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Marburger Zeitung. Nr. 148, Marburg, 10.12.1907.

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Marburger Zeitung.



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Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechstunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11--12 Uhr vorm. und von 5--6 Uhr nachm. Postgasse 4.

Die Verwaltung befindet sich: Postgasse 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und kostet die fünfmal gespaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einschaltungen:
Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer kostet 10 Heller.




Nr. 148 Dienstag, 10. Dezember 1907 46. Jahrgang.



[Spaltenumbruch]
Abg. Malik über den Ausgleich.

Vorgestern nachmittags sprach im Kasino zu
Marburg in einer vom Alldeutschen Vereine
"Schönerer" für Steiermark einberufenen Ver-
sammlung (über die wir an anderer Stelle berichten)
der parlamentarische Vertreter des 10. steirischen
Wahlkreises, Herr Reichsratsabg. Vinzenz Malik
über die Schäden des Ausgleiches mit Ungarn und
über die von der Regierung verlangte Dringlichkeit
dieses Ausgleiches. Die Rede des Abg. Malik
deckte sich mit seiner, zwei Tage früher im Par-
lament gehaltenen Rede, die er hier neuerdings auf
Grund des stenographischen Reichsratsprotokolles
vortrug. Wir veröffentlichen im Nachstehenden diese
Rede des Abg. Malik in ihren wichtigsten Punkten;
eine vollständige Wiedergabe gestattet uns der Raum
leider nicht.

I.

Meine Herren! Können Sie es nicht mehr er-
warten, bis die 600 Millionen jährlich aus der
österreichischen Volkswirtschaft nach Ungarn hinüber-
geschlendert werden?

Wer für die Dringlichkeit der Behandlung des
Ausgleiches ist, ist naturgemäß auch für den Ausgleich
selbst. Wer ehrlich gegen den Ausgleich ist, kann
dessen Erledigung nicht im Dringlichkeitswege mit-
fördern, ohne den Vorwurf der unwürdigsten
Komödie auf sich zu laden. Und die gründlichste,
eingehendste Beratung wäre doch das Natürlichste
beei einem Gegenstande, welcher, wie kein anderer,
im vergangenen und künftigen Jahrzent der aller-
wichtigste, einschneidendste in unserem ganzen wirt-
schaftlichen und politischen Leben war und ist.

Ich muß hiebei auf die Verhältnisse im ver-
gangenen Hause zurückgreifen. Wenn der k. k.
Regierung und ihren Liebedienern heute eine Dring-
lichkeit mit Rücksicht auf den Ablauftermin mit
31. d. M. erwächst, so sind wir, die Alldeutschen,
[Spaltenumbruch] gewiß nicht daran schuld. Wir haben in der Zeit
von 1901 bis 1906 in einer großen Anzahl von
Anträgen und in zahllosen Anfragen, und zwar in
eindringlicher Weise auf den jetzigen Augenblick
hingewiesen und die Vorbereitung zu demselben im
Sinne der Trennung von Ungarn verlangt.

Gegenwärtig wurden, wie Berichte über die
Vorkommnisse in den verschiedenen Verbänden und
Parteillubs besagten, sogar die deutschen
Minister in die Klubs geschickt,
um die Regierungsdrohungen zu übermitteln, für
den Fall der Nichtannahme der Dringlichkeit. Und
bei fast allen von ihnen, mit sehr wenigen Aus-
nahmen, gilt das "Bangemachen."

Und dies geschah im Zusammenhange mit
jenem Kainszeichen, welches diesem neuen, diesem
sogenannten Volkshause auf die Stirn gedrückt ist.
Die Regierungsdrohungen lauteten, das Haus
würde aufgelöst, die Regierung würde mit dem
§ 14 den Ausgleich bewerkstelligen, die parlamen-
tarische Regierung würde abtreten, es würden Neu-
wahlen ausgeschrieben werden u. dgl.

Die
fürchterlichste der Drohungen
war natürlich die, die Sache würde mit dem § 14
gemacht werden.

Meine Herren! Wer war es denn, der, ehe
dieses neue Haus gebildet wurde, das sogenannte
Volkshaus auf Grund des allgemeinen, gleichen,
direkten und geheimen Wahlrechtes, der darauf hin-
gewiesen hat, daß dieses sogenannte Volkshaus
niemals seine Freiheit werde ausüben können,
so lange das Damoklesschwert, wenn Sie lieber
wollen, das Staberl ober dem Volkshause bleiben
wird (Stürmische Zustimmung), damit es folge, denn
sonst kommt der § 14. Wir Alldeutsche haben uns
schon vor der Beratung der Wahlreform auf den
Standpunkt gestellt, daß der § 14 bereinigt werden
muß, ehe man die Wahlreform durchführt, weil
[Spaltenumbruch] sonst dem neuen Volkshause wieder seine Arbeit nach
jeder Richtung hin geknebelt werden wird. Und wir
stehen heute vor dem ersten Fall. Nach dieser
Richtung hin trifft mein Vorwurf vor allem anderen
jene Partei, welche sich als die freiheitlichste der
Parteien in diesem Staate aufspielt:

die Sozialisten.

Sie, meine Herren Sozialdemokraten, haben
hier unter sich einige Männer von Überzeugung
und ehrlichem Freiheitsdrange. Aber diese Freiheit,
welche den breiten Volksmassen die Herren Adler
und Genossen heimbrachten, ist die wahre Freiheit
nicht. Es ist jene Freiheit, die durch die Be-
lassung des § 14 prostituiert ist. Sie haben
die Freiheit verkauft um die augenblickliche Er-
langung einer Anzahl von Mandaten, welche Sie in
parlamentarischer, in wahrhaft freiheitlicher Weise
jetzt nicht auszuüben vermögen. Sie sind geknebelt
mit und durch den § 14 und Sie vermögen auch
nicht dem Volke das zu halten, was sie ihm
versprochen haben, Sie vermögen die verheißenen
Reformen, in erster Linie die Reform der Alters-
und Invaliditätsversorgung nicht durchzuführen.
(Stürmische Zustimmung.)

Die wahren Volksnotwendigkeiten werden Sie
niemals erlangen können, weil Sie den § 14 be-
lassen haben. So wie Sie durch Unaufrichtigkeit,
keineswegs aus dem Motive der Gerechtigkeit,
hiehergekommen sind, so werden sie getrieben durch
die Geißel des § 14, durch die Macht des monar-
chischen Prinzipes und durch die Urkraft des
nationalen Gedankens wieder von der Bildfläche
verschwinden in dem Nebel Ihrer Vergangenheit.
(Stürmischer Beifall.) Für mich unterliegt es gar
keinem Zweifel, daß auch die k. k. Sozialdemokratie
an der genauen Abstimmungsregulierung für den
Ausgleich partizipiert.

Den Ausgleich bewilligen heißt: "Aus der
Volkswirtschaft der im Reichsrate vertretenen König-




[Spaltenumbruch]
Stürme.

36)



(Nachdruck verboten.)

Wahrscheinlich verschuldete dies der gewaltige
Schreck, den ihr das Einschlagen der Türe seitens
des Grafen bei der Nadel der Kleopatra verursachte.
Sie hatte deutlich gefühlt, daß man den Leu nicht
zu viel reizen dürfe. Und das Bukett mit seinem
berauschenden Dufte war eben auch nicht geschaffen,
um aufgeregte Nerven zu beruhigen. Es wurde
zwar im Eisenbahnkoupe vergessen; allein das be-
täubende Gift, welches den Blumen entströmte,
hatte schon Unheil gestiftet und gährte in Pias
Innern weiter.

Dies sah man jetzt deutlich an ihrer schlotterigen
Haltung. An dem hysterischen Aufschluchzen, das sie
plötzlich übermannte. An dem stieren Blicke, mit
welchem sie den mysteriösen Sphinx immer wieder,
wie durch Faszination, halb furchtsam und halb
trotzig betrachtete.

Wildauflachend rief Pia krankhaft erregt:
"Willst mythischer Geselle Du mir vielleicht auch
eine Moralpredigt halten, daß Du so finster und
drohend auf mich herabblickst?!"

War's möglich? Das riesige Antlitz, das durch
Verstümmelung und Verlust der Nase ohnehin
widrig geworden, gestaltet sich urplötzlich zur
scheußlichen, Pia schreckenerregend angrinsenden Fratze.
Deren tote Augenhöhlen, sprühen Verderben. Deren
immenser, weitgeöffneter Rachen droht sie zu ver-
schlingen ...


[Spaltenumbruch]

Da faßte Pia ein unergründliches, abergläubi-
sches Grauen vor dem rätselhaften, gräßlichen Koloß,
der den Wüstensand zornig abzuschütteln scheint
und die ausgestreckten Pranken hoch und dräuend
emporhebt, um sie zermalmend, todbringend zu um-
schlingen ...

In namenlosem Entsetzen wankt Pia mit ab-
wehrenden Händen zurück ... Da fühlt sie die
gefürchtete Umarmung, stößt einen grellenden Angst-
schrei aus und ihre Sinne schwinden.

-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Eine starkriechende Flüssigkeit, mit der eine
liebevolle Hand Pias Schläfe benetzt, erweckt sie
aus tiefer Ohnmacht. Sie schlägt die Augen auf
und findet sich in Seefelds Armen, der sie, im
Sande knieend, mit ängstlicher Sorgfalt unterstützt.

"Was fehlt denn meiner sonst so mutigen
Pia?" flüstert ihr eine bebende Stimme ins Ohr.
"Ich bin nun doppelt froh, daß ich dem Schech
Glauben geschenkt und mich beeilt, Dich hier auf-
zusuchen. Kam ich doch gerade noch zurecht, um
Dich in meinen Armen aufzufangen. Wie ist Dir
denn jetzt? Fühlst Du Dich besser? Ach, Pia, welch
gräßliche Angst habe ich Deinetwegen ausgestanden",
sprach er in aufflammender Leidenschaft. "Die
Minuten, die verrannen, bis Du endlich wieder
Deine heißgeliebten Augen aufschlugst, dünkten mir
Ewigkeiten."

Er sprach die Wahrheit, denn er hatte sie
lieben, wahrhaft lieben gelernt seit jener verhängnis-
vollen Brautnacht und Pias süße Nähe ließ ihn
den seiner Manneswürde geleisteten Schwur ver-
gessen ...


[Spaltenumbruch]

Sie war zu angegriffen, um die Gefühle zu
gewahren, die ihn so mächtig bestürmten. Ihr
Denken und Sorgen galt im Augenblick nur dem
Sphinx. Sie blinzelte ängstlich zu ihm hinüber und
als sie sich überzeugt, daß der gefürchtete Riese
immobil in seiner uralten Stellung verharrte, lächelte
sie ganz eigentümlich -- lächelte über sich und ihre
kindische Angst. Im nächsten Momente stand sie
auch schon auf eigenen Füßen und dankte dem
Grafen in kühlen, gemessenen Worten für seinen
Beistand.

"Ich begreife wahrlich nicht, was mich so
plötzlich anwandelte. Willst Du glauben, Seefeld,
daß mich feige Furcht jenen Schreckensschrei aus-
stoßen ließ. Denke nur, ich war der Meinung, der
Sphinx stürze sich auf mich ... Ich erlaube Dir,
mich nach Gebühr auszulachen; doch nur unter
uns", schloß sie bald bittend, da ihr der Gedanke,
daß der Fürst seine Bemerlung darüber machen
könne, höchst unangenehm war.

"Ich werde mich wohl hüten, dies zu tun,
Pia", lautete die zärtliche Erwiderung "umsomehr,
als ich mir die Ursache Deiner Hinfälligkeit ganz
gut erkläre. Du hast seit vier Uhr morgens nichts
als eine Tasse Thee genossen und dich physisch
unendlich angestrengt. Was ist folglich natürlicher,
als daß der schwache Körper unterliegt und der
ohnehin durch soviele fremde Eindrücke aufgeregten
Phantasie freien Spielraum läßt."

"Du magst recht haben. Mein knurrender
Magen hat mir diesen schlechten Streich gespielt
und bei hellem Tage ein Schreckgespenst vorgegaukelt."

(Fortsetzung folgt.)


Mit einer Beilage.
Marburger Zeitung.



[Spaltenumbruch]

Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

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Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einſchaltungen:
Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.




Nr. 148 Dienstag, 10. Dezember 1907 46. Jahrgang.



[Spaltenumbruch]
Abg. Malik über den Ausgleich.

Vorgeſtern nachmittags ſprach im Kaſino zu
Marburg in einer vom Alldeutſchen Vereine
„Schönerer“ für Steiermark einberufenen Ver-
ſammlung (über die wir an anderer Stelle berichten)
der parlamentariſche Vertreter des 10. ſteiriſchen
Wahlkreiſes, Herr Reichsratsabg. Vinzenz Malik
über die Schäden des Ausgleiches mit Ungarn und
über die von der Regierung verlangte Dringlichkeit
dieſes Ausgleiches. Die Rede des Abg. Malik
deckte ſich mit ſeiner, zwei Tage früher im Par-
lament gehaltenen Rede, die er hier neuerdings auf
Grund des ſtenographiſchen Reichsratsprotokolles
vortrug. Wir veröffentlichen im Nachſtehenden dieſe
Rede des Abg. Malik in ihren wichtigſten Punkten;
eine vollſtändige Wiedergabe geſtattet uns der Raum
leider nicht.

I.

Meine Herren! Können Sie es nicht mehr er-
warten, bis die 600 Millionen jährlich aus der
öſterreichiſchen Volkswirtſchaft nach Ungarn hinüber-
geſchlendert werden?

Wer für die Dringlichkeit der Behandlung des
Ausgleiches iſt, iſt naturgemäß auch für den Ausgleich
ſelbſt. Wer ehrlich gegen den Ausgleich iſt, kann
deſſen Erledigung nicht im Dringlichkeitswege mit-
fördern, ohne den Vorwurf der unwürdigſten
Komödie auf ſich zu laden. Und die gründlichſte,
eingehendſte Beratung wäre doch das Natürlichſte
beei einem Gegenſtande, welcher, wie kein anderer,
im vergangenen und künftigen Jahrzent der aller-
wichtigſte, einſchneidendſte in unſerem ganzen wirt-
ſchaftlichen und politiſchen Leben war und iſt.

Ich muß hiebei auf die Verhältniſſe im ver-
gangenen Hauſe zurückgreifen. Wenn der k. k.
Regierung und ihren Liebedienern heute eine Dring-
lichkeit mit Rückſicht auf den Ablauftermin mit
31. d. M. erwächſt, ſo ſind wir, die Alldeutſchen,
[Spaltenumbruch] gewiß nicht daran ſchuld. Wir haben in der Zeit
von 1901 bis 1906 in einer großen Anzahl von
Anträgen und in zahlloſen Anfragen, und zwar in
eindringlicher Weiſe auf den jetzigen Augenblick
hingewieſen und die Vorbereitung zu demſelben im
Sinne der Trennung von Ungarn verlangt.

Gegenwärtig wurden, wie Berichte über die
Vorkommniſſe in den verſchiedenen Verbänden und
Parteillubs beſagten, ſogar die deutſchen
Miniſter in die Klubs geſchickt,
um die Regierungsdrohungen zu übermitteln, für
den Fall der Nichtannahme der Dringlichkeit. Und
bei faſt allen von ihnen, mit ſehr wenigen Aus-
nahmen, gilt das „Bangemachen.“

Und dies geſchah im Zuſammenhange mit
jenem Kainszeichen, welches dieſem neuen, dieſem
ſogenannten Volkshauſe auf die Stirn gedrückt iſt.
Die Regierungsdrohungen lauteten, das Haus
würde aufgelöſt, die Regierung würde mit dem
§ 14 den Ausgleich bewerkſtelligen, die parlamen-
tariſche Regierung würde abtreten, es würden Neu-
wahlen ausgeſchrieben werden u. dgl.

Die
fürchterlichſte der Drohungen
war natürlich die, die Sache würde mit dem § 14
gemacht werden.

Meine Herren! Wer war es denn, der, ehe
dieſes neue Haus gebildet wurde, das ſogenannte
Volkshaus auf Grund des allgemeinen, gleichen,
direkten und geheimen Wahlrechtes, der darauf hin-
gewieſen hat, daß dieſes ſogenannte Volkshaus
niemals ſeine Freiheit werde ausüben können,
ſo lange das Damoklesſchwert, wenn Sie lieber
wollen, das Staberl ober dem Volkshauſe bleiben
wird (Stürmiſche Zuſtimmung), damit es folge, denn
ſonſt kommt der § 14. Wir Alldeutſche haben uns
ſchon vor der Beratung der Wahlreform auf den
Standpunkt geſtellt, daß der § 14 bereinigt werden
muß, ehe man die Wahlreform durchführt, weil
[Spaltenumbruch] ſonſt dem neuen Volkshauſe wieder ſeine Arbeit nach
jeder Richtung hin geknebelt werden wird. Und wir
ſtehen heute vor dem erſten Fall. Nach dieſer
Richtung hin trifft mein Vorwurf vor allem anderen
jene Partei, welche ſich als die freiheitlichſte der
Parteien in dieſem Staate aufſpielt:

die Sozialiſten.

Sie, meine Herren Sozialdemokraten, haben
hier unter ſich einige Männer von Überzeugung
und ehrlichem Freiheitsdrange. Aber dieſe Freiheit,
welche den breiten Volksmaſſen die Herren Adler
und Genoſſen heimbrachten, iſt die wahre Freiheit
nicht. Es iſt jene Freiheit, die durch die Be-
laſſung des § 14 proſtituiert iſt. Sie haben
die Freiheit verkauft um die augenblickliche Er-
langung einer Anzahl von Mandaten, welche Sie in
parlamentariſcher, in wahrhaft freiheitlicher Weiſe
jetzt nicht auszuüben vermögen. Sie ſind geknebelt
mit und durch den § 14 und Sie vermögen auch
nicht dem Volke das zu halten, was ſie ihm
verſprochen haben, Sie vermögen die verheißenen
Reformen, in erſter Linie die Reform der Alters-
und Invaliditätsverſorgung nicht durchzuführen.
(Stürmiſche Zuſtimmung.)

Die wahren Volksnotwendigkeiten werden Sie
niemals erlangen können, weil Sie den § 14 be-
laſſen haben. So wie Sie durch Unaufrichtigkeit,
keineswegs aus dem Motive der Gerechtigkeit,
hiehergekommen ſind, ſo werden ſie getrieben durch
die Geißel des § 14, durch die Macht des monar-
chiſchen Prinzipes und durch die Urkraft des
nationalen Gedankens wieder von der Bildfläche
verſchwinden in dem Nebel Ihrer Vergangenheit.
(Stürmiſcher Beifall.) Für mich unterliegt es gar
keinem Zweifel, daß auch die k. k. Sozialdemokratie
an der genauen Abſtimmungsregulierung für den
Ausgleich partizipiert.

Den Ausgleich bewilligen heißt: „Aus der
Volkswirtſchaft der im Reichsrate vertretenen König-




[Spaltenumbruch]
Stürme.

36)



(Nachdruck verboten.)

Wahrſcheinlich verſchuldete dies der gewaltige
Schreck, den ihr das Einſchlagen der Türe ſeitens
des Grafen bei der Nadel der Kleopatra verurſachte.
Sie hatte deutlich gefühlt, daß man den Leu nicht
zu viel reizen dürfe. Und das Bukett mit ſeinem
berauſchenden Dufte war eben auch nicht geſchaffen,
um aufgeregte Nerven zu beruhigen. Es wurde
zwar im Eiſenbahnkoupe vergeſſen; allein das be-
täubende Gift, welches den Blumen entſtrömte,
hatte ſchon Unheil geſtiftet und gährte in Pias
Innern weiter.

Dies ſah man jetzt deutlich an ihrer ſchlotterigen
Haltung. An dem hyſteriſchen Aufſchluchzen, das ſie
plötzlich übermannte. An dem ſtieren Blicke, mit
welchem ſie den myſteriöſen Sphinx immer wieder,
wie durch Faszination, halb furchtſam und halb
trotzig betrachtete.

Wildauflachend rief Pia krankhaft erregt:
„Willſt mythiſcher Geſelle Du mir vielleicht auch
eine Moralpredigt halten, daß Du ſo finſter und
drohend auf mich herabblickſt?!“

War’s möglich? Das rieſige Antlitz, das durch
Verſtümmelung und Verluſt der Naſe ohnehin
widrig geworden, geſtaltet ſich urplötzlich zur
ſcheußlichen, Pia ſchreckenerregend angrinſenden Fratze.
Deren tote Augenhöhlen, ſprühen Verderben. Deren
immenſer, weitgeöffneter Rachen droht ſie zu ver-
ſchlingen ...


[Spaltenumbruch]

Da faßte Pia ein unergründliches, abergläubi-
ſches Grauen vor dem rätſelhaften, gräßlichen Koloß,
der den Wüſtenſand zornig abzuſchütteln ſcheint
und die ausgeſtreckten Pranken hoch und dräuend
emporhebt, um ſie zermalmend, todbringend zu um-
ſchlingen ...

In namenloſem Entſetzen wankt Pia mit ab-
wehrenden Händen zurück ... Da fühlt ſie die
gefürchtete Umarmung, ſtößt einen grellenden Angſt-
ſchrei aus und ihre Sinne ſchwinden.

— — — — — — — — — — — — — —

Eine ſtarkriechende Flüſſigkeit, mit der eine
liebevolle Hand Pias Schläfe benetzt, erweckt ſie
aus tiefer Ohnmacht. Sie ſchlägt die Augen auf
und findet ſich in Seefelds Armen, der ſie, im
Sande knieend, mit ängſtlicher Sorgfalt unterſtützt.

„Was fehlt denn meiner ſonſt ſo mutigen
Pia?“ flüſtert ihr eine bebende Stimme ins Ohr.
„Ich bin nun doppelt froh, daß ich dem Schech
Glauben geſchenkt und mich beeilt, Dich hier auf-
zuſuchen. Kam ich doch gerade noch zurecht, um
Dich in meinen Armen aufzufangen. Wie iſt Dir
denn jetzt? Fühlſt Du Dich beſſer? Ach, Pia, welch
gräßliche Angſt habe ich Deinetwegen ausgeſtanden“,
ſprach er in aufflammender Leidenſchaft. „Die
Minuten, die verrannen, bis Du endlich wieder
Deine heißgeliebten Augen aufſchlugſt, dünkten mir
Ewigkeiten.“

Er ſprach die Wahrheit, denn er hatte ſie
lieben, wahrhaft lieben gelernt ſeit jener verhängnis-
vollen Brautnacht und Pias ſüße Nähe ließ ihn
den ſeiner Manneswürde geleiſteten Schwur ver-
geſſen ...


[Spaltenumbruch]

Sie war zu angegriffen, um die Gefühle zu
gewahren, die ihn ſo mächtig beſtürmten. Ihr
Denken und Sorgen galt im Augenblick nur dem
Sphinx. Sie blinzelte ängſtlich zu ihm hinüber und
als ſie ſich überzeugt, daß der gefürchtete Rieſe
immobil in ſeiner uralten Stellung verharrte, lächelte
ſie ganz eigentümlich — lächelte über ſich und ihre
kindiſche Angſt. Im nächſten Momente ſtand ſie
auch ſchon auf eigenen Füßen und dankte dem
Grafen in kühlen, gemeſſenen Worten für ſeinen
Beiſtand.

„Ich begreife wahrlich nicht, was mich ſo
plötzlich anwandelte. Willſt Du glauben, Seefeld,
daß mich feige Furcht jenen Schreckensſchrei aus-
ſtoßen ließ. Denke nur, ich war der Meinung, der
Sphinx ſtürze ſich auf mich ... Ich erlaube Dir,
mich nach Gebühr auszulachen; doch nur unter
uns“, ſchloß ſie bald bittend, da ihr der Gedanke,
daß der Fürſt ſeine Bemerlung darüber machen
könne, höchſt unangenehm war.

„Ich werde mich wohl hüten, dies zu tun,
Pia“, lautete die zärtliche Erwiderung „umſomehr,
als ich mir die Urſache Deiner Hinfälligkeit ganz
gut erkläre. Du haſt ſeit vier Uhr morgens nichts
als eine Taſſe Thee genoſſen und dich phyſiſch
unendlich angeſtrengt. Was iſt folglich natürlicher,
als daß der ſchwache Körper unterliegt und der
ohnehin durch ſoviele fremde Eindrücke aufgeregten
Phantaſie freien Spielraum läßt.“

„Du magſt recht haben. Mein knurrender
Magen hat mir dieſen ſchlechten Streich geſpielt
und bei hellem Tage ein Schreckgeſpenſt vorgegaukelt.“

(Fortſetzung folgt.)


Mit einer Beilage.
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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4. Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.) Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h. Schluß für Einſchaltungen: Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags. Die Einzelnummer koſtet 10 Heller. Nr. 148 Dienstag, 10. Dezember 1907 46. Jahrgang. Abg. Malik über den Ausgleich. Vorgeſtern nachmittags ſprach im Kaſino zu Marburg in einer vom Alldeutſchen Vereine „Schönerer“ für Steiermark einberufenen Ver- ſammlung (über die wir an anderer Stelle berichten) der parlamentariſche Vertreter des 10. ſteiriſchen Wahlkreiſes, Herr Reichsratsabg. Vinzenz Malik über die Schäden des Ausgleiches mit Ungarn und über die von der Regierung verlangte Dringlichkeit dieſes Ausgleiches. Die Rede des Abg. Malik deckte ſich mit ſeiner, zwei Tage früher im Par- lament gehaltenen Rede, die er hier neuerdings auf Grund des ſtenographiſchen Reichsratsprotokolles vortrug. Wir veröffentlichen im Nachſtehenden dieſe Rede des Abg. Malik in ihren wichtigſten Punkten; eine vollſtändige Wiedergabe geſtattet uns der Raum leider nicht. I. Meine Herren! Können Sie es nicht mehr er- warten, bis die 600 Millionen jährlich aus der öſterreichiſchen Volkswirtſchaft nach Ungarn hinüber- geſchlendert werden? Wer für die Dringlichkeit der Behandlung des Ausgleiches iſt, iſt naturgemäß auch für den Ausgleich ſelbſt. Wer ehrlich gegen den Ausgleich iſt, kann deſſen Erledigung nicht im Dringlichkeitswege mit- fördern, ohne den Vorwurf der unwürdigſten Komödie auf ſich zu laden. Und die gründlichſte, eingehendſte Beratung wäre doch das Natürlichſte beei einem Gegenſtande, welcher, wie kein anderer, im vergangenen und künftigen Jahrzent der aller- wichtigſte, einſchneidendſte in unſerem ganzen wirt- ſchaftlichen und politiſchen Leben war und iſt. Ich muß hiebei auf die Verhältniſſe im ver- gangenen Hauſe zurückgreifen. Wenn der k. k. Regierung und ihren Liebedienern heute eine Dring- lichkeit mit Rückſicht auf den Ablauftermin mit 31. d. M. erwächſt, ſo ſind wir, die Alldeutſchen, gewiß nicht daran ſchuld. 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Die fürchterlichſte der Drohungen war natürlich die, die Sache würde mit dem § 14 gemacht werden. Meine Herren! Wer war es denn, der, ehe dieſes neue Haus gebildet wurde, das ſogenannte Volkshaus auf Grund des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechtes, der darauf hin- gewieſen hat, daß dieſes ſogenannte Volkshaus niemals ſeine Freiheit werde ausüben können, ſo lange das Damoklesſchwert, wenn Sie lieber wollen, das Staberl ober dem Volkshauſe bleiben wird (Stürmiſche Zuſtimmung), damit es folge, denn ſonſt kommt der § 14. Wir Alldeutſche haben uns ſchon vor der Beratung der Wahlreform auf den Standpunkt geſtellt, daß der § 14 bereinigt werden muß, ehe man die Wahlreform durchführt, weil ſonſt dem neuen Volkshauſe wieder ſeine Arbeit nach jeder Richtung hin geknebelt werden wird. Und wir ſtehen heute vor dem erſten Fall. Nach dieſer Richtung hin trifft mein Vorwurf vor allem anderen jene Partei, welche ſich als die freiheitlichſte der Parteien in dieſem Staate aufſpielt: die Sozialiſten. Sie, meine Herren Sozialdemokraten, haben hier unter ſich einige Männer von Überzeugung und ehrlichem Freiheitsdrange. Aber dieſe Freiheit, welche den breiten Volksmaſſen die Herren Adler und Genoſſen heimbrachten, iſt die wahre Freiheit nicht. Es iſt jene Freiheit, die durch die Be- laſſung des § 14 proſtituiert iſt. Sie haben die Freiheit verkauft um die augenblickliche Er- langung einer Anzahl von Mandaten, welche Sie in parlamentariſcher, in wahrhaft freiheitlicher Weiſe jetzt nicht auszuüben vermögen. Sie ſind geknebelt mit und durch den § 14 und Sie vermögen auch nicht dem Volke das zu halten, was ſie ihm verſprochen haben, Sie vermögen die verheißenen Reformen, in erſter Linie die Reform der Alters- und Invaliditätsverſorgung nicht durchzuführen. (Stürmiſche Zuſtimmung.) Die wahren Volksnotwendigkeiten werden Sie niemals erlangen können, weil Sie den § 14 be- laſſen haben. So wie Sie durch Unaufrichtigkeit, keineswegs aus dem Motive der Gerechtigkeit, hiehergekommen ſind, ſo werden ſie getrieben durch die Geißel des § 14, durch die Macht des monar- chiſchen Prinzipes und durch die Urkraft des nationalen Gedankens wieder von der Bildfläche verſchwinden in dem Nebel Ihrer Vergangenheit. (Stürmiſcher Beifall.) Für mich unterliegt es gar keinem Zweifel, daß auch die k. k. Sozialdemokratie an der genauen Abſtimmungsregulierung für den Ausgleich partizipiert. Den Ausgleich bewilligen heißt: „Aus der Volkswirtſchaft der im Reichsrate vertretenen König- Stürme. Roman von Paul Maria Lacroma. 36) (Nachdruck verboten.) Wahrſcheinlich verſchuldete dies der gewaltige Schreck, den ihr das Einſchlagen der Türe ſeitens des Grafen bei der Nadel der Kleopatra verurſachte. Sie hatte deutlich gefühlt, daß man den Leu nicht zu viel reizen dürfe. Und das Bukett mit ſeinem berauſchenden Dufte war eben auch nicht geſchaffen, um aufgeregte Nerven zu beruhigen. Es wurde zwar im Eiſenbahnkoupe vergeſſen; allein das be- täubende Gift, welches den Blumen entſtrömte, hatte ſchon Unheil geſtiftet und gährte in Pias Innern weiter. Dies ſah man jetzt deutlich an ihrer ſchlotterigen Haltung. An dem hyſteriſchen Aufſchluchzen, das ſie plötzlich übermannte. An dem ſtieren Blicke, mit welchem ſie den myſteriöſen Sphinx immer wieder, wie durch Faszination, halb furchtſam und halb trotzig betrachtete. Wildauflachend rief Pia krankhaft erregt: „Willſt mythiſcher Geſelle Du mir vielleicht auch eine Moralpredigt halten, daß Du ſo finſter und drohend auf mich herabblickſt?!“ War’s möglich? Das rieſige Antlitz, das durch Verſtümmelung und Verluſt der Naſe ohnehin widrig geworden, geſtaltet ſich urplötzlich zur ſcheußlichen, Pia ſchreckenerregend angrinſenden Fratze. Deren tote Augenhöhlen, ſprühen Verderben. Deren immenſer, weitgeöffneter Rachen droht ſie zu ver- ſchlingen ... Da faßte Pia ein unergründliches, abergläubi- ſches Grauen vor dem rätſelhaften, gräßlichen Koloß, der den Wüſtenſand zornig abzuſchütteln ſcheint und die ausgeſtreckten Pranken hoch und dräuend emporhebt, um ſie zermalmend, todbringend zu um- ſchlingen ... In namenloſem Entſetzen wankt Pia mit ab- wehrenden Händen zurück ... Da fühlt ſie die gefürchtete Umarmung, ſtößt einen grellenden Angſt- ſchrei aus und ihre Sinne ſchwinden. — — — — — — — — — — — — — — Eine ſtarkriechende Flüſſigkeit, mit der eine liebevolle Hand Pias Schläfe benetzt, erweckt ſie aus tiefer Ohnmacht. Sie ſchlägt die Augen auf und findet ſich in Seefelds Armen, der ſie, im Sande knieend, mit ängſtlicher Sorgfalt unterſtützt. „Was fehlt denn meiner ſonſt ſo mutigen Pia?“ flüſtert ihr eine bebende Stimme ins Ohr. „Ich bin nun doppelt froh, daß ich dem Schech Glauben geſchenkt und mich beeilt, Dich hier auf- zuſuchen. Kam ich doch gerade noch zurecht, um Dich in meinen Armen aufzufangen. Wie iſt Dir denn jetzt? Fühlſt Du Dich beſſer? Ach, Pia, welch gräßliche Angſt habe ich Deinetwegen ausgeſtanden“, ſprach er in aufflammender Leidenſchaft. „Die Minuten, die verrannen, bis Du endlich wieder Deine heißgeliebten Augen aufſchlugſt, dünkten mir Ewigkeiten.“ Er ſprach die Wahrheit, denn er hatte ſie lieben, wahrhaft lieben gelernt ſeit jener verhängnis- vollen Brautnacht und Pias ſüße Nähe ließ ihn den ſeiner Manneswürde geleiſteten Schwur ver- geſſen ... Sie war zu angegriffen, um die Gefühle zu gewahren, die ihn ſo mächtig beſtürmten. Ihr Denken und Sorgen galt im Augenblick nur dem Sphinx. Sie blinzelte ängſtlich zu ihm hinüber und als ſie ſich überzeugt, daß der gefürchtete Rieſe immobil in ſeiner uralten Stellung verharrte, lächelte ſie ganz eigentümlich — lächelte über ſich und ihre kindiſche Angſt. Im nächſten Momente ſtand ſie auch ſchon auf eigenen Füßen und dankte dem Grafen in kühlen, gemeſſenen Worten für ſeinen Beiſtand. „Ich begreife wahrlich nicht, was mich ſo plötzlich anwandelte. Willſt Du glauben, Seefeld, daß mich feige Furcht jenen Schreckensſchrei aus- ſtoßen ließ. Denke nur, ich war der Meinung, der Sphinx ſtürze ſich auf mich ... Ich erlaube Dir, mich nach Gebühr auszulachen; doch nur unter uns“, ſchloß ſie bald bittend, da ihr der Gedanke, daß der Fürſt ſeine Bemerlung darüber machen könne, höchſt unangenehm war. „Ich werde mich wohl hüten, dies zu tun, Pia“, lautete die zärtliche Erwiderung „umſomehr, als ich mir die Urſache Deiner Hinfälligkeit ganz gut erkläre. Du haſt ſeit vier Uhr morgens nichts als eine Taſſe Thee genoſſen und dich phyſiſch unendlich angeſtrengt. Was iſt folglich natürlicher, als daß der ſchwache Körper unterliegt und der ohnehin durch ſoviele fremde Eindrücke aufgeregten Phantaſie freien Spielraum läßt.“ „Du magſt recht haben. Mein knurrender Magen hat mir dieſen ſchlechten Streich geſpielt und bei hellem Tage ein Schreckgeſpenſt vorgegaukelt.“ (Fortſetzung folgt.) ☛ Mit einer Beilage. ☚

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grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 148, Marburg, 10.12.1907, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger148_1907/1>, abgerufen am 18.04.2024.