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Marburger Zeitung. Nr. 58, Marburg, 14.05.1903.

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Marburger Zeitung.



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Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und
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11--12 Uhr vorm. und von 5--6 Uhr nachm. Postgasse 4.

Die Verwaltung befindet sich: Postgasse 4. (Telephon-Nr. 24.)


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allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
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Wiederholung bedeutender Nachlaß. -- Schluß für Ein-
schaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags

Die Einzelnnmmer kostet 10 h.




Nr. 58 Donnerstag, 14. Mai 1903 42. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Geehrte Mitbürger!

Das Unglück, welches am 10. d. M.
Windischgraz betroffen, ist fürchterlich!
Ein großer Teil der Stadt liegt heute in
Schutt und Asche; groß ist die Not, da viele
der Verunglückten nur das Leben gerettet;
schnelle Hilfe
ist dringendst erforderlich, um
das Elend nur einigermaßen zu lindern. Vielen
Marburgern ist Windischgraz aus heiteren
Tagen in freundlichster Erinnerung, -- ge-
denken wir nun der biederen Bewohner auch
in ihrem Unglücke!

Es wird daher die Bitte gestellt, für
die schwer geschädigten Bewohner von Win-
dischgraz Spenden
an Geld oder Kleidungs-
stücken
-- auch die kleinste Gabe ist herzlichst
willkommen -- zu widmen und werden die-
selben am Stadtamte dankend in Empfang
genommen und ihrer Bestimmung rasch zuge-
führt werden.




[Spaltenumbruch]
Frei ist der Bursch!

Die Philister sind uns gewogen zumeist, sie
ahnen im Burschen was Freiheit heißt, frei ist der
Bursch! So sang und singt wohl noch der akade-
mische Bürger, wenn er seiner Jugendlust freien
Lauf und das Vollgefühl der Jugendkraft zum
Ausdrucke kommen läßt. Weit hinaus schallt es
dann: Frei ist der Bursch! Aber immer seltener
werden leider von Jahr zu Jahr die Sänger,
welche aus innerer Ueberzeugung den Ruf hinaus
schmettern, denn das holde Wesen, die Freiheit, die
sie meinen, zieht sich immer häufiger zurück in das
Sternenzelt; immer finsterer wird es auch auf dem
akademischen Boden.

Wo es nur immer geht, schreibt das "All-
deutsche Tagblatt", werden die ehemaligen Frei-
heiten geschmälert, immer mehr wird der Weg ein-
geschränkt, den der Musensohn zu schreiten hat.
Schon längst sind Stimmen laut geworden, die sie
zurückrufen möchten, die Zeit, in welcher an der
Spitze der technischen Hochschule noch der militä-
rische Direktor gestanden; heraufbeschwören möchte
man eine Zeit der Knebelung unserer jugendlichen
Geister, eine Zeit, in welcher das Hochschulstudium
nur zum Brotstudium und die Hochschule zur Er-
zeugungsanstalt wohlgedrillter, vorschriftsmäßig
denkender Staatsdiener herabgewürdigt, freiem
Geiste, freier Wissenschaft aber, dem letzten Ueber-
bleibsel der Lehr- und Lernfreiheit samt der gol-
denen akademischen Freiheit die Türe gewiesen
werden könnte. Und sie naht heran die Zeit! Nach-
dem man vorsichtig zur Volksschule vorgedrungen
ist, die nun, wenigstens in einzelnen Landesteilen,
bald ganz in der Gewalt der sogenannten sittlich-
religiösen Erzieher liegt, greift man, begehrlich ge-
worden, nicht blos nach den Mittel-, sondern auch
schon nach den Hochschulen. Wieder einmal wurde
auf dem niederösterreichischen Katholikentage ein
Teil der Hülle, welche heute noch das Werk der
[Spaltenumbruch] Finsterlinge vor den Blicken der Mitwelt verbirgt,
gelüftet. Man hält die Zustände schon für weit
genug gediehen, die Mittelschule mit Beschlag be-
legen zu können und fordert die Einführung des
Spitzelwesens von amtswegen. Die Direktoren
sollen den Schülern Zeugnisse über ihre religiöse
und sittliche Gesinnungstüchtigkeit innerhalb und
außerhalb ihres Beruflebens ausstellen; um
das zu können, muß selbstverständlich der Schüler
auch außer der Schule überwacht werden; das
wird natürlich der Lehrer dem Nebenschüler über-
tragen. In Blüte käme dann das schönste Anzeige-
wesen, dem auf den Fuß die Heuchelei folgen muß.
Doch auf diesen Gegenstand wollten wir als ein
Zeichen der Zeit nur hinweisen, sprechen aber
wollen wir darüber, daß dieser Geist, der jetzt her-
aufbeschworen wird, ja schon in der Luft schwebt
und zwar auch an unseren Hochschulen, unserer
freiheitlichen nationalen Studentenschaft nicht ent-
gangen ist. All der angebliche Lärm, der kürzlich
so viel Staub aufgewirbelt und zur Schließung der
technischen Hochschule geführt hat, entsprang der
Abwehr gegen die Polypenarme, die sich ausstrecken,
das freiheitliche Leben unserer Pflegstätten der
freien Wissenschaft zu erdrücken.

Nicht um die farbigen Mützen und Bänder,
Cerevise und Schläger, welche die klerikalen Verbin-
dungen wie in der Fastnacht tragen, sondern um
den Geist handelt es sich, dem durch die Austreibung
dieser schwarzen Gesellschaft Raum an unseren Hoch-
schulen geschaffen werden soll, daß hier eine Gesell-
schaft als gleichwertig an die Oeffentlichkeit treten
will, der Wohldienerei als offenbare Grundlage
gilt, eine Gesellschaft nach Geltung ringt, die nicht
Hochziele zusammengeführt hat, wie die Mitglieder
der farbentragenden nationalen Vereinigungen,
sondern die Sorge um ein leichtes und gutes Fort-
kommen, auch nebenbei ein fröhliches Leben in der
Zeit des Hochschulstudiums.

Es ist ja kein Geheimnis geblieben, wie die




[Spaltenumbruch]
Nachdruck verboten.
Liebe und Leidenschaft.
(10. Fortsetzung.)

Werner wurde dunkelrot und blickte schweigend
zu Boden.

"Sie können nicht lügen", sagte der Busch-
müller, "wollten Sie es selbst versuchen, Ihr Ge-
sicht verrät Sie."

"Und ich will auch gar nicht lügen", entgeg-
nete Werner tief aufatmend, "ja ich bin heute
morgen scharf mit meinem Vater zusammengeraten,
Sie kennen ihn ja."

"Ja, ich kenne ihn", wiederholte der Busch-
müller, "kenne ihn lange und sehr genau. Hören
Sie mich, Herr von Brausedorf." Er richtete sich
auf, er sah aus, als dehne sich die breite Brust
noch breiter, das sonst etwas schläfrig blickende
Auge belebte sich, die gutmütigen, verschwommenen
Züge bekamen einen scharfen, gespannten Ausdruck.
Es entstand eine Pause, es war, als suche der
Buschmüller nach passenden Worten für das, was
er zu sagen hatte, was gesagt werden mußte.
"Gott weiß, es fällt mir schwer, sehr schwer", be-
gann er endlich, "zu einem Sohne so von seinem
Vater zu reden, wie ich es jetzt tun muß; ich bin
Ihnen ausgewichen so lange ich konnte, Sie selbst
haben mich dazu gezwungen."

"Reden Sie, lieber Peters", drängte Werner
in fieberhafter Hast.

"Ich kenne das Treiben Ihres Vaters seit
[Spaltenumbruch] mehr als vierzig Jahren", begann der Buschmüller
und seine Stimme erhielt einen gedämpften Ton,
"ich war dabei, als Ihre Mutter als junge Frau
eingeholt ward und half sie zu Grabe geleiten, ich
sah auch die zweite Frau von Brausedorf auf das
Schloß ziehen und im Leichenwagen wieder herunter-
kommen, ich sah und hörte alles, was dazwischen
lag ... Meinen Sie wirklich, es könnte mich
darnach gelüsten, meine einzige Tochtet zur gnädigen
Frau von Radzionka hinzugeben?"

"Herr Peters!" fuhr Werner auf, mit welchem
Rechte können Sie einem solchem Verdachte gegen
mich Raum geben?"

"Ruhig, ruhig, junger Mann", entgegnete
Peters, "gegen Sie habe ich nichts, von Ihnen
weiß ich nur Gutes und wenn mir auch der Jäh-
zorn, der soeben wieder in Ihnen aufloderte, eine
böse Erbschaft Ihres Vaters zu sein scheint, würde
ich Ihnen doch ohne Bedenken mein Lieschen geben."

"Weiter verlange ich ja nichts", fiel ihm
Werner freudig in die Rede, aber der Buschmüller
fuhr, ohne sich irre machen zu lassen, fort:

"Wenn Sie ein schlichter Landmann und
meinesgleichen wären."

"Lieschen wäre für eine Fürstin genug!" rief
Werner lebhaft.

"So denke ich auch", stimmte der Müller
bedächtig zu, "und deshalb soll sie keiner haben,
dem doch eines Tages der Gedanke kommen könnte,
er habe ihr eine besondere Ehe angetan, als er sie
zur Frau machte."

"Können Sie mir das zutrauen" rief Werner
tief verletzt.


[Spaltenumbruch]

Peters zuckte die Achseln. "Man denkt mit
fünfzig Jahren anders als mit fünfundzwanzig,
und doch, ständen Sie allein, ich würde auch dar-
über hinwegkommen, weil Lieschen Sie liebt. Aber
können Sie mir wirklich zumuten, mein gutes,
schönes, unverdorbenes Kind nach einem Hause zu
geben, wo -- wo -- Ihr -- wo der Alte haust,
wo eine Josepha regiert?" stieß er mit Aufregung
hervor.

"Mein Vater müßte --"

"Was denn", unterbrach ihn der Buschmüller
bitter, "etwa seine Wirtschafterin fortschicken, ein neues
Leben anfangen? Daß er das tut, glauben Sie selbst
so wenig wie ich. Sie könnten ihm eine Grafen-
tochter ins Haus bringen und es würde dort um
kein Haar anders, geschweige denn um ein Müllers-
kind."

"Herr Peters", stammelte Werner, "Sie sollen
die ganze Wahrheit hören, mein Vater hat mir
die Tür gewiesen, ich bin weniger als Ihresgleichen,
ich bin nur auf meiner Hände Arbeit angewiesen."

Der Buschmüller betrachtete ihn mit mitlei-
digem Kopfschütteln."

"Das ist noch schlimmer als ich dachte",
sagte er. "Mein junger Mann, Ihr Vater mag
sein wie er will, er ist und bleibt Ihr Vater. Mit
seiner Einwilligung wäre es mir schwer geworden,
Ihnen mein Lieschen zu geben, ohne sie bekommen
Sie sie nimmermehr."

"Sie weisen mich ab?" rief Werner außer sich.

"Ich kann nicht anders. Wenn Ihr Vater
Ihnen das kleinste Vorwerk zum Bewirtschaften
gäbe, ich wollte zufrieden sein, ja selbst, wenn Sie


Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


[Spaltenumbruch]

Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wachentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.)


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Einſchaltungen werden im Verlage des. Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
Inſeratenpreis: Für die 5mal geſpaltene Zeile 12 h, bei
Wiederholung bedeutender Nachlaß. — Schluß für Ein-
ſchaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags

Die Einzelnnmmer koſtet 10 h.




Nr. 58 Donnerstag, 14. Mai 1903 42. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Geehrte Mitbürger!

Das Unglück, welches am 10. d. M.
Windiſchgraz betroffen, iſt fürchterlich!
Ein großer Teil der Stadt liegt heute in
Schutt und Aſche; groß iſt die Not, da viele
der Verunglückten nur das Leben gerettet;
ſchnelle Hilfe
iſt dringendſt erforderlich, um
das Elend nur einigermaßen zu lindern. Vielen
Marburgern iſt Windiſchgraz aus heiteren
Tagen in freundlichſter Erinnerung, — ge-
denken wir nun der biederen Bewohner auch
in ihrem Unglücke!

Es wird daher die Bitte geſtellt, für
die ſchwer geſchädigten Bewohner von Win-
diſchgraz Spenden
an Geld oder Kleidungs-
ſtücken
— auch die kleinſte Gabe iſt herzlichſt
willkommen — zu widmen und werden die-
ſelben am Stadtamte dankend in Empfang
genommen und ihrer Beſtimmung raſch zuge-
führt werden.




[Spaltenumbruch]
Frei iſt der Burſch!

Die Philiſter ſind uns gewogen zumeiſt, ſie
ahnen im Burſchen was Freiheit heißt, frei iſt der
Burſch! So ſang und ſingt wohl noch der akade-
miſche Bürger, wenn er ſeiner Jugendluſt freien
Lauf und das Vollgefühl der Jugendkraft zum
Ausdrucke kommen läßt. Weit hinaus ſchallt es
dann: Frei iſt der Burſch! Aber immer ſeltener
werden leider von Jahr zu Jahr die Sänger,
welche aus innerer Ueberzeugung den Ruf hinaus
ſchmettern, denn das holde Weſen, die Freiheit, die
ſie meinen, zieht ſich immer häufiger zurück in das
Sternenzelt; immer finſterer wird es auch auf dem
akademiſchen Boden.

Wo es nur immer geht, ſchreibt das „All-
deutſche Tagblatt“, werden die ehemaligen Frei-
heiten geſchmälert, immer mehr wird der Weg ein-
geſchränkt, den der Muſenſohn zu ſchreiten hat.
Schon längſt ſind Stimmen laut geworden, die ſie
zurückrufen möchten, die Zeit, in welcher an der
Spitze der techniſchen Hochſchule noch der militä-
riſche Direktor geſtanden; heraufbeſchwören möchte
man eine Zeit der Knebelung unſerer jugendlichen
Geiſter, eine Zeit, in welcher das Hochſchulſtudium
nur zum Brotſtudium und die Hochſchule zur Er-
zeugungsanſtalt wohlgedrillter, vorſchriftsmäßig
denkender Staatsdiener herabgewürdigt, freiem
Geiſte, freier Wiſſenſchaft aber, dem letzten Ueber-
bleibſel der Lehr- und Lernfreiheit ſamt der gol-
denen akademiſchen Freiheit die Türe gewieſen
werden könnte. Und ſie naht heran die Zeit! Nach-
dem man vorſichtig zur Volksſchule vorgedrungen
iſt, die nun, wenigſtens in einzelnen Landesteilen,
bald ganz in der Gewalt der ſogenannten ſittlich-
religiöſen Erzieher liegt, greift man, begehrlich ge-
worden, nicht blos nach den Mittel-, ſondern auch
ſchon nach den Hochſchulen. Wieder einmal wurde
auf dem niederöſterreichiſchen Katholikentage ein
Teil der Hülle, welche heute noch das Werk der
[Spaltenumbruch] Finſterlinge vor den Blicken der Mitwelt verbirgt,
gelüftet. Man hält die Zuſtände ſchon für weit
genug gediehen, die Mittelſchule mit Beſchlag be-
legen zu können und fordert die Einführung des
Spitzelweſens von amtswegen. Die Direktoren
ſollen den Schülern Zeugniſſe über ihre religiöſe
und ſittliche Geſinnungstüchtigkeit innerhalb und
außerhalb ihres Beruflebens ausſtellen; um
das zu können, muß ſelbſtverſtändlich der Schüler
auch außer der Schule überwacht werden; das
wird natürlich der Lehrer dem Nebenſchüler über-
tragen. In Blüte käme dann das ſchönſte Anzeige-
weſen, dem auf den Fuß die Heuchelei folgen muß.
Doch auf dieſen Gegenſtand wollten wir als ein
Zeichen der Zeit nur hinweiſen, ſprechen aber
wollen wir darüber, daß dieſer Geiſt, der jetzt her-
aufbeſchworen wird, ja ſchon in der Luft ſchwebt
und zwar auch an unſeren Hochſchulen, unſerer
freiheitlichen nationalen Studentenſchaft nicht ent-
gangen iſt. All der angebliche Lärm, der kürzlich
ſo viel Staub aufgewirbelt und zur Schließung der
techniſchen Hochſchule geführt hat, entſprang der
Abwehr gegen die Polypenarme, die ſich ausſtrecken,
das freiheitliche Leben unſerer Pflegſtätten der
freien Wiſſenſchaft zu erdrücken.

Nicht um die farbigen Mützen und Bänder,
Cereviſe und Schläger, welche die klerikalen Verbin-
dungen wie in der Faſtnacht tragen, ſondern um
den Geiſt handelt es ſich, dem durch die Austreibung
dieſer ſchwarzen Geſellſchaft Raum an unſeren Hoch-
ſchulen geſchaffen werden ſoll, daß hier eine Geſell-
ſchaft als gleichwertig an die Oeffentlichkeit treten
will, der Wohldienerei als offenbare Grundlage
gilt, eine Geſellſchaft nach Geltung ringt, die nicht
Hochziele zuſammengeführt hat, wie die Mitglieder
der farbentragenden nationalen Vereinigungen,
ſondern die Sorge um ein leichtes und gutes Fort-
kommen, auch nebenbei ein fröhliches Leben in der
Zeit des Hochſchulſtudiums.

Es iſt ja kein Geheimnis geblieben, wie die




[Spaltenumbruch]
Nachdruck verboten.
Liebe und Leidenſchaft.
(10. Fortſetzung.)

Werner wurde dunkelrot und blickte ſchweigend
zu Boden.

„Sie können nicht lügen“, ſagte der Buſch-
müller, „wollten Sie es ſelbſt verſuchen, Ihr Ge-
ſicht verrät Sie.“

„Und ich will auch gar nicht lügen“, entgeg-
nete Werner tief aufatmend, „ja ich bin heute
morgen ſcharf mit meinem Vater zuſammengeraten,
Sie kennen ihn ja.“

„Ja, ich kenne ihn“, wiederholte der Buſch-
müller, „kenne ihn lange und ſehr genau. Hören
Sie mich, Herr von Brauſedorf.“ Er richtete ſich
auf, er ſah aus, als dehne ſich die breite Bruſt
noch breiter, das ſonſt etwas ſchläfrig blickende
Auge belebte ſich, die gutmütigen, verſchwommenen
Züge bekamen einen ſcharfen, geſpannten Ausdruck.
Es entſtand eine Pauſe, es war, als ſuche der
Buſchmüller nach paſſenden Worten für das, was
er zu ſagen hatte, was geſagt werden mußte.
„Gott weiß, es fällt mir ſchwer, ſehr ſchwer“, be-
gann er endlich, „zu einem Sohne ſo von ſeinem
Vater zu reden, wie ich es jetzt tun muß; ich bin
Ihnen ausgewichen ſo lange ich konnte, Sie ſelbſt
haben mich dazu gezwungen.“

„Reden Sie, lieber Peters“, drängte Werner
in fieberhafter Haſt.

„Ich kenne das Treiben Ihres Vaters ſeit
[Spaltenumbruch] mehr als vierzig Jahren“, begann der Buſchmüller
und ſeine Stimme erhielt einen gedämpften Ton,
„ich war dabei, als Ihre Mutter als junge Frau
eingeholt ward und half ſie zu Grabe geleiten, ich
ſah auch die zweite Frau von Brauſedorf auf das
Schloß ziehen und im Leichenwagen wieder herunter-
kommen, ich ſah und hörte alles, was dazwiſchen
lag ... Meinen Sie wirklich, es könnte mich
darnach gelüſten, meine einzige Tochtet zur gnädigen
Frau von Radzionka hinzugeben?“

„Herr Peters!“ fuhr Werner auf, mit welchem
Rechte können Sie einem ſolchem Verdachte gegen
mich Raum geben?“

„Ruhig, ruhig, junger Mann“, entgegnete
Peters, „gegen Sie habe ich nichts, von Ihnen
weiß ich nur Gutes und wenn mir auch der Jäh-
zorn, der ſoeben wieder in Ihnen aufloderte, eine
böſe Erbſchaft Ihres Vaters zu ſein ſcheint, würde
ich Ihnen doch ohne Bedenken mein Lieschen geben.“

„Weiter verlange ich ja nichts“, fiel ihm
Werner freudig in die Rede, aber der Buſchmüller
fuhr, ohne ſich irre machen zu laſſen, fort:

„Wenn Sie ein ſchlichter Landmann und
meinesgleichen wären.“

„Lieschen wäre für eine Fürſtin genug!“ rief
Werner lebhaft.

„So denke ich auch“, ſtimmte der Müller
bedächtig zu, „und deshalb ſoll ſie keiner haben,
dem doch eines Tages der Gedanke kommen könnte,
er habe ihr eine beſondere Ehe angetan, als er ſie
zur Frau machte.“

„Können Sie mir das zutrauen“ rief Werner
tief verletzt.


[Spaltenumbruch]

Peters zuckte die Achſeln. „Man denkt mit
fünfzig Jahren anders als mit fünfundzwanzig,
und doch, ſtänden Sie allein, ich würde auch dar-
über hinwegkommen, weil Lieschen Sie liebt. Aber
können Sie mir wirklich zumuten, mein gutes,
ſchönes, unverdorbenes Kind nach einem Hauſe zu
geben, wo — wo — Ihr — wo der Alte hauſt,
wo eine Joſepha regiert?“ ſtieß er mit Aufregung
hervor.

„Mein Vater müßte —“

„Was denn“, unterbrach ihn der Buſchmüller
bitter, „etwa ſeine Wirtſchafterin fortſchicken, ein neues
Leben anfangen? Daß er das tut, glauben Sie ſelbſt
ſo wenig wie ich. Sie könnten ihm eine Grafen-
tochter ins Haus bringen und es würde dort um
kein Haar anders, geſchweige denn um ein Müllers-
kind.“

„Herr Peters“, ſtammelte Werner, „Sie ſollen
die ganze Wahrheit hören, mein Vater hat mir
die Tür gewieſen, ich bin weniger als Ihresgleichen,
ich bin nur auf meiner Hände Arbeit angewieſen.“

Der Buſchmüller betrachtete ihn mit mitlei-
digem Kopfſchütteln.“

„Das iſt noch ſchlimmer als ich dachte“,
ſagte er. „Mein junger Mann, Ihr Vater mag
ſein wie er will, er iſt und bleibt Ihr Vater. Mit
ſeiner Einwilligung wäre es mir ſchwer geworden,
Ihnen mein Lieschen zu geben, ohne ſie bekommen
Sie ſie nimmermehr.“

„Sie weiſen mich ab?“ rief Werner außer ſich.

„Ich kann nicht anders. Wenn Ihr Vater
Ihnen das kleinſte Vorwerk zum Bewirtſchaften
gäbe, ich wollte zufrieden ſein, ja ſelbſt, wenn Sie


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Ein großer Teil der Stadt liegt heute in Schutt und Aſche; groß iſt die Not, da viele der Verunglückten nur das Leben gerettet; ſchnelle Hilfe iſt dringendſt erforderlich, um das Elend nur einigermaßen zu lindern. Vielen Marburgern iſt Windiſchgraz aus heiteren Tagen in freundlichſter Erinnerung, — ge- denken wir nun der biederen Bewohner auch in ihrem Unglücke! Es wird daher die Bitte geſtellt, für die ſchwer geſchädigten Bewohner von Win- diſchgraz Spenden an Geld oder Kleidungs- ſtücken — auch die kleinſte Gabe iſt herzlichſt willkommen — zu widmen und werden die- ſelben am Stadtamte dankend in Empfang genommen und ihrer Beſtimmung raſch zuge- führt werden. Marburg, am 14. Mai 1903. Der Bürgermeiſter: Dr. Schmiderer. Frei iſt der Burſch! Die Philiſter ſind uns gewogen zumeiſt, ſie ahnen im Burſchen was Freiheit heißt, frei iſt der Burſch! 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Schon längſt ſind Stimmen laut geworden, die ſie zurückrufen möchten, die Zeit, in welcher an der Spitze der techniſchen Hochſchule noch der militä- riſche Direktor geſtanden; heraufbeſchwören möchte man eine Zeit der Knebelung unſerer jugendlichen Geiſter, eine Zeit, in welcher das Hochſchulſtudium nur zum Brotſtudium und die Hochſchule zur Er- zeugungsanſtalt wohlgedrillter, vorſchriftsmäßig denkender Staatsdiener herabgewürdigt, freiem Geiſte, freier Wiſſenſchaft aber, dem letzten Ueber- bleibſel der Lehr- und Lernfreiheit ſamt der gol- denen akademiſchen Freiheit die Türe gewieſen werden könnte. Und ſie naht heran die Zeit! Nach- dem man vorſichtig zur Volksſchule vorgedrungen iſt, die nun, wenigſtens in einzelnen Landesteilen, bald ganz in der Gewalt der ſogenannten ſittlich- religiöſen Erzieher liegt, greift man, begehrlich ge- worden, nicht blos nach den Mittel-, ſondern auch ſchon nach den Hochſchulen. Wieder einmal wurde auf dem niederöſterreichiſchen Katholikentage ein Teil der Hülle, welche heute noch das Werk der Finſterlinge vor den Blicken der Mitwelt verbirgt, gelüftet. Man hält die Zuſtände ſchon für weit genug gediehen, die Mittelſchule mit Beſchlag be- legen zu können und fordert die Einführung des Spitzelweſens von amtswegen. Die Direktoren ſollen den Schülern Zeugniſſe über ihre religiöſe und ſittliche Geſinnungstüchtigkeit innerhalb und außerhalb ihres Beruflebens ausſtellen; um das zu können, muß ſelbſtverſtändlich der Schüler auch außer der Schule überwacht werden; das wird natürlich der Lehrer dem Nebenſchüler über- tragen. In Blüte käme dann das ſchönſte Anzeige- weſen, dem auf den Fuß die Heuchelei folgen muß. Doch auf dieſen Gegenſtand wollten wir als ein Zeichen der Zeit nur hinweiſen, ſprechen aber wollen wir darüber, daß dieſer Geiſt, der jetzt her- aufbeſchworen wird, ja ſchon in der Luft ſchwebt und zwar auch an unſeren Hochſchulen, unſerer freiheitlichen nationalen Studentenſchaft nicht ent- gangen iſt. All der angebliche Lärm, der kürzlich ſo viel Staub aufgewirbelt und zur Schließung der techniſchen Hochſchule geführt hat, entſprang der Abwehr gegen die Polypenarme, die ſich ausſtrecken, das freiheitliche Leben unſerer Pflegſtätten der freien Wiſſenſchaft zu erdrücken. 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Werner wurde dunkelrot und blickte ſchweigend zu Boden. „Sie können nicht lügen“, ſagte der Buſch- müller, „wollten Sie es ſelbſt verſuchen, Ihr Ge- ſicht verrät Sie.“ „Und ich will auch gar nicht lügen“, entgeg- nete Werner tief aufatmend, „ja ich bin heute morgen ſcharf mit meinem Vater zuſammengeraten, Sie kennen ihn ja.“ „Ja, ich kenne ihn“, wiederholte der Buſch- müller, „kenne ihn lange und ſehr genau. Hören Sie mich, Herr von Brauſedorf.“ Er richtete ſich auf, er ſah aus, als dehne ſich die breite Bruſt noch breiter, das ſonſt etwas ſchläfrig blickende Auge belebte ſich, die gutmütigen, verſchwommenen Züge bekamen einen ſcharfen, geſpannten Ausdruck. 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Meinen Sie wirklich, es könnte mich darnach gelüſten, meine einzige Tochtet zur gnädigen Frau von Radzionka hinzugeben?“ „Herr Peters!“ fuhr Werner auf, mit welchem Rechte können Sie einem ſolchem Verdachte gegen mich Raum geben?“ „Ruhig, ruhig, junger Mann“, entgegnete Peters, „gegen Sie habe ich nichts, von Ihnen weiß ich nur Gutes und wenn mir auch der Jäh- zorn, der ſoeben wieder in Ihnen aufloderte, eine böſe Erbſchaft Ihres Vaters zu ſein ſcheint, würde ich Ihnen doch ohne Bedenken mein Lieschen geben.“ „Weiter verlange ich ja nichts“, fiel ihm Werner freudig in die Rede, aber der Buſchmüller fuhr, ohne ſich irre machen zu laſſen, fort: „Wenn Sie ein ſchlichter Landmann und meinesgleichen wären.“ „Lieschen wäre für eine Fürſtin genug!“ rief Werner lebhaft. „So denke ich auch“, ſtimmte der Müller bedächtig zu, „und deshalb ſoll ſie keiner haben, dem doch eines Tages der Gedanke kommen könnte, er habe ihr eine beſondere Ehe angetan, als er ſie zur Frau machte.“ „Können Sie mir das zutrauen“ rief Werner tief verletzt. 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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 58, Marburg, 14.05.1903, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger58_1903/1>, abgerufen am 21.11.2024.