Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mainzer Journal. Nr. 106. Mainz, 7. Oktober 1848.

Bild:
<< vorherige Seite
letzte Seite

[Beginn Spaltensatz] Palmerston und Bastide die bekannten von Oesterreich vorgeschla-
genen Grundlagen nicht angenommen und letzteres darauf alle
Unterhandlungen abgebrochen habe.

Die Anfertigung der Listung für Mobilmachung der 300 Ba-
taillone Nationalgarde erregt im südlichen, östlichen und mittleren
Frankreich große Aufregung. Die Republik wird am Ende wohl
die Bürger mit Gewalt zwingen müssen!

Die Commission für den Primärunterricht hat sich dahin aus-
gesprochen, daß der Gehalt, welchen in der Regel die Gemeinden
den Elementarlehrern zahlen, auf angemessene Weise zu erhöhen
sey.

Marrast und der republikanische Buchhändler Pagnerre --
beide jetzt sehr einflußreiche Leute -- sollen sich um die durch
Chateaubriands Tod erledigte Stelle in der französischen Akade-
mie bewerben. Wahrscheinlich nur die Erfindung eines Witz-
boldes.

Großbritannien.

London 4. October. Lord J. Russell und Lord Palmerston
werden, so wie mehrere andere Minister, gegen den 20. hier zu-
rückerwartet. Wahrscheinlich wird dann ein Geheimerathsbeschluß
wegen weiterer Prorogation des Parlaments erlassen werden. An
eine frühe Wiedereröffnung der Session wird vorläufig nicht ge-
dacht, da bis jetzt von außerordentlichen Maßregeln bezüglich Jr-
lands nicht die Rede ist. Man glaubt daher, daß das Parlament
erst im Januar oder Anfangs Februar zusammentreten werde,
wenn nicht unvorherzusehende Umstände seine zeitigere Einberu-
fung nöthig machen. -- Baron Neumann wird als der neue öster-
reichische Gesandte am hiesigen Hofe genannt. Die Zahl der hier
anwesenden Diplomaten ist klein; mehrere befinden sich auf den
Landgütern des Adels. Hr. Bunsen geht nächste Woche für einige
Zeit nach Wales. -- Die schottische Centralbahn ist jetzt vollendet.
Gestern begannen die Eilzüge von London nach Perth; der Weg
wird in 14 Stunden zurückgelegt. -- Die Eisenbahn=Gesellschaf-
ten haben für diesen Monat Einzahlungen im Betrage von 1,573,905
Pf. St. ausgeschrieben, während dieselben im October 1847 sich
3,182,342 Pf. St. beliefen. Jn den zehn ersten [unleserliches Material - 7 Zeichen fehlen]Monaten von
1847 betrugen die Ausschreibungen für die Bahnen 37,594,355,
in dem gleichen Zeitraume von 1848 nur 29,952,770 Pf.
St. -- Ein Geistlicher in Lancashire unterhielt sich kürzlich
mit einem ihm von früherher als einer der heftigsten [unleserliches Material - 10 Zeichen fehlen]Chariisten
bekannten Manne und war erstaunt über die zahme Sprache,
welche er jetzt führte. Er gab ihm seine Verwunderung zu erken-
nen. Der Mann antwortete: "Ja, ich war Chartist; aber ich
habe vor Kurzem zwei Grundstücke mit Häusern angekauft." Es
geht in England, wie anderswo; nur die, welche nichts haben,
sind für den Communismus.

Nach Berichten aus Clonmel vom 2. October war an diesem
Tage das Zeugenverhör in Sachen S. O'Brien's fortgesetzt,
aber noch nicht beendigt worden. Stadt und Umgegend waren
fortwährend durchaus ruhig. General M'Donald, der in der
Grafschaft den Befehl führt, hat alle Vorkehrungen getroffen, um
die Ordnung zu sichern und jede Störung des [unleserliches Material - 15 Zeichen fehlen]Procßverfahrens
unmöglich zu machen. -- Der "Dublin Herald" will aus sicherer
Quelle wissen, daß die Regierung für den Fall einer Verurtheilung
S. O'Brien's und seiner Genossen zum Tode entschlossen sey,
dem Gesetze wenigstens in Bezug auf die Hauptanstifter des Auf-
standes seinen Lauf zu lassen. Den nächsten Verwandten S.
O'Brien's soll dies auch bereits angedeutet worden seyn. -- Die
Zahl der jetzt in Jrland stehenden Truppen beträgt etwas über
48,000 Mann. -- Der Krieg gegen Pachtzahlung, Grafschafts-
schatzung, Armensteuern und alle andere Auflagen, welche das
Landvolk nach den ihm eingeprägten Belehrungen als eine nicht
zu duldende Beschwerde ansieht, hat an manchen Orten begonnen
und die aus verschiedenen Gegenden eingehenden Berichte lassen
einen Winter erwarten, welcher der Polizeimannschaft und den
Truppen überall hinlänglich zu schaffen machen wird. Der An-
tipacht=Feldzug ist bereits in den Grafschaften Louth, Meath und
Cavan eröffnet worden, während die westlichen Provinzen zum
ersten Schauplatze für die Unternehmungen gegen die Beitreibung
der Armensteuern und der Grafschaftsschatzung ausersehen zu seyn
scheinen.

Türkei.

Konstantinopel 20. September. ( A. Z. ) Das Ministerium
Reschid hat soeben ein Document veröffentlicht, welches man
nach europäischer Sprachweise sein Glaubensbekenntniß nennen
könnte. Es ist ein Rundschreiben an die Statthalter der Provin-
[Spaltenumbruch] zen, worin auf genaue Erfüllung der aus dem Hattischerif von
Gülhaneh hervorgegangenen Tansimat ( administrativen Refor-
men ) gedrungen, die Grundsätze gerechter und wohlthätiger
Verwaltung gepredigt, offene und geheime Ueberwachung ihres
Benehmens angekündigt, und den nachlässigen oder schlechtge-
sinnten Beamten strenge Strafen angedroht werden. Jnsofern ist
es freilich, wie Sie sehen, nichts Neues. Es sind die Anfangs-
gründe jedes Beamtenkatechismus, Dinge, die sich anderswo
wohl von selbst verstehen. Doch hat ja eben das Wort Reform
in der Türkei, wie sie leibt und lebt, keinen anderen Sinn als
Reinigung des Augiasstalles der Bestechlichkeit, Abstellung aller
der unerhörten Mißbräuche, Erpressungen und Bedrückungen,
die so tief im Fleische des Staatskörpers stecken. Das wären
Errungenschaften, mit denen man sich hier auf lange zufrieden-
stellen könnte. Ob aber die Heilung möglich ist, ob der Osma-
nenstaat, diese Anomalie in der heutigen Gestaltung der politi-
schen Welt, nicht ohnedieß einer geschichtlichen Nothwendigkeit
als Opfer fallen wird, sind Fragen, die wir indeß bei Seite
setzen wollen; gewiß ist, daß ein System, wo auf Verbesserung
der inneren Zustände, auf thunlichste Befriedigung der unab-
weislichen Bedürfnisse einer so wunderbar gemischten Bevölker-
ung kein Bedacht genommen würde, die Stunde der Auflösung
oder des Anstoßes mit dem durch Jdeen beherrschten Europa ge-
waltsam heraufbeschwören müßte. Abdulmedschid und seine
Räthe fühlen dieß und wollen aufrichtig ans Werk. Darum
sprechen sie jetzt ( und das ist das neue an ihrem letzten Edicte )
eindringlicher als je zu den harten Ohren der Anhänger des
"alten Systems." Absetzung, Degradirung, Verbannung, Ker-
ker und Galeeren werden ausdrücklich als die Strafen bezeichnet,
welche die Pflichtvergessenen erwarten; wer sich der Aufgabe der
Neuzeit nicht gewachsen glaubt, heißt es weiter, soll nur lieber
gleich seine Entlassung einreichen; und mehr als einmal wird
mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß vom höchsten Wessier
bis zum niedrigsten Dorfschulzen für jedermann die gleichen Ge-
setze gelten. Neu ist ferner die Huldigung, welche die türkischen
Fortschrittsmänner bei dieser Gelegenheit dem Prinzip der
Oeffentlichkeit dargebracht haben. Das Rundschreiben an die
Gouverneure wurde nicht nur in den hiesigen Zeitungen abgedruckt,
sondern auch in alle Landessprachen übersetzt, an die Patriarchate
und in die Provinzen in abgesonderten Blättern vertheilt, und
den Statthaltern selbst aufgetragen, es in ihren Amtsbezirken
förmlich kundzumachen. An Reschid und seinem Herrn ist es jetzt,
ihr Wort kräftig durchzuführen, damit sie uns nicht etwa später an
die naiven Proclamationen chinesischer Mandarinen erinnern,
welche dann und wann, in Augenblicken tugendsamer Aufwallung,
allgemein kund und zu wissen thun, daß in ihren Amtsbezirken
das "Stehlen und Rauben" verboten sey. Als Beweis übrigens,
wie sehr der Sultan selbst sich darin gefällt bei passender Gele-
genheit der höheren europäischen Gesittung Rechnung zu tragen,
erlauben Sie mir einen Zug anzuführen, den ich unlängst von
ihm in Erfahrung brachte. Der Häuptling des mittelafrikanischen
Negerstaates Bornu hatte durch seinen Nachbar, den Pascha
von Tripolis, dem Beherrscher der Gläubigen ein anmuthiges
Geschenk von 37 männlichen und ebensovielen weiblichen Sklaven
zukommen lassen. Der Sultan nahm die Gabe freundlichst an,
allein bloß um diesen Jünglingen und Jungfrauen insgesammt
die Freiheit zu schenken. Da jedoch diese für sich allein ein etwas
zweideutiges Gut gewesen wäre, so ließ er sie je eins und eins
miteinander Hochzeit machen, und sandte die jungen schwarzen
Ehepaare theils auf seine Landgüter bei Mohalitsch in Kleinasien,
theils in die Musterwirthschaft bei San Stefano, wo ihnen
Grundstücke zum Besitze und zur Bearbeitung angewiesen wurden.



Anzeige.
Pius=Verein.

Den Mitgliedern des Vereins wird hiemit angezeigt, daß
die nächste Versammlung, bei melcher noch einige Herren Abge-
ordnete anwesend seyn werden,

Montag den 9., Abends 7 Uhr,

statt haben wird.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] Palmerston und Bastide die bekannten von Oesterreich vorgeschla-
genen Grundlagen nicht angenommen und letzteres darauf alle
Unterhandlungen abgebrochen habe.

Die Anfertigung der Listung für Mobilmachung der 300 Ba-
taillone Nationalgarde erregt im südlichen, östlichen und mittleren
Frankreich große Aufregung. Die Republik wird am Ende wohl
die Bürger mit Gewalt zwingen müssen!

Die Commission für den Primärunterricht hat sich dahin aus-
gesprochen, daß der Gehalt, welchen in der Regel die Gemeinden
den Elementarlehrern zahlen, auf angemessene Weise zu erhöhen
sey.

Marrast und der republikanische Buchhändler Pagnerre —
beide jetzt sehr einflußreiche Leute — sollen sich um die durch
Chateaubriands Tod erledigte Stelle in der französischen Akade-
mie bewerben. Wahrscheinlich nur die Erfindung eines Witz-
boldes.

Großbritannien.

London 4. October. Lord J. Russell und Lord Palmerston
werden, so wie mehrere andere Minister, gegen den 20. hier zu-
rückerwartet. Wahrscheinlich wird dann ein Geheimerathsbeschluß
wegen weiterer Prorogation des Parlaments erlassen werden. An
eine frühe Wiedereröffnung der Session wird vorläufig nicht ge-
dacht, da bis jetzt von außerordentlichen Maßregeln bezüglich Jr-
lands nicht die Rede ist. Man glaubt daher, daß das Parlament
erst im Januar oder Anfangs Februar zusammentreten werde,
wenn nicht unvorherzusehende Umstände seine zeitigere Einberu-
fung nöthig machen. — Baron Neumann wird als der neue öster-
reichische Gesandte am hiesigen Hofe genannt. Die Zahl der hier
anwesenden Diplomaten ist klein; mehrere befinden sich auf den
Landgütern des Adels. Hr. Bunsen geht nächste Woche für einige
Zeit nach Wales. — Die schottische Centralbahn ist jetzt vollendet.
Gestern begannen die Eilzüge von London nach Perth; der Weg
wird in 14 Stunden zurückgelegt. — Die Eisenbahn=Gesellschaf-
ten haben für diesen Monat Einzahlungen im Betrage von 1,573,905
Pf. St. ausgeschrieben, während dieselben im October 1847 sich
3,182,342 Pf. St. beliefen. Jn den zehn ersten [unleserliches Material – 7 Zeichen fehlen]Monaten von
1847 betrugen die Ausschreibungen für die Bahnen 37,594,355,
in dem gleichen Zeitraume von 1848 nur 29,952,770 Pf.
St. — Ein Geistlicher in Lancashire unterhielt sich kürzlich
mit einem ihm von früherher als einer der heftigsten [unleserliches Material – 10 Zeichen fehlen]Chariisten
bekannten Manne und war erstaunt über die zahme Sprache,
welche er jetzt führte. Er gab ihm seine Verwunderung zu erken-
nen. Der Mann antwortete: „Ja, ich war Chartist; aber ich
habe vor Kurzem zwei Grundstücke mit Häusern angekauft.“ Es
geht in England, wie anderswo; nur die, welche nichts haben,
sind für den Communismus.

Nach Berichten aus Clonmel vom 2. October war an diesem
Tage das Zeugenverhör in Sachen S. O'Brien's fortgesetzt,
aber noch nicht beendigt worden. Stadt und Umgegend waren
fortwährend durchaus ruhig. General M'Donald, der in der
Grafschaft den Befehl führt, hat alle Vorkehrungen getroffen, um
die Ordnung zu sichern und jede Störung des [unleserliches Material – 15 Zeichen fehlen]Procßverfahrens
unmöglich zu machen. — Der „Dublin Herald“ will aus sicherer
Quelle wissen, daß die Regierung für den Fall einer Verurtheilung
S. O'Brien's und seiner Genossen zum Tode entschlossen sey,
dem Gesetze wenigstens in Bezug auf die Hauptanstifter des Auf-
standes seinen Lauf zu lassen. Den nächsten Verwandten S.
O'Brien's soll dies auch bereits angedeutet worden seyn. — Die
Zahl der jetzt in Jrland stehenden Truppen beträgt etwas über
48,000 Mann. — Der Krieg gegen Pachtzahlung, Grafschafts-
schatzung, Armensteuern und alle andere Auflagen, welche das
Landvolk nach den ihm eingeprägten Belehrungen als eine nicht
zu duldende Beschwerde ansieht, hat an manchen Orten begonnen
und die aus verschiedenen Gegenden eingehenden Berichte lassen
einen Winter erwarten, welcher der Polizeimannschaft und den
Truppen überall hinlänglich zu schaffen machen wird. Der An-
tipacht=Feldzug ist bereits in den Grafschaften Louth, Meath und
Cavan eröffnet worden, während die westlichen Provinzen zum
ersten Schauplatze für die Unternehmungen gegen die Beitreibung
der Armensteuern und der Grafschaftsschatzung ausersehen zu seyn
scheinen.

Türkei.

Konstantinopel 20. September. ( A. Z. ) Das Ministerium
Reschid hat soeben ein Document veröffentlicht, welches man
nach europäischer Sprachweise sein Glaubensbekenntniß nennen
könnte. Es ist ein Rundschreiben an die Statthalter der Provin-
[Spaltenumbruch] zen, worin auf genaue Erfüllung der aus dem Hattischerif von
Gülhaneh hervorgegangenen Tansimat ( administrativen Refor-
men ) gedrungen, die Grundsätze gerechter und wohlthätiger
Verwaltung gepredigt, offene und geheime Ueberwachung ihres
Benehmens angekündigt, und den nachlässigen oder schlechtge-
sinnten Beamten strenge Strafen angedroht werden. Jnsofern ist
es freilich, wie Sie sehen, nichts Neues. Es sind die Anfangs-
gründe jedes Beamtenkatechismus, Dinge, die sich anderswo
wohl von selbst verstehen. Doch hat ja eben das Wort Reform
in der Türkei, wie sie leibt und lebt, keinen anderen Sinn als
Reinigung des Augiasstalles der Bestechlichkeit, Abstellung aller
der unerhörten Mißbräuche, Erpressungen und Bedrückungen,
die so tief im Fleische des Staatskörpers stecken. Das wären
Errungenschaften, mit denen man sich hier auf lange zufrieden-
stellen könnte. Ob aber die Heilung möglich ist, ob der Osma-
nenstaat, diese Anomalie in der heutigen Gestaltung der politi-
schen Welt, nicht ohnedieß einer geschichtlichen Nothwendigkeit
als Opfer fallen wird, sind Fragen, die wir indeß bei Seite
setzen wollen; gewiß ist, daß ein System, wo auf Verbesserung
der inneren Zustände, auf thunlichste Befriedigung der unab-
weislichen Bedürfnisse einer so wunderbar gemischten Bevölker-
ung kein Bedacht genommen würde, die Stunde der Auflösung
oder des Anstoßes mit dem durch Jdeen beherrschten Europa ge-
waltsam heraufbeschwören müßte. Abdulmedschid und seine
Räthe fühlen dieß und wollen aufrichtig ans Werk. Darum
sprechen sie jetzt ( und das ist das neue an ihrem letzten Edicte )
eindringlicher als je zu den harten Ohren der Anhänger des
„alten Systems.“ Absetzung, Degradirung, Verbannung, Ker-
ker und Galeeren werden ausdrücklich als die Strafen bezeichnet,
welche die Pflichtvergessenen erwarten; wer sich der Aufgabe der
Neuzeit nicht gewachsen glaubt, heißt es weiter, soll nur lieber
gleich seine Entlassung einreichen; und mehr als einmal wird
mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß vom höchsten Wessier
bis zum niedrigsten Dorfschulzen für jedermann die gleichen Ge-
setze gelten. Neu ist ferner die Huldigung, welche die türkischen
Fortschrittsmänner bei dieser Gelegenheit dem Prinzip der
Oeffentlichkeit dargebracht haben. Das Rundschreiben an die
Gouverneure wurde nicht nur in den hiesigen Zeitungen abgedruckt,
sondern auch in alle Landessprachen übersetzt, an die Patriarchate
und in die Provinzen in abgesonderten Blättern vertheilt, und
den Statthaltern selbst aufgetragen, es in ihren Amtsbezirken
förmlich kundzumachen. An Reschid und seinem Herrn ist es jetzt,
ihr Wort kräftig durchzuführen, damit sie uns nicht etwa später an
die naiven Proclamationen chinesischer Mandarinen erinnern,
welche dann und wann, in Augenblicken tugendsamer Aufwallung,
allgemein kund und zu wissen thun, daß in ihren Amtsbezirken
das „Stehlen und Rauben“ verboten sey. Als Beweis übrigens,
wie sehr der Sultan selbst sich darin gefällt bei passender Gele-
genheit der höheren europäischen Gesittung Rechnung zu tragen,
erlauben Sie mir einen Zug anzuführen, den ich unlängst von
ihm in Erfahrung brachte. Der Häuptling des mittelafrikanischen
Negerstaates Bornu hatte durch seinen Nachbar, den Pascha
von Tripolis, dem Beherrscher der Gläubigen ein anmuthiges
Geschenk von 37 männlichen und ebensovielen weiblichen Sklaven
zukommen lassen. Der Sultan nahm die Gabe freundlichst an,
allein bloß um diesen Jünglingen und Jungfrauen insgesammt
die Freiheit zu schenken. Da jedoch diese für sich allein ein etwas
zweideutiges Gut gewesen wäre, so ließ er sie je eins und eins
miteinander Hochzeit machen, und sandte die jungen schwarzen
Ehepaare theils auf seine Landgüter bei Mohalitsch in Kleinasien,
theils in die Musterwirthschaft bei San Stefano, wo ihnen
Grundstücke zum Besitze und zur Bearbeitung angewiesen wurden.



Anzeige.
Pius=Verein.

Den Mitgliedern des Vereins wird hiemit angezeigt, daß
die nächste Versammlung, bei melcher noch einige Herren Abge-
ordnete anwesend seyn werden,

Montag den 9., Abends 7 Uhr,

statt haben wird.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

<TEI>
  <text>
    <back>
      <div>
        <floatingText>
          <body>
            <div type="jPoliticalNews" n="1">
              <div type="jArticle" n="2">
                <p><pb facs="#f0006"/><cb type="start"/>
Palmerston und Bastide die bekannten von Oesterreich vorgeschla-<lb/>
genen Grundlagen nicht angenommen und letzteres darauf alle<lb/>
Unterhandlungen abgebrochen habe.</p>
              </div><lb/>
              <div type="jArticle" n="2">
                <p>Die Anfertigung der Listung für Mobilmachung der 300 Ba-<lb/>
taillone Nationalgarde erregt im südlichen, östlichen und mittleren<lb/>
Frankreich große Aufregung. Die Republik wird am Ende wohl<lb/>
die Bürger mit Gewalt zwingen müssen!</p>
              </div><lb/>
              <div type="jArticle" n="2">
                <p>Die Commission für den Primärunterricht hat sich dahin aus-<lb/>
gesprochen, daß der Gehalt, welchen in der Regel die Gemeinden<lb/>
den Elementarlehrern zahlen, auf angemessene Weise zu erhöhen<lb/>
sey.</p>
              </div><lb/>
              <div type="jArticle" n="2">
                <p>Marrast und der republikanische Buchhändler Pagnerre &#x2014;<lb/>
beide jetzt sehr einflußreiche Leute &#x2014; sollen sich um die durch<lb/>
Chateaubriands Tod erledigte Stelle in der französischen Akade-<lb/>
mie bewerben. Wahrscheinlich nur die Erfindung eines Witz-<lb/>
boldes.</p>
              </div>
            </div><lb/>
            <div type="jPoliticalNews" n="1">
              <head> <hi rendition="#g">Großbritannien.</hi> </head><lb/>
              <div type="jArticle" n="2">
                <p>London 4. October. Lord J. Russell und Lord Palmerston<lb/>
werden, so wie mehrere andere Minister, gegen den 20. hier zu-<lb/>
rückerwartet. Wahrscheinlich wird dann ein Geheimerathsbeschluß<lb/>
wegen weiterer Prorogation des Parlaments erlassen werden. An<lb/>
eine frühe Wiedereröffnung der Session wird vorläufig nicht ge-<lb/>
dacht, da bis jetzt von außerordentlichen Maßregeln bezüglich Jr-<lb/>
lands nicht die Rede ist. Man glaubt daher, daß das Parlament<lb/>
erst im Januar oder Anfangs Februar zusammentreten werde,<lb/>
wenn nicht unvorherzusehende Umstände seine zeitigere Einberu-<lb/>
fung nöthig machen. &#x2014; Baron Neumann wird als der neue öster-<lb/>
reichische Gesandte am hiesigen Hofe genannt. Die Zahl der hier<lb/>
anwesenden Diplomaten ist klein; mehrere befinden sich auf den<lb/>
Landgütern des Adels. Hr. Bunsen geht nächste Woche für einige<lb/>
Zeit nach Wales. &#x2014; Die schottische Centralbahn ist jetzt vollendet.<lb/>
Gestern begannen die Eilzüge von London nach Perth; der Weg<lb/>
wird in 14 Stunden zurückgelegt. &#x2014; Die Eisenbahn=Gesellschaf-<lb/>
ten haben für diesen Monat Einzahlungen im Betrage von 1,573,905<lb/>
Pf. St. ausgeschrieben, während dieselben im October 1847 sich<lb/>
3,182,342 Pf. St. beliefen. Jn den zehn ersten <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="7"/>Monaten von<lb/>
1847 betrugen die Ausschreibungen für die Bahnen 37,594,355,<lb/>
in dem gleichen Zeitraume von 1848 nur 29,952,770 Pf.<lb/>
St. &#x2014; Ein Geistlicher in Lancashire unterhielt sich kürzlich<lb/>
mit einem ihm von früherher als einer der heftigsten <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="10"/>Chariisten<lb/>
bekannten Manne und war erstaunt über die zahme Sprache,<lb/>
welche er jetzt führte. Er gab ihm seine Verwunderung zu erken-<lb/>
nen. Der Mann antwortete: &#x201E;Ja, ich war Chartist; aber ich<lb/>
habe vor Kurzem zwei Grundstücke mit Häusern angekauft.&#x201C; Es<lb/>
geht in England, wie anderswo; nur die, welche nichts haben,<lb/>
sind für den Communismus.</p>
              </div><lb/>
              <div type="jArticle" n="2">
                <p>Nach Berichten aus Clonmel vom 2. October war an diesem<lb/>
Tage das Zeugenverhör in Sachen S. O'Brien's fortgesetzt,<lb/>
aber noch nicht beendigt worden. Stadt und Umgegend waren<lb/>
fortwährend durchaus ruhig. General M'Donald, der in der<lb/>
Grafschaft den Befehl führt, hat alle Vorkehrungen getroffen, um<lb/>
die Ordnung zu sichern und jede Störung des <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="15"/>Procßverfahrens<lb/>
unmöglich zu machen. &#x2014; Der &#x201E;Dublin Herald&#x201C; will aus sicherer<lb/>
Quelle wissen, daß die Regierung für den Fall einer Verurtheilung<lb/>
S. O'Brien's und seiner Genossen zum Tode entschlossen sey,<lb/>
dem Gesetze wenigstens in Bezug auf die Hauptanstifter des Auf-<lb/>
standes seinen Lauf zu lassen. Den nächsten Verwandten S.<lb/>
O'Brien's soll dies auch bereits angedeutet worden seyn. &#x2014; Die<lb/>
Zahl der jetzt in Jrland stehenden Truppen beträgt etwas über<lb/>
48,000 Mann. &#x2014; Der Krieg gegen Pachtzahlung, Grafschafts-<lb/>
schatzung, Armensteuern und alle andere Auflagen, welche das<lb/>
Landvolk nach den ihm eingeprägten Belehrungen als eine nicht<lb/>
zu duldende Beschwerde ansieht, hat an manchen Orten begonnen<lb/>
und die aus verschiedenen Gegenden eingehenden Berichte lassen<lb/>
einen Winter erwarten, welcher der Polizeimannschaft und den<lb/>
Truppen überall hinlänglich zu schaffen machen wird. Der An-<lb/>
tipacht=Feldzug ist bereits in den Grafschaften Louth, Meath und<lb/>
Cavan eröffnet worden, während die westlichen Provinzen zum<lb/>
ersten Schauplatze für die Unternehmungen gegen die Beitreibung<lb/>
der Armensteuern und der Grafschaftsschatzung ausersehen zu seyn<lb/>
scheinen.</p>
              </div>
            </div><lb/>
            <div type="jPoliticalNews" n="1">
              <head> <hi rendition="#g">Türkei.</hi> </head><lb/>
              <p>Konstantinopel 20. September. ( A. Z. ) Das Ministerium<lb/><hi rendition="#g">Reschid</hi> hat soeben ein Document veröffentlicht, welches man<lb/>
nach europäischer Sprachweise sein Glaubensbekenntniß nennen<lb/>
könnte. Es ist ein Rundschreiben an die Statthalter der Provin-<lb/><cb n="2"/>
zen, worin auf genaue Erfüllung der aus dem Hattischerif von<lb/>
Gülhaneh hervorgegangenen Tansimat ( administrativen Refor-<lb/>
men ) gedrungen, die Grundsätze gerechter und wohlthätiger<lb/>
Verwaltung gepredigt, offene und geheime Ueberwachung ihres<lb/>
Benehmens angekündigt, und den nachlässigen oder schlechtge-<lb/>
sinnten Beamten strenge Strafen angedroht werden. Jnsofern ist<lb/>
es freilich, wie Sie sehen, nichts Neues. Es sind die Anfangs-<lb/>
gründe jedes Beamtenkatechismus, Dinge, die sich anderswo<lb/>
wohl von selbst verstehen. Doch hat ja eben das Wort Reform<lb/>
in der Türkei, wie sie leibt und lebt, keinen anderen Sinn als<lb/>
Reinigung des Augiasstalles der Bestechlichkeit, Abstellung aller<lb/>
der unerhörten Mißbräuche, Erpressungen und Bedrückungen,<lb/>
die so tief im Fleische des Staatskörpers stecken. Das wären<lb/>
Errungenschaften, mit denen man sich hier auf lange zufrieden-<lb/>
stellen könnte. Ob aber die Heilung möglich ist, ob der Osma-<lb/>
nenstaat, diese Anomalie in der heutigen Gestaltung der politi-<lb/>
schen Welt, nicht ohnedieß einer geschichtlichen Nothwendigkeit<lb/>
als Opfer fallen wird, sind Fragen, die wir indeß bei Seite<lb/>
setzen wollen; gewiß ist, daß ein System, wo auf Verbesserung<lb/>
der inneren Zustände, auf thunlichste Befriedigung der unab-<lb/>
weislichen Bedürfnisse einer so wunderbar gemischten Bevölker-<lb/>
ung kein Bedacht genommen würde, die Stunde der Auflösung<lb/>
oder des Anstoßes mit dem durch Jdeen beherrschten Europa ge-<lb/>
waltsam heraufbeschwören müßte. Abdulmedschid und seine<lb/>
Räthe fühlen dieß und wollen aufrichtig ans Werk. Darum<lb/>
sprechen sie jetzt ( und das ist das neue an ihrem letzten Edicte )<lb/>
eindringlicher als je zu den harten Ohren der Anhänger des<lb/>
&#x201E;alten Systems.&#x201C; Absetzung, Degradirung, Verbannung, Ker-<lb/>
ker und Galeeren werden ausdrücklich als die Strafen bezeichnet,<lb/>
welche die Pflichtvergessenen erwarten; wer sich der Aufgabe der<lb/>
Neuzeit nicht gewachsen glaubt, heißt es weiter, soll nur lieber<lb/>
gleich seine Entlassung einreichen; und mehr als einmal wird<lb/>
mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß vom höchsten Wessier<lb/>
bis zum niedrigsten Dorfschulzen für jedermann die gleichen Ge-<lb/>
setze gelten. Neu ist ferner die Huldigung, welche die türkischen<lb/>
Fortschrittsmänner bei dieser Gelegenheit dem Prinzip der<lb/>
Oeffentlichkeit dargebracht haben. Das Rundschreiben an die<lb/>
Gouverneure wurde nicht nur in den hiesigen Zeitungen abgedruckt,<lb/>
sondern auch in alle Landessprachen übersetzt, an die Patriarchate<lb/>
und in die Provinzen in abgesonderten Blättern vertheilt, und<lb/>
den Statthaltern selbst aufgetragen, es in ihren Amtsbezirken<lb/>
förmlich kundzumachen. An Reschid und seinem Herrn ist es jetzt,<lb/>
ihr Wort kräftig durchzuführen, damit sie uns nicht etwa später an<lb/>
die naiven Proclamationen chinesischer Mandarinen erinnern,<lb/>
welche dann und wann, in Augenblicken tugendsamer Aufwallung,<lb/>
allgemein kund und zu wissen thun, daß in ihren Amtsbezirken<lb/>
das &#x201E;Stehlen und Rauben&#x201C; verboten sey. Als Beweis übrigens,<lb/>
wie sehr der Sultan selbst sich darin gefällt bei passender Gele-<lb/>
genheit der höheren europäischen Gesittung Rechnung zu tragen,<lb/>
erlauben Sie mir einen Zug anzuführen, den ich unlängst von<lb/>
ihm in Erfahrung brachte. Der Häuptling des mittelafrikanischen<lb/>
Negerstaates Bornu hatte durch seinen Nachbar, den Pascha<lb/>
von Tripolis, dem Beherrscher der Gläubigen ein anmuthiges<lb/>
Geschenk von 37 männlichen und ebensovielen weiblichen Sklaven<lb/>
zukommen lassen. Der Sultan nahm die Gabe freundlichst an,<lb/>
allein bloß um diesen Jünglingen und Jungfrauen insgesammt<lb/>
die Freiheit zu schenken. Da jedoch diese für sich allein ein etwas<lb/>
zweideutiges Gut gewesen wäre, so ließ er sie je eins und eins<lb/>
miteinander Hochzeit machen, und sandte die jungen schwarzen<lb/>
Ehepaare theils auf seine Landgüter bei Mohalitsch in Kleinasien,<lb/>
theils in die Musterwirthschaft bei San Stefano, wo ihnen<lb/>
Grundstücke zum Besitze und zur Bearbeitung angewiesen wurden.</p>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <div type="jAn" n="1">
              <head> <hi rendition="#g">Anzeige.</hi><lb/> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Pius=Verein</hi>.</hi> </head><lb/>
              <p>Den Mitgliedern des Vereins wird hiemit angezeigt, daß<lb/>
die nächste Versammlung, bei melcher noch einige Herren Abge-<lb/>
ordnete anwesend seyn werden,</p><lb/>
              <p> <hi rendition="#b #c">Montag den 9., Abends 7 Uhr,</hi> </p><lb/>
              <p>statt haben wird.</p>
            </div><lb/>
            <cb type="end"/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </body>
          <back>
            <div type="imprint" n="1">
              <p>Redacteur: Franz Sausen. &#x2014; Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. &#x2014; Druck von Florian Kupferberg.</p>
            </div><lb/>
          </back>
        </floatingText>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[0006] Palmerston und Bastide die bekannten von Oesterreich vorgeschla- genen Grundlagen nicht angenommen und letzteres darauf alle Unterhandlungen abgebrochen habe. Die Anfertigung der Listung für Mobilmachung der 300 Ba- taillone Nationalgarde erregt im südlichen, östlichen und mittleren Frankreich große Aufregung. Die Republik wird am Ende wohl die Bürger mit Gewalt zwingen müssen! Die Commission für den Primärunterricht hat sich dahin aus- gesprochen, daß der Gehalt, welchen in der Regel die Gemeinden den Elementarlehrern zahlen, auf angemessene Weise zu erhöhen sey. Marrast und der republikanische Buchhändler Pagnerre — beide jetzt sehr einflußreiche Leute — sollen sich um die durch Chateaubriands Tod erledigte Stelle in der französischen Akade- mie bewerben. Wahrscheinlich nur die Erfindung eines Witz- boldes. Großbritannien. London 4. October. Lord J. Russell und Lord Palmerston werden, so wie mehrere andere Minister, gegen den 20. hier zu- rückerwartet. Wahrscheinlich wird dann ein Geheimerathsbeschluß wegen weiterer Prorogation des Parlaments erlassen werden. An eine frühe Wiedereröffnung der Session wird vorläufig nicht ge- dacht, da bis jetzt von außerordentlichen Maßregeln bezüglich Jr- lands nicht die Rede ist. Man glaubt daher, daß das Parlament erst im Januar oder Anfangs Februar zusammentreten werde, wenn nicht unvorherzusehende Umstände seine zeitigere Einberu- fung nöthig machen. — Baron Neumann wird als der neue öster- reichische Gesandte am hiesigen Hofe genannt. Die Zahl der hier anwesenden Diplomaten ist klein; mehrere befinden sich auf den Landgütern des Adels. Hr. Bunsen geht nächste Woche für einige Zeit nach Wales. — Die schottische Centralbahn ist jetzt vollendet. Gestern begannen die Eilzüge von London nach Perth; der Weg wird in 14 Stunden zurückgelegt. — Die Eisenbahn=Gesellschaf- ten haben für diesen Monat Einzahlungen im Betrage von 1,573,905 Pf. St. ausgeschrieben, während dieselben im October 1847 sich 3,182,342 Pf. St. beliefen. Jn den zehn ersten _______Monaten von 1847 betrugen die Ausschreibungen für die Bahnen 37,594,355, in dem gleichen Zeitraume von 1848 nur 29,952,770 Pf. St. — Ein Geistlicher in Lancashire unterhielt sich kürzlich mit einem ihm von früherher als einer der heftigsten __________Chariisten bekannten Manne und war erstaunt über die zahme Sprache, welche er jetzt führte. Er gab ihm seine Verwunderung zu erken- nen. Der Mann antwortete: „Ja, ich war Chartist; aber ich habe vor Kurzem zwei Grundstücke mit Häusern angekauft.“ Es geht in England, wie anderswo; nur die, welche nichts haben, sind für den Communismus. Nach Berichten aus Clonmel vom 2. October war an diesem Tage das Zeugenverhör in Sachen S. O'Brien's fortgesetzt, aber noch nicht beendigt worden. Stadt und Umgegend waren fortwährend durchaus ruhig. General M'Donald, der in der Grafschaft den Befehl führt, hat alle Vorkehrungen getroffen, um die Ordnung zu sichern und jede Störung des _______________Procßverfahrens unmöglich zu machen. — Der „Dublin Herald“ will aus sicherer Quelle wissen, daß die Regierung für den Fall einer Verurtheilung S. O'Brien's und seiner Genossen zum Tode entschlossen sey, dem Gesetze wenigstens in Bezug auf die Hauptanstifter des Auf- standes seinen Lauf zu lassen. Den nächsten Verwandten S. O'Brien's soll dies auch bereits angedeutet worden seyn. — Die Zahl der jetzt in Jrland stehenden Truppen beträgt etwas über 48,000 Mann. — Der Krieg gegen Pachtzahlung, Grafschafts- schatzung, Armensteuern und alle andere Auflagen, welche das Landvolk nach den ihm eingeprägten Belehrungen als eine nicht zu duldende Beschwerde ansieht, hat an manchen Orten begonnen und die aus verschiedenen Gegenden eingehenden Berichte lassen einen Winter erwarten, welcher der Polizeimannschaft und den Truppen überall hinlänglich zu schaffen machen wird. Der An- tipacht=Feldzug ist bereits in den Grafschaften Louth, Meath und Cavan eröffnet worden, während die westlichen Provinzen zum ersten Schauplatze für die Unternehmungen gegen die Beitreibung der Armensteuern und der Grafschaftsschatzung ausersehen zu seyn scheinen. Türkei. Konstantinopel 20. September. ( A. Z. ) Das Ministerium Reschid hat soeben ein Document veröffentlicht, welches man nach europäischer Sprachweise sein Glaubensbekenntniß nennen könnte. Es ist ein Rundschreiben an die Statthalter der Provin- zen, worin auf genaue Erfüllung der aus dem Hattischerif von Gülhaneh hervorgegangenen Tansimat ( administrativen Refor- men ) gedrungen, die Grundsätze gerechter und wohlthätiger Verwaltung gepredigt, offene und geheime Ueberwachung ihres Benehmens angekündigt, und den nachlässigen oder schlechtge- sinnten Beamten strenge Strafen angedroht werden. Jnsofern ist es freilich, wie Sie sehen, nichts Neues. Es sind die Anfangs- gründe jedes Beamtenkatechismus, Dinge, die sich anderswo wohl von selbst verstehen. Doch hat ja eben das Wort Reform in der Türkei, wie sie leibt und lebt, keinen anderen Sinn als Reinigung des Augiasstalles der Bestechlichkeit, Abstellung aller der unerhörten Mißbräuche, Erpressungen und Bedrückungen, die so tief im Fleische des Staatskörpers stecken. Das wären Errungenschaften, mit denen man sich hier auf lange zufrieden- stellen könnte. Ob aber die Heilung möglich ist, ob der Osma- nenstaat, diese Anomalie in der heutigen Gestaltung der politi- schen Welt, nicht ohnedieß einer geschichtlichen Nothwendigkeit als Opfer fallen wird, sind Fragen, die wir indeß bei Seite setzen wollen; gewiß ist, daß ein System, wo auf Verbesserung der inneren Zustände, auf thunlichste Befriedigung der unab- weislichen Bedürfnisse einer so wunderbar gemischten Bevölker- ung kein Bedacht genommen würde, die Stunde der Auflösung oder des Anstoßes mit dem durch Jdeen beherrschten Europa ge- waltsam heraufbeschwören müßte. Abdulmedschid und seine Räthe fühlen dieß und wollen aufrichtig ans Werk. Darum sprechen sie jetzt ( und das ist das neue an ihrem letzten Edicte ) eindringlicher als je zu den harten Ohren der Anhänger des „alten Systems.“ Absetzung, Degradirung, Verbannung, Ker- ker und Galeeren werden ausdrücklich als die Strafen bezeichnet, welche die Pflichtvergessenen erwarten; wer sich der Aufgabe der Neuzeit nicht gewachsen glaubt, heißt es weiter, soll nur lieber gleich seine Entlassung einreichen; und mehr als einmal wird mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß vom höchsten Wessier bis zum niedrigsten Dorfschulzen für jedermann die gleichen Ge- setze gelten. Neu ist ferner die Huldigung, welche die türkischen Fortschrittsmänner bei dieser Gelegenheit dem Prinzip der Oeffentlichkeit dargebracht haben. Das Rundschreiben an die Gouverneure wurde nicht nur in den hiesigen Zeitungen abgedruckt, sondern auch in alle Landessprachen übersetzt, an die Patriarchate und in die Provinzen in abgesonderten Blättern vertheilt, und den Statthaltern selbst aufgetragen, es in ihren Amtsbezirken förmlich kundzumachen. An Reschid und seinem Herrn ist es jetzt, ihr Wort kräftig durchzuführen, damit sie uns nicht etwa später an die naiven Proclamationen chinesischer Mandarinen erinnern, welche dann und wann, in Augenblicken tugendsamer Aufwallung, allgemein kund und zu wissen thun, daß in ihren Amtsbezirken das „Stehlen und Rauben“ verboten sey. Als Beweis übrigens, wie sehr der Sultan selbst sich darin gefällt bei passender Gele- genheit der höheren europäischen Gesittung Rechnung zu tragen, erlauben Sie mir einen Zug anzuführen, den ich unlängst von ihm in Erfahrung brachte. Der Häuptling des mittelafrikanischen Negerstaates Bornu hatte durch seinen Nachbar, den Pascha von Tripolis, dem Beherrscher der Gläubigen ein anmuthiges Geschenk von 37 männlichen und ebensovielen weiblichen Sklaven zukommen lassen. Der Sultan nahm die Gabe freundlichst an, allein bloß um diesen Jünglingen und Jungfrauen insgesammt die Freiheit zu schenken. Da jedoch diese für sich allein ein etwas zweideutiges Gut gewesen wäre, so ließ er sie je eins und eins miteinander Hochzeit machen, und sandte die jungen schwarzen Ehepaare theils auf seine Landgüter bei Mohalitsch in Kleinasien, theils in die Musterwirthschaft bei San Stefano, wo ihnen Grundstücke zum Besitze und zur Bearbeitung angewiesen wurden. Anzeige. Pius=Verein. Den Mitgliedern des Vereins wird hiemit angezeigt, daß die nächste Versammlung, bei melcher noch einige Herren Abge- ordnete anwesend seyn werden, Montag den 9., Abends 7 Uhr, statt haben wird. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal106_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal106_1848/6
Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 106. Mainz, 7. Oktober 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal106_1848/6>, abgerufen am 21.11.2024.