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Marburger Zeitung. Nr. 93, Marburg, 04.08.1903.

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Nr. 93, 4. August 1903. Marburger Zeitung

[Spaltenumbruch]

gaben. Die Hauptsache ist, daß der Untersuchungs-
ausschuß gründliche Arbeit tut, damit Klarheit ver-
schafft werde. Wir Deutsche aber haben weder An-
laß für Khuen noch zu Gunsten der Obstruktion,
der die Bestechungsgeschichte recht gelegen, vielleicht
sogar bestellt kam, die Hand ins Feuer zu legen.

Zu den Vorgängen in Kroatien.

Die in Amerika lebenden Kroaten, welche
kürzlich eine telegraphische Adresse an Kaiser Franz
Josef sandten, in welcher sie seinen Schutz für das
bedrängte Volk in Kroatien erflehen, haben sich,
wie kroatische Blätter berichten, durch Vermittlung
eines russischen Fürsten, dessen Name nicht genannt
wird, in der gleichen Angelegenheit mit einer Adresse
an den Kaiser Nikolaus 2. gewendet. In diesem
Schriftstück, welches Tausende von Unterschriften
trägt, werden die Verhältnisse in Kroatien in
düsteren Farben geschildert, vom Hungertode der
Bevölkerung und der Anwendung von Bajonnetten
und Gewehren gegen die kroatischen Bauern ge-
sprochen und des russischen Zaren Majestät gebeten,
sich zumindest durch Worte seiner slavischen Stammes-
brüder anzunehmen. Der betreffende russische Fürst
hat nun, wie weiters aus Petersburg gemeldet
wird, diese Adresse dem Kaiser überreicht, welcher
sie freundlich entgegengenommen haben soll. --
Handelsminister Dr. Lang hat der in Pola er-
scheinenden "Nasa Sloga" und der in Zara er-
scheinenden "Narodni List" für die Länder der unga-
rischen Krone das Postdebit entzogen.

Magyarisierung um jeden Preis.

Das Temeswarer "Deutsche Tagblatt" schreibt:
Wenn sich unter den Schwaben noch einige Opti-
misten finden sollten, die nicht daran glauben wollen,
daß man ihnen ihre deutsche Muttersprache nehmen
will und daß man in Ungarn um jeden Preis be-
müht ist, die Schwaben zu magyarisieren, so möge
sie der folgende patriotisch seinwollende, in der Tat
aber höchst unqualifizierbare Aufruf der hiesigen
Handels- und Gewerbekammer eines Besseren be-
lehren, der mit geradezu verblüffender Offenheit
die Magyarisierung der südungarischen Schwaben
anstrebt. Der Aufruf lautet: "Die Temeswarer
Handels- und Gewerbekammer nimmt sowohl in
der eigenen Praxis als auch aus den einschlägigen
Mitteilungen anderer Behörden mit Bedauern wahr,
daß ein beträchtlicher Teil der südungarischen Ge-
schäftswelt in ihrer kommerziellen Gebahrung und
sogar im Verkehr mit den öffentlichen Aemtern und
Behörden, sich anstatt der magyarischen
der deutschen Sprache bedient.
Nicht we-
niger auffallend ist der Gebrauch der deutschen Firma-
tafeln. In den südungarischen Städten begegnen wir
noch so oft Aufschriften und Schildern in deutscher
Sprache, was umso unangenehmer ist, weil die in-
und ausländischen Reisenden auf Grund dieser Auf-
schriften und Schilder maßgebende Folgerungen be-
treffs der hierländischen Verhältnisse ziehen zu können
glauben. (Mit anderen Worten, weil die Fremden
auf den Glauben kommen könnten, daß hier Deutsche
wohnen! Aber hätten sie denn kein Recht dazu?
Oder wohnen denn nur Magyaren in Temeswar?)
Eine andere Erscheinung ist, daß ein ansehnlicher
Teil unserer Geschäftsfirmen -- besonders die älteren
handelsgerichtlich noch immer deutsch protokolliert sind.
Dies ist nicht nur ein übler, sondern vom Gesichts-
punkt der Betreffenden auch ein nachteiliger Zustand,
welchem durch ein kurzes Gesuch gesteuert werden
kann. (Wie liebenswürdig!) Die Temeswarer Han-
dels- und Gewerbekammer, überzeugt von den durch-
aus patriotischen Gesinnungen der Handels- und
Gewerbetreibenden, fordert mit vollem Vertrauen
beide Erwerbsklassen auf, die missionelle Aufgabe
der Magyarisierung zu fördern und we-
nigstens in ihrem inländischen Verkehr
und bei Eingaben an Behörden stets die
magyarische Sprache zu gebrauchen.

Diejenigen Geschäfte und Firmen aber, an deren
Firmatafeln die magyarische Aufschrift bisher nicht
gehörig zur Geltung gebracht wurde, weiters die-
jenigen Kaufleute, deren Firma nur deutsch proto-
kolliert ist, mögen die entsprechende Abänderung
schon wegen ihrer eigenen Reputation (!) und wegen
des guten Rufes der südungarischen Geschäftswelt
ehebaldigst durchführen." Hoffen wir, daß sich unsere
Geschäftswelt noch ihren gesunden Menschenverstand
bewahrt hat und daß sie, wenn sie noch ein Atom
von ihrem ehrlichen Deutschtum in sich fühlt, auch
die moralische Kraft haben wird, der anstürmenden
Magyarisierung die Türe zu weisen!


[Spaltenumbruch]
Alldeutsche Oesterreicher in Berlin.

Zu dem vierten Bundesfest des deutschen
Turnerbundes sind gegen 2000 Turner aus Oester-
reich sowie die alldeutschen Abgeordneten Berger,
Malik und Stein in Berlin eingetroffen. Nach dem
Festzug, dessen Durchzug durch das Brandenburger
Tor zum erstenmal bewilligt wurde, und bei dem
die österreichischen Turner den Gegenstand stür-
mischer Sympathiekundgebungen seitens der Ber-
liner Bevölkerung bildeten, zogen die Turner und
die alldeutschen Abgeordneten zum Bismarck-Denk-
mal, wo Abgeordneter Stein namens der All-
deutschen Vereinigung des Abgeordnetenhauses einen
Kranz mit der Inschrift: "Heil Bismarck, Alldeutsch-
lands größtem Sohne! Schönerer und Kampf-
genossen" niederlegte. Auch der Ottakringer Turn-
verein legte einen Kranz an dem Denkmal nieder.

Als ein Freund studentischer Ritterlichkeit

hat sich der bekannte Professor Graf du Moulin an
der Münchener Technischen Hochschule bekannt. Beim
Stiftungsfest eines Studentenkorps, dessen alter Herr
er ist, hielt er eine Rede, in der er u. a. sagte:
"In dem Augenblicke, in dem es keine Studenten
mehr gibt, die den Speer schwingen, verzichte ich
auf das Lehramt." Weiters sagte er: "Wahrhaftig,
eine Schmarre ist oft mehr wert, als eine alte
Scharteke. Manch geschwänztes Kolleg ist besser an-
gewendet, als ein geschwänzter Fechtboden." Die
drastischen Ausdrücke rechtfertigen sich durch die feucht-
fröhliche Kommersstimmung von selbst. Sie haben
aber die Klerikalen in rasende Wut versetzt.

Zur Papstwahl.

Freitag nachmittags begaben sich die Kardi-
näle zur Papstwahl in das Konklave und wurde
unter dem üblichen Zeremoniell die Abschließung
desselben von der Außenwelt vollzogen. In das
Konklave sind im ganzen 365 Personen eingetreten,
nämlich 62 Kardinäle, 62 Konklavisten, 62 Nobel-
gardisten, 62 Kammerdiener, 40 Erzbischöfe und
Bischöfe für den Sicherheitsdienst, 14 Köche, 20
Lastträger und andere Bedienstete. Kardinal Her-
rero liegt krank in seiner Wohnung, nimmt jedoch
trotzdem an der Abstimmung teil. Die Kardinäle
halten in der Sixtinischen Kapelle zwei Sitzungen
täglich ab, eine um 10 Uhr vormittags, die zweite
um 4 Uhr nachmittags. Jede Sitzung dauert zwei
Stunden. Die erste Abstimmung fand Sonnabend
vormittags statt. Um 1/412 Uhr zeigte sich zum
erstenmale die Rauchwolke auf dem Dache der Six-
tinischen Kapelle, herrührend von der Verbrennung
der ersten Stimmzettel. Voll Spannung blickten die
auf dem Petersplatze Angesammelten nach der
Loggia della Benedizione und dem großen Balkon
über dem Haupteingange der Peterskirche, um zu
sehen, ob nicht bereis dort ein Kardinal erscheine,
die erfolgte Papstwahl zu verkünden. Als dies
nach einer halben Stunde noch nicht geschehen war,
leerte sich der Platz. Nachmittags um 4 Uhr
war ein neuer Wahlgang, der ebenfalls erfolg-
los endete.

Als Papabili gelten Mariano Rampolla,
dessen Anhänger auch der deutsche Jesuit Stein-
huber ist; Girolamo Gotti; Angelo die Pietro,
letztere beide von Rampolla unterstützt; Serafino
Vannutelli der einflußreichste Gegner Rampollas,
der die Deutschen Kopp und Fischer, alle Oester-
reicher und den Ungarn Vaßary zu seinen Anhän-
gern zählt; Luigi Oreglia die Santo Stefano, der
ebenfalls ein Gegner Rampollas ist und Giuseppe
Sarto (italienfreundlich).




Tagesneuigkeiten.
(Der Verein der Ingenieure der
k. k. österr. Staatsbahnen),

dessen Wirkungs-
kreis sich auf sämtliche Länder der diesseitigen Reichs-
hälfte erstreckt, veranstaltet in der Zeit vom 15. bis
17. August l. J. eine Zusammenkunft seiner Mit-
glieder in Villach. Nebst den äußerst zahlreich an-
gemeldeten Mitgliedern werden auch viele technische
Vereine Oesterreichs durch Delegierte vertreten sein.
Der Eisenbahn-Minister Dr. v. Wittek sowie mehrere
höhere Funktionäre der k. k. Staatsbahnverwaltung
und andere Behörden haben ihr Erscheinen in Aus-
sicht gestellt. Nebst dem rührigen Festkomitee bereitet
sich auch die Stadt zum würdigen Empfange der
Gäste vor. Das Programm ist folgendes: 15. August.
Empfang der Festgäste, Frühschoppen. Nachmittag:
Ausflug zum Ossiachersee. Abends 8 Uhr: Bankett
in der Festhalle. 16. August. Exkursion zum Süd-
portale des Karawankentunnels in Birnbaum. Nach-
[Spaltenumbruch] mittag: Ausflug zu den Weißenfelserseen, woselbst
abends eine Höhen- und Seen-Beleuchtung statt-
findet. 17. August. Exkursion zum Nordportale des
Karawankentunnels im Bärengraben. Nachmittag:
Rundfahrt am Wörthersee und abends Besichtigung
der zur Vorfeier des Geburtsfestes Sr. Majestät
des Kaisers stattfindenden Seebeleuchtung.

(Ultramontanismus und Fremden-
verkehr.)

In einer Korrespondenz der "Augs-
burger Postzeitung", "Aus den Tiroler Bergen",
heißt es unter anderem: "Der Hochsommer ist da,
die Schulen sind geschlossen! Deutsches Kapital,
deutsche Müdigkeit und deutsche -- Protzsucht stür-
zen sich wie eine Meute in die Tiroler Täler und
auf die schuldlosen, schwindelig steilen Bergspitzen.
Ein sentimental-lustig-närrisches Leben auf einmal
in ahnungslos naiven Regionen, ein sechswöchent-
licher Karneval auf den stillen Straßen schlichten
Natur- und Volkslebens! Das bedürfte einer eige-
nen ausführlichen, lohnenden Schilderung. Und der
Empfang von Seiten der Tiroler? Das große Volk
macht sein Heu, melkt seine Kühe auf den Almen
und ißt seine Knödel und Blenten und kümmert sich
nicht weiter. Der Herr Pfarrer und Kooperator
aber erschrecken, wenn der Kalender Juli zeigt; vor
ihrem Geiste steigen die Gestalten so manches
Heiden, so manches Spötters und Verführers auf,
die sich um ihre Hürde schleichen (!), um in lang
und sorglich gehütete Heiligtümer einzubrechen. Sie
sehen manches bröckeln vom alten sicheren Bestand.
In einsamer Stunde machen sie eine grimmige
Miene und eine Faust in der Tasche (!). Und
kommen sie zusammen, dann machen sie ihrem
Grimm Luft in deutlichen Worten und danken für
den Fortschritt, der dem heiligen Lande Tirol ge-
worden. -- Ja, ja, der verfluchte Fortschritt!

(Ein Finanzminister ohne Finanzen.)

Daß die Republik Venezuela nicht im Gelde schwimmt,
weiß jedes Schulkind, daß der Finanzminister aber
nicht einmal lumpige vierzig Dollars ausbringen
kann, hätte man doch nicht gedacht. Nach den An-
gaben eines Juweliers aus Caracas, der soeben in
New-York eingetroffen ist, scheint aber die venezo-
lanische Regierungskasse stets "vollgepfropft mit
dichtem Nichts" zu sein, wie eine lustige Figur auf
der amerikanischen Bühne einstens sagte. Der Ju-
welier erzählt nach der "Frankf. Ztg." folgendes:
"Im Pantheon zu Caracas befindet sich ein Denk-
mal des Generals Bolivar. Eines Tages waren die
goldenen Buchstaben, welche den Namenszug
bildeten, gestohlen. Ich hatte ahnungslos einige
davon gekauft, gab aber natürlich, als ich den
wahren Sachverhalt erfuhr, sie sofort zurück. Aus
Anerkennung dafür, trug man mir nun auf, die
Inschrift zu erneuern. Ich erklärte mich bereit --
natürlich gegen eine Anzahlung von vierzig Dollars.
Der Finanzminister suchte allenthalben nach, konnte
aber dieses Geld nirgendwo auftreiben, und da ich
nicht "anschreiben" wollte, mußte Herr Bolivar
ohne Namenszug bleiben."

(Des Papstes Himmelfahrt.)

Aus
Lissabon wird vom 24. v. Mts. geschrieben: Wer
hätte es glauben sollen, daß die Seele Leos 13.,
um ihren Weg zum Himmel zu nehmen, einen
Umweg über Portugal gemacht hätte! Ein großer
Teil der Lissaboner zweifelt aber keinen Augenblick
daran, und heute gegen vier Uhr versammelten sich,
kniend und sich bekreuzigend, hunderte von Frommen
auf dem Largo de Chatariz, um den toten Papst
zum Himmel fahren zu sehen. Zuerst hatte ihn eine
sromme, alte Frau bemerkt und sank betend zu
Boden, dann sahen ihn auch die anderen in Form
eines flimmernden Sternes, gerade über dem Tajo
einige Linien unter der Sonne, und nun hatte
niemand mehr den geringsten Zweifel! Bald ver-
breitete sich die Kunde in der Stadt, und unter
den unwissenden Leuten entstand ein wahrer Auf-
lauf, um die Seele des toten Papstes zu sehen.
Die ungläubigen Zeitungen erklärten allerdings,
daß dieser glänzende Stern kein anderer als der
gewohnte Abendstern Venus gewesen sei, den man,
was allerdings selten genug geschieht, der aus-
nehmend klaren Atmosphäre wegen ein gutes Stück
vor Sonnenuntergang wahrnehmen konnte, aber --
was hat die Venus mit dem Papst zu tun? Den
frommen Glauben der einfachen Leute, daß die
Seele des toten Papstes über Lissabon schwebte,
haben sie denn richtig nicht zu zerstreuen vermocht.

(Dämpfigkeit, Pfeifen oder Röh-
ren der Pferde.)

Wie vielfach ist dieser Zu-
stand gerade unter denjenigen Tieren anzutreffen,
welche der Landwirt oder Gewerbetreibende ge-
zwungen ist, zur Arbeitsleistung heranzuziehen und

Nr. 93, 4. Auguſt 1903. Marburger Zeitung

[Spaltenumbruch]

gaben. Die Hauptſache iſt, daß der Unterſuchungs-
ausſchuß gründliche Arbeit tut, damit Klarheit ver-
ſchafft werde. Wir Deutſche aber haben weder An-
laß für Khuen noch zu Gunſten der Obſtruktion,
der die Beſtechungsgeſchichte recht gelegen, vielleicht
ſogar beſtellt kam, die Hand ins Feuer zu legen.

Zu den Vorgängen in Kroatien.

Die in Amerika lebenden Kroaten, welche
kürzlich eine telegraphiſche Adreſſe an Kaiſer Franz
Joſef ſandten, in welcher ſie ſeinen Schutz für das
bedrängte Volk in Kroatien erflehen, haben ſich,
wie kroatiſche Blätter berichten, durch Vermittlung
eines ruſſiſchen Fürſten, deſſen Name nicht genannt
wird, in der gleichen Angelegenheit mit einer Adreſſe
an den Kaiſer Nikolaus 2. gewendet. In dieſem
Schriftſtück, welches Tauſende von Unterſchriften
trägt, werden die Verhältniſſe in Kroatien in
düſteren Farben geſchildert, vom Hungertode der
Bevölkerung und der Anwendung von Bajonnetten
und Gewehren gegen die kroatiſchen Bauern ge-
ſprochen und des ruſſiſchen Zaren Majeſtät gebeten,
ſich zumindeſt durch Worte ſeiner ſlaviſchen Stammes-
brüder anzunehmen. Der betreffende ruſſiſche Fürſt
hat nun, wie weiters aus Petersburg gemeldet
wird, dieſe Adreſſe dem Kaiſer überreicht, welcher
ſie freundlich entgegengenommen haben ſoll. —
Handelsminiſter Dr. Lang hat der in Pola er-
ſcheinenden „Naſa Sloga“ und der in Zara er-
ſcheinenden „Narodni Liſt“ für die Länder der unga-
riſchen Krone das Poſtdebit entzogen.

Magyariſierung um jeden Preis.

Das Temeswarer „Deutſche Tagblatt“ ſchreibt:
Wenn ſich unter den Schwaben noch einige Opti-
miſten finden ſollten, die nicht daran glauben wollen,
daß man ihnen ihre deutſche Mutterſprache nehmen
will und daß man in Ungarn um jeden Preis be-
müht iſt, die Schwaben zu magyariſieren, ſo möge
ſie der folgende patriotiſch ſeinwollende, in der Tat
aber höchſt unqualifizierbare Aufruf der hieſigen
Handels- und Gewerbekammer eines Beſſeren be-
lehren, der mit geradezu verblüffender Offenheit
die Magyariſierung der ſüdungariſchen Schwaben
anſtrebt. Der Aufruf lautet: „Die Temeswarer
Handels- und Gewerbekammer nimmt ſowohl in
der eigenen Praxis als auch aus den einſchlägigen
Mitteilungen anderer Behörden mit Bedauern wahr,
daß ein beträchtlicher Teil der ſüdungariſchen Ge-
ſchäftswelt in ihrer kommerziellen Gebahrung und
ſogar im Verkehr mit den öffentlichen Aemtern und
Behörden, ſich anſtatt der magyariſchen
der deutſchen Sprache bedient.
Nicht we-
niger auffallend iſt der Gebrauch der deutſchen Firma-
tafeln. In den ſüdungariſchen Städten begegnen wir
noch ſo oft Aufſchriften und Schildern in deutſcher
Sprache, was umſo unangenehmer iſt, weil die in-
und ausländiſchen Reiſenden auf Grund dieſer Auf-
ſchriften und Schilder maßgebende Folgerungen be-
treffs der hierländiſchen Verhältniſſe ziehen zu können
glauben. (Mit anderen Worten, weil die Fremden
auf den Glauben kommen könnten, daß hier Deutſche
wohnen! Aber hätten ſie denn kein Recht dazu?
Oder wohnen denn nur Magyaren in Temeswar?)
Eine andere Erſcheinung iſt, daß ein anſehnlicher
Teil unſerer Geſchäftsfirmen — beſonders die älteren
handelsgerichtlich noch immer deutſch protokolliert ſind.
Dies iſt nicht nur ein übler, ſondern vom Geſichts-
punkt der Betreffenden auch ein nachteiliger Zuſtand,
welchem durch ein kurzes Geſuch geſteuert werden
kann. (Wie liebenswürdig!) Die Temeswarer Han-
dels- und Gewerbekammer, überzeugt von den durch-
aus patriotiſchen Geſinnungen der Handels- und
Gewerbetreibenden, fordert mit vollem Vertrauen
beide Erwerbsklaſſen auf, die miſſionelle Aufgabe
der Magyariſierung zu fördern und we-
nigſtens in ihrem inländiſchen Verkehr
und bei Eingaben an Behörden ſtets die
magyariſche Sprache zu gebrauchen.

Diejenigen Geſchäfte und Firmen aber, an deren
Firmatafeln die magyariſche Aufſchrift bisher nicht
gehörig zur Geltung gebracht wurde, weiters die-
jenigen Kaufleute, deren Firma nur deutſch proto-
kolliert iſt, mögen die entſprechende Abänderung
ſchon wegen ihrer eigenen Reputation (!) und wegen
des guten Rufes der ſüdungariſchen Geſchäftswelt
ehebaldigſt durchführen.“ Hoffen wir, daß ſich unſere
Geſchäftswelt noch ihren geſunden Menſchenverſtand
bewahrt hat und daß ſie, wenn ſie noch ein Atom
von ihrem ehrlichen Deutſchtum in ſich fühlt, auch
die moraliſche Kraft haben wird, der anſtürmenden
Magyariſierung die Türe zu weiſen!


[Spaltenumbruch]
Alldeutſche Oeſterreicher in Berlin.

Zu dem vierten Bundesfeſt des deutſchen
Turnerbundes ſind gegen 2000 Turner aus Oeſter-
reich ſowie die alldeutſchen Abgeordneten Berger,
Malik und Stein in Berlin eingetroffen. Nach dem
Feſtzug, deſſen Durchzug durch das Brandenburger
Tor zum erſtenmal bewilligt wurde, und bei dem
die öſterreichiſchen Turner den Gegenſtand ſtür-
miſcher Sympathiekundgebungen ſeitens der Ber-
liner Bevölkerung bildeten, zogen die Turner und
die alldeutſchen Abgeordneten zum Bismarck-Denk-
mal, wo Abgeordneter Stein namens der All-
deutſchen Vereinigung des Abgeordnetenhauſes einen
Kranz mit der Inſchrift: „Heil Bismarck, Alldeutſch-
lands größtem Sohne! Schönerer und Kampf-
genoſſen“ niederlegte. Auch der Ottakringer Turn-
verein legte einen Kranz an dem Denkmal nieder.

Als ein Freund ſtudentiſcher Ritterlichkeit

hat ſich der bekannte Profeſſor Graf du Moulin an
der Münchener Techniſchen Hochſchule bekannt. Beim
Stiftungsfeſt eines Studentenkorps, deſſen alter Herr
er iſt, hielt er eine Rede, in der er u. a. ſagte:
„In dem Augenblicke, in dem es keine Studenten
mehr gibt, die den Speer ſchwingen, verzichte ich
auf das Lehramt.“ Weiters ſagte er: „Wahrhaftig,
eine Schmarre iſt oft mehr wert, als eine alte
Scharteke. Manch geſchwänztes Kolleg iſt beſſer an-
gewendet, als ein geſchwänzter Fechtboden.“ Die
draſtiſchen Ausdrücke rechtfertigen ſich durch die feucht-
fröhliche Kommersſtimmung von ſelbſt. Sie haben
aber die Klerikalen in raſende Wut verſetzt.

Zur Papſtwahl.

Freitag nachmittags begaben ſich die Kardi-
näle zur Papſtwahl in das Konklave und wurde
unter dem üblichen Zeremoniell die Abſchließung
desſelben von der Außenwelt vollzogen. In das
Konklave ſind im ganzen 365 Perſonen eingetreten,
nämlich 62 Kardinäle, 62 Konklaviſten, 62 Nobel-
gardiſten, 62 Kammerdiener, 40 Erzbiſchöfe und
Biſchöfe für den Sicherheitsdienſt, 14 Köche, 20
Laſtträger und andere Bedienſtete. Kardinal Her-
rero liegt krank in ſeiner Wohnung, nimmt jedoch
trotzdem an der Abſtimmung teil. Die Kardinäle
halten in der Sixtiniſchen Kapelle zwei Sitzungen
täglich ab, eine um 10 Uhr vormittags, die zweite
um 4 Uhr nachmittags. Jede Sitzung dauert zwei
Stunden. Die erſte Abſtimmung fand Sonnabend
vormittags ſtatt. Um ¼12 Uhr zeigte ſich zum
erſtenmale die Rauchwolke auf dem Dache der Six-
tiniſchen Kapelle, herrührend von der Verbrennung
der erſten Stimmzettel. Voll Spannung blickten die
auf dem Petersplatze Angeſammelten nach der
Loggia della Benedizione und dem großen Balkon
über dem Haupteingange der Peterskirche, um zu
ſehen, ob nicht bereis dort ein Kardinal erſcheine,
die erfolgte Papſtwahl zu verkünden. Als dies
nach einer halben Stunde noch nicht geſchehen war,
leerte ſich der Platz. Nachmittags um 4 Uhr
war ein neuer Wahlgang, der ebenfalls erfolg-
los endete.

Als Papabili gelten Mariano Rampolla,
deſſen Anhänger auch der deutſche Jeſuit Stein-
huber iſt; Girolamo Gotti; Angelo die Pietro,
letztere beide von Rampolla unterſtützt; Serafino
Vannutelli der einflußreichſte Gegner Rampollas,
der die Deutſchen Kopp und Fiſcher, alle Oeſter-
reicher und den Ungarn Vaßary zu ſeinen Anhän-
gern zählt; Luigi Oreglia die Santo Stefano, der
ebenfalls ein Gegner Rampollas iſt und Giuſeppe
Sarto (italienfreundlich).




Tagesneuigkeiten.
(Der Verein der Ingenieure der
k. k. öſterr. Staatsbahnen),

deſſen Wirkungs-
kreis ſich auf ſämtliche Länder der diesſeitigen Reichs-
hälfte erſtreckt, veranſtaltet in der Zeit vom 15. bis
17. Auguſt l. J. eine Zuſammenkunft ſeiner Mit-
glieder in Villach. Nebſt den äußerſt zahlreich an-
gemeldeten Mitgliedern werden auch viele techniſche
Vereine Oeſterreichs durch Delegierte vertreten ſein.
Der Eiſenbahn-Miniſter Dr. v. Wittek ſowie mehrere
höhere Funktionäre der k. k. Staatsbahnverwaltung
und andere Behörden haben ihr Erſcheinen in Aus-
ſicht geſtellt. Nebſt dem rührigen Feſtkomitee bereitet
ſich auch die Stadt zum würdigen Empfange der
Gäſte vor. Das Programm iſt folgendes: 15. Auguſt.
Empfang der Feſtgäſte, Frühſchoppen. Nachmittag:
Ausflug zum Oſſiacherſee. Abends 8 Uhr: Bankett
in der Feſthalle. 16. Auguſt. Exkurſion zum Süd-
portale des Karawankentunnels in Birnbaum. Nach-
[Spaltenumbruch] mittag: Ausflug zu den Weißenfelſerſeen, woſelbſt
abends eine Höhen- und Seen-Beleuchtung ſtatt-
findet. 17. Auguſt. Exkurſion zum Nordportale des
Karawankentunnels im Bärengraben. Nachmittag:
Rundfahrt am Wörtherſee und abends Beſichtigung
der zur Vorfeier des Geburtsfeſtes Sr. Majeſtät
des Kaiſers ſtattfindenden Seebeleuchtung.

(Ultramontanismus und Fremden-
verkehr.)

In einer Korreſpondenz der „Augs-
burger Poſtzeitung“, „Aus den Tiroler Bergen“,
heißt es unter anderem: „Der Hochſommer iſt da,
die Schulen ſind geſchloſſen! Deutſches Kapital,
deutſche Müdigkeit und deutſche — Protzſucht ſtür-
zen ſich wie eine Meute in die Tiroler Täler und
auf die ſchuldloſen, ſchwindelig ſteilen Bergſpitzen.
Ein ſentimental-luſtig-närriſches Leben auf einmal
in ahnungslos naiven Regionen, ein ſechswöchent-
licher Karneval auf den ſtillen Straßen ſchlichten
Natur- und Volkslebens! Das bedürfte einer eige-
nen ausführlichen, lohnenden Schilderung. Und der
Empfang von Seiten der Tiroler? Das große Volk
macht ſein Heu, melkt ſeine Kühe auf den Almen
und ißt ſeine Knödel und Blenten und kümmert ſich
nicht weiter. Der Herr Pfarrer und Kooperator
aber erſchrecken, wenn der Kalender Juli zeigt; vor
ihrem Geiſte ſteigen die Geſtalten ſo manches
Heiden, ſo manches Spötters und Verführers auf,
die ſich um ihre Hürde ſchleichen (!), um in lang
und ſorglich gehütete Heiligtümer einzubrechen. Sie
ſehen manches bröckeln vom alten ſicheren Beſtand.
In einſamer Stunde machen ſie eine grimmige
Miene und eine Fauſt in der Taſche (!). Und
kommen ſie zuſammen, dann machen ſie ihrem
Grimm Luft in deutlichen Worten und danken für
den Fortſchritt, der dem heiligen Lande Tirol ge-
worden. — Ja, ja, der verfluchte Fortſchritt!

(Ein Finanzminiſter ohne Finanzen.)

Daß die Republik Venezuela nicht im Gelde ſchwimmt,
weiß jedes Schulkind, daß der Finanzminiſter aber
nicht einmal lumpige vierzig Dollars auſbringen
kann, hätte man doch nicht gedacht. Nach den An-
gaben eines Juweliers aus Caracas, der ſoeben in
New-York eingetroffen iſt, ſcheint aber die venezo-
laniſche Regierungskaſſe ſtets „vollgepfropft mit
dichtem Nichts“ zu ſein, wie eine luſtige Figur auf
der amerikaniſchen Bühne einſtens ſagte. Der Ju-
welier erzählt nach der „Frankf. Ztg.“ folgendes:
„Im Pantheon zu Caracas befindet ſich ein Denk-
mal des Generals Bolivar. Eines Tages waren die
goldenen Buchſtaben, welche den Namenszug
bildeten, geſtohlen. Ich hatte ahnungslos einige
davon gekauft, gab aber natürlich, als ich den
wahren Sachverhalt erfuhr, ſie ſofort zurück. Aus
Anerkennung dafür, trug man mir nun auf, die
Inſchrift zu erneuern. Ich erklärte mich bereit —
natürlich gegen eine Anzahlung von vierzig Dollars.
Der Finanzminiſter ſuchte allenthalben nach, konnte
aber dieſes Geld nirgendwo auftreiben, und da ich
nicht „anſchreiben“ wollte, mußte Herr Bolivar
ohne Namenszug bleiben.“

(Des Papſtes Himmelfahrt.)

Aus
Liſſabon wird vom 24. v. Mts. geſchrieben: Wer
hätte es glauben ſollen, daß die Seele Leos 13.,
um ihren Weg zum Himmel zu nehmen, einen
Umweg über Portugal gemacht hätte! Ein großer
Teil der Liſſaboner zweifelt aber keinen Augenblick
daran, und heute gegen vier Uhr verſammelten ſich,
kniend und ſich bekreuzigend, hunderte von Frommen
auf dem Largo de Chatariz, um den toten Papſt
zum Himmel fahren zu ſehen. Zuerſt hatte ihn eine
ſromme, alte Frau bemerkt und ſank betend zu
Boden, dann ſahen ihn auch die anderen in Form
eines flimmernden Sternes, gerade über dem Tajo
einige Linien unter der Sonne, und nun hatte
niemand mehr den geringſten Zweifel! Bald ver-
breitete ſich die Kunde in der Stadt, und unter
den unwiſſenden Leuten entſtand ein wahrer Auf-
lauf, um die Seele des toten Papſtes zu ſehen.
Die ungläubigen Zeitungen erklärten allerdings,
daß dieſer glänzende Stern kein anderer als der
gewohnte Abendſtern Venus geweſen ſei, den man,
was allerdings ſelten genug geſchieht, der aus-
nehmend klaren Atmoſphäre wegen ein gutes Stück
vor Sonnenuntergang wahrnehmen konnte, aber —
was hat die Venus mit dem Papſt zu tun? Den
frommen Glauben der einfachen Leute, daß die
Seele des toten Papſtes über Liſſabon ſchwebte,
haben ſie denn richtig nicht zu zerſtreuen vermocht.

(Dämpfigkeit, Pfeifen oder Röh-
ren der Pferde.)

Wie vielfach iſt dieſer Zu-
ſtand gerade unter denjenigen Tieren anzutreffen,
welche der Landwirt oder Gewerbetreibende ge-
zwungen iſt, zur Arbeitsleiſtung heranzuziehen und

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[3/0003] Nr. 93, 4. Auguſt 1903. Marburger Zeitung gaben. Die Hauptſache iſt, daß der Unterſuchungs- ausſchuß gründliche Arbeit tut, damit Klarheit ver- ſchafft werde. Wir Deutſche aber haben weder An- laß für Khuen noch zu Gunſten der Obſtruktion, der die Beſtechungsgeſchichte recht gelegen, vielleicht ſogar beſtellt kam, die Hand ins Feuer zu legen. Zu den Vorgängen in Kroatien. Die in Amerika lebenden Kroaten, welche kürzlich eine telegraphiſche Adreſſe an Kaiſer Franz Joſef ſandten, in welcher ſie ſeinen Schutz für das bedrängte Volk in Kroatien erflehen, haben ſich, wie kroatiſche Blätter berichten, durch Vermittlung eines ruſſiſchen Fürſten, deſſen Name nicht genannt wird, in der gleichen Angelegenheit mit einer Adreſſe an den Kaiſer Nikolaus 2. gewendet. In dieſem Schriftſtück, welches Tauſende von Unterſchriften trägt, werden die Verhältniſſe in Kroatien in düſteren Farben geſchildert, vom Hungertode der Bevölkerung und der Anwendung von Bajonnetten und Gewehren gegen die kroatiſchen Bauern ge- ſprochen und des ruſſiſchen Zaren Majeſtät gebeten, ſich zumindeſt durch Worte ſeiner ſlaviſchen Stammes- brüder anzunehmen. Der betreffende ruſſiſche Fürſt hat nun, wie weiters aus Petersburg gemeldet wird, dieſe Adreſſe dem Kaiſer überreicht, welcher ſie freundlich entgegengenommen haben ſoll. — Handelsminiſter Dr. Lang hat der in Pola er- ſcheinenden „Naſa Sloga“ und der in Zara er- ſcheinenden „Narodni Liſt“ für die Länder der unga- riſchen Krone das Poſtdebit entzogen. Magyariſierung um jeden Preis. Das Temeswarer „Deutſche Tagblatt“ ſchreibt: Wenn ſich unter den Schwaben noch einige Opti- miſten finden ſollten, die nicht daran glauben wollen, daß man ihnen ihre deutſche Mutterſprache nehmen will und daß man in Ungarn um jeden Preis be- müht iſt, die Schwaben zu magyariſieren, ſo möge ſie der folgende patriotiſch ſeinwollende, in der Tat aber höchſt unqualifizierbare Aufruf der hieſigen Handels- und Gewerbekammer eines Beſſeren be- lehren, der mit geradezu verblüffender Offenheit die Magyariſierung der ſüdungariſchen Schwaben anſtrebt. Der Aufruf lautet: „Die Temeswarer Handels- und Gewerbekammer nimmt ſowohl in der eigenen Praxis als auch aus den einſchlägigen Mitteilungen anderer Behörden mit Bedauern wahr, daß ein beträchtlicher Teil der ſüdungariſchen Ge- ſchäftswelt in ihrer kommerziellen Gebahrung und ſogar im Verkehr mit den öffentlichen Aemtern und Behörden, ſich anſtatt der magyariſchen der deutſchen Sprache bedient. Nicht we- niger auffallend iſt der Gebrauch der deutſchen Firma- tafeln. In den ſüdungariſchen Städten begegnen wir noch ſo oft Aufſchriften und Schildern in deutſcher Sprache, was umſo unangenehmer iſt, weil die in- und ausländiſchen Reiſenden auf Grund dieſer Auf- ſchriften und Schilder maßgebende Folgerungen be- treffs der hierländiſchen Verhältniſſe ziehen zu können glauben. (Mit anderen Worten, weil die Fremden auf den Glauben kommen könnten, daß hier Deutſche wohnen! Aber hätten ſie denn kein Recht dazu? Oder wohnen denn nur Magyaren in Temeswar?) Eine andere Erſcheinung iſt, daß ein anſehnlicher Teil unſerer Geſchäftsfirmen — beſonders die älteren handelsgerichtlich noch immer deutſch protokolliert ſind. Dies iſt nicht nur ein übler, ſondern vom Geſichts- punkt der Betreffenden auch ein nachteiliger Zuſtand, welchem durch ein kurzes Geſuch geſteuert werden kann. (Wie liebenswürdig!) Die Temeswarer Han- dels- und Gewerbekammer, überzeugt von den durch- aus patriotiſchen Geſinnungen der Handels- und Gewerbetreibenden, fordert mit vollem Vertrauen beide Erwerbsklaſſen auf, die miſſionelle Aufgabe der Magyariſierung zu fördern und we- nigſtens in ihrem inländiſchen Verkehr und bei Eingaben an Behörden ſtets die magyariſche Sprache zu gebrauchen. Diejenigen Geſchäfte und Firmen aber, an deren Firmatafeln die magyariſche Aufſchrift bisher nicht gehörig zur Geltung gebracht wurde, weiters die- jenigen Kaufleute, deren Firma nur deutſch proto- kolliert iſt, mögen die entſprechende Abänderung ſchon wegen ihrer eigenen Reputation (!) und wegen des guten Rufes der ſüdungariſchen Geſchäftswelt ehebaldigſt durchführen.“ Hoffen wir, daß ſich unſere Geſchäftswelt noch ihren geſunden Menſchenverſtand bewahrt hat und daß ſie, wenn ſie noch ein Atom von ihrem ehrlichen Deutſchtum in ſich fühlt, auch die moraliſche Kraft haben wird, der anſtürmenden Magyariſierung die Türe zu weiſen! Alldeutſche Oeſterreicher in Berlin. Zu dem vierten Bundesfeſt des deutſchen Turnerbundes ſind gegen 2000 Turner aus Oeſter- reich ſowie die alldeutſchen Abgeordneten Berger, Malik und Stein in Berlin eingetroffen. Nach dem Feſtzug, deſſen Durchzug durch das Brandenburger Tor zum erſtenmal bewilligt wurde, und bei dem die öſterreichiſchen Turner den Gegenſtand ſtür- miſcher Sympathiekundgebungen ſeitens der Ber- liner Bevölkerung bildeten, zogen die Turner und die alldeutſchen Abgeordneten zum Bismarck-Denk- mal, wo Abgeordneter Stein namens der All- deutſchen Vereinigung des Abgeordnetenhauſes einen Kranz mit der Inſchrift: „Heil Bismarck, Alldeutſch- lands größtem Sohne! Schönerer und Kampf- genoſſen“ niederlegte. Auch der Ottakringer Turn- verein legte einen Kranz an dem Denkmal nieder. Als ein Freund ſtudentiſcher Ritterlichkeit hat ſich der bekannte Profeſſor Graf du Moulin an der Münchener Techniſchen Hochſchule bekannt. Beim Stiftungsfeſt eines Studentenkorps, deſſen alter Herr er iſt, hielt er eine Rede, in der er u. a. ſagte: „In dem Augenblicke, in dem es keine Studenten mehr gibt, die den Speer ſchwingen, verzichte ich auf das Lehramt.“ Weiters ſagte er: „Wahrhaftig, eine Schmarre iſt oft mehr wert, als eine alte Scharteke. Manch geſchwänztes Kolleg iſt beſſer an- gewendet, als ein geſchwänzter Fechtboden.“ Die draſtiſchen Ausdrücke rechtfertigen ſich durch die feucht- fröhliche Kommersſtimmung von ſelbſt. Sie haben aber die Klerikalen in raſende Wut verſetzt. Zur Papſtwahl. Freitag nachmittags begaben ſich die Kardi- näle zur Papſtwahl in das Konklave und wurde unter dem üblichen Zeremoniell die Abſchließung desſelben von der Außenwelt vollzogen. In das Konklave ſind im ganzen 365 Perſonen eingetreten, nämlich 62 Kardinäle, 62 Konklaviſten, 62 Nobel- gardiſten, 62 Kammerdiener, 40 Erzbiſchöfe und Biſchöfe für den Sicherheitsdienſt, 14 Köche, 20 Laſtträger und andere Bedienſtete. Kardinal Her- rero liegt krank in ſeiner Wohnung, nimmt jedoch trotzdem an der Abſtimmung teil. Die Kardinäle halten in der Sixtiniſchen Kapelle zwei Sitzungen täglich ab, eine um 10 Uhr vormittags, die zweite um 4 Uhr nachmittags. Jede Sitzung dauert zwei Stunden. Die erſte Abſtimmung fand Sonnabend vormittags ſtatt. Um ¼12 Uhr zeigte ſich zum erſtenmale die Rauchwolke auf dem Dache der Six- tiniſchen Kapelle, herrührend von der Verbrennung der erſten Stimmzettel. Voll Spannung blickten die auf dem Petersplatze Angeſammelten nach der Loggia della Benedizione und dem großen Balkon über dem Haupteingange der Peterskirche, um zu ſehen, ob nicht bereis dort ein Kardinal erſcheine, die erfolgte Papſtwahl zu verkünden. Als dies nach einer halben Stunde noch nicht geſchehen war, leerte ſich der Platz. Nachmittags um 4 Uhr war ein neuer Wahlgang, der ebenfalls erfolg- los endete. Als Papabili gelten Mariano Rampolla, deſſen Anhänger auch der deutſche Jeſuit Stein- huber iſt; Girolamo Gotti; Angelo die Pietro, letztere beide von Rampolla unterſtützt; Serafino Vannutelli der einflußreichſte Gegner Rampollas, der die Deutſchen Kopp und Fiſcher, alle Oeſter- reicher und den Ungarn Vaßary zu ſeinen Anhän- gern zählt; Luigi Oreglia die Santo Stefano, der ebenfalls ein Gegner Rampollas iſt und Giuſeppe Sarto (italienfreundlich). Tagesneuigkeiten. (Der Verein der Ingenieure der k. k. öſterr. Staatsbahnen), deſſen Wirkungs- kreis ſich auf ſämtliche Länder der diesſeitigen Reichs- hälfte erſtreckt, veranſtaltet in der Zeit vom 15. bis 17. Auguſt l. J. eine Zuſammenkunft ſeiner Mit- glieder in Villach. Nebſt den äußerſt zahlreich an- gemeldeten Mitgliedern werden auch viele techniſche Vereine Oeſterreichs durch Delegierte vertreten ſein. Der Eiſenbahn-Miniſter Dr. v. Wittek ſowie mehrere höhere Funktionäre der k. k. Staatsbahnverwaltung und andere Behörden haben ihr Erſcheinen in Aus- ſicht geſtellt. Nebſt dem rührigen Feſtkomitee bereitet ſich auch die Stadt zum würdigen Empfange der Gäſte vor. Das Programm iſt folgendes: 15. Auguſt. Empfang der Feſtgäſte, Frühſchoppen. Nachmittag: Ausflug zum Oſſiacherſee. Abends 8 Uhr: Bankett in der Feſthalle. 16. Auguſt. Exkurſion zum Süd- portale des Karawankentunnels in Birnbaum. Nach- mittag: Ausflug zu den Weißenfelſerſeen, woſelbſt abends eine Höhen- und Seen-Beleuchtung ſtatt- findet. 17. Auguſt. Exkurſion zum Nordportale des Karawankentunnels im Bärengraben. Nachmittag: Rundfahrt am Wörtherſee und abends Beſichtigung der zur Vorfeier des Geburtsfeſtes Sr. Majeſtät des Kaiſers ſtattfindenden Seebeleuchtung. (Ultramontanismus und Fremden- verkehr.) In einer Korreſpondenz der „Augs- burger Poſtzeitung“, „Aus den Tiroler Bergen“, heißt es unter anderem: „Der Hochſommer iſt da, die Schulen ſind geſchloſſen! Deutſches Kapital, deutſche Müdigkeit und deutſche — Protzſucht ſtür- zen ſich wie eine Meute in die Tiroler Täler und auf die ſchuldloſen, ſchwindelig ſteilen Bergſpitzen. Ein ſentimental-luſtig-närriſches Leben auf einmal in ahnungslos naiven Regionen, ein ſechswöchent- licher Karneval auf den ſtillen Straßen ſchlichten Natur- und Volkslebens! Das bedürfte einer eige- nen ausführlichen, lohnenden Schilderung. Und der Empfang von Seiten der Tiroler? Das große Volk macht ſein Heu, melkt ſeine Kühe auf den Almen und ißt ſeine Knödel und Blenten und kümmert ſich nicht weiter. Der Herr Pfarrer und Kooperator aber erſchrecken, wenn der Kalender Juli zeigt; vor ihrem Geiſte ſteigen die Geſtalten ſo manches Heiden, ſo manches Spötters und Verführers auf, die ſich um ihre Hürde ſchleichen (!), um in lang und ſorglich gehütete Heiligtümer einzubrechen. Sie ſehen manches bröckeln vom alten ſicheren Beſtand. In einſamer Stunde machen ſie eine grimmige Miene und eine Fauſt in der Taſche (!). Und kommen ſie zuſammen, dann machen ſie ihrem Grimm Luft in deutlichen Worten und danken für den Fortſchritt, der dem heiligen Lande Tirol ge- worden. — Ja, ja, der verfluchte Fortſchritt! (Ein Finanzminiſter ohne Finanzen.) Daß die Republik Venezuela nicht im Gelde ſchwimmt, weiß jedes Schulkind, daß der Finanzminiſter aber nicht einmal lumpige vierzig Dollars auſbringen kann, hätte man doch nicht gedacht. Nach den An- gaben eines Juweliers aus Caracas, der ſoeben in New-York eingetroffen iſt, ſcheint aber die venezo- laniſche Regierungskaſſe ſtets „vollgepfropft mit dichtem Nichts“ zu ſein, wie eine luſtige Figur auf der amerikaniſchen Bühne einſtens ſagte. Der Ju- welier erzählt nach der „Frankf. Ztg.“ folgendes: „Im Pantheon zu Caracas befindet ſich ein Denk- mal des Generals Bolivar. Eines Tages waren die goldenen Buchſtaben, welche den Namenszug bildeten, geſtohlen. Ich hatte ahnungslos einige davon gekauft, gab aber natürlich, als ich den wahren Sachverhalt erfuhr, ſie ſofort zurück. Aus Anerkennung dafür, trug man mir nun auf, die Inſchrift zu erneuern. Ich erklärte mich bereit — natürlich gegen eine Anzahlung von vierzig Dollars. Der Finanzminiſter ſuchte allenthalben nach, konnte aber dieſes Geld nirgendwo auftreiben, und da ich nicht „anſchreiben“ wollte, mußte Herr Bolivar ohne Namenszug bleiben.“ (Des Papſtes Himmelfahrt.) Aus Liſſabon wird vom 24. v. Mts. geſchrieben: Wer hätte es glauben ſollen, daß die Seele Leos 13., um ihren Weg zum Himmel zu nehmen, einen Umweg über Portugal gemacht hätte! Ein großer Teil der Liſſaboner zweifelt aber keinen Augenblick daran, und heute gegen vier Uhr verſammelten ſich, kniend und ſich bekreuzigend, hunderte von Frommen auf dem Largo de Chatariz, um den toten Papſt zum Himmel fahren zu ſehen. Zuerſt hatte ihn eine ſromme, alte Frau bemerkt und ſank betend zu Boden, dann ſahen ihn auch die anderen in Form eines flimmernden Sternes, gerade über dem Tajo einige Linien unter der Sonne, und nun hatte niemand mehr den geringſten Zweifel! Bald ver- breitete ſich die Kunde in der Stadt, und unter den unwiſſenden Leuten entſtand ein wahrer Auf- lauf, um die Seele des toten Papſtes zu ſehen. Die ungläubigen Zeitungen erklärten allerdings, daß dieſer glänzende Stern kein anderer als der gewohnte Abendſtern Venus geweſen ſei, den man, was allerdings ſelten genug geſchieht, der aus- nehmend klaren Atmoſphäre wegen ein gutes Stück vor Sonnenuntergang wahrnehmen konnte, aber — was hat die Venus mit dem Papſt zu tun? Den frommen Glauben der einfachen Leute, daß die Seele des toten Papſtes über Liſſabon ſchwebte, haben ſie denn richtig nicht zu zerſtreuen vermocht. (Dämpfigkeit, Pfeifen oder Röh- ren der Pferde.) Wie vielfach iſt dieſer Zu- ſtand gerade unter denjenigen Tieren anzutreffen, welche der Landwirt oder Gewerbetreibende ge- zwungen iſt, zur Arbeitsleiſtung heranzuziehen und

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 93, Marburg, 04.08.1903, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger93_1903/3>, abgerufen am 23.11.2024.