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Märkische Blätter. Jahrgang 4, Nr. 74. Hattingen, 14. September 1852.

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[Beginn Spaltensatz] seiner Gemahlin, die in den Bädern gestorben war. Der Brief war
diesen Morgen erst angelangt.

"Sie haben keine Zeit verloren," sprach die Sängerin, und be-
mühte sich, ihre Gefühle unter der Masse ironischen Vorwurfes zu
verbergen.

Es entstand eine Pause. Keines wagte zu sprechen. Der Graf
wußte -- konnte aber nicht recht in Wirklichkeit glauben, was so
unglaublich schien -- daß Anielka und Giovanna eine und dieselbe
Person -- seine Leibeigene sei. Diese schreckliche Verwandtschaft
machte ihn bestürzt. Auch Anielka vermochte ihre Rolle nicht weiter
zu spielen. Die lang gehegte Zärtlichkeit, die getreue Liebe ihres gan-
zen Lebens ließ sich nicht mehr ganz meistern. Bis dahin hatten sie
italienisch gesprochen. Jetzt sprach sie auf polnisch: "Herr von Ros-
cynsky, Sie haben ein Recht auf die arme Anielka, die in Florenz
aus Jhren Dienst lief; Sie können sie in Jhr Schloß zurücknöthigen
sie zu den niedrigsten Arbeiten verdammen, aber...."

"Schonen Sie meiner!" rief Leon.

"Aber," fuhr die Leibeigene von Poberez mit fester Stimme
fort, "Sie können mich nicht zwingen, Sie zu lieben!"

"Verhöhnen, quälen Sie mich nicht länger; Sie sind genugsam
gerächt. Jch will Sie nicht durch Drängen verletzen. Sie müssen
nuch ja hassen! Aber erinnern sie sich, daß wir Polen unsere Leibei-
genen die Freiheit schenken wollten, und daß dies eben der Grund
war, warum fremde Mächte in unser Land einfielen und es zerstückel-
ten. Darum müssen wir fortwährend die Leibeigenschaft auf gleiche
Weise erhalten, wie sie in Rußland besteht; aber wir sind ihr mit
Leib und Seele entgegen; und wenn unser Vaterland dereinst wieder
frei wird, so seien Sie versichert, daß kein Schatten von Sklaverei
darin zurückbleiben soll. Fluchen sie daher und bemitleiden sie uns,
da wir eine so verzweifelte Lage zwischen russischen Bayonneten und
Sibirien auf der einen Seite, und dem Hasse unserer Leibeigenen auf
der andern Seite haben."

Nach diesen Worten stürzte Leon, ohne auf eine Antwort zu
warten, aus dem Zimmer. Die Thüre schloß sich hinter ihm. Gio-
vanna lauschte dem Schall seiner eiligen Schritte, bis er in der
Straße erstarb. Sie wäre ihm gerne nachgelaufen, aber sie wagte
es nicht. Sie stürzte nach dem Fenstern. Roscynsky's Wagen rollte
rasch davon, und vergebens rief sie ihm nach: "Jch liebe Dich, Leon;
ich habe Dich ja immer geliebt!"

Jhre Qual war unerträglich. Sie zu erleichtern eilte sie an
ihren Schreibtisch und schrieb nachstehende Worte: "Theuerster Leon,
verzeihen sie mir; lassen Sie die Vergangenheit auf ewig vergessen
sein. Kehren Sie zu Jhrer Anielka zurück. Sie war immer die
Jhrige und wird es ewig sein!"

Sie sandte den Boten ab. Kam er wohl zu spät? Oder würde
er ihn zurückbringen? Jn der Hoffnung des letzteren zog sie sich in
ihr Zimmer zurück, um einen kleinen Plan auszuführen.

Leon war in Verzweiflung. Er sah ein, daß er zu vorschnell
gewesen, da er zu bald nach der Kunde von dem Tode seiner Frau
seine Liebe erklärt hatte, und gelobte Anielka mehrere Monate lang
nicht mehr zu sehen. Seine Aufregung zu besänftigen, war er einige
Meilen weit in das Land hinaus geritten. Als er nach ein paar
Stunden in sein Hotel zurückkam, fand er ihr Billet. Mit dem
wildesten Entzücken, das die Worte in seine Seele gegossen, flog er
zu ihr zurück.

Als er ihren Salon erreichte, schien ein neuer und schrecklicher
Wechsel der Dinge Spott mit seiner Leidenschaft treiben zu wollen
-- Anielka war nirgends zu finden. War die italiensche Sängerin
entflohen?

Von Neuem gerieth er in Verzweiflung, [unleserliches Material - 2 Zeichen fehlen]ja er war wie ver-
steinert über diese Enttäuschung. Wie er noch im Zweifel, was jetzt
zu beginnen, da stand, hörte er in der Entfernung ein Ave Maria.
Er glaubte diese Töne wieder zu erkennen. Ein Heer von Erinner-
rungen schwamm auf ihnen heran: eine weinende Leibeigene, der Garten
seines Heimathschlosses! Von einem neuen Entzücken erfaßt, folgte er
der Stimme. Er spürte ihr nach bis in ein inneres Zimmer, wo er
endlich die liebliche Sängerin fand, wie sie im Kostüme einer polni-
schen Leibeigenen auf den Knieen lag und sang. Sie erhob sich,
grüßte Leon mit einem rührenden Lächeln und trat ihm mit ernster
[Spaltenumbruch] Schüchternheit entgegen. Leon breitete seine Arme aus; sie sank an
seine Brust; und in dieser Liebesumarmung waren alle vergangenen
Leiden, war alles erduldete Unrecht vergessen! Anielka zog eine kleine
Börse aus ihrem Busen und nahm ein Silberstück daraus hervor.
Es war der Rubel. Jetzt lächelte Leon nicht mehr darüber. Er be-
griff die Heiligkeit dieser kleinen Gabe; und Thränen der Reue fielen
auf Anielka's Hand.

Wenige Monde später schrieb Leon an den Hausmeister von
Olgorod, er solle die glänzendsten Vorkehrungen für den Empfang
seines zweiten Weibes treffen. Er schloß seinen Brief mit den Worten:
"Jch höre, daß sich in dem Kerker unterhalb meines Schlosses einige
Unglückliche befinden sollen, die zu Lebzeiten meines Vaters dort ein-
gekerkert wurden. Setzen Sie sie augenblicklich in Freiheit. Dieß
soll meine erste Handlung des Dankes gegen Gott sein, der mich so
unendlich beglückt hat!"

Anielka sehnte sich heftig, ihren Geburtsort recht bald wieder
zu sehen. Gleich nach der Trauung verließen sie Wien, obschon es
noch Mitte Januars war.

Es wur bereits ganz dunkel, als der Wagen mit seinen vier
Pferden vor dem Schloßthore von Olgorod anhielt. Während ein
Diener die Wagenthüre auf der einen Seite öffnete, erschien auf der
andern, wo Anielka saß, ein Bettler, der um Almosen bat. Glücklich
darüber, gleich beim Betreten ihrer neuen Heimath eine gute Hand-
lung thun zu können, gab sie ihm etwas Geld; aber statt dafür zu
danken, erwiderte der Mann ihre Güte mit einem wilden Gelächter,
und unter seinen schattigen dicken Brauen hervor schoß ein Blick der
rohesten Wildheit. Dieser seltsame Vorfall machte einen schmerzlichen
Eindruck auf Anielka und trübte ihr Glück. Leon besänftigte und
beruhigte sie. Jn den Armen des geliebten Gatten vergaß sie Alles,
nur die Seligkeit nicht, sich als das Jdol seiner Zärtlichkeit zu wissen.
Auf die Anstrengung und Aufregung von der Reise her kam ihnen
die Nachtruhe höchst erwünscht. Alles lag in Schweigen und Dunkel
um das Schloß her und bereits war die Nacht um einige Stunden
vorgerückt, als plötzlich aus verschiedenen Theilen des Gebäudes zu
gleicher Zeit Flammen hervorschlugen. Das Schloß war von einem
Feuermeer umgeben, das furchtbare Wogen schlug. Jmmer höher
und höher stiegen die Flammen, die Fenster barsten mit einem schreck-
lichen Knall und der Rauch drang nach den entferntesten Gemächern.

Die einsame Gestalt eines Mannes schlich über den Schnee
hin, der wie ein Grabtuch über der öden Wüste lag, seine vorsichti-
gen Schritte tönten auf dem gefrornen Schnee, der unter seinem Auf-
treten knisterte. Er war der Bettler, der Anielka angesprochen hatte.
Auf einem nahen Hügel wendete er sich um und schaute nach der
schrecklichen Scene. "Jetzt werden keine Unglücklichen mehr ihr Leben
in euern Kerkern hinschmachten müssen," rief er. "Daß ich meinen
Herrn an die Niedrigkeit seiner Geburt ertnnerte! Darum rissen sie
sie mich von meinem einzigen Kinde weg, von meiner lieben kleinen
Anielka; sie hatten kein Mitleid mit ihrem verwaisten Zustande.
Mögen sie Alle zu Grunde gehen!"

Plötzlich stürzt ein schönes junges Weib in wilder Flucht nach
einem der Hauptfenster, sie macht eine heftige Anstrengung, sich
zu retten. Einen Augenblick lang hebt sich ihre liebliche Gestalt, von
einem weißen Gewande umhüllt, in furchtbarem Relief von dem Hin-
tergrunde der flammenden Vorhänge und Wände ab, und versinkt
dann plötzlich in dem rasenden Element. Hinter ihr erscheint noch
eine Gestalt, die sich vergebens müht, ihr zu helfen -- auch sie geht
zu Grunde; keine Spur mehr von Beiden ist zu sehen!

Dieses erschütternde Trauerspiel entsetzt selbst den Urheber des
Verbrechens. Er stürzt von der Stätte hinweg, und wie er das
Krachen der fallenden Wände vernimmt, verschließt er die Ohren
mit den Händen, und eilt rascher und rascher davon.

Am andern Tage fanden die Bauern den Leichnam eines er-
frorenen Mannes, der auf einem Schneehaufen lag -- es war der
unglückliche Brandstifter. Die Vorsehung, seine lange Haft, seine
grausamen Leiden erwägend, ersparte ihm den Jammer zu erfahren,
daß die Herrin des Schlosses, das er zerstört, und die selbst in den
Flammen zu Grunde gegangen war, Niemand anders gewesen sei,
als seine eigene geliebte Tochter -- die Leibeigene von Poberez!



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] seiner Gemahlin, die in den Bädern gestorben war. Der Brief war
diesen Morgen erst angelangt.

„Sie haben keine Zeit verloren,“ sprach die Sängerin, und be-
mühte sich, ihre Gefühle unter der Masse ironischen Vorwurfes zu
verbergen.

Es entstand eine Pause. Keines wagte zu sprechen. Der Graf
wußte — konnte aber nicht recht in Wirklichkeit glauben, was so
unglaublich schien — daß Anielka und Giovanna eine und dieselbe
Person — seine Leibeigene sei. Diese schreckliche Verwandtschaft
machte ihn bestürzt. Auch Anielka vermochte ihre Rolle nicht weiter
zu spielen. Die lang gehegte Zärtlichkeit, die getreue Liebe ihres gan-
zen Lebens ließ sich nicht mehr ganz meistern. Bis dahin hatten sie
italienisch gesprochen. Jetzt sprach sie auf polnisch: „Herr von Ros-
cynsky, Sie haben ein Recht auf die arme Anielka, die in Florenz
aus Jhren Dienst lief; Sie können sie in Jhr Schloß zurücknöthigen
sie zu den niedrigsten Arbeiten verdammen, aber....“

„Schonen Sie meiner!“ rief Leon.

„Aber,“ fuhr die Leibeigene von Poberez mit fester Stimme
fort, „Sie können mich nicht zwingen, Sie zu lieben!“

„Verhöhnen, quälen Sie mich nicht länger; Sie sind genugsam
gerächt. Jch will Sie nicht durch Drängen verletzen. Sie müssen
nuch ja hassen! Aber erinnern sie sich, daß wir Polen unsere Leibei-
genen die Freiheit schenken wollten, und daß dies eben der Grund
war, warum fremde Mächte in unser Land einfielen und es zerstückel-
ten. Darum müssen wir fortwährend die Leibeigenschaft auf gleiche
Weise erhalten, wie sie in Rußland besteht; aber wir sind ihr mit
Leib und Seele entgegen; und wenn unser Vaterland dereinst wieder
frei wird, so seien Sie versichert, daß kein Schatten von Sklaverei
darin zurückbleiben soll. Fluchen sie daher und bemitleiden sie uns,
da wir eine so verzweifelte Lage zwischen russischen Bayonneten und
Sibirien auf der einen Seite, und dem Hasse unserer Leibeigenen auf
der andern Seite haben.“

Nach diesen Worten stürzte Leon, ohne auf eine Antwort zu
warten, aus dem Zimmer. Die Thüre schloß sich hinter ihm. Gio-
vanna lauschte dem Schall seiner eiligen Schritte, bis er in der
Straße erstarb. Sie wäre ihm gerne nachgelaufen, aber sie wagte
es nicht. Sie stürzte nach dem Fenstern. Roscynsky's Wagen rollte
rasch davon, und vergebens rief sie ihm nach: „Jch liebe Dich, Leon;
ich habe Dich ja immer geliebt!“

Jhre Qual war unerträglich. Sie zu erleichtern eilte sie an
ihren Schreibtisch und schrieb nachstehende Worte: „Theuerster Leon,
verzeihen sie mir; lassen Sie die Vergangenheit auf ewig vergessen
sein. Kehren Sie zu Jhrer Anielka zurück. Sie war immer die
Jhrige und wird es ewig sein!“

Sie sandte den Boten ab. Kam er wohl zu spät? Oder würde
er ihn zurückbringen? Jn der Hoffnung des letzteren zog sie sich in
ihr Zimmer zurück, um einen kleinen Plan auszuführen.

Leon war in Verzweiflung. Er sah ein, daß er zu vorschnell
gewesen, da er zu bald nach der Kunde von dem Tode seiner Frau
seine Liebe erklärt hatte, und gelobte Anielka mehrere Monate lang
nicht mehr zu sehen. Seine Aufregung zu besänftigen, war er einige
Meilen weit in das Land hinaus geritten. Als er nach ein paar
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wildesten Entzücken, das die Worte in seine Seele gegossen, flog er
zu ihr zurück.

Als er ihren Salon erreichte, schien ein neuer und schrecklicher
Wechsel der Dinge Spott mit seiner Leidenschaft treiben zu wollen
— Anielka war nirgends zu finden. War die italiensche Sängerin
entflohen?

Von Neuem gerieth er in Verzweiflung, [unleserliches Material – 2 Zeichen fehlen]ja er war wie ver-
steinert über diese Enttäuschung. Wie er noch im Zweifel, was jetzt
zu beginnen, da stand, hörte er in der Entfernung ein Ave Maria.
Er glaubte diese Töne wieder zu erkennen. Ein Heer von Erinner-
rungen schwamm auf ihnen heran: eine weinende Leibeigene, der Garten
seines Heimathschlosses! Von einem neuen Entzücken erfaßt, folgte er
der Stimme. Er spürte ihr nach bis in ein inneres Zimmer, wo er
endlich die liebliche Sängerin fand, wie sie im Kostüme einer polni-
schen Leibeigenen auf den Knieen lag und sang. Sie erhob sich,
grüßte Leon mit einem rührenden Lächeln und trat ihm mit ernster
[Spaltenumbruch] Schüchternheit entgegen. Leon breitete seine Arme aus; sie sank an
seine Brust; und in dieser Liebesumarmung waren alle vergangenen
Leiden, war alles erduldete Unrecht vergessen! Anielka zog eine kleine
Börse aus ihrem Busen und nahm ein Silberstück daraus hervor.
Es war der Rubel. Jetzt lächelte Leon nicht mehr darüber. Er be-
griff die Heiligkeit dieser kleinen Gabe; und Thränen der Reue fielen
auf Anielka's Hand.

Wenige Monde später schrieb Leon an den Hausmeister von
Olgorod, er solle die glänzendsten Vorkehrungen für den Empfang
seines zweiten Weibes treffen. Er schloß seinen Brief mit den Worten:
„Jch höre, daß sich in dem Kerker unterhalb meines Schlosses einige
Unglückliche befinden sollen, die zu Lebzeiten meines Vaters dort ein-
gekerkert wurden. Setzen Sie sie augenblicklich in Freiheit. Dieß
soll meine erste Handlung des Dankes gegen Gott sein, der mich so
unendlich beglückt hat!“

Anielka sehnte sich heftig, ihren Geburtsort recht bald wieder
zu sehen. Gleich nach der Trauung verließen sie Wien, obschon es
noch Mitte Januars war.

Es wur bereits ganz dunkel, als der Wagen mit seinen vier
Pferden vor dem Schloßthore von Olgorod anhielt. Während ein
Diener die Wagenthüre auf der einen Seite öffnete, erschien auf der
andern, wo Anielka saß, ein Bettler, der um Almosen bat. Glücklich
darüber, gleich beim Betreten ihrer neuen Heimath eine gute Hand-
lung thun zu können, gab sie ihm etwas Geld; aber statt dafür zu
danken, erwiderte der Mann ihre Güte mit einem wilden Gelächter,
und unter seinen schattigen dicken Brauen hervor schoß ein Blick der
rohesten Wildheit. Dieser seltsame Vorfall machte einen schmerzlichen
Eindruck auf Anielka und trübte ihr Glück. Leon besänftigte und
beruhigte sie. Jn den Armen des geliebten Gatten vergaß sie Alles,
nur die Seligkeit nicht, sich als das Jdol seiner Zärtlichkeit zu wissen.
Auf die Anstrengung und Aufregung von der Reise her kam ihnen
die Nachtruhe höchst erwünscht. Alles lag in Schweigen und Dunkel
um das Schloß her und bereits war die Nacht um einige Stunden
vorgerückt, als plötzlich aus verschiedenen Theilen des Gebäudes zu
gleicher Zeit Flammen hervorschlugen. Das Schloß war von einem
Feuermeer umgeben, das furchtbare Wogen schlug. Jmmer höher
und höher stiegen die Flammen, die Fenster barsten mit einem schreck-
lichen Knall und der Rauch drang nach den entferntesten Gemächern.

Die einsame Gestalt eines Mannes schlich über den Schnee
hin, der wie ein Grabtuch über der öden Wüste lag, seine vorsichti-
gen Schritte tönten auf dem gefrornen Schnee, der unter seinem Auf-
treten knisterte. Er war der Bettler, der Anielka angesprochen hatte.
Auf einem nahen Hügel wendete er sich um und schaute nach der
schrecklichen Scene. „Jetzt werden keine Unglücklichen mehr ihr Leben
in euern Kerkern hinschmachten müssen,“ rief er. „Daß ich meinen
Herrn an die Niedrigkeit seiner Geburt ertnnerte! Darum rissen sie
sie mich von meinem einzigen Kinde weg, von meiner lieben kleinen
Anielka; sie hatten kein Mitleid mit ihrem verwaisten Zustande.
Mögen sie Alle zu Grunde gehen!“

Plötzlich stürzt ein schönes junges Weib in wilder Flucht nach
einem der Hauptfenster, sie macht eine heftige Anstrengung, sich
zu retten. Einen Augenblick lang hebt sich ihre liebliche Gestalt, von
einem weißen Gewande umhüllt, in furchtbarem Relief von dem Hin-
tergrunde der flammenden Vorhänge und Wände ab, und versinkt
dann plötzlich in dem rasenden Element. Hinter ihr erscheint noch
eine Gestalt, die sich vergebens müht, ihr zu helfen — auch sie geht
zu Grunde; keine Spur mehr von Beiden ist zu sehen!

Dieses erschütternde Trauerspiel entsetzt selbst den Urheber des
Verbrechens. Er stürzt von der Stätte hinweg, und wie er das
Krachen der fallenden Wände vernimmt, verschließt er die Ohren
mit den Händen, und eilt rascher und rascher davon.

Am andern Tage fanden die Bauern den Leichnam eines er-
frorenen Mannes, der auf einem Schneehaufen lag — es war der
unglückliche Brandstifter. Die Vorsehung, seine lange Haft, seine
grausamen Leiden erwägend, ersparte ihm den Jammer zu erfahren,
daß die Herrin des Schlosses, das er zerstört, und die selbst in den
Flammen zu Grunde gegangen war, Niemand anders gewesen sei,
als seine eigene geliebte Tochter — die Leibeigene von Poberez!



[Ende Spaltensatz]
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[0002] seiner Gemahlin, die in den Bädern gestorben war. Der Brief war diesen Morgen erst angelangt. „Sie haben keine Zeit verloren,“ sprach die Sängerin, und be- mühte sich, ihre Gefühle unter der Masse ironischen Vorwurfes zu verbergen. Es entstand eine Pause. Keines wagte zu sprechen. Der Graf wußte — konnte aber nicht recht in Wirklichkeit glauben, was so unglaublich schien — daß Anielka und Giovanna eine und dieselbe Person — seine Leibeigene sei. Diese schreckliche Verwandtschaft machte ihn bestürzt. Auch Anielka vermochte ihre Rolle nicht weiter zu spielen. Die lang gehegte Zärtlichkeit, die getreue Liebe ihres gan- zen Lebens ließ sich nicht mehr ganz meistern. Bis dahin hatten sie italienisch gesprochen. Jetzt sprach sie auf polnisch: „Herr von Ros- cynsky, Sie haben ein Recht auf die arme Anielka, die in Florenz aus Jhren Dienst lief; Sie können sie in Jhr Schloß zurücknöthigen sie zu den niedrigsten Arbeiten verdammen, aber....“ „Schonen Sie meiner!“ rief Leon. „Aber,“ fuhr die Leibeigene von Poberez mit fester Stimme fort, „Sie können mich nicht zwingen, Sie zu lieben!“ „Verhöhnen, quälen Sie mich nicht länger; Sie sind genugsam gerächt. Jch will Sie nicht durch Drängen verletzen. Sie müssen nuch ja hassen! Aber erinnern sie sich, daß wir Polen unsere Leibei- genen die Freiheit schenken wollten, und daß dies eben der Grund war, warum fremde Mächte in unser Land einfielen und es zerstückel- ten. Darum müssen wir fortwährend die Leibeigenschaft auf gleiche Weise erhalten, wie sie in Rußland besteht; aber wir sind ihr mit Leib und Seele entgegen; und wenn unser Vaterland dereinst wieder frei wird, so seien Sie versichert, daß kein Schatten von Sklaverei darin zurückbleiben soll. Fluchen sie daher und bemitleiden sie uns, da wir eine so verzweifelte Lage zwischen russischen Bayonneten und Sibirien auf der einen Seite, und dem Hasse unserer Leibeigenen auf der andern Seite haben.“ Nach diesen Worten stürzte Leon, ohne auf eine Antwort zu warten, aus dem Zimmer. Die Thüre schloß sich hinter ihm. Gio- vanna lauschte dem Schall seiner eiligen Schritte, bis er in der Straße erstarb. Sie wäre ihm gerne nachgelaufen, aber sie wagte es nicht. Sie stürzte nach dem Fenstern. Roscynsky's Wagen rollte rasch davon, und vergebens rief sie ihm nach: „Jch liebe Dich, Leon; ich habe Dich ja immer geliebt!“ Jhre Qual war unerträglich. Sie zu erleichtern eilte sie an ihren Schreibtisch und schrieb nachstehende Worte: „Theuerster Leon, verzeihen sie mir; lassen Sie die Vergangenheit auf ewig vergessen sein. Kehren Sie zu Jhrer Anielka zurück. Sie war immer die Jhrige und wird es ewig sein!“ Sie sandte den Boten ab. Kam er wohl zu spät? Oder würde er ihn zurückbringen? Jn der Hoffnung des letzteren zog sie sich in ihr Zimmer zurück, um einen kleinen Plan auszuführen. Leon war in Verzweiflung. Er sah ein, daß er zu vorschnell gewesen, da er zu bald nach der Kunde von dem Tode seiner Frau seine Liebe erklärt hatte, und gelobte Anielka mehrere Monate lang nicht mehr zu sehen. Seine Aufregung zu besänftigen, war er einige Meilen weit in das Land hinaus geritten. Als er nach ein paar Stunden in sein Hotel zurückkam, fand er ihr Billet. Mit dem wildesten Entzücken, das die Worte in seine Seele gegossen, flog er zu ihr zurück. Als er ihren Salon erreichte, schien ein neuer und schrecklicher Wechsel der Dinge Spott mit seiner Leidenschaft treiben zu wollen — Anielka war nirgends zu finden. War die italiensche Sängerin entflohen? Von Neuem gerieth er in Verzweiflung, __ja er war wie ver- steinert über diese Enttäuschung. Wie er noch im Zweifel, was jetzt zu beginnen, da stand, hörte er in der Entfernung ein Ave Maria. Er glaubte diese Töne wieder zu erkennen. Ein Heer von Erinner- rungen schwamm auf ihnen heran: eine weinende Leibeigene, der Garten seines Heimathschlosses! Von einem neuen Entzücken erfaßt, folgte er der Stimme. Er spürte ihr nach bis in ein inneres Zimmer, wo er endlich die liebliche Sängerin fand, wie sie im Kostüme einer polni- schen Leibeigenen auf den Knieen lag und sang. Sie erhob sich, grüßte Leon mit einem rührenden Lächeln und trat ihm mit ernster Schüchternheit entgegen. Leon breitete seine Arme aus; sie sank an seine Brust; und in dieser Liebesumarmung waren alle vergangenen Leiden, war alles erduldete Unrecht vergessen! Anielka zog eine kleine Börse aus ihrem Busen und nahm ein Silberstück daraus hervor. Es war der Rubel. Jetzt lächelte Leon nicht mehr darüber. Er be- griff die Heiligkeit dieser kleinen Gabe; und Thränen der Reue fielen auf Anielka's Hand. Wenige Monde später schrieb Leon an den Hausmeister von Olgorod, er solle die glänzendsten Vorkehrungen für den Empfang seines zweiten Weibes treffen. Er schloß seinen Brief mit den Worten: „Jch höre, daß sich in dem Kerker unterhalb meines Schlosses einige Unglückliche befinden sollen, die zu Lebzeiten meines Vaters dort ein- gekerkert wurden. Setzen Sie sie augenblicklich in Freiheit. Dieß soll meine erste Handlung des Dankes gegen Gott sein, der mich so unendlich beglückt hat!“ Anielka sehnte sich heftig, ihren Geburtsort recht bald wieder zu sehen. Gleich nach der Trauung verließen sie Wien, obschon es noch Mitte Januars war. Es wur bereits ganz dunkel, als der Wagen mit seinen vier Pferden vor dem Schloßthore von Olgorod anhielt. Während ein Diener die Wagenthüre auf der einen Seite öffnete, erschien auf der andern, wo Anielka saß, ein Bettler, der um Almosen bat. Glücklich darüber, gleich beim Betreten ihrer neuen Heimath eine gute Hand- lung thun zu können, gab sie ihm etwas Geld; aber statt dafür zu danken, erwiderte der Mann ihre Güte mit einem wilden Gelächter, und unter seinen schattigen dicken Brauen hervor schoß ein Blick der rohesten Wildheit. Dieser seltsame Vorfall machte einen schmerzlichen Eindruck auf Anielka und trübte ihr Glück. Leon besänftigte und beruhigte sie. Jn den Armen des geliebten Gatten vergaß sie Alles, nur die Seligkeit nicht, sich als das Jdol seiner Zärtlichkeit zu wissen. Auf die Anstrengung und Aufregung von der Reise her kam ihnen die Nachtruhe höchst erwünscht. Alles lag in Schweigen und Dunkel um das Schloß her und bereits war die Nacht um einige Stunden vorgerückt, als plötzlich aus verschiedenen Theilen des Gebäudes zu gleicher Zeit Flammen hervorschlugen. Das Schloß war von einem Feuermeer umgeben, das furchtbare Wogen schlug. Jmmer höher und höher stiegen die Flammen, die Fenster barsten mit einem schreck- lichen Knall und der Rauch drang nach den entferntesten Gemächern. Die einsame Gestalt eines Mannes schlich über den Schnee hin, der wie ein Grabtuch über der öden Wüste lag, seine vorsichti- gen Schritte tönten auf dem gefrornen Schnee, der unter seinem Auf- treten knisterte. Er war der Bettler, der Anielka angesprochen hatte. Auf einem nahen Hügel wendete er sich um und schaute nach der schrecklichen Scene. „Jetzt werden keine Unglücklichen mehr ihr Leben in euern Kerkern hinschmachten müssen,“ rief er. „Daß ich meinen Herrn an die Niedrigkeit seiner Geburt ertnnerte! Darum rissen sie sie mich von meinem einzigen Kinde weg, von meiner lieben kleinen Anielka; sie hatten kein Mitleid mit ihrem verwaisten Zustande. Mögen sie Alle zu Grunde gehen!“ Plötzlich stürzt ein schönes junges Weib in wilder Flucht nach einem der Hauptfenster, sie macht eine heftige Anstrengung, sich zu retten. Einen Augenblick lang hebt sich ihre liebliche Gestalt, von einem weißen Gewande umhüllt, in furchtbarem Relief von dem Hin- tergrunde der flammenden Vorhänge und Wände ab, und versinkt dann plötzlich in dem rasenden Element. Hinter ihr erscheint noch eine Gestalt, die sich vergebens müht, ihr zu helfen — auch sie geht zu Grunde; keine Spur mehr von Beiden ist zu sehen! Dieses erschütternde Trauerspiel entsetzt selbst den Urheber des Verbrechens. Er stürzt von der Stätte hinweg, und wie er das Krachen der fallenden Wände vernimmt, verschließt er die Ohren mit den Händen, und eilt rascher und rascher davon. Am andern Tage fanden die Bauern den Leichnam eines er- frorenen Mannes, der auf einem Schneehaufen lag — es war der unglückliche Brandstifter. Die Vorsehung, seine lange Haft, seine grausamen Leiden erwägend, ersparte ihm den Jammer zu erfahren, daß die Herrin des Schlosses, das er zerstört, und die selbst in den Flammen zu Grunde gegangen war, Niemand anders gewesen sei, als seine eigene geliebte Tochter — die Leibeigene von Poberez!

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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Jahrgang 4, Nr. 74. Hattingen, 14. September 1852, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische074_1852/2>, abgerufen am 01.06.2024.