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Märkische Blätter. Nr. 42. Hattingen, 25. Mai 1850.

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[Beginn Spaltensatz] Dein' Arbeit kann nicht ruh'n,
Wenn Du was Deinen Kindern
Ersprießlich ist, willst thun?" --

"Amen!" sagte Schlösser aus tiefster Seele.

"Gut denn," sagte der Pfarrer. "Jch unterrichte ihn
umsonst. Er muß alle Tage hinüber zu mir kommen.
Jst er reif zum Gymnasium, so werd ich sorgen helfen.
Dort hab' ich Freunde die Kinder haben. Denen gibt
Ludwig in den freien Stunden Unterricht. Dafür em-
pfängt er Wohnung und Kost. Das Schulgeld wird
geschenkt. Dort kostet er, wie zu Hause auch, Kleider und
Schuhe."

"Ach, Sie sind so gut, Herr Pfarrer," sagte mit Rüh-
rung der Vater, während die Mutter eine Thräne trock-
nete, die zu drei Vierteln eine Freudenthräne war; "aber
wie soll's weiter werden?"

"Halt!" rief lachend der Pfarrer. "Sie sind ein un-
glaubiger Thomas! Auf der Universität geht's noch leich-
ter. Jn Bonn sind Freitische und Stipendien. Dafür
heben wir ja alle Jahr zweimal Kollekten! Dort gibts
noch mehr Gelegenheit zu Unterricht. Die Collegiengelder
werden erlassen und, ich sage Jhnen, Sie sollens erfahren,
wie der Herr hilft. Nun, Gott vertraut und gutes Mu-
thes! Morgen kommt Ludwig zum ersten Male hinüber
zu mir. Dabei bleibt's!"

Der Lehrer hatte noch ein ganzes Nest voll Wenn
und Aber, die jedoch der Pfarrer alle rein todtschlug, in-
dem er erzählte, wie er selbst, eines armen Schneiderleins
Sohn, hindurchgegangen war durch Kreuz und Plage,
und der Herr habe wunderlich geholfen. Er hatte so eine
Art, mit wenigen Worten die Leute zu fassen und den
Muth in der Seele aufzurichten, daß sie nicht mehr za-
gen konnten.

Er schied unter warmen Händedrücken und die Sa-
che ging. Ludwig lernte mit überraschender Leichtigkeit
und der Pfarrer hatte seine helle Lust an ihm. Zwar
kostete es Bücher und Allerlei; aber die Eltern legten sich
gerne noch mehr Entbehrungen auf, als sie schon so tru-
gen und waren glücklich in der Aussicht für Ludwig's
Zukunft. Nun war er auf dem Gymnasium und schon
in der obersten Klasse und erst siebzehn Jahre alt. Alles
ging, wie's der Pfarrer gesagt, und der war ein rechter
Freund, der half, wo er konnte. Freilich kostete es den
Eltern immer mehr; aber sie opferten freudig Alles anf,
weil ja Ludwig so brav war und so rasch voraneilte.
Jetzt mußte er einen neuen Rock haben, denn bisher hatte
er nur des Vaters abgelegte getragen; aber der legte sie
erst ab, wenn sie so fadenscheinig waren, daß man ohne
Brille das Gewebe sah, und es fehlte an Geld. Da war
denn Schlösser heute in's Städtchen gegangen, wo die
alte Base Lisbeth wohnte, die reich war, aber filzig und
zähe wie Sohlleder. Sie hatte den Ludwig über die Taufe
gehoben und Schlösser hoffte, sie würde doch einmal eine
Pathenfläsche geben, wie man das Pathengeschenk nannte,
da sie nie ihm ein Christkindchen beschert, oder im schlimm-
sten Falle, die acht Thaler leihen.

Sonst war's Schlössers Art nicht, auszubleiben bis
in die Nacht.

Das Mütterlein dachte: Es wird doch nichts passirt
sein? und ängstigte sich weidlich.

Es wurde Neun; er kam nicht. Die Kirchenuhr schlug
zehn, eilf -- er kam nicht. Da entsank ihr der Faden vor
Herzensangst und sie betete heiß und innig um Schutz
und Hülfe der Engel Gottes für den geliebten Gatten.

Und wie sie noch so da saß mit den gefaltenen Hän-
den und dem gesenkten Haupte, aber das Ohr scharf
hinaushorchte, da dünkte es ihr, sie höre Schritte hallen
durch die stille Nacht. Sie horchte schärfer mit vorgebo-
genem Oberleibe und angehaltenem Athem. "Ja, er ist's!"
rief sie dann frohlockend und Gott dankend und eilte
ihm entgegen.

[Spaltenumbruch]

"Ach, wie hast Du mir so bange gemacht!" sagte sie
halb im Tone des Vorwurfs, halb in dem der Freude,
daß er da war.

Der stattliche, starke Mann drückte das liebe Weib
an seine Brust und sagte: "Närrchen, wer wird doch gleich
so sich ängstigen!"

Sie waren in die Stube getreten und das Licht fiel
auf Schlösser's schöne Gestalt.

"Ach Gott!" rief das Weib, "Du hast ja eine Wunde
an der Stirne und Dein Sonntagsrock ist ja am Aermel
aufgerissen! Da ist doch etwas passirt. Sag mir's doch
gleich!" Er setzte sich zum Ofen, dessen Wärme ihm wohl-
that. "Was willst Du denn essen? Du wirst hungrig
sein?" fragte sie wieder, ihren Hausmutterpflichten den
ersten Platz einräumend.

"Nichts will ich essen, denn ich habe zu Nacht ge-
gessen," sagte er.

"Hat Dir die Base etwas angeboten?" fragte sie voll
freudigen Erstaunens und schloß gleich auf die Erfüllung
ihres Herzenswunsches.

"Wieviel Fragen thust Du doch!" sagte er lachend,
welche soll ich denn zuerst beantworten?"

"Ach Du hast recht, Martin," sagte sie und setzte sich
"ich will nun auch stille sein und Dir zuhören." Doch
kaum hatte sie das gesagt, als sie wieder aufsprang und
hinauseilte.

Der Schullehrer schüttelte den Kopf und sagte zu
sich: Es ist doch ein kurioses Volk, die Weiber! Ehe er
indessen in seinem Selbstgespräch weiter fortfahren konnte,
war sie schon wieder da und trug zwei Töpfchen und
eine kleine Kaffeetasse.

"Jch habe mich gleich erinnert, daß von heute Mor-
gen noch ein paar Tassen Kapee übrig sind, die will ich
Dir wärmen, dann hast Du doch eine Erquickung!"
Sie setzte sich nachdem sie die beiden Töpfchen auf den
warmen Ofen gesetzt, zurecht und sagte: "Nun will ich
hören! Fang' aber gleich von vornen an. Wie ging's
bei der Base?"

"Nun," sagte der Lehrer, und seine heitere Miene ver-
finsterte sich, "als ich zu ihr kam sagte sie: Auch mal
wieder da? Wie geht's, wie steht's? Jch brachte einen
Gruß von Dir und erzählte ihr unsere Noth und dachte,
nun würde sie sagen: Jch will dem braven Jungen ein
Röcklein machen lassen! Aber Prost die Mahlzeit! Sie
zuckte die Achseln und meinte, es sei mancher große Mann
in einem alten Röcklein aufgewachsen. Es würde so nö-
thig nicht sein. Als ich ihr aber das auseinander setzte,
und um ein Darlehen von acht Thalern bat, da verhieß
und verschwor sie sich, sie habe keine acht Groschen im
Hause. Sie sei so entblößt, daß sie sich heute Mittag nicht
einmal etwas gekocht habe. Dabei roch es aus der Ofen-
kachel so kräftig nach Kalbsbraten, daß mir der Geruch
ordentlich erquickend war. Nun merkte ich wohl, daß hier
Nichts zu machen war, und mit wehmüthigem Herzen
nahm ich Mütze und Regenschirm und ging. Was sollte
ich nun machen? Hunger hatte ich gleich einem Bären
und nur achtzehn Kreuzer in der Tasche. Ach, dachte ich,
spar' was Du kannst; kaufte mir für einen Groschen
Weck und wanderte schweren Herzens wieder zum Thore
hinaus, denn ich hatte ja Niemand, den ich nun anspre-
chen konnte. Noch lag der Nebel so dicht auf dem Wege,
daß man kaum auf einige Schritte vor sich sehen konnte.
Da aß ich meine Wecke und wurde so satt, daß ich noch
einen für Dich in die Tasche stecken konnte."

Er reichte ihr den Weck, den sie mit einem Lächeln
hinnahm, das die Gabe würdigte, ohne den Schmerz
bittergetäuschter Hoffnung zu verleugnen.

"Wie ich nun so dahingehe," fuhr er fort, " [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]hör ' ich
ein Fuhrwerk daherkommen in rasender Eile. Schon von
ferne hörte ich des Pferdes Schnauben und erkannte, daß
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Dein' Arbeit kann nicht ruh'n,
Wenn Du was Deinen Kindern
Ersprießlich ist, willst thun?“ —

„Amen!“ sagte Schlösser aus tiefster Seele.

„Gut denn,“ sagte der Pfarrer. „Jch unterrichte ihn
umsonst. Er muß alle Tage hinüber zu mir kommen.
Jst er reif zum Gymnasium, so werd ich sorgen helfen.
Dort hab' ich Freunde die Kinder haben. Denen gibt
Ludwig in den freien Stunden Unterricht. Dafür em-
pfängt er Wohnung und Kost. Das Schulgeld wird
geschenkt. Dort kostet er, wie zu Hause auch, Kleider und
Schuhe.“

„Ach, Sie sind so gut, Herr Pfarrer,“ sagte mit Rüh-
rung der Vater, während die Mutter eine Thräne trock-
nete, die zu drei Vierteln eine Freudenthräne war; „aber
wie soll's weiter werden?“

„Halt!“ rief lachend der Pfarrer. „Sie sind ein un-
glaubiger Thomas! Auf der Universität geht's noch leich-
ter. Jn Bonn sind Freitische und Stipendien. Dafür
heben wir ja alle Jahr zweimal Kollekten! Dort gibts
noch mehr Gelegenheit zu Unterricht. Die Collegiengelder
werden erlassen und, ich sage Jhnen, Sie sollens erfahren,
wie der Herr hilft. Nun, Gott vertraut und gutes Mu-
thes! Morgen kommt Ludwig zum ersten Male hinüber
zu mir. Dabei bleibt's!“

Der Lehrer hatte noch ein ganzes Nest voll Wenn
und Aber, die jedoch der Pfarrer alle rein todtschlug, in-
dem er erzählte, wie er selbst, eines armen Schneiderleins
Sohn, hindurchgegangen war durch Kreuz und Plage,
und der Herr habe wunderlich geholfen. Er hatte so eine
Art, mit wenigen Worten die Leute zu fassen und den
Muth in der Seele aufzurichten, daß sie nicht mehr za-
gen konnten.

Er schied unter warmen Händedrücken und die Sa-
che ging. Ludwig lernte mit überraschender Leichtigkeit
und der Pfarrer hatte seine helle Lust an ihm. Zwar
kostete es Bücher und Allerlei; aber die Eltern legten sich
gerne noch mehr Entbehrungen auf, als sie schon so tru-
gen und waren glücklich in der Aussicht für Ludwig's
Zukunft. Nun war er auf dem Gymnasium und schon
in der obersten Klasse und erst siebzehn Jahre alt. Alles
ging, wie's der Pfarrer gesagt, und der war ein rechter
Freund, der half, wo er konnte. Freilich kostete es den
Eltern immer mehr; aber sie opferten freudig Alles anf,
weil ja Ludwig so brav war und so rasch voraneilte.
Jetzt mußte er einen neuen Rock haben, denn bisher hatte
er nur des Vaters abgelegte getragen; aber der legte sie
erst ab, wenn sie so fadenscheinig waren, daß man ohne
Brille das Gewebe sah, und es fehlte an Geld. Da war
denn Schlösser heute in's Städtchen gegangen, wo die
alte Base Lisbeth wohnte, die reich war, aber filzig und
zähe wie Sohlleder. Sie hatte den Ludwig über die Taufe
gehoben und Schlösser hoffte, sie würde doch einmal eine
Pathenfläsche geben, wie man das Pathengeschenk nannte,
da sie nie ihm ein Christkindchen beschert, oder im schlimm-
sten Falle, die acht Thaler leihen.

Sonst war's Schlössers Art nicht, auszubleiben bis
in die Nacht.

Das Mütterlein dachte: Es wird doch nichts passirt
sein? und ängstigte sich weidlich.

Es wurde Neun; er kam nicht. Die Kirchenuhr schlug
zehn, eilf — er kam nicht. Da entsank ihr der Faden vor
Herzensangst und sie betete heiß und innig um Schutz
und Hülfe der Engel Gottes für den geliebten Gatten.

Und wie sie noch so da saß mit den gefaltenen Hän-
den und dem gesenkten Haupte, aber das Ohr scharf
hinaushorchte, da dünkte es ihr, sie höre Schritte hallen
durch die stille Nacht. Sie horchte schärfer mit vorgebo-
genem Oberleibe und angehaltenem Athem. „Ja, er ist's!“
rief sie dann frohlockend und Gott dankend und eilte
ihm entgegen.

[Spaltenumbruch]

„Ach, wie hast Du mir so bange gemacht!“ sagte sie
halb im Tone des Vorwurfs, halb in dem der Freude,
daß er da war.

Der stattliche, starke Mann drückte das liebe Weib
an seine Brust und sagte: „Närrchen, wer wird doch gleich
so sich ängstigen!“

Sie waren in die Stube getreten und das Licht fiel
auf Schlösser's schöne Gestalt.

„Ach Gott!“ rief das Weib, „Du hast ja eine Wunde
an der Stirne und Dein Sonntagsrock ist ja am Aermel
aufgerissen! Da ist doch etwas passirt. Sag mir's doch
gleich!“ Er setzte sich zum Ofen, dessen Wärme ihm wohl-
that. „Was willst Du denn essen? Du wirst hungrig
sein?“ fragte sie wieder, ihren Hausmutterpflichten den
ersten Platz einräumend.

„Nichts will ich essen, denn ich habe zu Nacht ge-
gessen,“ sagte er.

„Hat Dir die Base etwas angeboten?“ fragte sie voll
freudigen Erstaunens und schloß gleich auf die Erfüllung
ihres Herzenswunsches.

„Wieviel Fragen thust Du doch!“ sagte er lachend,
welche soll ich denn zuerst beantworten?“

„Ach Du hast recht, Martin,“ sagte sie und setzte sich
„ich will nun auch stille sein und Dir zuhören.“ Doch
kaum hatte sie das gesagt, als sie wieder aufsprang und
hinauseilte.

Der Schullehrer schüttelte den Kopf und sagte zu
sich: Es ist doch ein kurioses Volk, die Weiber! Ehe er
indessen in seinem Selbstgespräch weiter fortfahren konnte,
war sie schon wieder da und trug zwei Töpfchen und
eine kleine Kaffeetasse.

„Jch habe mich gleich erinnert, daß von heute Mor-
gen noch ein paar Tassen Kapee übrig sind, die will ich
Dir wärmen, dann hast Du doch eine Erquickung!“
Sie setzte sich nachdem sie die beiden Töpfchen auf den
warmen Ofen gesetzt, zurecht und sagte: „Nun will ich
hören! Fang' aber gleich von vornen an. Wie ging's
bei der Base?“

„Nun,“ sagte der Lehrer, und seine heitere Miene ver-
finsterte sich, „als ich zu ihr kam sagte sie: Auch mal
wieder da? Wie geht's, wie steht's? Jch brachte einen
Gruß von Dir und erzählte ihr unsere Noth und dachte,
nun würde sie sagen: Jch will dem braven Jungen ein
Röcklein machen lassen! Aber Prost die Mahlzeit! Sie
zuckte die Achseln und meinte, es sei mancher große Mann
in einem alten Röcklein aufgewachsen. Es würde so nö-
thig nicht sein. Als ich ihr aber das auseinander setzte,
und um ein Darlehen von acht Thalern bat, da verhieß
und verschwor sie sich, sie habe keine acht Groschen im
Hause. Sie sei so entblößt, daß sie sich heute Mittag nicht
einmal etwas gekocht habe. Dabei roch es aus der Ofen-
kachel so kräftig nach Kalbsbraten, daß mir der Geruch
ordentlich erquickend war. Nun merkte ich wohl, daß hier
Nichts zu machen war, und mit wehmüthigem Herzen
nahm ich Mütze und Regenschirm und ging. Was sollte
ich nun machen? Hunger hatte ich gleich einem Bären
und nur achtzehn Kreuzer in der Tasche. Ach, dachte ich,
spar' was Du kannst; kaufte mir für einen Groschen
Weck und wanderte schweren Herzens wieder zum Thore
hinaus, denn ich hatte ja Niemand, den ich nun anspre-
chen konnte. Noch lag der Nebel so dicht auf dem Wege,
daß man kaum auf einige Schritte vor sich sehen konnte.
Da aß ich meine Wecke und wurde so satt, daß ich noch
einen für Dich in die Tasche stecken konnte.“

Er reichte ihr den Weck, den sie mit einem Lächeln
hinnahm, das die Gabe würdigte, ohne den Schmerz
bittergetäuschter Hoffnung zu verleugnen.

„Wie ich nun so dahingehe,“ fuhr er fort, „ [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]hör ' ich
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Die Collegiengelder werden erlassen und, ich sage Jhnen, Sie sollens erfahren, wie der Herr hilft. Nun, Gott vertraut und gutes Mu- thes! Morgen kommt Ludwig zum ersten Male hinüber zu mir. Dabei bleibt's!“ Der Lehrer hatte noch ein ganzes Nest voll Wenn und Aber, die jedoch der Pfarrer alle rein todtschlug, in- dem er erzählte, wie er selbst, eines armen Schneiderleins Sohn, hindurchgegangen war durch Kreuz und Plage, und der Herr habe wunderlich geholfen. Er hatte so eine Art, mit wenigen Worten die Leute zu fassen und den Muth in der Seele aufzurichten, daß sie nicht mehr za- gen konnten. Er schied unter warmen Händedrücken und die Sa- che ging. Ludwig lernte mit überraschender Leichtigkeit und der Pfarrer hatte seine helle Lust an ihm. Zwar kostete es Bücher und Allerlei; aber die Eltern legten sich gerne noch mehr Entbehrungen auf, als sie schon so tru- gen und waren glücklich in der Aussicht für Ludwig's Zukunft. Nun war er auf dem Gymnasium und schon in der obersten Klasse und erst siebzehn Jahre alt. Alles ging, wie's der Pfarrer gesagt, und der war ein rechter Freund, der half, wo er konnte. Freilich kostete es den Eltern immer mehr; aber sie opferten freudig Alles anf, weil ja Ludwig so brav war und so rasch voraneilte. Jetzt mußte er einen neuen Rock haben, denn bisher hatte er nur des Vaters abgelegte getragen; aber der legte sie erst ab, wenn sie so fadenscheinig waren, daß man ohne Brille das Gewebe sah, und es fehlte an Geld. Da war denn Schlösser heute in's Städtchen gegangen, wo die alte Base Lisbeth wohnte, die reich war, aber filzig und zähe wie Sohlleder. Sie hatte den Ludwig über die Taufe gehoben und Schlösser hoffte, sie würde doch einmal eine Pathenfläsche geben, wie man das Pathengeschenk nannte, da sie nie ihm ein Christkindchen beschert, oder im schlimm- sten Falle, die acht Thaler leihen. Sonst war's Schlössers Art nicht, auszubleiben bis in die Nacht. Das Mütterlein dachte: Es wird doch nichts passirt sein? und ängstigte sich weidlich. Es wurde Neun; er kam nicht. Die Kirchenuhr schlug zehn, eilf — er kam nicht. Da entsank ihr der Faden vor Herzensangst und sie betete heiß und innig um Schutz und Hülfe der Engel Gottes für den geliebten Gatten. Und wie sie noch so da saß mit den gefaltenen Hän- den und dem gesenkten Haupte, aber das Ohr scharf hinaushorchte, da dünkte es ihr, sie höre Schritte hallen durch die stille Nacht. Sie horchte schärfer mit vorgebo- genem Oberleibe und angehaltenem Athem. „Ja, er ist's!“ rief sie dann frohlockend und Gott dankend und eilte ihm entgegen. „Ach, wie hast Du mir so bange gemacht!“ sagte sie halb im Tone des Vorwurfs, halb in dem der Freude, daß er da war. Der stattliche, starke Mann drückte das liebe Weib an seine Brust und sagte: „Närrchen, wer wird doch gleich so sich ängstigen!“ Sie waren in die Stube getreten und das Licht fiel auf Schlösser's schöne Gestalt. „Ach Gott!“ rief das Weib, „Du hast ja eine Wunde an der Stirne und Dein Sonntagsrock ist ja am Aermel aufgerissen! Da ist doch etwas passirt. Sag mir's doch gleich!“ Er setzte sich zum Ofen, dessen Wärme ihm wohl- that. „Was willst Du denn essen? Du wirst hungrig sein?“ fragte sie wieder, ihren Hausmutterpflichten den ersten Platz einräumend. „Nichts will ich essen, denn ich habe zu Nacht ge- gessen,“ sagte er. „Hat Dir die Base etwas angeboten?“ fragte sie voll freudigen Erstaunens und schloß gleich auf die Erfüllung ihres Herzenswunsches. „Wieviel Fragen thust Du doch!“ sagte er lachend, welche soll ich denn zuerst beantworten?“ „Ach Du hast recht, Martin,“ sagte sie und setzte sich „ich will nun auch stille sein und Dir zuhören.“ Doch kaum hatte sie das gesagt, als sie wieder aufsprang und hinauseilte. Der Schullehrer schüttelte den Kopf und sagte zu sich: Es ist doch ein kurioses Volk, die Weiber! Ehe er indessen in seinem Selbstgespräch weiter fortfahren konnte, war sie schon wieder da und trug zwei Töpfchen und eine kleine Kaffeetasse. „Jch habe mich gleich erinnert, daß von heute Mor- gen noch ein paar Tassen Kapee übrig sind, die will ich Dir wärmen, dann hast Du doch eine Erquickung!“ Sie setzte sich nachdem sie die beiden Töpfchen auf den warmen Ofen gesetzt, zurecht und sagte: „Nun will ich hören! Fang' aber gleich von vornen an. Wie ging's bei der Base?“ „Nun,“ sagte der Lehrer, und seine heitere Miene ver- finsterte sich, „als ich zu ihr kam sagte sie: Auch mal wieder da? Wie geht's, wie steht's? Jch brachte einen Gruß von Dir und erzählte ihr unsere Noth und dachte, nun würde sie sagen: Jch will dem braven Jungen ein Röcklein machen lassen! Aber Prost die Mahlzeit! Sie zuckte die Achseln und meinte, es sei mancher große Mann in einem alten Röcklein aufgewachsen. Es würde so nö- thig nicht sein. Als ich ihr aber das auseinander setzte, und um ein Darlehen von acht Thalern bat, da verhieß und verschwor sie sich, sie habe keine acht Groschen im Hause. Sie sei so entblößt, daß sie sich heute Mittag nicht einmal etwas gekocht habe. Dabei roch es aus der Ofen- kachel so kräftig nach Kalbsbraten, daß mir der Geruch ordentlich erquickend war. Nun merkte ich wohl, daß hier Nichts zu machen war, und mit wehmüthigem Herzen nahm ich Mütze und Regenschirm und ging. Was sollte ich nun machen? Hunger hatte ich gleich einem Bären und nur achtzehn Kreuzer in der Tasche. Ach, dachte ich, spar' was Du kannst; kaufte mir für einen Groschen Weck und wanderte schweren Herzens wieder zum Thore hinaus, denn ich hatte ja Niemand, den ich nun anspre- chen konnte. Noch lag der Nebel so dicht auf dem Wege, daß man kaum auf einige Schritte vor sich sehen konnte. Da aß ich meine Wecke und wurde so satt, daß ich noch einen für Dich in die Tasche stecken konnte.“ Er reichte ihr den Weck, den sie mit einem Lächeln hinnahm, das die Gabe würdigte, ohne den Schmerz bittergetäuschter Hoffnung zu verleugnen. „Wie ich nun so dahingehe,“ fuhr er fort, „ ___hör ' ich ein Fuhrwerk daherkommen in rasender Eile. Schon von ferne hörte ich des Pferdes Schnauben und erkannte, daß

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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Nr. 42. Hattingen, 25. Mai 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische042_1850/2>, abgerufen am 03.12.2024.