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Marburger Zeitung. Nr. 57, Marburg, 12.05.1908.

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Marburger Zeitung Nr. 57, 12. Mai 1908

[Spaltenumbruch]

auf diese Bahn, die uns einen wirtschaftlichen und
industriellen Aufschwung bringen soll, wie überhaupt
unsere Verkehrsbestrebungen nach Westen zeigen.
Die Täler des Bahngebietes aber erwarten ebenfalls
das Schönste und Beste von dieser Bahn: die
Hebung der landwirtschaftlichen Produktion, die
Absatzförderung durch den Anschluß an den großen
Verkehr. Große Opfer wurden für diesen Bahnbau
schon gebracht von Bezirks-, Stadt-, Markt- und
Gemeindevertretungen; angesichts des großen Inter-
esses, welches die Marburg-Wieser-Bahn für die
Bevölkerung besitzt, sei es Pflicht des Landes und
des Staates, beizutragen zur Vollendung dieses
Werkes, für das schon seit 40 Jahren gearbeitet
wird und das im Projekte bereits fertig ist. Wir
wollen hoffen, daß das Werk gelinge zum Segen
der Stadt, unseres Landesteiles, des ganzen Landes
und des Staates. (Lange währender Beifall.)

Zum Vorsitzenden der Tagung wurde hierauf
Bürgermeister Dr. Schmiderer, zum Stell-
vertreter der Obmann der Bezirksvertretung Arnfels
Herr Strohmaier, zum ersten Schriftführer
Herr Kleebinder, zum zweiten Herr Serpp
gewählt. Der Vorsitzende verlas hierauf die ein-
gelaufenen Entschuldigungs- und Begrüßungs-
drahtungen. Solche hatten eingesandt: Eisenbahn-
minister Dr. v. Derschatta, Finanzminister
Dr. v. Korytowsky, Statthalter Graf Clary
und Aldringen (der sein lebhaftes Interesse an
der Förderung und Realisierung der Marburg-
Wieser-Bahn zum Ausdrucke brachte), Landeshaupt-
mann Graf Edmund Attems (durch anderwärtige
Verpflichtungen am Erscheinen verhindert, wird aber
die Tagungsberichte studieren), die Bezirkshaupt-
mannschaft Leibnitz (mit Rücksicht auf den Bezirk
Arnfels), die Reichsratsabgeordneten Marckhl
(der darauf verwies, daß er immer für den Bahn-
bau eintrete) und Schweiger, Josef Stroh-
maier,
Gemeindevorstand von Oberhaag und Herr
Krieger aus Oberhaag. Die Verlesung der
Drahtungen wurde von Beifall begleitet.

Die Leidensgeschichte.

Der Obmann des Marburger Bahnausschusses,
Gemeinderat und Fabrikant Herr Franz Neger,
entwarf sodann ein gedrängtes Bild der Leidens-
geschichte dieser Bahnforderung. Schon im Jahre
1868 bildete sich ein Ausschuß zur Errichtung einer
Bahn, die von Wies über Eibiswald nach Marburg
und von hier über St. Leonhard nach Luttenberg
geführt werden sollte. Dieser Plan scheiterte daran,
daß die Kosten zu hohe waren -- sieben bis acht
Millionen Gulden. Es trat Ruhe ein, die aber nur
zwei bis drei Jahre währte, denn nach dieser Zeit
trat der damalige Bauernverein der Bauern aus
dem Pößnitz-, Langen- und Saggautale mit einem
neuen Bahnprojekte hervor, welches die Bahn von
Wies bis Marburg errichtet wissen wollte. Auch
diese Bestrebungen führten zu keinem Erfolge und
so ging die Sache immer wieder in gleicher Weise
fort. Immer wieder wurde das Begehren nach der
Bahn lebendig -- ein Beweis dafür, daß diese Bahn
eine wahre und tatsächliche Volksnotwendigkeit ist.
Im Jahre 1886 bildete sich neuerdings aus der
Bevölkerung von Marburg, Arnfels und Wies ein
Bahnbauausschuß, dessen Obmann der damalige




zeugung durchdrang den Grafen felsenfest. Er war
aber leider mit Blindheit geschlagen ... Statt die
Wahrheit zu bemerken, die doch so klar wie die
Sonne am Tage lag, erging er sich in andern,
nicht minder quälenden Vermutungen.

"Dann kann es nur Hauptmann Bruno sein!"
sagte sich der Graf verzweifelt. "O gewiß, wie
vermochte ich nur an den armen Leo zu denken!
Den konnte ja Pia heiraten, wenn sie ihn geliebt
hätte. Sie sah ihn ja täglich; aber den Hauptmann,
vor dem sie so viele Jugenderinnerungen auskramte,
den sah sie seit ihrer Kindheit zum ersten Male
wieder, als sie schon gebunden war. Sie hatte
vielleicht eine naive Kinderpassion für ihn gehabt,
die dann bei seinem Anblick mit Macht erwachte.
Ihr zuvorkommendes, herzliches Benehmen gegen ihn
schon während der Reise, das sich dann auch später
stets gleichblieb, spricht deutlich genug dafür. Die
geheime Korrespondenz bestätigt es, und was ich
an jenem verhängnisvollen Morgen mit eigenen
Augen gesehen, gestaltet das Ganze zur traurigen
Wahrheit. Ja, Pia liebt ihn! Aber ich werde mich
an dem Räuber meines Glückes blutig rächen ...

"Du wolltest mir ja etwas sagen, das mich
ganz besonders freuen sollte, Seefeld", unterbrach
Pia sein finsteres Stillschweigen, das sie sich un-
möglich deuten konnte.

(Fortsetzung folgt.)


[Spaltenumbruch]

Marburger Bürgermeister Julius Pfrimer war.
Auch diesem war das gleiche Geschick beschieden.
Als 1890 das Landeseisenbahngesetz geschaffen
wurde, regte sich der Plan einer Marburg-Wieser-
Bahn aufs neue; 1891 wurde neuerdings, und zwar
unter der Führung des heutigen Marburger Alt-
bürgermeisters Nagy ein Bahnbaukomitee gegründet,
dem es ebenfalls nicht besser ging. 1893 bis 1894
wurde abermals ein Aktionskomitee gegründet und
so ging die traurige Leidensgeschichte fort bis heute.
Nun aber sei die Bevölkerung nicht mehr gesonnen,
diesem grausamen Spiel mit ihren wirtschaftlichen
Lebensinteressen noch länger zuzusehen; sie verlangt
nun ganz energisch die endliche Erfüllung ihrer
40jährigen Forderungen. Redner verweist auf die
großen Opfer, die bisher für diesen Bahnbau schon
gebracht wurden und auf die Stammanteilzeichnungen,
die schon gegen eine Million Kronen betragen. Er
widerlegte eine Reihe von Einwendungen, welche im
Landtage gegen dieses Bahnprojekt vorgebracht
wurden, Einwendungen, mit denen die ablehnende
Haltung gegenüber dem Begehren, eine Million
Kronen Stammaktien zu zeichnen, garniert wurden.
Redner appelliert an den hohen Landtag, endlich
seine Versprechungen einzulösen, zum Wohle der
Bevölkerung, deren wirtschaftliche Lage und Steuer-
kraft dadurch gehoben würde und er dankte schließlich
jenen Abgeordneten, die bisher für das Bahnprojekt
eingetreten sind. (Lebhafter Beifall.)

Die "goldene Hochzeit".

Landtagsabgeordneter Wastian, beifälligst
begrüßt, führte u. a. aus: Bald werden wir mit
dem sehnlichen Wunsche nach Errichtung der Mar-
burg-Wieser-Bahn die goldene Hochzeit feiern können.
(Lebhafte Heiterkeit.) Wenn wir aber nicht bei allen
Vertretungskörpern und überall alle Hebel ansetzen,
dann werden wir dem ehrwürdigen Jubelpaare am
Tage der goldenen Hochzeit kein anderes Geschenk
übergeben können, als das Blech der seit 40 Jahren
gehaltenen Reden. (Lebhafte Heiterkeit und großer
Beifall.) Die zuständigen Landtagsabgeordneten
haben alles getan; aber ein Abgeordneter sei ein
armer Mann wie Hamlet, er könne nur seine Zunge
einsetzen. Die Entscheidung, die Macht über das
finanzielle Kräftespiel, das liege in den Händen
anderer Faktoren. Wieviele Seufzerbrücken werden
wir noch vom Unterlande nach Graz und Wien
bauen müssen, bis wir unseren dringenden Wunsch
werden erfüllt sehen? Und gerade jetzt sei unsere
Bahnforderung brennender als je geworden, weil es
jetzt überall Bahnwünsche regne. Wie es einer Frau
geht, die bei einer anderen eine neue Frühjahrs-
toilette sieht, so geht es auch uns, wenn wir andere
Städte im Bahnschmucke sehen. Abg. Wastian hob
rühmend die Verdienste des Marburger Bahnbau-
ausschußobmannes, des Herrn Neger hervor, der
mit unermüdlicher Kraft das Projekt vertritt, das
ohne ihn schon wieder, wie bereits so oft, für eine
Zeitlang eingesargt wäre. Redner könne als Land-
tagsabgeordneter der Stadt Marburg die Tätigkeit
Negers am besten beurteilen. Frisch geklagt, ist halb
gewonnen -- so fuhr Abg. Wastian u. a. fort;
aber mit dem Klagen allein ist's noch nicht getan
und auch dieses Klagen müsse mit Würde erfolgen
und ihr müsse die nachdrücklichste Entschiedenheit
gepaart werden. Trotzdem sei es aber nicht not-
wendig, daß, wie dies bei mehreren Eisenbahn-
tagungen schon geschehen sei, der Hausknecht der
Wahrheit, die Grobheit, zu Hilfe gerufen werde;
sie werde ja gewiß dann eintreten, wenn die Be-
völkerung zur Überzeugung gelangen sollte, daß man
höheren Ortes die berechtigtsten Wünsche nicht er-
füllen will. Redner verwies auf die Kraft, die ver-
ächtlich sei, wenn sie sich nicht mutig betätige und
diesen Mut brauchen wir jetzt mehr als je. Abg.
Wastian trat sodann noch dafür ein, daß mit der
Zeichnung von Stammanteilen eifrig fortgefahren
werden möge; er wandte sich gegen den Egoismus,
diesen Souffleur der Lebensbühne, von dem so
manche Leute noch beseelt seien, die nicht aus ihrer
Ruhe gestört werden wollen. Mit den Opfern für
eine Sache wachse auch die Liebe zu ihr. Auch der
Zauderer und Ängstlichen gedachte der Redner:
"Vor lauter kontra und pro entschlüpft der Hand
der Floh!" (Stürmische Heiterkeit.) Abg. Wastian
besprach dann die Wichtigkeit von Bahnbauten über-
haupt und den Gesichtspunkt, von dem aus sie ge-
baut und beurteilt werden sollen. Eine Bahn, sagte
der Redner u. a., sei nicht bloß ein Geschäft, sondern
sie sei dazu bestimmt, den allgemeinen Wohlstand
zu heben. (Stürmische Zustimmung.) Diese Hebung
des Volkswohlstandes, die gewiß nicht plötzlich, aber
allmählich erfolge, bringe dem Lande durch die
[Spaltenumbruch] Hebung der Steuerkraft und der allgemeinen Wohl-
fahrt reichlichen Nutzen. Zum Schlusse seiner Aus-
führungen wandte sich Abg. Wastian noch dem
heimischen Adel zu; es freue den Redner, daß sich
der heimische Adel, die Gutsbesitzer längs der ge-
planten Bahnstrecke, mit warmem Eifer für den
Bahnbau betätigen und wenn Redner einen Um-
stand bedauere, so sei es der, daß der heimische Adel
zum Zwecke der Erringung der Bahn sich nicht in
Schlachzizen umwandeln könne; hätten wir Schlach-
zizen an der geplanten Bahnstrecke -- dann hätten
wir schon sicherlich die fertige Marburg-Wieser-Bahn!
(Großer Beifall und Heiterkeit.) Abg. Wastian
forderte schließlich noch einmal zu kräftiger Be-
tätigung auf; ein Haar auf den Zähnen sei oft
mehr wert als zehntausend am Kopfe. Mit einem
Appell an die Bevölkerung, sich immer mehr zu
stählen, schloß Abg. Wastian unter langandauerndem
stürmischen Beifall.

Frühere Stadtschädigungen.

Landtagsabgeordneter Stiger verwies darauf,
daß Marburg schon früher durch die Herstellung
von Bahnanschlüssen in Pragerhof und Spielfeld
geschädigt wurde; jetzt will man die Radlbahn
bauen, deren Zustandekommen für Marburg ein
neuer und großer wirtschaftlicher Verlust wäre. Die
Forderung nach endlicher Errichtung der Marburg-
Wieser-Bahn sei daher nur recht und billig und
von dieser Forderung dürfe die Bevölkerung unter
keinen Umständen ablassen (großer Beifall), umso-
mehr, als für diese Bahn schon so viele und große
Opfer gebracht wurden. Redner drückte zum Schlusse
die Hoffnung aus, daß sich im Landtage aus den
dem Bahnbaue freundlichen Ansätzen doch noch eine
Mehrheit entwickeln werde, damit die Marburg-
Wieser-Bahn endlich einmal zur Verwirklichung ge-
lange. (Großer Beifall.)

Landesausschußmitglied Prof. Robitsch gab
seiner Freude über die Einladung und über die
heutige Tagung Ausdruck; wohl könne er nicht
namens des Landesausschusses heute Versprechungen
abgeben, aber er könne sagen, daß er für seine Person
eines Sinnes sei mit den Versammelten und mit
aller Tatkraft werde er eintreten für die Verwirk-
lichung dieses Bahnbaues. Redner verwies auf die
glückliche Lage der Stadt Marburg: wo die Reichs-
straße und die Südbahn den Draustrom übersetzen
und die Kärntnerbahn ihren Ausgangspunkt habe,
dort befinde sich in der glücklichsten Lage die Stadt
Marburg. Davon schreibe sich auch der Aufschwung
der Stadt her. Allgemeines Bestreben müsse es aber
sein, das Erworbene zu erhalten, mit dem Gange der
Zeit und der Veränderung von Verhältnissen zu rech-
nen. Durch die schon vom Abg. Stiger erwähnten Ver-
legung zweier Bahnanschlüsse nach Spielfeld und
Pragerhof wurde Marburg sehr benachteiligt; mit aller
Energie müsse nun dafür gesorgt werden, daß wenigstens
jener Verkehr zu uns kommt, der uns gebührt und
daß unsere Entwicklungsrechte uns nicht genommen
werden. Redner schloß mit der nochmaligen Ver-
sicherung, im Landesausschusse wie im Landtage
kräftig eintreten zu wollen für die Marburg-Wieser
Bahn. (Lebhafter, großer Beifall.)

Verdorrende Versprechungen.

Stadtamtsvorstand Dr. Schinner verwies
ebenfalls auf die Leidensgeschichte dieser Bahn-
forderung; betrübend sei die ablehnende Haltung,
welche die steirische Landesvertretung in dieser
Angelegenheit bisher eingenommen habe, obwohl
aus dem Landtage Zusagen hinsichtlich dieses
Bahnbaues vorliegen.

Der in der 7. Landtagsperiode, 4. Session
erstattete, vom 10. Februar 1894 datierte und vom
Obmanne Dr. Heilsberg und Berichterstatter
Dr. Leopold Link gebrachte Bericht des Sonder-
ausschusses für Eisenbahnangelegenheiten über die
Petition des Aktionskomitees in Marburg um Her-
stellung der Bahn Wies-Eibiswald-Marburg etc. be-
sagt u. a.: "Nachdem jedoch immerhin schon nam-
hafte Interessentenbeiträge gezeichnet sind und noch
weitere Beiträge in Aussicht stehen sollen, somit
auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß in
späterer Zeit die gesetzlichen Voraussetzungen für
diese Bahnverbindung geschaffen werden und nach-
dem der Bahnverbindung eine gewisse Bedeutung
für die Belebung des Verkehres in den davon be-
rührten Landesteilen und für die wirtschaftliche
Entwickelung der Stadt Marburg nicht abgesprochen
werden kann, so erscheint es gerechtfertigt, diese
Linie in den Kreis der Studien des Landes-Eisen-
bahnamtes einzubeziehen, wobei der Sonderausschuß
der Ansicht ist, daß für diese Bahnverbindung die
Vollspur in Aussicht zu nehmen sein wird."


Marburger Zeitung Nr. 57, 12. Mai 1908

[Spaltenumbruch]

auf dieſe Bahn, die uns einen wirtſchaftlichen und
induſtriellen Aufſchwung bringen ſoll, wie überhaupt
unſere Verkehrsbeſtrebungen nach Weſten zeigen.
Die Täler des Bahngebietes aber erwarten ebenfalls
das Schönſte und Beſte von dieſer Bahn: die
Hebung der landwirtſchaftlichen Produktion, die
Abſatzförderung durch den Anſchluß an den großen
Verkehr. Große Opfer wurden für dieſen Bahnbau
ſchon gebracht von Bezirks-, Stadt-, Markt- und
Gemeindevertretungen; angeſichts des großen Inter-
eſſes, welches die Marburg-Wieſer-Bahn für die
Bevölkerung beſitzt, ſei es Pflicht des Landes und
des Staates, beizutragen zur Vollendung dieſes
Werkes, für das ſchon ſeit 40 Jahren gearbeitet
wird und das im Projekte bereits fertig iſt. Wir
wollen hoffen, daß das Werk gelinge zum Segen
der Stadt, unſeres Landesteiles, des ganzen Landes
und des Staates. (Lange währender Beifall.)

Zum Vorſitzenden der Tagung wurde hierauf
Bürgermeiſter Dr. Schmiderer, zum Stell-
vertreter der Obmann der Bezirksvertretung Arnfels
Herr Strohmaier, zum erſten Schriftführer
Herr Kleebinder, zum zweiten Herr Serpp
gewählt. Der Vorſitzende verlas hierauf die ein-
gelaufenen Entſchuldigungs- und Begrüßungs-
drahtungen. Solche hatten eingeſandt: Eiſenbahn-
miniſter Dr. v. Derſchatta, Finanzminiſter
Dr. v. Korytowsky, Statthalter Graf Clary
und Aldringen (der ſein lebhaftes Intereſſe an
der Förderung und Realiſierung der Marburg-
Wieſer-Bahn zum Ausdrucke brachte), Landeshaupt-
mann Graf Edmund Attems (durch anderwärtige
Verpflichtungen am Erſcheinen verhindert, wird aber
die Tagungsberichte ſtudieren), die Bezirkshaupt-
mannſchaft Leibnitz (mit Rückſicht auf den Bezirk
Arnfels), die Reichsratsabgeordneten Marckhl
(der darauf verwies, daß er immer für den Bahn-
bau eintrete) und Schweiger, Joſef Stroh-
maier,
Gemeindevorſtand von Oberhaag und Herr
Krieger aus Oberhaag. Die Verleſung der
Drahtungen wurde von Beifall begleitet.

Die Leidensgeſchichte.

Der Obmann des Marburger Bahnausſchuſſes,
Gemeinderat und Fabrikant Herr Franz Neger,
entwarf ſodann ein gedrängtes Bild der Leidens-
geſchichte dieſer Bahnforderung. Schon im Jahre
1868 bildete ſich ein Ausſchuß zur Errichtung einer
Bahn, die von Wies über Eibiswald nach Marburg
und von hier über St. Leonhard nach Luttenberg
geführt werden ſollte. Dieſer Plan ſcheiterte daran,
daß die Koſten zu hohe waren — ſieben bis acht
Millionen Gulden. Es trat Ruhe ein, die aber nur
zwei bis drei Jahre währte, denn nach dieſer Zeit
trat der damalige Bauernverein der Bauern aus
dem Pößnitz-, Langen- und Saggautale mit einem
neuen Bahnprojekte hervor, welches die Bahn von
Wies bis Marburg errichtet wiſſen wollte. Auch
dieſe Beſtrebungen führten zu keinem Erfolge und
ſo ging die Sache immer wieder in gleicher Weiſe
fort. Immer wieder wurde das Begehren nach der
Bahn lebendig — ein Beweis dafür, daß dieſe Bahn
eine wahre und tatſächliche Volksnotwendigkeit iſt.
Im Jahre 1886 bildete ſich neuerdings aus der
Bevölkerung von Marburg, Arnfels und Wies ein
Bahnbauausſchuß, deſſen Obmann der damalige




zeugung durchdrang den Grafen felſenfeſt. Er war
aber leider mit Blindheit geſchlagen ... Statt die
Wahrheit zu bemerken, die doch ſo klar wie die
Sonne am Tage lag, erging er ſich in andern,
nicht minder quälenden Vermutungen.

„Dann kann es nur Hauptmann Bruno ſein!“
ſagte ſich der Graf verzweifelt. „O gewiß, wie
vermochte ich nur an den armen Leo zu denken!
Den konnte ja Pia heiraten, wenn ſie ihn geliebt
hätte. Sie ſah ihn ja täglich; aber den Hauptmann,
vor dem ſie ſo viele Jugenderinnerungen auskramte,
den ſah ſie ſeit ihrer Kindheit zum erſten Male
wieder, als ſie ſchon gebunden war. Sie hatte
vielleicht eine naive Kinderpaſſion für ihn gehabt,
die dann bei ſeinem Anblick mit Macht erwachte.
Ihr zuvorkommendes, herzliches Benehmen gegen ihn
ſchon während der Reiſe, das ſich dann auch ſpäter
ſtets gleichblieb, ſpricht deutlich genug dafür. Die
geheime Korreſpondenz beſtätigt es, und was ich
an jenem verhängnisvollen Morgen mit eigenen
Augen geſehen, geſtaltet das Ganze zur traurigen
Wahrheit. Ja, Pia liebt ihn! Aber ich werde mich
an dem Räuber meines Glückes blutig rächen ...

„Du wollteſt mir ja etwas ſagen, das mich
ganz beſonders freuen ſollte, Seefeld“, unterbrach
Pia ſein finſteres Stillſchweigen, das ſie ſich un-
möglich deuten konnte.

(Fortſetzung folgt.)


[Spaltenumbruch]

Marburger Bürgermeiſter Julius Pfrimer war.
Auch dieſem war das gleiche Geſchick beſchieden.
Als 1890 das Landeseiſenbahngeſetz geſchaffen
wurde, regte ſich der Plan einer Marburg-Wieſer-
Bahn aufs neue; 1891 wurde neuerdings, und zwar
unter der Führung des heutigen Marburger Alt-
bürgermeiſters Nagy ein Bahnbaukomitee gegründet,
dem es ebenfalls nicht beſſer ging. 1893 bis 1894
wurde abermals ein Aktionskomitee gegründet und
ſo ging die traurige Leidensgeſchichte fort bis heute.
Nun aber ſei die Bevölkerung nicht mehr geſonnen,
dieſem grauſamen Spiel mit ihren wirtſchaftlichen
Lebensintereſſen noch länger zuzuſehen; ſie verlangt
nun ganz energiſch die endliche Erfüllung ihrer
40jährigen Forderungen. Redner verweiſt auf die
großen Opfer, die bisher für dieſen Bahnbau ſchon
gebracht wurden und auf die Stammanteilzeichnungen,
die ſchon gegen eine Million Kronen betragen. Er
widerlegte eine Reihe von Einwendungen, welche im
Landtage gegen dieſes Bahnprojekt vorgebracht
wurden, Einwendungen, mit denen die ablehnende
Haltung gegenüber dem Begehren, eine Million
Kronen Stammaktien zu zeichnen, garniert wurden.
Redner appelliert an den hohen Landtag, endlich
ſeine Verſprechungen einzulöſen, zum Wohle der
Bevölkerung, deren wirtſchaftliche Lage und Steuer-
kraft dadurch gehoben würde und er dankte ſchließlich
jenen Abgeordneten, die bisher für das Bahnprojekt
eingetreten ſind. (Lebhafter Beifall.)

Die „goldene Hochzeit“.

Landtagsabgeordneter Waſtian, beifälligſt
begrüßt, führte u. a. aus: Bald werden wir mit
dem ſehnlichen Wunſche nach Errichtung der Mar-
burg-Wieſer-Bahn die goldene Hochzeit feiern können.
(Lebhafte Heiterkeit.) Wenn wir aber nicht bei allen
Vertretungskörpern und überall alle Hebel anſetzen,
dann werden wir dem ehrwürdigen Jubelpaare am
Tage der goldenen Hochzeit kein anderes Geſchenk
übergeben können, als das Blech der ſeit 40 Jahren
gehaltenen Reden. (Lebhafte Heiterkeit und großer
Beifall.) Die zuſtändigen Landtagsabgeordneten
haben alles getan; aber ein Abgeordneter ſei ein
armer Mann wie Hamlet, er könne nur ſeine Zunge
einſetzen. Die Entſcheidung, die Macht über das
finanzielle Kräfteſpiel, das liege in den Händen
anderer Faktoren. Wieviele Seufzerbrücken werden
wir noch vom Unterlande nach Graz und Wien
bauen müſſen, bis wir unſeren dringenden Wunſch
werden erfüllt ſehen? Und gerade jetzt ſei unſere
Bahnforderung brennender als je geworden, weil es
jetzt überall Bahnwünſche regne. Wie es einer Frau
geht, die bei einer anderen eine neue Frühjahrs-
toilette ſieht, ſo geht es auch uns, wenn wir andere
Städte im Bahnſchmucke ſehen. Abg. Waſtian hob
rühmend die Verdienſte des Marburger Bahnbau-
ausſchußobmannes, des Herrn Neger hervor, der
mit unermüdlicher Kraft das Projekt vertritt, das
ohne ihn ſchon wieder, wie bereits ſo oft, für eine
Zeitlang eingeſargt wäre. Redner könne als Land-
tagsabgeordneter der Stadt Marburg die Tätigkeit
Negers am beſten beurteilen. Friſch geklagt, iſt halb
gewonnen — ſo fuhr Abg. Waſtian u. a. fort;
aber mit dem Klagen allein iſt’s noch nicht getan
und auch dieſes Klagen müſſe mit Würde erfolgen
und ihr müſſe die nachdrücklichſte Entſchiedenheit
gepaart werden. Trotzdem ſei es aber nicht not-
wendig, daß, wie dies bei mehreren Eiſenbahn-
tagungen ſchon geſchehen ſei, der Hausknecht der
Wahrheit, die Grobheit, zu Hilfe gerufen werde;
ſie werde ja gewiß dann eintreten, wenn die Be-
völkerung zur Überzeugung gelangen ſollte, daß man
höheren Ortes die berechtigtſten Wünſche nicht er-
füllen will. Redner verwies auf die Kraft, die ver-
ächtlich ſei, wenn ſie ſich nicht mutig betätige und
dieſen Mut brauchen wir jetzt mehr als je. Abg.
Waſtian trat ſodann noch dafür ein, daß mit der
Zeichnung von Stammanteilen eifrig fortgefahren
werden möge; er wandte ſich gegen den Egoismus,
dieſen Souffleur der Lebensbühne, von dem ſo
manche Leute noch beſeelt ſeien, die nicht aus ihrer
Ruhe geſtört werden wollen. Mit den Opfern für
eine Sache wachſe auch die Liebe zu ihr. Auch der
Zauderer und Ängſtlichen gedachte der Redner:
„Vor lauter kontra und pro entſchlüpft der Hand
der Floh!“ (Stürmiſche Heiterkeit.) Abg. Waſtian
beſprach dann die Wichtigkeit von Bahnbauten über-
haupt und den Geſichtspunkt, von dem aus ſie ge-
baut und beurteilt werden ſollen. Eine Bahn, ſagte
der Redner u. a., ſei nicht bloß ein Geſchäft, ſondern
ſie ſei dazu beſtimmt, den allgemeinen Wohlſtand
zu heben. (Stürmiſche Zuſtimmung.) Dieſe Hebung
des Volkswohlſtandes, die gewiß nicht plötzlich, aber
allmählich erfolge, bringe dem Lande durch die
[Spaltenumbruch] Hebung der Steuerkraft und der allgemeinen Wohl-
fahrt reichlichen Nutzen. Zum Schluſſe ſeiner Aus-
führungen wandte ſich Abg. Waſtian noch dem
heimiſchen Adel zu; es freue den Redner, daß ſich
der heimiſche Adel, die Gutsbeſitzer längs der ge-
planten Bahnſtrecke, mit warmem Eifer für den
Bahnbau betätigen und wenn Redner einen Um-
ſtand bedauere, ſo ſei es der, daß der heimiſche Adel
zum Zwecke der Erringung der Bahn ſich nicht in
Schlachzizen umwandeln könne; hätten wir Schlach-
zizen an der geplanten Bahnſtrecke — dann hätten
wir ſchon ſicherlich die fertige Marburg-Wieſer-Bahn!
(Großer Beifall und Heiterkeit.) Abg. Waſtian
forderte ſchließlich noch einmal zu kräftiger Be-
tätigung auf; ein Haar auf den Zähnen ſei oft
mehr wert als zehntauſend am Kopfe. Mit einem
Appell an die Bevölkerung, ſich immer mehr zu
ſtählen, ſchloß Abg. Waſtian unter langandauerndem
ſtürmiſchen Beifall.

Frühere Stadtſchädigungen.

Landtagsabgeordneter Stiger verwies darauf,
daß Marburg ſchon früher durch die Herſtellung
von Bahnanſchlüſſen in Pragerhof und Spielfeld
geſchädigt wurde; jetzt will man die Radlbahn
bauen, deren Zuſtandekommen für Marburg ein
neuer und großer wirtſchaftlicher Verluſt wäre. Die
Forderung nach endlicher Errichtung der Marburg-
Wieſer-Bahn ſei daher nur recht und billig und
von dieſer Forderung dürfe die Bevölkerung unter
keinen Umſtänden ablaſſen (großer Beifall), umſo-
mehr, als für dieſe Bahn ſchon ſo viele und große
Opfer gebracht wurden. Redner drückte zum Schluſſe
die Hoffnung aus, daß ſich im Landtage aus den
dem Bahnbaue freundlichen Anſätzen doch noch eine
Mehrheit entwickeln werde, damit die Marburg-
Wieſer-Bahn endlich einmal zur Verwirklichung ge-
lange. (Großer Beifall.)

Landesausſchußmitglied Prof. Robitſch gab
ſeiner Freude über die Einladung und über die
heutige Tagung Ausdruck; wohl könne er nicht
namens des Landesausſchuſſes heute Verſprechungen
abgeben, aber er könne ſagen, daß er für ſeine Perſon
eines Sinnes ſei mit den Verſammelten und mit
aller Tatkraft werde er eintreten für die Verwirk-
lichung dieſes Bahnbaues. Redner verwies auf die
glückliche Lage der Stadt Marburg: wo die Reichs-
ſtraße und die Südbahn den Drauſtrom überſetzen
und die Kärntnerbahn ihren Ausgangspunkt habe,
dort befinde ſich in der glücklichſten Lage die Stadt
Marburg. Davon ſchreibe ſich auch der Aufſchwung
der Stadt her. Allgemeines Beſtreben müſſe es aber
ſein, das Erworbene zu erhalten, mit dem Gange der
Zeit und der Veränderung von Verhältniſſen zu rech-
nen. Durch die ſchon vom Abg. Stiger erwähnten Ver-
legung zweier Bahnanſchlüſſe nach Spielfeld und
Pragerhof wurde Marburg ſehr benachteiligt; mit aller
Energie müſſe nun dafür geſorgt werden, daß wenigſtens
jener Verkehr zu uns kommt, der uns gebührt und
daß unſere Entwicklungsrechte uns nicht genommen
werden. Redner ſchloß mit der nochmaligen Ver-
ſicherung, im Landesausſchuſſe wie im Landtage
kräftig eintreten zu wollen für die Marburg-Wieſer
Bahn. (Lebhafter, großer Beifall.)

Verdorrende Verſprechungen.

Stadtamtsvorſtand Dr. Schinner verwies
ebenfalls auf die Leidensgeſchichte dieſer Bahn-
forderung; betrübend ſei die ablehnende Haltung,
welche die ſteiriſche Landesvertretung in dieſer
Angelegenheit bisher eingenommen habe, obwohl
aus dem Landtage Zuſagen hinſichtlich dieſes
Bahnbaues vorliegen.

Der in der 7. Landtagsperiode, 4. Seſſion
erſtattete, vom 10. Februar 1894 datierte und vom
Obmanne Dr. Heilsberg und Berichterſtatter
Dr. Leopold Link gebrachte Bericht des Sonder-
ausſchuſſes für Eiſenbahnangelegenheiten über die
Petition des Aktionskomitees in Marburg um Her-
ſtellung der Bahn Wies-Eibiswald-Marburg ꝛc. be-
ſagt u. a.: „Nachdem jedoch immerhin ſchon nam-
hafte Intereſſentenbeiträge gezeichnet ſind und noch
weitere Beiträge in Ausſicht ſtehen ſollen, ſomit
auch die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen iſt, daß in
ſpäterer Zeit die geſetzlichen Vorausſetzungen für
dieſe Bahnverbindung geſchaffen werden und nach-
dem der Bahnverbindung eine gewiſſe Bedeutung
für die Belebung des Verkehres in den davon be-
rührten Landesteilen und für die wirtſchaftliche
Entwickelung der Stadt Marburg nicht abgeſprochen
werden kann, ſo erſcheint es gerechtfertigt, dieſe
Linie in den Kreis der Studien des Landes-Eiſen-
bahnamtes einzubeziehen, wobei der Sonderausſchuß
der Anſicht iſt, daß für dieſe Bahnverbindung die
Vollſpur in Ausſicht zu nehmen ſein wird.“


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&#x017F;o ging die Sache immer wieder in gleicher Wei&#x017F;e<lb/>
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</TEI>
[2/0002] Marburger Zeitung Nr. 57, 12. Mai 1908 auf dieſe Bahn, die uns einen wirtſchaftlichen und induſtriellen Aufſchwung bringen ſoll, wie überhaupt unſere Verkehrsbeſtrebungen nach Weſten zeigen. Die Täler des Bahngebietes aber erwarten ebenfalls das Schönſte und Beſte von dieſer Bahn: die Hebung der landwirtſchaftlichen Produktion, die Abſatzförderung durch den Anſchluß an den großen Verkehr. Große Opfer wurden für dieſen Bahnbau ſchon gebracht von Bezirks-, Stadt-, Markt- und Gemeindevertretungen; angeſichts des großen Inter- eſſes, welches die Marburg-Wieſer-Bahn für die Bevölkerung beſitzt, ſei es Pflicht des Landes und des Staates, beizutragen zur Vollendung dieſes Werkes, für das ſchon ſeit 40 Jahren gearbeitet wird und das im Projekte bereits fertig iſt. Wir wollen hoffen, daß das Werk gelinge zum Segen der Stadt, unſeres Landesteiles, des ganzen Landes und des Staates. (Lange währender Beifall.) Zum Vorſitzenden der Tagung wurde hierauf Bürgermeiſter Dr. Schmiderer, zum Stell- vertreter der Obmann der Bezirksvertretung Arnfels Herr Strohmaier, zum erſten Schriftführer Herr Kleebinder, zum zweiten Herr Serpp gewählt. Der Vorſitzende verlas hierauf die ein- gelaufenen Entſchuldigungs- und Begrüßungs- drahtungen. Solche hatten eingeſandt: Eiſenbahn- miniſter Dr. v. Derſchatta, Finanzminiſter Dr. v. Korytowsky, Statthalter Graf Clary und Aldringen (der ſein lebhaftes Intereſſe an der Förderung und Realiſierung der Marburg- Wieſer-Bahn zum Ausdrucke brachte), Landeshaupt- mann Graf Edmund Attems (durch anderwärtige Verpflichtungen am Erſcheinen verhindert, wird aber die Tagungsberichte ſtudieren), die Bezirkshaupt- mannſchaft Leibnitz (mit Rückſicht auf den Bezirk Arnfels), die Reichsratsabgeordneten Marckhl (der darauf verwies, daß er immer für den Bahn- bau eintrete) und Schweiger, Joſef Stroh- maier, Gemeindevorſtand von Oberhaag und Herr Krieger aus Oberhaag. Die Verleſung der Drahtungen wurde von Beifall begleitet. Die Leidensgeſchichte. Der Obmann des Marburger Bahnausſchuſſes, Gemeinderat und Fabrikant Herr Franz Neger, entwarf ſodann ein gedrängtes Bild der Leidens- geſchichte dieſer Bahnforderung. Schon im Jahre 1868 bildete ſich ein Ausſchuß zur Errichtung einer Bahn, die von Wies über Eibiswald nach Marburg und von hier über St. Leonhard nach Luttenberg geführt werden ſollte. Dieſer Plan ſcheiterte daran, daß die Koſten zu hohe waren — ſieben bis acht Millionen Gulden. Es trat Ruhe ein, die aber nur zwei bis drei Jahre währte, denn nach dieſer Zeit trat der damalige Bauernverein der Bauern aus dem Pößnitz-, Langen- und Saggautale mit einem neuen Bahnprojekte hervor, welches die Bahn von Wies bis Marburg errichtet wiſſen wollte. Auch dieſe Beſtrebungen führten zu keinem Erfolge und ſo ging die Sache immer wieder in gleicher Weiſe fort. Immer wieder wurde das Begehren nach der Bahn lebendig — ein Beweis dafür, daß dieſe Bahn eine wahre und tatſächliche Volksnotwendigkeit iſt. Im Jahre 1886 bildete ſich neuerdings aus der Bevölkerung von Marburg, Arnfels und Wies ein Bahnbauausſchuß, deſſen Obmann der damalige zeugung durchdrang den Grafen felſenfeſt. Er war aber leider mit Blindheit geſchlagen ... Statt die Wahrheit zu bemerken, die doch ſo klar wie die Sonne am Tage lag, erging er ſich in andern, nicht minder quälenden Vermutungen. „Dann kann es nur Hauptmann Bruno ſein!“ ſagte ſich der Graf verzweifelt. „O gewiß, wie vermochte ich nur an den armen Leo zu denken! Den konnte ja Pia heiraten, wenn ſie ihn geliebt hätte. Sie ſah ihn ja täglich; aber den Hauptmann, vor dem ſie ſo viele Jugenderinnerungen auskramte, den ſah ſie ſeit ihrer Kindheit zum erſten Male wieder, als ſie ſchon gebunden war. Sie hatte vielleicht eine naive Kinderpaſſion für ihn gehabt, die dann bei ſeinem Anblick mit Macht erwachte. Ihr zuvorkommendes, herzliches Benehmen gegen ihn ſchon während der Reiſe, das ſich dann auch ſpäter ſtets gleichblieb, ſpricht deutlich genug dafür. Die geheime Korreſpondenz beſtätigt es, und was ich an jenem verhängnisvollen Morgen mit eigenen Augen geſehen, geſtaltet das Ganze zur traurigen Wahrheit. Ja, Pia liebt ihn! Aber ich werde mich an dem Räuber meines Glückes blutig rächen ... „Du wollteſt mir ja etwas ſagen, das mich ganz beſonders freuen ſollte, Seefeld“, unterbrach Pia ſein finſteres Stillſchweigen, das ſie ſich un- möglich deuten konnte. (Fortſetzung folgt.) Marburger Bürgermeiſter Julius Pfrimer war. Auch dieſem war das gleiche Geſchick beſchieden. Als 1890 das Landeseiſenbahngeſetz geſchaffen wurde, regte ſich der Plan einer Marburg-Wieſer- Bahn aufs neue; 1891 wurde neuerdings, und zwar unter der Führung des heutigen Marburger Alt- bürgermeiſters Nagy ein Bahnbaukomitee gegründet, dem es ebenfalls nicht beſſer ging. 1893 bis 1894 wurde abermals ein Aktionskomitee gegründet und ſo ging die traurige Leidensgeſchichte fort bis heute. Nun aber ſei die Bevölkerung nicht mehr geſonnen, dieſem grauſamen Spiel mit ihren wirtſchaftlichen Lebensintereſſen noch länger zuzuſehen; ſie verlangt nun ganz energiſch die endliche Erfüllung ihrer 40jährigen Forderungen. Redner verweiſt auf die großen Opfer, die bisher für dieſen Bahnbau ſchon gebracht wurden und auf die Stammanteilzeichnungen, die ſchon gegen eine Million Kronen betragen. Er widerlegte eine Reihe von Einwendungen, welche im Landtage gegen dieſes Bahnprojekt vorgebracht wurden, Einwendungen, mit denen die ablehnende Haltung gegenüber dem Begehren, eine Million Kronen Stammaktien zu zeichnen, garniert wurden. Redner appelliert an den hohen Landtag, endlich ſeine Verſprechungen einzulöſen, zum Wohle der Bevölkerung, deren wirtſchaftliche Lage und Steuer- kraft dadurch gehoben würde und er dankte ſchließlich jenen Abgeordneten, die bisher für das Bahnprojekt eingetreten ſind. (Lebhafter Beifall.) Die „goldene Hochzeit“. Landtagsabgeordneter Waſtian, beifälligſt begrüßt, führte u. a. aus: Bald werden wir mit dem ſehnlichen Wunſche nach Errichtung der Mar- burg-Wieſer-Bahn die goldene Hochzeit feiern können. (Lebhafte Heiterkeit.) Wenn wir aber nicht bei allen Vertretungskörpern und überall alle Hebel anſetzen, dann werden wir dem ehrwürdigen Jubelpaare am Tage der goldenen Hochzeit kein anderes Geſchenk übergeben können, als das Blech der ſeit 40 Jahren gehaltenen Reden. (Lebhafte Heiterkeit und großer Beifall.) Die zuſtändigen Landtagsabgeordneten haben alles getan; aber ein Abgeordneter ſei ein armer Mann wie Hamlet, er könne nur ſeine Zunge einſetzen. Die Entſcheidung, die Macht über das finanzielle Kräfteſpiel, das liege in den Händen anderer Faktoren. Wieviele Seufzerbrücken werden wir noch vom Unterlande nach Graz und Wien bauen müſſen, bis wir unſeren dringenden Wunſch werden erfüllt ſehen? Und gerade jetzt ſei unſere Bahnforderung brennender als je geworden, weil es jetzt überall Bahnwünſche regne. Wie es einer Frau geht, die bei einer anderen eine neue Frühjahrs- toilette ſieht, ſo geht es auch uns, wenn wir andere Städte im Bahnſchmucke ſehen. Abg. Waſtian hob rühmend die Verdienſte des Marburger Bahnbau- ausſchußobmannes, des Herrn Neger hervor, der mit unermüdlicher Kraft das Projekt vertritt, das ohne ihn ſchon wieder, wie bereits ſo oft, für eine Zeitlang eingeſargt wäre. Redner könne als Land- tagsabgeordneter der Stadt Marburg die Tätigkeit Negers am beſten beurteilen. Friſch geklagt, iſt halb gewonnen — ſo fuhr Abg. Waſtian u. a. fort; aber mit dem Klagen allein iſt’s noch nicht getan und auch dieſes Klagen müſſe mit Würde erfolgen und ihr müſſe die nachdrücklichſte Entſchiedenheit gepaart werden. Trotzdem ſei es aber nicht not- wendig, daß, wie dies bei mehreren Eiſenbahn- tagungen ſchon geſchehen ſei, der Hausknecht der Wahrheit, die Grobheit, zu Hilfe gerufen werde; ſie werde ja gewiß dann eintreten, wenn die Be- völkerung zur Überzeugung gelangen ſollte, daß man höheren Ortes die berechtigtſten Wünſche nicht er- füllen will. Redner verwies auf die Kraft, die ver- ächtlich ſei, wenn ſie ſich nicht mutig betätige und dieſen Mut brauchen wir jetzt mehr als je. Abg. Waſtian trat ſodann noch dafür ein, daß mit der Zeichnung von Stammanteilen eifrig fortgefahren werden möge; er wandte ſich gegen den Egoismus, dieſen Souffleur der Lebensbühne, von dem ſo manche Leute noch beſeelt ſeien, die nicht aus ihrer Ruhe geſtört werden wollen. Mit den Opfern für eine Sache wachſe auch die Liebe zu ihr. Auch der Zauderer und Ängſtlichen gedachte der Redner: „Vor lauter kontra und pro entſchlüpft der Hand der Floh!“ (Stürmiſche Heiterkeit.) Abg. Waſtian beſprach dann die Wichtigkeit von Bahnbauten über- haupt und den Geſichtspunkt, von dem aus ſie ge- baut und beurteilt werden ſollen. Eine Bahn, ſagte der Redner u. a., ſei nicht bloß ein Geſchäft, ſondern ſie ſei dazu beſtimmt, den allgemeinen Wohlſtand zu heben. (Stürmiſche Zuſtimmung.) Dieſe Hebung des Volkswohlſtandes, die gewiß nicht plötzlich, aber allmählich erfolge, bringe dem Lande durch die Hebung der Steuerkraft und der allgemeinen Wohl- fahrt reichlichen Nutzen. Zum Schluſſe ſeiner Aus- führungen wandte ſich Abg. Waſtian noch dem heimiſchen Adel zu; es freue den Redner, daß ſich der heimiſche Adel, die Gutsbeſitzer längs der ge- planten Bahnſtrecke, mit warmem Eifer für den Bahnbau betätigen und wenn Redner einen Um- ſtand bedauere, ſo ſei es der, daß der heimiſche Adel zum Zwecke der Erringung der Bahn ſich nicht in Schlachzizen umwandeln könne; hätten wir Schlach- zizen an der geplanten Bahnſtrecke — dann hätten wir ſchon ſicherlich die fertige Marburg-Wieſer-Bahn! (Großer Beifall und Heiterkeit.) Abg. Waſtian forderte ſchließlich noch einmal zu kräftiger Be- tätigung auf; ein Haar auf den Zähnen ſei oft mehr wert als zehntauſend am Kopfe. Mit einem Appell an die Bevölkerung, ſich immer mehr zu ſtählen, ſchloß Abg. Waſtian unter langandauerndem ſtürmiſchen Beifall. Frühere Stadtſchädigungen. Landtagsabgeordneter Stiger verwies darauf, daß Marburg ſchon früher durch die Herſtellung von Bahnanſchlüſſen in Pragerhof und Spielfeld geſchädigt wurde; jetzt will man die Radlbahn bauen, deren Zuſtandekommen für Marburg ein neuer und großer wirtſchaftlicher Verluſt wäre. Die Forderung nach endlicher Errichtung der Marburg- Wieſer-Bahn ſei daher nur recht und billig und von dieſer Forderung dürfe die Bevölkerung unter keinen Umſtänden ablaſſen (großer Beifall), umſo- mehr, als für dieſe Bahn ſchon ſo viele und große Opfer gebracht wurden. Redner drückte zum Schluſſe die Hoffnung aus, daß ſich im Landtage aus den dem Bahnbaue freundlichen Anſätzen doch noch eine Mehrheit entwickeln werde, damit die Marburg- Wieſer-Bahn endlich einmal zur Verwirklichung ge- lange. (Großer Beifall.) Landesausſchußmitglied Prof. Robitſch gab ſeiner Freude über die Einladung und über die heutige Tagung Ausdruck; wohl könne er nicht namens des Landesausſchuſſes heute Verſprechungen abgeben, aber er könne ſagen, daß er für ſeine Perſon eines Sinnes ſei mit den Verſammelten und mit aller Tatkraft werde er eintreten für die Verwirk- lichung dieſes Bahnbaues. Redner verwies auf die glückliche Lage der Stadt Marburg: wo die Reichs- ſtraße und die Südbahn den Drauſtrom überſetzen und die Kärntnerbahn ihren Ausgangspunkt habe, dort befinde ſich in der glücklichſten Lage die Stadt Marburg. Davon ſchreibe ſich auch der Aufſchwung der Stadt her. Allgemeines Beſtreben müſſe es aber ſein, das Erworbene zu erhalten, mit dem Gange der Zeit und der Veränderung von Verhältniſſen zu rech- nen. Durch die ſchon vom Abg. Stiger erwähnten Ver- legung zweier Bahnanſchlüſſe nach Spielfeld und Pragerhof wurde Marburg ſehr benachteiligt; mit aller Energie müſſe nun dafür geſorgt werden, daß wenigſtens jener Verkehr zu uns kommt, der uns gebührt und daß unſere Entwicklungsrechte uns nicht genommen werden. Redner ſchloß mit der nochmaligen Ver- ſicherung, im Landesausſchuſſe wie im Landtage kräftig eintreten zu wollen für die Marburg-Wieſer Bahn. (Lebhafter, großer Beifall.) Verdorrende Verſprechungen. Stadtamtsvorſtand Dr. Schinner verwies ebenfalls auf die Leidensgeſchichte dieſer Bahn- forderung; betrübend ſei die ablehnende Haltung, welche die ſteiriſche Landesvertretung in dieſer Angelegenheit bisher eingenommen habe, obwohl aus dem Landtage Zuſagen hinſichtlich dieſes Bahnbaues vorliegen. Der in der 7. Landtagsperiode, 4. Seſſion erſtattete, vom 10. Februar 1894 datierte und vom Obmanne Dr. Heilsberg und Berichterſtatter Dr. Leopold Link gebrachte Bericht des Sonder- ausſchuſſes für Eiſenbahnangelegenheiten über die Petition des Aktionskomitees in Marburg um Her- ſtellung der Bahn Wies-Eibiswald-Marburg ꝛc. be- ſagt u. a.: „Nachdem jedoch immerhin ſchon nam- hafte Intereſſentenbeiträge gezeichnet ſind und noch weitere Beiträge in Ausſicht ſtehen ſollen, ſomit auch die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen iſt, daß in ſpäterer Zeit die geſetzlichen Vorausſetzungen für dieſe Bahnverbindung geſchaffen werden und nach- dem der Bahnverbindung eine gewiſſe Bedeutung für die Belebung des Verkehres in den davon be- rührten Landesteilen und für die wirtſchaftliche Entwickelung der Stadt Marburg nicht abgeſprochen werden kann, ſo erſcheint es gerechtfertigt, dieſe Linie in den Kreis der Studien des Landes-Eiſen- bahnamtes einzubeziehen, wobei der Sonderausſchuß der Anſicht iſt, daß für dieſe Bahnverbindung die Vollſpur in Ausſicht zu nehmen ſein wird.“

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 57, Marburg, 12.05.1908, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger57_1908/2>, abgerufen am 23.11.2024.