Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mainzer Journal. Nr. 240. Mainz, 9. Oktober 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] hiesigen Anwälten einräumen möchten. Die Assisen werden wohl
bis in den November hinein dauern. -- Jn der Nacht vom 6. auf
den 8. October wurde hier eine That verübt, welche ein neuer Beleg
dafür ist, wie schlecht es mit der vielgepriesenen Humanität un-
serer Zeit bestellt sey. Es wurden nämlich die steinernen Ruhe-
bänke auf der Promenade, dem besuchtesten Spaziergange inner-
halb der Stadt, abgehoben, größtentheils zerschlagen und die
anstoßende [unleserliches Material - 7 Zeichen fehlen]Terasse hinabgeworfen. Die jugendlichen Thäter,
welche den gebildeten Ständen angehören, sind bereits ermittelt.

Aus zuverlässiger Quelle kann ich Jhnen mittheilen, daß
Minister Eberhard bei seiner Anwesenheit in Hanau von dem
Kurfürsten, mit dem er wichtige Staatsgeschäfte erledigen wollte,
gar nicht vorgelassen worden ist und höchst indignirt über
diese Behandlung nach Kassel zurückkehrte. Man kann hieraus
ersehen, wie freundschaftlich das Verhältniß zwischen dem Kur-
fürsten und seinen Räthen sey, es soll wieder eine Minister-
krisis,
diese bei uns einheimisch gewordene Krankheit des
politischen Lebens, in der Luft liegen. Auch unser Stadtrath
befindet sich dermalen in einer Krisis. Die Oberfinanzkammer in
Kassel hat nämlich eine Eingabe unserer Gemeindebehörde wegen
Ueberlassung von Domainen zurückgesendet, als Ursache dieser
Zurückgabe ungeziemende Aeußerungen in der Petition bezeich-
nend. Dieses hat zunächst unseren Stadtrath veranlaßt in corpore
abzudanken. Jm Publicum ist man der Ansicht, daß der Stadt-
rath nicht abdanken, sondern der Finanzkammer mit einer noch
weit energischeren Adresse, als die erste war, hätte antworten
sollen; denn in Kassel will man nun einmal die Wahrheit, wenn
sie gesagt wird, nicht hören. -- Auf dem benachbarten bayrischen
Gebiete häufen sich die Truppenansammlungen; nach Brückenau
kommen 400 Mann zu liegen, nach Hammelburg 500. Diese
außergewöhnliche Maßregel erregt großes Aufsehen.

# Aus Oberhessen 8. October. Der bekannte Handlanger
Vogt's in Gießen, A. Becker zur Zeit noch Redacteur des eben-
falls in gewisser Beziehung bekannten "Wehr' Dich," wurde am
verflossenen Freitag Abend, nachdem ihn die Gensdarmen drei
Tage lang vergebens zu Hause gesucht hatten, in Haft gebracht.
So viel ich in Erfahrung bringen konnte, ward über ihn, diese
traurige Reliquie oberhessischer demokratischer Celebritäten, die
Detentionshaft verhängt, weil er wegen verschiedener politischer
Vergehen, die er sich im Laufe des Frühlings und Sommers zu
Schulden kommen ließ, vor die nächsten Assisen gestellt werden
soll. Uebrigens mag seine Verhaftung auch deshalb beschleunigt
worden seyn, weil er in den letzten Tagen wieder einen gewaltigen
Anlauf gegen die Monarchie gemacht und dabei sich die gröbsten
Schmähungen gegen die Fürsten und Regierungen erlaubt hat.
Warum der Bürger Becker gerade jetzt in dieser der Demo-
kratie so ungünstigen Zeit so barbarisch mit der Monarchie
umgeht, wird auf mancherlei Weise gedeutet. Einige meinen,
Becker habe seine Verhaftung selbst provocirt, weil sein Blatt
höchst wahrscheinlich aus Mangel an Abonnenten bald eingehen
wird; um nun mit Ehren davon loszukommen, habe er den
Scandal gemacht, denn jetzt könne man sagen, das Blatt sey ge-
nöthigt worden einzugehen, weil sein Redacteur durch die Tyran-
nei der Regierung der Freiheit beraubt worden sey. Dann aber
soll auch, meint man weiter, seine Jnhaftirung die Gießener Bür-
ger noch mehr wider die Regierung erbittern und ihn als Mar-
tyrer für die Demokratie in neuer Glorie erscheinen lassen. --
Eben erst kommt mir das demokratische Wahlmanifest vollständig
zu Gesichte, es stimmt meist mit dem rheinhessischen überein. Un-
ter Anderem will man die Civilliste auf 100,000 fl. herabsetzen,
etwa so viel als der Großherzog jetzt Almosen gibt; die Domä-
nenfrage und die Besitzrechte der Adligen auf die standesherrlichen
Güter sollen "genau geprüft" werden. -- Der Stadtvorstand in
Gießen will, wie ein Maueranschlag daselbst versichert, gegen die
Verfasser der in der "Darmstädter Zeitung" jüngsthin erschiene-
nen Artikel, in welchen die Gießener Bürger so schmählich be-
handelt worden seyen, eine gerichtliche Klage erheben. Ob aber
dabei die Stadt Gießen, wo unsere Musen residiren, weiß ge-
waschen werde, stelle ich sehr in Frage. Je gravirter, desto un-
verschämter, -- ist schon eine alte Delinquentenpraxis.

Oppenheim 7. October. Einem Jeden, der mit selbstauf-
opfernder Liebe für eine bessere Zeit lebt und schafft, muß das
Herz bluten, wenn er auf das hinblickt, was für die bevor-
stehenden Wahlen
zur ersten und zweiten Kammer gegen-
wärtig in unserem Wahlbezirke geschieht und nicht geschieht. Wäh-
rend die Demokraten in allen ihren Special= und Generalver-
sammlungen einstimmig zu ihrem Candidaten für die zweite Kam-
mer den Lehrer Paulsackel bezeichnen, sich zur Einigkeit im
Wählen ermuntern und noch Andere durch ein gewissermaßen
fabrikmäßig eingerichtetes Wirken für ihren Candidaten zu ge-
winnen suchen, ist bei den Conservativen immer noch die alte,
schon so oft beklagte Schlafsucht und Theilnahmlosig-
[Spaltenumbruch] keit
und wo diese nicht sind, da fehlt es an Einigkeit und entschie-
denem Zusammenwirken. Zu was soll es führen, wenn ein jeder
Ort einen eigenen Candidaten anfstellen will, wie z. B. Boden-
heim
Herrn Senfter, Nackenheim Herrn Egly, Lörz-
weiler
zum Theil und Mommernheim größtentheils Herrn
Lambert vom Wahlheimerhof, Nierstein Herrn Wernher
von Nierstein und Oppenheim Herrn Wallot, -- heißt das
nicht der Demokratie in die Hände arbeiten und sich lächerlich
machen? Noch ist es Zeit; darum benützet das Versammlungs-
recht und suchet unter allen Candidaten den gesinnungstüchtigsten
heraus und Dem gebet dann einstimmig euere Stimmen. Thu't
ihrs nicht, so möget ihr euch auch alle daraus entspringenden
Nachtheile selbst zuschreiben und dann schweigen. -- Was die
Artikel in der Darmstädter und der Oberpostamtszeitung betrifft,
die unserem Landtage ein so günstiges Prognostikon stellen, so
wünschten wir den Verfassern eine bessere Einsicht in die Verhält-
nisse. Bis jetzt haben sie nur bewiesen, daß sie weder Die kennen,
welche treiben, noch Jene, welche getrieben werden, und die Ent-
täuschung dürfte nach dem voreiligen Jubel am Ende gar unan-
genehm seyn.

[ * ] Vom Maine 7. October. Jn Nr. 237. dieser Blätter
haben Sie bereits den Unsinn gebührend zurückgewiesen, welchen
ein Mensch, der über öffentliche Dinge zu schreiben versucht, der
Welt über die Verbindung der Demokraten und Ultramontanen
( soll wohl heißen Katholiken ) in der "Darmstädter Zeitung"
vom 4. October zum Besten gegeben hat. Jch kann Sie indessen
versichern, daß der Artikel der Darmstädter Zeitung hier, wo er
doch zu wirken bestimmt war, nur Heiterkeit und Mitleid mit dem
Verfasser, hervorgerufen hat. Wohl mögen Leute, die sich, weil sie
in den Schreibstuben rechnen und schreiben gelernt haben, für tiefe
Denker und Staatsmänner halten, die den Mangel an Kennt-
nissen durch Jnsolenz, den geringen Grad von Bildung durch
Arroganz zu verdecken suchen, die da an den Wirthstischen stets
mit ihren angeblichen Verbindungen mit hohen und höchsten Per-
sonen prahlen, wohl mögen solche Leute derartige tiefe Geheim-
nisse entdecken. Der wahre Staatsmann indessen, an welchem
die Geschichte der letzten Zeit nicht spurlos vorübergegangen,
kann nur die Achseln darüber zucken und wird höchstens darüber
zweifelhaft seyn, ob solche Enthüllungen ihren Ursprung der
Bosheit oder der Bornirtheit verdanken. Derartige Bemühungen
müssen stets nur das Gegentheil von Dem hervorbringen, was
sie bezwecken.

Jtalien.

Aus Turin sind inhaltsschwere Nachrichten einge-
laufen. Statt der 15 Millionen Francs, deren die Regierung zur
Bezahlung der ersten Kriegsrate an Oesterreich bedarf, bewilligte
die Kammer nur 9 und 1 / 2 Million und der Marchese d'Azeglio
fand sich darauf veranlaßt die Kammer aufzulösen und eine
Revision der Constitution
zu beantragen. Jn Turin
soll daraufhin am
2. ein Aufstand ausgebrochen
seyn.
Sämmtliche geheime Gesellschaften in Frankreich, nament-
lich die Pariser, haben von dieser Bewegung Kunde und die
nächste Revolution soll nicht in Paris, sondern in Piemont aus-
brechen und von da über die angränzenden französischen Departe-
ments sich verbreiten. Die nächste Post wird weitere Aufklärun-
gen bringen.

Frankreich.

* * * Paris 7. October. Unsere Lage wird mit jedem Tage
schwieriger: gelähmt und in Parteien zersplittert im Jnnern --
was kann da unsere auswärtige Politik noch für eine Bedeutung
haben? Die Deputirten der Majorität, welche eben aus den
Departements zurückkommen, sind deßhalb auch auf das Mini-
sterium, namentlich auf den Minister des Jnnern ganz wüthend,
daß er den Socialismus in den Departements so ungestört fort-
wuchern läßt; es soll dort Präfecten, Unterpräfecten, Staats-
procuratoren und Richter in Menge geben, welche in Bezug auf
Gesinnung mit dem gemeinsten rothen Proletarier der Hauptstadt
auf ganz gleicher Linie stehen. Dies ist die Klippe, an welcher
das gegenwärtige Ministerium, ein wahrer Ausbund von Mittel-
mäßigkeiten, scheitern wird, die Majorität ist nur noch nicht
einig über den Zeitpunkt, wo das Experiment gemacht werden soll.

Jn Bezug auf die römische Frage herrscht zwischen dem Prä-
sidenten und der Commission Zwiespalt. Der Präsident wünscht,
daß die Kammerdebatte darüber von seinem Schreiben ausgehe,
die Commission dagegen ( Mol e und Thiers ) ist der Ansicht das
fatale Actenstück bei der Berathung der Frage ganz zu ignoriren,
was jedenfalls das Vernünftigste wäre. Ueber die türkische An-
gelegenheit herrscht Stille. Das Cabinet erwartet erst bis zum
25. oder 30. dieses Monates Depeschen aus Petersburg und so
lange diese nicht eingetroffen sind, ist an entschiedene Beschlüsse
oder Maasnahmen nicht zu denken. Die Speculanten müssen sich
bis dahin auf dem Boden der Gerüchte bewegen.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] hiesigen Anwälten einräumen möchten. Die Assisen werden wohl
bis in den November hinein dauern. — Jn der Nacht vom 6. auf
den 8. October wurde hier eine That verübt, welche ein neuer Beleg
dafür ist, wie schlecht es mit der vielgepriesenen Humanität un-
serer Zeit bestellt sey. Es wurden nämlich die steinernen Ruhe-
bänke auf der Promenade, dem besuchtesten Spaziergange inner-
halb der Stadt, abgehoben, größtentheils zerschlagen und die
anstoßende [unleserliches Material – 7 Zeichen fehlen]Terasse hinabgeworfen. Die jugendlichen Thäter,
welche den gebildeten Ständen angehören, sind bereits ermittelt.

Aus zuverlässiger Quelle kann ich Jhnen mittheilen, daß
Minister Eberhard bei seiner Anwesenheit in Hanau von dem
Kurfürsten, mit dem er wichtige Staatsgeschäfte erledigen wollte,
gar nicht vorgelassen worden ist und höchst indignirt über
diese Behandlung nach Kassel zurückkehrte. Man kann hieraus
ersehen, wie freundschaftlich das Verhältniß zwischen dem Kur-
fürsten und seinen Räthen sey, es soll wieder eine Minister-
krisis,
diese bei uns einheimisch gewordene Krankheit des
politischen Lebens, in der Luft liegen. Auch unser Stadtrath
befindet sich dermalen in einer Krisis. Die Oberfinanzkammer in
Kassel hat nämlich eine Eingabe unserer Gemeindebehörde wegen
Ueberlassung von Domainen zurückgesendet, als Ursache dieser
Zurückgabe ungeziemende Aeußerungen in der Petition bezeich-
nend. Dieses hat zunächst unseren Stadtrath veranlaßt in corpore
abzudanken. Jm Publicum ist man der Ansicht, daß der Stadt-
rath nicht abdanken, sondern der Finanzkammer mit einer noch
weit energischeren Adresse, als die erste war, hätte antworten
sollen; denn in Kassel will man nun einmal die Wahrheit, wenn
sie gesagt wird, nicht hören. — Auf dem benachbarten bayrischen
Gebiete häufen sich die Truppenansammlungen; nach Brückenau
kommen 400 Mann zu liegen, nach Hammelburg 500. Diese
außergewöhnliche Maßregel erregt großes Aufsehen.

# Aus Oberhessen 8. October. Der bekannte Handlanger
Vogt's in Gießen, A. Becker zur Zeit noch Redacteur des eben-
falls in gewisser Beziehung bekannten „Wehr' Dich,“ wurde am
verflossenen Freitag Abend, nachdem ihn die Gensdarmen drei
Tage lang vergebens zu Hause gesucht hatten, in Haft gebracht.
So viel ich in Erfahrung bringen konnte, ward über ihn, diese
traurige Reliquie oberhessischer demokratischer Celebritäten, die
Detentionshaft verhängt, weil er wegen verschiedener politischer
Vergehen, die er sich im Laufe des Frühlings und Sommers zu
Schulden kommen ließ, vor die nächsten Assisen gestellt werden
soll. Uebrigens mag seine Verhaftung auch deshalb beschleunigt
worden seyn, weil er in den letzten Tagen wieder einen gewaltigen
Anlauf gegen die Monarchie gemacht und dabei sich die gröbsten
Schmähungen gegen die Fürsten und Regierungen erlaubt hat.
Warum der Bürger Becker gerade jetzt in dieser der Demo-
kratie so ungünstigen Zeit so barbarisch mit der Monarchie
umgeht, wird auf mancherlei Weise gedeutet. Einige meinen,
Becker habe seine Verhaftung selbst provocirt, weil sein Blatt
höchst wahrscheinlich aus Mangel an Abonnenten bald eingehen
wird; um nun mit Ehren davon loszukommen, habe er den
Scandal gemacht, denn jetzt könne man sagen, das Blatt sey ge-
nöthigt worden einzugehen, weil sein Redacteur durch die Tyran-
nei der Regierung der Freiheit beraubt worden sey. Dann aber
soll auch, meint man weiter, seine Jnhaftirung die Gießener Bür-
ger noch mehr wider die Regierung erbittern und ihn als Mar-
tyrer für die Demokratie in neuer Glorie erscheinen lassen. —
Eben erst kommt mir das demokratische Wahlmanifest vollständig
zu Gesichte, es stimmt meist mit dem rheinhessischen überein. Un-
ter Anderem will man die Civilliste auf 100,000 fl. herabsetzen,
etwa so viel als der Großherzog jetzt Almosen gibt; die Domä-
nenfrage und die Besitzrechte der Adligen auf die standesherrlichen
Güter sollen „genau geprüft“ werden. — Der Stadtvorstand in
Gießen will, wie ein Maueranschlag daselbst versichert, gegen die
Verfasser der in der „Darmstädter Zeitung“ jüngsthin erschiene-
nen Artikel, in welchen die Gießener Bürger so schmählich be-
handelt worden seyen, eine gerichtliche Klage erheben. Ob aber
dabei die Stadt Gießen, wo unsere Musen residiren, weiß ge-
waschen werde, stelle ich sehr in Frage. Je gravirter, desto un-
verschämter, — ist schon eine alte Delinquentenpraxis.

☩ Oppenheim 7. October. Einem Jeden, der mit selbstauf-
opfernder Liebe für eine bessere Zeit lebt und schafft, muß das
Herz bluten, wenn er auf das hinblickt, was für die bevor-
stehenden Wahlen
zur ersten und zweiten Kammer gegen-
wärtig in unserem Wahlbezirke geschieht und nicht geschieht. Wäh-
rend die Demokraten in allen ihren Special= und Generalver-
sammlungen einstimmig zu ihrem Candidaten für die zweite Kam-
mer den Lehrer Paulsackel bezeichnen, sich zur Einigkeit im
Wählen ermuntern und noch Andere durch ein gewissermaßen
fabrikmäßig eingerichtetes Wirken für ihren Candidaten zu ge-
winnen suchen, ist bei den Conservativen immer noch die alte,
schon so oft beklagte Schlafsucht und Theilnahmlosig-
[Spaltenumbruch] keit
und wo diese nicht sind, da fehlt es an Einigkeit und entschie-
denem Zusammenwirken. Zu was soll es führen, wenn ein jeder
Ort einen eigenen Candidaten anfstellen will, wie z. B. Boden-
heim
Herrn Senfter, Nackenheim Herrn Egly, Lörz-
weiler
zum Theil und Mommernheim größtentheils Herrn
Lambert vom Wahlheimerhof, Nierstein Herrn Wernher
von Nierstein und Oppenheim Herrn Wallot, — heißt das
nicht der Demokratie in die Hände arbeiten und sich lächerlich
machen? Noch ist es Zeit; darum benützet das Versammlungs-
recht und suchet unter allen Candidaten den gesinnungstüchtigsten
heraus und Dem gebet dann einstimmig euere Stimmen. Thu't
ihrs nicht, so möget ihr euch auch alle daraus entspringenden
Nachtheile selbst zuschreiben und dann schweigen. — Was die
Artikel in der Darmstädter und der Oberpostamtszeitung betrifft,
die unserem Landtage ein so günstiges Prognostikon stellen, so
wünschten wir den Verfassern eine bessere Einsicht in die Verhält-
nisse. Bis jetzt haben sie nur bewiesen, daß sie weder Die kennen,
welche treiben, noch Jene, welche getrieben werden, und die Ent-
täuschung dürfte nach dem voreiligen Jubel am Ende gar unan-
genehm seyn.

[ * ] Vom Maine 7. October. Jn Nr. 237. dieser Blätter
haben Sie bereits den Unsinn gebührend zurückgewiesen, welchen
ein Mensch, der über öffentliche Dinge zu schreiben versucht, der
Welt über die Verbindung der Demokraten und Ultramontanen
( soll wohl heißen Katholiken ) in der „Darmstädter Zeitung“
vom 4. October zum Besten gegeben hat. Jch kann Sie indessen
versichern, daß der Artikel der Darmstädter Zeitung hier, wo er
doch zu wirken bestimmt war, nur Heiterkeit und Mitleid mit dem
Verfasser, hervorgerufen hat. Wohl mögen Leute, die sich, weil sie
in den Schreibstuben rechnen und schreiben gelernt haben, für tiefe
Denker und Staatsmänner halten, die den Mangel an Kennt-
nissen durch Jnsolenz, den geringen Grad von Bildung durch
Arroganz zu verdecken suchen, die da an den Wirthstischen stets
mit ihren angeblichen Verbindungen mit hohen und höchsten Per-
sonen prahlen, wohl mögen solche Leute derartige tiefe Geheim-
nisse entdecken. Der wahre Staatsmann indessen, an welchem
die Geschichte der letzten Zeit nicht spurlos vorübergegangen,
kann nur die Achseln darüber zucken und wird höchstens darüber
zweifelhaft seyn, ob solche Enthüllungen ihren Ursprung der
Bosheit oder der Bornirtheit verdanken. Derartige Bemühungen
müssen stets nur das Gegentheil von Dem hervorbringen, was
sie bezwecken.

Jtalien.

☞ Aus Turin sind inhaltsschwere Nachrichten einge-
laufen. Statt der 15 Millionen Francs, deren die Regierung zur
Bezahlung der ersten Kriegsrate an Oesterreich bedarf, bewilligte
die Kammer nur 9 und 1 / 2 Million und der Marchese d'Azeglio
fand sich darauf veranlaßt die Kammer aufzulösen und eine
Revision der Constitution
zu beantragen. Jn Turin
soll daraufhin am
2. ein Aufstand ausgebrochen
seyn.
Sämmtliche geheime Gesellschaften in Frankreich, nament-
lich die Pariser, haben von dieser Bewegung Kunde und die
nächste Revolution soll nicht in Paris, sondern in Piemont aus-
brechen und von da über die angränzenden französischen Departe-
ments sich verbreiten. Die nächste Post wird weitere Aufklärun-
gen bringen.

Frankreich.

* * * Paris 7. October. Unsere Lage wird mit jedem Tage
schwieriger: gelähmt und in Parteien zersplittert im Jnnern —
was kann da unsere auswärtige Politik noch für eine Bedeutung
haben? Die Deputirten der Majorität, welche eben aus den
Departements zurückkommen, sind deßhalb auch auf das Mini-
sterium, namentlich auf den Minister des Jnnern ganz wüthend,
daß er den Socialismus in den Departements so ungestört fort-
wuchern läßt; es soll dort Präfecten, Unterpräfecten, Staats-
procuratoren und Richter in Menge geben, welche in Bezug auf
Gesinnung mit dem gemeinsten rothen Proletarier der Hauptstadt
auf ganz gleicher Linie stehen. Dies ist die Klippe, an welcher
das gegenwärtige Ministerium, ein wahrer Ausbund von Mittel-
mäßigkeiten, scheitern wird, die Majorität ist nur noch nicht
einig über den Zeitpunkt, wo das Experiment gemacht werden soll.

Jn Bezug auf die römische Frage herrscht zwischen dem Prä-
sidenten und der Commission Zwiespalt. Der Präsident wünscht,
daß die Kammerdebatte darüber von seinem Schreiben ausgehe,
die Commission dagegen ( Mol é und Thiers ) ist der Ansicht das
fatale Actenstück bei der Berathung der Frage ganz zu ignoriren,
was jedenfalls das Vernünftigste wäre. Ueber die türkische An-
gelegenheit herrscht Stille. Das Cabinet erwartet erst bis zum
25. oder 30. dieses Monates Depeschen aus Petersburg und so
lange diese nicht eingetroffen sind, ist an entschiedene Beschlüsse
oder Maasnahmen nicht zu denken. Die Speculanten müssen sich
bis dahin auf dem Boden der Gerüchte bewegen.

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0003"/><cb type="start"/>
hiesigen Anwälten einräumen möchten. Die Assisen werden wohl<lb/>
bis in den November hinein dauern. &#x2014; Jn der Nacht vom 6. auf<lb/>
den 8. October wurde hier eine That verübt, welche ein neuer Beleg<lb/>
dafür ist, wie schlecht es mit der vielgepriesenen Humanität un-<lb/>
serer Zeit bestellt sey. Es wurden nämlich die steinernen Ruhe-<lb/>
bänke auf der Promenade, dem besuchtesten Spaziergange inner-<lb/>
halb der Stadt, abgehoben, größtentheils zerschlagen und die<lb/>
anstoßende <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="7"/>Terasse hinabgeworfen. Die jugendlichen Thäter,<lb/>
welche den gebildeten Ständen angehören, sind bereits ermittelt.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p>Aus zuverlässiger Quelle kann ich Jhnen mittheilen, daß<lb/>
Minister <hi rendition="#g">Eberhard</hi> bei seiner Anwesenheit in Hanau von dem<lb/>
Kurfürsten, mit dem er wichtige Staatsgeschäfte erledigen wollte,<lb/><hi rendition="#g">gar nicht vorgelassen worden ist</hi> und höchst indignirt über<lb/>
diese Behandlung nach Kassel zurückkehrte. Man kann hieraus<lb/>
ersehen, wie freundschaftlich das Verhältniß zwischen dem Kur-<lb/>
fürsten und seinen Räthen sey, es soll wieder eine <hi rendition="#g">Minister-<lb/>
krisis,</hi> diese bei uns einheimisch gewordene Krankheit des<lb/>
politischen Lebens, in der Luft liegen. Auch unser <hi rendition="#g">Stadtrath</hi><lb/>
befindet sich dermalen in einer Krisis. Die Oberfinanzkammer in<lb/>
Kassel hat nämlich eine Eingabe unserer Gemeindebehörde wegen<lb/>
Ueberlassung von Domainen zurückgesendet, als Ursache dieser<lb/>
Zurückgabe ungeziemende Aeußerungen in der Petition bezeich-<lb/>
nend. Dieses hat zunächst unseren Stadtrath veranlaßt <hi rendition="#aq">in corpore</hi><lb/>
abzudanken. Jm Publicum ist man der Ansicht, daß der Stadt-<lb/>
rath nicht abdanken, sondern der Finanzkammer mit einer noch<lb/>
weit energischeren Adresse, als die erste war, hätte antworten<lb/>
sollen; denn in Kassel will man nun einmal die Wahrheit, wenn<lb/>
sie gesagt wird, nicht hören. &#x2014; Auf dem benachbarten bayrischen<lb/>
Gebiete häufen sich die Truppenansammlungen; nach Brückenau<lb/>
kommen 400 Mann zu liegen, nach Hammelburg 500. Diese<lb/>
außergewöhnliche Maßregel erregt großes Aufsehen.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p># Aus Oberhessen 8. October. Der bekannte Handlanger<lb/>
Vogt's in Gießen, A. <hi rendition="#g">Becker</hi> zur Zeit noch Redacteur des eben-<lb/>
falls in gewisser Beziehung bekannten &#x201E;Wehr' Dich,&#x201C; wurde am<lb/>
verflossenen Freitag Abend, nachdem ihn die Gensdarmen drei<lb/>
Tage lang vergebens zu Hause gesucht hatten, in Haft gebracht.<lb/>
So viel ich in Erfahrung bringen konnte, ward über ihn, diese<lb/>
traurige Reliquie oberhessischer demokratischer Celebritäten, die<lb/>
Detentionshaft verhängt, weil er wegen verschiedener politischer<lb/>
Vergehen, die er sich im Laufe des Frühlings und Sommers zu<lb/>
Schulden kommen ließ, vor die nächsten Assisen gestellt werden<lb/>
soll. Uebrigens mag seine Verhaftung auch deshalb beschleunigt<lb/>
worden seyn, weil er in den letzten Tagen wieder einen gewaltigen<lb/>
Anlauf gegen die Monarchie gemacht und dabei sich die gröbsten<lb/>
Schmähungen gegen die Fürsten und Regierungen erlaubt hat.<lb/>
Warum der <hi rendition="#g">Bürger Becker</hi> gerade jetzt in dieser der Demo-<lb/>
kratie so ungünstigen Zeit so barbarisch mit der Monarchie<lb/>
umgeht, wird auf mancherlei Weise gedeutet. Einige meinen,<lb/>
Becker habe seine Verhaftung selbst provocirt, weil sein Blatt<lb/>
höchst wahrscheinlich aus Mangel an Abonnenten bald eingehen<lb/>
wird; um nun mit Ehren davon loszukommen, habe er den<lb/>
Scandal gemacht, denn jetzt könne man sagen, das Blatt sey ge-<lb/>
nöthigt worden einzugehen, weil sein Redacteur durch die Tyran-<lb/>
nei der Regierung der Freiheit beraubt worden sey. Dann aber<lb/>
soll auch, meint man weiter, seine Jnhaftirung die Gießener Bür-<lb/>
ger noch mehr wider die Regierung erbittern und ihn als Mar-<lb/>
tyrer für die Demokratie in neuer Glorie erscheinen lassen. &#x2014;<lb/>
Eben erst kommt mir das demokratische Wahlmanifest vollständig<lb/>
zu Gesichte, es stimmt meist mit dem rheinhessischen überein. Un-<lb/>
ter Anderem will man die Civilliste auf 100,000 fl. herabsetzen,<lb/>
etwa so viel als der Großherzog jetzt Almosen gibt; die Domä-<lb/>
nenfrage und die Besitzrechte der Adligen auf die standesherrlichen<lb/>
Güter sollen &#x201E;genau geprüft&#x201C; werden. &#x2014; Der Stadtvorstand in<lb/>
Gießen will, wie ein Maueranschlag daselbst versichert, gegen die<lb/>
Verfasser der in der &#x201E;Darmstädter Zeitung&#x201C; jüngsthin erschiene-<lb/>
nen Artikel, in welchen die Gießener Bürger so schmählich be-<lb/>
handelt worden seyen, eine gerichtliche Klage erheben. Ob aber<lb/>
dabei die Stadt Gießen, wo unsere Musen residiren, weiß ge-<lb/>
waschen werde, stelle ich sehr in Frage. Je gravirter, desto un-<lb/>
verschämter, &#x2014; ist schon eine alte Delinquentenpraxis.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p>&#x2629; Oppenheim 7. October. Einem Jeden, der mit selbstauf-<lb/>
opfernder Liebe für eine bessere Zeit lebt und schafft, muß das<lb/>
Herz bluten, wenn er auf das hinblickt, was <hi rendition="#g">für die bevor-<lb/>
stehenden Wahlen</hi> zur ersten und zweiten Kammer gegen-<lb/>
wärtig in unserem Wahlbezirke geschieht und nicht geschieht. Wäh-<lb/>
rend die Demokraten in allen ihren Special= und Generalver-<lb/>
sammlungen einstimmig zu ihrem Candidaten für die zweite Kam-<lb/>
mer den Lehrer <hi rendition="#g">Paulsackel</hi> bezeichnen, sich zur Einigkeit im<lb/>
Wählen ermuntern und noch Andere durch ein gewissermaßen<lb/>
fabrikmäßig eingerichtetes Wirken für ihren Candidaten zu ge-<lb/>
winnen suchen, ist bei den Conservativen immer noch die alte,<lb/>
schon so oft beklagte <hi rendition="#g">Schlafsucht</hi> und <hi rendition="#g">Theilnahmlosig-<lb/><cb n="2"/>
keit</hi> und wo diese nicht sind, da fehlt es an Einigkeit und entschie-<lb/>
denem Zusammenwirken. Zu was soll es führen, wenn ein jeder<lb/>
Ort einen eigenen Candidaten anfstellen will, wie z. B. <hi rendition="#g">Boden-<lb/>
heim</hi> Herrn <hi rendition="#g">Senfter, Nackenheim</hi> Herrn <hi rendition="#g">Egly, Lörz-<lb/>
weiler</hi> zum Theil und <hi rendition="#g">Mommernheim</hi> größtentheils Herrn<lb/><hi rendition="#g">Lambert</hi> vom Wahlheimerhof, <hi rendition="#g">Nierstein</hi> Herrn <hi rendition="#g">Wernher</hi><lb/>
von Nierstein und <hi rendition="#g">Oppenheim</hi> Herrn <hi rendition="#g">Wallot,</hi> &#x2014; heißt das<lb/>
nicht der Demokratie in die Hände arbeiten und sich lächerlich<lb/>
machen? Noch ist es Zeit; darum benützet das Versammlungs-<lb/>
recht und suchet unter allen Candidaten den gesinnungstüchtigsten<lb/>
heraus und Dem gebet dann einstimmig euere Stimmen. Thu't<lb/>
ihrs nicht, so möget ihr euch auch alle daraus entspringenden<lb/>
Nachtheile selbst zuschreiben und dann schweigen. &#x2014; Was die<lb/>
Artikel in der Darmstädter und der Oberpostamtszeitung betrifft,<lb/>
die unserem Landtage ein so günstiges Prognostikon stellen, so<lb/>
wünschten wir den Verfassern eine bessere Einsicht in die Verhält-<lb/>
nisse. Bis jetzt haben sie nur bewiesen, daß sie weder Die kennen,<lb/>
welche treiben, noch Jene, welche getrieben werden, und die Ent-<lb/>
täuschung dürfte nach dem voreiligen Jubel am Ende gar unan-<lb/>
genehm seyn.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p>[ <hi rendition="#sup">*</hi> ] Vom Maine 7. October. Jn Nr. 237. dieser Blätter<lb/>
haben Sie bereits den Unsinn gebührend zurückgewiesen, welchen<lb/>
ein Mensch, der über öffentliche Dinge zu schreiben versucht, der<lb/>
Welt über die Verbindung der Demokraten und Ultramontanen<lb/>
( soll wohl heißen Katholiken ) in der &#x201E;Darmstädter Zeitung&#x201C;<lb/>
vom 4. October zum Besten gegeben hat. Jch kann Sie indessen<lb/>
versichern, daß der Artikel der Darmstädter Zeitung hier, wo er<lb/>
doch zu wirken bestimmt war, nur Heiterkeit und Mitleid mit dem<lb/>
Verfasser, hervorgerufen hat. Wohl mögen Leute, die sich, weil sie<lb/>
in den Schreibstuben rechnen und schreiben gelernt haben, für tiefe<lb/>
Denker und Staatsmänner halten, die den Mangel an Kennt-<lb/>
nissen durch Jnsolenz, den geringen Grad von Bildung durch<lb/>
Arroganz zu verdecken suchen, die da an den Wirthstischen stets<lb/>
mit ihren angeblichen Verbindungen mit hohen und höchsten Per-<lb/>
sonen prahlen, wohl mögen solche Leute derartige tiefe Geheim-<lb/>
nisse entdecken. Der wahre Staatsmann indessen, an welchem<lb/>
die Geschichte der letzten Zeit nicht spurlos vorübergegangen,<lb/>
kann nur die Achseln darüber zucken und wird höchstens darüber<lb/>
zweifelhaft seyn, ob solche Enthüllungen ihren Ursprung der<lb/>
Bosheit oder der Bornirtheit verdanken. Derartige Bemühungen<lb/>
müssen stets nur das Gegentheil von Dem hervorbringen, was<lb/>
sie bezwecken.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head> <hi rendition="#g">Jtalien.</hi> </head><lb/>
        <p>&#x261E; Aus Turin sind inhaltsschwere Nachrichten einge-<lb/>
laufen. Statt der 15 Millionen Francs, deren die Regierung zur<lb/>
Bezahlung der ersten Kriegsrate an Oesterreich bedarf, bewilligte<lb/>
die Kammer nur 9 und 1 / 2 Million und der Marchese d'Azeglio<lb/>
fand sich darauf veranlaßt die Kammer aufzulösen und <hi rendition="#g">eine<lb/>
Revision der Constitution</hi> zu beantragen. <hi rendition="#g">Jn Turin<lb/>
soll daraufhin am</hi> 2. <hi rendition="#g">ein Aufstand ausgebrochen<lb/>
seyn.</hi> Sämmtliche geheime Gesellschaften in Frankreich, nament-<lb/>
lich die Pariser, haben von dieser Bewegung Kunde und die<lb/>
nächste Revolution soll nicht in Paris, sondern in Piemont aus-<lb/>
brechen und von da über die angränzenden französischen Departe-<lb/>
ments sich verbreiten. Die nächste Post wird weitere Aufklärun-<lb/>
gen bringen.</p>
      </div><lb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head> <hi rendition="#g">Frankreich.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#sup">* * *</hi> Paris 7. October. Unsere Lage wird mit jedem Tage<lb/>
schwieriger: gelähmt und in Parteien zersplittert im Jnnern &#x2014;<lb/>
was kann da unsere auswärtige Politik noch für eine Bedeutung<lb/>
haben? Die Deputirten der Majorität, welche eben aus den<lb/>
Departements zurückkommen, sind deßhalb auch auf das Mini-<lb/>
sterium, namentlich auf den Minister des Jnnern ganz wüthend,<lb/>
daß er den Socialismus in den Departements so ungestört fort-<lb/>
wuchern läßt; es soll dort Präfecten, Unterpräfecten, Staats-<lb/>
procuratoren und Richter in Menge geben, welche in Bezug auf<lb/>
Gesinnung mit dem gemeinsten rothen Proletarier der Hauptstadt<lb/>
auf ganz gleicher Linie stehen. Dies ist die Klippe, an welcher<lb/>
das gegenwärtige Ministerium, ein wahrer Ausbund von Mittel-<lb/>
mäßigkeiten, scheitern wird, die Majorität ist nur noch nicht<lb/>
einig über den Zeitpunkt, wo das Experiment gemacht werden soll.</p><lb/>
        <p>Jn Bezug auf die römische Frage herrscht zwischen dem Prä-<lb/>
sidenten und der Commission Zwiespalt. Der Präsident wünscht,<lb/>
daß die Kammerdebatte darüber von seinem Schreiben ausgehe,<lb/>
die Commission dagegen ( Mol <hi rendition="#aq">é</hi> und Thiers ) ist der Ansicht das<lb/>
fatale Actenstück bei der Berathung der Frage ganz zu ignoriren,<lb/>
was jedenfalls das Vernünftigste wäre. Ueber die türkische An-<lb/>
gelegenheit herrscht Stille. Das Cabinet erwartet erst bis zum<lb/>
25. oder 30. dieses Monates Depeschen aus Petersburg und so<lb/>
lange diese nicht eingetroffen sind, ist an entschiedene Beschlüsse<lb/>
oder Maasnahmen nicht zu denken. Die Speculanten müssen sich<lb/>
bis dahin auf dem Boden der Gerüchte bewegen.</p>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0003] hiesigen Anwälten einräumen möchten. Die Assisen werden wohl bis in den November hinein dauern. — Jn der Nacht vom 6. auf den 8. October wurde hier eine That verübt, welche ein neuer Beleg dafür ist, wie schlecht es mit der vielgepriesenen Humanität un- serer Zeit bestellt sey. Es wurden nämlich die steinernen Ruhe- bänke auf der Promenade, dem besuchtesten Spaziergange inner- halb der Stadt, abgehoben, größtentheils zerschlagen und die anstoßende _______Terasse hinabgeworfen. Die jugendlichen Thäter, welche den gebildeten Ständen angehören, sind bereits ermittelt. Aus zuverlässiger Quelle kann ich Jhnen mittheilen, daß Minister Eberhard bei seiner Anwesenheit in Hanau von dem Kurfürsten, mit dem er wichtige Staatsgeschäfte erledigen wollte, gar nicht vorgelassen worden ist und höchst indignirt über diese Behandlung nach Kassel zurückkehrte. Man kann hieraus ersehen, wie freundschaftlich das Verhältniß zwischen dem Kur- fürsten und seinen Räthen sey, es soll wieder eine Minister- krisis, diese bei uns einheimisch gewordene Krankheit des politischen Lebens, in der Luft liegen. Auch unser Stadtrath befindet sich dermalen in einer Krisis. Die Oberfinanzkammer in Kassel hat nämlich eine Eingabe unserer Gemeindebehörde wegen Ueberlassung von Domainen zurückgesendet, als Ursache dieser Zurückgabe ungeziemende Aeußerungen in der Petition bezeich- nend. Dieses hat zunächst unseren Stadtrath veranlaßt in corpore abzudanken. Jm Publicum ist man der Ansicht, daß der Stadt- rath nicht abdanken, sondern der Finanzkammer mit einer noch weit energischeren Adresse, als die erste war, hätte antworten sollen; denn in Kassel will man nun einmal die Wahrheit, wenn sie gesagt wird, nicht hören. — Auf dem benachbarten bayrischen Gebiete häufen sich die Truppenansammlungen; nach Brückenau kommen 400 Mann zu liegen, nach Hammelburg 500. Diese außergewöhnliche Maßregel erregt großes Aufsehen. # Aus Oberhessen 8. October. Der bekannte Handlanger Vogt's in Gießen, A. Becker zur Zeit noch Redacteur des eben- falls in gewisser Beziehung bekannten „Wehr' Dich,“ wurde am verflossenen Freitag Abend, nachdem ihn die Gensdarmen drei Tage lang vergebens zu Hause gesucht hatten, in Haft gebracht. So viel ich in Erfahrung bringen konnte, ward über ihn, diese traurige Reliquie oberhessischer demokratischer Celebritäten, die Detentionshaft verhängt, weil er wegen verschiedener politischer Vergehen, die er sich im Laufe des Frühlings und Sommers zu Schulden kommen ließ, vor die nächsten Assisen gestellt werden soll. Uebrigens mag seine Verhaftung auch deshalb beschleunigt worden seyn, weil er in den letzten Tagen wieder einen gewaltigen Anlauf gegen die Monarchie gemacht und dabei sich die gröbsten Schmähungen gegen die Fürsten und Regierungen erlaubt hat. Warum der Bürger Becker gerade jetzt in dieser der Demo- kratie so ungünstigen Zeit so barbarisch mit der Monarchie umgeht, wird auf mancherlei Weise gedeutet. Einige meinen, Becker habe seine Verhaftung selbst provocirt, weil sein Blatt höchst wahrscheinlich aus Mangel an Abonnenten bald eingehen wird; um nun mit Ehren davon loszukommen, habe er den Scandal gemacht, denn jetzt könne man sagen, das Blatt sey ge- nöthigt worden einzugehen, weil sein Redacteur durch die Tyran- nei der Regierung der Freiheit beraubt worden sey. Dann aber soll auch, meint man weiter, seine Jnhaftirung die Gießener Bür- ger noch mehr wider die Regierung erbittern und ihn als Mar- tyrer für die Demokratie in neuer Glorie erscheinen lassen. — Eben erst kommt mir das demokratische Wahlmanifest vollständig zu Gesichte, es stimmt meist mit dem rheinhessischen überein. Un- ter Anderem will man die Civilliste auf 100,000 fl. herabsetzen, etwa so viel als der Großherzog jetzt Almosen gibt; die Domä- nenfrage und die Besitzrechte der Adligen auf die standesherrlichen Güter sollen „genau geprüft“ werden. — Der Stadtvorstand in Gießen will, wie ein Maueranschlag daselbst versichert, gegen die Verfasser der in der „Darmstädter Zeitung“ jüngsthin erschiene- nen Artikel, in welchen die Gießener Bürger so schmählich be- handelt worden seyen, eine gerichtliche Klage erheben. Ob aber dabei die Stadt Gießen, wo unsere Musen residiren, weiß ge- waschen werde, stelle ich sehr in Frage. Je gravirter, desto un- verschämter, — ist schon eine alte Delinquentenpraxis. ☩ Oppenheim 7. October. Einem Jeden, der mit selbstauf- opfernder Liebe für eine bessere Zeit lebt und schafft, muß das Herz bluten, wenn er auf das hinblickt, was für die bevor- stehenden Wahlen zur ersten und zweiten Kammer gegen- wärtig in unserem Wahlbezirke geschieht und nicht geschieht. Wäh- rend die Demokraten in allen ihren Special= und Generalver- sammlungen einstimmig zu ihrem Candidaten für die zweite Kam- mer den Lehrer Paulsackel bezeichnen, sich zur Einigkeit im Wählen ermuntern und noch Andere durch ein gewissermaßen fabrikmäßig eingerichtetes Wirken für ihren Candidaten zu ge- winnen suchen, ist bei den Conservativen immer noch die alte, schon so oft beklagte Schlafsucht und Theilnahmlosig- keit und wo diese nicht sind, da fehlt es an Einigkeit und entschie- denem Zusammenwirken. Zu was soll es führen, wenn ein jeder Ort einen eigenen Candidaten anfstellen will, wie z. B. Boden- heim Herrn Senfter, Nackenheim Herrn Egly, Lörz- weiler zum Theil und Mommernheim größtentheils Herrn Lambert vom Wahlheimerhof, Nierstein Herrn Wernher von Nierstein und Oppenheim Herrn Wallot, — heißt das nicht der Demokratie in die Hände arbeiten und sich lächerlich machen? Noch ist es Zeit; darum benützet das Versammlungs- recht und suchet unter allen Candidaten den gesinnungstüchtigsten heraus und Dem gebet dann einstimmig euere Stimmen. Thu't ihrs nicht, so möget ihr euch auch alle daraus entspringenden Nachtheile selbst zuschreiben und dann schweigen. — Was die Artikel in der Darmstädter und der Oberpostamtszeitung betrifft, die unserem Landtage ein so günstiges Prognostikon stellen, so wünschten wir den Verfassern eine bessere Einsicht in die Verhält- nisse. Bis jetzt haben sie nur bewiesen, daß sie weder Die kennen, welche treiben, noch Jene, welche getrieben werden, und die Ent- täuschung dürfte nach dem voreiligen Jubel am Ende gar unan- genehm seyn. [ * ] Vom Maine 7. October. Jn Nr. 237. dieser Blätter haben Sie bereits den Unsinn gebührend zurückgewiesen, welchen ein Mensch, der über öffentliche Dinge zu schreiben versucht, der Welt über die Verbindung der Demokraten und Ultramontanen ( soll wohl heißen Katholiken ) in der „Darmstädter Zeitung“ vom 4. October zum Besten gegeben hat. Jch kann Sie indessen versichern, daß der Artikel der Darmstädter Zeitung hier, wo er doch zu wirken bestimmt war, nur Heiterkeit und Mitleid mit dem Verfasser, hervorgerufen hat. Wohl mögen Leute, die sich, weil sie in den Schreibstuben rechnen und schreiben gelernt haben, für tiefe Denker und Staatsmänner halten, die den Mangel an Kennt- nissen durch Jnsolenz, den geringen Grad von Bildung durch Arroganz zu verdecken suchen, die da an den Wirthstischen stets mit ihren angeblichen Verbindungen mit hohen und höchsten Per- sonen prahlen, wohl mögen solche Leute derartige tiefe Geheim- nisse entdecken. Der wahre Staatsmann indessen, an welchem die Geschichte der letzten Zeit nicht spurlos vorübergegangen, kann nur die Achseln darüber zucken und wird höchstens darüber zweifelhaft seyn, ob solche Enthüllungen ihren Ursprung der Bosheit oder der Bornirtheit verdanken. Derartige Bemühungen müssen stets nur das Gegentheil von Dem hervorbringen, was sie bezwecken. Jtalien. ☞ Aus Turin sind inhaltsschwere Nachrichten einge- laufen. Statt der 15 Millionen Francs, deren die Regierung zur Bezahlung der ersten Kriegsrate an Oesterreich bedarf, bewilligte die Kammer nur 9 und 1 / 2 Million und der Marchese d'Azeglio fand sich darauf veranlaßt die Kammer aufzulösen und eine Revision der Constitution zu beantragen. Jn Turin soll daraufhin am 2. ein Aufstand ausgebrochen seyn. Sämmtliche geheime Gesellschaften in Frankreich, nament- lich die Pariser, haben von dieser Bewegung Kunde und die nächste Revolution soll nicht in Paris, sondern in Piemont aus- brechen und von da über die angränzenden französischen Departe- ments sich verbreiten. Die nächste Post wird weitere Aufklärun- gen bringen. Frankreich. * * * Paris 7. October. Unsere Lage wird mit jedem Tage schwieriger: gelähmt und in Parteien zersplittert im Jnnern — was kann da unsere auswärtige Politik noch für eine Bedeutung haben? Die Deputirten der Majorität, welche eben aus den Departements zurückkommen, sind deßhalb auch auf das Mini- sterium, namentlich auf den Minister des Jnnern ganz wüthend, daß er den Socialismus in den Departements so ungestört fort- wuchern läßt; es soll dort Präfecten, Unterpräfecten, Staats- procuratoren und Richter in Menge geben, welche in Bezug auf Gesinnung mit dem gemeinsten rothen Proletarier der Hauptstadt auf ganz gleicher Linie stehen. Dies ist die Klippe, an welcher das gegenwärtige Ministerium, ein wahrer Ausbund von Mittel- mäßigkeiten, scheitern wird, die Majorität ist nur noch nicht einig über den Zeitpunkt, wo das Experiment gemacht werden soll. Jn Bezug auf die römische Frage herrscht zwischen dem Prä- sidenten und der Commission Zwiespalt. Der Präsident wünscht, daß die Kammerdebatte darüber von seinem Schreiben ausgehe, die Commission dagegen ( Mol é und Thiers ) ist der Ansicht das fatale Actenstück bei der Berathung der Frage ganz zu ignoriren, was jedenfalls das Vernünftigste wäre. Ueber die türkische An- gelegenheit herrscht Stille. Das Cabinet erwartet erst bis zum 25. oder 30. dieses Monates Depeschen aus Petersburg und so lange diese nicht eingetroffen sind, ist an entschiedene Beschlüsse oder Maasnahmen nicht zu denken. Die Speculanten müssen sich bis dahin auf dem Boden der Gerüchte bewegen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal240_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal240_1849/3
Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 240. Mainz, 9. Oktober 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal240_1849/3>, abgerufen am 01.06.2024.