges, der

[Spaltenumbruch]

große Anzahl van Abgeordneten, welche entſchie-
den für das allgemeine Stimmrecht eintreten, in
das Parlament gebracht werden, ſo daß in Zu-
kunft die zur Verfaſſungsänderung erforderliche
Zweidrittelmajorität leichter erreichbar ſein wird.

„Ich glaube übrigens“, ſchloß Profeſſor
Menger, „daß die Beſtrebungen nach einer durch-
greifenden Wahlreform durch die geplanten
Maßregeln nicht, wie dies in England bei der
Reformacte des Jahres 1832 der Fall wor, auf
ein Menſchenalter hinaus befriedigt werden dürf-
ten, ſondern daß ſich an die heutige Wahlreform-
bewegung ſehr bald mit größeren Machtmitteln
und mit günſtigerer Ausſicht auf die verfaſſungs-
mäßige Erreichung ihres Zieles eine neue Be-
wegung anſchließen wird.“



Der politiſche Meuchelmord in
Prag.

Olmütz, 29. December.

Die amtliche „Prager Zeitung“ bringt an
der Spitze ihrer geſtrigen Nummer einen bemer-
kenswerthen, mit: „Ein politiſcher Mord in
Böhmen“ überſchriebenen Artikel, in welchem
es u. A. heißt:

Den in Wien gehaltenen Brandreden iſt
die ſchmachvollſte Blutthat, iſt ein Meuchel- und
zugleich politiſcher Mord gefolgt. Ein mittelbarer
Zuſammenhang zwiſchen jenen Brandreden und
dieſer Blutthat ergibt ſich zweifellos aus dem
Geſtändniſſe der Mörder. So weit alſo iſt es in
Böhmen gekommen, daß der politiſche und natio-
nale Kampf zur Verſchwörung und dieſe zum
Morde ausartet. Wir, die wir ſelbſt zum böh-
miſchen Volke gehören, uns durch und durch
kennen, wiſſen wohl zu gut, daß dieſes Volk
ebenſowenig mit einer ſolchen Unthat, als mit
jenen Brandreden das Geringſte gemein hat.
Jenſeits der Grenzen unſeres Landes aber er-
ſcheint nunmehr der böhmiſche Name nicht allein
durch Illoynlität, Untreue und ſchnöden Undank
beſudelt, ſondern auch durch meuchleriſch ver-
goſſenes Blut befleckt, ſo daß ſich alle Welt
außerhalb Böhmens fragen wird, ob das böh-
miſche Volk es verdient hat, dem Wahnwitze eines
Häufleins Irreleitender und Irregeleiteter ſeinen
guten Ruf zum Opfer fallen zu ſehen. So geſellt
ſich zu eigenem Entſetzen, zu eigener Scham, zu
eigenem Abſcheu auch noch tiefer Schmerz eines
jeden böhmiſchen Patrioten über die Schändung
des böhmiſchen Namens durch meuchleriſch vergoſ-
ſenes Blut in der ſonſt aller Welt geheiligten Weih-
nachtszeit. Zugleich muß aber auch ein heiliger Zorn,
ja Ingrimm jeden Böhmen von altem Schlage
erfüllen, wenn er ſich geſtehen muß, daß die blu-
tige, ſchmachvolle That eigentlich nur das letzte
Glied einer Kette von Urſachen und Wirkungen
iſt, die ſämmtlich auf dem bewußten, ſyſtemati-
ſchen Mißbrauch des geſprochenen wie des ge-
ſchriebenen Wortes ſeitens der jüngeren politi-
ſchen Generationen zurückzuführen ſind. Ihre
Wortführer haben in der heranwachſenden jüng-
ſten Schichte des böhmiſchen Volkes alle Begriffe
von öffentlichem, das iſt ſtaatlichem und nationa-
lem Rechte auf den Kopf geſtellt. Dieſe Wort-
führer haben das öffentliche Gewiſſen eines großen
Theiles der böhmiſchen Jugend zerrüttet, ihren
nationalen Geiſt vergiftet, ihre Zukunft in die
Schanze geſchlagen. Tauſende von Vätern und
Müttern blicken verzweifelnd und bekümmert in
die Zukunft ihrer irregeleiteten Söhne. Wenn
jene gewiſſenloſen Verführer der Jugend ſich nicht
ſcheuen, offen zu bekennen, das vielberufene böh-
miſche Staatsrecht ſei keine Pfeife Tabak werth, die
böhmiſche Nationalität ſei nicht im mindeſten gefähr-
det, um die Zukunft des böhmiſchen Volkes ſei ihnen
nicht im Geringſten bange und dergleichen, wozu
das wahnwitzige Aufwühlen aller böſen Triebe
und Leidenſchaften des Volkes, zumal ſeiner po-
litiſch unreifen Maſſen, indem ihnen auf den
Tabors, von der parlamentariſchen Tribüne und
in den Spalten einer gewiſſenloſen Hetzpreſſe
vorgeſpiegelt wird, das böhmiſche Volk ſei unter-
drückt, ſeine heiligſten Rechte würden mit Füßen
getreten und dergleichen. Höchſte Zeit iſt es, daß
alle ehrlichen, und die Zukunft des böhmiſchen
Volkes bedenkenden Patrioten darüber klar wer-
den, daß in dem Leben des böhmiſchen Volkes
ſich Erſcheinungen zu regen beginnen, wie ſie vor
den verhängnißvollen Junitagen des Jahres 1848,
wie ſie vor dem noch verhängnißvolleren Jahre
[Spaltenumbruch] 1620 aufgetaucht waren. Wenn es ein Volk auf
Gottes Erde gibt, das es doppelt und dreifach
nöthig hat, aus ſeiner eigenen Geſchichte zu
lernen, ſo iſt es das böhmiſche Volk. Wiederholt
haben es ſeine leitenden Politiker hart an den
Rand des Abgrundes mit ſich fortgeriſſen. Es
gibt der reifen und einflußreichen Männer in allen
Schichten des Volkes genug, welche die Tragweite
der jüngſten Erſcheinungen im öffentlichen Leben zu
ermeſſen wiſſen, warum treten ſie nicht hervor,
warum öffnen ſie nicht der irregeleiteten Maſſe
und namentlich der Jugend die Augen? Eine
noch ſo nationale Politik, wie die, die bis zum po-
litiſchen Meuchelmorde ausartet, kann keine gute,
keine ehrliche ſein, keine noch ſo hervorragende
parlamentariſche Beredtſamkeit, welche ſich nach-
gewieſenermaßen als Urſache des politiſchen
Meuchelmordes darſtellt, kann eine für das Volk
erſprießliche Vertreterſchaft bedeuten. Eine noch
ſo hoch entwickelte Preſſe und Literatur über-
haupt, die den öffentlichen Geiſt durch die cauſale
Verkettung in ihren letzten Nachwirkungen bis
zum wahnwitzigen politiſchen Meuchelmord be-
rauſcht, bedeutet die moraliſche Brunenvergiftung
für ein ganzes Volk. Wer ein guter böhmiſcher
Patriot iſt, wird fortan auf eine gründliche
Reviſion des politiſchen und nationalen Pro-
grammes, auf eine unnachſichtliche Muſterung der
Vertreterſchaft des Volkes und auf eine durch-
greifende Moral der öffentlichen Meinung und
ihrer Organe dringen. Aber raſches Eingreifen
aller Patrioten thut noth, ſonſt müßte von
Außen das Unerläßliche vorgekehrt werden, damit
Böhmens Ruf nie mehr durch politiſchen Meuchel-
mord befleckt werde.



Eröffnung des böhm. Landtages.

Prag, 28. December.

Der böhmiſche Landtag trat heute zu ſeiner
erſten Sitzung zuſammen. Die Eröffnung ging
ohne alle äußeren Anzeichen eines ſogenannten
„großen Ereigniſſes“ vor ſich. Auf dem Fünf-
kirchenplatze vor dem Landhauſe herrſchte keine
ungewöhnliche Aufregung, in den Couloirs fanden
keine Conferenzen zwiſchen den Mitgliedern der
Parteien ſtatt und auch die Galerien des Sitzungs-
ſaales waren nur ſchwach beſucht.

Um 11 Uhr zog eine Ehrencompagnie des
Scharfſchützencorps unter klingendem Spiele und
von einer großen Menſchenmenge gefolgt vom
Radetzkyplatze her auf. Während des Marſches
ſpielte die Capelle Weiſen, welche im Gegenſatze
zur Gepflogenheit früherer Jahre keine nationalen
Motive enthielten. Die in außerordentlich ſtarker
Anzahl ausgerückte Sicherheitswache bildete auf
dem Fünfkirchenplatze einen Cordon und drängte
die mit dem Schützencorps herbeigeſtrömte Men-
ſchenmenge auf den Radetzkyplatz zurück, wo ſie
dann zerſtreut wurde.

Auf dem Platze vor dem Landhauſe war das
Stehenbleiben und Anſammeln verboten.

Statthalter Graf Thun und Statthalterei-
Vice-Präſident Graf Coudenhove betraten
um 12 Uhr unter den Klängen der Volkshymne
das Landhaus. Eine Viertelſtunde ſpäter eröffnete
Oberſtlandmarſchall Fürſt Lobkowitz, an deſſen
Seite ſich der frühere Bürgermeiſter von Prag,
Landmarſchall-Stellvertreter Dr. Scholz, befand,
die Sitzung mit einer Anrede in deutſcher und
böhmiſcher Sprache. Er wies in derſelben auf
die große Zahl der zu erledigenden wirthſchaft-
lichen Arbeiten, die Nothwendigkeit der Ausnützung
der Zeit und die Nothwendigkeit von Creditope-
rationen mit Rückſicht auf die großen, umfaſſenden
Bedürfniſſe des Landes hin, wobei er die Frage
der Erwägung empfahl, ob nicht neue Einnahms-
quellen für das Land zu ſchaffen ſeien. Der
Oberſt-Landmarſchall erwartet von den Abge-
ordneten, daß ſie in ernſter Weiſe die Zeit zum
Wohle des Landes ausnützen werden, gemäß den
Intentionen des Kaiſers, auf welchen er ein
dreimaliges Hoch und Slava ausbrachte.

Sämmtliche Abgeordnete ſtimmten in die
Hoch- und Slava-Rufe ein und erhoben dabei
die Hände. Nur auf den Bänken der Jung-
tſchechen regte ſich keine Hand.

Finanzminiſter Dr. v. Plener erſucht wegen
dringender Amtsgeſchäfte um einen dreiwöchent-
lichen Urlaub. (Abg. Dr. Eduard Gregr ruft:
Meinetwegen ſechs Wochen! Heiterkeit.)

Der Urlaub wird bewilligt.

Abg. Dr. Julius Gregr theilt in einer
[Spaltenumbruch] Zuſchrift mit, daß er in Folge eines ernſten
Augenleidens verhindert ſein werde, an den Sitzun-
gen dieſes Seſſionsabſchnittes theilzunehmen.

Die Abg. Dr. Podlipny und Genoſſen
überreichen einen Antrag auf Aufhebung des
Ausnahmszuſtandes in Prag und Umgebuug. In
demſelben wird die Regierung zur ſofortigen Auf-
hebung der Ausnahmsverfügungen aufgefordert,
weil durch dieſelben die geſchäftlichen und wirth-
ſchaftlichen Verhältniſſe ſehr empfindlich geſchädigt
würden und die beſtehenden Geſetze vollkommen
ausreichend ſeien.

Weiters bringen die Jungtſchechen einen
Antrag auf Staatshilfe in den Nothſtandsbe-
zirken ein.

Die nächſte Sitzung findet morgen ſtatt.



Politiſche Nachrichten.
(Abg. Herold über die Ermordung
Mrva’s.)

Ein Mitarbeiter des „Prager Tagblatt“
hat dem Reichrathsabgeordneten Dr. Herold einen
Beſuch abgeſtattet und ihm vor Allem die Frage
vorgelegt, ob die von der „Wiener Allgemeinen
Zeitung“ nach dem „Dziennik Polski“ gebrachte
Nachricht richtig ſei, daß Dr. Herold das Notiz-
buch Mrvas im Drucke zu veröffentlichen beab-
ſichtige, um nachzuweiſen, daß Mrva thatſächlich
in den Dienſten der Polizei ſtand. Dr. Herold
bezeichnete dieſe Nachricht als pure Erfindung
und erklärte gleichzeitig, daß er niemals mehr,
auch in der bevorſtehenden Landtagsſeſſion nicht,
von dieſem Notizbuche auch nur mit einem
Worte Erwähnung thun werde. (!) Herold
theilte auch mit, daß er die Vertheidigung der
ihm anvertrauten Omladiniſten niedergelegt habe
mit der Begründung, daß ihm wegen ſeines
Berufes als Abgeordneter die Zeit hiezu
fehle.

(Die Ruheſtörungen von Aigues-Mortes.)

Ver dem Schwurgericht der Charentie in Angou-
leme begann am 27. d. Mts. unter großem Zu-
drange die Verhandlung gegen die wegen der
Ruheſtörungen in Aigues-Mortes Angeklagten.
Unter den Zuhörern befand ſich der italieniſche
Generalconſul aus Marſeille. Die Ausſagen der
vernommenen Angeklagten franzöſiſcher Nationa-
lität gehen dahin, daß die Italiener zuerſt die
Franzoſen mit dem Rufe: „Nieder mit Frank-
reich, es lebe Italien!“ angegriffen hätten. Im
weiteren Verlaufe der Verhandlung unterbrach
der Präſident das Verhör der Angeklagten, um
diejenigen Zeugen zu vernehmen, deren Ausſagen
ſich auf die bekundeten Thatſachen beziehen. Der
Friedensrichter, welcher bei den Unruhen zwiſchen
den Italienern und den Franzoſen zu vermitteln
ſuchte, ſagte aus, die Italiener hätten in einem
Augenblick eine ſo drohende Haltung ongenom-
men, daß der Befehlshaber der Gendarmerie
Feuer geben laſſen wollte, was er, der Friedens-
richter, verhindert habe. (Siehe Telegr.)



Locales und Provinzielles.

Olmütz, 29. December.
(Landtags-Ergänzungswahl.)

Wie bereits
von uns gemeldet wurde, findet am 10. Jän-
ner 1894 die Wahl eines Landtags-Abge-
ordneten aus dem zweiten Wahlkörper des
Großgrundbeſitzes an Stelle des Freiherrn Franz
v. Hopfen, welcher bekanntlich reſignirte, ſtatt.
Da mittlerweile auch der Abgeordnete Alfred
Freiherr v. Baillou ſein Mandat niedergelegt
hat, werden an dem bezeichneten Tage nunmehr
zwei Landtags-Abgeordnete vom zweiten Wahl-
körper des mähriſchen Großgrundbeſitzes zu
wählen ſein.

(Leichenbegängniß.)

Unter ganz außer-
ordentlicher Theilnahme aller Kreiſe der hieſigen
Bevölkerung fand geſtern Nachmittags halb 4 Uhr
vom Trauerhauſe, Schießſtattgaſſe, aus, das
Leichenbegängniß des am 26. d. M. verſtorbenen
Buchbindermeiſters und Stadtverordneten Herrn
Adolf Lachnik ſtatt. Dieſe impoſante Bethei-
ligung an der Trauerfeier legte ein beredtes Zeug-
niß ab von der Werthſchätzung und Hochachtung,
deren ſich der Verblichene hierorts erfreute. Um
die genannte Stunde wurde die Leiche im Trauer-
hauſe durch den hochw. Obercaplan von Sct.
Mauritz, Herrn P. Mattula, unter geiſtlicher
Aſſiſtenz eingeſegnet, worauf ſich der Leichenzug
in Bewegung ſetzte. Zu beiden Seiten des reich
mit prächtigen Kränzen geſchmückten Sarges, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jFeuilleton" n="1">
        <div xml:id="f1b" prev="#f1a" type="jArticle" n="2">
          <pb facs="#f0003" n="[3]"/>
          <cb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <div xml:id="a2b" prev="#a2a" type="jArticle" n="2">
          <p>große Anzahl van Abgeordneten, welche ent&#x017F;chie-<lb/>
den für das allgemeine Stimmrecht eintreten, in<lb/>
das Parlament gebracht werden, &#x017F;o daß in Zu-<lb/>
kunft die zur Verfa&#x017F;&#x017F;ungsänderung erforderliche<lb/>
Zweidrittelmajorität leichter erreichbar &#x017F;ein wird.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich glaube übrigens&#x201C;, &#x017F;chloß Profe&#x017F;&#x017F;or<lb/>
Menger, &#x201E;daß die Be&#x017F;trebungen nach einer durch-<lb/>
greifenden Wahlreform durch die geplanten<lb/>
Maßregeln nicht, wie dies in England bei der<lb/>
Reformacte des Jahres 1832 der Fall wor, auf<lb/>
ein Men&#x017F;chenalter hinaus befriedigt werden dürf-<lb/>
ten, &#x017F;ondern daß &#x017F;ich an die heutige Wahlreform-<lb/>
bewegung &#x017F;ehr bald mit größeren Machtmitteln<lb/>
und mit gün&#x017F;tigerer Aus&#x017F;icht auf die verfa&#x017F;&#x017F;ungs-<lb/>
mäßige Erreichung ihres Zieles eine neue Be-<lb/>
wegung an&#x017F;chließen wird.&#x201C;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Der politi&#x017F;che Meuchelmord in<lb/>
Prag.</hi> </head><lb/>
          <dateline><hi rendition="#g">Olmütz,</hi> 29. December.</dateline><lb/>
          <p>Die amtliche &#x201E;Prager Zeitung&#x201C; bringt an<lb/>
der Spitze ihrer ge&#x017F;trigen Nummer einen bemer-<lb/>
kenswerthen, mit: &#x201E;Ein politi&#x017F;cher Mord in<lb/>
Böhmen&#x201C; über&#x017F;chriebenen Artikel, in welchem<lb/>
es u. A. heißt:</p><lb/>
          <p>Den in Wien gehaltenen Brandreden i&#x017F;t<lb/>
die &#x017F;chmachvoll&#x017F;te Blutthat, i&#x017F;t ein Meuchel- und<lb/>
zugleich politi&#x017F;cher Mord gefolgt. Ein mittelbarer<lb/>
Zu&#x017F;ammenhang zwi&#x017F;chen jenen Brandreden und<lb/>
die&#x017F;er Blutthat ergibt &#x017F;ich zweifellos aus dem<lb/>
Ge&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;e der Mörder. So weit al&#x017F;o i&#x017F;t es in<lb/>
Böhmen gekommen, daß der politi&#x017F;che und natio-<lb/>
nale Kampf zur Ver&#x017F;chwörung und die&#x017F;e zum<lb/>
Morde ausartet. Wir, die wir &#x017F;elb&#x017F;t zum böh-<lb/>
mi&#x017F;chen Volke gehören, uns durch und durch<lb/>
kennen, wi&#x017F;&#x017F;en wohl zu gut, daß die&#x017F;es Volk<lb/>
eben&#x017F;owenig mit einer &#x017F;olchen Unthat, als mit<lb/>
jenen Brandreden das Gering&#x017F;te gemein hat.<lb/>
Jen&#x017F;eits der Grenzen un&#x017F;eres Landes aber er-<lb/>
&#x017F;cheint nunmehr der böhmi&#x017F;che Name nicht allein<lb/>
durch Illoynlität, Untreue und &#x017F;chnöden Undank<lb/>
be&#x017F;udelt, &#x017F;ondern auch durch meuchleri&#x017F;ch ver-<lb/>
go&#x017F;&#x017F;enes Blut befleckt, &#x017F;o daß &#x017F;ich alle Welt<lb/>
außerhalb Böhmens fragen wird, ob das böh-<lb/>
mi&#x017F;che Volk es verdient hat, dem Wahnwitze eines<lb/>
Häufleins Irreleitender und Irregeleiteter &#x017F;einen<lb/>
guten Ruf zum Opfer fallen zu &#x017F;ehen. So ge&#x017F;ellt<lb/>
&#x017F;ich zu eigenem Ent&#x017F;etzen, zu eigener Scham, zu<lb/>
eigenem Ab&#x017F;cheu auch noch tiefer Schmerz eines<lb/>
jeden böhmi&#x017F;chen Patrioten über die Schändung<lb/>
des böhmi&#x017F;chen Namens durch meuchleri&#x017F;ch vergo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enes Blut in der &#x017F;on&#x017F;t aller Welt geheiligten Weih-<lb/>
nachtszeit. Zugleich muß aber auch ein heiliger Zorn,<lb/>
ja Ingrimm jeden Böhmen von altem Schlage<lb/>
erfüllen, wenn er &#x017F;ich ge&#x017F;tehen muß, daß die blu-<lb/>
tige, &#x017F;chmachvolle That eigentlich nur das letzte<lb/>
Glied einer Kette von Ur&#x017F;achen und Wirkungen<lb/>
i&#x017F;t, die &#x017F;ämmtlich auf dem bewußten, &#x017F;y&#x017F;temati-<lb/>
&#x017F;chen Mißbrauch des ge&#x017F;prochenen wie des ge-<lb/>
&#x017F;chriebenen Wortes &#x017F;eitens der jüngeren politi-<lb/>
&#x017F;chen Generationen zurückzuführen &#x017F;ind. Ihre<lb/>
Wortführer haben in der heranwach&#x017F;enden jüng-<lb/>
&#x017F;ten Schichte des böhmi&#x017F;chen Volkes alle Begriffe<lb/>
von öffentlichem, das i&#x017F;t &#x017F;taatlichem und nationa-<lb/>
lem Rechte auf den Kopf ge&#x017F;tellt. Die&#x017F;e Wort-<lb/>
führer haben das öffentliche Gewi&#x017F;&#x017F;en eines großen<lb/>
Theiles der böhmi&#x017F;chen Jugend zerrüttet, ihren<lb/>
nationalen Gei&#x017F;t vergiftet, ihre Zukunft in die<lb/>
Schanze ge&#x017F;chlagen. Tau&#x017F;ende von Vätern und<lb/>
Müttern blicken verzweifelnd und bekümmert in<lb/>
die Zukunft ihrer irregeleiteten Söhne. Wenn<lb/>
jene gewi&#x017F;&#x017F;enlo&#x017F;en Verführer der Jugend &#x017F;ich nicht<lb/>
&#x017F;cheuen, offen zu bekennen, das vielberufene böh-<lb/>
mi&#x017F;che Staatsrecht &#x017F;ei keine Pfeife Tabak werth, die<lb/>
böhmi&#x017F;che Nationalität &#x017F;ei nicht im minde&#x017F;ten gefähr-<lb/>
det, um die Zukunft des böhmi&#x017F;chen Volkes &#x017F;ei ihnen<lb/>
nicht im Gering&#x017F;ten bange und dergleichen, wozu<lb/>
das wahnwitzige Aufwühlen aller bö&#x017F;en Triebe<lb/>
und Leiden&#x017F;chaften des Volkes, zumal &#x017F;einer po-<lb/>
liti&#x017F;ch unreifen Ma&#x017F;&#x017F;en, indem ihnen auf den<lb/>
Tabors, von der parlamentari&#x017F;chen Tribüne und<lb/>
in den Spalten einer gewi&#x017F;&#x017F;enlo&#x017F;en Hetzpre&#x017F;&#x017F;e<lb/>
vorge&#x017F;piegelt wird, das böhmi&#x017F;che Volk &#x017F;ei unter-<lb/>
drückt, &#x017F;eine heilig&#x017F;ten Rechte würden mit Füßen<lb/>
getreten und dergleichen. Höch&#x017F;te Zeit i&#x017F;t es, daß<lb/>
alle ehrlichen, und die Zukunft des böhmi&#x017F;chen<lb/>
Volkes bedenkenden Patrioten darüber klar wer-<lb/>
den, daß in dem Leben des böhmi&#x017F;chen Volkes<lb/>
&#x017F;ich Er&#x017F;cheinungen zu regen beginnen, wie &#x017F;ie vor<lb/>
den verhängnißvollen Junitagen des Jahres 1848,<lb/>
wie &#x017F;ie vor dem noch verhängnißvolleren Jahre<lb/><cb/>
1620 aufgetaucht waren. Wenn es ein Volk auf<lb/>
Gottes Erde gibt, das es doppelt und dreifach<lb/>
nöthig hat, aus &#x017F;einer eigenen Ge&#x017F;chichte zu<lb/>
lernen, &#x017F;o i&#x017F;t es das böhmi&#x017F;che Volk. Wiederholt<lb/>
haben es &#x017F;eine leitenden Politiker hart an den<lb/>
Rand des Abgrundes mit &#x017F;ich fortgeri&#x017F;&#x017F;en. Es<lb/>
gibt der reifen und einflußreichen Männer in allen<lb/>
Schichten des Volkes genug, welche die Tragweite<lb/>
der jüng&#x017F;ten Er&#x017F;cheinungen im öffentlichen Leben zu<lb/>
erme&#x017F;&#x017F;en wi&#x017F;&#x017F;en, warum treten &#x017F;ie nicht hervor,<lb/>
warum öffnen &#x017F;ie nicht der irregeleiteten Ma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und namentlich der Jugend die Augen? Eine<lb/>
noch &#x017F;o nationale Politik, wie die, die bis zum po-<lb/>
liti&#x017F;chen Meuchelmorde ausartet, kann keine gute,<lb/>
keine ehrliche &#x017F;ein, keine noch &#x017F;o hervorragende<lb/>
parlamentari&#x017F;che Beredt&#x017F;amkeit, welche &#x017F;ich nach-<lb/>
gewie&#x017F;enermaßen als Ur&#x017F;ache des politi&#x017F;chen<lb/>
Meuchelmordes dar&#x017F;tellt, kann eine für das Volk<lb/>
er&#x017F;prießliche Vertreter&#x017F;chaft bedeuten. Eine noch<lb/>
&#x017F;o hoch entwickelte Pre&#x017F;&#x017F;e und Literatur über-<lb/>
haupt, die den öffentlichen Gei&#x017F;t durch die cau&#x017F;ale<lb/>
Verkettung in ihren letzten Nachwirkungen bis<lb/>
zum wahnwitzigen politi&#x017F;chen Meuchelmord be-<lb/>
rau&#x017F;cht, bedeutet die morali&#x017F;che Brunenvergiftung<lb/>
für ein ganzes Volk. Wer ein guter böhmi&#x017F;cher<lb/>
Patriot i&#x017F;t, wird fortan auf eine gründliche<lb/>
Revi&#x017F;ion des politi&#x017F;chen und nationalen Pro-<lb/>
grammes, auf eine unnach&#x017F;ichtliche Mu&#x017F;terung der<lb/>
Vertreter&#x017F;chaft des Volkes und auf eine durch-<lb/>
greifende Moral der öffentlichen Meinung und<lb/>
ihrer Organe dringen. Aber ra&#x017F;ches Eingreifen<lb/>
aller Patrioten thut noth, &#x017F;on&#x017F;t müßte von<lb/>
Außen das Unerläßliche vorgekehrt werden, damit<lb/>
Böhmens Ruf nie mehr durch politi&#x017F;chen Meuchel-<lb/>
mord befleckt werde.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Eröffnung des böhm. Landtages.</hi> </head><lb/>
          <dateline><hi rendition="#g">Prag,</hi> 28. December.</dateline><lb/>
          <p>Der böhmi&#x017F;che Landtag trat heute zu &#x017F;einer<lb/>
er&#x017F;ten Sitzung zu&#x017F;ammen. Die Eröffnung ging<lb/>
ohne alle äußeren Anzeichen eines &#x017F;ogenannten<lb/>
&#x201E;großen Ereigni&#x017F;&#x017F;es&#x201C; vor &#x017F;ich. Auf dem Fünf-<lb/>
kirchenplatze vor dem Landhau&#x017F;e herr&#x017F;chte keine<lb/>
ungewöhnliche Aufregung, in den Couloirs fanden<lb/>
keine Conferenzen zwi&#x017F;chen den Mitgliedern der<lb/>
Parteien &#x017F;tatt und auch die Galerien des Sitzungs-<lb/>
&#x017F;aales waren nur &#x017F;chwach be&#x017F;ucht.</p><lb/>
          <p>Um 11 Uhr zog eine Ehrencompagnie des<lb/>
Scharf&#x017F;chützencorps unter klingendem Spiele und<lb/>
von einer großen Men&#x017F;chenmenge gefolgt vom<lb/>
Radetzkyplatze her auf. Während des Mar&#x017F;ches<lb/>
&#x017F;pielte die Capelle Wei&#x017F;en, welche im Gegen&#x017F;atze<lb/>
zur Gepflogenheit früherer Jahre keine nationalen<lb/>
Motive enthielten. Die in außerordentlich &#x017F;tarker<lb/>
Anzahl ausgerückte Sicherheitswache bildete auf<lb/>
dem Fünfkirchenplatze einen Cordon und drängte<lb/>
die mit dem Schützencorps herbeige&#x017F;trömte Men-<lb/>
&#x017F;chenmenge auf den Radetzkyplatz zurück, wo &#x017F;ie<lb/>
dann zer&#x017F;treut wurde.</p><lb/>
          <p>Auf dem Platze vor dem Landhau&#x017F;e war das<lb/>
Stehenbleiben und An&#x017F;ammeln verboten.</p><lb/>
          <p>Statthalter Graf <hi rendition="#g">Thun</hi> und Statthalterei-<lb/>
Vice-Prä&#x017F;ident Graf <hi rendition="#g">Coudenhove</hi> betraten<lb/>
um 12 Uhr unter den Klängen der Volkshymne<lb/>
das Landhaus. Eine Viertel&#x017F;tunde &#x017F;päter eröffnete<lb/>
Ober&#x017F;tlandmar&#x017F;chall Für&#x017F;t Lobkowitz, an de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Seite &#x017F;ich der frühere Bürgermei&#x017F;ter von Prag,<lb/>
Landmar&#x017F;chall-Stellvertreter Dr. Scholz, befand,<lb/>
die Sitzung mit einer Anrede in deut&#x017F;cher und<lb/>
böhmi&#x017F;cher Sprache. Er wies in der&#x017F;elben auf<lb/>
die große Zahl der zu erledigenden wirth&#x017F;chaft-<lb/>
lichen Arbeiten, die Nothwendigkeit der Ausnützung<lb/>
der Zeit und die Nothwendigkeit von Creditope-<lb/>
rationen mit Rück&#x017F;icht auf die großen, umfa&#x017F;&#x017F;enden<lb/>
Bedürfni&#x017F;&#x017F;e des Landes hin, wobei er die Frage<lb/>
der Erwägung empfahl, ob nicht neue Einnahms-<lb/>
quellen für das Land zu &#x017F;chaffen &#x017F;eien. Der<lb/>
Ober&#x017F;t-Landmar&#x017F;chall erwartet von den Abge-<lb/>
ordneten, daß &#x017F;ie in ern&#x017F;ter Wei&#x017F;e die Zeit zum<lb/>
Wohle des Landes ausnützen werden, gemäß den<lb/>
Intentionen des Kai&#x017F;ers, auf welchen er ein<lb/>
dreimaliges Hoch und Slava ausbrachte.</p><lb/>
          <p>Sämmtliche Abgeordnete &#x017F;timmten in die<lb/>
Hoch- und Slava-Rufe ein und erhoben dabei<lb/>
die Hände. Nur auf den Bänken der Jung-<lb/>
t&#x017F;chechen regte &#x017F;ich keine Hand.</p><lb/>
          <p>Finanzmini&#x017F;ter Dr. v. <hi rendition="#g">Plener</hi> er&#x017F;ucht wegen<lb/>
dringender Amtsge&#x017F;chäfte um einen dreiwöchent-<lb/>
lichen Urlaub. (Abg. Dr. Eduard <hi rendition="#g">Gregr</hi> ruft:<lb/>
Meinetwegen &#x017F;echs Wochen! Heiterkeit.)</p><lb/>
          <p>Der Urlaub wird bewilligt.</p><lb/>
          <p>Abg. Dr. Julius <hi rendition="#g">Gregr</hi> theilt in einer<lb/><cb/>
Zu&#x017F;chrift mit, daß er in Folge eines ern&#x017F;ten<lb/>
Augenleidens verhindert &#x017F;ein werde, an den Sitzun-<lb/>
gen die&#x017F;es Se&#x017F;&#x017F;ionsab&#x017F;chnittes theilzunehmen.</p><lb/>
          <p>Die Abg. Dr. <hi rendition="#g">Podlipny</hi> und Geno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
überreichen einen Antrag auf Aufhebung des<lb/>
Ausnahmszu&#x017F;tandes in Prag und Umgebuug. In<lb/>
dem&#x017F;elben wird die Regierung zur &#x017F;ofortigen Auf-<lb/>
hebung der Ausnahmsverfügungen aufgefordert,<lb/>
weil durch die&#x017F;elben die ge&#x017F;chäftlichen und wirth-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ehr empfindlich ge&#x017F;chädigt<lb/>
würden und die be&#x017F;tehenden Ge&#x017F;etze vollkommen<lb/>
ausreichend &#x017F;eien.</p><lb/>
          <p>Weiters bringen die Jungt&#x017F;chechen einen<lb/>
Antrag auf Staatshilfe in den Noth&#x017F;tandsbe-<lb/>
zirken ein.</p><lb/>
          <p>Die näch&#x017F;te Sitzung findet morgen &#x017F;tatt.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Politi&#x017F;che Nachrichten.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <head> <hi rendition="#b">(Abg. Herold über die Ermordung<lb/>
Mrva&#x2019;s.)</hi> </head>
          <p>Ein Mitarbeiter des &#x201E;Prager Tagblatt&#x201C;<lb/>
hat dem Reichrathsabgeordneten <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Herold einen<lb/>
Be&#x017F;uch abge&#x017F;tattet und ihm vor Allem die Frage<lb/>
vorgelegt, ob die von der &#x201E;Wiener Allgemeinen<lb/>
Zeitung&#x201C; nach dem &#x201E;Dziennik Polski&#x201C; gebrachte<lb/>
Nachricht richtig &#x017F;ei, daß <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Herold das Notiz-<lb/>
buch Mrvas im Drucke zu veröffentlichen beab-<lb/>
&#x017F;ichtige, um nachzuwei&#x017F;en, daß Mrva that&#x017F;ächlich<lb/>
in den Dien&#x017F;ten der Polizei &#x017F;tand. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Herold<lb/>
bezeichnete die&#x017F;e Nachricht als pure Erfindung<lb/>
und erklärte gleichzeitig, daß er niemals mehr,<lb/>
auch in der bevor&#x017F;tehenden Landtags&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ion nicht,<lb/>
von die&#x017F;em Notizbuche auch nur mit einem<lb/>
Worte Erwähnung thun werde. (!) Herold<lb/>
theilte auch mit, daß er die Vertheidigung der<lb/>
ihm anvertrauten Omladini&#x017F;ten niedergelegt habe<lb/>
mit der Begründung, daß ihm wegen &#x017F;eines<lb/>
Berufes als Abgeordneter die Zeit hiezu<lb/>
fehle.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <head> <hi rendition="#b">(Die Ruhe&#x017F;törungen von Aigues-Mortes.)</hi> </head><lb/>
          <p>Ver dem Schwurgericht der Charentie in Angou-<lb/>
leme begann am 27. d. Mts. unter großem Zu-<lb/>
drange die Verhandlung gegen die wegen der<lb/>
Ruhe&#x017F;törungen in Aigues-Mortes Angeklagten.<lb/>
Unter den Zuhörern befand &#x017F;ich der italieni&#x017F;che<lb/>
Generalcon&#x017F;ul aus Mar&#x017F;eille. Die Aus&#x017F;agen der<lb/>
vernommenen Angeklagten franzö&#x017F;i&#x017F;cher Nationa-<lb/>
lität gehen dahin, daß die Italiener zuer&#x017F;t die<lb/>
Franzo&#x017F;en mit dem Rufe: &#x201E;Nieder mit Frank-<lb/>
reich, es lebe Italien!&#x201C; angegriffen hätten. Im<lb/>
weiteren Verlaufe der Verhandlung unterbrach<lb/>
der Prä&#x017F;ident das Verhör der Angeklagten, um<lb/>
diejenigen Zeugen zu vernehmen, deren Aus&#x017F;agen<lb/>
&#x017F;ich auf die bekundeten That&#x017F;achen beziehen. Der<lb/>
Friedensrichter, welcher bei den Unruhen zwi&#x017F;chen<lb/>
den Italienern und den Franzo&#x017F;en zu vermitteln<lb/>
&#x017F;uchte, &#x017F;agte aus, die Italiener hätten in einem<lb/>
Augenblick eine &#x017F;o drohende Haltung ongenom-<lb/>
men, daß der Befehlshaber der Gendarmerie<lb/>
Feuer geben la&#x017F;&#x017F;en wollte, was er, der Friedens-<lb/>
richter, verhindert habe. (Siehe Telegr.)</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jLocal" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Locales und Provinzielles.</hi> </head><lb/>
        <dateline><hi rendition="#g">Olmütz,</hi> 29. December.</dateline><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <head> <hi rendition="#b">(Landtags-Ergänzungswahl.)</hi> </head>
          <p>Wie bereits<lb/>
von uns gemeldet wurde, findet am <hi rendition="#g">10. Jän-<lb/>
ner 1894</hi> die Wahl eines Landtags-Abge-<lb/>
ordneten aus dem zweiten Wahlkörper des<lb/>
Großgrundbe&#x017F;itzes an Stelle des Freiherrn Franz<lb/>
v. Hopfen, welcher bekanntlich re&#x017F;ignirte, &#x017F;tatt.<lb/>
Da mittlerweile auch der Abgeordnete Alfred<lb/>
Freiherr v. Baillou &#x017F;ein Mandat niedergelegt<lb/>
hat, werden an dem bezeichneten Tage nunmehr<lb/>
zwei Landtags-Abgeordnete vom zweiten Wahl-<lb/>
körper des mähri&#x017F;chen Großgrundbe&#x017F;itzes zu<lb/>
wählen &#x017F;ein.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <head> <hi rendition="#b">(Leichenbegängniß.)</hi> </head>
          <p>Unter ganz außer-<lb/>
ordentlicher Theilnahme aller Krei&#x017F;e der hie&#x017F;igen<lb/>
Bevölkerung fand ge&#x017F;tern Nachmittags halb 4 Uhr<lb/>
vom Trauerhau&#x017F;e, Schieß&#x017F;tattga&#x017F;&#x017F;e, aus, das<lb/>
Leichenbegängniß des am 26. d. M. ver&#x017F;torbenen<lb/>
Buchbindermei&#x017F;ters und Stadtverordneten Herrn<lb/><hi rendition="#g">Adolf Lachnik</hi> &#x017F;tatt. Die&#x017F;e impo&#x017F;ante Bethei-<lb/>
ligung an der Trauerfeier legte ein beredtes Zeug-<lb/>
niß ab von der Werth&#x017F;chätzung und Hochachtung,<lb/>
deren &#x017F;ich der Verblichene hierorts erfreute. Um<lb/>
die genannte Stunde wurde die Leiche im Trauer-<lb/>
hau&#x017F;e durch den hochw. Obercaplan von Sct.<lb/>
Mauritz, Herrn <hi rendition="#aq">P.</hi> Mattula, unter gei&#x017F;tlicher<lb/>
A&#x017F;&#x017F;i&#x017F;tenz einge&#x017F;egnet, worauf &#x017F;ich der Leichenzug<lb/>
in Bewegung &#x017F;etzte. Zu beiden Seiten des reich<lb/>
mit prächtigen Kränzen ge&#x017F;chmückten Sarges, der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[3]/0003] große Anzahl van Abgeordneten, welche entſchie- den für das allgemeine Stimmrecht eintreten, in das Parlament gebracht werden, ſo daß in Zu- kunft die zur Verfaſſungsänderung erforderliche Zweidrittelmajorität leichter erreichbar ſein wird. „Ich glaube übrigens“, ſchloß Profeſſor Menger, „daß die Beſtrebungen nach einer durch- greifenden Wahlreform durch die geplanten Maßregeln nicht, wie dies in England bei der Reformacte des Jahres 1832 der Fall wor, auf ein Menſchenalter hinaus befriedigt werden dürf- ten, ſondern daß ſich an die heutige Wahlreform- bewegung ſehr bald mit größeren Machtmitteln und mit günſtigerer Ausſicht auf die verfaſſungs- mäßige Erreichung ihres Zieles eine neue Be- wegung anſchließen wird.“ Der politiſche Meuchelmord in Prag. Olmütz, 29. December. Die amtliche „Prager Zeitung“ bringt an der Spitze ihrer geſtrigen Nummer einen bemer- kenswerthen, mit: „Ein politiſcher Mord in Böhmen“ überſchriebenen Artikel, in welchem es u. A. heißt: Den in Wien gehaltenen Brandreden iſt die ſchmachvollſte Blutthat, iſt ein Meuchel- und zugleich politiſcher Mord gefolgt. Ein mittelbarer Zuſammenhang zwiſchen jenen Brandreden und dieſer Blutthat ergibt ſich zweifellos aus dem Geſtändniſſe der Mörder. So weit alſo iſt es in Böhmen gekommen, daß der politiſche und natio- nale Kampf zur Verſchwörung und dieſe zum Morde ausartet. Wir, die wir ſelbſt zum böh- miſchen Volke gehören, uns durch und durch kennen, wiſſen wohl zu gut, daß dieſes Volk ebenſowenig mit einer ſolchen Unthat, als mit jenen Brandreden das Geringſte gemein hat. Jenſeits der Grenzen unſeres Landes aber er- ſcheint nunmehr der böhmiſche Name nicht allein durch Illoynlität, Untreue und ſchnöden Undank beſudelt, ſondern auch durch meuchleriſch ver- goſſenes Blut befleckt, ſo daß ſich alle Welt außerhalb Böhmens fragen wird, ob das böh- miſche Volk es verdient hat, dem Wahnwitze eines Häufleins Irreleitender und Irregeleiteter ſeinen guten Ruf zum Opfer fallen zu ſehen. So geſellt ſich zu eigenem Entſetzen, zu eigener Scham, zu eigenem Abſcheu auch noch tiefer Schmerz eines jeden böhmiſchen Patrioten über die Schändung des böhmiſchen Namens durch meuchleriſch vergoſ- ſenes Blut in der ſonſt aller Welt geheiligten Weih- nachtszeit. Zugleich muß aber auch ein heiliger Zorn, ja Ingrimm jeden Böhmen von altem Schlage erfüllen, wenn er ſich geſtehen muß, daß die blu- tige, ſchmachvolle That eigentlich nur das letzte Glied einer Kette von Urſachen und Wirkungen iſt, die ſämmtlich auf dem bewußten, ſyſtemati- ſchen Mißbrauch des geſprochenen wie des ge- ſchriebenen Wortes ſeitens der jüngeren politi- ſchen Generationen zurückzuführen ſind. Ihre Wortführer haben in der heranwachſenden jüng- ſten Schichte des böhmiſchen Volkes alle Begriffe von öffentlichem, das iſt ſtaatlichem und nationa- lem Rechte auf den Kopf geſtellt. Dieſe Wort- führer haben das öffentliche Gewiſſen eines großen Theiles der böhmiſchen Jugend zerrüttet, ihren nationalen Geiſt vergiftet, ihre Zukunft in die Schanze geſchlagen. Tauſende von Vätern und Müttern blicken verzweifelnd und bekümmert in die Zukunft ihrer irregeleiteten Söhne. Wenn jene gewiſſenloſen Verführer der Jugend ſich nicht ſcheuen, offen zu bekennen, das vielberufene böh- miſche Staatsrecht ſei keine Pfeife Tabak werth, die böhmiſche Nationalität ſei nicht im mindeſten gefähr- det, um die Zukunft des böhmiſchen Volkes ſei ihnen nicht im Geringſten bange und dergleichen, wozu das wahnwitzige Aufwühlen aller böſen Triebe und Leidenſchaften des Volkes, zumal ſeiner po- litiſch unreifen Maſſen, indem ihnen auf den Tabors, von der parlamentariſchen Tribüne und in den Spalten einer gewiſſenloſen Hetzpreſſe vorgeſpiegelt wird, das böhmiſche Volk ſei unter- drückt, ſeine heiligſten Rechte würden mit Füßen getreten und dergleichen. Höchſte Zeit iſt es, daß alle ehrlichen, und die Zukunft des böhmiſchen Volkes bedenkenden Patrioten darüber klar wer- den, daß in dem Leben des böhmiſchen Volkes ſich Erſcheinungen zu regen beginnen, wie ſie vor den verhängnißvollen Junitagen des Jahres 1848, wie ſie vor dem noch verhängnißvolleren Jahre 1620 aufgetaucht waren. Wenn es ein Volk auf Gottes Erde gibt, das es doppelt und dreifach nöthig hat, aus ſeiner eigenen Geſchichte zu lernen, ſo iſt es das böhmiſche Volk. Wiederholt haben es ſeine leitenden Politiker hart an den Rand des Abgrundes mit ſich fortgeriſſen. Es gibt der reifen und einflußreichen Männer in allen Schichten des Volkes genug, welche die Tragweite der jüngſten Erſcheinungen im öffentlichen Leben zu ermeſſen wiſſen, warum treten ſie nicht hervor, warum öffnen ſie nicht der irregeleiteten Maſſe und namentlich der Jugend die Augen? Eine noch ſo nationale Politik, wie die, die bis zum po- litiſchen Meuchelmorde ausartet, kann keine gute, keine ehrliche ſein, keine noch ſo hervorragende parlamentariſche Beredtſamkeit, welche ſich nach- gewieſenermaßen als Urſache des politiſchen Meuchelmordes darſtellt, kann eine für das Volk erſprießliche Vertreterſchaft bedeuten. Eine noch ſo hoch entwickelte Preſſe und Literatur über- haupt, die den öffentlichen Geiſt durch die cauſale Verkettung in ihren letzten Nachwirkungen bis zum wahnwitzigen politiſchen Meuchelmord be- rauſcht, bedeutet die moraliſche Brunenvergiftung für ein ganzes Volk. Wer ein guter böhmiſcher Patriot iſt, wird fortan auf eine gründliche Reviſion des politiſchen und nationalen Pro- grammes, auf eine unnachſichtliche Muſterung der Vertreterſchaft des Volkes und auf eine durch- greifende Moral der öffentlichen Meinung und ihrer Organe dringen. Aber raſches Eingreifen aller Patrioten thut noth, ſonſt müßte von Außen das Unerläßliche vorgekehrt werden, damit Böhmens Ruf nie mehr durch politiſchen Meuchel- mord befleckt werde. Eröffnung des böhm. Landtages. Prag, 28. December. Der böhmiſche Landtag trat heute zu ſeiner erſten Sitzung zuſammen. Die Eröffnung ging ohne alle äußeren Anzeichen eines ſogenannten „großen Ereigniſſes“ vor ſich. Auf dem Fünf- kirchenplatze vor dem Landhauſe herrſchte keine ungewöhnliche Aufregung, in den Couloirs fanden keine Conferenzen zwiſchen den Mitgliedern der Parteien ſtatt und auch die Galerien des Sitzungs- ſaales waren nur ſchwach beſucht. Um 11 Uhr zog eine Ehrencompagnie des Scharfſchützencorps unter klingendem Spiele und von einer großen Menſchenmenge gefolgt vom Radetzkyplatze her auf. Während des Marſches ſpielte die Capelle Weiſen, welche im Gegenſatze zur Gepflogenheit früherer Jahre keine nationalen Motive enthielten. Die in außerordentlich ſtarker Anzahl ausgerückte Sicherheitswache bildete auf dem Fünfkirchenplatze einen Cordon und drängte die mit dem Schützencorps herbeigeſtrömte Men- ſchenmenge auf den Radetzkyplatz zurück, wo ſie dann zerſtreut wurde. Auf dem Platze vor dem Landhauſe war das Stehenbleiben und Anſammeln verboten. Statthalter Graf Thun und Statthalterei- Vice-Präſident Graf Coudenhove betraten um 12 Uhr unter den Klängen der Volkshymne das Landhaus. Eine Viertelſtunde ſpäter eröffnete Oberſtlandmarſchall Fürſt Lobkowitz, an deſſen Seite ſich der frühere Bürgermeiſter von Prag, Landmarſchall-Stellvertreter Dr. Scholz, befand, die Sitzung mit einer Anrede in deutſcher und böhmiſcher Sprache. Er wies in derſelben auf die große Zahl der zu erledigenden wirthſchaft- lichen Arbeiten, die Nothwendigkeit der Ausnützung der Zeit und die Nothwendigkeit von Creditope- rationen mit Rückſicht auf die großen, umfaſſenden Bedürfniſſe des Landes hin, wobei er die Frage der Erwägung empfahl, ob nicht neue Einnahms- quellen für das Land zu ſchaffen ſeien. Der Oberſt-Landmarſchall erwartet von den Abge- ordneten, daß ſie in ernſter Weiſe die Zeit zum Wohle des Landes ausnützen werden, gemäß den Intentionen des Kaiſers, auf welchen er ein dreimaliges Hoch und Slava ausbrachte. Sämmtliche Abgeordnete ſtimmten in die Hoch- und Slava-Rufe ein und erhoben dabei die Hände. Nur auf den Bänken der Jung- tſchechen regte ſich keine Hand. Finanzminiſter Dr. v. Plener erſucht wegen dringender Amtsgeſchäfte um einen dreiwöchent- lichen Urlaub. (Abg. Dr. Eduard Gregr ruft: Meinetwegen ſechs Wochen! Heiterkeit.) Der Urlaub wird bewilligt. Abg. Dr. Julius Gregr theilt in einer Zuſchrift mit, daß er in Folge eines ernſten Augenleidens verhindert ſein werde, an den Sitzun- gen dieſes Seſſionsabſchnittes theilzunehmen. Die Abg. Dr. Podlipny und Genoſſen überreichen einen Antrag auf Aufhebung des Ausnahmszuſtandes in Prag und Umgebuug. In demſelben wird die Regierung zur ſofortigen Auf- hebung der Ausnahmsverfügungen aufgefordert, weil durch dieſelben die geſchäftlichen und wirth- ſchaftlichen Verhältniſſe ſehr empfindlich geſchädigt würden und die beſtehenden Geſetze vollkommen ausreichend ſeien. Weiters bringen die Jungtſchechen einen Antrag auf Staatshilfe in den Nothſtandsbe- zirken ein. Die nächſte Sitzung findet morgen ſtatt. Politiſche Nachrichten. (Abg. Herold über die Ermordung Mrva’s.) Ein Mitarbeiter des „Prager Tagblatt“ hat dem Reichrathsabgeordneten Dr. Herold einen Beſuch abgeſtattet und ihm vor Allem die Frage vorgelegt, ob die von der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ nach dem „Dziennik Polski“ gebrachte Nachricht richtig ſei, daß Dr. Herold das Notiz- buch Mrvas im Drucke zu veröffentlichen beab- ſichtige, um nachzuweiſen, daß Mrva thatſächlich in den Dienſten der Polizei ſtand. Dr. Herold bezeichnete dieſe Nachricht als pure Erfindung und erklärte gleichzeitig, daß er niemals mehr, auch in der bevorſtehenden Landtagsſeſſion nicht, von dieſem Notizbuche auch nur mit einem Worte Erwähnung thun werde. (!) Herold theilte auch mit, daß er die Vertheidigung der ihm anvertrauten Omladiniſten niedergelegt habe mit der Begründung, daß ihm wegen ſeines Berufes als Abgeordneter die Zeit hiezu fehle. (Die Ruheſtörungen von Aigues-Mortes.) Ver dem Schwurgericht der Charentie in Angou- leme begann am 27. d. Mts. unter großem Zu- drange die Verhandlung gegen die wegen der Ruheſtörungen in Aigues-Mortes Angeklagten. Unter den Zuhörern befand ſich der italieniſche Generalconſul aus Marſeille. Die Ausſagen der vernommenen Angeklagten franzöſiſcher Nationa- lität gehen dahin, daß die Italiener zuerſt die Franzoſen mit dem Rufe: „Nieder mit Frank- reich, es lebe Italien!“ angegriffen hätten. Im weiteren Verlaufe der Verhandlung unterbrach der Präſident das Verhör der Angeklagten, um diejenigen Zeugen zu vernehmen, deren Ausſagen ſich auf die bekundeten Thatſachen beziehen. Der Friedensrichter, welcher bei den Unruhen zwiſchen den Italienern und den Franzoſen zu vermitteln ſuchte, ſagte aus, die Italiener hätten in einem Augenblick eine ſo drohende Haltung ongenom- men, daß der Befehlshaber der Gendarmerie Feuer geben laſſen wollte, was er, der Friedens- richter, verhindert habe. (Siehe Telegr.) Locales und Provinzielles. Olmütz, 29. December. (Landtags-Ergänzungswahl.) Wie bereits von uns gemeldet wurde, findet am 10. Jän- ner 1894 die Wahl eines Landtags-Abge- ordneten aus dem zweiten Wahlkörper des Großgrundbeſitzes an Stelle des Freiherrn Franz v. Hopfen, welcher bekanntlich reſignirte, ſtatt. Da mittlerweile auch der Abgeordnete Alfred Freiherr v. Baillou ſein Mandat niedergelegt hat, werden an dem bezeichneten Tage nunmehr zwei Landtags-Abgeordnete vom zweiten Wahl- körper des mähriſchen Großgrundbeſitzes zu wählen ſein. (Leichenbegängniß.) Unter ganz außer- ordentlicher Theilnahme aller Kreiſe der hieſigen Bevölkerung fand geſtern Nachmittags halb 4 Uhr vom Trauerhauſe, Schießſtattgaſſe, aus, das Leichenbegängniß des am 26. d. M. verſtorbenen Buchbindermeiſters und Stadtverordneten Herrn Adolf Lachnik ſtatt. Dieſe impoſante Bethei- ligung an der Trauerfeier legte ein beredtes Zeug- niß ab von der Werthſchätzung und Hochachtung, deren ſich der Verblichene hierorts erfreute. Um die genannte Stunde wurde die Leiche im Trauer- hauſe durch den hochw. Obercaplan von Sct. Mauritz, Herrn P. Mattula, unter geiſtlicher Aſſiſtenz eingeſegnet, worauf ſich der Leichenzug in Bewegung ſetzte. Zu beiden Seiten des reich mit prächtigen Kränzen geſchmückten Sarges, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat). (2018-01-26T15:49:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T15:49:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T15:49:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches296_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches296_1893/3
Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 296, Olmütz, 29.12.1893, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches296_1893/3>, abgerufen am 16.04.2024.