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Mainzer Journal. Nr. 240. Mainz, 9. Oktober 1849.

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[Beginn Spaltensatz] ßens wird auch dann nicht eintreten, wenn Hannover und
Sachsen aus dem Bündnisse auszuscheiden sich veranlaßt sehen
sollten." Wenn der Mann extra dafür bezahlt würde die preu-
ßische Regierung lächerlich zu machen -- er könnte es nicht besser
treiben als durch die gespreitzte Mittheilung solcher leerer Nich-
tigkeiten!

== Von der Haardt 7. October. Jn einer der jüngsten Ver-
ordnungen der königl. Regierung werden die Decane in der Pfalz
aufgefordert, über diejenigen Geistlichen zu berichten, die während
der pfälzischen Revolution der sogenannten provisorischen Regie-
rung den Eid geleistet haben. Weit entfernt, daß Streben einer
Regierung zu verkennen, die zum Wohle des Volkes bemüht ist,
den unterwühlten Boden vom Unkraute zu säubern und die zwei-
deutigen und minder gravirten Elemente durch moralische und
physische Mittel zu bessern, können wir doch bei dieser Verfügung
einige Bemerkungen nicht unterdrücken.

Ohne diejenigen Geistlichen von Schuld freisprechen zu wollen,
die in jenen trüben Tagen schwach genug waren, der neuen Re-
gierung den Eid zu leisten, dürfte es doch noch in Frage stehen,
ob eine Regierung, die damals die Guten entweder nicht schützen
konnte oder nicht schützen wollte, berechtigt sey, gegen die
unglücklichen Opfer jenes unerhörten Terrorismus nachträglich
einzuschreiten; ob nicht vielmehr diese Verordnung aus jener alten,
wohlbekannten Gesinnung hervorgegangen sey, die sich um jeden
Preis an der Kirche und ihren Dienern reiben will? -- Wer in
jenen unseligen Tagen das diabolische Treiben der Freiheitsmän-
ner mit angesehen hat, der erhielt gewiß einen richtigen Begriff
von der Stellung Derer, die es mit der gesetzlichen Ordnung
hielten und halten wollten. Von Allen aber stand Niemand
verlassener und hilfsloser mitten im Feuer der unsinnig-
sten aller Revolutionen als die Geistlichen. Von Allen war
Niemand so sehr der Rohheit und frechen Brutalität der, Volks-
beglücker " ausgesetzt, als eben die Geistlichen. Was hat nun
in jener Zeit die Regierung gethan, um die Guten vor Gewalt-
that und schmachvoller Mißhandlung zu schützen? Höchstens er-
schien eine Proclamation vom Ministerium, oder eine Aufforderung
des damaligen hinter Germersheims Wällen bombenfest gemachten
Präsidenten. der die Beamten an ihren Eid und ihre Pflicht er-
mahnte. Aber die Zeit der schönen Worte oder nichtssagenden
Drohungen war vorüber; nicht mehr mit sympathetischen Zauber-
sprüchen war der Brand zu dämpfen, der an allen Enden hell
aufloderte; es war die Zeit zum Handeln, handelnd mußte
man dem wilden Strome entgegenarbeiten. Doch vergebens sah
der größte Theil der Pfalz -- er war noch gut -- auf seine Re-
gierung, der man immer treu ergeben und deren Schuldigkeit
es war, den Guten um jeden Preis zu helfen. Oder war es
etwa unsere Schuld, daß die pfälzer Truppen nach Schleswig-
Holstein gesendet wurden, ohne daß die dadurch entstandenen
Lücken ausgefüllt, und zwei wichtige Grenzfestungen kaum mit der
nothdürftigsten Mannschaft besetzt, alle Theile der Pfalz somit
dem gewaltthätigsten Treiben der längstbekannten Umsturzmänner
ungestört Preis gegeben waren? -- Sechs lange Wochen gab die
Regierung kein Lebenszeichen von sich und die hilflosen Geistlichen
waren dem Schrecklichsten ausgesetzt. Wenn nun ein solcher
-- wer ist nicht Mensch? -- aus Menschenfurcht, oder auch um
sich seiner verwaisten Gemeinde zu erhalten, dem Drange der
Verhältnisse nachgab in der wiewohl falschen Ansicht, die Obrig-
keit anerkennen zu dürfen, die ungestört regierte -- und dies that
jenes Quintumvirat -- so möchte ein solcher schon zur Genüge
bestraft seyn in seinem Bewußtseyn und in der Meinung der Welt,
die, wenn die Gefahr vorüber, in ihren Urtheilen oft nur allzu
lieblos ist. Es ist darum eine Verkehrtheit, auf die unglücklichen
Opfer jener beklagenswerthen Zwangsherrschaft großartig fahn-
den zu wollen.

Wohl mag man hier einwenden, ob denn die Geistlichen etwa
ungestraft durchkommen wollten, während alle andere Stände
bereits zur Rechenschaft gezogen seyen? Nichts weniger als dies,
denn wer Strafe verdient hat, der soll und muß büßen. Wer
aber wurde seither bestraft? Wenn Andere bestraft wurden, so
geschah es deshalb, weil sie den Umsturz vorbereiten und durch-
führen halfen. Aber was hat der Geistliche verschuldet? Hat er
etwa gegen seine Regierung Aufruhr gepredigt und zum offenen
Abfalle aufgefordert? Hat er durch Schandblätter das Volk ver-
giftet und es seinem Könige entfremdet? Hat er die Revolution
durchsetzen helfen oder gar sich an die Spitze gestellt? Nichts von
allem Diesem, sondern ihr Verbrechen besteht einzig nur darin,
daß sie, als Träger des Christenthumes, von Buben und bübisch
Gesinnten zum Gegenstande der schändlichsten Gewaltthaten aus-
ersehen wurden und daß unter ihnen, die, wie bekannt, an
Pflichttreue und Muth auch dem Treuesten nicht nachstanden,
einige Wenige sich befanden, die im Augenblicke der höchsten Noth
[Spaltenumbruch] als unglückliche Opfer des unerhörtesten Gewissenszwanges ge-
fallen sind. Längst schon mag ihr Gewissen sie gerichtet haben --
wozu noch diese traurige Jnquisition, wenn nicht in der Ab-
sicht, die Kirche und ihre Diener zu drücken, mag
dazu helfen was da wolle?
-- Und wenn man von
Seiten hochgestellter Personen in der Pfalz gar noch behaupten
kann, die Geistlichen wären der Bewegung zu schroff entgegenge-
treten, so möchte ich jetzt fragen, wie denn die Geistlichen sich
hätten verhalten sollen, da man die "geschworenen" inquisitorisch
verfolgt, während man den Treugebliebenen den Vorwurf macht,
es habe ihr schroffes Auftreten die Revolution befördert? Statt
also nachträglich gegen die scheinbar schuldigen -- sie sind nur
vor Gott schuldig, niemals vor der Regierung, die sie nicht schützte
-- Geistlichen auf obige Weise einzuschreiten, wäre der Regierung
vielmehr anzurathen, da einzuschreiten, wo der Krebsschaden in
der Tiefe wurzelt und von wo aus in der Folge eine ganze andere
Umwälzung bevorsteht, gegen welche die gedämpfte nur ein Kin-
derspiel war. Jene Leute und Stände näher zu bezeichnen, ver-
bietet mir die Delicatesse, da es scheinen könnte, als wolle man
eigene Noth auf fremde Schultern wälzen. Nur unbefangen im
Lande umhergeschaut; die Geister sind offenbar geworden, sie zu
entdecken ist nicht schwierig!

Leipzig 3. October. ( A. Z. ) Sachsen rüstet sich zu den Wah-
len für seinen Landtag. Sachsen wählt noch einmal nach demsel-
ben allgemeinen Wahlgesetze, aus dessen Urnen zwei Kammern
hervorgegangen, die man ziemlich allgemein als Pöbelkammern
bezeichnet hat. Die Errungenschaft des allgemeinen Wahlrechtes
ist ungeschmälert geblieben; es stellt sich somit in Frage, ob die
Demokratie, der zu Liebe dies Wahlgesetz verliehen wurde, be-
sonnen genug seyn werde, um der Welt zu beweisen, sie sey im
Stande, dem Volke diese Errungenschaft zu erhalten. Die Frage,
ob das Volk reif dazu sey? möchten wir nicht stellen; wohl aber
die Frage, ob die Demokratie, welche als Partei für das Volk
eintreten will, Halt, Bewußtseyn und Kraft der Entsagung besitze,
dem sächsischen Staate diese ausgedehnteste Form freier Vertre-
tung zu erhalten? Allerdings steht die sogenannte Demokratie jetzt
in dem eigenthümlichen Falle, conservativ seyn zu müssen;
deutsche Grundrechte und allgemeines Wahlrecht sind zu con-
serviren und wir konnten uns des Lächelns nicht erwehren, als
neulich in einer Sitzung des hiesigen Volksvereines, der den ver-
botenen Vaterlandsverein ersetzen möchte, die durch den Drang
der Noth wo nicht klug, doch schamhaft gewordene Demokratie
sich in der That zum verschrienen Conservatismus öffentlich
bekannte. Daß es darauf ankomme, was man conserviren wolle,
daran dachte vor Kurzem, als jener Begriff zu den Schimpfwör-
tern gehörte, noch Niemand. Soviel Selbstironie liegt im Wandel der
Dinge, auch in dem Gedankendinge, das sich Demokratie nennt!
Ob die Partei dieses Namens jetzt im Stande seyn werde zum
Besten des Volkes und in Hoffnung auf dessen zukünftige Reife
die deutschen Grundrechte und das allgemeine Wahlgesetz zu con-
serviren: dies ist das Jnteresse, das sich an die diesmaligen säch-
sischen Wahlen knüpft. Jn dem Eifer der kleinen Presse, die Ge-
mäßigten bürgerlich, moralisch und politisch zu verdächtigen, regt
sich bereits von Neuem jener furor teutonicus, jene blinde Wuth
des sich selbst schlagenden Fanatismus, der hier zu Lande sich da-
hin verstieg der Dynastie den Krieg zu erklären. Als ob es noch
eine sächsische Existenz gäbe, wenn die Dynastie aufgehört hätte
zu existiren! Als ob Sachsen mit dem Dresdener Aufstande nicht
hinreichend bewiesen, wie reif es seyn würde zu einer preußischen
Provinz! Der Dresdener Aufstand kann durchaus für die letzte
Ausgeburt und das Endziel Dessen angesehen werden, was die
Demokratie in Sachsen seit Jahren gewollt. Nur den Bethörten,
nicht den Führern diente dabei die deutsche Fahne als Panier. Jst
es nicht wunderbar, daß die sächsische Demokratie mit ihrem
historisch begründeten, physisch unausrottbare Preußenhasse dem
gefährlichen Nachbar recht eigentlich in die Hände arbeitet, statt
sich und das Land sammt der Dynastie vor ihm zu wahren? Diese
Blindheit Derer, die sich Volksbeglücker nennen, würde tragisch
seyn, wenn sie nicht lächerlich wäre.

Fulda 8. October. Heute wurde das Schwurgericht zum
zweiten Male seit Einführung der neuen Gerichtsverfassung hier
eröffnet. Den Vorsitz führte Herr Oberapellationsgerichtsrath
Schotten aus Cassel. Unter den Mitgliedern des Gerichtshofes
bemerkten wir auch wieder den früheren Parlamentsdeputirten
Werthmüller und den Landtagsabgeordneten Obergerichts-
rath von Schenck zu Schweinsberg. Die Sache, welche zur
Verhandlung kam, betraf gemeinen Diebstahl, ausgeübt von
einem Jndividuum, das schon häufig wegen ähnlicher Vergehen
in den Gefängnissen und Strafarbeitsanstalten unseres Landes
verweilt hatte. Vertheidiger des Angeklagten war Obergerichts-
anwalt Freys, dem wir als Plaideur die erste Stelle unter den
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] ßens wird auch dann nicht eintreten, wenn Hannover und
Sachsen aus dem Bündnisse auszuscheiden sich veranlaßt sehen
sollten.“ Wenn der Mann extra dafür bezahlt würde die preu-
ßische Regierung lächerlich zu machen — er könnte es nicht besser
treiben als durch die gespreitzte Mittheilung solcher leerer Nich-
tigkeiten!

== Von der Haardt 7. October. Jn einer der jüngsten Ver-
ordnungen der königl. Regierung werden die Decane in der Pfalz
aufgefordert, über diejenigen Geistlichen zu berichten, die während
der pfälzischen Revolution der sogenannten provisorischen Regie-
rung den Eid geleistet haben. Weit entfernt, daß Streben einer
Regierung zu verkennen, die zum Wohle des Volkes bemüht ist,
den unterwühlten Boden vom Unkraute zu säubern und die zwei-
deutigen und minder gravirten Elemente durch moralische und
physische Mittel zu bessern, können wir doch bei dieser Verfügung
einige Bemerkungen nicht unterdrücken.

Ohne diejenigen Geistlichen von Schuld freisprechen zu wollen,
die in jenen trüben Tagen schwach genug waren, der neuen Re-
gierung den Eid zu leisten, dürfte es doch noch in Frage stehen,
ob eine Regierung, die damals die Guten entweder nicht schützen
konnte oder nicht schützen wollte, berechtigt sey, gegen die
unglücklichen Opfer jenes unerhörten Terrorismus nachträglich
einzuschreiten; ob nicht vielmehr diese Verordnung aus jener alten,
wohlbekannten Gesinnung hervorgegangen sey, die sich um jeden
Preis an der Kirche und ihren Dienern reiben will? — Wer in
jenen unseligen Tagen das diabolische Treiben der Freiheitsmän-
ner mit angesehen hat, der erhielt gewiß einen richtigen Begriff
von der Stellung Derer, die es mit der gesetzlichen Ordnung
hielten und halten wollten. Von Allen aber stand Niemand
verlassener und hilfsloser mitten im Feuer der unsinnig-
sten aller Revolutionen als die Geistlichen. Von Allen war
Niemand so sehr der Rohheit und frechen Brutalität der, Volks-
beglücker “ ausgesetzt, als eben die Geistlichen. Was hat nun
in jener Zeit die Regierung gethan, um die Guten vor Gewalt-
that und schmachvoller Mißhandlung zu schützen? Höchstens er-
schien eine Proclamation vom Ministerium, oder eine Aufforderung
des damaligen hinter Germersheims Wällen bombenfest gemachten
Präsidenten. der die Beamten an ihren Eid und ihre Pflicht er-
mahnte. Aber die Zeit der schönen Worte oder nichtssagenden
Drohungen war vorüber; nicht mehr mit sympathetischen Zauber-
sprüchen war der Brand zu dämpfen, der an allen Enden hell
aufloderte; es war die Zeit zum Handeln, handelnd mußte
man dem wilden Strome entgegenarbeiten. Doch vergebens sah
der größte Theil der Pfalz — er war noch gut — auf seine Re-
gierung, der man immer treu ergeben und deren Schuldigkeit
es war, den Guten um jeden Preis zu helfen. Oder war es
etwa unsere Schuld, daß die pfälzer Truppen nach Schleswig-
Holstein gesendet wurden, ohne daß die dadurch entstandenen
Lücken ausgefüllt, und zwei wichtige Grenzfestungen kaum mit der
nothdürftigsten Mannschaft besetzt, alle Theile der Pfalz somit
dem gewaltthätigsten Treiben der längstbekannten Umsturzmänner
ungestört Preis gegeben waren? — Sechs lange Wochen gab die
Regierung kein Lebenszeichen von sich und die hilflosen Geistlichen
waren dem Schrecklichsten ausgesetzt. Wenn nun ein solcher
— wer ist nicht Mensch? — aus Menschenfurcht, oder auch um
sich seiner verwaisten Gemeinde zu erhalten, dem Drange der
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keit anerkennen zu dürfen, die ungestört regierte — und dies that
jenes Quintumvirat — so möchte ein solcher schon zur Genüge
bestraft seyn in seinem Bewußtseyn und in der Meinung der Welt,
die, wenn die Gefahr vorüber, in ihren Urtheilen oft nur allzu
lieblos ist. Es ist darum eine Verkehrtheit, auf die unglücklichen
Opfer jener beklagenswerthen Zwangsherrschaft großartig fahn-
den zu wollen.

Wohl mag man hier einwenden, ob denn die Geistlichen etwa
ungestraft durchkommen wollten, während alle andere Stände
bereits zur Rechenschaft gezogen seyen? Nichts weniger als dies,
denn wer Strafe verdient hat, der soll und muß büßen. Wer
aber wurde seither bestraft? Wenn Andere bestraft wurden, so
geschah es deshalb, weil sie den Umsturz vorbereiten und durch-
führen halfen. Aber was hat der Geistliche verschuldet? Hat er
etwa gegen seine Regierung Aufruhr gepredigt und zum offenen
Abfalle aufgefordert? Hat er durch Schandblätter das Volk ver-
giftet und es seinem Könige entfremdet? Hat er die Revolution
durchsetzen helfen oder gar sich an die Spitze gestellt? Nichts von
allem Diesem, sondern ihr Verbrechen besteht einzig nur darin,
daß sie, als Träger des Christenthumes, von Buben und bübisch
Gesinnten zum Gegenstande der schändlichsten Gewaltthaten aus-
ersehen wurden und daß unter ihnen, die, wie bekannt, an
Pflichttreue und Muth auch dem Treuesten nicht nachstanden,
einige Wenige sich befanden, die im Augenblicke der höchsten Noth
[Spaltenumbruch] als unglückliche Opfer des unerhörtesten Gewissenszwanges ge-
fallen sind. Längst schon mag ihr Gewissen sie gerichtet haben —
wozu noch diese traurige Jnquisition, wenn nicht in der Ab-
sicht, die Kirche und ihre Diener zu drücken, mag
dazu helfen was da wolle?
— Und wenn man von
Seiten hochgestellter Personen in der Pfalz gar noch behaupten
kann, die Geistlichen wären der Bewegung zu schroff entgegenge-
treten, so möchte ich jetzt fragen, wie denn die Geistlichen sich
hätten verhalten sollen, da man die „geschworenen“ inquisitorisch
verfolgt, während man den Treugebliebenen den Vorwurf macht,
es habe ihr schroffes Auftreten die Revolution befördert? Statt
also nachträglich gegen die scheinbar schuldigen — sie sind nur
vor Gott schuldig, niemals vor der Regierung, die sie nicht schützte
— Geistlichen auf obige Weise einzuschreiten, wäre der Regierung
vielmehr anzurathen, da einzuschreiten, wo der Krebsschaden in
der Tiefe wurzelt und von wo aus in der Folge eine ganze andere
Umwälzung bevorsteht, gegen welche die gedämpfte nur ein Kin-
derspiel war. Jene Leute und Stände näher zu bezeichnen, ver-
bietet mir die Delicatesse, da es scheinen könnte, als wolle man
eigene Noth auf fremde Schultern wälzen. Nur unbefangen im
Lande umhergeschaut; die Geister sind offenbar geworden, sie zu
entdecken ist nicht schwierig!

Leipzig 3. October. ( A. Z. ) Sachsen rüstet sich zu den Wah-
len für seinen Landtag. Sachsen wählt noch einmal nach demsel-
ben allgemeinen Wahlgesetze, aus dessen Urnen zwei Kammern
hervorgegangen, die man ziemlich allgemein als Pöbelkammern
bezeichnet hat. Die Errungenschaft des allgemeinen Wahlrechtes
ist ungeschmälert geblieben; es stellt sich somit in Frage, ob die
Demokratie, der zu Liebe dies Wahlgesetz verliehen wurde, be-
sonnen genug seyn werde, um der Welt zu beweisen, sie sey im
Stande, dem Volke diese Errungenschaft zu erhalten. Die Frage,
ob das Volk reif dazu sey? möchten wir nicht stellen; wohl aber
die Frage, ob die Demokratie, welche als Partei für das Volk
eintreten will, Halt, Bewußtseyn und Kraft der Entsagung besitze,
dem sächsischen Staate diese ausgedehnteste Form freier Vertre-
tung zu erhalten? Allerdings steht die sogenannte Demokratie jetzt
in dem eigenthümlichen Falle, conservativ seyn zu müssen;
deutsche Grundrechte und allgemeines Wahlrecht sind zu con-
serviren und wir konnten uns des Lächelns nicht erwehren, als
neulich in einer Sitzung des hiesigen Volksvereines, der den ver-
botenen Vaterlandsverein ersetzen möchte, die durch den Drang
der Noth wo nicht klug, doch schamhaft gewordene Demokratie
sich in der That zum verschrienen Conservatismus öffentlich
bekannte. Daß es darauf ankomme, was man conserviren wolle,
daran dachte vor Kurzem, als jener Begriff zu den Schimpfwör-
tern gehörte, noch Niemand. Soviel Selbstironie liegt im Wandel der
Dinge, auch in dem Gedankendinge, das sich Demokratie nennt!
Ob die Partei dieses Namens jetzt im Stande seyn werde zum
Besten des Volkes und in Hoffnung auf dessen zukünftige Reife
die deutschen Grundrechte und das allgemeine Wahlgesetz zu con-
serviren: dies ist das Jnteresse, das sich an die diesmaligen säch-
sischen Wahlen knüpft. Jn dem Eifer der kleinen Presse, die Ge-
mäßigten bürgerlich, moralisch und politisch zu verdächtigen, regt
sich bereits von Neuem jener furor teutonicus, jene blinde Wuth
des sich selbst schlagenden Fanatismus, der hier zu Lande sich da-
hin verstieg der Dynastie den Krieg zu erklären. Als ob es noch
eine sächsische Existenz gäbe, wenn die Dynastie aufgehört hätte
zu existiren! Als ob Sachsen mit dem Dresdener Aufstande nicht
hinreichend bewiesen, wie reif es seyn würde zu einer preußischen
Provinz! Der Dresdener Aufstand kann durchaus für die letzte
Ausgeburt und das Endziel Dessen angesehen werden, was die
Demokratie in Sachsen seit Jahren gewollt. Nur den Bethörten,
nicht den Führern diente dabei die deutsche Fahne als Panier. Jst
es nicht wunderbar, daß die sächsische Demokratie mit ihrem
historisch begründeten, physisch unausrottbare Preußenhasse dem
gefährlichen Nachbar recht eigentlich in die Hände arbeitet, statt
sich und das Land sammt der Dynastie vor ihm zu wahren? Diese
Blindheit Derer, die sich Volksbeglücker nennen, würde tragisch
seyn, wenn sie nicht lächerlich wäre.

Fulda 8. October. Heute wurde das Schwurgericht zum
zweiten Male seit Einführung der neuen Gerichtsverfassung hier
eröffnet. Den Vorsitz führte Herr Oberapellationsgerichtsrath
Schotten aus Cassel. Unter den Mitgliedern des Gerichtshofes
bemerkten wir auch wieder den früheren Parlamentsdeputirten
Werthmüller und den Landtagsabgeordneten Obergerichts-
rath von Schenck zu Schweinsberg. Die Sache, welche zur
Verhandlung kam, betraf gemeinen Diebstahl, ausgeübt von
einem Jndividuum, das schon häufig wegen ähnlicher Vergehen
in den Gefängnissen und Strafarbeitsanstalten unseres Landes
verweilt hatte. Vertheidiger des Angeklagten war Obergerichts-
anwalt Freys, dem wir als Plaideur die erste Stelle unter den
[Ende Spaltensatz]

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[0002] ßens wird auch dann nicht eintreten, wenn Hannover und Sachsen aus dem Bündnisse auszuscheiden sich veranlaßt sehen sollten.“ Wenn der Mann extra dafür bezahlt würde die preu- ßische Regierung lächerlich zu machen — er könnte es nicht besser treiben als durch die gespreitzte Mittheilung solcher leerer Nich- tigkeiten! == Von der Haardt 7. October. Jn einer der jüngsten Ver- ordnungen der königl. Regierung werden die Decane in der Pfalz aufgefordert, über diejenigen Geistlichen zu berichten, die während der pfälzischen Revolution der sogenannten provisorischen Regie- rung den Eid geleistet haben. Weit entfernt, daß Streben einer Regierung zu verkennen, die zum Wohle des Volkes bemüht ist, den unterwühlten Boden vom Unkraute zu säubern und die zwei- deutigen und minder gravirten Elemente durch moralische und physische Mittel zu bessern, können wir doch bei dieser Verfügung einige Bemerkungen nicht unterdrücken. Ohne diejenigen Geistlichen von Schuld freisprechen zu wollen, die in jenen trüben Tagen schwach genug waren, der neuen Re- gierung den Eid zu leisten, dürfte es doch noch in Frage stehen, ob eine Regierung, die damals die Guten entweder nicht schützen konnte oder nicht schützen wollte, berechtigt sey, gegen die unglücklichen Opfer jenes unerhörten Terrorismus nachträglich einzuschreiten; ob nicht vielmehr diese Verordnung aus jener alten, wohlbekannten Gesinnung hervorgegangen sey, die sich um jeden Preis an der Kirche und ihren Dienern reiben will? — Wer in jenen unseligen Tagen das diabolische Treiben der Freiheitsmän- ner mit angesehen hat, der erhielt gewiß einen richtigen Begriff von der Stellung Derer, die es mit der gesetzlichen Ordnung hielten und halten wollten. Von Allen aber stand Niemand verlassener und hilfsloser mitten im Feuer der unsinnig- sten aller Revolutionen als die Geistlichen. Von Allen war Niemand so sehr der Rohheit und frechen Brutalität der, Volks- beglücker “ ausgesetzt, als eben die Geistlichen. Was hat nun in jener Zeit die Regierung gethan, um die Guten vor Gewalt- that und schmachvoller Mißhandlung zu schützen? Höchstens er- schien eine Proclamation vom Ministerium, oder eine Aufforderung des damaligen hinter Germersheims Wällen bombenfest gemachten Präsidenten. der die Beamten an ihren Eid und ihre Pflicht er- mahnte. Aber die Zeit der schönen Worte oder nichtssagenden Drohungen war vorüber; nicht mehr mit sympathetischen Zauber- sprüchen war der Brand zu dämpfen, der an allen Enden hell aufloderte; es war die Zeit zum Handeln, handelnd mußte man dem wilden Strome entgegenarbeiten. Doch vergebens sah der größte Theil der Pfalz — er war noch gut — auf seine Re- gierung, der man immer treu ergeben und deren Schuldigkeit es war, den Guten um jeden Preis zu helfen. Oder war es etwa unsere Schuld, daß die pfälzer Truppen nach Schleswig- Holstein gesendet wurden, ohne daß die dadurch entstandenen Lücken ausgefüllt, und zwei wichtige Grenzfestungen kaum mit der nothdürftigsten Mannschaft besetzt, alle Theile der Pfalz somit dem gewaltthätigsten Treiben der längstbekannten Umsturzmänner ungestört Preis gegeben waren? — Sechs lange Wochen gab die Regierung kein Lebenszeichen von sich und die hilflosen Geistlichen waren dem Schrecklichsten ausgesetzt. Wenn nun ein solcher — wer ist nicht Mensch? — aus Menschenfurcht, oder auch um sich seiner verwaisten Gemeinde zu erhalten, dem Drange der Verhältnisse nachgab in der wiewohl falschen Ansicht, die Obrig- keit anerkennen zu dürfen, die ungestört regierte — und dies that jenes Quintumvirat — so möchte ein solcher schon zur Genüge bestraft seyn in seinem Bewußtseyn und in der Meinung der Welt, die, wenn die Gefahr vorüber, in ihren Urtheilen oft nur allzu lieblos ist. Es ist darum eine Verkehrtheit, auf die unglücklichen Opfer jener beklagenswerthen Zwangsherrschaft großartig fahn- den zu wollen. Wohl mag man hier einwenden, ob denn die Geistlichen etwa ungestraft durchkommen wollten, während alle andere Stände bereits zur Rechenschaft gezogen seyen? Nichts weniger als dies, denn wer Strafe verdient hat, der soll und muß büßen. Wer aber wurde seither bestraft? Wenn Andere bestraft wurden, so geschah es deshalb, weil sie den Umsturz vorbereiten und durch- führen halfen. Aber was hat der Geistliche verschuldet? Hat er etwa gegen seine Regierung Aufruhr gepredigt und zum offenen Abfalle aufgefordert? Hat er durch Schandblätter das Volk ver- giftet und es seinem Könige entfremdet? Hat er die Revolution durchsetzen helfen oder gar sich an die Spitze gestellt? Nichts von allem Diesem, sondern ihr Verbrechen besteht einzig nur darin, daß sie, als Träger des Christenthumes, von Buben und bübisch Gesinnten zum Gegenstande der schändlichsten Gewaltthaten aus- ersehen wurden und daß unter ihnen, die, wie bekannt, an Pflichttreue und Muth auch dem Treuesten nicht nachstanden, einige Wenige sich befanden, die im Augenblicke der höchsten Noth als unglückliche Opfer des unerhörtesten Gewissenszwanges ge- fallen sind. Längst schon mag ihr Gewissen sie gerichtet haben — wozu noch diese traurige Jnquisition, wenn nicht in der Ab- sicht, die Kirche und ihre Diener zu drücken, mag dazu helfen was da wolle? — Und wenn man von Seiten hochgestellter Personen in der Pfalz gar noch behaupten kann, die Geistlichen wären der Bewegung zu schroff entgegenge- treten, so möchte ich jetzt fragen, wie denn die Geistlichen sich hätten verhalten sollen, da man die „geschworenen“ inquisitorisch verfolgt, während man den Treugebliebenen den Vorwurf macht, es habe ihr schroffes Auftreten die Revolution befördert? Statt also nachträglich gegen die scheinbar schuldigen — sie sind nur vor Gott schuldig, niemals vor der Regierung, die sie nicht schützte — Geistlichen auf obige Weise einzuschreiten, wäre der Regierung vielmehr anzurathen, da einzuschreiten, wo der Krebsschaden in der Tiefe wurzelt und von wo aus in der Folge eine ganze andere Umwälzung bevorsteht, gegen welche die gedämpfte nur ein Kin- derspiel war. Jene Leute und Stände näher zu bezeichnen, ver- bietet mir die Delicatesse, da es scheinen könnte, als wolle man eigene Noth auf fremde Schultern wälzen. Nur unbefangen im Lande umhergeschaut; die Geister sind offenbar geworden, sie zu entdecken ist nicht schwierig! Leipzig 3. October. ( A. Z. ) Sachsen rüstet sich zu den Wah- len für seinen Landtag. Sachsen wählt noch einmal nach demsel- ben allgemeinen Wahlgesetze, aus dessen Urnen zwei Kammern hervorgegangen, die man ziemlich allgemein als Pöbelkammern bezeichnet hat. Die Errungenschaft des allgemeinen Wahlrechtes ist ungeschmälert geblieben; es stellt sich somit in Frage, ob die Demokratie, der zu Liebe dies Wahlgesetz verliehen wurde, be- sonnen genug seyn werde, um der Welt zu beweisen, sie sey im Stande, dem Volke diese Errungenschaft zu erhalten. Die Frage, ob das Volk reif dazu sey? möchten wir nicht stellen; wohl aber die Frage, ob die Demokratie, welche als Partei für das Volk eintreten will, Halt, Bewußtseyn und Kraft der Entsagung besitze, dem sächsischen Staate diese ausgedehnteste Form freier Vertre- tung zu erhalten? Allerdings steht die sogenannte Demokratie jetzt in dem eigenthümlichen Falle, conservativ seyn zu müssen; deutsche Grundrechte und allgemeines Wahlrecht sind zu con- serviren und wir konnten uns des Lächelns nicht erwehren, als neulich in einer Sitzung des hiesigen Volksvereines, der den ver- botenen Vaterlandsverein ersetzen möchte, die durch den Drang der Noth wo nicht klug, doch schamhaft gewordene Demokratie sich in der That zum verschrienen Conservatismus öffentlich bekannte. Daß es darauf ankomme, was man conserviren wolle, daran dachte vor Kurzem, als jener Begriff zu den Schimpfwör- tern gehörte, noch Niemand. Soviel Selbstironie liegt im Wandel der Dinge, auch in dem Gedankendinge, das sich Demokratie nennt! Ob die Partei dieses Namens jetzt im Stande seyn werde zum Besten des Volkes und in Hoffnung auf dessen zukünftige Reife die deutschen Grundrechte und das allgemeine Wahlgesetz zu con- serviren: dies ist das Jnteresse, das sich an die diesmaligen säch- sischen Wahlen knüpft. Jn dem Eifer der kleinen Presse, die Ge- mäßigten bürgerlich, moralisch und politisch zu verdächtigen, regt sich bereits von Neuem jener furor teutonicus, jene blinde Wuth des sich selbst schlagenden Fanatismus, der hier zu Lande sich da- hin verstieg der Dynastie den Krieg zu erklären. Als ob es noch eine sächsische Existenz gäbe, wenn die Dynastie aufgehört hätte zu existiren! Als ob Sachsen mit dem Dresdener Aufstande nicht hinreichend bewiesen, wie reif es seyn würde zu einer preußischen Provinz! Der Dresdener Aufstand kann durchaus für die letzte Ausgeburt und das Endziel Dessen angesehen werden, was die Demokratie in Sachsen seit Jahren gewollt. Nur den Bethörten, nicht den Führern diente dabei die deutsche Fahne als Panier. Jst es nicht wunderbar, daß die sächsische Demokratie mit ihrem historisch begründeten, physisch unausrottbare Preußenhasse dem gefährlichen Nachbar recht eigentlich in die Hände arbeitet, statt sich und das Land sammt der Dynastie vor ihm zu wahren? Diese Blindheit Derer, die sich Volksbeglücker nennen, würde tragisch seyn, wenn sie nicht lächerlich wäre. Fulda 8. October. Heute wurde das Schwurgericht zum zweiten Male seit Einführung der neuen Gerichtsverfassung hier eröffnet. Den Vorsitz führte Herr Oberapellationsgerichtsrath Schotten aus Cassel. Unter den Mitgliedern des Gerichtshofes bemerkten wir auch wieder den früheren Parlamentsdeputirten Werthmüller und den Landtagsabgeordneten Obergerichts- rath von Schenck zu Schweinsberg. Die Sache, welche zur Verhandlung kam, betraf gemeinen Diebstahl, ausgeübt von einem Jndividuum, das schon häufig wegen ähnlicher Vergehen in den Gefängnissen und Strafarbeitsanstalten unseres Landes verweilt hatte. Vertheidiger des Angeklagten war Obergerichts- anwalt Freys, dem wir als Plaideur die erste Stelle unter den

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 240. Mainz, 9. Oktober 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal240_1849/2>, abgerufen am 21.11.2024.