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Mainzer Journal. Nr. 86. Mainz, 14. September 1848.

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Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 86. Freitag, den 15. September. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Eine Probe "Republik" aus Jtalien.

Livorno 4. September. [ Die Anarchie. ] Der Barrika-
denbau scheint in Jtalien epidemisch zu werden. Auch Livorno hat
seit gestern seine Barrikaden. Um Sie in den Stand zu setzen,
eine genaue Uebersicht dieses Ereignisses zu erhalten, ist es nöthig,
auf die Vorgänge der letzten Tage zurückzukommen. Jn meinem
letzten Briefe theilte ich Jhnen mit, daß sich der Pöbel am 25.
und 26. August aller Waffen bemächtigt hatte, und daß von dem
vor dem Gemeindehause versammelten Volke zwölf Männer ge-
wählt wurden, welche die Beschwerden des Volkes bei der Re-
gierung vertreten sollten. Der Padre Meloni, ein Dominikaner-
mönch, hielt mehrere Anreden an das Volk, und es gelang ihm,
Viele zu bewegen, die geraubten Waffen wieder zurückzubringen.
Da aber dennoch Vieles zu fürchten war, durchstreiften in der
Nacht vom 26. auf den 27. starke Patrouillen alle Theile der
Stadt. Am 28. bat der Padre Meloni das versammelte Volk,
seine Klagen und Beschwerden schriftlich aufzusetzen, er würde sie
sogleich nach Florenz befördern und befurworten. Einige ver-
langten die Fortsetzung des Krieges gegen Oesterreich,
Andere wünschten die Erbauung einer Flotte, noch Andere
verlangten eine Herabsetzung des Salzpreises; aber
ich bin überzeugt, daß die Meisten die eigentliche Ursache der ver-
gangenen Unruhen und Tumulte nicht zu gestehen wagten. Nach
den Niederlagen Karl Albert's erhebt die republikanische Partei
überall mächtig ihr Haupt. Jm Hintergrunde aller dieser Um-
triebe steht Raub, Plünderung und rothe Republik.
Mittlerweile hatte dir Regierung gemeldet, daß sie, um Ordnung
und Ruhe wieder herzustellen, Truppen nach Livorno schicken
werde. Der Padre Meloni fragte am 29. das wieder auf dem
Platze versammelte Volk, ob es Truppen haben wolle. Die ge-
bildete Volksclasse, vorher unterrichtet von Dem, was vorgehen
sollte, hatte sich diesmal in großer Anzahl eingefunden; das Ge-
sindel wurde überschrieen, und fast einstimmig wurde beschlossen,
Truppen in die Stadt zu verlangen. Dieser Beschluß wurde so-
gleich nach Florenz berichtet, und in der That kamen am 31.
Abends um 8 Uhr etwa 2000 Mann an. Die Bürgergarde war
ihnen entgegengezogen, und bei ihrem Eintritte in die Stadt
wurden alle Glocken geläutet. Alle Wohlgesinnten überließen
sich nun der freudigen Hoffnung, daß die, für eine Handelsstadt
so nothwendige Ruhe und Sicherheit wieder hergestellt werden
würde; aber sie sollten auf eine schreckliche Weise enttäuscht wer-
den. Um die Unruhestifter nun im Zaume zu halten, ließ der
großherzogliche Commissarius, Cipriani, am 1. September eine
Proclamation anschlagen, worin er erklärte, die Regierung werde
das Vergangene vergessen und nicht ahnden, sey aber entschlossen,
in Zukunft jeder Unruhe strenge zu begegnen. Am 2. Sept. Mor-
gens um 7 Uhr ließ der Commissarius durch einen Anschlagzettel
bekannt machen, daß alle politischen Cirkel in Toskana von den Kam-
mern unterdrückt seyen, daher auch der polit. Cirkel in Livorno auf-
hören müsse. Diese Bekanntmachung wurde sogleich überall abge-
rissen, einige Karabiniers, die es zu verhindern suchten, wurden
verwundet und entwaffnet. Gegen 5 Uhr Nachmittags bildeten
sich auf dem großen Platze Volksgruppen, welche nach und nach
eine drohende Gestalt annahmen. Dragoner und Karabiniers rückten
aus, um den Platz zu säubern; sie wurden von dem rohen Hau-
fen ( größtentheils Gassenjungen und Gesindel ) mit lautem Ge-
schrei verhöhnt und ausgepfiffen. Einige liefen fort, um sich zu
bewaffnen, Andere auf die Kirchthürme, um Sturm zu läuten.
Vom Pöbel wurde zuerst auf die Truppen geschossen. Was soll-
ten diese nach einer solchen Verhöhnung und Herausforderung
thun? Sie machten auch Gebrauch von ihren Waffen. Jnfanterie
und Kanonen kamen auf den Platz; und auch von den letzteren
wurde Gebrauch gemacht. Aber das Militair zeigte wenig Muth
und war schlecht angeführt, so daß bei all seiner materiellen Ue-
berlegenheit dennoch ein sehr ungleicher Kampf entstand. Die
Aufrührer hielten sich an den Straßenecken, welche auf den großen
Platz führen, und feuerten, durch die Mauern der Häuser geschützt,
auf die Soldaten, welche auf der Mitte des Platzes standen. Sie
trafen, ohne getroffen zu werden, und so geschah es denn, daß
von den Jnsurgenten nur 4, von den Truppen aber wenigstens 15
getödtet und an 60 verwundet wurden. Es gelang endlich dem
[Spaltenumbruch] Militär, die auf den Platz führenden Straßenecken zu besetzen,
und um 10 Uhr hatte das Feuern ein Ende. Einige Häuser hin-
ter der Domkirche wurden durch Kanonenkugeln beschädigt und
die Frau eines Kaffewirthes hinter dem Zahltische durch eine
sechspfündige Kugel getödtet. Man kann sagen, daß das Militär
planlos zur Schlachtbank geführt worden ist. Gestern Morgen
um 8 Uhr zogen sich sämmtliche Truppen vom Platze in die Fest-
ungen zurück, nachdem sie theilweise mit dem Volke fraternisirt
hatten. Seit der Zeit ist die Stadt gänzlich in den Händen des
letztern. Eine Deputation ist nach Florenz geschickt worden, um
den Marchese Neri Corsini, den früheren Gouverneur von Livorno,
und den Advokaten Guerrazzi nach Livorno zu begehren. Jch
glaube aber, der Erstere, ein wahrhafter Ehrenmann, wird unter
den jetzigen Umständen die Würde eines Gouverneurs von Li-
vorno nicht annehmen, und der Zweite wird die Lage der Stadt
nur noch verschlimmern. Um auf einen Angriff auf die Stadt
vorbereitet zu seyn, fing man seit gestern Mittag an, Barrikaden
zu bauen; es mögen deren etwa 12 im Ganzen seyn. Ein wilder
Haufen zog bewaffnet gegen 5 Uhr Nachmittags mit einer Frei-
heitsfahne durch die Stadt und proklamirte die Republik. Die
Marseillaise wurde dabei gesungen und alle großh. Wappenschil-
der abgerissen. Alle angesehenen und reichen Familien haben die
Stadt verlassen, und die meisten Kaufläden sind geschlossen. Jch
befürchte eine Plünderung der Stadt. Der Großherzog kann sich
jetzt nur durch fremde Hilfe wieder auf dem Thron befestigen;
sollte also Oesterreich um Hilfe angerufen werden, so zeige es sich
diesmal klug und mische sich durchaus nicht in die inneren Ange-
legenheiten Toskana's. Es verweigere geradezu alle Hilfe. Die
Oesterreicher würden in Livorno gerade dasselbe Loos haben, das
sie in Bologna traf. Der Pöbel würde sie ruhig in die Stadt
hereinlassen und dann meuchlings über sie herfallen. Die Tapfer-
keit der Jtaliener besteht ja nur in Verrath. Sie mögen also selbst
sehen, wie sie unter sich fertig werden und ihre Händel schlichten.



Deutschland.
Reichstag.

# Frankfurt 14. September. Den Grundrechten wurde
heute Waffenstillstand bewilliget, um den Waffenstillstand mit
Dänemark in Berathung zu nehmen. Herr von Lindenau er-
öffnet den Reigen und empfiehlt in einer langen, aber unverständ-
lichen Rede seinen Antrag auf eine bedingte Ratification. Jhm
folgt weiland Reichsminister Heckscher und versucht eine allsei-
tige Rechtfertigung des Verfahrens des abgetretenen Ministeriums,
wobei er zugleich, auf das Materielle der Sache eingehend, die
günstigen Seiten des Vertrages und die inzwischen eingetretenen
Verhältnisse hervorhebt. Der Beifall ist nicht sehr ergiebig. Ve-
nedey
hält sofort eine Lobrede auf das Verfahren des alten
Bundestages und mehrerer Organe der preußischen Regierung in
dieser Angelegenheit, um den Tadel auf die nachbundestägliche
Politik in seinem ganzen Gewichte fallen zu lassen. Viele Zuhörer
haben vor Langweile inzwischen die Flucht ergriffen. Der alte
Arndt folgt nach und erklärt, daß die dermalige Lage Deutsch-
lands ihn bestimme, sein Votum abzuändern und für Ratification
des Waffenstillstandes zu sprechen. Eisenmann von Nürnberg
bleibt bei seiner Meinung, vermuthet, es könnten noch geheime
Artikel neben den officiellen existiren, sieht Reaction zumal in
Preußen, lobt Bayern und bringt einen eigenen Antrag zum
Vorschein. Franke aus Schleswig erklärt sich für den Waffen-
stillstand, weil dessen Ausführung nicht mehr zu hintertreiben, die
Bedingungen theilweise günstig und überdies im Laufe der Ereig-
nisse Aenderungen zum Bessern factisch und rechtlich eingetreten
seyen. Nachdem von Maltzahn schon Gesagtes langweilig
wiederholt, besteigt von Herrmann die Rednerbühne, um im
niedrigsten Style dem gewesenen Ministerium den Text zu lesen
und eine Theorie über internationale Politik vorzutragen, wie sie
bis jetzt nicht dagewesen und schwerlich jemals aufkommen wird.
Er hat sich unmöglich gemacht! Jhm antwortet von Schmer-
ling
mit attischem Salz, worauf die Verhandlungen bis morgen
verschoben werden.

Berlin 11. September. ( K. Z. ) Jn Beziehung auf die
deutschen Reichs=Angelegenheiten scheint mit dem Personenwechsel
[Ende Spaltensatz]

Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 86. Freitag, den 15. September. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Eine Probe „Republik“ aus Jtalien.

Livorno 4. September. [ Die Anarchie. ] Der Barrika-
denbau scheint in Jtalien epidemisch zu werden. Auch Livorno hat
seit gestern seine Barrikaden. Um Sie in den Stand zu setzen,
eine genaue Uebersicht dieses Ereignisses zu erhalten, ist es nöthig,
auf die Vorgänge der letzten Tage zurückzukommen. Jn meinem
letzten Briefe theilte ich Jhnen mit, daß sich der Pöbel am 25.
und 26. August aller Waffen bemächtigt hatte, und daß von dem
vor dem Gemeindehause versammelten Volke zwölf Männer ge-
wählt wurden, welche die Beschwerden des Volkes bei der Re-
gierung vertreten sollten. Der Padre Meloni, ein Dominikaner-
mönch, hielt mehrere Anreden an das Volk, und es gelang ihm,
Viele zu bewegen, die geraubten Waffen wieder zurückzubringen.
Da aber dennoch Vieles zu fürchten war, durchstreiften in der
Nacht vom 26. auf den 27. starke Patrouillen alle Theile der
Stadt. Am 28. bat der Padre Meloni das versammelte Volk,
seine Klagen und Beschwerden schriftlich aufzusetzen, er würde sie
sogleich nach Florenz befördern und befurworten. Einige ver-
langten die Fortsetzung des Krieges gegen Oesterreich,
Andere wünschten die Erbauung einer Flotte, noch Andere
verlangten eine Herabsetzung des Salzpreises; aber
ich bin überzeugt, daß die Meisten die eigentliche Ursache der ver-
gangenen Unruhen und Tumulte nicht zu gestehen wagten. Nach
den Niederlagen Karl Albert's erhebt die republikanische Partei
überall mächtig ihr Haupt. Jm Hintergrunde aller dieser Um-
triebe steht Raub, Plünderung und rothe Republik.
Mittlerweile hatte dir Regierung gemeldet, daß sie, um Ordnung
und Ruhe wieder herzustellen, Truppen nach Livorno schicken
werde. Der Padre Meloni fragte am 29. das wieder auf dem
Platze versammelte Volk, ob es Truppen haben wolle. Die ge-
bildete Volksclasse, vorher unterrichtet von Dem, was vorgehen
sollte, hatte sich diesmal in großer Anzahl eingefunden; das Ge-
sindel wurde überschrieen, und fast einstimmig wurde beschlossen,
Truppen in die Stadt zu verlangen. Dieser Beschluß wurde so-
gleich nach Florenz berichtet, und in der That kamen am 31.
Abends um 8 Uhr etwa 2000 Mann an. Die Bürgergarde war
ihnen entgegengezogen, und bei ihrem Eintritte in die Stadt
wurden alle Glocken geläutet. Alle Wohlgesinnten überließen
sich nun der freudigen Hoffnung, daß die, für eine Handelsstadt
so nothwendige Ruhe und Sicherheit wieder hergestellt werden
würde; aber sie sollten auf eine schreckliche Weise enttäuscht wer-
den. Um die Unruhestifter nun im Zaume zu halten, ließ der
großherzogliche Commissarius, Cipriani, am 1. September eine
Proclamation anschlagen, worin er erklärte, die Regierung werde
das Vergangene vergessen und nicht ahnden, sey aber entschlossen,
in Zukunft jeder Unruhe strenge zu begegnen. Am 2. Sept. Mor-
gens um 7 Uhr ließ der Commissarius durch einen Anschlagzettel
bekannt machen, daß alle politischen Cirkel in Toskana von den Kam-
mern unterdrückt seyen, daher auch der polit. Cirkel in Livorno auf-
hören müsse. Diese Bekanntmachung wurde sogleich überall abge-
rissen, einige Karabiniers, die es zu verhindern suchten, wurden
verwundet und entwaffnet. Gegen 5 Uhr Nachmittags bildeten
sich auf dem großen Platze Volksgruppen, welche nach und nach
eine drohende Gestalt annahmen. Dragoner und Karabiniers rückten
aus, um den Platz zu säubern; sie wurden von dem rohen Hau-
fen ( größtentheils Gassenjungen und Gesindel ) mit lautem Ge-
schrei verhöhnt und ausgepfiffen. Einige liefen fort, um sich zu
bewaffnen, Andere auf die Kirchthürme, um Sturm zu läuten.
Vom Pöbel wurde zuerst auf die Truppen geschossen. Was soll-
ten diese nach einer solchen Verhöhnung und Herausforderung
thun? Sie machten auch Gebrauch von ihren Waffen. Jnfanterie
und Kanonen kamen auf den Platz; und auch von den letzteren
wurde Gebrauch gemacht. Aber das Militair zeigte wenig Muth
und war schlecht angeführt, so daß bei all seiner materiellen Ue-
berlegenheit dennoch ein sehr ungleicher Kampf entstand. Die
Aufrührer hielten sich an den Straßenecken, welche auf den großen
Platz führen, und feuerten, durch die Mauern der Häuser geschützt,
auf die Soldaten, welche auf der Mitte des Platzes standen. Sie
trafen, ohne getroffen zu werden, und so geschah es denn, daß
von den Jnsurgenten nur 4, von den Truppen aber wenigstens 15
getödtet und an 60 verwundet wurden. Es gelang endlich dem
[Spaltenumbruch] Militär, die auf den Platz führenden Straßenecken zu besetzen,
und um 10 Uhr hatte das Feuern ein Ende. Einige Häuser hin-
ter der Domkirche wurden durch Kanonenkugeln beschädigt und
die Frau eines Kaffewirthes hinter dem Zahltische durch eine
sechspfündige Kugel getödtet. Man kann sagen, daß das Militär
planlos zur Schlachtbank geführt worden ist. Gestern Morgen
um 8 Uhr zogen sich sämmtliche Truppen vom Platze in die Fest-
ungen zurück, nachdem sie theilweise mit dem Volke fraternisirt
hatten. Seit der Zeit ist die Stadt gänzlich in den Händen des
letztern. Eine Deputation ist nach Florenz geschickt worden, um
den Marchese Neri Corsini, den früheren Gouverneur von Livorno,
und den Advokaten Guerrazzi nach Livorno zu begehren. Jch
glaube aber, der Erstere, ein wahrhafter Ehrenmann, wird unter
den jetzigen Umständen die Würde eines Gouverneurs von Li-
vorno nicht annehmen, und der Zweite wird die Lage der Stadt
nur noch verschlimmern. Um auf einen Angriff auf die Stadt
vorbereitet zu seyn, fing man seit gestern Mittag an, Barrikaden
zu bauen; es mögen deren etwa 12 im Ganzen seyn. Ein wilder
Haufen zog bewaffnet gegen 5 Uhr Nachmittags mit einer Frei-
heitsfahne durch die Stadt und proklamirte die Republik. Die
Marseillaise wurde dabei gesungen und alle großh. Wappenschil-
der abgerissen. Alle angesehenen und reichen Familien haben die
Stadt verlassen, und die meisten Kaufläden sind geschlossen. Jch
befürchte eine Plünderung der Stadt. Der Großherzog kann sich
jetzt nur durch fremde Hilfe wieder auf dem Thron befestigen;
sollte also Oesterreich um Hilfe angerufen werden, so zeige es sich
diesmal klug und mische sich durchaus nicht in die inneren Ange-
legenheiten Toskana's. Es verweigere geradezu alle Hilfe. Die
Oesterreicher würden in Livorno gerade dasselbe Loos haben, das
sie in Bologna traf. Der Pöbel würde sie ruhig in die Stadt
hereinlassen und dann meuchlings über sie herfallen. Die Tapfer-
keit der Jtaliener besteht ja nur in Verrath. Sie mögen also selbst
sehen, wie sie unter sich fertig werden und ihre Händel schlichten.



Deutschland.
Reichstag.

# Frankfurt 14. September. Den Grundrechten wurde
heute Waffenstillstand bewilliget, um den Waffenstillstand mit
Dänemark in Berathung zu nehmen. Herr von Lindenau er-
öffnet den Reigen und empfiehlt in einer langen, aber unverständ-
lichen Rede seinen Antrag auf eine bedingte Ratification. Jhm
folgt weiland Reichsminister Heckscher und versucht eine allsei-
tige Rechtfertigung des Verfahrens des abgetretenen Ministeriums,
wobei er zugleich, auf das Materielle der Sache eingehend, die
günstigen Seiten des Vertrages und die inzwischen eingetretenen
Verhältnisse hervorhebt. Der Beifall ist nicht sehr ergiebig. Ve-
nedey
hält sofort eine Lobrede auf das Verfahren des alten
Bundestages und mehrerer Organe der preußischen Regierung in
dieser Angelegenheit, um den Tadel auf die nachbundestägliche
Politik in seinem ganzen Gewichte fallen zu lassen. Viele Zuhörer
haben vor Langweile inzwischen die Flucht ergriffen. Der alte
Arndt folgt nach und erklärt, daß die dermalige Lage Deutsch-
lands ihn bestimme, sein Votum abzuändern und für Ratification
des Waffenstillstandes zu sprechen. Eisenmann von Nürnberg
bleibt bei seiner Meinung, vermuthet, es könnten noch geheime
Artikel neben den officiellen existiren, sieht Reaction zumal in
Preußen, lobt Bayern und bringt einen eigenen Antrag zum
Vorschein. Franke aus Schleswig erklärt sich für den Waffen-
stillstand, weil dessen Ausführung nicht mehr zu hintertreiben, die
Bedingungen theilweise günstig und überdies im Laufe der Ereig-
nisse Aenderungen zum Bessern factisch und rechtlich eingetreten
seyen. Nachdem von Maltzahn schon Gesagtes langweilig
wiederholt, besteigt von Herrmann die Rednerbühne, um im
niedrigsten Style dem gewesenen Ministerium den Text zu lesen
und eine Theorie über internationale Politik vorzutragen, wie sie
bis jetzt nicht dagewesen und schwerlich jemals aufkommen wird.
Er hat sich unmöglich gemacht! Jhm antwortet von Schmer-
ling
mit attischem Salz, worauf die Verhandlungen bis morgen
verschoben werden.

Berlin 11. September. ( K. Z. ) Jn Beziehung auf die
deutschen Reichs=Angelegenheiten scheint mit dem Personenwechsel
[Ende Spaltensatz]

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[0005] Beilage zum Mainzer Journal. Nro 86. Freitag, den 15. September. 1848. Eine Probe „Republik“ aus Jtalien. Livorno 4. September. [ Die Anarchie. ] Der Barrika- denbau scheint in Jtalien epidemisch zu werden. Auch Livorno hat seit gestern seine Barrikaden. Um Sie in den Stand zu setzen, eine genaue Uebersicht dieses Ereignisses zu erhalten, ist es nöthig, auf die Vorgänge der letzten Tage zurückzukommen. Jn meinem letzten Briefe theilte ich Jhnen mit, daß sich der Pöbel am 25. und 26. August aller Waffen bemächtigt hatte, und daß von dem vor dem Gemeindehause versammelten Volke zwölf Männer ge- wählt wurden, welche die Beschwerden des Volkes bei der Re- gierung vertreten sollten. Der Padre Meloni, ein Dominikaner- mönch, hielt mehrere Anreden an das Volk, und es gelang ihm, Viele zu bewegen, die geraubten Waffen wieder zurückzubringen. Da aber dennoch Vieles zu fürchten war, durchstreiften in der Nacht vom 26. auf den 27. starke Patrouillen alle Theile der Stadt. Am 28. bat der Padre Meloni das versammelte Volk, seine Klagen und Beschwerden schriftlich aufzusetzen, er würde sie sogleich nach Florenz befördern und befurworten. Einige ver- langten die Fortsetzung des Krieges gegen Oesterreich, Andere wünschten die Erbauung einer Flotte, noch Andere verlangten eine Herabsetzung des Salzpreises; aber ich bin überzeugt, daß die Meisten die eigentliche Ursache der ver- gangenen Unruhen und Tumulte nicht zu gestehen wagten. Nach den Niederlagen Karl Albert's erhebt die republikanische Partei überall mächtig ihr Haupt. Jm Hintergrunde aller dieser Um- triebe steht Raub, Plünderung und rothe Republik. Mittlerweile hatte dir Regierung gemeldet, daß sie, um Ordnung und Ruhe wieder herzustellen, Truppen nach Livorno schicken werde. Der Padre Meloni fragte am 29. das wieder auf dem Platze versammelte Volk, ob es Truppen haben wolle. Die ge- bildete Volksclasse, vorher unterrichtet von Dem, was vorgehen sollte, hatte sich diesmal in großer Anzahl eingefunden; das Ge- sindel wurde überschrieen, und fast einstimmig wurde beschlossen, Truppen in die Stadt zu verlangen. Dieser Beschluß wurde so- gleich nach Florenz berichtet, und in der That kamen am 31. Abends um 8 Uhr etwa 2000 Mann an. Die Bürgergarde war ihnen entgegengezogen, und bei ihrem Eintritte in die Stadt wurden alle Glocken geläutet. Alle Wohlgesinnten überließen sich nun der freudigen Hoffnung, daß die, für eine Handelsstadt so nothwendige Ruhe und Sicherheit wieder hergestellt werden würde; aber sie sollten auf eine schreckliche Weise enttäuscht wer- den. Um die Unruhestifter nun im Zaume zu halten, ließ der großherzogliche Commissarius, Cipriani, am 1. September eine Proclamation anschlagen, worin er erklärte, die Regierung werde das Vergangene vergessen und nicht ahnden, sey aber entschlossen, in Zukunft jeder Unruhe strenge zu begegnen. Am 2. Sept. Mor- gens um 7 Uhr ließ der Commissarius durch einen Anschlagzettel bekannt machen, daß alle politischen Cirkel in Toskana von den Kam- mern unterdrückt seyen, daher auch der polit. Cirkel in Livorno auf- hören müsse. Diese Bekanntmachung wurde sogleich überall abge- rissen, einige Karabiniers, die es zu verhindern suchten, wurden verwundet und entwaffnet. Gegen 5 Uhr Nachmittags bildeten sich auf dem großen Platze Volksgruppen, welche nach und nach eine drohende Gestalt annahmen. Dragoner und Karabiniers rückten aus, um den Platz zu säubern; sie wurden von dem rohen Hau- fen ( größtentheils Gassenjungen und Gesindel ) mit lautem Ge- schrei verhöhnt und ausgepfiffen. Einige liefen fort, um sich zu bewaffnen, Andere auf die Kirchthürme, um Sturm zu läuten. Vom Pöbel wurde zuerst auf die Truppen geschossen. Was soll- ten diese nach einer solchen Verhöhnung und Herausforderung thun? Sie machten auch Gebrauch von ihren Waffen. Jnfanterie und Kanonen kamen auf den Platz; und auch von den letzteren wurde Gebrauch gemacht. Aber das Militair zeigte wenig Muth und war schlecht angeführt, so daß bei all seiner materiellen Ue- berlegenheit dennoch ein sehr ungleicher Kampf entstand. Die Aufrührer hielten sich an den Straßenecken, welche auf den großen Platz führen, und feuerten, durch die Mauern der Häuser geschützt, auf die Soldaten, welche auf der Mitte des Platzes standen. Sie trafen, ohne getroffen zu werden, und so geschah es denn, daß von den Jnsurgenten nur 4, von den Truppen aber wenigstens 15 getödtet und an 60 verwundet wurden. Es gelang endlich dem Militär, die auf den Platz führenden Straßenecken zu besetzen, und um 10 Uhr hatte das Feuern ein Ende. Einige Häuser hin- ter der Domkirche wurden durch Kanonenkugeln beschädigt und die Frau eines Kaffewirthes hinter dem Zahltische durch eine sechspfündige Kugel getödtet. Man kann sagen, daß das Militär planlos zur Schlachtbank geführt worden ist. Gestern Morgen um 8 Uhr zogen sich sämmtliche Truppen vom Platze in die Fest- ungen zurück, nachdem sie theilweise mit dem Volke fraternisirt hatten. Seit der Zeit ist die Stadt gänzlich in den Händen des letztern. Eine Deputation ist nach Florenz geschickt worden, um den Marchese Neri Corsini, den früheren Gouverneur von Livorno, und den Advokaten Guerrazzi nach Livorno zu begehren. Jch glaube aber, der Erstere, ein wahrhafter Ehrenmann, wird unter den jetzigen Umständen die Würde eines Gouverneurs von Li- vorno nicht annehmen, und der Zweite wird die Lage der Stadt nur noch verschlimmern. Um auf einen Angriff auf die Stadt vorbereitet zu seyn, fing man seit gestern Mittag an, Barrikaden zu bauen; es mögen deren etwa 12 im Ganzen seyn. Ein wilder Haufen zog bewaffnet gegen 5 Uhr Nachmittags mit einer Frei- heitsfahne durch die Stadt und proklamirte die Republik. Die Marseillaise wurde dabei gesungen und alle großh. Wappenschil- der abgerissen. Alle angesehenen und reichen Familien haben die Stadt verlassen, und die meisten Kaufläden sind geschlossen. Jch befürchte eine Plünderung der Stadt. Der Großherzog kann sich jetzt nur durch fremde Hilfe wieder auf dem Thron befestigen; sollte also Oesterreich um Hilfe angerufen werden, so zeige es sich diesmal klug und mische sich durchaus nicht in die inneren Ange- legenheiten Toskana's. Es verweigere geradezu alle Hilfe. Die Oesterreicher würden in Livorno gerade dasselbe Loos haben, das sie in Bologna traf. Der Pöbel würde sie ruhig in die Stadt hereinlassen und dann meuchlings über sie herfallen. Die Tapfer- keit der Jtaliener besteht ja nur in Verrath. Sie mögen also selbst sehen, wie sie unter sich fertig werden und ihre Händel schlichten. Deutschland. Reichstag. # Frankfurt 14. September. Den Grundrechten wurde heute Waffenstillstand bewilliget, um den Waffenstillstand mit Dänemark in Berathung zu nehmen. Herr von Lindenau er- öffnet den Reigen und empfiehlt in einer langen, aber unverständ- lichen Rede seinen Antrag auf eine bedingte Ratification. Jhm folgt weiland Reichsminister Heckscher und versucht eine allsei- tige Rechtfertigung des Verfahrens des abgetretenen Ministeriums, wobei er zugleich, auf das Materielle der Sache eingehend, die günstigen Seiten des Vertrages und die inzwischen eingetretenen Verhältnisse hervorhebt. Der Beifall ist nicht sehr ergiebig. Ve- nedey hält sofort eine Lobrede auf das Verfahren des alten Bundestages und mehrerer Organe der preußischen Regierung in dieser Angelegenheit, um den Tadel auf die nachbundestägliche Politik in seinem ganzen Gewichte fallen zu lassen. Viele Zuhörer haben vor Langweile inzwischen die Flucht ergriffen. Der alte Arndt folgt nach und erklärt, daß die dermalige Lage Deutsch- lands ihn bestimme, sein Votum abzuändern und für Ratification des Waffenstillstandes zu sprechen. Eisenmann von Nürnberg bleibt bei seiner Meinung, vermuthet, es könnten noch geheime Artikel neben den officiellen existiren, sieht Reaction zumal in Preußen, lobt Bayern und bringt einen eigenen Antrag zum Vorschein. Franke aus Schleswig erklärt sich für den Waffen- stillstand, weil dessen Ausführung nicht mehr zu hintertreiben, die Bedingungen theilweise günstig und überdies im Laufe der Ereig- nisse Aenderungen zum Bessern factisch und rechtlich eingetreten seyen. Nachdem von Maltzahn schon Gesagtes langweilig wiederholt, besteigt von Herrmann die Rednerbühne, um im niedrigsten Style dem gewesenen Ministerium den Text zu lesen und eine Theorie über internationale Politik vorzutragen, wie sie bis jetzt nicht dagewesen und schwerlich jemals aufkommen wird. Er hat sich unmöglich gemacht! Jhm antwortet von Schmer- ling mit attischem Salz, worauf die Verhandlungen bis morgen verschoben werden. Berlin 11. September. ( K. Z. ) Jn Beziehung auf die deutschen Reichs=Angelegenheiten scheint mit dem Personenwechsel

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 86. Mainz, 14. September 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal086_1848/5>, abgerufen am 02.06.2024.