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Mainzer Journal. Nr. 84. Mainz, 12. September 1848.

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[Beginn Spaltensatz] sachen sind kein Beweis für den Werth unbeschränkter Handels-
freiheit, sondern nur Beweis, daß es auch in Deutschland einer-
seits Kaufleute und Kosmopoliten, andererseits Fabrikanten und
strenge Patrioten gibt. Der Kaufmann, oder vielmehr der reiche
Krämer, der nur im Auslande kauft, um im Jnlande zu verkaufen, der
so wenig wie der Kosmopolit ein Vaterland besitzt, dessen Gott seine
Kasse und die zehn Gebote die Kurszettel sind, wird und muß aus ein-
leuchtenden Gründen für Handelsfreiheit sprechen und sich gegen Zoll
und Einfuhrverbot stemmen, weil durch diese seine Krämerei
leidet. Der Fabrikant hingegen, der vielleicht ein eben so großes
Kapital in seiner Fabrik angelegt hat, als der Krämer in seinem
Handel, der täglich mehr durch unbeschränkte Einfuhr in Gefahr
geräth, sein Kapital sammt Jnteressen zu verlieren, wird auf die
Gefahr aufmerksam machen, in welche nicht blos er, sondern der
Staat, dessen Bürger er ist, gerathen muß, wenn er nicht den-
selben Schutz findet, den die Fabrikanten in anderen Ländern ge-
nießen. Jeder wahre Freund des Vaterlandes wird einsehen, daß
wenn nur ein bedeutender Fabrikant seine Fabrik still stehen lassen
muß, hundert fleißige Mitbürger brodlose Bettler werden, wäh-
rend bei einem sogenannten Handelshause, wenn es sich auflöst,
nur einige Commis für ein paar Tage außer Thätigkeit kommen.
Der Patriot wird zugleich begreifen, daß auf dem Wege der,
unsere Gewerbthätigkeit völlig ruinirenden Handelsfreiheit wohl
schwerlich die auch uns beschäftigende Proletariatsfrage eine be-
friedigende Lösung erhalten könne.

Wie uns bedünken will, ist die gegenwärtige Aufgabe Deutsch-
lands in Bezug auf seine materiellen Jnteressen -- die übrigens
mit den politischen im innigsten Zusammenhange stehen -- die:
daß es so schnell wie nur immer möglich

1 ) alle Binnenzölle, überhaupt alle den inneren Verkehr noch
hemmenden Schranken aufhebe und sich in seiner Gesammtheit
einem Schutzzollsysteme unterwerfe, wobei jedoch auf Errichtung
einer genügenden Anzahl von Freihäfen und auf geringe Verzoll-
ung der transitirenden Waaren besondere Rücksicht zu nehmen
wäre;

2 ) die Einführung eines gleichen Münz=, Maas= und Ge-
wichtssystems bewerkstellige;

3 ) sich über gemeinschaftliche Gesetzgebung in Bezug auf Han-
del und Gewerbe sowie über eine entsprechende Agrarverfassung
einige; daß es endlich

4 ) Handelsverträge mit solchen fremden Staaten abschließe,
welche uns reelle Vortheile zu gewähren im Stande sind, nament-
lich geeignet erscheinen, unserer Jndustrie durch starke Bezüge
unter die Arme zu greifen.

Verfährt Deutschland in dieser Weise, sorgt es inmittelst auch
für die Beschaffung einer seinem Bedürfnisse entsprechenden
Reichsmarine und, bis diese den erforderlichen Grad von Stärke
erlangt, für enge Allianz mit einer Seemacht, die nach der Natur
ihrer Verhältnisse ein aufrichtiges Jnteresse für unsere Bestreb-
ungen fühlen muß; sorgt es ferner auch noch für Organisation
der Auswanderung nach einem verständigen Plane der Art, daß
die neuen Niederlassungen in steter Relation mit dem Mutterlande
bleiben und gewissermaßen seine Colonien bilden: dann werden
des Vaterlandes Kräfte sich bald wunderbar entwickeln, Ackerbau
und Gewerbe werden sich schnell zu einem zuvor nie gekannten Grad
von Blüthe entfalten, und das drohende Gespenst des Pauperis-
mus wird verschwinden. Der deutsche Handel aber wird, so-
wohl in den vielfachen Verzweigungen des inneren Verkehres un-
seres großen Vaterlandes als in dessen äußeren Beziehungen,
ein hinreichendes Feld für eine eben so ehrenvolle und nützliche
wie lohnende Thätigkeit finden, ohne darum nöthig zu haben,
zum Ruin des eigenen Landes eine schmachvolle Verbindung mit
jenen fremden Handelspolitikern einzugehen, deren wahre Ten-
denzen, zumal für uns Deutsche, keine Geheimnisse mehr seyn
dürften.



Deutschland.
Reichstag.

f Frankfurt 12. September. Jn der gestrigen Sitzung war
eine gedrückte Stimmung durchherrschend. Einerseits sprach sich
sowohl in den Reden der Rechten als der Linken lebhafte Besorg-
niß aus vor einer stets mächtiger emporwuchernden Reaction, vor
einer unheilvoll erstarkenden Gewalt der Sonderinteressen; an-
dererseits gab sich die Befürchtung kund, das deutsche Volk, un-
geduldig und vergeblich der Vollendung und Vollziehung der
Beschlüsse über seine Grundrechte entgegenharrend, möchte in
seinem Vertrauen, in seinem Eifer und seiner Opferwilligkeit,
wenn nicht der Gang der Verhandlungen beschleunigt werde, er-
schüttert und abwendig gemacht, in die Ruhe der alten Zustände
zurücksinken oder bei deren Unhaltbarkeit der Anarchie verfallen.
Der Präsident zeigt an, daß die Bildung eines neuen Ministeri-
[Spaltenumbruch] ums noch nicht zu Stande gekommen. Herr v. Hermann war
zum Reichsverweser berufen worden. ( Gestern Abend verlautete
noch Nichts vom Erfolge. ) Merk beklagt die fortdauernde Auf-
rechthaltung des österreichischen Münzausfuhrverbotes, die in
schroffem Widerspruch steht mit der Einigung Deutschlands, und
trotz wiederholter Aufforderungen noch keineswegs zurückgenom-
men werden will: daher wird eine neue, dringliche Mahnung
verlangt und beschlossen. Nach ihm betrat Bassermann die
Rednerbühne. Die Langsamkeit der Verhandlungen über die
Grundrechte, die Ungewißheit der Lage des Reiches, der Werth
des Augenblickes, Alles dränge zu rascher Erledigung dieser
Frage. Am Stromesufer überzusetzen genöthigt, könne man nicht
sich sorgsam nach dem bequemsten Fahrzeuge umsehen; die Noth
drängt, man müsse dem nächsten besten Kahne sich anvertrauen.
Energie verlange das Volk von seinen Vertretern: darin müsse
sie sich zeigen, daß man Alles von der Hand weise, was die Be-
rathung der Grundrechte und des Verfassungswerkes hindern
könne. Seyen einmal die Grundrechte bestimmt, die Verfassung
vollendet, und damit das Provisorium in ein Definitorium über-
gegangen, dann könne Deutschland im Jnnern gereinigt und
erstarkt, auch nach Außen auf bessere Anerkennung seines Rechtes
rechnen. Sey das Reich im Jnnern geordnet, so daß man wisse,
was mit dem Anschluß zu gewinnen und zu verlieren, dann könne
man auch nach den deutschen Brüdern im Auslande mit Hoffnung
auf Erfolg die Hand reichen. Vor Allem müssen die Befugnisse
der Centralgewalt
gegenüber den Regierungen durch das Ver-
fassungswerk feststehen, dann wird man keine österreichischen Münz-
ausfuhrverbote, keine Malmöer Waffenstillstände mehr zu bekla-
gen haben. Dann, wann die Macht und Einheit eine feste Grund-
lage gefunden, dürfte auch der materielle Wohlstand einen neuen
Aufschwung hoffen. Der Redner berechnet nun, wie lange man
brauchen werde, um mit der Abstimmung über die Grundrechte
zu Stande zu kommen, nämlich bis 1850 nach dem geringsten
Voranschlag; er will das Verfassungswerk, die Ordnung der Ver-
hältnisse zu den einzelnen Territorien schleunigst festgestellt und
darum die Entwürfe den aus allen Parteien zusammengesetzten
Ausschüssen übertragen wissen. Bassermann will seinen An-
trag als dringlich zugelassen wissen; die Dringlichkeit wird ange-
nommen.

Gegen Bassermann spricht Schoder. Zur Majo-
rität könne er kein Vertrauen haben, die Ausschüsse würden durch
Bassermann's Antrag eine willkürliche, gefährliche Macht er-
langen; die Minorität werde willenlos und lautlos unter die
Mehrheit sich fügen müssen. Zudem werde die Motion, wenn
auch angenommen, ihr Ziel im Wesentlichen nicht erreichen. Es
komme nicht darauf an, schnell fertig zu werden mit Beschlüssen,
sondern darauf, die gefaßten Beschlüsse schnell ins Leben einzu-
führen, ihnen allgemeine Gesetzeskraft zu verschaffen. v. Vincke
gegen Schoder und Bassermann. Vogt aus Gießen bemerkt, daß
die Linke, wenn das Vertrauen zum Parlament geschwächt sey, nicht
die Schuld trage, da sie regelmäßig in der Minorität gewesen. Er
wolle keinem Antrage, von welcher Seite er komme, entgegen seyn,
wenn nur dadurch Etwas für die deutsche Sache gewonnen werde;
das lasse sich vom Bassermann'schen nicht hoffen. Die Grund-
rechte des Volkes, sein Wille, sein Vertrauen seyen die Säulen,
auf denen die Landesverfassung ruhen müsse, dann könne man
als Dach die Verhältnisse zu den Territorien darauf setzen; dann
werde kein Druck sich fühlbar machen, Bassermann wolle zuerst
das Dach, dann die Säulen. Er sey inconsequent, er sey links
geworden. Früher habe er, als ein ähnlicher Antrag von der
Linken ausgegangen, sich dagegen erhoben. Man habe die Frei-
heit der Rede in Anspruch genommen. Er wolle diese Freiheit,
darum dürfe er sich auch gestatten, zu prüfen, welche Motive
Bassermanns Antrag könne gehabt haben. Man wolle eine
Centralgewalt, man wolle mit den Regierungen in's Reine kom-
men, diese würden sich beeilen auf den Wunsch einzugehen, um
unter gesicherten Verhältnissen die Reaction wieder aufnehmen zu
können u. s. w.

Bassermann vertheidigt sich gegen den Vorwurf
der Jnconsequenz; er habe schon früher beantragt, man möchte
sich möglichst der Jnterpellationen enthalten. Also sey jeder-
zeit ihm daran gelegen, die Verhandlungen zu beschleunigen.
Er sey daran gewöhnt, sich falsche Motive unterlegen zu
lassen; und wenn man darüber sich mißtrauisch zeige, daß die
Mehrheit durch die Ausschüsse nach seinem Antrag ein unziemen-
des Uebergewicht über die Minorität erlange, daß sie zum
Schweigen genöthigt sey, indem es ganz bei der Majorität stehe,
Discussion zu verlangen, wenn sie es in ihrem Jnteresse finde:
so seyen eben auch Fälle möglich, wo die Rechte in der Minder-
heit stimme; es seyen Fälle möglich, wo man die Beschlüsse der
Majorität im Publicum für unbegründet halte, wo man sie
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] sachen sind kein Beweis für den Werth unbeschränkter Handels-
freiheit, sondern nur Beweis, daß es auch in Deutschland einer-
seits Kaufleute und Kosmopoliten, andererseits Fabrikanten und
strenge Patrioten gibt. Der Kaufmann, oder vielmehr der reiche
Krämer, der nur im Auslande kauft, um im Jnlande zu verkaufen, der
so wenig wie der Kosmopolit ein Vaterland besitzt, dessen Gott seine
Kasse und die zehn Gebote die Kurszettel sind, wird und muß aus ein-
leuchtenden Gründen für Handelsfreiheit sprechen und sich gegen Zoll
und Einfuhrverbot stemmen, weil durch diese seine Krämerei
leidet. Der Fabrikant hingegen, der vielleicht ein eben so großes
Kapital in seiner Fabrik angelegt hat, als der Krämer in seinem
Handel, der täglich mehr durch unbeschränkte Einfuhr in Gefahr
geräth, sein Kapital sammt Jnteressen zu verlieren, wird auf die
Gefahr aufmerksam machen, in welche nicht blos er, sondern der
Staat, dessen Bürger er ist, gerathen muß, wenn er nicht den-
selben Schutz findet, den die Fabrikanten in anderen Ländern ge-
nießen. Jeder wahre Freund des Vaterlandes wird einsehen, daß
wenn nur ein bedeutender Fabrikant seine Fabrik still stehen lassen
muß, hundert fleißige Mitbürger brodlose Bettler werden, wäh-
rend bei einem sogenannten Handelshause, wenn es sich auflöst,
nur einige Commis für ein paar Tage außer Thätigkeit kommen.
Der Patriot wird zugleich begreifen, daß auf dem Wege der,
unsere Gewerbthätigkeit völlig ruinirenden Handelsfreiheit wohl
schwerlich die auch uns beschäftigende Proletariatsfrage eine be-
friedigende Lösung erhalten könne.

Wie uns bedünken will, ist die gegenwärtige Aufgabe Deutsch-
lands in Bezug auf seine materiellen Jnteressen — die übrigens
mit den politischen im innigsten Zusammenhange stehen — die:
daß es so schnell wie nur immer möglich

1 ) alle Binnenzölle, überhaupt alle den inneren Verkehr noch
hemmenden Schranken aufhebe und sich in seiner Gesammtheit
einem Schutzzollsysteme unterwerfe, wobei jedoch auf Errichtung
einer genügenden Anzahl von Freihäfen und auf geringe Verzoll-
ung der transitirenden Waaren besondere Rücksicht zu nehmen
wäre;

2 ) die Einführung eines gleichen Münz=, Maas= und Ge-
wichtssystems bewerkstellige;

3 ) sich über gemeinschaftliche Gesetzgebung in Bezug auf Han-
del und Gewerbe sowie über eine entsprechende Agrarverfassung
einige; daß es endlich

4 ) Handelsverträge mit solchen fremden Staaten abschließe,
welche uns reelle Vortheile zu gewähren im Stande sind, nament-
lich geeignet erscheinen, unserer Jndustrie durch starke Bezüge
unter die Arme zu greifen.

Verfährt Deutschland in dieser Weise, sorgt es inmittelst auch
für die Beschaffung einer seinem Bedürfnisse entsprechenden
Reichsmarine und, bis diese den erforderlichen Grad von Stärke
erlangt, für enge Allianz mit einer Seemacht, die nach der Natur
ihrer Verhältnisse ein aufrichtiges Jnteresse für unsere Bestreb-
ungen fühlen muß; sorgt es ferner auch noch für Organisation
der Auswanderung nach einem verständigen Plane der Art, daß
die neuen Niederlassungen in steter Relation mit dem Mutterlande
bleiben und gewissermaßen seine Colonien bilden: dann werden
des Vaterlandes Kräfte sich bald wunderbar entwickeln, Ackerbau
und Gewerbe werden sich schnell zu einem zuvor nie gekannten Grad
von Blüthe entfalten, und das drohende Gespenst des Pauperis-
mus wird verschwinden. Der deutsche Handel aber wird, so-
wohl in den vielfachen Verzweigungen des inneren Verkehres un-
seres großen Vaterlandes als in dessen äußeren Beziehungen,
ein hinreichendes Feld für eine eben so ehrenvolle und nützliche
wie lohnende Thätigkeit finden, ohne darum nöthig zu haben,
zum Ruin des eigenen Landes eine schmachvolle Verbindung mit
jenen fremden Handelspolitikern einzugehen, deren wahre Ten-
denzen, zumal für uns Deutsche, keine Geheimnisse mehr seyn
dürften.



Deutschland.
Reichstag.

f Frankfurt 12. September. Jn der gestrigen Sitzung war
eine gedrückte Stimmung durchherrschend. Einerseits sprach sich
sowohl in den Reden der Rechten als der Linken lebhafte Besorg-
niß aus vor einer stets mächtiger emporwuchernden Reaction, vor
einer unheilvoll erstarkenden Gewalt der Sonderinteressen; an-
dererseits gab sich die Befürchtung kund, das deutsche Volk, un-
geduldig und vergeblich der Vollendung und Vollziehung der
Beschlüsse über seine Grundrechte entgegenharrend, möchte in
seinem Vertrauen, in seinem Eifer und seiner Opferwilligkeit,
wenn nicht der Gang der Verhandlungen beschleunigt werde, er-
schüttert und abwendig gemacht, in die Ruhe der alten Zustände
zurücksinken oder bei deren Unhaltbarkeit der Anarchie verfallen.
Der Präsident zeigt an, daß die Bildung eines neuen Ministeri-
[Spaltenumbruch] ums noch nicht zu Stande gekommen. Herr v. Hermann war
zum Reichsverweser berufen worden. ( Gestern Abend verlautete
noch Nichts vom Erfolge. ) Merk beklagt die fortdauernde Auf-
rechthaltung des österreichischen Münzausfuhrverbotes, die in
schroffem Widerspruch steht mit der Einigung Deutschlands, und
trotz wiederholter Aufforderungen noch keineswegs zurückgenom-
men werden will: daher wird eine neue, dringliche Mahnung
verlangt und beschlossen. Nach ihm betrat Bassermann die
Rednerbühne. Die Langsamkeit der Verhandlungen über die
Grundrechte, die Ungewißheit der Lage des Reiches, der Werth
des Augenblickes, Alles dränge zu rascher Erledigung dieser
Frage. Am Stromesufer überzusetzen genöthigt, könne man nicht
sich sorgsam nach dem bequemsten Fahrzeuge umsehen; die Noth
drängt, man müsse dem nächsten besten Kahne sich anvertrauen.
Energie verlange das Volk von seinen Vertretern: darin müsse
sie sich zeigen, daß man Alles von der Hand weise, was die Be-
rathung der Grundréchte und des Verfassungswerkes hindern
könne. Seyen einmal die Grundrechte bestimmt, die Verfassung
vollendet, und damit das Provisorium in ein Definitorium über-
gegangen, dann könne Deutschland im Jnnern gereinigt und
erstarkt, auch nach Außen auf bessere Anerkennung seines Rechtes
rechnen. Sey das Reich im Jnnern geordnet, so daß man wisse,
was mit dem Anschluß zu gewinnen und zu verlieren, dann könne
man auch nach den deutschen Brüdern im Auslande mit Hoffnung
auf Erfolg die Hand reichen. Vor Allem müssen die Befugnisse
der Centralgewalt
gegenüber den Regierungen durch das Ver-
fassungswerk feststehen, dann wird man keine österreichischen Münz-
ausfuhrverbote, keine Malmöer Waffenstillstände mehr zu bekla-
gen haben. Dann, wann die Macht und Einheit eine feste Grund-
lage gefunden, dürfte auch der materielle Wohlstand einen neuen
Aufschwung hoffen. Der Redner berechnet nun, wie lange man
brauchen werde, um mit der Abstimmung über die Grundrechte
zu Stande zu kommen, nämlich bis 1850 nach dem geringsten
Voranschlag; er will das Verfassungswerk, die Ordnung der Ver-
hältnisse zu den einzelnen Territorien schleunigst festgestellt und
darum die Entwürfe den aus allen Parteien zusammengesetzten
Ausschüssen übertragen wissen. Bassermann will seinen An-
trag als dringlich zugelassen wissen; die Dringlichkeit wird ange-
nommen.

Gegen Bassermann spricht Schoder. Zur Majo-
rität könne er kein Vertrauen haben, die Ausschüsse würden durch
Bassermann's Antrag eine willkürliche, gefährliche Macht er-
langen; die Minorität werde willenlos und lautlos unter die
Mehrheit sich fügen müssen. Zudem werde die Motion, wenn
auch angenommen, ihr Ziel im Wesentlichen nicht erreichen. Es
komme nicht darauf an, schnell fertig zu werden mit Beschlüssen,
sondern darauf, die gefaßten Beschlüsse schnell ins Leben einzu-
führen, ihnen allgemeine Gesetzeskraft zu verschaffen. v. Vincke
gegen Schoder und Bassermann. Vogt aus Gießen bemerkt, daß
die Linke, wenn das Vertrauen zum Parlament geschwächt sey, nicht
die Schuld trage, da sie regelmäßig in der Minorität gewesen. Er
wolle keinem Antrage, von welcher Seite er komme, entgegen seyn,
wenn nur dadurch Etwas für die deutsche Sache gewonnen werde;
das lasse sich vom Bassermann'schen nicht hoffen. Die Grund-
rechte des Volkes, sein Wille, sein Vertrauen seyen die Säulen,
auf denen die Landesverfassung ruhen müsse, dann könne man
als Dach die Verhältnisse zu den Territorien darauf setzen; dann
werde kein Druck sich fühlbar machen, Bassermann wolle zuerst
das Dach, dann die Säulen. Er sey inconsequent, er sey links
geworden. Früher habe er, als ein ähnlicher Antrag von der
Linken ausgegangen, sich dagegen erhoben. Man habe die Frei-
heit der Rede in Anspruch genommen. Er wolle diese Freiheit,
darum dürfe er sich auch gestatten, zu prüfen, welche Motive
Bassermanns Antrag könne gehabt haben. Man wolle eine
Centralgewalt, man wolle mit den Regierungen in's Reine kom-
men, diese würden sich beeilen auf den Wunsch einzugehen, um
unter gesicherten Verhältnissen die Reaction wieder aufnehmen zu
können u. s. w.

Bassermann vertheidigt sich gegen den Vorwurf
der Jnconsequenz; er habe schon früher beantragt, man möchte
sich möglichst der Jnterpellationen enthalten. Also sey jeder-
zeit ihm daran gelegen, die Verhandlungen zu beschleunigen.
Er sey daran gewöhnt, sich falsche Motive unterlegen zu
lassen; und wenn man darüber sich mißtrauisch zeige, daß die
Mehrheit durch die Ausschüsse nach seinem Antrag ein unziemen-
des Uebergewicht über die Minorität erlange, daß sie zum
Schweigen genöthigt sey, indem es ganz bei der Majorität stehe,
Discussion zu verlangen, wenn sie es in ihrem Jnteresse finde:
so seyen eben auch Fälle möglich, wo die Rechte in der Minder-
heit stimme; es seyen Fälle möglich, wo man die Beschlüsse der
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[0002] sachen sind kein Beweis für den Werth unbeschränkter Handels- freiheit, sondern nur Beweis, daß es auch in Deutschland einer- seits Kaufleute und Kosmopoliten, andererseits Fabrikanten und strenge Patrioten gibt. Der Kaufmann, oder vielmehr der reiche Krämer, der nur im Auslande kauft, um im Jnlande zu verkaufen, der so wenig wie der Kosmopolit ein Vaterland besitzt, dessen Gott seine Kasse und die zehn Gebote die Kurszettel sind, wird und muß aus ein- leuchtenden Gründen für Handelsfreiheit sprechen und sich gegen Zoll und Einfuhrverbot stemmen, weil durch diese seine Krämerei leidet. Der Fabrikant hingegen, der vielleicht ein eben so großes Kapital in seiner Fabrik angelegt hat, als der Krämer in seinem Handel, der täglich mehr durch unbeschränkte Einfuhr in Gefahr geräth, sein Kapital sammt Jnteressen zu verlieren, wird auf die Gefahr aufmerksam machen, in welche nicht blos er, sondern der Staat, dessen Bürger er ist, gerathen muß, wenn er nicht den- selben Schutz findet, den die Fabrikanten in anderen Ländern ge- nießen. Jeder wahre Freund des Vaterlandes wird einsehen, daß wenn nur ein bedeutender Fabrikant seine Fabrik still stehen lassen muß, hundert fleißige Mitbürger brodlose Bettler werden, wäh- rend bei einem sogenannten Handelshause, wenn es sich auflöst, nur einige Commis für ein paar Tage außer Thätigkeit kommen. Der Patriot wird zugleich begreifen, daß auf dem Wege der, unsere Gewerbthätigkeit völlig ruinirenden Handelsfreiheit wohl schwerlich die auch uns beschäftigende Proletariatsfrage eine be- friedigende Lösung erhalten könne. Wie uns bedünken will, ist die gegenwärtige Aufgabe Deutsch- lands in Bezug auf seine materiellen Jnteressen — die übrigens mit den politischen im innigsten Zusammenhange stehen — die: daß es so schnell wie nur immer möglich 1 ) alle Binnenzölle, überhaupt alle den inneren Verkehr noch hemmenden Schranken aufhebe und sich in seiner Gesammtheit einem Schutzzollsysteme unterwerfe, wobei jedoch auf Errichtung einer genügenden Anzahl von Freihäfen und auf geringe Verzoll- ung der transitirenden Waaren besondere Rücksicht zu nehmen wäre; 2 ) die Einführung eines gleichen Münz=, Maas= und Ge- wichtssystems bewerkstellige; 3 ) sich über gemeinschaftliche Gesetzgebung in Bezug auf Han- del und Gewerbe sowie über eine entsprechende Agrarverfassung einige; daß es endlich 4 ) Handelsverträge mit solchen fremden Staaten abschließe, welche uns reelle Vortheile zu gewähren im Stande sind, nament- lich geeignet erscheinen, unserer Jndustrie durch starke Bezüge unter die Arme zu greifen. Verfährt Deutschland in dieser Weise, sorgt es inmittelst auch für die Beschaffung einer seinem Bedürfnisse entsprechenden Reichsmarine und, bis diese den erforderlichen Grad von Stärke erlangt, für enge Allianz mit einer Seemacht, die nach der Natur ihrer Verhältnisse ein aufrichtiges Jnteresse für unsere Bestreb- ungen fühlen muß; sorgt es ferner auch noch für Organisation der Auswanderung nach einem verständigen Plane der Art, daß die neuen Niederlassungen in steter Relation mit dem Mutterlande bleiben und gewissermaßen seine Colonien bilden: dann werden des Vaterlandes Kräfte sich bald wunderbar entwickeln, Ackerbau und Gewerbe werden sich schnell zu einem zuvor nie gekannten Grad von Blüthe entfalten, und das drohende Gespenst des Pauperis- mus wird verschwinden. Der deutsche Handel aber wird, so- wohl in den vielfachen Verzweigungen des inneren Verkehres un- seres großen Vaterlandes als in dessen äußeren Beziehungen, ein hinreichendes Feld für eine eben so ehrenvolle und nützliche wie lohnende Thätigkeit finden, ohne darum nöthig zu haben, zum Ruin des eigenen Landes eine schmachvolle Verbindung mit jenen fremden Handelspolitikern einzugehen, deren wahre Ten- denzen, zumal für uns Deutsche, keine Geheimnisse mehr seyn dürften. Deutschland. Reichstag. f Frankfurt 12. September. Jn der gestrigen Sitzung war eine gedrückte Stimmung durchherrschend. Einerseits sprach sich sowohl in den Reden der Rechten als der Linken lebhafte Besorg- niß aus vor einer stets mächtiger emporwuchernden Reaction, vor einer unheilvoll erstarkenden Gewalt der Sonderinteressen; an- dererseits gab sich die Befürchtung kund, das deutsche Volk, un- geduldig und vergeblich der Vollendung und Vollziehung der Beschlüsse über seine Grundrechte entgegenharrend, möchte in seinem Vertrauen, in seinem Eifer und seiner Opferwilligkeit, wenn nicht der Gang der Verhandlungen beschleunigt werde, er- schüttert und abwendig gemacht, in die Ruhe der alten Zustände zurücksinken oder bei deren Unhaltbarkeit der Anarchie verfallen. Der Präsident zeigt an, daß die Bildung eines neuen Ministeri- ums noch nicht zu Stande gekommen. Herr v. Hermann war zum Reichsverweser berufen worden. ( Gestern Abend verlautete noch Nichts vom Erfolge. ) Merk beklagt die fortdauernde Auf- rechthaltung des österreichischen Münzausfuhrverbotes, die in schroffem Widerspruch steht mit der Einigung Deutschlands, und trotz wiederholter Aufforderungen noch keineswegs zurückgenom- men werden will: daher wird eine neue, dringliche Mahnung verlangt und beschlossen. Nach ihm betrat Bassermann die Rednerbühne. Die Langsamkeit der Verhandlungen über die Grundrechte, die Ungewißheit der Lage des Reiches, der Werth des Augenblickes, Alles dränge zu rascher Erledigung dieser Frage. Am Stromesufer überzusetzen genöthigt, könne man nicht sich sorgsam nach dem bequemsten Fahrzeuge umsehen; die Noth drängt, man müsse dem nächsten besten Kahne sich anvertrauen. Energie verlange das Volk von seinen Vertretern: darin müsse sie sich zeigen, daß man Alles von der Hand weise, was die Be- rathung der Grundréchte und des Verfassungswerkes hindern könne. Seyen einmal die Grundrechte bestimmt, die Verfassung vollendet, und damit das Provisorium in ein Definitorium über- gegangen, dann könne Deutschland im Jnnern gereinigt und erstarkt, auch nach Außen auf bessere Anerkennung seines Rechtes rechnen. Sey das Reich im Jnnern geordnet, so daß man wisse, was mit dem Anschluß zu gewinnen und zu verlieren, dann könne man auch nach den deutschen Brüdern im Auslande mit Hoffnung auf Erfolg die Hand reichen. Vor Allem müssen die Befugnisse der Centralgewalt gegenüber den Regierungen durch das Ver- fassungswerk feststehen, dann wird man keine österreichischen Münz- ausfuhrverbote, keine Malmöer Waffenstillstände mehr zu bekla- gen haben. Dann, wann die Macht und Einheit eine feste Grund- lage gefunden, dürfte auch der materielle Wohlstand einen neuen Aufschwung hoffen. Der Redner berechnet nun, wie lange man brauchen werde, um mit der Abstimmung über die Grundrechte zu Stande zu kommen, nämlich bis 1850 nach dem geringsten Voranschlag; er will das Verfassungswerk, die Ordnung der Ver- hältnisse zu den einzelnen Territorien schleunigst festgestellt und darum die Entwürfe den aus allen Parteien zusammengesetzten Ausschüssen übertragen wissen. Bassermann will seinen An- trag als dringlich zugelassen wissen; die Dringlichkeit wird ange- nommen. Gegen Bassermann spricht Schoder. Zur Majo- rität könne er kein Vertrauen haben, die Ausschüsse würden durch Bassermann's Antrag eine willkürliche, gefährliche Macht er- langen; die Minorität werde willenlos und lautlos unter die Mehrheit sich fügen müssen. Zudem werde die Motion, wenn auch angenommen, ihr Ziel im Wesentlichen nicht erreichen. Es komme nicht darauf an, schnell fertig zu werden mit Beschlüssen, sondern darauf, die gefaßten Beschlüsse schnell ins Leben einzu- führen, ihnen allgemeine Gesetzeskraft zu verschaffen. v. Vincke gegen Schoder und Bassermann. Vogt aus Gießen bemerkt, daß die Linke, wenn das Vertrauen zum Parlament geschwächt sey, nicht die Schuld trage, da sie regelmäßig in der Minorität gewesen. Er wolle keinem Antrage, von welcher Seite er komme, entgegen seyn, wenn nur dadurch Etwas für die deutsche Sache gewonnen werde; das lasse sich vom Bassermann'schen nicht hoffen. Die Grund- rechte des Volkes, sein Wille, sein Vertrauen seyen die Säulen, auf denen die Landesverfassung ruhen müsse, dann könne man als Dach die Verhältnisse zu den Territorien darauf setzen; dann werde kein Druck sich fühlbar machen, Bassermann wolle zuerst das Dach, dann die Säulen. Er sey inconsequent, er sey links geworden. Früher habe er, als ein ähnlicher Antrag von der Linken ausgegangen, sich dagegen erhoben. Man habe die Frei- heit der Rede in Anspruch genommen. Er wolle diese Freiheit, darum dürfe er sich auch gestatten, zu prüfen, welche Motive Bassermanns Antrag könne gehabt haben. Man wolle eine Centralgewalt, man wolle mit den Regierungen in's Reine kom- men, diese würden sich beeilen auf den Wunsch einzugehen, um unter gesicherten Verhältnissen die Reaction wieder aufnehmen zu können u. s. w. Bassermann vertheidigt sich gegen den Vorwurf der Jnconsequenz; er habe schon früher beantragt, man möchte sich möglichst der Jnterpellationen enthalten. Also sey jeder- zeit ihm daran gelegen, die Verhandlungen zu beschleunigen. Er sey daran gewöhnt, sich falsche Motive unterlegen zu lassen; und wenn man darüber sich mißtrauisch zeige, daß die Mehrheit durch die Ausschüsse nach seinem Antrag ein unziemen- des Uebergewicht über die Minorität erlange, daß sie zum Schweigen genöthigt sey, indem es ganz bei der Majorität stehe, Discussion zu verlangen, wenn sie es in ihrem Jnteresse finde: so seyen eben auch Fälle möglich, wo die Rechte in der Minder- heit stimme; es seyen Fälle möglich, wo man die Beschlüsse der Majorität im Publicum für unbegründet halte, wo man sie

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 84. Mainz, 12. September 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal084_1848/2>, abgerufen am 23.11.2024.