Märkische Blätter. Nr. 22. Hattingen, 16. März 1850.Märkische Blätter. Wochenblatt für belehrende und angenehme Unterhaltung. ro 22.Hattingen, Sonnabend, den 16. März 1850. [Beginn Spaltensatz]
Emil de Girardin. ( Schluß. ) Längere Zeit verhielt er sich ruhig, bis die Regierung Märkische Blätter. Wochenblatt für belehrende und angenehme Unterhaltung. ro 22.Hattingen, Sonnabend, den 16. März 1850. [Beginn Spaltensatz]
Emil de Girardin. ( Schluß. ) Längere Zeit verhielt er sich ruhig, bis die Regierung <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001"/> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b #c #fr">Märkische Blätter.</hi> </titlePart><lb/> <titlePart type="sub"> <hi rendition="#b #c #g">Wochenblatt</hi><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <hi rendition="#c">für belehrende und angenehme Unterhaltung.</hi> </titlePart> </docTitle><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <docImprint> <hi rendition="#b"><hi rendition="#sup">ro</hi> 22.</hi> <pubPlace> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Hattingen,</hi> </hi> </pubPlace> <docDate> Sonnabend, den 16. 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Zum Erstaunen<lb/> aller Welt brachte die „Presse“ eine Reihe von Anschul-<lb/> digungen gegen das Ministerium, wovon die erste war,<lb/> daß dieses einem reichen Kapitalisten einen Sitz in der<lb/> Pairskammer um 80,000 Franken angeboten habe. Wei-<lb/> tere Anschuldigungen waren, das Ministerium habe mit<lb/> Adelstiteln, mit Ehrenkreuzen, selbst mit Gesetzentwürfeu<gap reason="illegible"/><lb/> geschachert, namentlich einem reichen Gimpel aus der<lb/> Provinz ( <hi rendition="#aq">imbecile de Provinze</hi> ) einen Baronstitel um<lb/> 15,000 Franken, einem bankrotten Kaufmann den Orden<lb/> der Ehrenlegion verkauft, desgleichen einer Versammlung<lb/> von Postmeistern angeboten, ihre Ansprüche wegen der<lb/> Relais zu berücksichtigen, unter der Bedingung, daß sie<lb/> zwar keine Gebühr voraus entrichten, aber sich verbind-<lb/> lich machen sollten, nachher 1,200,000 Franken zu bezah-<lb/> len. Die am ausführlichsten behandelte Anklage betraf<lb/> den Verkauf eines Theaterprivilegiums zu Gunsten der<lb/> Epoque. Die Herren Adam und Thibaudau bewarben<lb/> sich um das dritte lyrische Theater, als der erstere den<lb/> Besuch einer mysteriösen Person erhielt, die ihm andeutete<lb/> der Minister Duchatel könne der Epoque kein Geld mehr<lb/> geben, gegen Bezahlung von 100,00 Franken in die Kasse<lb/> dieses Journals stehe das Privilegium daher zu Diensten.<lb/> Der Wechsel wurde ausgestellt und bei einem Notar nie-<lb/> dergelegt, und von diesem Augenblick an war der Mini-<lb/> ster entschieden für die Bewerber. Das Ministerium ver-<lb/> langte nun von der zweiten Kammer Ermächtigung, den<lb/> Verläumder vor Gericht zu stellen, und diese wurde er-<lb/> theilt. Girardin verlangte es selbst, er war herausforderu-<lb/> der denn je, einem seiner Gegner, dem Generalprokurator<lb/> Plougoulm, der bei den Unruhen in Toulouse von dort<lb/> entflohen war, rief er entgegen: „Herr v. Girardin ist<lb/> nicht feig, er ist nie geflohen und wird auch dieses Mal<lb/> nicht fliehen.“ Er wußte, daß er auf Schonung rechnen<lb/> könne, und wirklich war der Prozeß vor dem Pairsge-<lb/> richtshofe, der in diesem Falle die kompetente Behörde<lb/><cb n="2"/> bildete, eine reine Komödie. Die Verhandlungen waren<lb/> in einer einzigen Sitzung ( 22. Juni 1847 ) erledigt, Gi-<lb/> rardin hatte nicht einmal einen Vertheidiger mitgebracht.<lb/> Jn einem kurzen Vortrage entschuldigte er sich: Eine un-<lb/> bestrittene Autorität, der ehrwürdige Portalis, habe den<lb/> Grundsatz aufgestellt, daß die Absichten allein den Cha-<lb/> rakter der Handlungen bestimmen. Nun wüßten die Her-<lb/> ren Pairs, daß er ihre Kammer stets in hohen Ehren<lb/> gehalten habe, alle seine Aeußerungen, alle Artikel seines<lb/> Journals sprächen dafür. Wenn daher die Kammer über<lb/> eine von ihm behauptete Thatsache sich gekränkt fühle,<lb/> so dürfe sie ihm glauben, daß er ihr nicht habe zu nahe<lb/> treten wollen. Diese Anführung „eines Falls,“ von dem<lb/> er nur ungenaue Kenntniß gehabt, sei seiner Feder ent-<lb/> schlüpft, beziehe sich aber auf keine wirklich stattgehabte<lb/> Ernennung. Der Pairshof entschied in geheimer Si-<lb/> tzung, daß Girardin freizusprechen sei, und dieser schied<lb/> mit einer tiefen Verbeugung und der Versicherung, er<lb/> habe von der Unabhängigkeit und Gerechtigkeit des hohen<lb/> Gerichtshofs nie etwas anders erwartet. Die Februarrevolu-<lb/> tion brachte Girardin in eine Klemme, aus der jeder andere<lb/> nicht entkommen sein würde. Es war die Regierung ge-<lb/> stürzt worden, die er während der ganzen Dauer mit gu-<lb/> ten und schlechten Mitteln unterstützt hatte, das Staats-<lb/> ruder lag in den Händen von Männern, die ihn haßten<lb/> und verachteten. Girardin zog sich mit einem Uebermaß<lb/> von Frechheit aus dieser Verlegenheit. Die Republikaner<lb/> von gestern waren zu einer Gedächtnißfeier an Armand<lb/> Carrel's Grabe versammelt, als Girardin der Mörder<lb/> des Betrauerten unter ihnen erschien. Er legte ein volles<lb/> Bekenntniß seiner Schwächen und Sünden ab, beklagte<lb/> tief den barbarischen Gebrauch, der ihn gezwungen habe,<lb/> den edelsten Franzosen zu tödten, und schloß mit der Auf-<lb/> forderung, auf diesem Grabe eine Versöhnung aller Par-<lb/> teien zu begehen. Die Ueberraschung der Anwesenden si-<lb/> cherte ihm den erwarteten Triumpf, er hatte keine Ver-<lb/> folgung mehr zu fürchten und verwandelte sich nun nach<lb/> kurzer Frist in den alten Gegner jeder Volksregierung,<lb/> als den man ihn kannte. Seine Angriffe gegen die pro-<lb/> visorische Regierung stiegen in raschem Crescendo zu ei-<lb/> ner Höhe, daß es den Anschein gewann, er wolle direkt<lb/> zu einer Gegenrevolution auffordern. Die Zertrümmerung<lb/> seiner Pressen durch aufgeregte Volkshaufen kam ihm ge-<lb/> rade recht. Die öffentliche Meinung wurde dadurch dem<lb/> Geächteten bis zu einem gewissen Grade zugewendet. Von<lb/> den Maitagen an schlüpfte er wie ein Aal durch die Par-<lb/> teien und Konflikte, und wußte es dabei so einzurichten,<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [0001]
Märkische Blätter.
Wochenblatt
für belehrende und angenehme Unterhaltung.
ro 22.Hattingen, Sonnabend, den 16. März 1850.
Emil de Girardin.
( Schluß. )
Längere Zeit verhielt er sich ruhig, bis die Regierung
sich einfallen ließ, außer der „Presse“ noch andere Journale
zu begünstigen, namentlich „ L'Epoque,“ die Schöpfung
des Gaskogners Granier de Cassagnac. Es war die
Blüthezeit der Skandalprozesse, Girardin fühlte sich auf-
gefordert, einen Beitrag dazu zu liefern, der zugleich der
Regierung zeigen werde, wie gefährlich es für sie sei, ei-
nen solchen Mann zu vernachläßigen. Zum Erstaunen
aller Welt brachte die „Presse“ eine Reihe von Anschul-
digungen gegen das Ministerium, wovon die erste war,
daß dieses einem reichen Kapitalisten einen Sitz in der
Pairskammer um 80,000 Franken angeboten habe. Wei-
tere Anschuldigungen waren, das Ministerium habe mit
Adelstiteln, mit Ehrenkreuzen, selbst mit Gesetzentwürfeu_
geschachert, namentlich einem reichen Gimpel aus der
Provinz ( imbecile de Provinze ) einen Baronstitel um
15,000 Franken, einem bankrotten Kaufmann den Orden
der Ehrenlegion verkauft, desgleichen einer Versammlung
von Postmeistern angeboten, ihre Ansprüche wegen der
Relais zu berücksichtigen, unter der Bedingung, daß sie
zwar keine Gebühr voraus entrichten, aber sich verbind-
lich machen sollten, nachher 1,200,000 Franken zu bezah-
len. Die am ausführlichsten behandelte Anklage betraf
den Verkauf eines Theaterprivilegiums zu Gunsten der
Epoque. Die Herren Adam und Thibaudau bewarben
sich um das dritte lyrische Theater, als der erstere den
Besuch einer mysteriösen Person erhielt, die ihm andeutete
der Minister Duchatel könne der Epoque kein Geld mehr
geben, gegen Bezahlung von 100,00 Franken in die Kasse
dieses Journals stehe das Privilegium daher zu Diensten.
Der Wechsel wurde ausgestellt und bei einem Notar nie-
dergelegt, und von diesem Augenblick an war der Mini-
ster entschieden für die Bewerber. Das Ministerium ver-
langte nun von der zweiten Kammer Ermächtigung, den
Verläumder vor Gericht zu stellen, und diese wurde er-
theilt. Girardin verlangte es selbst, er war herausforderu-
der denn je, einem seiner Gegner, dem Generalprokurator
Plougoulm, der bei den Unruhen in Toulouse von dort
entflohen war, rief er entgegen: „Herr v. Girardin ist
nicht feig, er ist nie geflohen und wird auch dieses Mal
nicht fliehen.“ Er wußte, daß er auf Schonung rechnen
könne, und wirklich war der Prozeß vor dem Pairsge-
richtshofe, der in diesem Falle die kompetente Behörde
bildete, eine reine Komödie. Die Verhandlungen waren
in einer einzigen Sitzung ( 22. Juni 1847 ) erledigt, Gi-
rardin hatte nicht einmal einen Vertheidiger mitgebracht.
Jn einem kurzen Vortrage entschuldigte er sich: Eine un-
bestrittene Autorität, der ehrwürdige Portalis, habe den
Grundsatz aufgestellt, daß die Absichten allein den Cha-
rakter der Handlungen bestimmen. Nun wüßten die Her-
ren Pairs, daß er ihre Kammer stets in hohen Ehren
gehalten habe, alle seine Aeußerungen, alle Artikel seines
Journals sprächen dafür. Wenn daher die Kammer über
eine von ihm behauptete Thatsache sich gekränkt fühle,
so dürfe sie ihm glauben, daß er ihr nicht habe zu nahe
treten wollen. Diese Anführung „eines Falls,“ von dem
er nur ungenaue Kenntniß gehabt, sei seiner Feder ent-
schlüpft, beziehe sich aber auf keine wirklich stattgehabte
Ernennung. Der Pairshof entschied in geheimer Si-
tzung, daß Girardin freizusprechen sei, und dieser schied
mit einer tiefen Verbeugung und der Versicherung, er
habe von der Unabhängigkeit und Gerechtigkeit des hohen
Gerichtshofs nie etwas anders erwartet. Die Februarrevolu-
tion brachte Girardin in eine Klemme, aus der jeder andere
nicht entkommen sein würde. Es war die Regierung ge-
stürzt worden, die er während der ganzen Dauer mit gu-
ten und schlechten Mitteln unterstützt hatte, das Staats-
ruder lag in den Händen von Männern, die ihn haßten
und verachteten. Girardin zog sich mit einem Uebermaß
von Frechheit aus dieser Verlegenheit. Die Republikaner
von gestern waren zu einer Gedächtnißfeier an Armand
Carrel's Grabe versammelt, als Girardin der Mörder
des Betrauerten unter ihnen erschien. Er legte ein volles
Bekenntniß seiner Schwächen und Sünden ab, beklagte
tief den barbarischen Gebrauch, der ihn gezwungen habe,
den edelsten Franzosen zu tödten, und schloß mit der Auf-
forderung, auf diesem Grabe eine Versöhnung aller Par-
teien zu begehen. Die Ueberraschung der Anwesenden si-
cherte ihm den erwarteten Triumpf, er hatte keine Ver-
folgung mehr zu fürchten und verwandelte sich nun nach
kurzer Frist in den alten Gegner jeder Volksregierung,
als den man ihn kannte. Seine Angriffe gegen die pro-
visorische Regierung stiegen in raschem Crescendo zu ei-
ner Höhe, daß es den Anschein gewann, er wolle direkt
zu einer Gegenrevolution auffordern. Die Zertrümmerung
seiner Pressen durch aufgeregte Volkshaufen kam ihm ge-
rade recht. Die öffentliche Meinung wurde dadurch dem
Geächteten bis zu einem gewissen Grade zugewendet. Von
den Maitagen an schlüpfte er wie ein Aal durch die Par-
teien und Konflikte, und wußte es dabei so einzurichten,
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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz, Benjamin Fiechter: Artikelstrukturierung
Weitere Informationen:Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.
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