Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mainzer Journal. Nr. 10. Mainz, 25. Juni 1848.

Bild:
erste Seite
Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 10. Sonntag, den 25. Juni. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die absolute Demokratie und die Geschichte.

Mainz 23. Juni. Das, worauf eine durch Zahl ansehn-
liche und durch ihre Talente und ihre Energie kräftige Partei
lossteuert, ist die absolute Demokratie und eine einige und untheil-
bare Republik für ganz Deutschland. Hierin allein, glauben
jene Männer, könne die Freiheit vollständig verwirklicht und die
Größe Deutschlands nach Außen begründet werden. Was das
letztere betrifft, so würde in der That vielleicht Deutschland in
der gewaltigen Aufregung, in welche es dadurch sich versetzt
fände, eine ähnliche Kraft nach Außen entwickeln, wie das re-
publikanische Frankreich am Ende des vorigen und am Anfange
dieses Jahrhunderts. Was aber das Eude der einigen absolut
demokratischen deutschen Republik seyn würde, darüber mag die
Geschichte uns belehren. Bei den Männern freilich, die man
die Männer des " blinden " Fortschritts nennen könnte, weil
sie gleichsam mit verbundenen Augen voranstürmen, ohne rück-
wärts, ohne rechts oder links zu sehen, ja ohne auch nur in der
Zukunft ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben, bei diesen ist es
freilich Losung geworden, die Geschichte zu verachten, um ihre
Erfahrungen sich nicht zu kümmern, alles Vergangene als schlecht-
hin todt und der Beachtung unwürdig anzusehen. Diesen hat
neulich, wenn wir nicht irren, Grimm in der Nationalver-
sammlung zugerufen: Jhr, die ihr die Vergangenheit
verachtet, werdet auch keine Zukunft haben.

Wenn wir aber auf die Geschichte, die große Lehrerin aller
politischen und socialen Weisheit merken, so stellen sich uns zwei
unwiderlegliche Thatsachen vor Augen: 1 ) daß in der ganzen
Weltgeschichte ein solche einige untheilbare und absolut demokra-
tische Republik nie auch nur ein Menschenalter lang bestanden hat,
und 2 ) daß, wo sie eine solche kurze Zeit bestand, sie stets der
Uebergang zur Despotie gewesen ist. Das Alterthum zeigt uns
die kleinen griechischen Freistaaten und die große römische Repu-
blike waren aber wesentlich Stadtrepubliken, freie
Städte.
Antheil an der Freiheit und der Staatsgewalt hatten
nur die freien Stadtbürger, wozu höchstens eine verhältniß-
mäßig geringe Anzahl Landbewohner hinzukam. Wohl herrschte
die römische Republik in drei Welttheilen, aber das souveraine
Volk waren einzig und allein die Bürger der Stadt Rom, die
übrigen Bewohner des ungeheuren römischen Reiches waren
Unterthanen, abhängiger und unterthäniger als die Unter-
thanen des russischen Kaisers, waren Unterthanen der Stadt
Rom. Nur eine Anzahl Städte waren Bundesgenossen und hat-
ten eine relative Freiheit. Als die Bundesgenossen das Bürger-
recht bekamen, war die Republik bereits im Untergang begriffen,
und als dasselbe allen Bewohnern des römischen Reichs zu Theil
wurde, hatte es keinen Werth mehr, denn es geschah durch den
Tyrannen Caracalla, der dadurch einen Finanzvortheil beabsich-
tigte. Aber noch mehr: im ganzen Alterthum, in den griechischen
Republiken, wie in Rom war die Mehrzahl der Menschen nicht
blos Unterthan, sondern sie waren unfrei, Sklaven, alle
jene jetzt so wichtigen und ehrenwerthen Menschenklassen, welche
Handwerk, Gewerbe und Ackerbau treiben, und noch vielmehr
die, welche niedere Dienste verrichteten, gehörten dem Sklaven-
stand an.

Also das Alterthum kennt keine Republiken, wie ein republi-
kanisches Frankreich, wie ein republikanisches einiges und un-
theilbares Deutschland wäre, Republiken, die über ungeheure
Länderstrecken sich ausdehnen, viele Millionen souveräner Bürger
in sich befassen. Aber es hat auch in dem Alterthum nie eine abso-
lute Demokratie
bestanden, es sey denn als Uebergang zur
Despotie. Eine absolute Demokratie ist aber da vorhanden, wo
[Spaltenumbruch] alle Gewalt in der Weise in den Händen des Volkes liegt, daß
dasselbe rein nach der Kopfzahl alles entscheidet und regiert oder
durch eine Versammlung, die es durch eine ebenso nach der Kopf-
zahl berechnete Majorität gewählt hat, beschließen und regieren
läßt, so zwar, daß die von der Majorität gefaßten Beschlüsse
das einzige und höchste Gesetz sind. Dieses ist jener maje-
stätische, unumschränkte, allmächtige Volkswille, der Wille der
40 Millionen, von denen Hecker in seinem Manifest an das
Parlament mit einer Art abgöttischer Schwärmerei spricht. Eine
solche absolute Demokratie aber, sagen wir, hat nie auf die Dauer
bestanden. Jn allen antiken Republiken war in einem Senat,
mochte er heißen wie immer, in alten adeligen Geschlechtern ein
höchst zähes, tief in die Geschichte und das Leben verwachsenes
conservatives und aristokratisches Element vorhanden, das dem
leicht beweglichen und fluthenden Willen der Menge gegenüber
die Wage hielt. Außerdem waren die Magistrate, die Consuln,
Prätoren des alten Roms nichts weniger als bloße Beamten, son-
dern sie hatten eine selbstständige, sehr ausgedehnte Macht. So
lange nun in den alten Republiken das aristokratisch=conservative
und das demokratisch=progressistische Element, in vielfachen gegen-
seitigen Widerstreit, einander das Gleichgewicht hielt, bestand und
blühte die Republik; sobald aber, um bei den römischen Namen
und Begriffen, als den bekannteren stehen zu bleiben, das Patri-
ciat aufgerieben und damit der eigenthümliche Charakter des Se-
nates vernichtet; sobald die absolute Demokratie eingetreten war,
war auch die Republik reif geworden unter die Gewalt eines
Despoten zu treten. Dieser Proceß ging in Griechenland rasch
vor sich; kaum hatte die Demokratie alles an sich gerissen und herrschte
die vollkommenste Gleichheit und Freiheit, als das griechische
Volk unter die Herrschaft der macedonischen Könige kam. Jn
Rom dauerte der Kampf zwischen den Patriciern und Plebejern
Jahrhunderte lang; kaum aber hatte er mit dem gänzlichen
Siege der absoluten Demokratie geendet, als Cäsar und Octa-
vian der Republik ein Ende machte und das souveräne Volk
in eine willenlose Heerde sich verwandelte. Das Mittelalter
ist reich an Republiken, aber es sind überall freie Städte mit klei-
nen Territorien, und nur da, wo neben dem demokratisch=beweg-
lichen auch ein aristokratisch=conservatives Element sich fand, hatte
die Republik Bestand und Dauer; Venedig ist Zeuge dafür.

Endlich nach Jahrtausenden wurde der Versuch gemacht, ein
großes Land, Frankreich, in eine absolut demokratische einige
und untheilbare Republik umzugestalten. Ströme Blutes wurden
vergossen, das Uebermenschliche und Unmenschliche gewagt, aber
alles hatte nur den Erfolg, dem neuen Cäsar Napoleon eine
Stätte zu bereiten. All diesen so höchst traurigen Erfahrungen
scheint nur Ein Beispiel entgegenzustehen -- Nordamerika.
Hier ist eine Republik und ein großes Land, hier herrscht das
demokratische Princip in weitester Ausdehnung, und die Republik
steht nicht nur ( denn das hieße nicht viel ) bereits 70 Jahre, son-
dern sie verspricht auch noch eine lange, lange Dauer. Allein,
wenn man Amerika als ein Argument für eine große und einige
absolut demokratische Republik nach dem Schnitt der ersten fran-
zösischen Republik anführen will, so kann solches nur aus einer
auf einer ganz falschen und oberflächlichen Ansicht von den ame-
rikanischen Verhältnissen beruhen. Amerika ist nicht blos eine
Föderativrepublik, -- sondern vermöge des in einem früheren Arti-
kel unseres Blattes dargestellten Grundsatzes des Celf-govern-
ment
, der Selbstregierung, ist daselbst die öffentliche Gewalt
und die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten im diame-
tralen Gegensatze zu der Centralisation der einigen und untheil-
baren französischen Republik unendlich getheilt, so daß jede Ge-
meinde gleichsam eine selbstständige Republik für sich bildet.
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 10. Sonntag, den 25. Juni. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die absolute Demokratie und die Geschichte.

Ɉ Mainz 23. Juni. Das, worauf eine durch Zahl ansehn-
liche und durch ihre Talente und ihre Energie kräftige Partei
lossteuert, ist die absolute Demokratie und eine einige und untheil-
bare Republik für ganz Deutschland. Hierin allein, glauben
jene Männer, könne die Freiheit vollständig verwirklicht und die
Größe Deutschlands nach Außen begründet werden. Was das
letztere betrifft, so würde in der That vielleicht Deutschland in
der gewaltigen Aufregung, in welche es dadurch sich versetzt
fände, eine ähnliche Kraft nach Außen entwickeln, wie das re-
publikanische Frankreich am Ende des vorigen und am Anfange
dieses Jahrhunderts. Was aber das Eude der einigen absolut
demokratischen deutschen Republik seyn würde, darüber mag die
Geschichte uns belehren. Bei den Männern freilich, die man
die Männer des „ blinden “ Fortschritts nennen könnte, weil
sie gleichsam mit verbundenen Augen voranstürmen, ohne rück-
wärts, ohne rechts oder links zu sehen, ja ohne auch nur in der
Zukunft ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben, bei diesen ist es
freilich Losung geworden, die Geschichte zu verachten, um ihre
Erfahrungen sich nicht zu kümmern, alles Vergangene als schlecht-
hin todt und der Beachtung unwürdig anzusehen. Diesen hat
neulich, wenn wir nicht irren, Grimm in der Nationalver-
sammlung zugerufen: Jhr, die ihr die Vergangenheit
verachtet, werdet auch keine Zukunft haben.

Wenn wir aber auf die Geschichte, die große Lehrerin aller
politischen und socialen Weisheit merken, so stellen sich uns zwei
unwiderlegliche Thatsachen vor Augen: 1 ) daß in der ganzen
Weltgeschichte ein solche einige untheilbare und absolut demokra-
tische Republik nie auch nur ein Menschenalter lang bestanden hat,
und 2 ) daß, wo sie eine solche kurze Zeit bestand, sie stets der
Uebergang zur Despotie gewesen ist. Das Alterthum zeigt uns
die kleinen griechischen Freistaaten und die große römische Repu-
blike waren aber wesentlich Stadtrepubliken, freie
Städte.
Antheil an der Freiheit und der Staatsgewalt hatten
nur die freien Stadtbürger, wozu höchstens eine verhältniß-
mäßig geringe Anzahl Landbewohner hinzukam. Wohl herrschte
die römische Republik in drei Welttheilen, aber das souveraine
Volk waren einzig und allein die Bürger der Stadt Rom, die
übrigen Bewohner des ungeheuren römischen Reiches waren
Unterthanen, abhängiger und unterthäniger als die Unter-
thanen des russischen Kaisers, waren Unterthanen der Stadt
Rom. Nur eine Anzahl Städte waren Bundesgenossen und hat-
ten eine relative Freiheit. Als die Bundesgenossen das Bürger-
recht bekamen, war die Republik bereits im Untergang begriffen,
und als dasselbe allen Bewohnern des römischen Reichs zu Theil
wurde, hatte es keinen Werth mehr, denn es geschah durch den
Tyrannen Caracalla, der dadurch einen Finanzvortheil beabsich-
tigte. Aber noch mehr: im ganzen Alterthum, in den griechischen
Republiken, wie in Rom war die Mehrzahl der Menschen nicht
blos Unterthan, sondern sie waren unfrei, Sklaven, alle
jene jetzt so wichtigen und ehrenwerthen Menschenklassen, welche
Handwerk, Gewerbe und Ackerbau treiben, und noch vielmehr
die, welche niedere Dienste verrichteten, gehörten dem Sklaven-
stand an.

Also das Alterthum kennt keine Republiken, wie ein republi-
kanisches Frankreich, wie ein republikanisches einiges und un-
theilbares Deutschland wäre, Republiken, die über ungeheure
Länderstrecken sich ausdehnen, viele Millionen souveräner Bürger
in sich befassen. Aber es hat auch in dem Alterthum nie eine abso-
lute Demokratie
bestanden, es sey denn als Uebergang zur
Despotie. Eine absolute Demokratie ist aber da vorhanden, wo
[Spaltenumbruch] alle Gewalt in der Weise in den Händen des Volkes liegt, daß
dasselbe rein nach der Kopfzahl alles entscheidet und regiert oder
durch eine Versammlung, die es durch eine ebenso nach der Kopf-
zahl berechnete Majorität gewählt hat, beschließen und regieren
läßt, so zwar, daß die von der Majorität gefaßten Beschlüsse
das einzige und höchste Gesetz sind. Dieses ist jener maje-
stätische, unumschränkte, allmächtige Volkswille, der Wille der
40 Millionen, von denen Hecker in seinem Manifest an das
Parlament mit einer Art abgöttischer Schwärmerei spricht. Eine
solche absolute Demokratie aber, sagen wir, hat nie auf die Dauer
bestanden. Jn allen antiken Republiken war in einem Senat,
mochte er heißen wie immer, in alten adeligen Geschlechtern ein
höchst zähes, tief in die Geschichte und das Leben verwachsenes
conservatives und aristokratisches Element vorhanden, das dem
leicht beweglichen und fluthenden Willen der Menge gegenüber
die Wage hielt. Außerdem waren die Magistrate, die Consuln,
Prätoren des alten Roms nichts weniger als bloße Beamten, son-
dern sie hatten eine selbstständige, sehr ausgedehnte Macht. So
lange nun in den alten Republiken das aristokratisch=conservative
und das demokratisch=progressistische Element, in vielfachen gegen-
seitigen Widerstreit, einander das Gleichgewicht hielt, bestand und
blühte die Republik; sobald aber, um bei den römischen Namen
und Begriffen, als den bekannteren stehen zu bleiben, das Patri-
ciat aufgerieben und damit der eigenthümliche Charakter des Se-
nates vernichtet; sobald die absolute Demokratie eingetreten war,
war auch die Republik reif geworden unter die Gewalt eines
Despoten zu treten. Dieser Proceß ging in Griechenland rasch
vor sich; kaum hatte die Demokratie alles an sich gerissen und herrschte
die vollkommenste Gleichheit und Freiheit, als das griechische
Volk unter die Herrschaft der macedonischen Könige kam. Jn
Rom dauerte der Kampf zwischen den Patriciern und Plebejern
Jahrhunderte lang; kaum aber hatte er mit dem gänzlichen
Siege der absoluten Demokratie geendet, als Cäsar und Octa-
vian der Republik ein Ende machte und das souveräne Volk
in eine willenlose Heerde sich verwandelte. Das Mittelalter
ist reich an Republiken, aber es sind überall freie Städte mit klei-
nen Territorien, und nur da, wo neben dem demokratisch=beweg-
lichen auch ein aristokratisch=conservatives Element sich fand, hatte
die Republik Bestand und Dauer; Venedig ist Zeuge dafür.

Endlich nach Jahrtausenden wurde der Versuch gemacht, ein
großes Land, Frankreich, in eine absolut demokratische einige
und untheilbare Republik umzugestalten. Ströme Blutes wurden
vergossen, das Uebermenschliche und Unmenschliche gewagt, aber
alles hatte nur den Erfolg, dem neuen Cäsar Napoleon eine
Stätte zu bereiten. All diesen so höchst traurigen Erfahrungen
scheint nur Ein Beispiel entgegenzustehen — Nordamerika.
Hier ist eine Republik und ein großes Land, hier herrscht das
demokratische Princip in weitester Ausdehnung, und die Republik
steht nicht nur ( denn das hieße nicht viel ) bereits 70 Jahre, son-
dern sie verspricht auch noch eine lange, lange Dauer. Allein,
wenn man Amerika als ein Argument für eine große und einige
absolut demokratische Republik nach dem Schnitt der ersten fran-
zösischen Republik anführen will, so kann solches nur aus einer
auf einer ganz falschen und oberflächlichen Ansicht von den ame-
rikanischen Verhältnissen beruhen. Amerika ist nicht blos eine
Föderativrepublik, — sondern vermöge des in einem früheren Arti-
kel unseres Blattes dargestellten Grundsatzes des Celf-govern-
ment
, der Selbstregierung, ist daselbst die öffentliche Gewalt
und die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten im diame-
tralen Gegensatze zu der Centralisation der einigen und untheil-
baren französischen Republik unendlich getheilt, so daß jede Ge-
meinde gleichsam eine selbstständige Republik für sich bildet.
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0001"/>
      <titlePage xml:id="tb01" type="heading" next="#tb02">
        <docTitle>
          <titlePart type="main"> <hi rendition="#fr">Mainzer Journal.</hi> </titlePart>
        </docTitle>
      </titlePage><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jExpedition">
        <p>Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den &#x201E;Rheinischen Unterhaltungs-<lb/>
blättern &#x201C; schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;<lb/>
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von <hi rendition="#g">Kirchheim, Schott</hi> und <hi rendition="#g">Thielmann</hi> am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz<lb/>
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-<lb/>
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <titlePage xml:id="tb02" prev="#tb01" type="heading">
        <docImprint>N<hi rendition="#sup">ro</hi> 10.              <docDate><hi rendition="#c">Sonntag, den 25. Juni.</hi><hi rendition="#right">1848.</hi></docDate></docImprint>
      </titlePage><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </front>
    <body>
      <cb type="start"/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head>Die absolute Demokratie und die Geschichte.</head><lb/>
        <p>&#x0248; Mainz 23. Juni. Das, worauf eine durch Zahl ansehn-<lb/>
liche und durch ihre Talente und ihre Energie kräftige Partei<lb/>
lossteuert, ist die absolute Demokratie und eine einige und untheil-<lb/>
bare Republik für ganz Deutschland. Hierin allein, glauben<lb/>
jene Männer, könne die Freiheit vollständig verwirklicht und die<lb/>
Größe Deutschlands nach Außen begründet werden. Was das<lb/>
letztere betrifft, so würde in der That vielleicht Deutschland in<lb/>
der gewaltigen Aufregung, in welche es dadurch sich versetzt<lb/>
fände, eine ähnliche Kraft nach Außen entwickeln, wie das re-<lb/>
publikanische Frankreich am Ende des vorigen und am Anfange<lb/>
dieses Jahrhunderts. Was aber das Eude der einigen absolut<lb/>
demokratischen deutschen Republik seyn würde, darüber mag die<lb/>
Geschichte uns belehren. Bei den Männern freilich, die man<lb/>
die Männer des &#x201E; <hi rendition="#g">blinden</hi> &#x201C; Fortschritts nennen könnte, weil<lb/>
sie gleichsam mit verbundenen Augen voranstürmen, ohne rück-<lb/>
wärts, ohne rechts oder links zu sehen, ja ohne auch nur in der<lb/>
Zukunft ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben, bei diesen ist es<lb/>
freilich Losung geworden, die Geschichte zu verachten, um ihre<lb/>
Erfahrungen sich nicht zu kümmern, alles Vergangene als schlecht-<lb/>
hin todt und der Beachtung unwürdig anzusehen. Diesen hat<lb/>
neulich, wenn wir nicht irren, <hi rendition="#g">Grimm</hi> in der Nationalver-<lb/>
sammlung zugerufen: <hi rendition="#g">Jhr, die ihr die Vergangenheit<lb/>
verachtet, werdet auch keine Zukunft haben.</hi> </p><lb/>
        <p>Wenn wir aber auf die Geschichte, die große Lehrerin aller<lb/>
politischen und socialen Weisheit merken, so stellen sich uns zwei<lb/>
unwiderlegliche Thatsachen vor Augen: 1 ) daß in der ganzen<lb/>
Weltgeschichte ein solche einige untheilbare und absolut demokra-<lb/>
tische Republik nie auch nur ein Menschenalter lang bestanden hat,<lb/>
und 2 ) daß, wo sie eine solche kurze Zeit bestand, sie stets der<lb/>
Uebergang zur Despotie gewesen ist. Das Alterthum zeigt uns<lb/>
die kleinen griechischen Freistaaten und die große römische Repu-<lb/>
blike waren aber wesentlich <hi rendition="#g">Stadtrepubliken, freie<lb/>
Städte.</hi> Antheil an der Freiheit und der Staatsgewalt hatten<lb/>
nur die freien <hi rendition="#g">Stadtbürger,</hi> wozu höchstens eine verhältniß-<lb/>
mäßig geringe Anzahl Landbewohner hinzukam. Wohl herrschte<lb/>
die römische Republik in drei Welttheilen, aber das souveraine<lb/>
Volk waren einzig und allein die Bürger der Stadt Rom, die<lb/>
übrigen Bewohner des ungeheuren römischen Reiches waren<lb/><hi rendition="#g">Unterthanen,</hi> abhängiger und unterthäniger als die Unter-<lb/>
thanen des russischen Kaisers, waren Unterthanen der Stadt<lb/>
Rom. Nur eine Anzahl Städte waren Bundesgenossen und hat-<lb/>
ten eine relative Freiheit. Als die Bundesgenossen das Bürger-<lb/>
recht bekamen, war die Republik bereits im Untergang begriffen,<lb/>
und als dasselbe allen Bewohnern des römischen Reichs zu Theil<lb/>
wurde, hatte es keinen Werth mehr, denn es geschah durch den<lb/>
Tyrannen Caracalla, der dadurch einen Finanzvortheil beabsich-<lb/>
tigte. Aber noch mehr: im ganzen Alterthum, in den griechischen<lb/>
Republiken, wie in Rom war die Mehrzahl der Menschen nicht<lb/>
blos Unterthan, sondern sie waren <hi rendition="#g">unfrei, Sklaven,</hi> alle<lb/>
jene jetzt so wichtigen und ehrenwerthen Menschenklassen, welche<lb/>
Handwerk, Gewerbe und Ackerbau treiben, und noch vielmehr<lb/>
die, welche niedere Dienste verrichteten, gehörten dem Sklaven-<lb/>
stand an.</p><lb/>
        <p>Also das Alterthum kennt keine Republiken, wie ein republi-<lb/>
kanisches Frankreich, wie ein republikanisches einiges und un-<lb/>
theilbares Deutschland wäre, Republiken, die über ungeheure<lb/>
Länderstrecken sich ausdehnen, viele Millionen souveräner Bürger<lb/>
in sich befassen. Aber es hat auch in dem Alterthum nie <hi rendition="#g">eine abso-<lb/>
lute Demokratie</hi> bestanden, es sey denn als Uebergang zur<lb/>
Despotie. Eine absolute Demokratie ist aber da vorhanden, wo<lb/><cb n="2"/>
alle Gewalt in der Weise in den Händen des Volkes liegt, daß<lb/>
dasselbe rein nach der Kopfzahl alles entscheidet und regiert oder<lb/>
durch eine Versammlung, die es durch eine ebenso nach der Kopf-<lb/>
zahl berechnete Majorität gewählt hat, beschließen und regieren<lb/>
läßt, so zwar, daß die von der Majorität gefaßten Beschlüsse<lb/><hi rendition="#g">das einzige und höchste Gesetz</hi> sind. Dieses ist jener maje-<lb/>
stätische, unumschränkte, allmächtige Volkswille, der Wille der<lb/>
40 Millionen, von denen <hi rendition="#g">Hecker</hi> in seinem Manifest an das<lb/>
Parlament mit einer Art abgöttischer Schwärmerei spricht. Eine<lb/>
solche absolute Demokratie aber, sagen wir, hat nie auf die Dauer<lb/>
bestanden. Jn allen antiken Republiken war in einem Senat,<lb/>
mochte er heißen wie immer, in alten adeligen Geschlechtern ein<lb/>
höchst zähes, tief in die Geschichte und das Leben verwachsenes<lb/>
conservatives und aristokratisches Element vorhanden, das dem<lb/>
leicht beweglichen und fluthenden Willen der Menge gegenüber<lb/>
die Wage hielt. Außerdem waren die Magistrate, die Consuln,<lb/>
Prätoren des alten Roms nichts weniger als bloße Beamten, son-<lb/>
dern sie hatten eine selbstständige, sehr ausgedehnte Macht. So<lb/>
lange nun in den alten Republiken das aristokratisch=conservative<lb/>
und das demokratisch=progressistische Element, in vielfachen gegen-<lb/>
seitigen Widerstreit, einander das Gleichgewicht hielt, bestand und<lb/>
blühte die Republik; sobald aber, um bei den römischen Namen<lb/>
und Begriffen, als den bekannteren stehen zu bleiben, das Patri-<lb/>
ciat aufgerieben und damit der eigenthümliche Charakter des Se-<lb/>
nates vernichtet; sobald die absolute Demokratie eingetreten war,<lb/>
war auch die Republik reif geworden unter die Gewalt eines<lb/>
Despoten zu treten. Dieser Proceß ging in Griechenland rasch<lb/>
vor sich; kaum hatte die Demokratie alles an sich gerissen und herrschte<lb/>
die vollkommenste Gleichheit und Freiheit, als das griechische<lb/>
Volk unter die Herrschaft der macedonischen Könige kam. Jn<lb/>
Rom dauerte der Kampf zwischen den Patriciern und Plebejern<lb/>
Jahrhunderte lang; kaum aber hatte er mit dem gänzlichen<lb/>
Siege der absoluten Demokratie geendet, als Cäsar und Octa-<lb/>
vian der Republik ein Ende machte und das souveräne Volk<lb/>
in eine willenlose Heerde sich verwandelte. Das Mittelalter<lb/>
ist reich an Republiken, aber es sind überall freie Städte mit klei-<lb/>
nen Territorien, und nur da, wo neben dem demokratisch=beweg-<lb/>
lichen auch ein aristokratisch=conservatives Element sich fand, hatte<lb/>
die Republik Bestand und Dauer; <hi rendition="#g">Venedig</hi> ist Zeuge dafür.</p><lb/>
        <p>Endlich nach Jahrtausenden wurde der Versuch gemacht, ein<lb/>
großes Land, Frankreich, in eine absolut demokratische einige<lb/>
und untheilbare Republik umzugestalten. Ströme Blutes wurden<lb/>
vergossen, das Uebermenschliche und Unmenschliche gewagt, aber<lb/>
alles hatte nur den Erfolg, dem neuen Cäsar Napoleon eine<lb/>
Stätte zu bereiten. All diesen so höchst traurigen Erfahrungen<lb/>
scheint nur Ein Beispiel entgegenzustehen &#x2014; <hi rendition="#g">Nordamerika.</hi><lb/>
Hier ist eine Republik und ein großes Land, hier herrscht das<lb/>
demokratische Princip in weitester Ausdehnung, und die Republik<lb/>
steht nicht nur ( denn das hieße nicht viel ) bereits 70 Jahre, son-<lb/>
dern sie verspricht auch noch eine lange, lange Dauer. Allein,<lb/>
wenn man Amerika als ein Argument für eine große und einige<lb/>
absolut demokratische Republik nach dem Schnitt der ersten fran-<lb/>
zösischen Republik anführen will, so kann solches nur aus einer<lb/>
auf einer ganz falschen und oberflächlichen Ansicht von den ame-<lb/>
rikanischen Verhältnissen beruhen. Amerika ist nicht blos eine<lb/>
Föderativrepublik, &#x2014; sondern vermöge des in einem früheren Arti-<lb/>
kel unseres Blattes dargestellten Grundsatzes des <hi rendition="#aq">Celf-govern-<lb/>
ment</hi>, der Selbstregierung, ist daselbst die öffentliche Gewalt<lb/>
und die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten im diame-<lb/>
tralen Gegensatze zu der Centralisation der einigen und untheil-<lb/>
baren französischen Republik unendlich getheilt, so daß jede Ge-<lb/>
meinde gleichsam eine selbstständige Republik für sich bildet.<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0001] Mainzer Journal. Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs- blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an; für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben- falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet. Nro 10. Sonntag, den 25. Juni. 1848. Die absolute Demokratie und die Geschichte. Ɉ Mainz 23. Juni. Das, worauf eine durch Zahl ansehn- liche und durch ihre Talente und ihre Energie kräftige Partei lossteuert, ist die absolute Demokratie und eine einige und untheil- bare Republik für ganz Deutschland. Hierin allein, glauben jene Männer, könne die Freiheit vollständig verwirklicht und die Größe Deutschlands nach Außen begründet werden. Was das letztere betrifft, so würde in der That vielleicht Deutschland in der gewaltigen Aufregung, in welche es dadurch sich versetzt fände, eine ähnliche Kraft nach Außen entwickeln, wie das re- publikanische Frankreich am Ende des vorigen und am Anfange dieses Jahrhunderts. Was aber das Eude der einigen absolut demokratischen deutschen Republik seyn würde, darüber mag die Geschichte uns belehren. Bei den Männern freilich, die man die Männer des „ blinden “ Fortschritts nennen könnte, weil sie gleichsam mit verbundenen Augen voranstürmen, ohne rück- wärts, ohne rechts oder links zu sehen, ja ohne auch nur in der Zukunft ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben, bei diesen ist es freilich Losung geworden, die Geschichte zu verachten, um ihre Erfahrungen sich nicht zu kümmern, alles Vergangene als schlecht- hin todt und der Beachtung unwürdig anzusehen. Diesen hat neulich, wenn wir nicht irren, Grimm in der Nationalver- sammlung zugerufen: Jhr, die ihr die Vergangenheit verachtet, werdet auch keine Zukunft haben. Wenn wir aber auf die Geschichte, die große Lehrerin aller politischen und socialen Weisheit merken, so stellen sich uns zwei unwiderlegliche Thatsachen vor Augen: 1 ) daß in der ganzen Weltgeschichte ein solche einige untheilbare und absolut demokra- tische Republik nie auch nur ein Menschenalter lang bestanden hat, und 2 ) daß, wo sie eine solche kurze Zeit bestand, sie stets der Uebergang zur Despotie gewesen ist. Das Alterthum zeigt uns die kleinen griechischen Freistaaten und die große römische Repu- blike waren aber wesentlich Stadtrepubliken, freie Städte. Antheil an der Freiheit und der Staatsgewalt hatten nur die freien Stadtbürger, wozu höchstens eine verhältniß- mäßig geringe Anzahl Landbewohner hinzukam. Wohl herrschte die römische Republik in drei Welttheilen, aber das souveraine Volk waren einzig und allein die Bürger der Stadt Rom, die übrigen Bewohner des ungeheuren römischen Reiches waren Unterthanen, abhängiger und unterthäniger als die Unter- thanen des russischen Kaisers, waren Unterthanen der Stadt Rom. Nur eine Anzahl Städte waren Bundesgenossen und hat- ten eine relative Freiheit. Als die Bundesgenossen das Bürger- recht bekamen, war die Republik bereits im Untergang begriffen, und als dasselbe allen Bewohnern des römischen Reichs zu Theil wurde, hatte es keinen Werth mehr, denn es geschah durch den Tyrannen Caracalla, der dadurch einen Finanzvortheil beabsich- tigte. Aber noch mehr: im ganzen Alterthum, in den griechischen Republiken, wie in Rom war die Mehrzahl der Menschen nicht blos Unterthan, sondern sie waren unfrei, Sklaven, alle jene jetzt so wichtigen und ehrenwerthen Menschenklassen, welche Handwerk, Gewerbe und Ackerbau treiben, und noch vielmehr die, welche niedere Dienste verrichteten, gehörten dem Sklaven- stand an. Also das Alterthum kennt keine Republiken, wie ein republi- kanisches Frankreich, wie ein republikanisches einiges und un- theilbares Deutschland wäre, Republiken, die über ungeheure Länderstrecken sich ausdehnen, viele Millionen souveräner Bürger in sich befassen. Aber es hat auch in dem Alterthum nie eine abso- lute Demokratie bestanden, es sey denn als Uebergang zur Despotie. Eine absolute Demokratie ist aber da vorhanden, wo alle Gewalt in der Weise in den Händen des Volkes liegt, daß dasselbe rein nach der Kopfzahl alles entscheidet und regiert oder durch eine Versammlung, die es durch eine ebenso nach der Kopf- zahl berechnete Majorität gewählt hat, beschließen und regieren läßt, so zwar, daß die von der Majorität gefaßten Beschlüsse das einzige und höchste Gesetz sind. Dieses ist jener maje- stätische, unumschränkte, allmächtige Volkswille, der Wille der 40 Millionen, von denen Hecker in seinem Manifest an das Parlament mit einer Art abgöttischer Schwärmerei spricht. Eine solche absolute Demokratie aber, sagen wir, hat nie auf die Dauer bestanden. Jn allen antiken Republiken war in einem Senat, mochte er heißen wie immer, in alten adeligen Geschlechtern ein höchst zähes, tief in die Geschichte und das Leben verwachsenes conservatives und aristokratisches Element vorhanden, das dem leicht beweglichen und fluthenden Willen der Menge gegenüber die Wage hielt. Außerdem waren die Magistrate, die Consuln, Prätoren des alten Roms nichts weniger als bloße Beamten, son- dern sie hatten eine selbstständige, sehr ausgedehnte Macht. So lange nun in den alten Republiken das aristokratisch=conservative und das demokratisch=progressistische Element, in vielfachen gegen- seitigen Widerstreit, einander das Gleichgewicht hielt, bestand und blühte die Republik; sobald aber, um bei den römischen Namen und Begriffen, als den bekannteren stehen zu bleiben, das Patri- ciat aufgerieben und damit der eigenthümliche Charakter des Se- nates vernichtet; sobald die absolute Demokratie eingetreten war, war auch die Republik reif geworden unter die Gewalt eines Despoten zu treten. Dieser Proceß ging in Griechenland rasch vor sich; kaum hatte die Demokratie alles an sich gerissen und herrschte die vollkommenste Gleichheit und Freiheit, als das griechische Volk unter die Herrschaft der macedonischen Könige kam. Jn Rom dauerte der Kampf zwischen den Patriciern und Plebejern Jahrhunderte lang; kaum aber hatte er mit dem gänzlichen Siege der absoluten Demokratie geendet, als Cäsar und Octa- vian der Republik ein Ende machte und das souveräne Volk in eine willenlose Heerde sich verwandelte. Das Mittelalter ist reich an Republiken, aber es sind überall freie Städte mit klei- nen Territorien, und nur da, wo neben dem demokratisch=beweg- lichen auch ein aristokratisch=conservatives Element sich fand, hatte die Republik Bestand und Dauer; Venedig ist Zeuge dafür. Endlich nach Jahrtausenden wurde der Versuch gemacht, ein großes Land, Frankreich, in eine absolut demokratische einige und untheilbare Republik umzugestalten. Ströme Blutes wurden vergossen, das Uebermenschliche und Unmenschliche gewagt, aber alles hatte nur den Erfolg, dem neuen Cäsar Napoleon eine Stätte zu bereiten. All diesen so höchst traurigen Erfahrungen scheint nur Ein Beispiel entgegenzustehen — Nordamerika. Hier ist eine Republik und ein großes Land, hier herrscht das demokratische Princip in weitester Ausdehnung, und die Republik steht nicht nur ( denn das hieße nicht viel ) bereits 70 Jahre, son- dern sie verspricht auch noch eine lange, lange Dauer. Allein, wenn man Amerika als ein Argument für eine große und einige absolut demokratische Republik nach dem Schnitt der ersten fran- zösischen Republik anführen will, so kann solches nur aus einer auf einer ganz falschen und oberflächlichen Ansicht von den ame- rikanischen Verhältnissen beruhen. Amerika ist nicht blos eine Föderativrepublik, — sondern vermöge des in einem früheren Arti- kel unseres Blattes dargestellten Grundsatzes des Celf-govern- ment, der Selbstregierung, ist daselbst die öffentliche Gewalt und die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten im diame- tralen Gegensatze zu der Centralisation der einigen und untheil- baren französischen Republik unendlich getheilt, so daß jede Ge- meinde gleichsam eine selbstständige Republik für sich bildet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal010_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal010_1848/1
Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 10. Mainz, 25. Juni 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal010_1848/1>, abgerufen am 11.05.2024.