Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mainzer Journal. Nr. 261. Mainz, 3. November 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] jedoch unbegründet, da der neue Kriegsminister ihn gestern Abend
besucht hat.

Die neuen Minister sind sämmtlich der Majorität, und zwar
dem Repräsentantenvereine entnommen, der im Staatsrathspalaste
seine Versammlungen hält. Ueber ihre Persönlichkeit theilen wir
außer den oben schon gegebenen noch die nachstehenden Notizen
mit. Der General d'Hautpoul, der das Conseil nun in Abwesen-
heit Louis Bonaparte's präsidiren soll, war früher Legitimist und
grollte fünf Jahre lang der Julidynastie. Parrieu und Rouher
gelten als eifrige Conservative; letzterer war sogar früher Gui-
zot 's Candidat zur Deputirtenkammer gegen Combarel de Leyval,
der jetzt auch auf der Rechten sitzt. Ferdinand Barrot, der Louis
Bonaparte am meisten zur Entlassung seines Bruders Odilon ge-
trieben haben soll, ist seit längerer Zeit Secretariatschef der Prä-
sidentschaft und im Augenblicke das Factotum Louis Bonaparte's.
Seine Stellung als Minister des Jnnern gestattet ihm, die Polizei
und die geheimen Fonds ganz in die Hände seines Herrn und
Meisters zu bringen. Bineau, ein Civilingenieur, und Romain
Desfosses, ein Admiral, sind Mittelmäßigkeiten. De Rayneval
hat in der römischen Frage eher mit Oudinot, als mit dem Mini-
sterium und dem Briefe Louis Bonaparte's eine und dieselbe
politische Linie befolgt. Er ist Schwager des Hauptredacteurs des
einflußreichen "Journal des Debats." Der "National" meint,
das neue Ministerium bestehe aus unbekannten oder nur zu sehr
bekannten Männern und aus compromittirten oder compromitti-
renden Nullitäten. Es scheint im Gegentheil, daß Louis Bonaparte
in ihnen blos in Hinsicht auf die alten Parteien durchaus uncom-
promittirte Persönlichkeiten hat wählen wollen; denn es wird uns
versichert, daß die genannten Namen bei den Versammlnngen des
Repräsentantenvereines vom Staatsrathspalaste sich von der
streng legitimistischen wie von der streng orleanistischen Fraction
gleich fern hielten. Allem Anscheine nach hat Louis Bonaparte
also ein rein persönliches Cabinet gewählt. Man überläßt sich
bereits der Vermuthung, daß die bezeichneten Minister nicht acceptirt
haben, in welchem Falle, wie wir zuverlässig wissen, schon eine
ganz neue Ministerliste, zum Theil den Reihen der Lin-
ken entnommen,
bereit lag. Welches ist nun der Sinn dieser
Ministerrevolution? Welches ist der Eindruck, den er bei den
Parteien hervorbringt? Louis Bonaparte will selbst regieren und
will ferner nicht länger dazu dienen, den Legitimisten, wie er sich
ausgedrückt haben soll, die Castanien aus dem Feuer zu ziehen.
Ob er nun, wie die Journale der Opposition zu glauben und die
Manifeste des "Dix Decembre," die im Elysee selbst angefertigt
werden, anzudeuten scheinen, einen Staatsstreich beabsichtigt,
nachdem er der Majorität der Nationalversammlung durch die
Willkürlichkeit und Rücksichtslosigkeit seines Verfahrens den
Fehdehandschuh hingeworfen, oder ob er blos seinen reformato-
rischen Absichten eine freiere Aussicht auf Erfolg hat verschaffen
wollen, wird die nächste Zukunft lehren. Die conservativen
Journale nehmen die Ministerrevolution mit dem Ausdrucke des
Erstaunens auf, greifen jedoch die neue Liste, da sie aus den
Reihen der Majorität genommen ist, nicht an. Die auf die Legi-
timisten bezügliche Stelle der Botschaft bringt bei den Organen
dieser Partei große Entrüstung hervor. Auch verbergen sie sich
nicht, daß hinter der conservativen Farbe des Ministeriums doch
die Absicht auf persönliche Regierung, vielleicht auf die Einfüh-
rung des Kaiserthumes oder doch der erblichen Präsidentschaft,
durchblickt. Am ernstlichsten von sämmtlichen Blättern nimmt der
"National" diese Muthmaßung und die Gerüchte von einem
nahen Staatsstreiche, gegen die er nicht Anstand nimmt, die
Drohung sofortiger Steuerverweigerung zu schleudern. Proud-
hons
"Peuple" nennt das Cabinet kurzweg ein Fastnachts-
dienstags=Ministerium.

Paris 1. November. ( Köln. Z. ) Jch kam schon gestern
Abends in den Besitz der Ministerliste, allein sie trug so auffal-
lend den Charakter der Unwahrscheinlichkeit, daß ich voraussetzte:
entweder will die Person, die sie mir mittheilte, sich mit mir einen
schlechten Scherz erlauben, oder es hat Jemand sie zum Besten
gehabt. Eine Liste "junger Leute," d. i., um die Sache beim rech-
ten Namen zu nennen, eine Liste aus Adjutanten und Secretären
und sonst dergleichen eifrigen Dienern des Prinzen, wie unbekannt
sie auch seyn oder wie bekannt auch ihre Namen aus den aben-
teuerlichen Jahren des Prinzen klingen möchten, würde ich für
weit wahrscheinlicher gehalten haben, als die Zusammenstellung
dieser neun parlamentarischen Nullitäten, die Louis Napoleon
aus den verschiedenen Fractionen der Majorität herausgerissen
hat. Doch wie die Sage geht, ist das neue Ministerium nur ein
Uebergangsministerium, von welchem aus Louis Napoleon seinen
"jungen Leuten" die Portefeuilles zu übergeben gesonnen ist,
[Spaltenumbruch] welche, wie er voraussieht, den Ministern in Folge der Mißgunst
bei der Majorität bald aus den Händen fallen werden. Sind
erst die "jungen Leute" an der Gewalt, nun -- dann kann man
einen Schritt weiter gehen! Dieser Plan wird Louis Napoleon
allgemein unterlegt, ganz abgesehen von den Parteien. Die " Re-
publik " hegt hierüber dieselben Besorgnisse, wie die "Debats" und
"L'Ordre," mit dem Unterschiede jedoch, daß die Organe der Ma-
jorität den Präsidenten der Republik warnen und den Organen
der Minorität der Versuch eines Staatsstreiches von oben her gar
nicht unwillkommen wäre. Die Botschaft, durch welche Louis
Napoleon seinen Ministerwechsel der Kammer mittheilt und recht-
fertigt, ist weit entfernt, diese Voraussetzungen zu entkräften.
Wohl versichert Louis Napoleon von Neuem, seinem Eide auf
die Constitution treu zu bleiben; allein dieser Eid wie die Ver-
fassung sind nur Wort, während die ganze Botschaft darauf hin-
deutet, daß der Prinz von nun an allein in Frankreich herrschen
und von der Kammer völligen Umgang nehmen wolle: "Er
kann seine am 10. December erhaltene Mission nicht erfüllen,
wenn nicht zwischen ihm und seinen Ministern eine vollkommene
Gemeinschaft der Jdeen, Ansichten und Ueberzeugungen herrscht."
Da nun aber der Präsident seine neuen Minister aus derselben
Reihe genommen, in welche die alten zurückkehren, so muß man
nothwendiger Weise voraussetzen, daß L. Napoleon die ausge-
wählten neun Jndividuen als reine Maschinen zu behandeln be-
absichtigt. Das mag vielleicht mit dem Buchstaben, keineswegs
aber mit dem Geiste der Constitution übereinstimmen; denn un-
möglich kann die Constitution einer " demokratischen Repu-
blik
" darauf berechnet seyn, neben dem Namen eines Präsidenten
eine absolute Regierung herzustellen. Das ganze Document aber,
das gestern der Prinz in die Welt geschickt hat, zielt auf nichts
anderes, als auf eine Alleinherrschaft hin; was Wunder also,
wenn man ihm die Absicht zumuthet, daß er dieser Alleinherr-
schaft auch die äußere Form zu geben nicht weit entfernt ist?

Paris 1. November4 1 / 2 Uhr Nachmittags. Das neue Mi-
nisterium ist bis zu diesem Augenblicke noch nicht wirklich
zu Stande gekommen.
Gestern Abends war der größte
Theil der auf der Ministerliste genannten Personen entschlossen,
die ihnen zugedachten Portefeuilles zu übernehmen; nachdem sie
aber den Eindruck gesehen, welche die Botschaft des Präsidenten
und ihre Namen auf die Majorität und Minorität der legislati-
ven Versammlung gemacht haben, wichen sie vor der Schwierig-
keit der Stellung zurück. Jn diesem Augenblicke sind nur Ferd.
Barrot, der Freund und Privatsecretär Louis Napoleons, Achille
Fould und der Advocat Rouher noch entschlossen, den Versuch
eines Kampfes mit der Versammlung zu wagen. -- Die Ver-
legenheit und Verwirrung im Elysee National ist unbeschreiblich.
Heute Morgens um 11 Uhr wurde Emile de Girardin ins
Elysee National gerufen und eine Stunde später ging ein Cou-
rier nach London ab. Dort ist nun aber seit vorgestern Victor
Hugo anwesend; wie man sagt, ist er es, welcher durch den
Courier hierher berufen wird. -- Wie sich die Krisis lösen wird,
ist nicht abzusehen; so viel ist indessen gewiß, wir werden in den
nächsten Tagen entweder Mol e und Thiers am Ruder
sehen,
oder ein Ministerium der Linken wird der Ma-
jorität den Handschuh hinwerfen und ein Staats-
streich ist dann unausbleiblich.
-- Nachschrift. Die
Reunion im Saale des Staatsrathes ( alte Rue de Poitiers ) ist
seit 11 Uhr versammelt und soll, wie ich so eben höre, beschlossen
haben, eine Deputation an den Präsidenten abzusenden. Thiers
soll in der Sitzung zwei Stunden lang gesprochen haben. Der
Präsident wird das Aeußerste versuchen, ehe er sich in die Arme
des ihm jetzt persönlich verhaßt gewordenen Thiers wirft, der
nur auf den Moment lauert, in welchem er als Retter der
Staatsmaschine auftreten kann. -- Die Aufregung, welche in der
Stadtherrscht, wird noch durch die Ungewißheit vermehrt, in welcher
man über die Meinung des Generals Changarnier schwebt.



Deutschland.

Frankfurt 3. November. Der gewöhnliche Einfluß des
Samstags auf den Stand der Course an unserer Börse machte
sich auch heute geltend: die meisten Notirungen waren ein wenig
niedriger als gestern; am meisten fiel dies bei den Wiener Bank-
actien auf, welche um 10% zurückgingen, von 1335 auf 1325.
Metalliques 5%87 1 / 4, 4%70 3 / 8, 3%52 1 / 4,2 1 / 2 % 45. Nur
die Rothschild'schen fl. 500=Loose erhielten sich unverändert auf
151. Wiener Wechsel111 1 / 8. Mailand100 1 / 2 in Silber. Preu-
ßische Staatsschuldscheine88 1 / 2. Taunusbahnactien 294. Ludwigs-
hafen=Bexbach 85 1 / 2. Disconto1 1 / 2.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] jedoch unbegründet, da der neue Kriegsminister ihn gestern Abend
besucht hat.

Die neuen Minister sind sämmtlich der Majorität, und zwar
dem Repräsentantenvereine entnommen, der im Staatsrathspalaste
seine Versammlungen hält. Ueber ihre Persönlichkeit theilen wir
außer den oben schon gegebenen noch die nachstehenden Notizen
mit. Der General d'Hautpoul, der das Conseil nun in Abwesen-
heit Louis Bonaparte's präsidiren soll, war früher Legitimist und
grollte fünf Jahre lang der Julidynastie. Parrieu und Rouher
gelten als eifrige Conservative; letzterer war sogar früher Gui-
zot 's Candidat zur Deputirtenkammer gegen Combarel de Leyval,
der jetzt auch auf der Rechten sitzt. Ferdinand Barrot, der Louis
Bonaparte am meisten zur Entlassung seines Bruders Odilon ge-
trieben haben soll, ist seit längerer Zeit Secretariatschef der Prä-
sidentschaft und im Augenblicke das Factotum Louis Bonaparte's.
Seine Stellung als Minister des Jnnern gestattet ihm, die Polizei
und die geheimen Fonds ganz in die Hände seines Herrn und
Meisters zu bringen. Bineau, ein Civilingenieur, und Romain
Desfossés, ein Admiral, sind Mittelmäßigkeiten. De Rayneval
hat in der römischen Frage eher mit Oudinot, als mit dem Mini-
sterium und dem Briefe Louis Bonaparte's eine und dieselbe
politische Linie befolgt. Er ist Schwager des Hauptredacteurs des
einflußreichen „Journal des Debats.“ Der „National“ meint,
das neue Ministerium bestehe aus unbekannten oder nur zu sehr
bekannten Männern und aus compromittirten oder compromitti-
renden Nullitäten. Es scheint im Gegentheil, daß Louis Bonaparte
in ihnen blos in Hinsicht auf die alten Parteien durchaus uncom-
promittirte Persönlichkeiten hat wählen wollen; denn es wird uns
versichert, daß die genannten Namen bei den Versammlnngen des
Repräsentantenvereines vom Staatsrathspalaste sich von der
streng legitimistischen wie von der streng orleanistischen Fraction
gleich fern hielten. Allem Anscheine nach hat Louis Bonaparte
also ein rein persönliches Cabinet gewählt. Man überläßt sich
bereits der Vermuthung, daß die bezeichneten Minister nicht acceptirt
haben, in welchem Falle, wie wir zuverlässig wissen, schon eine
ganz neue Ministerliste, zum Theil den Reihen der Lin-
ken entnommen,
bereit lag. Welches ist nun der Sinn dieser
Ministerrevolution? Welches ist der Eindruck, den er bei den
Parteien hervorbringt? Louis Bonaparte will selbst regieren und
will ferner nicht länger dazu dienen, den Legitimisten, wie er sich
ausgedrückt haben soll, die Castanien aus dem Feuer zu ziehen.
Ob er nun, wie die Journale der Opposition zu glauben und die
Manifeste des „Dix Decembre,“ die im Elysee selbst angefertigt
werden, anzudeuten scheinen, einen Staatsstreich beabsichtigt,
nachdem er der Majorität der Nationalversammlung durch die
Willkürlichkeit und Rücksichtslosigkeit seines Verfahrens den
Fehdehandschuh hingeworfen, oder ob er blos seinen reformato-
rischen Absichten eine freiere Aussicht auf Erfolg hat verschaffen
wollen, wird die nächste Zukunft lehren. Die conservativen
Journale nehmen die Ministerrevolution mit dem Ausdrucke des
Erstaunens auf, greifen jedoch die neue Liste, da sie aus den
Reihen der Majorität genommen ist, nicht an. Die auf die Legi-
timisten bezügliche Stelle der Botschaft bringt bei den Organen
dieser Partei große Entrüstung hervor. Auch verbergen sie sich
nicht, daß hinter der conservativen Farbe des Ministeriums doch
die Absicht auf persönliche Regierung, vielleicht auf die Einfüh-
rung des Kaiserthumes oder doch der erblichen Präsidentschaft,
durchblickt. Am ernstlichsten von sämmtlichen Blättern nimmt der
„National“ diese Muthmaßung und die Gerüchte von einem
nahen Staatsstreiche, gegen die er nicht Anstand nimmt, die
Drohung sofortiger Steuerverweigerung zu schleudern. Proud-
hons
„Peuple“ nennt das Cabinet kurzweg ein Fastnachts-
dienstags=Ministerium.

Paris 1. November. ( Köln. Z. ) Jch kam schon gestern
Abends in den Besitz der Ministerliste, allein sie trug so auffal-
lend den Charakter der Unwahrscheinlichkeit, daß ich voraussetzte:
entweder will die Person, die sie mir mittheilte, sich mit mir einen
schlechten Scherz erlauben, oder es hat Jemand sie zum Besten
gehabt. Eine Liste „junger Leute,“ d. i., um die Sache beim rech-
ten Namen zu nennen, eine Liste aus Adjutanten und Secretären
und sonst dergleichen eifrigen Dienern des Prinzen, wie unbekannt
sie auch seyn oder wie bekannt auch ihre Namen aus den aben-
teuerlichen Jahren des Prinzen klingen möchten, würde ich für
weit wahrscheinlicher gehalten haben, als die Zusammenstellung
dieser neun parlamentarischen Nullitäten, die Louis Napoleon
aus den verschiedenen Fractionen der Majorität herausgerissen
hat. Doch wie die Sage geht, ist das neue Ministerium nur ein
Uebergangsministerium, von welchem aus Louis Napoleon seinen
„jungen Leuten“ die Portefeuilles zu übergeben gesonnen ist,
[Spaltenumbruch] welche, wie er voraussieht, den Ministern in Folge der Mißgunst
bei der Majorität bald aus den Händen fallen werden. Sind
erst die „jungen Leute“ an der Gewalt, nun — dann kann man
einen Schritt weiter gehen! Dieser Plan wird Louis Napoleon
allgemein unterlegt, ganz abgesehen von den Parteien. Die „ Re-
publik “ hegt hierüber dieselben Besorgnisse, wie die „Debats“ und
„L'Ordre,“ mit dem Unterschiede jedoch, daß die Organe der Ma-
jorität den Präsidenten der Republik warnen und den Organen
der Minorität der Versuch eines Staatsstreiches von oben her gar
nicht unwillkommen wäre. Die Botschaft, durch welche Louis
Napoleon seinen Ministerwechsel der Kammer mittheilt und recht-
fertigt, ist weit entfernt, diese Voraussetzungen zu entkräften.
Wohl versichert Louis Napoleon von Neuem, seinem Eide auf
die Constitution treu zu bleiben; allein dieser Eid wie die Ver-
fassung sind nur Wort, während die ganze Botschaft darauf hin-
deutet, daß der Prinz von nun an allein in Frankreich herrschen
und von der Kammer völligen Umgang nehmen wolle: „Er
kann seine am 10. December erhaltene Mission nicht erfüllen,
wenn nicht zwischen ihm und seinen Ministern eine vollkommene
Gemeinschaft der Jdeen, Ansichten und Ueberzeugungen herrscht.“
Da nun aber der Präsident seine neuen Minister aus derselben
Reihe genommen, in welche die alten zurückkehren, so muß man
nothwendiger Weise voraussetzen, daß L. Napoleon die ausge-
wählten neun Jndividuen als reine Maschinen zu behandeln be-
absichtigt. Das mag vielleicht mit dem Buchstaben, keineswegs
aber mit dem Geiste der Constitution übereinstimmen; denn un-
möglich kann die Constitution einer „ demokratischen Repu-
blik
“ darauf berechnet seyn, neben dem Namen eines Präsidenten
eine absolute Regierung herzustellen. Das ganze Document aber,
das gestern der Prinz in die Welt geschickt hat, zielt auf nichts
anderes, als auf eine Alleinherrschaft hin; was Wunder also,
wenn man ihm die Absicht zumuthet, daß er dieser Alleinherr-
schaft auch die äußere Form zu geben nicht weit entfernt ist?

Paris 1. November4 1 / 2 Uhr Nachmittags. Das neue Mi-
nisterium ist bis zu diesem Augenblicke noch nicht wirklich
zu Stande gekommen.
Gestern Abends war der größte
Theil der auf der Ministerliste genannten Personen entschlossen,
die ihnen zugedachten Portefeuilles zu übernehmen; nachdem sie
aber den Eindruck gesehen, welche die Botschaft des Präsidenten
und ihre Namen auf die Majorität und Minorität der legislati-
ven Versammlung gemacht haben, wichen sie vor der Schwierig-
keit der Stellung zurück. Jn diesem Augenblicke sind nur Ferd.
Barrot, der Freund und Privatsecretär Louis Napoleons, Achille
Fould und der Advocat Rouher noch entschlossen, den Versuch
eines Kampfes mit der Versammlung zu wagen. — Die Ver-
legenheit und Verwirrung im Elysee National ist unbeschreiblich.
Heute Morgens um 11 Uhr wurde Emile de Girardin ins
Elysee National gerufen und eine Stunde später ging ein Cou-
rier nach London ab. Dort ist nun aber seit vorgestern Victor
Hugo anwesend; wie man sagt, ist er es, welcher durch den
Courier hierher berufen wird. — Wie sich die Krisis lösen wird,
ist nicht abzusehen; so viel ist indessen gewiß, wir werden in den
nächsten Tagen entweder Mol é und Thiers am Ruder
sehen,
oder ein Ministerium der Linken wird der Ma-
jorität den Handschuh hinwerfen und ein Staats-
streich ist dann unausbleiblich.
Nachschrift. Die
Reunion im Saale des Staatsrathes ( alte Rue de Poitiers ) ist
seit 11 Uhr versammelt und soll, wie ich so eben höre, beschlossen
haben, eine Deputation an den Präsidenten abzusenden. Thiers
soll in der Sitzung zwei Stunden lang gesprochen haben. Der
Präsident wird das Aeußerste versuchen, ehe er sich in die Arme
des ihm jetzt persönlich verhaßt gewordenen Thiers wirft, der
nur auf den Moment lauert, in welchem er als Retter der
Staatsmaschine auftreten kann. — Die Aufregung, welche in der
Stadtherrscht, wird noch durch die Ungewißheit vermehrt, in welcher
man über die Meinung des Generals Changarnier schwebt.



Deutschland.

☽ Frankfurt 3. November. Der gewöhnliche Einfluß des
Samstags auf den Stand der Course an unserer Börse machte
sich auch heute geltend: die meisten Notirungen waren ein wenig
niedriger als gestern; am meisten fiel dies bei den Wiener Bank-
actien auf, welche um 10% zurückgingen, von 1335 auf 1325.
Metalliques 5%87 1 / 4, 4%70 3 / 8, 3%52 1 / 4,2 1 / 2 % 45. Nur
die Rothschild'schen fl. 500=Loose erhielten sich unverändert auf
151. Wiener Wechsel111 1 / 8. Mailand100 1 / 2 in Silber. Preu-
ßische Staatsschuldscheine88 1 / 2. Taunusbahnactien 294. Ludwigs-
hafen=Bexbach 85 1 / 2. Disconto1 1 / 2.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

<TEI>
  <text>
    <back>
      <div>
        <floatingText>
          <body>
            <div type="jPoliticalNews" n="1">
              <p><pb facs="#f0006"/><cb type="start"/>
jedoch unbegründet, da der neue Kriegsminister ihn gestern Abend<lb/>
besucht hat.</p><lb/>
              <p>Die neuen Minister sind sämmtlich der Majorität, und zwar<lb/>
dem Repräsentantenvereine entnommen, der im Staatsrathspalaste<lb/>
seine Versammlungen hält. Ueber ihre Persönlichkeit theilen wir<lb/>
außer den oben schon gegebenen noch die nachstehenden Notizen<lb/>
mit. Der General d'Hautpoul, der das Conseil nun in Abwesen-<lb/>
heit Louis Bonaparte's präsidiren soll, war früher Legitimist und<lb/>
grollte fünf Jahre lang der Julidynastie. Parrieu und Rouher<lb/>
gelten als eifrige Conservative; letzterer war sogar früher Gui-<lb/>
zot 's Candidat zur Deputirtenkammer gegen Combarel de Leyval,<lb/>
der jetzt auch auf der Rechten sitzt. Ferdinand Barrot, der Louis<lb/>
Bonaparte am meisten zur Entlassung seines Bruders Odilon ge-<lb/>
trieben haben soll, ist seit längerer Zeit Secretariatschef der Prä-<lb/>
sidentschaft und im Augenblicke das Factotum Louis Bonaparte's.<lb/>
Seine Stellung als Minister des Jnnern gestattet ihm, die Polizei<lb/>
und die geheimen Fonds ganz in die Hände seines Herrn und<lb/>
Meisters zu bringen. Bineau, ein Civilingenieur, und Romain<lb/>
Desfoss<hi rendition="#aq">é</hi>s, ein Admiral, sind Mittelmäßigkeiten. De Rayneval<lb/>
hat in der römischen Frage eher mit Oudinot, als mit dem Mini-<lb/>
sterium und dem Briefe Louis Bonaparte's eine und dieselbe<lb/>
politische Linie befolgt. Er ist Schwager des Hauptredacteurs des<lb/>
einflußreichen &#x201E;Journal des Debats.&#x201C; Der &#x201E;National&#x201C; meint,<lb/>
das neue Ministerium bestehe aus unbekannten oder nur zu sehr<lb/>
bekannten Männern und aus compromittirten oder compromitti-<lb/>
renden Nullitäten. Es scheint im Gegentheil, daß Louis Bonaparte<lb/>
in ihnen blos in Hinsicht auf die alten Parteien durchaus uncom-<lb/>
promittirte Persönlichkeiten hat wählen wollen; denn es wird uns<lb/>
versichert, daß die genannten Namen bei den Versammlnngen des<lb/>
Repräsentantenvereines vom Staatsrathspalaste sich von der<lb/>
streng legitimistischen wie von der streng orleanistischen Fraction<lb/>
gleich fern hielten. Allem Anscheine nach hat Louis Bonaparte<lb/>
also ein rein persönliches Cabinet gewählt. Man überläßt sich<lb/>
bereits der Vermuthung, daß die bezeichneten Minister nicht acceptirt<lb/>
haben, in welchem Falle, wie wir <hi rendition="#g">zuverlässig</hi> wissen, schon eine<lb/>
ganz neue Ministerliste, <hi rendition="#g">zum Theil den Reihen der Lin-<lb/>
ken entnommen,</hi> bereit lag. Welches ist nun der Sinn dieser<lb/>
Ministerrevolution? Welches ist der Eindruck, den er bei den<lb/>
Parteien hervorbringt? Louis Bonaparte will selbst regieren und<lb/>
will ferner nicht länger dazu dienen, den Legitimisten, wie er sich<lb/>
ausgedrückt haben soll, die Castanien aus dem Feuer zu ziehen.<lb/>
Ob er nun, wie die Journale der Opposition zu glauben und die<lb/>
Manifeste des &#x201E;Dix Decembre,&#x201C; die im Elysee selbst angefertigt<lb/>
werden, anzudeuten scheinen, einen Staatsstreich beabsichtigt,<lb/>
nachdem er der Majorität der Nationalversammlung durch die<lb/>
Willkürlichkeit und Rücksichtslosigkeit seines Verfahrens den<lb/>
Fehdehandschuh hingeworfen, oder ob er blos seinen reformato-<lb/>
rischen Absichten eine freiere Aussicht auf Erfolg hat verschaffen<lb/>
wollen, wird die nächste Zukunft lehren. Die conservativen<lb/>
Journale nehmen die Ministerrevolution mit dem Ausdrucke des<lb/>
Erstaunens auf, greifen jedoch die neue Liste, da sie aus den<lb/>
Reihen der Majorität genommen ist, nicht an. Die auf die Legi-<lb/>
timisten bezügliche Stelle der Botschaft bringt bei den Organen<lb/>
dieser Partei große Entrüstung hervor. Auch verbergen sie sich<lb/>
nicht, daß hinter der conservativen Farbe des Ministeriums doch<lb/>
die Absicht auf persönliche Regierung, vielleicht auf die Einfüh-<lb/>
rung des Kaiserthumes oder doch der erblichen Präsidentschaft,<lb/>
durchblickt. Am ernstlichsten von sämmtlichen Blättern nimmt der<lb/>
&#x201E;National&#x201C; diese Muthmaßung und die Gerüchte von einem<lb/>
nahen Staatsstreiche, gegen die er nicht Anstand nimmt, die<lb/>
Drohung sofortiger Steuerverweigerung zu schleudern. <hi rendition="#g">Proud-<lb/>
hons</hi> &#x201E;Peuple&#x201C; nennt das Cabinet kurzweg ein Fastnachts-<lb/>
dienstags=Ministerium.</p><lb/>
              <p>Paris 1. November. ( Köln. Z. ) Jch kam schon gestern<lb/>
Abends in den Besitz der Ministerliste, allein sie trug so auffal-<lb/>
lend den Charakter der Unwahrscheinlichkeit, daß ich voraussetzte:<lb/>
entweder will die Person, die sie mir mittheilte, sich mit mir einen<lb/>
schlechten Scherz erlauben, oder es hat Jemand sie zum Besten<lb/>
gehabt. Eine Liste &#x201E;junger Leute,&#x201C; d. i., um die Sache beim rech-<lb/>
ten Namen zu nennen, eine Liste aus Adjutanten und Secretären<lb/>
und sonst dergleichen eifrigen Dienern des Prinzen, wie unbekannt<lb/>
sie auch seyn oder wie bekannt auch ihre Namen aus den aben-<lb/>
teuerlichen Jahren des Prinzen klingen möchten, würde ich für<lb/>
weit wahrscheinlicher gehalten haben, als die Zusammenstellung<lb/>
dieser neun parlamentarischen Nullitäten, die Louis Napoleon<lb/>
aus den verschiedenen Fractionen der Majorität herausgerissen<lb/>
hat. Doch wie die Sage geht, ist das neue Ministerium nur ein<lb/>
Uebergangsministerium, von welchem aus Louis Napoleon seinen<lb/>
&#x201E;jungen Leuten&#x201C; die Portefeuilles zu übergeben gesonnen ist,<lb/><cb n="2"/>
welche, wie er voraussieht, den Ministern in Folge der Mißgunst<lb/>
bei der Majorität bald aus den Händen fallen werden. Sind<lb/>
erst die &#x201E;jungen Leute&#x201C; an der Gewalt, nun &#x2014; dann kann man<lb/>
einen Schritt weiter gehen! Dieser Plan wird Louis Napoleon<lb/>
allgemein unterlegt, ganz abgesehen von den Parteien. Die &#x201E; Re-<lb/>
publik &#x201C; hegt hierüber dieselben Besorgnisse, wie die &#x201E;Debats&#x201C; und<lb/>
&#x201E;L'Ordre,&#x201C; mit dem Unterschiede jedoch, daß die Organe der Ma-<lb/>
jorität den Präsidenten der Republik warnen und den Organen<lb/>
der Minorität der Versuch eines Staatsstreiches von oben her gar<lb/>
nicht unwillkommen wäre. Die Botschaft, durch welche Louis<lb/>
Napoleon seinen Ministerwechsel der Kammer mittheilt und recht-<lb/>
fertigt, ist weit entfernt, diese Voraussetzungen zu entkräften.<lb/>
Wohl versichert Louis Napoleon von Neuem, seinem Eide auf<lb/>
die Constitution treu zu bleiben; allein dieser Eid wie die Ver-<lb/>
fassung sind nur Wort, während die ganze Botschaft darauf hin-<lb/>
deutet, daß der Prinz von nun an allein in Frankreich herrschen<lb/>
und von der Kammer völligen Umgang nehmen wolle: &#x201E;Er<lb/>
kann seine am 10. December erhaltene Mission nicht erfüllen,<lb/>
wenn nicht zwischen ihm und seinen Ministern eine vollkommene<lb/>
Gemeinschaft der Jdeen, Ansichten und Ueberzeugungen herrscht.&#x201C;<lb/>
Da nun aber der Präsident seine neuen Minister aus derselben<lb/>
Reihe genommen, in welche die alten zurückkehren, so muß man<lb/>
nothwendiger Weise voraussetzen, daß L. Napoleon die ausge-<lb/>
wählten neun Jndividuen als reine Maschinen zu behandeln be-<lb/>
absichtigt. Das mag vielleicht mit dem Buchstaben, keineswegs<lb/>
aber mit dem Geiste der Constitution übereinstimmen; denn un-<lb/>
möglich kann die Constitution einer &#x201E; <hi rendition="#g">demokratischen Repu-<lb/>
blik</hi> &#x201C; darauf berechnet seyn, neben dem Namen eines Präsidenten<lb/>
eine absolute Regierung herzustellen. Das ganze Document aber,<lb/>
das gestern der Prinz in die Welt geschickt hat, zielt auf nichts<lb/>
anderes, als auf eine Alleinherrschaft hin; was Wunder also,<lb/>
wenn man ihm die Absicht zumuthet, daß er dieser Alleinherr-<lb/>
schaft auch die äußere Form zu geben nicht weit entfernt ist?</p><lb/>
              <p>Paris 1. November4 1 / 2 Uhr Nachmittags. Das neue Mi-<lb/>
nisterium ist bis zu diesem Augenblicke <hi rendition="#g">noch nicht wirklich<lb/>
zu Stande gekommen.</hi> Gestern Abends war der größte<lb/>
Theil der auf der Ministerliste genannten Personen entschlossen,<lb/>
die ihnen zugedachten Portefeuilles zu übernehmen; nachdem sie<lb/>
aber den Eindruck gesehen, welche die Botschaft des Präsidenten<lb/>
und ihre Namen auf die Majorität und Minorität der legislati-<lb/>
ven Versammlung gemacht haben, wichen sie vor der Schwierig-<lb/>
keit der Stellung zurück. Jn diesem Augenblicke sind nur Ferd.<lb/>
Barrot, der Freund und Privatsecretär Louis Napoleons, Achille<lb/>
Fould und der Advocat Rouher noch entschlossen, den Versuch<lb/>
eines Kampfes mit der Versammlung zu wagen. &#x2014; Die Ver-<lb/>
legenheit und Verwirrung im Elysee National ist unbeschreiblich.<lb/>
Heute Morgens um 11 Uhr wurde Emile de Girardin ins<lb/>
Elysee National gerufen und eine Stunde später ging ein Cou-<lb/>
rier nach London ab. Dort ist nun aber seit vorgestern Victor<lb/>
Hugo anwesend; wie man sagt, ist er es, welcher durch den<lb/>
Courier hierher berufen wird. &#x2014; Wie sich die Krisis lösen wird,<lb/>
ist nicht abzusehen; so viel ist indessen gewiß, wir werden in den<lb/>
nächsten Tagen <hi rendition="#g">entweder Mol <hi rendition="#aq">é</hi> und Thiers am Ruder<lb/>
sehen,</hi> oder <hi rendition="#g">ein Ministerium der Linken wird der Ma-<lb/>
jorität den Handschuh hinwerfen und ein Staats-<lb/>
streich ist dann unausbleiblich.</hi> &#x2014; <hi rendition="#g">Nachschrift.</hi> Die<lb/>
Reunion im Saale des Staatsrathes ( alte Rue de Poitiers ) ist<lb/>
seit 11 Uhr versammelt und soll, wie ich so eben höre, beschlossen<lb/>
haben, eine Deputation an den Präsidenten abzusenden. Thiers<lb/>
soll in der Sitzung zwei Stunden lang gesprochen haben. Der<lb/>
Präsident wird das Aeußerste versuchen, ehe er sich in die Arme<lb/>
des ihm jetzt persönlich verhaßt gewordenen Thiers wirft, der<lb/>
nur auf den Moment lauert, in welchem er als Retter der<lb/>
Staatsmaschine auftreten kann. &#x2014; Die Aufregung, welche in der<lb/>
Stadtherrscht, wird noch durch die Ungewißheit vermehrt, in welcher<lb/>
man über die Meinung des Generals Changarnier schwebt.</p>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <div type="jFinancialNews" n="1">
              <head> <hi rendition="#g">Deutschland.</hi> </head><lb/>
              <p>&#x263D; Frankfurt 3. November. Der gewöhnliche Einfluß des<lb/>
Samstags auf den Stand der Course an unserer Börse machte<lb/>
sich auch heute geltend: die meisten Notirungen waren ein wenig<lb/>
niedriger als gestern; am meisten fiel dies bei den Wiener Bank-<lb/>
actien auf, welche um 10% zurückgingen, von 1335 auf 1325.<lb/>
Metalliques 5%87 1 / 4, 4%70 3 / 8, 3%52 1 / 4,2 1 / 2 % 45. Nur<lb/>
die Rothschild'schen fl. 500=Loose erhielten sich unverändert auf<lb/>
151. Wiener Wechsel111 1 / 8. Mailand100 1 / 2 in Silber. Preu-<lb/>
ßische Staatsschuldscheine88 1 / 2. Taunusbahnactien 294. Ludwigs-<lb/>
hafen=Bexbach 85 1 / 2. Disconto1 1 / 2.</p>
            </div><lb/>
            <cb type="end"/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <div type="jPoliticalNews" n="1">
              <p>Redacteur: Franz Sausen. &#x2014; Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. &#x2014; Druck von Florian Kupferberg.</p>
            </div><lb/>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[0006] jedoch unbegründet, da der neue Kriegsminister ihn gestern Abend besucht hat. Die neuen Minister sind sämmtlich der Majorität, und zwar dem Repräsentantenvereine entnommen, der im Staatsrathspalaste seine Versammlungen hält. Ueber ihre Persönlichkeit theilen wir außer den oben schon gegebenen noch die nachstehenden Notizen mit. Der General d'Hautpoul, der das Conseil nun in Abwesen- heit Louis Bonaparte's präsidiren soll, war früher Legitimist und grollte fünf Jahre lang der Julidynastie. Parrieu und Rouher gelten als eifrige Conservative; letzterer war sogar früher Gui- zot 's Candidat zur Deputirtenkammer gegen Combarel de Leyval, der jetzt auch auf der Rechten sitzt. Ferdinand Barrot, der Louis Bonaparte am meisten zur Entlassung seines Bruders Odilon ge- trieben haben soll, ist seit längerer Zeit Secretariatschef der Prä- sidentschaft und im Augenblicke das Factotum Louis Bonaparte's. Seine Stellung als Minister des Jnnern gestattet ihm, die Polizei und die geheimen Fonds ganz in die Hände seines Herrn und Meisters zu bringen. Bineau, ein Civilingenieur, und Romain Desfossés, ein Admiral, sind Mittelmäßigkeiten. De Rayneval hat in der römischen Frage eher mit Oudinot, als mit dem Mini- sterium und dem Briefe Louis Bonaparte's eine und dieselbe politische Linie befolgt. Er ist Schwager des Hauptredacteurs des einflußreichen „Journal des Debats.“ Der „National“ meint, das neue Ministerium bestehe aus unbekannten oder nur zu sehr bekannten Männern und aus compromittirten oder compromitti- renden Nullitäten. Es scheint im Gegentheil, daß Louis Bonaparte in ihnen blos in Hinsicht auf die alten Parteien durchaus uncom- promittirte Persönlichkeiten hat wählen wollen; denn es wird uns versichert, daß die genannten Namen bei den Versammlnngen des Repräsentantenvereines vom Staatsrathspalaste sich von der streng legitimistischen wie von der streng orleanistischen Fraction gleich fern hielten. Allem Anscheine nach hat Louis Bonaparte also ein rein persönliches Cabinet gewählt. Man überläßt sich bereits der Vermuthung, daß die bezeichneten Minister nicht acceptirt haben, in welchem Falle, wie wir zuverlässig wissen, schon eine ganz neue Ministerliste, zum Theil den Reihen der Lin- ken entnommen, bereit lag. Welches ist nun der Sinn dieser Ministerrevolution? Welches ist der Eindruck, den er bei den Parteien hervorbringt? Louis Bonaparte will selbst regieren und will ferner nicht länger dazu dienen, den Legitimisten, wie er sich ausgedrückt haben soll, die Castanien aus dem Feuer zu ziehen. Ob er nun, wie die Journale der Opposition zu glauben und die Manifeste des „Dix Decembre,“ die im Elysee selbst angefertigt werden, anzudeuten scheinen, einen Staatsstreich beabsichtigt, nachdem er der Majorität der Nationalversammlung durch die Willkürlichkeit und Rücksichtslosigkeit seines Verfahrens den Fehdehandschuh hingeworfen, oder ob er blos seinen reformato- rischen Absichten eine freiere Aussicht auf Erfolg hat verschaffen wollen, wird die nächste Zukunft lehren. Die conservativen Journale nehmen die Ministerrevolution mit dem Ausdrucke des Erstaunens auf, greifen jedoch die neue Liste, da sie aus den Reihen der Majorität genommen ist, nicht an. Die auf die Legi- timisten bezügliche Stelle der Botschaft bringt bei den Organen dieser Partei große Entrüstung hervor. Auch verbergen sie sich nicht, daß hinter der conservativen Farbe des Ministeriums doch die Absicht auf persönliche Regierung, vielleicht auf die Einfüh- rung des Kaiserthumes oder doch der erblichen Präsidentschaft, durchblickt. Am ernstlichsten von sämmtlichen Blättern nimmt der „National“ diese Muthmaßung und die Gerüchte von einem nahen Staatsstreiche, gegen die er nicht Anstand nimmt, die Drohung sofortiger Steuerverweigerung zu schleudern. Proud- hons „Peuple“ nennt das Cabinet kurzweg ein Fastnachts- dienstags=Ministerium. Paris 1. November. ( Köln. Z. ) Jch kam schon gestern Abends in den Besitz der Ministerliste, allein sie trug so auffal- lend den Charakter der Unwahrscheinlichkeit, daß ich voraussetzte: entweder will die Person, die sie mir mittheilte, sich mit mir einen schlechten Scherz erlauben, oder es hat Jemand sie zum Besten gehabt. Eine Liste „junger Leute,“ d. i., um die Sache beim rech- ten Namen zu nennen, eine Liste aus Adjutanten und Secretären und sonst dergleichen eifrigen Dienern des Prinzen, wie unbekannt sie auch seyn oder wie bekannt auch ihre Namen aus den aben- teuerlichen Jahren des Prinzen klingen möchten, würde ich für weit wahrscheinlicher gehalten haben, als die Zusammenstellung dieser neun parlamentarischen Nullitäten, die Louis Napoleon aus den verschiedenen Fractionen der Majorität herausgerissen hat. Doch wie die Sage geht, ist das neue Ministerium nur ein Uebergangsministerium, von welchem aus Louis Napoleon seinen „jungen Leuten“ die Portefeuilles zu übergeben gesonnen ist, welche, wie er voraussieht, den Ministern in Folge der Mißgunst bei der Majorität bald aus den Händen fallen werden. Sind erst die „jungen Leute“ an der Gewalt, nun — dann kann man einen Schritt weiter gehen! Dieser Plan wird Louis Napoleon allgemein unterlegt, ganz abgesehen von den Parteien. Die „ Re- publik “ hegt hierüber dieselben Besorgnisse, wie die „Debats“ und „L'Ordre,“ mit dem Unterschiede jedoch, daß die Organe der Ma- jorität den Präsidenten der Republik warnen und den Organen der Minorität der Versuch eines Staatsstreiches von oben her gar nicht unwillkommen wäre. Die Botschaft, durch welche Louis Napoleon seinen Ministerwechsel der Kammer mittheilt und recht- fertigt, ist weit entfernt, diese Voraussetzungen zu entkräften. Wohl versichert Louis Napoleon von Neuem, seinem Eide auf die Constitution treu zu bleiben; allein dieser Eid wie die Ver- fassung sind nur Wort, während die ganze Botschaft darauf hin- deutet, daß der Prinz von nun an allein in Frankreich herrschen und von der Kammer völligen Umgang nehmen wolle: „Er kann seine am 10. December erhaltene Mission nicht erfüllen, wenn nicht zwischen ihm und seinen Ministern eine vollkommene Gemeinschaft der Jdeen, Ansichten und Ueberzeugungen herrscht.“ Da nun aber der Präsident seine neuen Minister aus derselben Reihe genommen, in welche die alten zurückkehren, so muß man nothwendiger Weise voraussetzen, daß L. Napoleon die ausge- wählten neun Jndividuen als reine Maschinen zu behandeln be- absichtigt. Das mag vielleicht mit dem Buchstaben, keineswegs aber mit dem Geiste der Constitution übereinstimmen; denn un- möglich kann die Constitution einer „ demokratischen Repu- blik “ darauf berechnet seyn, neben dem Namen eines Präsidenten eine absolute Regierung herzustellen. Das ganze Document aber, das gestern der Prinz in die Welt geschickt hat, zielt auf nichts anderes, als auf eine Alleinherrschaft hin; was Wunder also, wenn man ihm die Absicht zumuthet, daß er dieser Alleinherr- schaft auch die äußere Form zu geben nicht weit entfernt ist? Paris 1. November4 1 / 2 Uhr Nachmittags. Das neue Mi- nisterium ist bis zu diesem Augenblicke noch nicht wirklich zu Stande gekommen. Gestern Abends war der größte Theil der auf der Ministerliste genannten Personen entschlossen, die ihnen zugedachten Portefeuilles zu übernehmen; nachdem sie aber den Eindruck gesehen, welche die Botschaft des Präsidenten und ihre Namen auf die Majorität und Minorität der legislati- ven Versammlung gemacht haben, wichen sie vor der Schwierig- keit der Stellung zurück. Jn diesem Augenblicke sind nur Ferd. Barrot, der Freund und Privatsecretär Louis Napoleons, Achille Fould und der Advocat Rouher noch entschlossen, den Versuch eines Kampfes mit der Versammlung zu wagen. — Die Ver- legenheit und Verwirrung im Elysee National ist unbeschreiblich. Heute Morgens um 11 Uhr wurde Emile de Girardin ins Elysee National gerufen und eine Stunde später ging ein Cou- rier nach London ab. Dort ist nun aber seit vorgestern Victor Hugo anwesend; wie man sagt, ist er es, welcher durch den Courier hierher berufen wird. — Wie sich die Krisis lösen wird, ist nicht abzusehen; so viel ist indessen gewiß, wir werden in den nächsten Tagen entweder Mol é und Thiers am Ruder sehen, oder ein Ministerium der Linken wird der Ma- jorität den Handschuh hinwerfen und ein Staats- streich ist dann unausbleiblich. — Nachschrift. Die Reunion im Saale des Staatsrathes ( alte Rue de Poitiers ) ist seit 11 Uhr versammelt und soll, wie ich so eben höre, beschlossen haben, eine Deputation an den Präsidenten abzusenden. Thiers soll in der Sitzung zwei Stunden lang gesprochen haben. Der Präsident wird das Aeußerste versuchen, ehe er sich in die Arme des ihm jetzt persönlich verhaßt gewordenen Thiers wirft, der nur auf den Moment lauert, in welchem er als Retter der Staatsmaschine auftreten kann. — Die Aufregung, welche in der Stadtherrscht, wird noch durch die Ungewißheit vermehrt, in welcher man über die Meinung des Generals Changarnier schwebt. Deutschland. ☽ Frankfurt 3. November. Der gewöhnliche Einfluß des Samstags auf den Stand der Course an unserer Börse machte sich auch heute geltend: die meisten Notirungen waren ein wenig niedriger als gestern; am meisten fiel dies bei den Wiener Bank- actien auf, welche um 10% zurückgingen, von 1335 auf 1325. Metalliques 5%87 1 / 4, 4%70 3 / 8, 3%52 1 / 4,2 1 / 2 % 45. Nur die Rothschild'schen fl. 500=Loose erhielten sich unverändert auf 151. Wiener Wechsel111 1 / 8. Mailand100 1 / 2 in Silber. Preu- ßische Staatsschuldscheine88 1 / 2. Taunusbahnactien 294. Ludwigs- hafen=Bexbach 85 1 / 2. Disconto1 1 / 2. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal261_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal261_1849/6
Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 261. Mainz, 3. November 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal261_1849/6>, abgerufen am 21.11.2024.