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Marburger Zeitung. Nr. 141, Marburg, 24.11.1910.

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Marburger Zeitung Nr. 141. 24. November 1910

[Spaltenumbruch] mando des Zugsführers Fritz Günther nach erhaltener
Meldung ab und traf als erste am Brandplatze ein.
Hierauf folgten die Feuerwehren von Gams und
Pobersch. Infolge einer Meldung des Türmers, daß
es hinter dem Gasthause Wodenig brenne, fuhr die
Dampfspritze unter dem Kommando des Haupt-
mannes Alois Heu, bis sich der Irrtum aufklärte,
etwas später aus. Für die Feuerwehren gab es
reichlich Arbeit, da durch die vielen Futtervorräte
und das massive Gerüst des Gebäudes das Feuer
reichliche Nahrung fand. Die Dampfspritze wurde
bei einem in der Nähe befindlichen Teiche aufge-
stellt und trug zur Lokalisierung des Brandes be-
deutend bei. Unsere Wehr rückte um 1 Uhr nachts
ein. Die Brandwache übernahm die Gamser Feuer-
wehr. Der Schaden dürfte ungefähr 6000 Kronen
betragen. Am Brandplatze erschien auch Bürger-
meister und Bezirksobmann Herr Dr. Schmiderer.
Trotz der vorgerückten Abendstunde eilten, durch
den großen Feuerschein angeregt, viele Neugierige
aus der Stadt der Brandstelle zu. Die Ablöschung
ging prompt von statten und es gebührt allen Feuer-
wehren volles Lob. Das Hauptgebäude blieb voll-
kommen erhalten, trotzdem die Windrichtung gegen
dieses Objekt war.

Vom Theater.

Heute abends (Serie rot)
kommt die gewiß gelungene Schwankneuheit "O
diese Leutnants" zur Erstaufführung. Morgen Frei-
tag bleibt das Theater geschlossen. Für Samstag
(Serie blau) ist die Operettennovität "Reiche Mäd-
chen", welche voriges Jahr das Repertoire des
Raimundtheaters in Wien und sämtlicher Provinz-
bühnen beherrschte, zur Erstaufführung in Aus-
sicht genommen. Die Qualität dieser Qperette an-
zupreisen, ist rein überflüssig, wenn man bedenkt,
daß das Buch eher ein gesundes Lebensbild, als
ein Operettenlibretto genannt werden muß. Die
Musik ist von Johann Strauß, damit ist alles ge-
sagt! Die männliche Hauptrolle, in der unser großer
Girardi erst vor kurzem in Graz Triumphe feierte,
wird hier Herr Regisseur Theodor Lamberg spielen.
Die übrigen Hauptrollen sind durch die Herren Mar-
low, Eichner, Gerold, Dr. Schippell und die Damen
Dornbach, Kocholl und Unger besetzt. Die Operette
ist gut vorbereitet und somit hofft die Direktion,
ihrem Theaterpublikum wieder einen Schlager
bringen zu können. Sonntag nachmittags (Serie rot)
wird die so überaus beifällig aufgenommene Operette
"Ein Herbstmanöver" und ebenso abends (Serie blau)
zum letztenmale die Operette "Der schöne Rigo"
gegeben. Für Montag den 28. November (Serie rot)
steht die zweite Aufführung der Operettenneuheit
"Reiche Mädchen" am Repertoire. In Vorbereitung
sind die Operette "Das Fürstenkind" mit neuer
ßenischer Ausstattung, sowie der herrliche Schwank
"Die Erbtante".

Ein lebensüberdrüssiger Laudesge-
richtsrat.

Vorgestern nachmittags hat in einem
Sanatorium bei Graz der aus Klagenfurt zugereiste
Landesgerichtsrat Franz Kneß seinem Leben frei-
willig ein Ende gemacht. Landesgerichtsrat Kneß
war schon seit längerer Zeit schwer nervenleidend
und hatte deshalb vor einiger Zeit jenes Sanato-
rium aufgesucht. Der Patient fühlte sich unglücklich,
weil er der Meinung war, daß er krankheitshalber
pensioniert werden könnte. In einem unbewachten
Augenblicke schnitt er sich mit einem Rasiermesser
die Halsadern durch.

Glockenweihe.

Man schreibt uns: Es ist
etwas Schönes, wenn durch eine ganze Gemeinde
ein einzig Gefühl der Freude geht. Die evangelische
Gemeinde Marburg erlebte das am Sonntag den
20. November, an dem Tage, da sie ihre drei neuen
Glocken einweihte. Der Festgottesdienst, zu dem
Bezirkshauptmannschaft und Stadtgemeinde ihre
Vertreter entsandt hatten, wurde eingeleitet durch
einen Bläserchor, der vom Turm herab in den
winterlichen Morgen hinein das protestantische
Tedeum schmetterte: "Nun danket alle Gott." Die
schön geschmückte Christuskirche war überfüllt. Macht-
voll erbrauste, nunmehr von der Gemeinde gesungen
unter der Begleitung von Orgel und Blasinstrumenten,
noch einmal der herrliche Dankchoral, dann wurden
unter Gotteswort und Gebet die Glocken dem Ge-
brauch der Gemeinde übergeben und sofort klang
der siegfrohe, hoffnungsstarke Dreiklang der metallenen
Mahnerinnen im Turm über die Häupter der lauschen-
den Gemeinde, über die Häuser der Stadt dahin,
wohl fünf Minuten lang. Da war wohl jedes Herz
tiefbewegt, und in manchem Auge schimmerte es
feucht. Dieser Stimmung gab der Kirchenchor treff-
lichen Ausdruck durch den Vortrag von Psalm 113,
8: "Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig
[Spaltenumbruch] und von großer Güte", worauf die Gemeinde das
altniederländische Volkslied sang: "Wir treten zum
Beten vor Gott den Gerechten". Als der Schluß
verhallt war: "Herr mach' uns frei", hielt Herr
Pfarrrr Mahnert die Festpredigt über die Glocken-
inschriften Lukas 2, 14: "Ehre sei Gott in der
Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein
Wohlgefallen." Abermaliges Glockengeläute und die
Feier des heiligen Abendmahles beschloß die schöne,
schlichte und eindrucksvolle Feier. -- Die neuen
Glocken sind von der Hofglockengießerei Franz
Schilling in Apolda geliefert und kosten alles in
allem 6615 Mark. Sie sind auf die Töne e gis h
gestimmt und geben ein prächtiges Geläute. Die
große wiegt 1157 Kilogramm, die mittlere 539
Kilogramm und die kleine 310 Kilogramm; der
Glockenstuhl ist von Eisen. Mit großer Begeisterung
und Opferfreudigkeit hat die Gemeinde für die Glocken
gesteuert, so ein Gemeindeglied 923 K., ein anderes
300 K., zwei andere je 200 K., ein Arbeiter 50 K.
und ein anderer 40 K. Weitere Gaben laufen noch
immer ein, sind aber auch noch nötig, bis das
ganze Werk bezahlt sein wird. Auch der Ausschuß
zur Förderung der evangelischen Kirche in Österreich
sandte 150 K. Unter den Glückwunschschreiben be-
fand sich auch eines von unserem früheren Vikar
Herrn Müller, jetzt Pfarrer in Harskirchen bei
Saarunion im Elsaß. Und nun klingen unsere Glocken
fröhlich dahin Tag für Tag und singen ein Lied
vom neuerwachten und neuerstarkten Protestantismus
in unserer Stadt. Mögen sie immer klingen über
einer glaubensstarken, siegfrohen, liebereichen und
tapferen Gemeinde!

Der Deutschvölkische Verband "Drau-
wacht"

hält Samstag den 3. Dezember um 8 Uhr
abends im unteren Kasino-Konzertsaale seine Jul-
feier
ab. Deutsche Gäste sind herzlich willkommen.

Ernennung im Forstdienste.

Zum Nach-
folger des verstorbenen fürstl. Windischgrätz'schen
Forstmeisters Simony in Rohitsch wurde der
Förster Hollmann aus Tachau bestimmt.

Für Stotternde.

Diesen Leidenden dauernde
Heilung zu bringen, ihnen über die Fährnisse und
Klippen hinwegzuhelfen, die sich ihnen auf jedem
Schritt ihrer Lebenstätigkeit in den Weg stellen,
ist ein höchst dankenswertes Ziel. Eine neue, wirk-
same Methode schuf Professor Neumann, der
Besitzer der bekannten Sprachheilanstalt in Meran.
Sie richiet sich vornehmlich gegen das psychische
Moment (das seelische Empfinden des Sprach-
patienten), da jeder Stotterer mehr oder weniger
gut sprechen kann, wenn die geistige Depression seine
Sprachstörung nicht hervorruft. In wie voll-
kommener Weise die Heliung des Stotternübels
möglich ist, bewies das Institut gelegentlich eines
Vortrages. Es stellte u. a. einen Bäckermeister vor,
der den Sprachkurs vor drei Jahren mit großem
Erfolge mitgemacht hat. Der frühere Sprachpatient
schilderte in beinahe halbstündiger tadelloser Rede
das Leben des jungen Stotterers, dessen Leiden
niemand versteht, und der überall mit Spott und
Gelächter verfolgt wird. Er klagte auch über die
Verständnislosigkeit noch mancher Lehrer und Er-
zieher gegen diese Kranken. Die Schädigungen, die
dem Einzelnen durch das Sprachgebrechen erwachsen,
sind leider noch zu wenig bekannt. Im Kampfe um
wirtschaftliches Dasein unterliegt der Stotterer jedes
Mal durch seine Unselbständigkeit und Unbeholfen-
heit und mancher Schüler vermag trotz großer In-
telligenz und großem Fleiße den Schulaufgaben
nicht genügend zu folgen. Aber auch der allgemeine
Zustand leidet häufig unter dem Sprachübel, und
dauernd geistige Beschränktheit ist bei diesen Ärmsten
gar zu oft die Folge gröblicher Vernachlässigung.
Die oben genannte Anstalt wird, einem Wunsche
entsprechend, in Marburg einen solchen Heilkurs
errichten und sind Anmeldungen Sonntag und Mon-
tag den 27. und 28. November von 9--1 Uhr,
Montag auch noch von 4--7 Uhr nachmittags im
Hotel "Erzherzog Johann" zu bewirken,

Bei einer Gasthausbelagerung den
Tod gefunden.

Aus St. Kunigund wird
berichtet: Sonntag abends befanden sich im Gast-
hause des Simon Leb in Wörtitschberg der
20jährige, als Raufer gefürchtete Josef Koschuch,
dessen Bruder Leopold Purgaj aus Platsch,
Franz Rath und Johann Cucic, beide Taglöhner
in Wörtitschberg, und zechten. Der Gastwirt war
abwesend. Aloisia Leb, welche die vier Burschen
bediente, mußte sich zum Nachbar Pirker flüchten,
weil die Burschen äußerst roh gegen die Frau sich
benahmen. Bei der Flucht wurde Aloisia Leb von
Cucic erfaßt und mit einem Messer gestochen, wo-
[Spaltenumbruch] bei sie zu Boden fiel. Die Burschen verließen das
Gasthaus nicht, begehrten noch Branntwein zum
Trinken, was ihnen aber nicht gewährt wurde.
Mittlerweile kam Simon Leb nach Hause und forderte
die vier Burschen zum Verlassen seines Gasthauses auf,
was diese auch nach einer Zeit unter gräßlichem
Lärm befolgten. Als der genannte Gastwirt das
Licht im Gastzimmer ausgelöscht und die versperrte
Haustüre noch mit einem Querholze versehen hatte,
entstand abermals Lärm vor dem Gasthause. Vom
Brunnen rissen die Burschen die Umschalung aus-
einander, auch die Umzäunung eines Holzkreuzes
rissen sie nieder, warfen die Holzlatten gegen die
Behausung des Leb, warfen Steine gegen die Fenster,
rückten dann ganz ans Haus und rissen die Ja-
lousien vom Schlafzimmerfenster. Die Ermahnungen
des Leb zur Ruhe halfen nichts. Als aber die Ver-
schalung der Haustüre eingeschlagen war und Josef
Koschuch den Versuch gemacht hatte, in das Haus
einzudringen, drohte Leb vom Revolver Gebrauch
zu machen, falls die Burschen ihr Vorhaben nicht
aufgeben. Da die Burschen aber mit Gewalt in das
Haus eindringen wollten, holte Leb seinen Revolver
und feuerte einen Schuß gegen die Brust des Josef
Koschuch, welcher tötlich getroffen zusammenstürzte
und gleich darauf verschied. Am 21. November hatte
sich eine Gerichtskommission vom Kreisgerichte Mar-
burg an Ort und Stelle eingefunden. Es wurde
auch festgestellt, daß die Burschen den Leichnam des
Koschuch bis auf die Bezirksstraße getragen hatten,
damit angenommen werden sollte, Leb hätte die
Burschen mit dem Revolver in der Hand verfolgt.

Verein "Frauenhilfe"

macht nochmals
auf die Ebner-Eschenbachfeier aufmerksam, welche
nächsten Sonntag vormittags im Kasino stattfindet
und deren Vortragsordnung wir bereits veröffent-
lichten. Die Festversammlung wird auch eine Hul-
digungs- und Glückwunsch-Adresse an die gefeierte
deutsche Dichterin absenden.

Zur Samtmode,

die in diesem Jahr be-
sonders bevorzugt wird, bringt die bekannteste Zeit-
schrift "Das Blatt der Hausfrau" verschiedene,
äußerst vornehm wirkende Kleider und Kostüme.
Das neueste Heft enthält auch eine Reihe eleganter,
stilvoller Abendtoiletten, sowie Ratschläge für die
Kleidung älterer Damen und hübsche Kleider für
junge Mädchen. Besondere Beachtung verdient dies-
mal der reichhaltige Handarbeitsteil, sowie die im
Modenteil befindlichen Kinderkleider. Außerdem
möchten wir auch auf die in dem Heft erwähnten
Bilderprämien, welche jede Abonnentin der Zeit-
schrift kostenlos erwerben kann, aufmerksam machen.
Besonders finden die beiden Boecklin'schen Bilder
"Frühlingstag" und "Toteninsel" allgemeinen Bei-
fall. Die wie immer aus der Feder erster Autoren
stammenden Romane und der reiche hauswirtschaft-
liche Teil machen das Blatt auch zu einer an-
regenden Lektüre. Prets 24 Heller wöchentlich durch
jede Buchhandlung oder Kr. 3.-- vierteljährlich
durch den Verlag Ullstein u. Co., Wien I., Rosen-
bursenstraße 8.

Die Könige der Landstraße

und der
Tonne, die beiden Faßschieber Zanardi und
Vianelle, welche ein großes mit zwei vorstehen-
den eisernen Reifen beschlagenes Faß vor sich
schieben und auf diese Weise eine Weltreise unter-
nehmen, sind letzten Sonntag nachmittags hier ein-
getroffen und machten beim Gasthause Tschernovscheg
in der Nähe der Bahnübersetzung Halt. Mit dem
Verkauf von Ansichtskarten erzielten sie weiteres
Zehrgeld. Montag früh brachen sie wieder auf und
schoben das Faß weiter. Gestern um halb 4 Uhr
nachmittags sind sie, wie man uns aus Windisch-
Feistritz schreibt, dort eingelangt; heute früh zogen
und schoben sie weiter nach Gonobitz. Dieser seit
einigen Jahren eingerissenen Straßenfechterei kann
man wahrlich keinen Geschmack abgewinnen. Da
fährt einer durch die Welt, indem er auf einem
Schubkarren seine Frau oder seine Kinder führt;
andere führen sich wieder gegenseitig auf einem Karren,
diese rollen ein Faß oder treiben andere landstreicherische
Allotria. Allen aber ist gemeinsam der Umstand, daß
sie ohne produktive Arbeit wie Vaganten durch die
Länder ziehen und den staunenden Gaffern allerlei
unnützes Zeug anhängen; der Erlös bildet ihre
Einnahme, von der sie leben. In früheren Zeiten,
als man noch gesündere Ansichten hatte, wurden
solche Vaganten einfach als Vaganten behandelt und
abgeschoben; heute braucht ein Landstreicher nur ein
Faß mitzuschieben und überall etwas von einer
Wette zu erzählen und unbeanständet und sogar be-
staunt kann der Nichtstuer, milde Gaben einstreichend,
die Länder durchwalzen. Mit einem armen Teufel,

Marburger Zeitung Nr. 141. 24. November 1910

[Spaltenumbruch] mando des Zugsführers Fritz Günther nach erhaltener
Meldung ab und traf als erſte am Brandplatze ein.
Hierauf folgten die Feuerwehren von Gams und
Poberſch. Infolge einer Meldung des Türmers, daß
es hinter dem Gaſthauſe Wodenig brenne, fuhr die
Dampfſpritze unter dem Kommando des Haupt-
mannes Alois Heu, bis ſich der Irrtum aufklärte,
etwas ſpäter aus. Für die Feuerwehren gab es
reichlich Arbeit, da durch die vielen Futtervorräte
und das maſſive Gerüſt des Gebäudes das Feuer
reichliche Nahrung fand. Die Dampfſpritze wurde
bei einem in der Nähe befindlichen Teiche aufge-
ſtellt und trug zur Lokaliſierung des Brandes be-
deutend bei. Unſere Wehr rückte um 1 Uhr nachts
ein. Die Brandwache übernahm die Gamſer Feuer-
wehr. Der Schaden dürfte ungefähr 6000 Kronen
betragen. Am Brandplatze erſchien auch Bürger-
meiſter und Bezirksobmann Herr Dr. Schmiderer.
Trotz der vorgerückten Abendſtunde eilten, durch
den großen Feuerſchein angeregt, viele Neugierige
aus der Stadt der Brandſtelle zu. Die Ablöſchung
ging prompt von ſtatten und es gebührt allen Feuer-
wehren volles Lob. Das Hauptgebäude blieb voll-
kommen erhalten, trotzdem die Windrichtung gegen
dieſes Objekt war.

Vom Theater.

Heute abends (Serie rot)
kommt die gewiß gelungene Schwankneuheit „O
dieſe Leutnants“ zur Erſtaufführung. Morgen Frei-
tag bleibt das Theater geſchloſſen. Für Samstag
(Serie blau) iſt die Operettennovität „Reiche Mäd-
chen“, welche voriges Jahr das Repertoire des
Raimundtheaters in Wien und ſämtlicher Provinz-
bühnen beherrſchte, zur Erſtaufführung in Aus-
ſicht genommen. Die Qualität dieſer Qperette an-
zupreiſen, iſt rein überflüſſig, wenn man bedenkt,
daß das Buch eher ein geſundes Lebensbild, als
ein Operettenlibretto genannt werden muß. Die
Muſik iſt von Johann Strauß, damit iſt alles ge-
ſagt! Die männliche Hauptrolle, in der unſer großer
Girardi erſt vor kurzem in Graz Triumphe feierte,
wird hier Herr Regiſſeur Theodor Lamberg ſpielen.
Die übrigen Hauptrollen ſind durch die Herren Mar-
low, Eichner, Gerold, Dr. Schippéll und die Damen
Dornbach, Kocholl und Unger beſetzt. Die Operette
iſt gut vorbereitet und ſomit hofft die Direktion,
ihrem Theaterpublikum wieder einen Schlager
bringen zu können. Sonntag nachmittags (Serie rot)
wird die ſo überaus beifällig aufgenommene Operette
„Ein Herbſtmanöver“ und ebenſo abends (Serie blau)
zum letztenmale die Operette „Der ſchöne Rigo“
gegeben. Für Montag den 28. November (Serie rot)
ſteht die zweite Aufführung der Operettenneuheit
„Reiche Mädchen“ am Repertoire. In Vorbereitung
ſind die Operette „Das Fürſtenkind“ mit neuer
ſzeniſcher Ausſtattung, ſowie der herrliche Schwank
„Die Erbtante“.

Ein lebensüberdrüſſiger Laudesge-
richtsrat.

Vorgeſtern nachmittags hat in einem
Sanatorium bei Graz der aus Klagenfurt zugereiſte
Landesgerichtsrat Franz Kneß ſeinem Leben frei-
willig ein Ende gemacht. Landesgerichtsrat Kneß
war ſchon ſeit längerer Zeit ſchwer nervenleidend
und hatte deshalb vor einiger Zeit jenes Sanato-
rium aufgeſucht. Der Patient fühlte ſich unglücklich,
weil er der Meinung war, daß er krankheitshalber
penſioniert werden könnte. In einem unbewachten
Augenblicke ſchnitt er ſich mit einem Raſiermeſſer
die Halsadern durch.

Glockenweihe.

Man ſchreibt uns: Es iſt
etwas Schönes, wenn durch eine ganze Gemeinde
ein einzig Gefühl der Freude geht. Die evangeliſche
Gemeinde Marburg erlebte das am Sonntag den
20. November, an dem Tage, da ſie ihre drei neuen
Glocken einweihte. Der Feſtgottesdienſt, zu dem
Bezirkshauptmannſchaft und Stadtgemeinde ihre
Vertreter entſandt hatten, wurde eingeleitet durch
einen Bläſerchor, der vom Turm herab in den
winterlichen Morgen hinein das proteſtantiſche
Tedeum ſchmetterte: „Nun danket alle Gott.“ Die
ſchön geſchmückte Chriſtuskirche war überfüllt. Macht-
voll erbrauſte, nunmehr von der Gemeinde geſungen
unter der Begleitung von Orgel und Blasinſtrumenten,
noch einmal der herrliche Dankchoral, dann wurden
unter Gotteswort und Gebet die Glocken dem Ge-
brauch der Gemeinde übergeben und ſofort klang
der ſiegfrohe, hoffnungsſtarke Dreiklang der metallenen
Mahnerinnen im Turm über die Häupter der lauſchen-
den Gemeinde, über die Häuſer der Stadt dahin,
wohl fünf Minuten lang. Da war wohl jedes Herz
tiefbewegt, und in manchem Auge ſchimmerte es
feucht. Dieſer Stimmung gab der Kirchenchor treff-
lichen Ausdruck durch den Vortrag von Pſalm 113,
8: „Barmherzig und gnädig iſt der Herr, geduldig
[Spaltenumbruch] und von großer Güte“, worauf die Gemeinde das
altniederländiſche Volkslied ſang: „Wir treten zum
Beten vor Gott den Gerechten“. Als der Schluß
verhallt war: „Herr mach’ uns frei“, hielt Herr
Pfarrrr Mahnert die Feſtpredigt über die Glocken-
inſchriften Lukas 2, 14: „Ehre ſei Gott in der
Höhe und Friede auf Erden und den Menſchen ein
Wohlgefallen.“ Abermaliges Glockengeläute und die
Feier des heiligen Abendmahles beſchloß die ſchöne,
ſchlichte und eindrucksvolle Feier. — Die neuen
Glocken ſind von der Hofglockengießerei Franz
Schilling in Apolda geliefert und koſten alles in
allem 6615 Mark. Sie ſind auf die Töne e gis h
geſtimmt und geben ein prächtiges Geläute. Die
große wiegt 1157 Kilogramm, die mittlere 539
Kilogramm und die kleine 310 Kilogramm; der
Glockenſtuhl iſt von Eiſen. Mit großer Begeiſterung
und Opferfreudigkeit hat die Gemeinde für die Glocken
geſteuert, ſo ein Gemeindeglied 923 K., ein anderes
300 K., zwei andere je 200 K., ein Arbeiter 50 K.
und ein anderer 40 K. Weitere Gaben laufen noch
immer ein, ſind aber auch noch nötig, bis das
ganze Werk bezahlt ſein wird. Auch der Ausſchuß
zur Förderung der evangeliſchen Kirche in Öſterreich
ſandte 150 K. Unter den Glückwunſchſchreiben be-
fand ſich auch eines von unſerem früheren Vikar
Herrn Müller, jetzt Pfarrer in Harskirchen bei
Saarunion im Elſaß. Und nun klingen unſere Glocken
fröhlich dahin Tag für Tag und ſingen ein Lied
vom neuerwachten und neuerſtarkten Proteſtantismus
in unſerer Stadt. Mögen ſie immer klingen über
einer glaubensſtarken, ſiegfrohen, liebereichen und
tapferen Gemeinde!

Der Deutſchvölkiſche Verband „Drau-
wacht“

hält Samstag den 3. Dezember um 8 Uhr
abends im unteren Kaſino-Konzertſaale ſeine Jul-
feier
ab. Deutſche Gäſte ſind herzlich willkommen.

Ernennung im Forſtdienſte.

Zum Nach-
folger des verſtorbenen fürſtl. Windiſchgrätz’ſchen
Forſtmeiſters Simony in Rohitſch wurde der
Förſter Hollmann aus Tachau beſtimmt.

Für Stotternde.

Dieſen Leidenden dauernde
Heilung zu bringen, ihnen über die Fährniſſe und
Klippen hinwegzuhelfen, die ſich ihnen auf jedem
Schritt ihrer Lebenstätigkeit in den Weg ſtellen,
iſt ein höchſt dankenswertes Ziel. Eine neue, wirk-
ſame Methode ſchuf Profeſſor Neumann, der
Beſitzer der bekannten Sprachheilanſtalt in Meran.
Sie richiet ſich vornehmlich gegen das pſychiſche
Moment (das ſeeliſche Empfinden des Sprach-
patienten), da jeder Stotterer mehr oder weniger
gut ſprechen kann, wenn die geiſtige Depreſſion ſeine
Sprachſtörung nicht hervorruft. In wie voll-
kommener Weiſe die Heliung des Stotternübels
möglich iſt, bewies das Inſtitut gelegentlich eines
Vortrages. Es ſtellte u. a. einen Bäckermeiſter vor,
der den Sprachkurs vor drei Jahren mit großem
Erfolge mitgemacht hat. Der frühere Sprachpatient
ſchilderte in beinahe halbſtündiger tadelloſer Rede
das Leben des jungen Stotterers, deſſen Leiden
niemand verſteht, und der überall mit Spott und
Gelächter verfolgt wird. Er klagte auch über die
Verſtändnisloſigkeit noch mancher Lehrer und Er-
zieher gegen dieſe Kranken. Die Schädigungen, die
dem Einzelnen durch das Sprachgebrechen erwachſen,
ſind leider noch zu wenig bekannt. Im Kampfe um
wirtſchaftliches Daſein unterliegt der Stotterer jedes
Mal durch ſeine Unſelbſtändigkeit und Unbeholfen-
heit und mancher Schüler vermag trotz großer In-
telligenz und großem Fleiße den Schulaufgaben
nicht genügend zu folgen. Aber auch der allgemeine
Zuſtand leidet häufig unter dem Sprachübel, und
dauernd geiſtige Beſchränktheit iſt bei dieſen Ärmſten
gar zu oft die Folge gröblicher Vernachläſſigung.
Die oben genannte Anſtalt wird, einem Wunſche
entſprechend, in Marburg einen ſolchen Heilkurs
errichten und ſind Anmeldungen Sonntag und Mon-
tag den 27. und 28. November von 9—1 Uhr,
Montag auch noch von 4—7 Uhr nachmittags im
Hotel „Erzherzog Johann“ zu bewirken,

Bei einer Gaſthausbelagerung den
Tod gefunden.

Aus St. Kunigund wird
berichtet: Sonntag abends befanden ſich im Gaſt-
hauſe des Simon Leb in Wörtitſchberg der
20jährige, als Raufer gefürchtete Joſef Koſchuch,
deſſen Bruder Leopold Purgaj aus Platſch,
Franz Rath und Johann Cucic, beide Taglöhner
in Wörtitſchberg, und zechten. Der Gaſtwirt war
abweſend. Aloiſia Leb, welche die vier Burſchen
bediente, mußte ſich zum Nachbar Pirker flüchten,
weil die Burſchen äußerſt roh gegen die Frau ſich
benahmen. Bei der Flucht wurde Aloiſia Leb von
Cucic erfaßt und mit einem Meſſer geſtochen, wo-
[Spaltenumbruch] bei ſie zu Boden fiel. Die Burſchen verließen das
Gaſthaus nicht, begehrten noch Branntwein zum
Trinken, was ihnen aber nicht gewährt wurde.
Mittlerweile kam Simon Leb nach Hauſe und forderte
die vier Burſchen zum Verlaſſen ſeines Gaſthauſes auf,
was dieſe auch nach einer Zeit unter gräßlichem
Lärm befolgten. Als der genannte Gaſtwirt das
Licht im Gaſtzimmer ausgelöſcht und die verſperrte
Haustüre noch mit einem Querholze verſehen hatte,
entſtand abermals Lärm vor dem Gaſthauſe. Vom
Brunnen riſſen die Burſchen die Umſchalung aus-
einander, auch die Umzäunung eines Holzkreuzes
riſſen ſie nieder, warfen die Holzlatten gegen die
Behauſung des Leb, warfen Steine gegen die Fenſter,
rückten dann ganz ans Haus und riſſen die Ja-
louſien vom Schlafzimmerfenſter. Die Ermahnungen
des Leb zur Ruhe halfen nichts. Als aber die Ver-
ſchalung der Haustüre eingeſchlagen war und Joſef
Koſchuch den Verſuch gemacht hatte, in das Haus
einzudringen, drohte Leb vom Revolver Gebrauch
zu machen, falls die Burſchen ihr Vorhaben nicht
aufgeben. Da die Burſchen aber mit Gewalt in das
Haus eindringen wollten, holte Leb ſeinen Revolver
und feuerte einen Schuß gegen die Bruſt des Joſef
Koſchuch, welcher tötlich getroffen zuſammenſtürzte
und gleich darauf verſchied. Am 21. November hatte
ſich eine Gerichtskommiſſion vom Kreisgerichte Mar-
burg an Ort und Stelle eingefunden. Es wurde
auch feſtgeſtellt, daß die Burſchen den Leichnam des
Koſchuch bis auf die Bezirksſtraße getragen hatten,
damit angenommen werden ſollte, Leb hätte die
Burſchen mit dem Revolver in der Hand verfolgt.

Verein „Frauenhilfe“

macht nochmals
auf die Ebner-Eſchenbachfeier aufmerkſam, welche
nächſten Sonntag vormittags im Kaſino ſtattfindet
und deren Vortragsordnung wir bereits veröffent-
lichten. Die Feſtverſammlung wird auch eine Hul-
digungs- und Glückwunſch-Adreſſe an die gefeierte
deutſche Dichterin abſenden.

Zur Samtmode,

die in dieſem Jahr be-
ſonders bevorzugt wird, bringt die bekannteſte Zeit-
ſchrift „Das Blatt der Hausfrau“ verſchiedene,
äußerſt vornehm wirkende Kleider und Koſtüme.
Das neueſte Heft enthält auch eine Reihe eleganter,
ſtilvoller Abendtoiletten, ſowie Ratſchläge für die
Kleidung älterer Damen und hübſche Kleider für
junge Mädchen. Beſondere Beachtung verdient dies-
mal der reichhaltige Handarbeitsteil, ſowie die im
Modenteil befindlichen Kinderkleider. Außerdem
möchten wir auch auf die in dem Heft erwähnten
Bilderprämien, welche jede Abonnentin der Zeit-
ſchrift koſtenlos erwerben kann, aufmerkſam machen.
Beſonders finden die beiden Boecklin’ſchen Bilder
„Frühlingstag“ und „Toteninſel“ allgemeinen Bei-
fall. Die wie immer aus der Feder erſter Autoren
ſtammenden Romane und der reiche hauswirtſchaft-
liche Teil machen das Blatt auch zu einer an-
regenden Lektüre. Prets 24 Heller wöchentlich durch
jede Buchhandlung oder Kr. 3.— vierteljährlich
durch den Verlag Ullſtein u. Co., Wien I., Roſen-
burſenſtraße 8.

Die Könige der Landſtraße

und der
Tonne, die beiden Faßſchieber Zanardi und
Vianelle, welche ein großes mit zwei vorſtehen-
den eiſernen Reifen beſchlagenes Faß vor ſich
ſchieben und auf dieſe Weiſe eine Weltreiſe unter-
nehmen, ſind letzten Sonntag nachmittags hier ein-
getroffen und machten beim Gaſthauſe Tſchernovſcheg
in der Nähe der Bahnüberſetzung Halt. Mit dem
Verkauf von Anſichtskarten erzielten ſie weiteres
Zehrgeld. Montag früh brachen ſie wieder auf und
ſchoben das Faß weiter. Geſtern um halb 4 Uhr
nachmittags ſind ſie, wie man uns aus Windiſch-
Feiſtritz ſchreibt, dort eingelangt; heute früh zogen
und ſchoben ſie weiter nach Gonobitz. Dieſer ſeit
einigen Jahren eingeriſſenen Straßenfechterei kann
man wahrlich keinen Geſchmack abgewinnen. Da
fährt einer durch die Welt, indem er auf einem
Schubkarren ſeine Frau oder ſeine Kinder führt;
andere führen ſich wieder gegenſeitig auf einem Karren,
dieſe rollen ein Faß oder treiben andere landſtreicheriſche
Allotria. Allen aber iſt gemeinſam der Umſtand, daß
ſie ohne produktive Arbeit wie Vaganten durch die
Länder ziehen und den ſtaunenden Gaffern allerlei
unnützes Zeug anhängen; der Erlös bildet ihre
Einnahme, von der ſie leben. In früheren Zeiten,
als man noch geſündere Anſichten hatte, wurden
ſolche Vaganten einfach als Vaganten behandelt und
abgeſchoben; heute braucht ein Landſtreicher nur ein
Faß mitzuſchieben und überall etwas von einer
Wette zu erzählen und unbeanſtändet und ſogar be-
ſtaunt kann der Nichtstuer, milde Gaben einſtreichend,
die Länder durchwalzen. Mit einem armen Teufel,

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(Serie blau) i&#x017F;t die Operettennovität &#x201E;Reiche Mäd-<lb/>
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&#x201E;Reiche Mädchen&#x201C; am Repertoire. In Vorbereitung<lb/>
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Tedeum &#x017F;chmetterte: &#x201E;Nun danket alle Gott.&#x201C; Die<lb/>
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Pfarrrr Mahnert die Fe&#x017F;tpredigt über die Glocken-<lb/>
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&#x017F;chlichte und eindrucksvolle Feier. &#x2014; Die neuen<lb/>
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Das neue&#x017F;te Heft enthält auch eine Reihe eleganter,<lb/>
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[4/0004] Marburger Zeitung Nr. 141. 24. November 1910 mando des Zugsführers Fritz Günther nach erhaltener Meldung ab und traf als erſte am Brandplatze ein. Hierauf folgten die Feuerwehren von Gams und Poberſch. Infolge einer Meldung des Türmers, daß es hinter dem Gaſthauſe Wodenig brenne, fuhr die Dampfſpritze unter dem Kommando des Haupt- mannes Alois Heu, bis ſich der Irrtum aufklärte, etwas ſpäter aus. Für die Feuerwehren gab es reichlich Arbeit, da durch die vielen Futtervorräte und das maſſive Gerüſt des Gebäudes das Feuer reichliche Nahrung fand. Die Dampfſpritze wurde bei einem in der Nähe befindlichen Teiche aufge- ſtellt und trug zur Lokaliſierung des Brandes be- deutend bei. Unſere Wehr rückte um 1 Uhr nachts ein. Die Brandwache übernahm die Gamſer Feuer- wehr. Der Schaden dürfte ungefähr 6000 Kronen betragen. Am Brandplatze erſchien auch Bürger- meiſter und Bezirksobmann Herr Dr. Schmiderer. Trotz der vorgerückten Abendſtunde eilten, durch den großen Feuerſchein angeregt, viele Neugierige aus der Stadt der Brandſtelle zu. Die Ablöſchung ging prompt von ſtatten und es gebührt allen Feuer- wehren volles Lob. Das Hauptgebäude blieb voll- kommen erhalten, trotzdem die Windrichtung gegen dieſes Objekt war. Vom Theater. Heute abends (Serie rot) kommt die gewiß gelungene Schwankneuheit „O dieſe Leutnants“ zur Erſtaufführung. Morgen Frei- tag bleibt das Theater geſchloſſen. Für Samstag (Serie blau) iſt die Operettennovität „Reiche Mäd- chen“, welche voriges Jahr das Repertoire des Raimundtheaters in Wien und ſämtlicher Provinz- bühnen beherrſchte, zur Erſtaufführung in Aus- ſicht genommen. Die Qualität dieſer Qperette an- zupreiſen, iſt rein überflüſſig, wenn man bedenkt, daß das Buch eher ein geſundes Lebensbild, als ein Operettenlibretto genannt werden muß. Die Muſik iſt von Johann Strauß, damit iſt alles ge- ſagt! Die männliche Hauptrolle, in der unſer großer Girardi erſt vor kurzem in Graz Triumphe feierte, wird hier Herr Regiſſeur Theodor Lamberg ſpielen. Die übrigen Hauptrollen ſind durch die Herren Mar- low, Eichner, Gerold, Dr. Schippéll und die Damen Dornbach, Kocholl und Unger beſetzt. Die Operette iſt gut vorbereitet und ſomit hofft die Direktion, ihrem Theaterpublikum wieder einen Schlager bringen zu können. Sonntag nachmittags (Serie rot) wird die ſo überaus beifällig aufgenommene Operette „Ein Herbſtmanöver“ und ebenſo abends (Serie blau) zum letztenmale die Operette „Der ſchöne Rigo“ gegeben. Für Montag den 28. November (Serie rot) ſteht die zweite Aufführung der Operettenneuheit „Reiche Mädchen“ am Repertoire. In Vorbereitung ſind die Operette „Das Fürſtenkind“ mit neuer ſzeniſcher Ausſtattung, ſowie der herrliche Schwank „Die Erbtante“. Ein lebensüberdrüſſiger Laudesge- richtsrat. Vorgeſtern nachmittags hat in einem Sanatorium bei Graz der aus Klagenfurt zugereiſte Landesgerichtsrat Franz Kneß ſeinem Leben frei- willig ein Ende gemacht. Landesgerichtsrat Kneß war ſchon ſeit längerer Zeit ſchwer nervenleidend und hatte deshalb vor einiger Zeit jenes Sanato- rium aufgeſucht. Der Patient fühlte ſich unglücklich, weil er der Meinung war, daß er krankheitshalber penſioniert werden könnte. In einem unbewachten Augenblicke ſchnitt er ſich mit einem Raſiermeſſer die Halsadern durch. Glockenweihe. Man ſchreibt uns: Es iſt etwas Schönes, wenn durch eine ganze Gemeinde ein einzig Gefühl der Freude geht. Die evangeliſche Gemeinde Marburg erlebte das am Sonntag den 20. November, an dem Tage, da ſie ihre drei neuen Glocken einweihte. Der Feſtgottesdienſt, zu dem Bezirkshauptmannſchaft und Stadtgemeinde ihre Vertreter entſandt hatten, wurde eingeleitet durch einen Bläſerchor, der vom Turm herab in den winterlichen Morgen hinein das proteſtantiſche Tedeum ſchmetterte: „Nun danket alle Gott.“ Die ſchön geſchmückte Chriſtuskirche war überfüllt. Macht- voll erbrauſte, nunmehr von der Gemeinde geſungen unter der Begleitung von Orgel und Blasinſtrumenten, noch einmal der herrliche Dankchoral, dann wurden unter Gotteswort und Gebet die Glocken dem Ge- brauch der Gemeinde übergeben und ſofort klang der ſiegfrohe, hoffnungsſtarke Dreiklang der metallenen Mahnerinnen im Turm über die Häupter der lauſchen- den Gemeinde, über die Häuſer der Stadt dahin, wohl fünf Minuten lang. Da war wohl jedes Herz tiefbewegt, und in manchem Auge ſchimmerte es feucht. Dieſer Stimmung gab der Kirchenchor treff- lichen Ausdruck durch den Vortrag von Pſalm 113, 8: „Barmherzig und gnädig iſt der Herr, geduldig und von großer Güte“, worauf die Gemeinde das altniederländiſche Volkslied ſang: „Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten“. Als der Schluß verhallt war: „Herr mach’ uns frei“, hielt Herr Pfarrrr Mahnert die Feſtpredigt über die Glocken- inſchriften Lukas 2, 14: „Ehre ſei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menſchen ein Wohlgefallen.“ Abermaliges Glockengeläute und die Feier des heiligen Abendmahles beſchloß die ſchöne, ſchlichte und eindrucksvolle Feier. — Die neuen Glocken ſind von der Hofglockengießerei Franz Schilling in Apolda geliefert und koſten alles in allem 6615 Mark. Sie ſind auf die Töne e gis h geſtimmt und geben ein prächtiges Geläute. Die große wiegt 1157 Kilogramm, die mittlere 539 Kilogramm und die kleine 310 Kilogramm; der Glockenſtuhl iſt von Eiſen. Mit großer Begeiſterung und Opferfreudigkeit hat die Gemeinde für die Glocken geſteuert, ſo ein Gemeindeglied 923 K., ein anderes 300 K., zwei andere je 200 K., ein Arbeiter 50 K. und ein anderer 40 K. Weitere Gaben laufen noch immer ein, ſind aber auch noch nötig, bis das ganze Werk bezahlt ſein wird. Auch der Ausſchuß zur Förderung der evangeliſchen Kirche in Öſterreich ſandte 150 K. Unter den Glückwunſchſchreiben be- fand ſich auch eines von unſerem früheren Vikar Herrn Müller, jetzt Pfarrer in Harskirchen bei Saarunion im Elſaß. Und nun klingen unſere Glocken fröhlich dahin Tag für Tag und ſingen ein Lied vom neuerwachten und neuerſtarkten Proteſtantismus in unſerer Stadt. Mögen ſie immer klingen über einer glaubensſtarken, ſiegfrohen, liebereichen und tapferen Gemeinde! Der Deutſchvölkiſche Verband „Drau- wacht“ hält Samstag den 3. Dezember um 8 Uhr abends im unteren Kaſino-Konzertſaale ſeine Jul- feier ab. Deutſche Gäſte ſind herzlich willkommen. Ernennung im Forſtdienſte. Zum Nach- folger des verſtorbenen fürſtl. Windiſchgrätz’ſchen Forſtmeiſters Simony in Rohitſch wurde der Förſter Hollmann aus Tachau beſtimmt. Für Stotternde. Dieſen Leidenden dauernde Heilung zu bringen, ihnen über die Fährniſſe und Klippen hinwegzuhelfen, die ſich ihnen auf jedem Schritt ihrer Lebenstätigkeit in den Weg ſtellen, iſt ein höchſt dankenswertes Ziel. Eine neue, wirk- ſame Methode ſchuf Profeſſor Neumann, der Beſitzer der bekannten Sprachheilanſtalt in Meran. Sie richiet ſich vornehmlich gegen das pſychiſche Moment (das ſeeliſche Empfinden des Sprach- patienten), da jeder Stotterer mehr oder weniger gut ſprechen kann, wenn die geiſtige Depreſſion ſeine Sprachſtörung nicht hervorruft. In wie voll- kommener Weiſe die Heliung des Stotternübels möglich iſt, bewies das Inſtitut gelegentlich eines Vortrages. Es ſtellte u. a. einen Bäckermeiſter vor, der den Sprachkurs vor drei Jahren mit großem Erfolge mitgemacht hat. Der frühere Sprachpatient ſchilderte in beinahe halbſtündiger tadelloſer Rede das Leben des jungen Stotterers, deſſen Leiden niemand verſteht, und der überall mit Spott und Gelächter verfolgt wird. Er klagte auch über die Verſtändnisloſigkeit noch mancher Lehrer und Er- zieher gegen dieſe Kranken. Die Schädigungen, die dem Einzelnen durch das Sprachgebrechen erwachſen, ſind leider noch zu wenig bekannt. Im Kampfe um wirtſchaftliches Daſein unterliegt der Stotterer jedes Mal durch ſeine Unſelbſtändigkeit und Unbeholfen- heit und mancher Schüler vermag trotz großer In- telligenz und großem Fleiße den Schulaufgaben nicht genügend zu folgen. Aber auch der allgemeine Zuſtand leidet häufig unter dem Sprachübel, und dauernd geiſtige Beſchränktheit iſt bei dieſen Ärmſten gar zu oft die Folge gröblicher Vernachläſſigung. Die oben genannte Anſtalt wird, einem Wunſche entſprechend, in Marburg einen ſolchen Heilkurs errichten und ſind Anmeldungen Sonntag und Mon- tag den 27. und 28. November von 9—1 Uhr, Montag auch noch von 4—7 Uhr nachmittags im Hotel „Erzherzog Johann“ zu bewirken, Bei einer Gaſthausbelagerung den Tod gefunden. Aus St. Kunigund wird berichtet: Sonntag abends befanden ſich im Gaſt- hauſe des Simon Leb in Wörtitſchberg der 20jährige, als Raufer gefürchtete Joſef Koſchuch, deſſen Bruder Leopold Purgaj aus Platſch, Franz Rath und Johann Cucic, beide Taglöhner in Wörtitſchberg, und zechten. Der Gaſtwirt war abweſend. Aloiſia Leb, welche die vier Burſchen bediente, mußte ſich zum Nachbar Pirker flüchten, weil die Burſchen äußerſt roh gegen die Frau ſich benahmen. Bei der Flucht wurde Aloiſia Leb von Cucic erfaßt und mit einem Meſſer geſtochen, wo- bei ſie zu Boden fiel. Die Burſchen verließen das Gaſthaus nicht, begehrten noch Branntwein zum Trinken, was ihnen aber nicht gewährt wurde. Mittlerweile kam Simon Leb nach Hauſe und forderte die vier Burſchen zum Verlaſſen ſeines Gaſthauſes auf, was dieſe auch nach einer Zeit unter gräßlichem Lärm befolgten. Als der genannte Gaſtwirt das Licht im Gaſtzimmer ausgelöſcht und die verſperrte Haustüre noch mit einem Querholze verſehen hatte, entſtand abermals Lärm vor dem Gaſthauſe. Vom Brunnen riſſen die Burſchen die Umſchalung aus- einander, auch die Umzäunung eines Holzkreuzes riſſen ſie nieder, warfen die Holzlatten gegen die Behauſung des Leb, warfen Steine gegen die Fenſter, rückten dann ganz ans Haus und riſſen die Ja- louſien vom Schlafzimmerfenſter. Die Ermahnungen des Leb zur Ruhe halfen nichts. Als aber die Ver- ſchalung der Haustüre eingeſchlagen war und Joſef Koſchuch den Verſuch gemacht hatte, in das Haus einzudringen, drohte Leb vom Revolver Gebrauch zu machen, falls die Burſchen ihr Vorhaben nicht aufgeben. Da die Burſchen aber mit Gewalt in das Haus eindringen wollten, holte Leb ſeinen Revolver und feuerte einen Schuß gegen die Bruſt des Joſef Koſchuch, welcher tötlich getroffen zuſammenſtürzte und gleich darauf verſchied. Am 21. November hatte ſich eine Gerichtskommiſſion vom Kreisgerichte Mar- burg an Ort und Stelle eingefunden. Es wurde auch feſtgeſtellt, daß die Burſchen den Leichnam des Koſchuch bis auf die Bezirksſtraße getragen hatten, damit angenommen werden ſollte, Leb hätte die Burſchen mit dem Revolver in der Hand verfolgt. Verein „Frauenhilfe“ macht nochmals auf die Ebner-Eſchenbachfeier aufmerkſam, welche nächſten Sonntag vormittags im Kaſino ſtattfindet und deren Vortragsordnung wir bereits veröffent- lichten. Die Feſtverſammlung wird auch eine Hul- digungs- und Glückwunſch-Adreſſe an die gefeierte deutſche Dichterin abſenden. Zur Samtmode, die in dieſem Jahr be- ſonders bevorzugt wird, bringt die bekannteſte Zeit- ſchrift „Das Blatt der Hausfrau“ verſchiedene, äußerſt vornehm wirkende Kleider und Koſtüme. Das neueſte Heft enthält auch eine Reihe eleganter, ſtilvoller Abendtoiletten, ſowie Ratſchläge für die Kleidung älterer Damen und hübſche Kleider für junge Mädchen. Beſondere Beachtung verdient dies- mal der reichhaltige Handarbeitsteil, ſowie die im Modenteil befindlichen Kinderkleider. Außerdem möchten wir auch auf die in dem Heft erwähnten Bilderprämien, welche jede Abonnentin der Zeit- ſchrift koſtenlos erwerben kann, aufmerkſam machen. Beſonders finden die beiden Boecklin’ſchen Bilder „Frühlingstag“ und „Toteninſel“ allgemeinen Bei- fall. Die wie immer aus der Feder erſter Autoren ſtammenden Romane und der reiche hauswirtſchaft- liche Teil machen das Blatt auch zu einer an- regenden Lektüre. Prets 24 Heller wöchentlich durch jede Buchhandlung oder Kr. 3.— vierteljährlich durch den Verlag Ullſtein u. Co., Wien I., Roſen- burſenſtraße 8. Die Könige der Landſtraße und der Tonne, die beiden Faßſchieber Zanardi und Vianelle, welche ein großes mit zwei vorſtehen- den eiſernen Reifen beſchlagenes Faß vor ſich ſchieben und auf dieſe Weiſe eine Weltreiſe unter- nehmen, ſind letzten Sonntag nachmittags hier ein- getroffen und machten beim Gaſthauſe Tſchernovſcheg in der Nähe der Bahnüberſetzung Halt. Mit dem Verkauf von Anſichtskarten erzielten ſie weiteres Zehrgeld. Montag früh brachen ſie wieder auf und ſchoben das Faß weiter. Geſtern um halb 4 Uhr nachmittags ſind ſie, wie man uns aus Windiſch- Feiſtritz ſchreibt, dort eingelangt; heute früh zogen und ſchoben ſie weiter nach Gonobitz. Dieſer ſeit einigen Jahren eingeriſſenen Straßenfechterei kann man wahrlich keinen Geſchmack abgewinnen. Da fährt einer durch die Welt, indem er auf einem Schubkarren ſeine Frau oder ſeine Kinder führt; andere führen ſich wieder gegenſeitig auf einem Karren, dieſe rollen ein Faß oder treiben andere landſtreicheriſche Allotria. Allen aber iſt gemeinſam der Umſtand, daß ſie ohne produktive Arbeit wie Vaganten durch die Länder ziehen und den ſtaunenden Gaffern allerlei unnützes Zeug anhängen; der Erlös bildet ihre Einnahme, von der ſie leben. In früheren Zeiten, als man noch geſündere Anſichten hatte, wurden ſolche Vaganten einfach als Vaganten behandelt und abgeſchoben; heute braucht ein Landſtreicher nur ein Faß mitzuſchieben und überall etwas von einer Wette zu erzählen und unbeanſtändet und ſogar be- ſtaunt kann der Nichtstuer, milde Gaben einſtreichend, die Länder durchwalzen. Mit einem armen Teufel,

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Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 141, Marburg, 24.11.1910, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger141_1910/4>, abgerufen am 21.11.2024.