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Mainzer Journal. Nr. 167. Mainz, 18. Dezember 1848.

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Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 167. Dienstag, den 19. December. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Verhandlungen der Nationalversammlung.
Vom 18. December.
Tagesordnung der 138. öffentlichen Sitzung.

1 ) Wahl des ersten Vorsitzenden.

2 ) Fortsetzung der Berathung des vom Verfassungs=Ausschusse vor-
gelegten Entwurfes: "der Reichstag," und zwar über Artikel VI. §. 20.
und folgende.

Unter dem Vorsitze Wilhelm Beselers schreitet heute die
Versammlung sogleich zur Wahl eines Präsidenten. Die
Oesterreicher haben den größten Theil ihrer Stimmen dem zu-
rückgetretenen Reichsminister v. Schmerling zugewendet. Außer-
dem kommen am zahlreichsten die Namen Ed. Simsons und
Kirchgeßners aus der Urne. Herr v. Gagern ist während
des Wahlgeschäftes noch nicht in der Sitzung zugegen. Die Her-
ren v. Beckerath, Bassermann, Duckwitz, v. Peucker,
Mathy
aber, die sich auf der Ministerbank befinden, nehmen
die Gelegenheit wahr, ihren gewesenen Collegen Schmerling zu
begrüßen, als er sich zufällig ihren Plätzen nähert. Die Gallerien
sind belebter, als während der früheren Sitzungen und auch die
Abgeordneten zeitig und vollzählig im Hause erschienen. Das
Ergebniß der Präsidentenwahl ist folgendes. Von 415 An-
wesenden haben 181 für Eduard Simson aus Königsberg, 128
für Kirchgeßner, 93 für v. Schmerling gestimmt. Fünf Zettel
enthalten nur den Namen Simson ohne nähere Bezeichnung und
sind daher zurückzulegen, die übrigen zerstreuen sich ( 2 auf Trützsch-
ler, 2 auf Heinrich Simon, 1 auf Dahlmann u. s. w. ) . Da
eine unbedingte Mehrheit nicht erreicht ist, so muß zu einer Wie-
derholung der Wahl verschritten werden.

Die österreichischen Stimmen haben sich jetzt mit denen für
Kirchgeßner vereinigt. Wahlzettel sind diesmal im Ganzen
443 eingegangen. 215 davon haben sich für Eduard Simson,
214 für Kirchgeßner erklärt, 10 Stimmen sind wiederum auf v.
Schmerling gefallen, 2 enthalten den Namen "Simson" ohne
Beisatz. Die übrigen Stimmen zerstreuten sich und eine unbedingte
Mehrheit hat sich demnach auch jetzt nicht herausgestellt.

Das Verfahren bei der zweiten Wiederholung der Wahl an-
langend, so beantragt v. Vincke dafür, um Unsicherheiten vor-
zubeugen, Namensaufruf, auf welchen die Mitglieder ihre
Stimmen persönlich in die Urne zu werfen haben, die vor dem
Präsidenten aufgestellt ist. Der Vorschlag wird angenommen.

Es ist 1 Uhr Nachmittags, als das Resultat der dritten Wahl
bekannt gemacht wird, denn die letzte Abstimmung allein hat zwei
Stunden Zeit gekostet. Auf Namensaufruf sind 461 Zettel in die
Urne gelegt worden. Ein zu spät, das heißt erst dann über-
brachter Zettel, nachdem deren Verlesung schon begonnen hatte,
wird durch Versammlungsentscheidung cassirt. Eduard Sim-
son
hat 233, Kirchgeßner 223, Schmerling 3 Stimmen erhalten.
Der Erstere hat mithin endlich die unbedingte Mehrheit für sich
erlangt und ist erster Präsident der Nationalversammlung.
( Beifall von der einen Seite, Zischen von der andern. ) Die
Stelle eines fehlenden Vicepräsidenten soll erst im Januar wieder
besetzt werden.

Ein Schreiben des Reichsverwesers zeigt die Ernennung
Heinrichs v. Gagern zum Vorsitzenden des Ministeri-
ums
und zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten, vorläu-
fig zugleich des Jnnern, an. ( Bravo! ) Darauf betritt der Mini-
sterpräsident selbst die Rednerbühne, um das Programm des
Reichsministeriums mitzutheilen.

Gagern: Ein Gefühl der Nothwendigkeit, ein heißes Ver-
langen durchdringt das Volk: daß das Verfassungswerk schnell
vollendet seyn möge. Die verfassunggebende Reichsversammlung
hat dieses Bedürfniß erkannt und nähert sich dem Ziele ihrer
großen Aufgabe. Zwar ist die Errichtung des Verfassungs-
werkes von der Wirksamkeit der Centralgewalt ausgeschlossen;
die Wege aber anzubahnen, damit die vollendete Verfassung in
Wirksamkeit treten könne, thätig zu seyn, wo vorauszusehenden
Hindernissen vorgebeugt werden kann und etwa eintretende zu be-
seitigen sind; eine solche das Verfassungswerk betreffende Wirk-
samkeit der Centralgewalt erscheint in so hohem Grade als Be-
dingung der allgemeinen Wohlfahrt, daß das Reichsministerium
sie für die nächste und wichtigste erkennt. Die Stellung, welche
[Spaltenumbruch] Oesterreich zur deutschen Nationalversammlung und zu der pro-
visorischen Centralgewalt für Deutschland eingenommen hat, legt
dem Reichsministerium die Pflicht auf, der Nationalversamm-
lung, deren Aufmerksamkeit durch diese wichtige Frage bereits
vielfach in Anspruch genommen ist, Vorlage zu machen. Das
Programm des österreichischen Ministeriums vom 27. Novem-
ber spricht aus:

1 ) daß alle österreichischen Lande in staatlicher Einheit ver-
bunden bleiben sollen,

2 ) daß die Beziehungen Oesterreichs zu Deutschland dann erst
staatlich geordnet werden könnten, wenn beide Staatencomplexe
zu neuen und festen Formen gelangt seyen, d. h. ihre innere Ge-
staltung vollendet haben würden.

Diese Auffassung der Stellung Oesterreichs zu Deutschland
hat nicht allein den Beifall des österreichischen Reichstages zu
Kremsier erhalten, sondern scheint auch den Wünschen und Ansich-
ten der großen Mehrheit der Bewohner der deutsch=österreichischen
Lande zu entsprechen. Es ist damit österreichischer Seits die
Antwort auf die Frage ertheilt, welche in der Beschlußnahme der
Nationalversammlung über den Verfassungsentwurf: "Capitel
vom Reich und der Reichsgewalt" namentlich in den Paragraphen
1. bis 3. enthalten, an Oesterreich gestellt worden ist.

Das Reichsministerium glaubt in Beurtheilung der Stellung
der Centralgewalt zu Oesterreich von folgenden Sätzen ausgehen
zu müssen:

1 ) Bei der Natur der Verbindung Oesterreichs mit außer-
deutschen Ländern beschränkt sich für jetzt und während des Pro-
visoriums die Pflicht der Reichsgewalt darauf, das bestehende
Bundesverhältniß Oesterreichs zu Deutschland im Allgemeinen zu
erhalten. Es ist aber das Sonderverhältniß Oesterreichs anzuer-
kennen, wonach es anspricht, in den zu errichtenden deutschen
Bundesstaat unter Bedingungen, welche die staatliche Verbindung
der deutschen mit den nichtdeutschen österreichischen Bundestheilen
alteriren, nicht einzutreten.

2 ) Oesterreich wird also nach den bis jetzt durch die Natio-
nalversammlung gefaßten Beschlüssen, wodurch die Natur des
Bundesstaates bestimmt worden ist, als in den zu errichtenden
deutschen Bundesstaat nicht eintretend zu betrachten seyn.

3 ) Oesterreichs Unionsverhältniß zu Deutschland mittelst
einer besondern Unionsacte zu ordnen, und darin alle die ver-
wandtschaftlichen, geistigen, politischen und materiellen Bedürf-
nisse nach Möglichkeit zu befriedigen, welche Deutschland und
Oesterreich von jeher verbunden haben und im gesteigerten Maße
verbinden können, bleibt der nächsten Zukunft vorbehalten.

4 ) Da Oesterreich zu dem von der provisorischen Centralge-
walt repräsentirten Deutschland zwar in einem unauflöslichen
Bunde steht, in den Bundesstaat aber nicht eintritt, so ist die Ver-
ständigung über alle gegenseitigen, sowohl bereits bestehenden als
künftigen Bundespflichten und Rechte auf gesandtschaftlichem Wege
einzuleiten und zu unterhalten.

5 ) Die Verfassung des deutschen Bundesstaates, deren schleu-
nige Beendigung zwar im beiderseitigen Jnteresse liegt, kann jedoch
nicht Gegenstand der Unterhandlung mit Oesterreich seyn.

Jndem ich diese Sätze der Prüfung der Nationalversammlung
übergebe, suche ich für das Reichsministerium um die Ermächtig-
ung nach, die gesandtschaftliche Verbindung mit der Regierung
des österreichischen Kaiserreiches, wodurch den erörterten Verhält-
nissen entsprochen wird, Namens der Centralgewalt anknüpfen
zu dürfen. Jch erlaube mir daran die Bitte zu knüpfen, daß diese
Vorlage zwar nach ihrer Wichtigkeit an einen Ausschuß zur Be-
gutachtung überwiesen, die Verhandlung der Sache aber möglichst
beschleunigt werden möge. ( Bewegung. Es werden vergebens
Zeichen des Beifalls, wie des Mißfallens versucht. )

Sodann erhebt sich eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob
das Programm des Reichsministeriums an den Biedermann-
schen
oder an den österreichischen Ausschuß zn überwei-
sen sey. Rößler von Oels behauptet, die Angelegenheit ge-
höre vor den Verfassungsausschuß. Venedey: Jch schlage
vor, das Programm ohne Ausschußbericht zu verwerfen. ( Bravo! )
Wir sind zusammengetreten, Deutschland zu vereinigen, nicht
um es zu zerreißen. ( Stürmisches Bravo! ) Nicht einen Augen-
blick länger können wir hier sitzen, wenn wir in eine solche Thei-
[Ende Spaltensatz]

Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 167. Dienstag, den 19. December. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Verhandlungen der Nationalversammlung.
Vom 18. December.
Tagesordnung der 138. öffentlichen Sitzung.

1 ) Wahl des ersten Vorsitzenden.

2 ) Fortsetzung der Berathung des vom Verfassungs=Ausschusse vor-
gelegten Entwurfes: „der Reichstag,“ und zwar über Artikel VI. §. 20.
und folgende.

Unter dem Vorsitze Wilhelm Beselers schreitet heute die
Versammlung sogleich zur Wahl eines Präsidenten. Die
Oesterreicher haben den größten Theil ihrer Stimmen dem zu-
rückgetretenen Reichsminister v. Schmerling zugewendet. Außer-
dem kommen am zahlreichsten die Namen Ed. Simsons und
Kirchgeßners aus der Urne. Herr v. Gagern ist während
des Wahlgeschäftes noch nicht in der Sitzung zugegen. Die Her-
ren v. Beckerath, Bassermann, Duckwitz, v. Peucker,
Mathy
aber, die sich auf der Ministerbank befinden, nehmen
die Gelegenheit wahr, ihren gewesenen Collegen Schmerling zu
begrüßen, als er sich zufällig ihren Plätzen nähert. Die Gallerien
sind belebter, als während der früheren Sitzungen und auch die
Abgeordneten zeitig und vollzählig im Hause erschienen. Das
Ergebniß der Präsidentenwahl ist folgendes. Von 415 An-
wesenden haben 181 für Eduard Simson aus Königsberg, 128
für Kirchgeßner, 93 für v. Schmerling gestimmt. Fünf Zettel
enthalten nur den Namen Simson ohne nähere Bezeichnung und
sind daher zurückzulegen, die übrigen zerstreuen sich ( 2 auf Trützsch-
ler, 2 auf Heinrich Simon, 1 auf Dahlmann u. s. w. ) . Da
eine unbedingte Mehrheit nicht erreicht ist, so muß zu einer Wie-
derholung der Wahl verschritten werden.

Die österreichischen Stimmen haben sich jetzt mit denen für
Kirchgeßner vereinigt. Wahlzettel sind diesmal im Ganzen
443 eingegangen. 215 davon haben sich für Eduard Simson,
214 für Kirchgeßner erklärt, 10 Stimmen sind wiederum auf v.
Schmerling gefallen, 2 enthalten den Namen „Simson“ ohne
Beisatz. Die übrigen Stimmen zerstreuten sich und eine unbedingte
Mehrheit hat sich demnach auch jetzt nicht herausgestellt.

Das Verfahren bei der zweiten Wiederholung der Wahl an-
langend, so beantragt v. Vincke dafür, um Unsicherheiten vor-
zubeugen, Namensaufruf, auf welchen die Mitglieder ihre
Stimmen persönlich in die Urne zu werfen haben, die vor dem
Präsidenten aufgestellt ist. Der Vorschlag wird angenommen.

Es ist 1 Uhr Nachmittags, als das Resultat der dritten Wahl
bekannt gemacht wird, denn die letzte Abstimmung allein hat zwei
Stunden Zeit gekostet. Auf Namensaufruf sind 461 Zettel in die
Urne gelegt worden. Ein zu spät, das heißt erst dann über-
brachter Zettel, nachdem deren Verlesung schon begonnen hatte,
wird durch Versammlungsentscheidung cassirt. Eduard Sim-
son
hat 233, Kirchgeßner 223, Schmerling 3 Stimmen erhalten.
Der Erstere hat mithin endlich die unbedingte Mehrheit für sich
erlangt und ist erster Präsident der Nationalversammlung.
( Beifall von der einen Seite, Zischen von der andern. ) Die
Stelle eines fehlenden Vicepräsidenten soll erst im Januar wieder
besetzt werden.

Ein Schreiben des Reichsverwesers zeigt die Ernennung
Heinrichs v. Gagern zum Vorsitzenden des Ministeri-
ums
und zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten, vorläu-
fig zugleich des Jnnern, an. ( Bravo! ) Darauf betritt der Mini-
sterpräsident selbst die Rednerbühne, um das Programm des
Reichsministeriums mitzutheilen.

Gagern: Ein Gefühl der Nothwendigkeit, ein heißes Ver-
langen durchdringt das Volk: daß das Verfassungswerk schnell
vollendet seyn möge. Die verfassunggebende Reichsversammlung
hat dieses Bedürfniß erkannt und nähert sich dem Ziele ihrer
großen Aufgabe. Zwar ist die Errichtung des Verfassungs-
werkes von der Wirksamkeit der Centralgewalt ausgeschlossen;
die Wege aber anzubahnen, damit die vollendete Verfassung in
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Hindernissen vorgebeugt werden kann und etwa eintretende zu be-
seitigen sind; eine solche das Verfassungswerk betreffende Wirk-
samkeit der Centralgewalt erscheint in so hohem Grade als Be-
dingung der allgemeinen Wohlfahrt, daß das Reichsministerium
sie für die nächste und wichtigste erkennt. Die Stellung, welche
[Spaltenumbruch] Oesterreich zur deutschen Nationalversammlung und zu der pro-
visorischen Centralgewalt für Deutschland eingenommen hat, legt
dem Reichsministerium die Pflicht auf, der Nationalversamm-
lung, deren Aufmerksamkeit durch diese wichtige Frage bereits
vielfach in Anspruch genommen ist, Vorlage zu machen. Das
Programm des österreichischen Ministeriums vom 27. Novem-
ber spricht aus:

1 ) daß alle österreichischen Lande in staatlicher Einheit ver-
bunden bleiben sollen,

2 ) daß die Beziehungen Oesterreichs zu Deutschland dann erst
staatlich geordnet werden könnten, wenn beide Staatencomplexe
zu neuen und festen Formen gelangt seyen, d. h. ihre innere Ge-
staltung vollendet haben würden.

Diese Auffassung der Stellung Oesterreichs zu Deutschland
hat nicht allein den Beifall des österreichischen Reichstages zu
Kremsier erhalten, sondern scheint auch den Wünschen und Ansich-
ten der großen Mehrheit der Bewohner der deutsch=österreichischen
Lande zu entsprechen. Es ist damit österreichischer Seits die
Antwort auf die Frage ertheilt, welche in der Beschlußnahme der
Nationalversammlung über den Verfassungsentwurf: „Capitel
vom Reich und der Reichsgewalt“ namentlich in den Paragraphen
1. bis 3. enthalten, an Oesterreich gestellt worden ist.

Das Reichsministerium glaubt in Beurtheilung der Stellung
der Centralgewalt zu Oesterreich von folgenden Sätzen ausgehen
zu müssen:

1 ) Bei der Natur der Verbindung Oesterreichs mit außer-
deutschen Ländern beschränkt sich für jetzt und während des Pro-
visoriums die Pflicht der Reichsgewalt darauf, das bestehende
Bundesverhältniß Oesterreichs zu Deutschland im Allgemeinen zu
erhalten. Es ist aber das Sonderverhältniß Oesterreichs anzuer-
kennen, wonach es anspricht, in den zu errichtenden deutschen
Bundesstaat unter Bedingungen, welche die staatliche Verbindung
der deutschen mit den nichtdeutschen österreichischen Bundestheilen
alteriren, nicht einzutreten.

2 ) Oesterreich wird also nach den bis jetzt durch die Natio-
nalversammlung gefaßten Beschlüssen, wodurch die Natur des
Bundesstaates bestimmt worden ist, als in den zu errichtenden
deutschen Bundesstaat nicht eintretend zu betrachten seyn.

3 ) Oesterreichs Unionsverhältniß zu Deutschland mittelst
einer besondern Unionsacte zu ordnen, und darin alle die ver-
wandtschaftlichen, geistigen, politischen und materiellen Bedürf-
nisse nach Möglichkeit zu befriedigen, welche Deutschland und
Oesterreich von jeher verbunden haben und im gesteigerten Maße
verbinden können, bleibt der nächsten Zukunft vorbehalten.

4 ) Da Oesterreich zu dem von der provisorischen Centralge-
walt repräsentirten Deutschland zwar in einem unauflöslichen
Bunde steht, in den Bundesstaat aber nicht eintritt, so ist die Ver-
ständigung über alle gegenseitigen, sowohl bereits bestehenden als
künftigen Bundespflichten und Rechte auf gesandtschaftlichem Wege
einzuleiten und zu unterhalten.

5 ) Die Verfassung des deutschen Bundesstaates, deren schleu-
nige Beendigung zwar im beiderseitigen Jnteresse liegt, kann jedoch
nicht Gegenstand der Unterhandlung mit Oesterreich seyn.

Jndem ich diese Sätze der Prüfung der Nationalversammlung
übergebe, suche ich für das Reichsministerium um die Ermächtig-
ung nach, die gesandtschaftliche Verbindung mit der Regierung
des österreichischen Kaiserreiches, wodurch den erörterten Verhält-
nissen entsprochen wird, Namens der Centralgewalt anknüpfen
zu dürfen. Jch erlaube mir daran die Bitte zu knüpfen, daß diese
Vorlage zwar nach ihrer Wichtigkeit an einen Ausschuß zur Be-
gutachtung überwiesen, die Verhandlung der Sache aber möglichst
beschleunigt werden möge. ( Bewegung. Es werden vergebens
Zeichen des Beifalls, wie des Mißfallens versucht. )

Sodann erhebt sich eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob
das Programm des Reichsministeriums an den Biedermann-
schen
oder an den österreichischen Ausschuß zn überwei-
sen sey. Rößler von Oels behauptet, die Angelegenheit ge-
höre vor den Verfassungsausschuß. Venedey: Jch schlage
vor, das Programm ohne Ausschußbericht zu verwerfen. ( Bravo! )
Wir sind zusammengetreten, Deutschland zu vereinigen, nicht
um es zu zerreißen. ( Stürmisches Bravo! ) Nicht einen Augen-
blick länger können wir hier sitzen, wenn wir in eine solche Thei-
[Ende Spaltensatz]

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[0005] Beilage zum Mainzer Journal. Nro 167. Dienstag, den 19. December. 1848. Verhandlungen der Nationalversammlung. Vom 18. December. Tagesordnung der 138. öffentlichen Sitzung. 1 ) Wahl des ersten Vorsitzenden. 2 ) Fortsetzung der Berathung des vom Verfassungs=Ausschusse vor- gelegten Entwurfes: „der Reichstag,“ und zwar über Artikel VI. §. 20. und folgende. Unter dem Vorsitze Wilhelm Beselers schreitet heute die Versammlung sogleich zur Wahl eines Präsidenten. Die Oesterreicher haben den größten Theil ihrer Stimmen dem zu- rückgetretenen Reichsminister v. Schmerling zugewendet. Außer- dem kommen am zahlreichsten die Namen Ed. Simsons und Kirchgeßners aus der Urne. Herr v. Gagern ist während des Wahlgeschäftes noch nicht in der Sitzung zugegen. Die Her- ren v. Beckerath, Bassermann, Duckwitz, v. Peucker, Mathy aber, die sich auf der Ministerbank befinden, nehmen die Gelegenheit wahr, ihren gewesenen Collegen Schmerling zu begrüßen, als er sich zufällig ihren Plätzen nähert. Die Gallerien sind belebter, als während der früheren Sitzungen und auch die Abgeordneten zeitig und vollzählig im Hause erschienen. Das Ergebniß der Präsidentenwahl ist folgendes. Von 415 An- wesenden haben 181 für Eduard Simson aus Königsberg, 128 für Kirchgeßner, 93 für v. Schmerling gestimmt. Fünf Zettel enthalten nur den Namen Simson ohne nähere Bezeichnung und sind daher zurückzulegen, die übrigen zerstreuen sich ( 2 auf Trützsch- ler, 2 auf Heinrich Simon, 1 auf Dahlmann u. s. w. ) . Da eine unbedingte Mehrheit nicht erreicht ist, so muß zu einer Wie- derholung der Wahl verschritten werden. Die österreichischen Stimmen haben sich jetzt mit denen für Kirchgeßner vereinigt. Wahlzettel sind diesmal im Ganzen 443 eingegangen. 215 davon haben sich für Eduard Simson, 214 für Kirchgeßner erklärt, 10 Stimmen sind wiederum auf v. Schmerling gefallen, 2 enthalten den Namen „Simson“ ohne Beisatz. Die übrigen Stimmen zerstreuten sich und eine unbedingte Mehrheit hat sich demnach auch jetzt nicht herausgestellt. Das Verfahren bei der zweiten Wiederholung der Wahl an- langend, so beantragt v. Vincke dafür, um Unsicherheiten vor- zubeugen, Namensaufruf, auf welchen die Mitglieder ihre Stimmen persönlich in die Urne zu werfen haben, die vor dem Präsidenten aufgestellt ist. Der Vorschlag wird angenommen. Es ist 1 Uhr Nachmittags, als das Resultat der dritten Wahl bekannt gemacht wird, denn die letzte Abstimmung allein hat zwei Stunden Zeit gekostet. Auf Namensaufruf sind 461 Zettel in die Urne gelegt worden. Ein zu spät, das heißt erst dann über- brachter Zettel, nachdem deren Verlesung schon begonnen hatte, wird durch Versammlungsentscheidung cassirt. Eduard Sim- son hat 233, Kirchgeßner 223, Schmerling 3 Stimmen erhalten. Der Erstere hat mithin endlich die unbedingte Mehrheit für sich erlangt und ist erster Präsident der Nationalversammlung. ( Beifall von der einen Seite, Zischen von der andern. ) Die Stelle eines fehlenden Vicepräsidenten soll erst im Januar wieder besetzt werden. Ein Schreiben des Reichsverwesers zeigt die Ernennung Heinrichs v. Gagern zum Vorsitzenden des Ministeri- ums und zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten, vorläu- fig zugleich des Jnnern, an. ( Bravo! ) Darauf betritt der Mini- sterpräsident selbst die Rednerbühne, um das Programm des Reichsministeriums mitzutheilen. Gagern: Ein Gefühl der Nothwendigkeit, ein heißes Ver- langen durchdringt das Volk: daß das Verfassungswerk schnell vollendet seyn möge. Die verfassunggebende Reichsversammlung hat dieses Bedürfniß erkannt und nähert sich dem Ziele ihrer großen Aufgabe. Zwar ist die Errichtung des Verfassungs- werkes von der Wirksamkeit der Centralgewalt ausgeschlossen; die Wege aber anzubahnen, damit die vollendete Verfassung in Wirksamkeit treten könne, thätig zu seyn, wo vorauszusehenden Hindernissen vorgebeugt werden kann und etwa eintretende zu be- seitigen sind; eine solche das Verfassungswerk betreffende Wirk- samkeit der Centralgewalt erscheint in so hohem Grade als Be- dingung der allgemeinen Wohlfahrt, daß das Reichsministerium sie für die nächste und wichtigste erkennt. Die Stellung, welche Oesterreich zur deutschen Nationalversammlung und zu der pro- visorischen Centralgewalt für Deutschland eingenommen hat, legt dem Reichsministerium die Pflicht auf, der Nationalversamm- lung, deren Aufmerksamkeit durch diese wichtige Frage bereits vielfach in Anspruch genommen ist, Vorlage zu machen. Das Programm des österreichischen Ministeriums vom 27. Novem- ber spricht aus: 1 ) daß alle österreichischen Lande in staatlicher Einheit ver- bunden bleiben sollen, 2 ) daß die Beziehungen Oesterreichs zu Deutschland dann erst staatlich geordnet werden könnten, wenn beide Staatencomplexe zu neuen und festen Formen gelangt seyen, d. h. ihre innere Ge- staltung vollendet haben würden. Diese Auffassung der Stellung Oesterreichs zu Deutschland hat nicht allein den Beifall des österreichischen Reichstages zu Kremsier erhalten, sondern scheint auch den Wünschen und Ansich- ten der großen Mehrheit der Bewohner der deutsch=österreichischen Lande zu entsprechen. Es ist damit österreichischer Seits die Antwort auf die Frage ertheilt, welche in der Beschlußnahme der Nationalversammlung über den Verfassungsentwurf: „Capitel vom Reich und der Reichsgewalt“ namentlich in den Paragraphen 1. bis 3. enthalten, an Oesterreich gestellt worden ist. Das Reichsministerium glaubt in Beurtheilung der Stellung der Centralgewalt zu Oesterreich von folgenden Sätzen ausgehen zu müssen: 1 ) Bei der Natur der Verbindung Oesterreichs mit außer- deutschen Ländern beschränkt sich für jetzt und während des Pro- visoriums die Pflicht der Reichsgewalt darauf, das bestehende Bundesverhältniß Oesterreichs zu Deutschland im Allgemeinen zu erhalten. Es ist aber das Sonderverhältniß Oesterreichs anzuer- kennen, wonach es anspricht, in den zu errichtenden deutschen Bundesstaat unter Bedingungen, welche die staatliche Verbindung der deutschen mit den nichtdeutschen österreichischen Bundestheilen alteriren, nicht einzutreten. 2 ) Oesterreich wird also nach den bis jetzt durch die Natio- nalversammlung gefaßten Beschlüssen, wodurch die Natur des Bundesstaates bestimmt worden ist, als in den zu errichtenden deutschen Bundesstaat nicht eintretend zu betrachten seyn. 3 ) Oesterreichs Unionsverhältniß zu Deutschland mittelst einer besondern Unionsacte zu ordnen, und darin alle die ver- wandtschaftlichen, geistigen, politischen und materiellen Bedürf- nisse nach Möglichkeit zu befriedigen, welche Deutschland und Oesterreich von jeher verbunden haben und im gesteigerten Maße verbinden können, bleibt der nächsten Zukunft vorbehalten. 4 ) Da Oesterreich zu dem von der provisorischen Centralge- walt repräsentirten Deutschland zwar in einem unauflöslichen Bunde steht, in den Bundesstaat aber nicht eintritt, so ist die Ver- ständigung über alle gegenseitigen, sowohl bereits bestehenden als künftigen Bundespflichten und Rechte auf gesandtschaftlichem Wege einzuleiten und zu unterhalten. 5 ) Die Verfassung des deutschen Bundesstaates, deren schleu- nige Beendigung zwar im beiderseitigen Jnteresse liegt, kann jedoch nicht Gegenstand der Unterhandlung mit Oesterreich seyn. Jndem ich diese Sätze der Prüfung der Nationalversammlung übergebe, suche ich für das Reichsministerium um die Ermächtig- ung nach, die gesandtschaftliche Verbindung mit der Regierung des österreichischen Kaiserreiches, wodurch den erörterten Verhält- nissen entsprochen wird, Namens der Centralgewalt anknüpfen zu dürfen. Jch erlaube mir daran die Bitte zu knüpfen, daß diese Vorlage zwar nach ihrer Wichtigkeit an einen Ausschuß zur Be- gutachtung überwiesen, die Verhandlung der Sache aber möglichst beschleunigt werden möge. ( Bewegung. Es werden vergebens Zeichen des Beifalls, wie des Mißfallens versucht. ) Sodann erhebt sich eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob das Programm des Reichsministeriums an den Biedermann- schen oder an den österreichischen Ausschuß zn überwei- sen sey. Rößler von Oels behauptet, die Angelegenheit ge- höre vor den Verfassungsausschuß. Venedey: Jch schlage vor, das Programm ohne Ausschußbericht zu verwerfen. ( Bravo! ) Wir sind zusammengetreten, Deutschland zu vereinigen, nicht um es zu zerreißen. ( Stürmisches Bravo! ) Nicht einen Augen- blick länger können wir hier sitzen, wenn wir in eine solche Thei-

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 167. Mainz, 18. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal167_1848/5>, abgerufen am 01.06.2024.