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Mainzer Journal. Nr. 47. Mainz, 1. August 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 47. Dienstag, den 1. August. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Entweder -- Oder!
Von dem Fürsten F. Karl von Leiningen 1).

Einer jeden Nation steht unstreitig das Recht zu, unter ge-
wissen Umständen Reformen in ihren inneren Zuständen, selbst
durch gewaltsame Mittel, das heißt auf dem Wege der Revolu-
tion vorzunehmen. Welches diese Umstände sind, oder wann der
Zeitpunkt eintritt, wo eine Nation von solchem Rechte Gebrauch
machen soll, oder darf, ist zu erörtern nicht der Gegenstand die-
ser Zeiten, ebensowenig ob jene Umstände und jener Zeitpunkt
für Deutschland eingetreten waren, als es vor Kurzem von die-
sem Rechte Gebrauch machte. Hier genügt die Thatsache, daß
es wirklich geschehen ist. Der Zweck der deutschen Revolution
war Begründung bürgerlicher und religiöser Freiheit, dann Her-
stellung eines einigen Deutschlands. Nachdem die Nation in ihrer
großen Majorität diesen ihren Willen auf das Unzweideutigste
durch theilweisen oder gänzlichen Umsturz des Bestehenden kund
gegeben hatte, war und mußte der zweite Schritt seyn: das Er-
rungene zu ordnen und zu befestigen und, so weit es lediglich
noch Theorie oder Jdee war, in die Wirklichkeit einzuführen.
So wie die Revolution ein Ausbruch des Gesammtwillens der
Nation war, so mußte consequenter Weise dieselbe sich auch aus-
schließlich die Herstellung der neuen Ordnung der Dinge vorbe-
halten. Die Nation übertrug daher einer durch sie gewählten
Nationalversammlung hierzu die Vollmacht. Jndem die
Regierungen der einzelnen Staaten, d. h. die Fürsten mit ihren
Ständen, die Wahl zu diesem constituirenden Reichstage auf
bisher gesetzlichem Wege vornehmen ließen, haben dieselbe that-
sächlich die Revolution anerkannt.

Die Aufgabe der so gewählten Reichsversammlung war es
nun, den Willen der Nation in Vollzug zu setzen, d. h. Freiheit
und Einheit in einer neuen Ordnung der Dinge zu begründen.
Der bereits etwas ungeduldig werdende Mandatar sah endlich
am 28. Juni die erste Frucht reifen. Die Reichsversammlung
ernannte, und zwar wiederum ganz consequenter Weise, aus eig-
ner Machtvollkommenheit den provisorischen Reichsverweser,
sammt einer Centralregierung; der deutsche Bund löste sich auf
und legte seine Gewalt in die Hände der Reichsgewalt nieder.
Ein großes Ereigniß! -- Nicht nur, daß statt des bisherigen
Staatenbundes ein deutsches Reich decretirt worden war, sondern
die deutsche Nation wird nun hierdurch auch in die Lage versetzt,
durch die That zu zeigen, ob sie wirklich wahre Freiheit will, oder
ob sie sich lediglich von einer Anzahl Demagogen hat leiten lassen,
in trauriger Nachäffung Dessen, was im Nachbarstaate vor sich
gegangen ist. Ferner, und ganz vorzüglich, wird die Nation
darüber aber sich entscheiden müssen, ob sie wirklich ein einiges
und mächtiges Deutschland haben will. Es ist von der aller-
größten Wichtigkeit, daß sie über diese Frage mit sich selbst ins
Klare komme und dann ihren Willen feststelle.

So wie es nur eine wahre Freiheit gibt, welche auf Gesetz
und Ordnung beruht, so gibt es auch nur eine Einheit, eine
thatsächliche Vereinigung aller Theile eines Ganzen, und
zwar auf eine solche Weise, daß ein Streit oder ein Kampf zwi-
schen dem Ganzen und den Theilen nicht mehr stattfinden kann.
Verfährt man anders, so wird nicht Einheit und Einigkeit, son-
dern Trennung und Zwietracht begründet werden. Will also die
deutsche Nation Einheit, dann muß sie nicht nur auch die Mittel
hierzu wollen, sondern auch die Consequenzen davon adoptiren.
Von bayerischen, preußischen, sächsischen und andern Jnteressen
[Spaltenumbruch] im Gegensatze zu deutschen kann keine Rede mehr seyn; denn
erstere müßten in letzteren ihre Erledigung finden. Eifersucht
zwischen einzelnen Staaten, oder gar Schmähungen des Südens
gegen den Norden, oder umgekehrt, sind alsdann frevelhafte
Absurditäten, Widerspruch oder Ungehorsam gegen die Reichs-
gewalt oder die Nationalversammlung aber ein Verbrechen gegen
die Würde der Nation selbst; Verrath am Vaterlande, welchem
die Strafe auf dem Fuße folgen müßte. Die dynastischen Jnte-
ressen, soweit solche sich auf die Regierungsgewalt beziehen,
können, so die Nation Einigkeit will, nicht in Betracht kom-
men; denn die Fürsten haben diesem Willen sich ebensogut zu
fügen, wie jeder andere Deutsche. Will also die Nation das
Wort zur That werden lassen, so muß sie die Reichsgewalt,
d. h. Nationalversammlung und Centralregierung anhalten, ohne
Nebenrücksichten, rasch und entschieden alle jene Maßregeln zu
ergreifen, welche dem Zwecke, ein freies und einiges Deutschland
herzustellen, entsprechen, und sie aber auch in dieser Arbeit kräftig
unterstützen. Das Zusammenberufen von Bevollmächtigten der
einzelnen Regierungen, wenn ihr Zweck ein anderer wäre als
etwa den geschäftlichen Uebergang vom Alten zum Neuen zu er-
leichtern, wäre höchst überflüssig und schädlich. Sollen diesel-
ben vielleicht mit der Reichsgewalt negociren? Dann müßte die
Nationalversammlung ihre eigenen Beschlüsse wieder schlucken
und die Kraft und das Ansehen der Reichsregierung wäre in der
Geburt erstikt. Fühlt jedoch die Nation jetzt, wo sie sich entschei-
den muß, daß ihre bayerischen, oder hannöverischen, oder preußi-
schen, oder andere Reminiscenzen und Sympathieen, so wie manche
damit zusammenhängende Jnteressen zu vorwiegend sind, um
dieselben deutscher Einheit zum Opfer zu bringen; regt sich der
alte Geist der Zwietracht und der Absonderung noch zu lebhaft;
fühlt sich die Eifersucht zwischen den Stämmen, zwischen Norden
und Süden noch zu kräftig -- wohlan, dann überzeuge die Na-
tion sich selbst davon, kehre zurück zum Staatenbunde, überlasse
es den einzelnen Staaten sich zu constituiren, rufe die allgemeine
constituirende Versammlung zurück und verabschiede ebenso Reichs-
verweser als Reichsregierung. Ein solcher Staatenbund, an
und für sich, schließt die Möglichkeit nicht aus, wenn auch
nicht ein freies und einiges Deutschland, doch freie, in ihrem
Bunde, nach außen Ansehen gebietende deutsche Länder
herzustellen. Allein ein neues Reich zu construiren und gleich-
zeitig unvermeidlichen Kampf um die Herrschaft mit den Einzel-
staaten, Uneinigkeit statt Einigkeit, Schwäche statt Macht förmlich
zn organisiren; ein Reich zu gründen, welches alle die Mängel
des Alten in erhöhtem Maße in sich schlösse, weil nun, nicht
nur wie ehedem, Fürsten mit dem Kaiser und Fürsten unter sich
streiten und kämpfen werden, sondern auch Ständeversamm-
lungen mit dem Reichsparlament, Ständeversammlungen mit
Ständeversammlungen, Associationen mit Associationen, Volks-
versammlungen mit Volksversammlungen, Clubs mit Clubs:
das wäre denn doch ein zu unerhörtes Resultat einer Revolution,
welche mit großen Opfern und Gefahren unternommen worden
ist, um ein freies und einiges Deutschland herzustellen!

Die Nation muß um so ernstlicher diese Frage erwägen, weil
sie sonst leicht in den Fall kommen könnte, sich für immer lächer-
lich zu machen, indem sie deutsche Einheit und Macht in die
Welt posaunt und in der That bald das Gegentheil darstellen
würde. Es ist eine Pflicht der Nation, sich bestimmt darüber
klar zu werden, was sie will. Sie allein hat zu entscheiden!
Da [unleserliches Material - 5 Zeichen fehlen]iudeß heutzutage jederman, berufen oder unberufen seine
Ansicht aussprechen zu dürfen glaubt, so wird dieß wohl auch
dem Verfasser dieser Zeilen vergönnt sein? Derselbe ist der
Ueberzeugung, daß die deutsche Nation nunmehr auf dem betre-
[Ende Spaltensatz]

1) Der Fürst von Leiningen ist bekanntlich ein Halbbruder der Kö-
nigin Victoria und einer jener wenigen Tories, die von jeher sich ge-
gen die Forderungen der Zeit nicht abgeschlossen haben.
Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 47. Dienstag, den 1. August. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Entweder — Oder!
Von dem Fürsten F. Karl von Leiningen 1).

Einer jeden Nation steht unstreitig das Recht zu, unter ge-
wissen Umständen Reformen in ihren inneren Zuständen, selbst
durch gewaltsame Mittel, das heißt auf dem Wege der Revolu-
tion vorzunehmen. Welches diese Umstände sind, oder wann der
Zeitpunkt eintritt, wo eine Nation von solchem Rechte Gebrauch
machen soll, oder darf, ist zu erörtern nicht der Gegenstand die-
ser Zeiten, ebensowenig ob jene Umstände und jener Zeitpunkt
für Deutschland eingetreten waren, als es vor Kurzem von die-
sem Rechte Gebrauch machte. Hier genügt die Thatsache, daß
es wirklich geschehen ist. Der Zweck der deutschen Revolution
war Begründung bürgerlicher und religiöser Freiheit, dann Her-
stellung eines einigen Deutschlands. Nachdem die Nation in ihrer
großen Majorität diesen ihren Willen auf das Unzweideutigste
durch theilweisen oder gänzlichen Umsturz des Bestehenden kund
gegeben hatte, war und mußte der zweite Schritt seyn: das Er-
rungene zu ordnen und zu befestigen und, so weit es lediglich
noch Theorie oder Jdee war, in die Wirklichkeit einzuführen.
So wie die Revolution ein Ausbruch des Gesammtwillens der
Nation war, so mußte consequenter Weise dieselbe sich auch aus-
schließlich die Herstellung der neuen Ordnung der Dinge vorbe-
halten. Die Nation übertrug daher einer durch sie gewählten
Nationalversammlung hierzu die Vollmacht. Jndem die
Regierungen der einzelnen Staaten, d. h. die Fürsten mit ihren
Ständen, die Wahl zu diesem constituirenden Reichstage auf
bisher gesetzlichem Wege vornehmen ließen, haben dieselbe that-
sächlich die Revolution anerkannt.

Die Aufgabe der so gewählten Reichsversammlung war es
nun, den Willen der Nation in Vollzug zu setzen, d. h. Freiheit
und Einheit in einer neuen Ordnung der Dinge zu begründen.
Der bereits etwas ungeduldig werdende Mandatar sah endlich
am 28. Juni die erste Frucht reifen. Die Reichsversammlung
ernannte, und zwar wiederum ganz consequenter Weise, aus eig-
ner Machtvollkommenheit den provisorischen Reichsverweser,
sammt einer Centralregierung; der deutsche Bund löste sich auf
und legte seine Gewalt in die Hände der Reichsgewalt nieder.
Ein großes Ereigniß! — Nicht nur, daß statt des bisherigen
Staatenbundes ein deutsches Reich decretirt worden war, sondern
die deutsche Nation wird nun hierdurch auch in die Lage versetzt,
durch die That zu zeigen, ob sie wirklich wahre Freiheit will, oder
ob sie sich lediglich von einer Anzahl Demagogen hat leiten lassen,
in trauriger Nachäffung Dessen, was im Nachbarstaate vor sich
gegangen ist. Ferner, und ganz vorzüglich, wird die Nation
darüber aber sich entscheiden müssen, ob sie wirklich ein einiges
und mächtiges Deutschland haben will. Es ist von der aller-
größten Wichtigkeit, daß sie über diese Frage mit sich selbst ins
Klare komme und dann ihren Willen feststelle.

So wie es nur eine wahre Freiheit gibt, welche auf Gesetz
und Ordnung beruht, so gibt es auch nur eine Einheit, eine
thatsächliche Vereinigung aller Theile eines Ganzen, und
zwar auf eine solche Weise, daß ein Streit oder ein Kampf zwi-
schen dem Ganzen und den Theilen nicht mehr stattfinden kann.
Verfährt man anders, so wird nicht Einheit und Einigkeit, son-
dern Trennung und Zwietracht begründet werden. Will also die
deutsche Nation Einheit, dann muß sie nicht nur auch die Mittel
hierzu wollen, sondern auch die Consequenzen davon adoptiren.
Von bayerischen, preußischen, sächsischen und andern Jnteressen
[Spaltenumbruch] im Gegensatze zu deutschen kann keine Rede mehr seyn; denn
erstere müßten in letzteren ihre Erledigung finden. Eifersucht
zwischen einzelnen Staaten, oder gar Schmähungen des Südens
gegen den Norden, oder umgekehrt, sind alsdann frevelhafte
Absurditäten, Widerspruch oder Ungehorsam gegen die Reichs-
gewalt oder die Nationalversammlung aber ein Verbrechen gegen
die Würde der Nation selbst; Verrath am Vaterlande, welchem
die Strafe auf dem Fuße folgen müßte. Die dynastischen Jnte-
ressen, soweit solche sich auf die Regierungsgewalt beziehen,
können, so die Nation Einigkeit will, nicht in Betracht kom-
men; denn die Fürsten haben diesem Willen sich ebensogut zu
fügen, wie jeder andere Deutsche. Will also die Nation das
Wort zur That werden lassen, so muß sie die Reichsgewalt,
d. h. Nationalversammlung und Centralregierung anhalten, ohne
Nebenrücksichten, rasch und entschieden alle jene Maßregeln zu
ergreifen, welche dem Zwecke, ein freies und einiges Deutschland
herzustellen, entsprechen, und sie aber auch in dieser Arbeit kräftig
unterstützen. Das Zusammenberufen von Bevollmächtigten der
einzelnen Regierungen, wenn ihr Zweck ein anderer wäre als
etwa den geschäftlichen Uebergang vom Alten zum Neuen zu er-
leichtern, wäre höchst überflüssig und schädlich. Sollen diesel-
ben vielleicht mit der Reichsgewalt negociren? Dann müßte die
Nationalversammlung ihre eigenen Beschlüsse wieder schlucken
und die Kraft und das Ansehen der Reichsregierung wäre in der
Geburt erstikt. Fühlt jedoch die Nation jetzt, wo sie sich entschei-
den muß, daß ihre bayerischen, oder hannöverischen, oder preußi-
schen, oder andere Reminiscenzen und Sympathieen, so wie manche
damit zusammenhängende Jnteressen zu vorwiegend sind, um
dieselben deutscher Einheit zum Opfer zu bringen; regt sich der
alte Geist der Zwietracht und der Absonderung noch zu lebhaft;
fühlt sich die Eifersucht zwischen den Stämmen, zwischen Norden
und Süden noch zu kräftig — wohlan, dann überzeuge die Na-
tion sich selbst davon, kehre zurück zum Staatenbunde, überlasse
es den einzelnen Staaten sich zu constituiren, rufe die allgemeine
constituirende Versammlung zurück und verabschiede ebenso Reichs-
verweser als Reichsregierung. Ein solcher Staatenbund, an
und für sich, schließt die Möglichkeit nicht aus, wenn auch
nicht ein freies und einiges Deutschland, doch freie, in ihrem
Bunde, nach außen Ansehen gebietende deutsche Länder
herzustellen. Allein ein neues Reich zu construiren und gleich-
zeitig unvermeidlichen Kampf um die Herrschaft mit den Einzel-
staaten, Uneinigkeit statt Einigkeit, Schwäche statt Macht förmlich
zn organisiren; ein Reich zu gründen, welches alle die Mängel
des Alten in erhöhtem Maße in sich schlösse, weil nun, nicht
nur wie ehedem, Fürsten mit dem Kaiser und Fürsten unter sich
streiten und kämpfen werden, sondern auch Ständeversamm-
lungen mit dem Reichsparlament, Ständeversammlungen mit
Ständeversammlungen, Associationen mit Associationen, Volks-
versammlungen mit Volksversammlungen, Clubs mit Clubs:
das wäre denn doch ein zu unerhörtes Resultat einer Revolution,
welche mit großen Opfern und Gefahren unternommen worden
ist, um ein freies und einiges Deutschland herzustellen!

Die Nation muß um so ernstlicher diese Frage erwägen, weil
sie sonst leicht in den Fall kommen könnte, sich für immer lächer-
lich zu machen, indem sie deutsche Einheit und Macht in die
Welt posaunt und in der That bald das Gegentheil darstellen
würde. Es ist eine Pflicht der Nation, sich bestimmt darüber
klar zu werden, was sie will. Sie allein hat zu entscheiden!
Da [unleserliches Material – 5 Zeichen fehlen]iudeß heutzutage jederman, berufen oder unberufen seine
Ansicht aussprechen zu dürfen glaubt, so wird dieß wohl auch
dem Verfasser dieser Zeilen vergönnt sein? Derselbe ist der
Ueberzeugung, daß die deutsche Nation nunmehr auf dem betre-
[Ende Spaltensatz]

1) Der Fürst von Leiningen ist bekanntlich ein Halbbruder der Kö-
nigin Victoria und einer jener wenigen Tories, die von jeher sich ge-
gen die Forderungen der Zeit nicht abgeschlossen haben.
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Einer jeden Nation steht unstreitig das Recht zu, unter ge- wissen Umständen Reformen in ihren inneren Zuständen, selbst durch gewaltsame Mittel, das heißt auf dem Wege der Revolu- tion vorzunehmen. Welches diese Umstände sind, oder wann der Zeitpunkt eintritt, wo eine Nation von solchem Rechte Gebrauch machen soll, oder darf, ist zu erörtern nicht der Gegenstand die- ser Zeiten, ebensowenig ob jene Umstände und jener Zeitpunkt für Deutschland eingetreten waren, als es vor Kurzem von die- sem Rechte Gebrauch machte. Hier genügt die Thatsache, daß es wirklich geschehen ist. Der Zweck der deutschen Revolution war Begründung bürgerlicher und religiöser Freiheit, dann Her- stellung eines einigen Deutschlands. Nachdem die Nation in ihrer großen Majorität diesen ihren Willen auf das Unzweideutigste durch theilweisen oder gänzlichen Umsturz des Bestehenden kund gegeben hatte, war und mußte der zweite Schritt seyn: das Er- rungene zu ordnen und zu befestigen und, so weit es lediglich noch Theorie oder Jdee war, in die Wirklichkeit einzuführen. So wie die Revolution ein Ausbruch des Gesammtwillens der Nation war, so mußte consequenter Weise dieselbe sich auch aus- schließlich die Herstellung der neuen Ordnung der Dinge vorbe- halten. Die Nation übertrug daher einer durch sie gewählten Nationalversammlung hierzu die Vollmacht. Jndem die Regierungen der einzelnen Staaten, d. h. die Fürsten mit ihren Ständen, die Wahl zu diesem constituirenden Reichstage auf bisher gesetzlichem Wege vornehmen ließen, haben dieselbe that- sächlich die Revolution anerkannt. Die Aufgabe der so gewählten Reichsversammlung war es nun, den Willen der Nation in Vollzug zu setzen, d. h. Freiheit und Einheit in einer neuen Ordnung der Dinge zu begründen. Der bereits etwas ungeduldig werdende Mandatar sah endlich am 28. Juni die erste Frucht reifen. Die Reichsversammlung ernannte, und zwar wiederum ganz consequenter Weise, aus eig- ner Machtvollkommenheit den provisorischen Reichsverweser, sammt einer Centralregierung; der deutsche Bund löste sich auf und legte seine Gewalt in die Hände der Reichsgewalt nieder. Ein großes Ereigniß! — Nicht nur, daß statt des bisherigen Staatenbundes ein deutsches Reich decretirt worden war, sondern die deutsche Nation wird nun hierdurch auch in die Lage versetzt, durch die That zu zeigen, ob sie wirklich wahre Freiheit will, oder ob sie sich lediglich von einer Anzahl Demagogen hat leiten lassen, in trauriger Nachäffung Dessen, was im Nachbarstaate vor sich gegangen ist. Ferner, und ganz vorzüglich, wird die Nation darüber aber sich entscheiden müssen, ob sie wirklich ein einiges und mächtiges Deutschland haben will. Es ist von der aller- größten Wichtigkeit, daß sie über diese Frage mit sich selbst ins Klare komme und dann ihren Willen feststelle. So wie es nur eine wahre Freiheit gibt, welche auf Gesetz und Ordnung beruht, so gibt es auch nur eine Einheit, eine thatsächliche Vereinigung aller Theile eines Ganzen, und zwar auf eine solche Weise, daß ein Streit oder ein Kampf zwi- schen dem Ganzen und den Theilen nicht mehr stattfinden kann. Verfährt man anders, so wird nicht Einheit und Einigkeit, son- dern Trennung und Zwietracht begründet werden. Will also die deutsche Nation Einheit, dann muß sie nicht nur auch die Mittel hierzu wollen, sondern auch die Consequenzen davon adoptiren. Von bayerischen, preußischen, sächsischen und andern Jnteressen im Gegensatze zu deutschen kann keine Rede mehr seyn; denn erstere müßten in letzteren ihre Erledigung finden. Eifersucht zwischen einzelnen Staaten, oder gar Schmähungen des Südens gegen den Norden, oder umgekehrt, sind alsdann frevelhafte Absurditäten, Widerspruch oder Ungehorsam gegen die Reichs- gewalt oder die Nationalversammlung aber ein Verbrechen gegen die Würde der Nation selbst; Verrath am Vaterlande, welchem die Strafe auf dem Fuße folgen müßte. Die dynastischen Jnte- ressen, soweit solche sich auf die Regierungsgewalt beziehen, können, so die Nation Einigkeit will, nicht in Betracht kom- men; denn die Fürsten haben diesem Willen sich ebensogut zu fügen, wie jeder andere Deutsche. Will also die Nation das Wort zur That werden lassen, so muß sie die Reichsgewalt, d. h. Nationalversammlung und Centralregierung anhalten, ohne Nebenrücksichten, rasch und entschieden alle jene Maßregeln zu ergreifen, welche dem Zwecke, ein freies und einiges Deutschland herzustellen, entsprechen, und sie aber auch in dieser Arbeit kräftig unterstützen. Das Zusammenberufen von Bevollmächtigten der einzelnen Regierungen, wenn ihr Zweck ein anderer wäre als etwa den geschäftlichen Uebergang vom Alten zum Neuen zu er- leichtern, wäre höchst überflüssig und schädlich. Sollen diesel- ben vielleicht mit der Reichsgewalt negociren? Dann müßte die Nationalversammlung ihre eigenen Beschlüsse wieder schlucken und die Kraft und das Ansehen der Reichsregierung wäre in der Geburt erstikt. Fühlt jedoch die Nation jetzt, wo sie sich entschei- den muß, daß ihre bayerischen, oder hannöverischen, oder preußi- schen, oder andere Reminiscenzen und Sympathieen, so wie manche damit zusammenhängende Jnteressen zu vorwiegend sind, um dieselben deutscher Einheit zum Opfer zu bringen; regt sich der alte Geist der Zwietracht und der Absonderung noch zu lebhaft; fühlt sich die Eifersucht zwischen den Stämmen, zwischen Norden und Süden noch zu kräftig — wohlan, dann überzeuge die Na- tion sich selbst davon, kehre zurück zum Staatenbunde, überlasse es den einzelnen Staaten sich zu constituiren, rufe die allgemeine constituirende Versammlung zurück und verabschiede ebenso Reichs- verweser als Reichsregierung. Ein solcher Staatenbund, an und für sich, schließt die Möglichkeit nicht aus, wenn auch nicht ein freies und einiges Deutschland, doch freie, in ihrem Bunde, nach außen Ansehen gebietende deutsche Länder herzustellen. Allein ein neues Reich zu construiren und gleich- zeitig unvermeidlichen Kampf um die Herrschaft mit den Einzel- staaten, Uneinigkeit statt Einigkeit, Schwäche statt Macht förmlich zn organisiren; ein Reich zu gründen, welches alle die Mängel des Alten in erhöhtem Maße in sich schlösse, weil nun, nicht nur wie ehedem, Fürsten mit dem Kaiser und Fürsten unter sich streiten und kämpfen werden, sondern auch Ständeversamm- lungen mit dem Reichsparlament, Ständeversammlungen mit Ständeversammlungen, Associationen mit Associationen, Volks- versammlungen mit Volksversammlungen, Clubs mit Clubs: das wäre denn doch ein zu unerhörtes Resultat einer Revolution, welche mit großen Opfern und Gefahren unternommen worden ist, um ein freies und einiges Deutschland herzustellen! Die Nation muß um so ernstlicher diese Frage erwägen, weil sie sonst leicht in den Fall kommen könnte, sich für immer lächer- lich zu machen, indem sie deutsche Einheit und Macht in die Welt posaunt und in der That bald das Gegentheil darstellen würde. Es ist eine Pflicht der Nation, sich bestimmt darüber klar zu werden, was sie will. Sie allein hat zu entscheiden! Da _____iudeß heutzutage jederman, berufen oder unberufen seine Ansicht aussprechen zu dürfen glaubt, so wird dieß wohl auch dem Verfasser dieser Zeilen vergönnt sein? Derselbe ist der Ueberzeugung, daß die deutsche Nation nunmehr auf dem betre- 1) Der Fürst von Leiningen ist bekanntlich ein Halbbruder der Kö- nigin Victoria und einer jener wenigen Tories, die von jeher sich ge- gen die Forderungen der Zeit nicht abgeschlossen haben.

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 47. Mainz, 1. August 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal047_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.