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Märkische Blätter. Nr. 42. Hattingen, 25. Mai 1850.

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Märkische Blätter.
Wochenblatt


für belehrende und angenehme Unterhaltung.



ro 42.Hattingen, Sonnabend, den 25. Mai 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Wie's in den Wald schallt, so schallt's
heraus.

Eine Geschichte von W. O. v. Horn.

Eines Abends, es war im November 1834, wo's
zwar noch nicht kalt, aber so nebelig in den Bergen war,
daß man kaum auf zehn Schritte deutlich sehen konnte,
und die Nacht außergewöhnlich früh gekommen war,
saß die Frau Schulmeisterin zu Abbach beim warmen
Ofen und spann, und spann die Seufzer ihres Herzens
mit hinein in den feinen Faden, den sie drehte. Dann
und wann fiel auch eine Thräne in ihren Schooß.

Es war eine Frau von etwa vierzig Jahren, der
man's aber nicht ansah, daß sie schon so alt, denn sie
blühte noch so frisch, als wäre sie kaum die dreißig nahe,
und wer sie ansah, mußte sagen: Es ist eine bildhübsche
Frau.

Warum sie so betrübt war? Lieber Gott da sei ein
Mutterherz fröhlich! -- Sechszig Thaler war des lieben
Gatten Besoldung, und ein Gärtchen und ein Kartoffel-
äckerchen; und davon lebte das Ehepaar und erhielt den
Ludwig, den einzigen Sohn, der Primaner auf dem Gym-
nasium in der Stadt war und der studiren sollte. Be-
dachte sie nun, daß Nahrung und Kleidung, Bücher und
Wohnung Ludwigs bestritten werden mußte, daß sie und
der Schullehrer doch auch Bedürfnisse hätten, die nicht
abgestellt werden konnten, so war die Rechnung leicht ge-
macht, aber mit dem ehrlichen Auskommen stand's wahr-
lich schief!

Warum aber mußte auch der Ludwig studiren? Konnte
der nicht ein Handwerk erlernen oder auch Lehrer wer-
den? War's nicht Hochmuth? Wollten sie nicht oben hin-
aus mit dem Buben?

Da muß ich doch ihre Partie nehmen!

Der Lehrer Schlösser war der bescheidenste, demüthig-
ste Mann von der Welt. Ein tüchtiger Lehrer, dem die
Liebe für die Menschenwelt recht tief im treuen Herzen
saß; der in seinem Berufe leibt und lebte. Er wußte
wohl, daß er bei seiner Armuth nicht weit fliegen konnte;
daher dachte seine Seele nicht dran, aus Ludwig einen
Pfarrer zu machen. Da waren die vielen Hüttenwerke
im Lande. Wenn er nicht Schullehrer werden wollte, so
konnte er sich da hinaufarbeiten vom Schreiber zum Ma-
gazinverwalter, und von dem zum Faktor, und er war
ein behaltener Mann. Verstand er das Geschäft und war
treu, so war er wohl aufgehoben, denn die Hüttenherrn
[Spaltenumbruch] sorgten für ihre Leute, und wenn sie in Treue alt wur-
den, waren sie auch nicht verlassen.

Daher unterrichtete er den Buben, der eine stille, sin-
nige Natur war, wie die Mutter, im Rechnen Lesen und
Schreiben, deutscher Sprache und Geographie und der-
gleichen, um ihn für so ein Pöstchen fähig zu machen,
und da er auf dem Hüttenwerke Privatunterricht gab,
und einmal über's Eck ein Wörtlein fallen ließ, so sagte
der Hüttenherr: "Warum denn nicht, Herr Schlösser!
Kommt Zeit, kommt Rath!"

Aber der Ludwig war bald des Vaters Schule ent-
wachsen, denn er lernte leicht und war sehr fleißig und
brav.

Da kam der Pfarrer einmal auf das Filial Abbach,
trat heiteren Gesichtes unter das Strohdach des Lehrers
und setzte sich, denn die Schule war aus.

"Herr Schlösser," sagte er, "heute komm' ich wegen
Jhres Ludwig. Der Junge hat ein so ausnehmendes
Talent, daß es vor Gott eine Sünde wäre, es unterge-
hen zu lassen. Der muß studiren, und weil er ein so
sinniger frommer Junge ist, so mein' ich, es steckte ein
wackerer Pfarrer in ihm, der heraus und auf die Kan-
zel müßte!"

Vater und Mutter erschracken, und die Mutter faltete
die Hände und dachte: Gott geb's!

"Lieber Herr Pfarrer," sprach darauf Schlösser, "wie
soll das werden? möchte ich mit Sarah fragen, sinte-
mal ich arm bin, wie Hiob, und sechszig Thaler Ge-
halt habe!"

"Das hab ich gedacht!" lächelte der Pfarrer; "aber
lebt nicht der alte Gott in Jsrael noch, der sich seine
Rüstzeuge wählet, wo er will? Jst sein Arm verkürzt?"

"Ach Gott, nein!" riefen Vater und Mutter.

"Aber," sagte der Schullehrer, "Sie selbst sagen oft:
Wir dürfen nicht erwarten, daß der liebe Gott um un-
sretwillen Wunder thue, und die Hände in den Schooß
legen. Daß müßte ich doch thun, sollt ich's dahin brin-
gen wollen!"

"Recht so, mein Lieber," sprach der Pfarrer, "wir
sollen uns rühren, aber wir sollen dann den Erfolg Gott
dem Herrn im Gebete befehlen, der weiß zu helfen. Ha-
ben Sie vergessen, was Paul Gerhard in dem herrli-
chen Liebe sagt:

Weg' hast Du allerwegen,
An Mitteln fehlt's Dir nicht;
Dein Thun ist lauter Segen,
Dein Gang ist lauter Licht;
Dein Werk kann Niemand hindern,
[Ende Spaltensatz]
Märkische Blätter.
Wochenblatt


für belehrende und angenehme Unterhaltung.



ro 42.Hattingen, Sonnabend, den 25. Mai 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Wie's in den Wald schallt, so schallt's
heraus.

Eine Geschichte von W. O. v. Horn.

Eines Abends, es war im November 1834, wo's
zwar noch nicht kalt, aber so nebelig in den Bergen war,
daß man kaum auf zehn Schritte deutlich sehen konnte,
und die Nacht außergewöhnlich früh gekommen war,
saß die Frau Schulmeisterin zu Abbach beim warmen
Ofen und spann, und spann die Seufzer ihres Herzens
mit hinein in den feinen Faden, den sie drehte. Dann
und wann fiel auch eine Thräne in ihren Schooß.

Es war eine Frau von etwa vierzig Jahren, der
man's aber nicht ansah, daß sie schon so alt, denn sie
blühte noch so frisch, als wäre sie kaum die dreißig nahe,
und wer sie ansah, mußte sagen: Es ist eine bildhübsche
Frau.

Warum sie so betrübt war? Lieber Gott da sei ein
Mutterherz fröhlich! — Sechszig Thaler war des lieben
Gatten Besoldung, und ein Gärtchen und ein Kartoffel-
äckerchen; und davon lebte das Ehepaar und erhielt den
Ludwig, den einzigen Sohn, der Primaner auf dem Gym-
nasium in der Stadt war und der studiren sollte. Be-
dachte sie nun, daß Nahrung und Kleidung, Bücher und
Wohnung Ludwigs bestritten werden mußte, daß sie und
der Schullehrer doch auch Bedürfnisse hätten, die nicht
abgestellt werden konnten, so war die Rechnung leicht ge-
macht, aber mit dem ehrlichen Auskommen stand's wahr-
lich schief!

Warum aber mußte auch der Ludwig studiren? Konnte
der nicht ein Handwerk erlernen oder auch Lehrer wer-
den? War's nicht Hochmuth? Wollten sie nicht oben hin-
aus mit dem Buben?

Da muß ich doch ihre Partie nehmen!

Der Lehrer Schlösser war der bescheidenste, demüthig-
ste Mann von der Welt. Ein tüchtiger Lehrer, dem die
Liebe für die Menschenwelt recht tief im treuen Herzen
saß; der in seinem Berufe leibt und lebte. Er wußte
wohl, daß er bei seiner Armuth nicht weit fliegen konnte;
daher dachte seine Seele nicht dran, aus Ludwig einen
Pfarrer zu machen. Da waren die vielen Hüttenwerke
im Lande. Wenn er nicht Schullehrer werden wollte, so
konnte er sich da hinaufarbeiten vom Schreiber zum Ma-
gazinverwalter, und von dem zum Faktor, und er war
ein behaltener Mann. Verstand er das Geschäft und war
treu, so war er wohl aufgehoben, denn die Hüttenherrn
[Spaltenumbruch] sorgten für ihre Leute, und wenn sie in Treue alt wur-
den, waren sie auch nicht verlassen.

Daher unterrichtete er den Buben, der eine stille, sin-
nige Natur war, wie die Mutter, im Rechnen Lesen und
Schreiben, deutscher Sprache und Geographie und der-
gleichen, um ihn für so ein Pöstchen fähig zu machen,
und da er auf dem Hüttenwerke Privatunterricht gab,
und einmal über's Eck ein Wörtlein fallen ließ, so sagte
der Hüttenherr: „Warum denn nicht, Herr Schlösser!
Kommt Zeit, kommt Rath!“

Aber der Ludwig war bald des Vaters Schule ent-
wachsen, denn er lernte leicht und war sehr fleißig und
brav.

Da kam der Pfarrer einmal auf das Filial Abbach,
trat heiteren Gesichtes unter das Strohdach des Lehrers
und setzte sich, denn die Schule war aus.

„Herr Schlösser,“ sagte er, „heute komm' ich wegen
Jhres Ludwig. Der Junge hat ein so ausnehmendes
Talent, daß es vor Gott eine Sünde wäre, es unterge-
hen zu lassen. Der muß studiren, und weil er ein so
sinniger frommer Junge ist, so mein' ich, es steckte ein
wackerer Pfarrer in ihm, der heraus und auf die Kan-
zel müßte!“

Vater und Mutter erschracken, und die Mutter faltete
die Hände und dachte: Gott geb's!

„Lieber Herr Pfarrer,“ sprach darauf Schlösser, „wie
soll das werden? möchte ich mit Sarah fragen, sinte-
mal ich arm bin, wie Hiob, und sechszig Thaler Ge-
halt habe!“

„Das hab ich gedacht!“ lächelte der Pfarrer; „aber
lebt nicht der alte Gott in Jsrael noch, der sich seine
Rüstzeuge wählet, wo er will? Jst sein Arm verkürzt?“

„Ach Gott, nein!“ riefen Vater und Mutter.

„Aber,“ sagte der Schullehrer, „Sie selbst sagen oft:
Wir dürfen nicht erwarten, daß der liebe Gott um un-
sretwillen Wunder thue, und die Hände in den Schooß
legen. Daß müßte ich doch thun, sollt ich's dahin brin-
gen wollen!“

„Recht so, mein Lieber,“ sprach der Pfarrer, „wir
sollen uns rühren, aber wir sollen dann den Erfolg Gott
dem Herrn im Gebete befehlen, der weiß zu helfen. Ha-
ben Sie vergessen, was Paul Gerhard in dem herrli-
chen Liebe sagt:

Weg' hast Du allerwegen,
An Mitteln fehlt's Dir nicht;
Dein Thun ist lauter Segen,
Dein Gang ist lauter Licht;
Dein Werk kann Niemand hindern,
[Ende Spaltensatz]
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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Nr. 42. Hattingen, 25. Mai 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische042_1850/1>, abgerufen am 21.11.2024.