Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mainzer Journal. Nr. 92. Mainz, 21. September 1848.

Bild:
<< vorherige Seite
[Beginn Spaltensatz]

Wir können uns es nicht verhehlen, daß die bloße Gewalt in
diesem Kampfe der Ordnung gegen die Anarchie, des Rechts ge-
gen die Leidenschaft nicht ausreicht. Wir sind überhaupt keine
Freunde der Gewalt und dulden sie so wenig gegen uns, als wir sie
gegen Andere anwenden möchten. Kein Heer der Welt ist im
Stande, den Geist der frechen schaamlosen Ungesetzlichkeit und
Empörung zu zügeln, wenn es nicht handelt im Namen einer ge-
achteten, allgemein anerkannten, unzweifelhaft berechtigten,
unerschütterlichen Autorität, im Namen eines gemeingülti-
gen, definitiven Staats= und Bürgerrechtes, im Namen einer
geliebten, im Herzen des Volkes ruhenden, aber starken, entschie-
denen, von Selbstvertrauen beseelten Obrigkeit.

Die Geschichte vom Februar bis zu unsern Tagen spricht es
allzu deutlich aus: wir können bei der mildesten Gesinnung gegen
Deutschlands Dynastien und Einzelstaaten es nimmer in Abrede
stellen, -- keine Läuguung vermag am Thatbestand Etwas zu än-
dern, will man ihn ignoriren, so wird man bald durch die schreck-
lichste Wirklichkeit sich Lügen gestraft sehen -- wir können, sag'
ich, es nimmer übersehen: diese Autorität findet sich nicht mehr
in den Regierungen der verschiedenen deutschen Gebietstheile.
Langes Widerstreben gegen gerechte Wünsche des Volkes, halber
Widerstand, abgetrotzte Nachgiebigkeit, schwankende Rathlosigkeit
der Kabinete, das Alles ist nicht geeignet Vertrauen einzuflößen.
Das Parlament dagegen, aus dem Willen der Volksmehrheit
hervorgegangen, durch die Zustimmung der Regierungen über die
Bedenklichkeit der Rechtsfrage hinausgehoben, unzugänglich den
Einwendungen gegen die Souveränetät, welchen die Fürstenhäuser
erliegen mußten, noch frei von den Vorwürfen alter Versündigung
an des deutschen Volkes Herrlichkeit nach Jnnen und Außen, nicht
verfallen der nothwendigen Consequenz eines bureaukratischen
Centralisirungssystems, -- erscheint ganz geeignet zum Mittel= und
Ausgangspunct der Verfassung, des Rechtes, der Ordnung, der
Freiheit, der Macht nach Jnnen und Außen; nicht als wollten wir
damit den Partikular= Staatsorganismen das Recht der Existenz
und des Fortbestandes gänzlich absprechen: wir glauben nur ihre
Aufgabe einzig darin finden zu können, daß sie im organischen
Verbande, in frei eingegangener und festgehaltener Abhängigkeit,
gewissermaßen in Vollmacht und Autorität des Parlamentes wir-
ken, daß sie den Lebensmittelpunct, daß sie ihr Herz, daß sie die
Stütze ihrer gesammten Macht und Autorität fortan suchen und
finden in der deutschen Centralgewalt, als der einzigen Macht,
welche sich noch nicht abgenützt hat.

Fragt man uns, mit welchem Rechte wir solche Zumuthungen
stellen, so ist unsere Antwort: Es ist das Recht der
Nothwendigkeit.
Es gibt Zeiten und Lagen, wo das
historische Recht in seiner Strenge durchsetzen wollen, eben-
soviel ist, als sich selbst und Alle, deren Loos dem unsrigen ver-
knüpft ist, in's Verderben stürzen. So wird es seyn, wenn die
Regierungen auf das vielfach durchbrochene, allseitig fraglich
gewordene Princip der Legitimität dem Parlamente, der Cen-
tralgewalt gegenüber sich stützen wollen. Möchten die Regie-
rungen doch heute nicht sich berufen auf die Treue ihrer braven
Truppen, die eben wieder als Deutschlands Retter, als Retter
des Parlamentes, dem aufgewiegelten Gesindel der verzweifelten
Empörung die Reichsstadt, den Sitz der Centralgewalt abge-
rungen! Bei der gegenwärtigen Sachlage durch schwankendes,
durch zurückhaltendes, durch zweideutiges, oder gar durch offen
feindseliges Benehmen die Autorität des Parlamentes in Frage
stellen, das hieße, den Kampf verewigen; es hieße, einen Krieg
unternehmen, wo jeder Sieg durch die Opfer, durch die unverhältniß-
mäßigen Anstrengungen und, wie die Geschichte der Barricaden-
schlachten nachweist, am Ende so wenig gewährende Erfolge zur
Niederlage ausschlagen müßte. Möchten es jetzt die Regierungen
bedenken, vor welch verfänglicher doppelter Falle sie stehen! Die
eine Thüre heißt Reaction, Wiederentziehung der gegebenen
Freiheit -- sie könnte nur zu neuen Empörungen führen; die an-
dere heißt Schaukelsystem, sie würde die letzten Reste der
Achtung vor Gesetz und Obrigkeit aufheben; im Abgrund der
hoffnungslosesten Anarchie würden beide Wege sich begegnen.

Dem Parlamente aber haben wir Nichts zuzurufen als den Wunsch
schleunigster Bildung eines definitiven Reichsministeriums, und
möglichst rascher Vollendung des Verfassungswerkes. Durch den
Muth und die Energie, womit es unter dem Lärm des Flinten-
feuers und der Barricadenstürme seine Sitzungen fortgeführt, wird
das deutsche Volk, werden alle Wohlmeinenden wenigstens, ihm nur
Dank, Bewunderung, Hochachtung zollen können. Allen Gutge-
sinnten aber können wir Nichts dringender an das Herz legen,
als entschlossen, mit beiden Händen, den letzten politischen Rett-
ungsanker Deutschlands, die Nationalversammlung in dem so
glücklich geretteten Frankfurt, zu ergreifen und fest zu halten. Und
den Behörden wünschen wir die vollste furchtloseste Entschie-
[Spaltenumbruch] denheit in Aufrechthaltung der angegriffenen Ordnung, des gefähr-
deten Rechtes, und vollen Gebrauch der landesüblichen Aufruhr-
gesetze gegen diese und künftige Rebellen.



An das deutsche Volk!

Deutsche! Die verbrecherischen Vorfälle in Frankfurt, der
beabsichtigte Angriff auf die Nationalversammlung, Aufruhr
in den Straßen, der durch Waffengewalt unterdrückt werden
mußte, empörender Meuchelmord und lebensgefährliche Be-
drohung und Mißhandlung an einzelnen Abgeordneten verübt,
sie haben die Pläne und Mittel einer Partei deutlich gezeigt,
die unserm Vaterlande die Schrecknisse der Anarchie und eines
Bürgerkrieges bringen will.

Deutsche! Eure Freiheit ist mir heilig. Sie soll durch das
Verfassungswerk, zu welchem Eure Vertreter hier versammelt
sind, dauernd und fest begründet werden. Aber sie würde
Euch entrissen seyn, wenn die Gesetzlosigkeit mit ihrem Ge-
folge über Deutschland sich verbreitete.

Deutsche! Durch das Gesetz vom 28. Juni 1848 ist mir
die vollziehende Gewalt gegeben in Angelegenheiten, welche
die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt Deutschlands betreffen.
Jch habe unser Vaterland zu schützen, möge es durch Feinde
von Außen, möge es durch verbrecherische Thaten im Jnnern
gefährdet werden.

Jch kenne meine Pflicht, ich werde sie erfüllen; ich werde
sie erfüllen, fest und vollständig. Und Jhr, deutsche Männer!
die Jhr Euer Vaterland und Eure Freiheit liebt, Jhr werdet
mir, dessen bin ich gewiß, thätig zur Seite stehen. Frankfurt,
den 20 September 1848. Der Reichsverweser Johann. Die
Reichsminister. Schmerling. Peucker. Duckwitz. Mohl.



Deutschland.
Reichstag.

f Frankfurt 20. September. Die ganze heutige Sitzung
wurde mit Debatten und Beschlußnahmen in Betreff des hiesigen
Aufstandes ausgefüllt, und leider blieb die Verhandlung nicht
ganz frei von Animosität und Persönlichkeiten. Jn dem von Mohl
vorgelegten Entwurfe: 1 ) "Ein gewaltsamer Angriff auf die
Nationalversammlung in der Absicht, sie auseinanderzutreiben,
Mitglieder aus derselben zu entfernen oder zur Unterlassung der
Abstimmung über einen Beschluß sie zu zwingen, wird als Hoch-
verrath bestraft; 2 ) die Theilnehmer an einer Zusammenrottung
in der Nähe des Sitzungslokales werden, wenn sie nicht auf die
erste Aufforderung augenblicklich sich zerstreuen, mit Einkerkerung
von 3 Monaten bis zu einem Jahre bestraft; 3 ) es ist verboten,
eine Volksversammlung innerhalb einer Entfernung von 5 Meilen
vom Sitze der Nationalversammlung unter freiem Himmel abzu-
halten; Zuwiderhandelnde werden mit Gefängnißstrafe bis zu 6
Monaten belegt; 4 ) gewaltsames Eindringen in die Versamm-
lung oder deren Beleidigung zieht die Einkerkerung von 3 Mona-
ten bis zu 1 Jahre nach sich; 5 ) wird ein Mitglied in Bezug
auf seine Thätigkeit in der Versammlung mit Drohungen oder
Beschimpfungen überhäuft, so erfolgt eine dreimonatliche Ge-
fängnißstrafe;" findet Stavenhagen nicht Schutz genug gegen
Kränkungen und Verläumdungen des Reichstages beim Volke
mittels der Zeitungen, und beruft sich beispielweise auf Berichte
in Blum's Reichstagsblatt, die in Wahrheit so maßlos waren,
daß bei mehreren verlesenen Stellen laute Entrüstung sich kund
gab. Damit war der Funke in die leicht entzündliche Linke gewor-
fen. Schaffrath erhob sich mit Heftigkeit gegen diese "Denunciation,"
die nicht hierher gehöre, und will dem Reichsminister das Recht
nicht zugestehen, Gesetzesvorlagen zu machen. Nachdem über
diesen Jncidenzpunkt mehrere Redner ( Rösler, Wesendonk,
Wichmann ) gesprochen, wird der Gesetzesentwurf durch
Abstimmung an den Ausschuß verwiesen. Dahlmann protestirte
sodann gegen das ihm in dem Reichstagsblatt, "dieser un-
reinen Quelle," gespendete Lob, welche Desavouirung Schaff-
rath mit der Erklärung beantwortete, daß er mit den Sei-
nigen es sich zur Ehre rechne, in Blättern jener Farbe ( der
Rechten ) geschmäht zu werden. Vogt mahnt in Wider-
spruch mit seiner Rede am Samstag, wo er an die Leidenschaft
appellirte, zur Fernhaltung der Leidenschaft, und findet hierin
einmal des Präsidenten Beistimmung. Zwei Anträge, auf un-
verzügliche Entwerfung eines Aufruhrgesetzes, und auf Abschaf-
fung der Prügelstrafen bei den Reichstruppen, wurden als nicht
dringlich erkannt. Noch erregte ein Antrag von Briegleb,
eine Ansprache an das deutsche Volk in Betreff der jüngsten Er-
eignisse zu erlassen, eine lebhafte Verhandlung. Es müsse der
Nation gesagt werden, daß es sich um den Sturz der National-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Wir können uns es nicht verhehlen, daß die bloße Gewalt in
diesem Kampfe der Ordnung gegen die Anarchie, des Rechts ge-
gen die Leidenschaft nicht ausreicht. Wir sind überhaupt keine
Freunde der Gewalt und dulden sie so wenig gegen uns, als wir sie
gegen Andere anwenden möchten. Kein Heer der Welt ist im
Stande, den Geist der frechen schaamlosen Ungesetzlichkeit und
Empörung zu zügeln, wenn es nicht handelt im Namen einer ge-
achteten, allgemein anerkannten, unzweifelhaft berechtigten,
unerschütterlichen Autorität, im Namen eines gemeingülti-
gen, definitiven Staats= und Bürgerrechtes, im Namen einer
geliebten, im Herzen des Volkes ruhenden, aber starken, entschie-
denen, von Selbstvertrauen beseelten Obrigkeit.

Die Geschichte vom Februar bis zu unsern Tagen spricht es
allzu deutlich aus: wir können bei der mildesten Gesinnung gegen
Deutschlands Dynastien und Einzelstaaten es nimmer in Abrede
stellen, — keine Läuguung vermag am Thatbestand Etwas zu än-
dern, will man ihn ignoriren, so wird man bald durch die schreck-
lichste Wirklichkeit sich Lügen gestraft sehen — wir können, sag'
ich, es nimmer übersehen: diese Autorität findet sich nicht mehr
in den Regierungen der verschiedenen deutschen Gebietstheile.
Langes Widerstreben gegen gerechte Wünsche des Volkes, halber
Widerstand, abgetrotzte Nachgiebigkeit, schwankende Rathlosigkeit
der Kabinete, das Alles ist nicht geeignet Vertrauen einzuflößen.
Das Parlament dagegen, aus dem Willen der Volksmehrheit
hervorgegangen, durch die Zustimmung der Regierungen über die
Bedenklichkeit der Rechtsfrage hinausgehoben, unzugänglich den
Einwendungen gegen die Souveränetät, welchen die Fürstenhäuser
erliegen mußten, noch frei von den Vorwürfen alter Versündigung
an des deutschen Volkes Herrlichkeit nach Jnnen und Außen, nicht
verfallen der nothwendigen Consequenz eines bureaukratischen
Centralisirungssystems, — erscheint ganz geeignet zum Mittel= und
Ausgangspunct der Verfassung, des Rechtes, der Ordnung, der
Freiheit, der Macht nach Jnnen und Außen; nicht als wollten wir
damit den Partikular= Staatsorganismen das Recht der Existenz
und des Fortbestandes gänzlich absprechen: wir glauben nur ihre
Aufgabe einzig darin finden zu können, daß sie im organischen
Verbande, in frei eingegangener und festgehaltener Abhängigkeit,
gewissermaßen in Vollmacht und Autorität des Parlamentes wir-
ken, daß sie den Lebensmittelpunct, daß sie ihr Herz, daß sie die
Stütze ihrer gesammten Macht und Autorität fortan suchen und
finden in der deutschen Centralgewalt, als der einzigen Macht,
welche sich noch nicht abgenützt hat.

Fragt man uns, mit welchem Rechte wir solche Zumuthungen
stellen, so ist unsere Antwort: Es ist das Recht der
Nothwendigkeit.
Es gibt Zeiten und Lagen, wo das
historische Recht in seiner Strenge durchsetzen wollen, eben-
soviel ist, als sich selbst und Alle, deren Loos dem unsrigen ver-
knüpft ist, in's Verderben stürzen. So wird es seyn, wenn die
Regierungen auf das vielfach durchbrochene, allseitig fraglich
gewordene Princip der Legitimität dem Parlamente, der Cen-
tralgewalt gegenüber sich stützen wollen. Möchten die Regie-
rungen doch heute nicht sich berufen auf die Treue ihrer braven
Truppen, die eben wieder als Deutschlands Retter, als Retter
des Parlamentes, dem aufgewiegelten Gesindel der verzweifelten
Empörung die Reichsstadt, den Sitz der Centralgewalt abge-
rungen! Bei der gegenwärtigen Sachlage durch schwankendes,
durch zurückhaltendes, durch zweideutiges, oder gar durch offen
feindseliges Benehmen die Autorität des Parlamentes in Frage
stellen, das hieße, den Kampf verewigen; es hieße, einen Krieg
unternehmen, wo jeder Sieg durch die Opfer, durch die unverhältniß-
mäßigen Anstrengungen und, wie die Geschichte der Barricaden-
schlachten nachweist, am Ende so wenig gewährende Erfolge zur
Niederlage ausschlagen müßte. Möchten es jetzt die Regierungen
bedenken, vor welch verfänglicher doppelter Falle sie stehen! Die
eine Thüre heißt Reaction, Wiederentziehung der gegebenen
Freiheit — sie könnte nur zu neuen Empörungen führen; die an-
dere heißt Schaukelsystem, sie würde die letzten Reste der
Achtung vor Gesetz und Obrigkeit aufheben; im Abgrund der
hoffnungslosesten Anarchie würden beide Wege sich begegnen.

Dem Parlamente aber haben wir Nichts zuzurufen als den Wunsch
schleunigster Bildung eines definitiven Reichsministeriums, und
möglichst rascher Vollendung des Verfassungswerkes. Durch den
Muth und die Energie, womit es unter dem Lärm des Flinten-
feuers und der Barricadenstürme seine Sitzungen fortgeführt, wird
das deutsche Volk, werden alle Wohlmeinenden wenigstens, ihm nur
Dank, Bewunderung, Hochachtung zollen können. Allen Gutge-
sinnten aber können wir Nichts dringender an das Herz legen,
als entschlossen, mit beiden Händen, den letzten politischen Rett-
ungsanker Deutschlands, die Nationalversammlung in dem so
glücklich geretteten Frankfurt, zu ergreifen und fest zu halten. Und
den Behörden wünschen wir die vollste furchtloseste Entschie-
[Spaltenumbruch] denheit in Aufrechthaltung der angegriffenen Ordnung, des gefähr-
deten Rechtes, und vollen Gebrauch der landesüblichen Aufruhr-
gesetze gegen diese und künftige Rebellen.



An das deutsche Volk!

Deutsche! Die verbrecherischen Vorfälle in Frankfurt, der
beabsichtigte Angriff auf die Nationalversammlung, Aufruhr
in den Straßen, der durch Waffengewalt unterdrückt werden
mußte, empörender Meuchelmord und lebensgefährliche Be-
drohung und Mißhandlung an einzelnen Abgeordneten verübt,
sie haben die Pläne und Mittel einer Partei deutlich gezeigt,
die unserm Vaterlande die Schrecknisse der Anarchie und eines
Bürgerkrieges bringen will.

Deutsche! Eure Freiheit ist mir heilig. Sie soll durch das
Verfassungswerk, zu welchem Eure Vertreter hier versammelt
sind, dauernd und fest begründet werden. Aber sie würde
Euch entrissen seyn, wenn die Gesetzlosigkeit mit ihrem Ge-
folge über Deutschland sich verbreitete.

Deutsche! Durch das Gesetz vom 28. Juni 1848 ist mir
die vollziehende Gewalt gegeben in Angelegenheiten, welche
die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt Deutschlands betreffen.
Jch habe unser Vaterland zu schützen, möge es durch Feinde
von Außen, möge es durch verbrecherische Thaten im Jnnern
gefährdet werden.

Jch kenne meine Pflicht, ich werde sie erfüllen; ich werde
sie erfüllen, fest und vollständig. Und Jhr, deutsche Männer!
die Jhr Euer Vaterland und Eure Freiheit liebt, Jhr werdet
mir, dessen bin ich gewiß, thätig zur Seite stehen. Frankfurt,
den 20 September 1848. Der Reichsverweser Johann. Die
Reichsminister. Schmerling. Peucker. Duckwitz. Mohl.



Deutschland.
Reichstag.

f Frankfurt 20. September. Die ganze heutige Sitzung
wurde mit Debatten und Beschlußnahmen in Betreff des hiesigen
Aufstandes ausgefüllt, und leider blieb die Verhandlung nicht
ganz frei von Animosität und Persönlichkeiten. Jn dem von Mohl
vorgelegten Entwurfe: 1 ) „Ein gewaltsamer Angriff auf die
Nationalversammlung in der Absicht, sie auseinanderzutreiben,
Mitglieder aus derselben zu entfernen oder zur Unterlassung der
Abstimmung über einen Beschluß sie zu zwingen, wird als Hoch-
verrath bestraft; 2 ) die Theilnehmer an einer Zusammenrottung
in der Nähe des Sitzungslokales werden, wenn sie nicht auf die
erste Aufforderung augenblicklich sich zerstreuen, mit Einkerkerung
von 3 Monaten bis zu einem Jahre bestraft; 3 ) es ist verboten,
eine Volksversammlung innerhalb einer Entfernung von 5 Meilen
vom Sitze der Nationalversammlung unter freiem Himmel abzu-
halten; Zuwiderhandelnde werden mit Gefängnißstrafe bis zu 6
Monaten belegt; 4 ) gewaltsames Eindringen in die Versamm-
lung oder deren Beleidigung zieht die Einkerkerung von 3 Mona-
ten bis zu 1 Jahre nach sich; 5 ) wird ein Mitglied in Bezug
auf seine Thätigkeit in der Versammlung mit Drohungen oder
Beschimpfungen überhäuft, so erfolgt eine dreimonatliche Ge-
fängnißstrafe;“ findet Stavenhagen nicht Schutz genug gegen
Kränkungen und Verläumdungen des Reichstages beim Volke
mittels der Zeitungen, und beruft sich beispielweise auf Berichte
in Blum's Reichstagsblatt, die in Wahrheit so maßlos waren,
daß bei mehreren verlesenen Stellen laute Entrüstung sich kund
gab. Damit war der Funke in die leicht entzündliche Linke gewor-
fen. Schaffrath erhob sich mit Heftigkeit gegen diese „Denunciation,“
die nicht hierher gehöre, und will dem Reichsminister das Recht
nicht zugestehen, Gesetzesvorlagen zu machen. Nachdem über
diesen Jncidenzpunkt mehrere Redner ( Rösler, Wesendonk,
Wichmann ) gesprochen, wird der Gesetzesentwurf durch
Abstimmung an den Ausschuß verwiesen. Dahlmann protestirte
sodann gegen das ihm in dem Reichstagsblatt, „dieser un-
reinen Quelle,“ gespendete Lob, welche Desavouirung Schaff-
rath mit der Erklärung beantwortete, daß er mit den Sei-
nigen es sich zur Ehre rechne, in Blättern jener Farbe ( der
Rechten ) geschmäht zu werden. Vogt mahnt in Wider-
spruch mit seiner Rede am Samstag, wo er an die Leidenschaft
appellirte, zur Fernhaltung der Leidenschaft, und findet hierin
einmal des Präsidenten Beistimmung. Zwei Anträge, auf un-
verzügliche Entwerfung eines Aufruhrgesetzes, und auf Abschaf-
fung der Prügelstrafen bei den Reichstruppen, wurden als nicht
dringlich erkannt. Noch erregte ein Antrag von Briegleb,
eine Ansprache an das deutsche Volk in Betreff der jüngsten Er-
eignisse zu erlassen, eine lebhafte Verhandlung. Es müsse der
Nation gesagt werden, daß es sich um den Sturz der National-
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <pb facs="#f0002"/>
        <cb type="start"/>
        <p>Wir können uns es nicht verhehlen, daß die bloße Gewalt in<lb/>
diesem Kampfe der Ordnung gegen die Anarchie, des Rechts ge-<lb/>
gen die Leidenschaft nicht ausreicht. Wir sind überhaupt keine<lb/>
Freunde der Gewalt und dulden sie so wenig gegen uns, als wir sie<lb/>
gegen Andere anwenden möchten. Kein Heer der Welt ist im<lb/>
Stande, den Geist der frechen schaamlosen Ungesetzlichkeit und<lb/>
Empörung zu zügeln, wenn es nicht handelt im Namen einer ge-<lb/>
achteten, allgemein anerkannten, unzweifelhaft berechtigten,<lb/>
unerschütterlichen Autorität, im Namen eines gemeingülti-<lb/>
gen, definitiven Staats= und Bürgerrechtes, im Namen einer<lb/>
geliebten, im Herzen des Volkes ruhenden, aber starken, entschie-<lb/>
denen, von Selbstvertrauen beseelten Obrigkeit.</p><lb/>
        <p>Die Geschichte vom Februar bis zu unsern Tagen spricht es<lb/>
allzu deutlich aus: wir können bei der mildesten Gesinnung gegen<lb/>
Deutschlands Dynastien und Einzelstaaten es nimmer in Abrede<lb/>
stellen, &#x2014; keine Läuguung vermag am Thatbestand Etwas zu än-<lb/>
dern, will man ihn ignoriren, so wird man bald durch die schreck-<lb/>
lichste Wirklichkeit sich Lügen gestraft sehen &#x2014; wir können, sag'<lb/>
ich, es nimmer übersehen: diese Autorität findet sich nicht mehr<lb/>
in den Regierungen der verschiedenen deutschen Gebietstheile.<lb/>
Langes Widerstreben gegen gerechte Wünsche des Volkes, halber<lb/>
Widerstand, abgetrotzte Nachgiebigkeit, schwankende Rathlosigkeit<lb/>
der Kabinete, das Alles ist nicht geeignet Vertrauen einzuflößen.<lb/><hi rendition="#g">Das Parlament</hi> dagegen, aus dem Willen der Volksmehrheit<lb/>
hervorgegangen, durch die Zustimmung der Regierungen über die<lb/>
Bedenklichkeit der Rechtsfrage hinausgehoben, unzugänglich den<lb/>
Einwendungen gegen die Souveränetät, welchen die Fürstenhäuser<lb/>
erliegen mußten, noch frei von den Vorwürfen alter Versündigung<lb/>
an des deutschen Volkes Herrlichkeit nach Jnnen und Außen, nicht<lb/>
verfallen der nothwendigen Consequenz eines bureaukratischen<lb/>
Centralisirungssystems, &#x2014; erscheint ganz geeignet zum Mittel= und<lb/>
Ausgangspunct der Verfassung, des Rechtes, der Ordnung, der<lb/>
Freiheit, der Macht nach Jnnen und Außen; nicht als wollten wir<lb/>
damit den Partikular= Staatsorganismen das Recht der Existenz<lb/>
und des Fortbestandes gänzlich absprechen: wir glauben nur ihre<lb/>
Aufgabe einzig darin finden zu können, daß sie im organischen<lb/>
Verbande, in frei eingegangener und festgehaltener Abhängigkeit,<lb/>
gewissermaßen in Vollmacht und Autorität des Parlamentes wir-<lb/>
ken, daß sie den Lebensmittelpunct, daß sie ihr Herz, daß sie die<lb/>
Stütze ihrer gesammten Macht und Autorität fortan suchen und<lb/>
finden in der deutschen Centralgewalt, als der einzigen Macht,<lb/>
welche sich noch nicht abgenützt hat.</p><lb/>
        <p>Fragt man uns, mit welchem Rechte wir solche Zumuthungen<lb/>
stellen, so ist unsere Antwort: <hi rendition="#g">Es ist das Recht der<lb/>
Nothwendigkeit.</hi> Es gibt Zeiten und Lagen, wo das<lb/>
historische Recht in seiner Strenge durchsetzen wollen, eben-<lb/>
soviel ist, als sich selbst und Alle, deren Loos dem unsrigen ver-<lb/>
knüpft ist, in's Verderben stürzen. So wird es seyn, wenn die<lb/>
Regierungen auf das vielfach durchbrochene, allseitig fraglich<lb/>
gewordene Princip der Legitimität dem Parlamente, der Cen-<lb/>
tralgewalt gegenüber sich stützen wollen. Möchten die Regie-<lb/>
rungen doch heute nicht sich berufen auf die Treue ihrer braven<lb/>
Truppen, die eben wieder als Deutschlands Retter, als Retter<lb/>
des Parlamentes, dem aufgewiegelten Gesindel der verzweifelten<lb/>
Empörung die Reichsstadt, den Sitz der Centralgewalt abge-<lb/>
rungen! Bei der gegenwärtigen Sachlage durch schwankendes,<lb/>
durch zurückhaltendes, durch zweideutiges, oder gar durch offen<lb/>
feindseliges Benehmen die Autorität des Parlamentes in Frage<lb/>
stellen, das hieße, den Kampf verewigen; es hieße, einen Krieg<lb/>
unternehmen, wo jeder Sieg durch die Opfer, durch die unverhältniß-<lb/>
mäßigen Anstrengungen und, wie die Geschichte der Barricaden-<lb/>
schlachten nachweist, am Ende so wenig gewährende Erfolge zur<lb/>
Niederlage ausschlagen müßte. Möchten es jetzt die Regierungen<lb/>
bedenken, vor welch verfänglicher doppelter Falle sie stehen! Die<lb/>
eine Thüre heißt <hi rendition="#g">Reaction,</hi> Wiederentziehung der gegebenen<lb/>
Freiheit &#x2014; sie könnte nur zu neuen Empörungen führen; die an-<lb/>
dere heißt <hi rendition="#g">Schaukelsystem,</hi> sie würde die letzten Reste der<lb/>
Achtung vor Gesetz und Obrigkeit aufheben; im Abgrund der<lb/>
hoffnungslosesten Anarchie würden beide Wege sich begegnen.</p><lb/>
        <p>Dem Parlamente aber haben wir Nichts zuzurufen als den Wunsch<lb/>
schleunigster Bildung eines definitiven Reichsministeriums, und<lb/>
möglichst rascher Vollendung des Verfassungswerkes. Durch den<lb/>
Muth und die Energie, womit es unter dem Lärm des Flinten-<lb/>
feuers und der Barricadenstürme seine Sitzungen fortgeführt, wird<lb/>
das deutsche Volk, werden alle Wohlmeinenden wenigstens, ihm nur<lb/>
Dank, Bewunderung, Hochachtung zollen können. Allen Gutge-<lb/>
sinnten aber können wir Nichts dringender an das Herz legen,<lb/>
als entschlossen, mit beiden Händen, den letzten politischen Rett-<lb/>
ungsanker Deutschlands, die Nationalversammlung in dem so<lb/>
glücklich geretteten Frankfurt, zu ergreifen und fest zu halten. Und<lb/>
den Behörden wünschen wir die vollste furchtloseste Entschie-<lb/><cb n="2"/>
denheit in Aufrechthaltung der angegriffenen Ordnung, des gefähr-<lb/>
deten Rechtes, und vollen Gebrauch der landesüblichen Aufruhr-<lb/>
gesetze gegen diese und künftige Rebellen.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head>An das deutsche Volk!</head><lb/>
        <p>Deutsche! Die verbrecherischen Vorfälle in Frankfurt, der<lb/>
beabsichtigte Angriff auf die Nationalversammlung, Aufruhr<lb/>
in den Straßen, der durch Waffengewalt unterdrückt werden<lb/>
mußte, empörender Meuchelmord und lebensgefährliche Be-<lb/>
drohung und Mißhandlung an einzelnen Abgeordneten verübt,<lb/>
sie haben die Pläne und Mittel einer Partei deutlich gezeigt,<lb/>
die unserm Vaterlande die Schrecknisse der Anarchie und eines<lb/>
Bürgerkrieges bringen will.</p><lb/>
        <p>Deutsche! Eure Freiheit ist mir heilig. Sie soll durch das<lb/>
Verfassungswerk, zu welchem Eure Vertreter hier versammelt<lb/>
sind, dauernd und fest begründet werden. Aber sie würde<lb/>
Euch entrissen seyn, wenn die Gesetzlosigkeit mit ihrem Ge-<lb/>
folge über Deutschland sich verbreitete.</p><lb/>
        <p>Deutsche! Durch das Gesetz vom 28. Juni 1848 ist mir<lb/>
die vollziehende Gewalt gegeben in Angelegenheiten, welche<lb/>
die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt Deutschlands betreffen.<lb/>
Jch habe unser Vaterland zu schützen, möge es durch Feinde<lb/>
von Außen, möge es durch verbrecherische Thaten im Jnnern<lb/>
gefährdet werden.</p><lb/>
        <p>Jch kenne meine Pflicht, ich werde sie erfüllen; ich werde<lb/>
sie erfüllen, fest und vollständig. Und Jhr, deutsche Männer!<lb/>
die Jhr Euer Vaterland und Eure Freiheit liebt, Jhr werdet<lb/>
mir, dessen bin ich gewiß, thätig zur Seite stehen. Frankfurt,<lb/>
den 20 September 1848. Der Reichsverweser <hi rendition="#g">Johann.</hi> Die<lb/>
Reichsminister. <hi rendition="#g">Schmerling. Peucker. Duckwitz. Mohl.</hi> </p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head> <hi rendition="#g">Deutschland.<lb/>
Reichstag.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><foreign xml:lang="el">f</foreign> Frankfurt 20. September. Die ganze heutige Sitzung<lb/>
wurde mit Debatten und Beschlußnahmen in Betreff des hiesigen<lb/>
Aufstandes ausgefüllt, und leider blieb die Verhandlung nicht<lb/>
ganz frei von Animosität und Persönlichkeiten. Jn dem von <hi rendition="#g">Mohl</hi><lb/>
vorgelegten Entwurfe: 1 ) &#x201E;Ein gewaltsamer Angriff auf die<lb/>
Nationalversammlung in der Absicht, sie auseinanderzutreiben,<lb/>
Mitglieder aus derselben zu entfernen oder zur Unterlassung der<lb/>
Abstimmung über einen Beschluß sie zu zwingen, wird als Hoch-<lb/>
verrath bestraft; 2 ) die Theilnehmer an einer Zusammenrottung<lb/>
in der Nähe des Sitzungslokales werden, wenn sie nicht auf die<lb/>
erste Aufforderung augenblicklich sich zerstreuen, mit Einkerkerung<lb/>
von 3 Monaten bis zu einem Jahre bestraft; 3 ) es ist verboten,<lb/>
eine Volksversammlung innerhalb einer Entfernung von 5 Meilen<lb/>
vom Sitze der Nationalversammlung unter freiem Himmel abzu-<lb/>
halten; Zuwiderhandelnde werden mit Gefängnißstrafe bis zu 6<lb/>
Monaten belegt; 4 ) gewaltsames Eindringen in die Versamm-<lb/>
lung oder deren Beleidigung zieht die Einkerkerung von 3 Mona-<lb/>
ten bis zu 1 Jahre nach sich; 5 ) wird ein Mitglied in Bezug<lb/>
auf seine Thätigkeit in der Versammlung mit Drohungen oder<lb/>
Beschimpfungen überhäuft, so erfolgt eine dreimonatliche Ge-<lb/>
fängnißstrafe;&#x201C; findet Stavenhagen nicht Schutz genug gegen<lb/>
Kränkungen und Verläumdungen des Reichstages beim Volke<lb/>
mittels der Zeitungen, und beruft sich beispielweise auf Berichte<lb/>
in Blum's Reichstagsblatt, die in Wahrheit so maßlos waren,<lb/>
daß bei mehreren verlesenen Stellen laute Entrüstung sich kund<lb/>
gab. Damit war der Funke in die leicht entzündliche Linke gewor-<lb/>
fen. Schaffrath erhob sich mit Heftigkeit gegen diese &#x201E;Denunciation,&#x201C;<lb/>
die nicht hierher gehöre, und will dem Reichsminister das Recht<lb/>
nicht zugestehen, Gesetzesvorlagen zu machen. Nachdem über<lb/>
diesen Jncidenzpunkt mehrere Redner ( Rösler, Wesendonk,<lb/>
Wichmann <choice><abbr>ec.</abbr></choice> ) gesprochen, wird der Gesetzesentwurf durch<lb/>
Abstimmung an den Ausschuß verwiesen. Dahlmann protestirte<lb/>
sodann gegen das ihm in dem Reichstagsblatt, &#x201E;dieser un-<lb/>
reinen Quelle,&#x201C; gespendete Lob, welche Desavouirung Schaff-<lb/>
rath mit der Erklärung beantwortete, daß er mit den Sei-<lb/>
nigen es sich zur Ehre rechne, in Blättern jener Farbe ( der<lb/>
Rechten ) geschmäht zu werden. Vogt mahnt in Wider-<lb/>
spruch mit seiner Rede am Samstag, wo er an die Leidenschaft<lb/>
appellirte, zur Fernhaltung der Leidenschaft, und findet hierin<lb/>
einmal des Präsidenten Beistimmung. Zwei Anträge, auf un-<lb/>
verzügliche Entwerfung eines Aufruhrgesetzes, und auf Abschaf-<lb/>
fung der Prügelstrafen bei den Reichstruppen, wurden als nicht<lb/>
dringlich erkannt. Noch erregte ein Antrag von <hi rendition="#g">Briegleb,</hi><lb/>
eine Ansprache an das deutsche Volk in Betreff der jüngsten Er-<lb/>
eignisse zu erlassen, eine lebhafte Verhandlung. Es müsse der<lb/>
Nation gesagt werden, daß es sich um den Sturz der National-<lb/><cb type="end"/>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0002] Wir können uns es nicht verhehlen, daß die bloße Gewalt in diesem Kampfe der Ordnung gegen die Anarchie, des Rechts ge- gen die Leidenschaft nicht ausreicht. Wir sind überhaupt keine Freunde der Gewalt und dulden sie so wenig gegen uns, als wir sie gegen Andere anwenden möchten. Kein Heer der Welt ist im Stande, den Geist der frechen schaamlosen Ungesetzlichkeit und Empörung zu zügeln, wenn es nicht handelt im Namen einer ge- achteten, allgemein anerkannten, unzweifelhaft berechtigten, unerschütterlichen Autorität, im Namen eines gemeingülti- gen, definitiven Staats= und Bürgerrechtes, im Namen einer geliebten, im Herzen des Volkes ruhenden, aber starken, entschie- denen, von Selbstvertrauen beseelten Obrigkeit. Die Geschichte vom Februar bis zu unsern Tagen spricht es allzu deutlich aus: wir können bei der mildesten Gesinnung gegen Deutschlands Dynastien und Einzelstaaten es nimmer in Abrede stellen, — keine Läuguung vermag am Thatbestand Etwas zu än- dern, will man ihn ignoriren, so wird man bald durch die schreck- lichste Wirklichkeit sich Lügen gestraft sehen — wir können, sag' ich, es nimmer übersehen: diese Autorität findet sich nicht mehr in den Regierungen der verschiedenen deutschen Gebietstheile. Langes Widerstreben gegen gerechte Wünsche des Volkes, halber Widerstand, abgetrotzte Nachgiebigkeit, schwankende Rathlosigkeit der Kabinete, das Alles ist nicht geeignet Vertrauen einzuflößen. Das Parlament dagegen, aus dem Willen der Volksmehrheit hervorgegangen, durch die Zustimmung der Regierungen über die Bedenklichkeit der Rechtsfrage hinausgehoben, unzugänglich den Einwendungen gegen die Souveränetät, welchen die Fürstenhäuser erliegen mußten, noch frei von den Vorwürfen alter Versündigung an des deutschen Volkes Herrlichkeit nach Jnnen und Außen, nicht verfallen der nothwendigen Consequenz eines bureaukratischen Centralisirungssystems, — erscheint ganz geeignet zum Mittel= und Ausgangspunct der Verfassung, des Rechtes, der Ordnung, der Freiheit, der Macht nach Jnnen und Außen; nicht als wollten wir damit den Partikular= Staatsorganismen das Recht der Existenz und des Fortbestandes gänzlich absprechen: wir glauben nur ihre Aufgabe einzig darin finden zu können, daß sie im organischen Verbande, in frei eingegangener und festgehaltener Abhängigkeit, gewissermaßen in Vollmacht und Autorität des Parlamentes wir- ken, daß sie den Lebensmittelpunct, daß sie ihr Herz, daß sie die Stütze ihrer gesammten Macht und Autorität fortan suchen und finden in der deutschen Centralgewalt, als der einzigen Macht, welche sich noch nicht abgenützt hat. Fragt man uns, mit welchem Rechte wir solche Zumuthungen stellen, so ist unsere Antwort: Es ist das Recht der Nothwendigkeit. Es gibt Zeiten und Lagen, wo das historische Recht in seiner Strenge durchsetzen wollen, eben- soviel ist, als sich selbst und Alle, deren Loos dem unsrigen ver- knüpft ist, in's Verderben stürzen. So wird es seyn, wenn die Regierungen auf das vielfach durchbrochene, allseitig fraglich gewordene Princip der Legitimität dem Parlamente, der Cen- tralgewalt gegenüber sich stützen wollen. Möchten die Regie- rungen doch heute nicht sich berufen auf die Treue ihrer braven Truppen, die eben wieder als Deutschlands Retter, als Retter des Parlamentes, dem aufgewiegelten Gesindel der verzweifelten Empörung die Reichsstadt, den Sitz der Centralgewalt abge- rungen! Bei der gegenwärtigen Sachlage durch schwankendes, durch zurückhaltendes, durch zweideutiges, oder gar durch offen feindseliges Benehmen die Autorität des Parlamentes in Frage stellen, das hieße, den Kampf verewigen; es hieße, einen Krieg unternehmen, wo jeder Sieg durch die Opfer, durch die unverhältniß- mäßigen Anstrengungen und, wie die Geschichte der Barricaden- schlachten nachweist, am Ende so wenig gewährende Erfolge zur Niederlage ausschlagen müßte. Möchten es jetzt die Regierungen bedenken, vor welch verfänglicher doppelter Falle sie stehen! Die eine Thüre heißt Reaction, Wiederentziehung der gegebenen Freiheit — sie könnte nur zu neuen Empörungen führen; die an- dere heißt Schaukelsystem, sie würde die letzten Reste der Achtung vor Gesetz und Obrigkeit aufheben; im Abgrund der hoffnungslosesten Anarchie würden beide Wege sich begegnen. Dem Parlamente aber haben wir Nichts zuzurufen als den Wunsch schleunigster Bildung eines definitiven Reichsministeriums, und möglichst rascher Vollendung des Verfassungswerkes. Durch den Muth und die Energie, womit es unter dem Lärm des Flinten- feuers und der Barricadenstürme seine Sitzungen fortgeführt, wird das deutsche Volk, werden alle Wohlmeinenden wenigstens, ihm nur Dank, Bewunderung, Hochachtung zollen können. Allen Gutge- sinnten aber können wir Nichts dringender an das Herz legen, als entschlossen, mit beiden Händen, den letzten politischen Rett- ungsanker Deutschlands, die Nationalversammlung in dem so glücklich geretteten Frankfurt, zu ergreifen und fest zu halten. Und den Behörden wünschen wir die vollste furchtloseste Entschie- denheit in Aufrechthaltung der angegriffenen Ordnung, des gefähr- deten Rechtes, und vollen Gebrauch der landesüblichen Aufruhr- gesetze gegen diese und künftige Rebellen. An das deutsche Volk! Deutsche! Die verbrecherischen Vorfälle in Frankfurt, der beabsichtigte Angriff auf die Nationalversammlung, Aufruhr in den Straßen, der durch Waffengewalt unterdrückt werden mußte, empörender Meuchelmord und lebensgefährliche Be- drohung und Mißhandlung an einzelnen Abgeordneten verübt, sie haben die Pläne und Mittel einer Partei deutlich gezeigt, die unserm Vaterlande die Schrecknisse der Anarchie und eines Bürgerkrieges bringen will. Deutsche! Eure Freiheit ist mir heilig. Sie soll durch das Verfassungswerk, zu welchem Eure Vertreter hier versammelt sind, dauernd und fest begründet werden. Aber sie würde Euch entrissen seyn, wenn die Gesetzlosigkeit mit ihrem Ge- folge über Deutschland sich verbreitete. Deutsche! Durch das Gesetz vom 28. Juni 1848 ist mir die vollziehende Gewalt gegeben in Angelegenheiten, welche die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt Deutschlands betreffen. Jch habe unser Vaterland zu schützen, möge es durch Feinde von Außen, möge es durch verbrecherische Thaten im Jnnern gefährdet werden. Jch kenne meine Pflicht, ich werde sie erfüllen; ich werde sie erfüllen, fest und vollständig. Und Jhr, deutsche Männer! die Jhr Euer Vaterland und Eure Freiheit liebt, Jhr werdet mir, dessen bin ich gewiß, thätig zur Seite stehen. Frankfurt, den 20 September 1848. Der Reichsverweser Johann. Die Reichsminister. Schmerling. Peucker. Duckwitz. Mohl. Deutschland. Reichstag. f Frankfurt 20. September. Die ganze heutige Sitzung wurde mit Debatten und Beschlußnahmen in Betreff des hiesigen Aufstandes ausgefüllt, und leider blieb die Verhandlung nicht ganz frei von Animosität und Persönlichkeiten. Jn dem von Mohl vorgelegten Entwurfe: 1 ) „Ein gewaltsamer Angriff auf die Nationalversammlung in der Absicht, sie auseinanderzutreiben, Mitglieder aus derselben zu entfernen oder zur Unterlassung der Abstimmung über einen Beschluß sie zu zwingen, wird als Hoch- verrath bestraft; 2 ) die Theilnehmer an einer Zusammenrottung in der Nähe des Sitzungslokales werden, wenn sie nicht auf die erste Aufforderung augenblicklich sich zerstreuen, mit Einkerkerung von 3 Monaten bis zu einem Jahre bestraft; 3 ) es ist verboten, eine Volksversammlung innerhalb einer Entfernung von 5 Meilen vom Sitze der Nationalversammlung unter freiem Himmel abzu- halten; Zuwiderhandelnde werden mit Gefängnißstrafe bis zu 6 Monaten belegt; 4 ) gewaltsames Eindringen in die Versamm- lung oder deren Beleidigung zieht die Einkerkerung von 3 Mona- ten bis zu 1 Jahre nach sich; 5 ) wird ein Mitglied in Bezug auf seine Thätigkeit in der Versammlung mit Drohungen oder Beschimpfungen überhäuft, so erfolgt eine dreimonatliche Ge- fängnißstrafe;“ findet Stavenhagen nicht Schutz genug gegen Kränkungen und Verläumdungen des Reichstages beim Volke mittels der Zeitungen, und beruft sich beispielweise auf Berichte in Blum's Reichstagsblatt, die in Wahrheit so maßlos waren, daß bei mehreren verlesenen Stellen laute Entrüstung sich kund gab. Damit war der Funke in die leicht entzündliche Linke gewor- fen. Schaffrath erhob sich mit Heftigkeit gegen diese „Denunciation,“ die nicht hierher gehöre, und will dem Reichsminister das Recht nicht zugestehen, Gesetzesvorlagen zu machen. Nachdem über diesen Jncidenzpunkt mehrere Redner ( Rösler, Wesendonk, Wichmann ) gesprochen, wird der Gesetzesentwurf durch Abstimmung an den Ausschuß verwiesen. Dahlmann protestirte sodann gegen das ihm in dem Reichstagsblatt, „dieser un- reinen Quelle,“ gespendete Lob, welche Desavouirung Schaff- rath mit der Erklärung beantwortete, daß er mit den Sei- nigen es sich zur Ehre rechne, in Blättern jener Farbe ( der Rechten ) geschmäht zu werden. Vogt mahnt in Wider- spruch mit seiner Rede am Samstag, wo er an die Leidenschaft appellirte, zur Fernhaltung der Leidenschaft, und findet hierin einmal des Präsidenten Beistimmung. Zwei Anträge, auf un- verzügliche Entwerfung eines Aufruhrgesetzes, und auf Abschaf- fung der Prügelstrafen bei den Reichstruppen, wurden als nicht dringlich erkannt. Noch erregte ein Antrag von Briegleb, eine Ansprache an das deutsche Volk in Betreff der jüngsten Er- eignisse zu erlassen, eine lebhafte Verhandlung. Es müsse der Nation gesagt werden, daß es sich um den Sturz der National-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal092_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal092_1848/2
Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 92. Mainz, 21. September 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal092_1848/2>, abgerufen am 13.06.2024.