Mainzer Journal. Nr. 260. Mainz, 2. November 1849.[Beginn Spaltensatz]
sollen pacifizirt, die Gemüther beruhigt, der darniederliegende == Aus Rheinhessen 31. October. Wüßten wir es nicht Den dortigen katholischen Geistlichen sührte das ihm zu er- Zornerglüht und mit "einem Schrei der Entrüstung" in ge- Wir sind übrigens -- wenn der Vorfall sich erhärtet -- dar- Schweiz. Der "Eidgenosse" bringt folgende Uebersicht der Steuern, Jm Jahr. Armensteuern. Polizeisteuern. 1842 157,225 135,653 Frankreich. *** Paris 30. October. Der politische Horizont umdüstert Man will wissen, daß die HH. Berryer und Piscatory be- Falloux hat, wie schon gemeldet, sein definitives Entlassungs- Das Cabinet erfreut sich überhaupt in der Nationalversamm- Der "Constitutionnel" erklärt sich ermächtigt, die Behaup- Die Finanz=Commission unter Gouin's Vorsitz hat bereits die [Beginn Spaltensatz]
sollen pacifizirt, die Gemüther beruhigt, der darniederliegende == Aus Rheinhessen 31. October. Wüßten wir es nicht Den dortigen katholischen Geistlichen sührte das ihm zu er- Zornerglüht und mit „einem Schrei der Entrüstung“ in ge- Wir sind übrigens — wenn der Vorfall sich erhärtet — dar- Schweiz. Der „Eidgenosse“ bringt folgende Uebersicht der Steuern, Jm Jahr. Armensteuern. Polizeisteuern. 1842 157,225 135,653 Frankreich. *** Paris 30. October. Der politische Horizont umdüstert Man will wissen, daß die HH. Berryer und Piscatory be- Falloux hat, wie schon gemeldet, sein definitives Entlassungs- Das Cabinet erfreut sich überhaupt in der Nationalversamm- Der „Constitutionnel“ erklärt sich ermächtigt, die Behaup- Die Finanz=Commission unter Gouin's Vorsitz hat bereits die <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0003"/><cb type="start"/> sollen pacifizirt, die Gemüther beruhigt, der darniederliegende<lb/> Verkehr gehoben, Handel und Gewerbe wieder in die Höhe ge-<lb/> bracht werden. Wie viel Unzufriedenheit mit der Staatsverwal-<lb/> tung aber ein Verkehrsmittel wie unsere jetzige fliegende Brücke<lb/> erregt, wie sehr die Vernachlässigung einer solchen Angelegenheit<lb/> allg mein erbittert, wie wenig durch diplomatische Zänkereien<lb/> finanzieller Art dem Handel und dem Gewerbe aufgeholfen wird,<lb/> hegt für jeden Unbefangenen klar am Tage.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>== Aus Rheinhessen 31. October. Wüßten wir es nicht<lb/> schon längst, mit welcher Elle die edle Demokratie die Freiheit<lb/> überhaupt, wie die versönliche und Redefreiheit insbesondere zu-<lb/> zumessen pflegt; so müßte uns dessen ein Pröbchen, wie es dieser<lb/> Tage in dem Hauptorte des Cantons <hi rendition="#g">Oberingelheim</hi> vorge-<lb/> kommen seyn soll, allen Zweifel darüber benehmen. Wir lassen<lb/> die Thatsache, wie sie uns aus glaubwürdiger Quelle mitgetheilt<lb/> wurde, hier einfach folgen:</p><lb/> <p>Den dortigen katholischen Geistlichen sührte das ihm zu er-<lb/> klären <hi rendition="#g">vorgeschriebene,</hi> von ihm keineswegs zu umgehende<lb/> Sonntags=Lesestück aus der Bibel auf das Thema von den Pflich-<lb/> ten, die ein Staatsbürger, der zugleich auch Christ seyn will,<lb/> gegen seinen Landesfürsten zu erfüllen habe. Nach Aufführung<lb/> dieser Pflichten aus eben demselben Fundamental=Bekenntnißbuche<lb/><hi rendition="#g">aller</hi> christlichen Confessionen wirft der Redner die Frage auf<lb/> über deren Erfüllung in jüngster Zeit, — und die Beantwortung<lb/> derselben fällt unter Anderem anerkennend aus für unser braves,<lb/> eid= und fahnentreues Militär, wovon eben eine Schwadron<lb/> Chevauxlegers dort im Quartiere liegt und an diesem Tage zufällig<lb/> Kirchenparade hatte. Ob der Prediger in dieser Anerkennung<lb/><hi rendition="#g">Wahrheit</hi> gesprochen, ob er zu diesem Wahrheitsprechen Ver-<lb/> anlassung und rechtlich=amtliche, nicht erst zu octroyirende Be-<lb/> fugniß hatte, wollen wir hier als überflüssig nicht untersuchen.<lb/> Genug, eine derartige Ausführung seiner ihm gestellten Aufgabe<lb/> war für gewisse dortige Ohren unerträglich. Was Eides= und<lb/> Pflichttreue, diese veralteten Dinge, — was Wahrheit und gutes<lb/> Recht, — was Personen= und Redefreiheit, wenn sie der sou-<lb/> veränen Partei nicht in den Kram taugen, oder denselben irgend-<lb/> wie zu stören drohen? Es gibt nur <hi rendition="#g">ein</hi> Recht, nur <hi rendition="#g">eine</hi> Freiheit<lb/> der Person und der Rede und diese ist auf Seiten der allherrschen-<lb/> den, allterrorisirenden Umsturzmänner. Wer außer ihnen noch<lb/> wagt, so zu sagen auch ein Menschenkind zu seyn mit zuständigem<lb/> Gesetz, Recht und Vaterland und kein bloser Helote, der hat's<lb/> mit den privilegirten Herren der Freiheit verschüttet. Das sollte<lb/> denn auch besagter Prediger hart empfinden, als er sich beikom-<lb/> men ließ, zu meinen, es gebe auch für ihn hier zu Land ein Recht<lb/> und eine Freiheit der Rede, zumal berufsmäßig und keineswegs in<lb/> selbstgefälliger Zudringlichkeit, wie dies seit unserer neuparlamen-<lb/> tarischen Zeit bis zum Zerplatzen des Trommelfelles zu vernehmen<lb/> war von bärtigen und unbärtigen Staatskünstlern, auf Bier-<lb/> tischen und umgestülpten Krautständern, wie und wo eben der<lb/> Geist sie zu reden trieb. Und wehe Dem, der über die von dort-<lb/> her sprudelnde Staatsweisheit sich eine auch nur anständige Kri-<lb/> tik erlaubt hätte, — von einem Behindernwollen so manches von<lb/> daher ausgehenden absolut Verderblichen gar nicht zu reden. So<lb/> war und ist es zum Theile noch.</p><lb/> <p>Zornerglüht und mit „einem Schrei der Entrüstung“ in ge-<lb/> schwollener Brust dringt ein Mann der Freiheit in des Pfarrers<lb/> Wohnung, macht ihm scharfen Vorhalt über die von Hörensagen<lb/> vernommene Predigt, durchwürzt mit obligatem Lobe auf das<lb/> hessische Militär sammt bezüglichen Jnstructionen für die Zukunft,<lb/> und verläßt sodann triumphirend den Schauplatz seiner Thaten,<lb/> ganz seelenvergnügt über die günstige Gelegenheit, noch nachträg-<lb/> lich im behaglichen Zimmer <hi rendition="#g">die</hi> Lanze gebrochen zu haben, die<lb/> der ehemalige Stabsarzt des Zitz'schen Hauptquartieres zu Kirch-<lb/> heimbolanden beim <hi rendition="#g">fernen</hi> Anrücken der Preußen, um sie nicht<lb/> abzunutzen, sorgfältig salvirte. Die garstigen Preußen! Hätten<lb/> die nicht auch, wie der friedliebende Pfarrherr, fein stillhalten<lb/> können, um schon dort den ersten Lorbeer um die Schläfe zu<lb/> winden?!</p><lb/> <p>Wir sind übrigens — wenn der Vorfall sich erhärtet — dar-<lb/> auf gespannt, zu erfahren, wie besagter Geistliche die von ge-<lb/> wissen Leuten so sehr geschmähte, in so exorbitanter Weise in<lb/> seiner Wohnung geübte <hi rendition="#g">Censur</hi> hinnehmen wird. Ob sie sich<lb/> auch in diesem Falle gegen die verhaßte in den Riß legen wer-<lb/> den?! —</p> </div> </div><lb/> <div type="jFinancialNews" n="1"> <head> <hi rendition="#g">Schweiz.</hi> </head><lb/> <p>Der „Eidgenosse“ bringt folgende Uebersicht der Steuern,<lb/> welche im Canton Luzern sowohl für das Armen= als Polizei-<lb/> wesen während acht Jahren von den Gemeinden bezogen ( resp.<lb/> bezahlt ) wurden:</p><lb/> <p><space dim="horizontal"/> Jm Jahr. <space dim="horizontal"/> Armensteuern. <space dim="horizontal"/> Polizeisteuern.<lb/><space dim="horizontal"/> 1841 <space dim="horizontal"/> 52,661 Fr. <space dim="horizontal"/> 65,426 Fr.</p><lb/> <cb n="2"/> <p><space dim="horizontal"/> 1842 <space dim="horizontal"/> 157,225 <space dim="horizontal"/> 135,653<lb/><space dim="horizontal"/> 1843 <space dim="horizontal"/> 134,567 <space dim="horizontal"/> 150,400<lb/><space dim="horizontal"/> 1844 <space dim="horizontal"/> 168,407 <space dim="horizontal"/> 141,776<lb/><space dim="horizontal"/> 1845 <space dim="horizontal"/> 144,566 <space dim="horizontal"/> 116,346<lb/><space dim="horizontal"/> 1846 <space dim="horizontal"/> 219,364 <space dim="horizontal"/> 152,252<lb/><space dim="horizontal"/> 1847 <space dim="horizontal"/> 283,159 <space dim="horizontal"/> 143,210<lb/><space dim="horizontal"/> 1848 <space dim="horizontal"/> 350,305 <space dim="horizontal"/> 406,244<lb/><space dim="horizontal"/> ———————————————<lb/> Jn acht Jahren also <space dim="horizontal"/> 1,510,254 Fr. <space dim="horizontal"/> 1,311,307 Fr.</p> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#g">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p><hi rendition="#sup">***</hi> Paris 30. October. Der politische Horizont umdüstert<lb/> sich wieder und selbst die Börse ist von Besorgnissen nicht frei.<lb/> Nicht als ob es sich um eine Haupt= und Staatsaction handelte,<lb/> oder als ob eine Störung des europäischen Friedens zu besorgen<lb/> wäre, — auf solche Capitaldinge lassen wir uns gar nicht mehr<lb/> ein, — sondern es handelt sich <hi rendition="#g">um die Ministerkrisis,</hi> in<lb/> welcher wir uns befinden, ja im Grunde nur um die Ersetz-<lb/> ung Fallour's, und ein Staatsgebäude, an welchem solche<lb/> Ereignisse nicht spurlos vorübergehen, muß in der That auf<lb/> schwachen Füßen ruhen! Hie und da will man wissen, daß Ca-<lb/> vaignac ins Ministerium eintreten und Changarnier durch La-<lb/> morici <hi rendition="#aq">è</hi>re ersetzt werden solle, was ein offenbarer Uebertritt des<lb/> Präsidenten in das Lager der Linken wäre. Die nächsten Tage<lb/> müssen uns Aufschluß darüber bringen.</p><lb/> <p>Man will wissen, daß die HH. Berryer und Piscatory be-<lb/> auftragt sind, eine Annäherung oder wo möglich ein förmliches<lb/> Einverständniß zwischen den beiden Zweigen des Hauses Bour-<lb/> bon zu Stande zu bringen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Falloux hat, wie schon gemeldet, sein definitives Entlassungs-<lb/> gesuch eingereicht. Es läßt sich denken, wie viel dem Cabinet<lb/> daran liegen mußte ihm einen Nachfolger zu geben, welcher wie<lb/> er über die Stimmen der katholisch=legitimistischen Partei gebieten<lb/> könne; man hat sich daher alle Mühe gegeben Herrn de Vatimesnil<lb/> zu gewinnen, aber Herr de Vatimesnil hat auf den Rath seiner<lb/> Freunde das Portefeuille ausgeschlagen. Den Grund habe ich<lb/> Jhnen schon früher einmal angedeutet. Die Legitimisten denken:<lb/> So lange einer von unseren Freunden im Cabinet sitzt, können<lb/> wir demselben nie rücksichtslos unsere Meinung sagen; so wie<lb/> wir eine Regierungsmaßregel mißbilligen, werden die Minister<lb/> uns antworten: Was wollt Jhr? Euer eigener Gesinnungsge-<lb/> nosse, unser College, hat die Maßregel mit unterzeichnet. Besser<lb/> also, wir vermeiden jede intimere Beziehung zum Cabinet; die<lb/> Personen sind uns dann gleichgiltig, und wir können uns dann<lb/> frei entscheiden, sey es zur Unterstützung, sey es zur Befehdung<lb/> der Religionspolitik. So ist Herr de Vatimesnil dem Cabinet<lb/> verloren gegangen, und die meisten Aussichten auf das Portefeuille<lb/> hat nun Herr de Corcelles, der Unterhändler zu Rom und Gaeta.<lb/> Herr de Corcelles gehört jenem kleinen „Tiers=parti“ an, aus<lb/> welchem bereits die Minister Dufaure, Tocqueville, Passy, Lan-<lb/> juinais und die Gesandten zu Wien und St. Petersburg, Beau-<lb/> mont und Lamorici<hi rendition="#aq">è</hi>re hervorgegangen sind, d. h. der Partei<lb/> der conservativen Republikaner.</p><lb/> <p>Das Cabinet erfreut sich überhaupt in der Nationalversamm-<lb/> lung <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="5"/>einer Majorität, mit der sich der Präsident der Republik<lb/> nicht zu befreunden vermag. Ludwig Bonaparte befindet sich in<lb/> einem ganz isolirten Zustande, der zuweilen ganz drückend auf<lb/> seine Gemüthsstimmung wirkt. Einer seiner innigen Jugendfreunde<lb/> äußerte neulich in einem wohlbesuchten diplomatischen Kreise, daß<lb/> der Präsident des „Regierens“ satt sey, und den jetzigen constitu-<lb/> tionellen Zwitterzustand Frankreichs als einen unglücklichen für<lb/> seine Person wie für das Land betrachte. Es ist dieses allerdings<lb/> ein bedeutungsvoller Ausspruch, und namentlich deshalb, weil er<lb/> den Herzensergießungen der orleanistischen „Assemblee nationale“<lb/> gleichkömmt. Unter den einzelnen Mitgliedern der Bonaparte'schen<lb/> Familie herrscht noch immer kein Einverständniß. Das jüngere<lb/> Geschlecht derselben ist fast durchweg von einer Prätendentenwuth<lb/> beseelt, die vielleicht in späteren Zeiten noch zu manchen tollen<lb/> politischen Verirrungen führen dürfte.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Der „Constitutionnel“ erklärt sich ermächtigt, die Behaup-<lb/> tung der „Assemblee nationale,“ daß die drei nordischen Mächte<lb/> und der deutsche Bund der französischen Regierung eine auf die<lb/> Angelegenheiten der Schweiz bezügliche Note hätten überreichen<lb/> lassen, für unwahr zu bezeichnen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Die Finanz=Commission unter Gouin's Vorsitz hat bereits die<lb/> besonderen Budgets der verschiedenen Ministerien geprüft und<lb/> Hrn. Berryer zum Berichterstatter über das Ausgabe=Budget für<lb/> 1850 ernannt. Sie schlägt dem Vernehmen nach die Streichung<lb/> des außerordentlichen Budgets für die öffentlichen Arbeiten vor<lb/> und will in den verschiedenen Dienstzweigen, besonders beim<lb/> Kriege und der Marine, bedeutende Ersparungen eintreten lassen.<lb/> Bei dem Einnahme=Budget gedenkt sie die vom Finanzminister<lb/> geforderten Anleihen auf 200 Millionen Fr. zu beschränken. Der<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0003]
sollen pacifizirt, die Gemüther beruhigt, der darniederliegende
Verkehr gehoben, Handel und Gewerbe wieder in die Höhe ge-
bracht werden. Wie viel Unzufriedenheit mit der Staatsverwal-
tung aber ein Verkehrsmittel wie unsere jetzige fliegende Brücke
erregt, wie sehr die Vernachlässigung einer solchen Angelegenheit
allg mein erbittert, wie wenig durch diplomatische Zänkereien
finanzieller Art dem Handel und dem Gewerbe aufgeholfen wird,
hegt für jeden Unbefangenen klar am Tage.
== Aus Rheinhessen 31. October. Wüßten wir es nicht
schon längst, mit welcher Elle die edle Demokratie die Freiheit
überhaupt, wie die versönliche und Redefreiheit insbesondere zu-
zumessen pflegt; so müßte uns dessen ein Pröbchen, wie es dieser
Tage in dem Hauptorte des Cantons Oberingelheim vorge-
kommen seyn soll, allen Zweifel darüber benehmen. Wir lassen
die Thatsache, wie sie uns aus glaubwürdiger Quelle mitgetheilt
wurde, hier einfach folgen:
Den dortigen katholischen Geistlichen sührte das ihm zu er-
klären vorgeschriebene, von ihm keineswegs zu umgehende
Sonntags=Lesestück aus der Bibel auf das Thema von den Pflich-
ten, die ein Staatsbürger, der zugleich auch Christ seyn will,
gegen seinen Landesfürsten zu erfüllen habe. Nach Aufführung
dieser Pflichten aus eben demselben Fundamental=Bekenntnißbuche
aller christlichen Confessionen wirft der Redner die Frage auf
über deren Erfüllung in jüngster Zeit, — und die Beantwortung
derselben fällt unter Anderem anerkennend aus für unser braves,
eid= und fahnentreues Militär, wovon eben eine Schwadron
Chevauxlegers dort im Quartiere liegt und an diesem Tage zufällig
Kirchenparade hatte. Ob der Prediger in dieser Anerkennung
Wahrheit gesprochen, ob er zu diesem Wahrheitsprechen Ver-
anlassung und rechtlich=amtliche, nicht erst zu octroyirende Be-
fugniß hatte, wollen wir hier als überflüssig nicht untersuchen.
Genug, eine derartige Ausführung seiner ihm gestellten Aufgabe
war für gewisse dortige Ohren unerträglich. Was Eides= und
Pflichttreue, diese veralteten Dinge, — was Wahrheit und gutes
Recht, — was Personen= und Redefreiheit, wenn sie der sou-
veränen Partei nicht in den Kram taugen, oder denselben irgend-
wie zu stören drohen? Es gibt nur ein Recht, nur eine Freiheit
der Person und der Rede und diese ist auf Seiten der allherrschen-
den, allterrorisirenden Umsturzmänner. Wer außer ihnen noch
wagt, so zu sagen auch ein Menschenkind zu seyn mit zuständigem
Gesetz, Recht und Vaterland und kein bloser Helote, der hat's
mit den privilegirten Herren der Freiheit verschüttet. Das sollte
denn auch besagter Prediger hart empfinden, als er sich beikom-
men ließ, zu meinen, es gebe auch für ihn hier zu Land ein Recht
und eine Freiheit der Rede, zumal berufsmäßig und keineswegs in
selbstgefälliger Zudringlichkeit, wie dies seit unserer neuparlamen-
tarischen Zeit bis zum Zerplatzen des Trommelfelles zu vernehmen
war von bärtigen und unbärtigen Staatskünstlern, auf Bier-
tischen und umgestülpten Krautständern, wie und wo eben der
Geist sie zu reden trieb. Und wehe Dem, der über die von dort-
her sprudelnde Staatsweisheit sich eine auch nur anständige Kri-
tik erlaubt hätte, — von einem Behindernwollen so manches von
daher ausgehenden absolut Verderblichen gar nicht zu reden. So
war und ist es zum Theile noch.
Zornerglüht und mit „einem Schrei der Entrüstung“ in ge-
schwollener Brust dringt ein Mann der Freiheit in des Pfarrers
Wohnung, macht ihm scharfen Vorhalt über die von Hörensagen
vernommene Predigt, durchwürzt mit obligatem Lobe auf das
hessische Militär sammt bezüglichen Jnstructionen für die Zukunft,
und verläßt sodann triumphirend den Schauplatz seiner Thaten,
ganz seelenvergnügt über die günstige Gelegenheit, noch nachträg-
lich im behaglichen Zimmer die Lanze gebrochen zu haben, die
der ehemalige Stabsarzt des Zitz'schen Hauptquartieres zu Kirch-
heimbolanden beim fernen Anrücken der Preußen, um sie nicht
abzunutzen, sorgfältig salvirte. Die garstigen Preußen! Hätten
die nicht auch, wie der friedliebende Pfarrherr, fein stillhalten
können, um schon dort den ersten Lorbeer um die Schläfe zu
winden?!
Wir sind übrigens — wenn der Vorfall sich erhärtet — dar-
auf gespannt, zu erfahren, wie besagter Geistliche die von ge-
wissen Leuten so sehr geschmähte, in so exorbitanter Weise in
seiner Wohnung geübte Censur hinnehmen wird. Ob sie sich
auch in diesem Falle gegen die verhaßte in den Riß legen wer-
den?! —
Schweiz.
Der „Eidgenosse“ bringt folgende Uebersicht der Steuern,
welche im Canton Luzern sowohl für das Armen= als Polizei-
wesen während acht Jahren von den Gemeinden bezogen ( resp.
bezahlt ) wurden:
Jm Jahr. Armensteuern. Polizeisteuern.
1841 52,661 Fr. 65,426 Fr.
1842 157,225 135,653
1843 134,567 150,400
1844 168,407 141,776
1845 144,566 116,346
1846 219,364 152,252
1847 283,159 143,210
1848 350,305 406,244
———————————————
Jn acht Jahren also 1,510,254 Fr. 1,311,307 Fr.
Frankreich.
*** Paris 30. October. Der politische Horizont umdüstert
sich wieder und selbst die Börse ist von Besorgnissen nicht frei.
Nicht als ob es sich um eine Haupt= und Staatsaction handelte,
oder als ob eine Störung des europäischen Friedens zu besorgen
wäre, — auf solche Capitaldinge lassen wir uns gar nicht mehr
ein, — sondern es handelt sich um die Ministerkrisis, in
welcher wir uns befinden, ja im Grunde nur um die Ersetz-
ung Fallour's, und ein Staatsgebäude, an welchem solche
Ereignisse nicht spurlos vorübergehen, muß in der That auf
schwachen Füßen ruhen! Hie und da will man wissen, daß Ca-
vaignac ins Ministerium eintreten und Changarnier durch La-
morici ère ersetzt werden solle, was ein offenbarer Uebertritt des
Präsidenten in das Lager der Linken wäre. Die nächsten Tage
müssen uns Aufschluß darüber bringen.
Man will wissen, daß die HH. Berryer und Piscatory be-
auftragt sind, eine Annäherung oder wo möglich ein förmliches
Einverständniß zwischen den beiden Zweigen des Hauses Bour-
bon zu Stande zu bringen.
Falloux hat, wie schon gemeldet, sein definitives Entlassungs-
gesuch eingereicht. Es läßt sich denken, wie viel dem Cabinet
daran liegen mußte ihm einen Nachfolger zu geben, welcher wie
er über die Stimmen der katholisch=legitimistischen Partei gebieten
könne; man hat sich daher alle Mühe gegeben Herrn de Vatimesnil
zu gewinnen, aber Herr de Vatimesnil hat auf den Rath seiner
Freunde das Portefeuille ausgeschlagen. Den Grund habe ich
Jhnen schon früher einmal angedeutet. Die Legitimisten denken:
So lange einer von unseren Freunden im Cabinet sitzt, können
wir demselben nie rücksichtslos unsere Meinung sagen; so wie
wir eine Regierungsmaßregel mißbilligen, werden die Minister
uns antworten: Was wollt Jhr? Euer eigener Gesinnungsge-
nosse, unser College, hat die Maßregel mit unterzeichnet. Besser
also, wir vermeiden jede intimere Beziehung zum Cabinet; die
Personen sind uns dann gleichgiltig, und wir können uns dann
frei entscheiden, sey es zur Unterstützung, sey es zur Befehdung
der Religionspolitik. So ist Herr de Vatimesnil dem Cabinet
verloren gegangen, und die meisten Aussichten auf das Portefeuille
hat nun Herr de Corcelles, der Unterhändler zu Rom und Gaeta.
Herr de Corcelles gehört jenem kleinen „Tiers=parti“ an, aus
welchem bereits die Minister Dufaure, Tocqueville, Passy, Lan-
juinais und die Gesandten zu Wien und St. Petersburg, Beau-
mont und Lamoricière hervorgegangen sind, d. h. der Partei
der conservativen Republikaner.
Das Cabinet erfreut sich überhaupt in der Nationalversamm-
lung _____einer Majorität, mit der sich der Präsident der Republik
nicht zu befreunden vermag. Ludwig Bonaparte befindet sich in
einem ganz isolirten Zustande, der zuweilen ganz drückend auf
seine Gemüthsstimmung wirkt. Einer seiner innigen Jugendfreunde
äußerte neulich in einem wohlbesuchten diplomatischen Kreise, daß
der Präsident des „Regierens“ satt sey, und den jetzigen constitu-
tionellen Zwitterzustand Frankreichs als einen unglücklichen für
seine Person wie für das Land betrachte. Es ist dieses allerdings
ein bedeutungsvoller Ausspruch, und namentlich deshalb, weil er
den Herzensergießungen der orleanistischen „Assemblee nationale“
gleichkömmt. Unter den einzelnen Mitgliedern der Bonaparte'schen
Familie herrscht noch immer kein Einverständniß. Das jüngere
Geschlecht derselben ist fast durchweg von einer Prätendentenwuth
beseelt, die vielleicht in späteren Zeiten noch zu manchen tollen
politischen Verirrungen führen dürfte.
Der „Constitutionnel“ erklärt sich ermächtigt, die Behaup-
tung der „Assemblee nationale,“ daß die drei nordischen Mächte
und der deutsche Bund der französischen Regierung eine auf die
Angelegenheiten der Schweiz bezügliche Note hätten überreichen
lassen, für unwahr zu bezeichnen.
Die Finanz=Commission unter Gouin's Vorsitz hat bereits die
besonderen Budgets der verschiedenen Ministerien geprüft und
Hrn. Berryer zum Berichterstatter über das Ausgabe=Budget für
1850 ernannt. Sie schlägt dem Vernehmen nach die Streichung
des außerordentlichen Budgets für die öffentlichen Arbeiten vor
und will in den verschiedenen Dienstzweigen, besonders beim
Kriege und der Marine, bedeutende Ersparungen eintreten lassen.
Bei dem Einnahme=Budget gedenkt sie die vom Finanzminister
geforderten Anleihen auf 200 Millionen Fr. zu beschränken. Der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung
Weitere Informationen:Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |