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Marburger Zeitung. Nr. 96, Marburg, 12.08.1902.

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Marburger Beitung.



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11--12 Uhr vorm. und von 5--6 Uhr nachm. Postgasse 4.

Die Verwaltung befindet sich: Postgasse 4. (Telephon-Nr. 24.)


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allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
Inseratenpreis: Für die 5mal gespaltene Zeile 12 h, be-
Wiederholung bedeutender Nachlaß. -- Schluß für Ein-
schaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags

Die Einzelnummer kostet 10 h.




Nr. 96 Dienstag, 12. August 1902 41. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Zur Hauptversammlung des Bundes der
Deutschen in Böhmen.

Sonntag, den 17. Erntings hält der Bund
der Deutschen in Böhmen seine diesjährige ordent-
liche Hauptversammlung in Schluckenau ab, wie
schon mitgeteilt wurde. Wichtige Beratungsgegen-
stände liegen vor, die hoffentlich alle zu Nutz und
Frommen Deutschböhmens einer gedeihlichen Lösung
zugeführt werden. So hören wir, daß von einer
Anzahl von Ortsgruppen der Antrag eingebracht
worden sei, die Hauptleitung nach Deutschböhmen
heraus zu verlegen, einen Antrag, den wir aus
mannigfachen Gründen aufrichtig begrüßen würden.
Ferner würde in der Hauptversammlung darauf
hingewiesen werden, daß die Mitteilungen der
Bundesleitung künftig nicht mehr im Prager "D.
Volksboten", sondern in eigens von der Haupt-
leitung herausgegebenen Bundesnachrichten, wie sie
zum Beispiele beim "Bunde der Deutschen Nord-
mährens" durchgeführt wurden, erscheinen mögen.

Auch das halten wir für sehr wünschenswert.
Nun haben wir aber gehört, daß der Herausgeber
des "Deutschen Volksboten", Herr Kießlich, ent-
schlossen wäre, auf die ihm vom Bunde zuge-
sprochenen 200 oder 300 fl., die er für die Auf-
nahme von Bundesmitteilungen erhielt, zu verzich-
ten und die Verlautbarungen der Bundesleitung
unter allen Umständen in seinem Blatte, die son-
stigen Bundesnachrichten nach Maßgabe des Raumes
umsonst zu veröffentlichen. Auf diese Weise soll
die Herausgabe besonderer "Bundesmitteilungen"
vermieden werden und andererseits soll dadurch
sein Blatt (ein Organ der Wolf'schen Richtung)
dem Bunde gegenüber gewissermaßen außer Obligo
kommen; man würde es nicht mehr Bundeszeitung
nennen können. Die guten Absichten, welche Herrn
Kießlich hiebei leiten mögen, in Ehren, aber wir
glauben, daß Letzteres durch die Einstellung einer
Entschädigung nicht erreicht werden würde. Denn
sobald im "Deutschen Volksboten" die Kundge-
bungen der Hauptleitung u. s. w. erscheinen, gilt
das Prager Blatt so oder so doch für das Bun-
[Spaltenumbruch] desorgan. Welche Mißlichkeiten in unseren jetzigen
Zeiten aber daraus zu entstehen drohen, wenn der
"Bund der Deutschen in Böhmen", ob mit Recht
oder Unrecht, verquickt werden sollte mit der Zeitung
eines sehr ausgesprochenen Politikers,
liegt klar auf der Hand. Wir sind demnach der
Meinung, daß die Radikalkur auch in diesem
Falle das Bessere wäre. Noch zwei Anregungen
möchten wir geben. Herr Anton Kißlich wird je-
denfalls wieder als erster Obmannstellvertreter der
Bundesleitung in Vorschlag gebracht werden. Und
das dürfte -- ruhig und objektiv berichtet -- für
die Bundessache von Vorteil sein. Wir bitten die
alldeutsche Presse Böhmens, unsere Gründe vorur-
teilslos zu prüfen. Herr Anton Kießlich hat sich
gewiß, das wird von keinem Kenner der Verhält-
nisse in Abrede gestellt werden können, um die
Gründung, Erhaltung und Förderung des Bundes
große Verdienste erworben. Die seien auch nicht
im geringsten angetastet. Aber, wann es gilt, das
Wohl und Wehe einer so unendlich wichtigen
nationalen Einrichtung, wie es der "Bund
der Deutschen in Böhmen" ist, zu be-
raten, dann müssen alle Sentimentalitäten,
alle achtbaren Dankesrücksichten zurücktreten vor
der Erkenntnis des Notwendigen. Herr Anton
Kießlich ist, wie schon gesagt, ein ausgesprochener
Parteimann, ja ein leidenschaftlicher Verfechter
Wolf'scher Politik, die gerade jetzt -- wenn wir so
sagen dürfen -- sich in Untersuchung befindet.

Es kann nicht unsere Sache sein, in einem
Aufsatze, der der Bundestagung gewidmet ist, über
Wolfs Person ein Urteil abzugeben, wenn für uns
und alle Eingeweihten auch die diesbezüglichen Akten
seit Monaten geschlossen sind.

Aber wer an der Spitze des "Bundes der
Deutschen in Böhmen" steht, der darf, wenn der
Bund nicht schweren Schaden leiden soll, keinesfalls
die Wolf'sche Angelegenheit in einer derartigen
Weise vertreten, wie Kießlich es getan. Wir sind
natürlich auch der Ueberzeugung, daß, wie die
Dinge heute stehen, ein unbedingter Schönerianer
nicht der richtige Mann wäre, den Bund zu leiten,
da dann wieder die unbedingten Wolfianer sich
[Spaltenumbruch] zurückziehen möchten. Herrn Anton Kießlichs ein-
seitiger Standpunkt führte ihn zu den gewagtesten
Behauptungen in seiner Zeitung. Wir fügen hier
gleich bei, daß wichtige politische Aufsätze selbst-
verständlich niemals ohne Wissen und Zustimmung
des verantwortlichen Schriftleiters -- und das ist
Herr Kießlich -- zum Abdrucke gelangen können.
Also trägt dieser auch der Leserwelt gegenüber die
volle Verantwortung. Eines schönen Tages lasen
wir im "Volksboten", lasen wieder und ließen
endlich das Blatt vor Erstaunen fallen. Es wurde
nämlich beiläufig gesagt, daß es Wolf in seiner
Volksführerschaft keinen Abbruch tuen könnte, selbst
wenn ihm nachgewiesen würde, daß er ein ....
Raubmörder (!) sei, immer müsse man ihn als
verdienten Volksmann gelten lassen. Das ist ein
sehr starker Tabak. Wir können es verstehen, daß
ein Spitzbube und Schurke, wenn er sonst ein
genialer Kopf wäre und sich aufopferungsvoll
bewiesen hätte, an der Spitze einer Räuber- oder
Zigeunerbande bleiben könnte; aber daß ein über-
wiesener Gauner auch noch irgend eine
Rolle
in einer deutschen Volksbewegung
zu spielen in der Lage wäre, das geht über unseren
sittlichen Horizont hinaus. Herr Anton Kießlich
hat hiemit einer gefährlichen "Uebermoral" das
Wort gesprochen, die selbst der große Nietzsche in
seinen krankhaftesten Stunden nicht als Mittel zur
Volksgesundung empfohlen hätte.

Der "Bund der Deutschen in Böhmen", der
durch Herrn Kießlich mitvertreten wird, muß vor
allem vor einer so ungesunden Moral geschützt
werden. Von Bundesleuten dürfen wir vielmehr
erwarten, daß sie verkünden: Wer sich private
und öffentliche Lumpereien zu schul-
den kommen hat lassen und deren über-
führt wurde, der wird unbarmherzig
aus der Liste unserer verdienten deut-
schen Männer gestrichen!

Eine "Walhalla" für geniale Spitzbuben darf
in Deutschböhmen nicht erbaut werden. Wir
glauben dadurch hinlänglich dargetan zu haben,
daß Herr Anton Kießlich an der Spitze unseres
Bundes nicht bleiben könne. Noch ein Herr




[Spaltenumbruch]
31. Fortsetzung.
In Fesseln der Schuld.

Nachdruck verboten

Die halbe Stunde, auf die sie ihren Spaziergang
geschätzt hatte, war noch nicht vorüber, als Maud zurück-
kehrte. Auch die kalte Winterluft hatte seltsamerweise
heute ihre Wangen nicht zu röten vermocht und in
ihren Augen war noch immer dasselbe unruhige, fieber-
hafte Flimmern. Aber in auffallendem Gegensatz zu
diesen Anzeichen körperlichen oder seelischen Unbehagens
legte sie in Worten und Gebahren eine beinahe ausge-
lassene Lustigkeit, eine fast kindliche Freude auf das
bevorstehende Vergnügen an den Tag.

Da man möglichst frühzeitig bei dem Feste erscheinen
wollte, hatten die Schwestern kaum noch eine Stunde,
um sich anzukleiden. Und sie waren dabei ganz auf
ihre gegenseitige Hilfe angewiesen, da die Kammerjungfer,
das einzige weibliche Wesen im Dienstpersonal, das sich
auf solche Handreichungen verstand, von der Frau Ge-
heimrat in Anspruch genommen wurde. Maud aber
schien das keineswegs als eine Unbequemlichkeit zu
empfinden. Sie bestand darauf, daß Erika sich zuerst
ankleide, und sie leistete ihr mit bewunderungswürdiger
Geschicklichkeit alle kleinen Dienste einer Zofe, wie auch
die Schwester sich dagegen sträuben mochte, sie von ihr
anzunehmen.

Ein wohlgeschulter Haarkünstler hätte Erikas feines
Köpfchen nicht zierlicher und gefälliger frisiren können,
als es ihre flinken Finger thaten, und als sie ihr zuletzt
[Spaltenumbruch] auch noch behilflich gewesen war, den Domino anzu-
legen; der in seiner reichen Ausführung ein ganz
prächtiges Ballkostüm abgab, durfte sie mit ihrem
Werke in der That vollauf zufrieden sein.

"Sagte ich es nicht, daß ich etwas Allerliebstes
aus Dir machen würde?" frohlockte sie, indem sie die
Geschmückte, die am Ende geduldig Alles mit sich hatte
geschehen lassen, vor den hohen Ankleidespiegel stellte.
"Ich wette, unter der ganzen Gesellschaft ist Keine, die
reizender aussieht als Du."

Erika zwang sich zu einem Lächeln, um nicht
undankbar zu scheinen, und um ihr nicht die Freude
zu verderben.

"Du hast Dir viel zu viel Mühe mit mir gegeben,
Maud, und hast dabei mehr als die Hälfte unserer
knapp bemessenen Zeit verschwendet. Komm, lasse mich
nun auch Dir behilflich sein, so gut ich es vermag."

Aber die Andere wehrte lachend ab.

"In Deinem Staat? -- Was fällt Dir ein, Schatz!
Und ich mache mir das Alles auch viel besser allein."

Wirklich hatte sie in weniger als einer Viertel-
stunde ihr Haar geordnet, und da die Frisur genau
dieselbe war wie die Erikas, sahen sich die beiden
Schwestern viel ähnlicher, als es sonst der Fall war.
Eben wollte Maud ihr Kleid herabstreifen, als sie sich
besann, daß ihr noch etwas fehlte.

"Wir haben kein heißes Wasser mehr," sagte sie
"und es ist wohl am besten, wenn ich es mir selbst
aus der Küche heraufhole. Die Dienstboten sind ein
bischen langsam hier im Hause. Die Gutmütigkeit der
Frau Geheimrat hat sie zu sehr verwöhnt."


[Spaltenumbruch]

Sie schlüpfte aus dem Zimmer und eilte die Treppe
hinab. Aber sie ging nicht geradewegs in die Küche,
sondern wandte sich dem hinteren Gartenausgange
der Villa zu. In einer Ecke des dahin führenden
Ganges hatte Sultan, der treue Wächter des Hauses,
seine Lagerstätte, die er allabendlich mit der Pünktlichkeit
eines militärischen Postens einnahm, immer bereit, auch
dem leisesten fremdartigen Geräusch nachzugehen, das
von irgendwoher seinen Argwohn erregt hatte.

Leise rief Maud den Namen des Hundes, und
in großen, freudigen Sätzen kam der prächtige Bernhar-
diner auf sie zu. Liebkosend streichelte ihre schmale
Linke über sein glänzendes, seidenweiches Haar, während
sie mit der Rechten ein sorglich in Papier geschlagenes,
winziges Päckchen aus der Tasche zog. Einige zusammen-
gerollte Fleischschnitte waren darin, und einzeln reichte
sie sie unter schmeichelnden Worten dem Hunde, der
mit leuchtenden Augen die Leckerbissen gierig ver-
schlang.

"Armes Tier!" flüsterte sie dann mitleidig, indem
sie sich zu ihm herabneigte und ihre Wange für einen
Moment zärtlich an seinen schönen Kopf schmiegte.
"Es thut mir leid um Dich, aber es durfte nicht anders
sein."

Schweifwedelnd blickte ihr Sultan nach, um dann
sein Lager wieder aufzusuchen. Maud aber kehrte
mit dem aus der Küche geholten heißen Wasser so
ausgelassen heiter zu Erika zurück, daß diese wahrlich
nicht auf die Vermutung kommen konnte, ihre lieb-
reizende strahlende Schwester habe soeben das arglose
Vertrauen eines unschuldigen Geschöpfes benutzt, um
ihm tückisch und unbarmherzig den Tod zu geben.


Marburger Beitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.)


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Einſchaltungen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
Inſeratenpreis: Für die 5mal geſpaltene Zeile 12 h, be-
Wiederholung bedeutender Nachlaß. — Schluß für Ein-
ſchaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags

Die Einzelnummer koſtet 10 h.




Nr. 96 Dienstag, 12. Auguſt 1902 41. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Zur Hauptverſammlung des Bundes der
Deutſchen in Böhmen.

Sonntag, den 17. Erntings hält der Bund
der Deutſchen in Böhmen ſeine diesjährige ordent-
liche Hauptverſammlung in Schluckenau ab, wie
ſchon mitgeteilt wurde. Wichtige Beratungsgegen-
ſtände liegen vor, die hoffentlich alle zu Nutz und
Frommen Deutſchböhmens einer gedeihlichen Löſung
zugeführt werden. So hören wir, daß von einer
Anzahl von Ortsgruppen der Antrag eingebracht
worden ſei, die Hauptleitung nach Deutſchböhmen
heraus zu verlegen, einen Antrag, den wir aus
mannigfachen Gründen aufrichtig begrüßen würden.
Ferner würde in der Hauptverſammlung darauf
hingewieſen werden, daß die Mitteilungen der
Bundesleitung künftig nicht mehr im Prager „D.
Volksboten“, ſondern in eigens von der Haupt-
leitung herausgegebenen Bundesnachrichten, wie ſie
zum Beiſpiele beim „Bunde der Deutſchen Nord-
mährens“ durchgeführt wurden, erſcheinen mögen.

Auch das halten wir für ſehr wünſchenswert.
Nun haben wir aber gehört, daß der Herausgeber
des „Deutſchen Volksboten“, Herr Kießlich, ent-
ſchloſſen wäre, auf die ihm vom Bunde zuge-
ſprochenen 200 oder 300 fl., die er für die Auf-
nahme von Bundesmitteilungen erhielt, zu verzich-
ten und die Verlautbarungen der Bundesleitung
unter allen Umſtänden in ſeinem Blatte, die ſon-
ſtigen Bundesnachrichten nach Maßgabe des Raumes
umſonſt zu veröffentlichen. Auf dieſe Weiſe ſoll
die Herausgabe beſonderer „Bundesmitteilungen“
vermieden werden und andererſeits ſoll dadurch
ſein Blatt (ein Organ der Wolf’ſchen Richtung)
dem Bunde gegenüber gewiſſermaßen außer Obligo
kommen; man würde es nicht mehr Bundeszeitung
nennen können. Die guten Abſichten, welche Herrn
Kießlich hiebei leiten mögen, in Ehren, aber wir
glauben, daß Letzteres durch die Einſtellung einer
Entſchädigung nicht erreicht werden würde. Denn
ſobald im „Deutſchen Volksboten“ die Kundge-
bungen der Hauptleitung u. ſ. w. erſcheinen, gilt
das Prager Blatt ſo oder ſo doch für das Bun-
[Spaltenumbruch] desorgan. Welche Mißlichkeiten in unſeren jetzigen
Zeiten aber daraus zu entſtehen drohen, wenn der
„Bund der Deutſchen in Böhmen“, ob mit Recht
oder Unrecht, verquickt werden ſollte mit der Zeitung
eines ſehr ausgeſprochenen Politikers,
liegt klar auf der Hand. Wir ſind demnach der
Meinung, daß die Radikalkur auch in dieſem
Falle das Beſſere wäre. Noch zwei Anregungen
möchten wir geben. Herr Anton Kißlich wird je-
denfalls wieder als erſter Obmannſtellvertreter der
Bundesleitung in Vorſchlag gebracht werden. Und
das dürfte — ruhig und objektiv berichtet — für
die Bundesſache von Vorteil ſein. Wir bitten die
alldeutſche Preſſe Böhmens, unſere Gründe vorur-
teilslos zu prüfen. Herr Anton Kießlich hat ſich
gewiß, das wird von keinem Kenner der Verhält-
niſſe in Abrede geſtellt werden können, um die
Gründung, Erhaltung und Förderung des Bundes
große Verdienſte erworben. Die ſeien auch nicht
im geringſten angetaſtet. Aber, wann es gilt, das
Wohl und Wehe einer ſo unendlich wichtigen
nationalen Einrichtung, wie es der „Bund
der Deutſchen in Böhmen“ iſt, zu be-
raten, dann müſſen alle Sentimentalitäten,
alle achtbaren Dankesrückſichten zurücktreten vor
der Erkenntnis des Notwendigen. Herr Anton
Kießlich iſt, wie ſchon geſagt, ein ausgeſprochener
Parteimann, ja ein leidenſchaftlicher Verfechter
Wolf’ſcher Politik, die gerade jetzt — wenn wir ſo
ſagen dürfen — ſich in Unterſuchung befindet.

Es kann nicht unſere Sache ſein, in einem
Aufſatze, der der Bundestagung gewidmet iſt, über
Wolfs Perſon ein Urteil abzugeben, wenn für uns
und alle Eingeweihten auch die diesbezüglichen Akten
ſeit Monaten geſchloſſen ſind.

Aber wer an der Spitze des „Bundes der
Deutſchen in Böhmen“ ſteht, der darf, wenn der
Bund nicht ſchweren Schaden leiden ſoll, keinesfalls
die Wolf’ſche Angelegenheit in einer derartigen
Weiſe vertreten, wie Kießlich es getan. Wir ſind
natürlich auch der Ueberzeugung, daß, wie die
Dinge heute ſtehen, ein unbedingter Schönerianer
nicht der richtige Mann wäre, den Bund zu leiten,
da dann wieder die unbedingten Wolfianer ſich
[Spaltenumbruch] zurückziehen möchten. Herrn Anton Kießlichs ein-
ſeitiger Standpunkt führte ihn zu den gewagteſten
Behauptungen in ſeiner Zeitung. Wir fügen hier
gleich bei, daß wichtige politiſche Aufſätze ſelbſt-
verſtändlich niemals ohne Wiſſen und Zuſtimmung
des verantwortlichen Schriftleiters — und das iſt
Herr Kießlich — zum Abdrucke gelangen können.
Alſo trägt dieſer auch der Leſerwelt gegenüber die
volle Verantwortung. Eines ſchönen Tages laſen
wir im „Volksboten“, laſen wieder und ließen
endlich das Blatt vor Erſtaunen fallen. Es wurde
nämlich beiläufig geſagt, daß es Wolf in ſeiner
Volksführerſchaft keinen Abbruch tuen könnte, ſelbſt
wenn ihm nachgewieſen würde, daß er ein ....
Raubmörder (!) ſei, immer müſſe man ihn als
verdienten Volksmann gelten laſſen. Das iſt ein
ſehr ſtarker Tabak. Wir können es verſtehen, daß
ein Spitzbube und Schurke, wenn er ſonſt ein
genialer Kopf wäre und ſich aufopferungsvoll
bewieſen hätte, an der Spitze einer Räuber- oder
Zigeunerbande bleiben könnte; aber daß ein über-
wieſener Gauner auch noch irgend eine
Rolle
in einer deutſchen Volksbewegung
zu ſpielen in der Lage wäre, das geht über unſeren
ſittlichen Horizont hinaus. Herr Anton Kießlich
hat hiemit einer gefährlichen „Uebermoral“ das
Wort geſprochen, die ſelbſt der große Nietzſche in
ſeinen krankhafteſten Stunden nicht als Mittel zur
Volksgeſundung empfohlen hätte.

Der „Bund der Deutſchen in Böhmen“, der
durch Herrn Kießlich mitvertreten wird, muß vor
allem vor einer ſo ungeſunden Moral geſchützt
werden. Von Bundesleuten dürfen wir vielmehr
erwarten, daß ſie verkünden: Wer ſich private
und öffentliche Lumpereien zu ſchul-
den kommen hat laſſen und deren über-
führt wurde, der wird unbarmherzig
aus der Liſte unſerer verdienten deut-
ſchen Männer geſtrichen!

Eine „Walhalla“ für geniale Spitzbuben darf
in Deutſchböhmen nicht erbaut werden. Wir
glauben dadurch hinlänglich dargetan zu haben,
daß Herr Anton Kießlich an der Spitze unſeres
Bundes nicht bleiben könne. Noch ein Herr




[Spaltenumbruch]
31. Fortſetzung.
In Feſſeln der Schuld.

Nachdruck verboten

Die halbe Stunde, auf die ſie ihren Spaziergang
geſchätzt hatte, war noch nicht vorüber, als Maud zurück-
kehrte. Auch die kalte Winterluft hatte ſeltſamerweiſe
heute ihre Wangen nicht zu röten vermocht und in
ihren Augen war noch immer dasſelbe unruhige, fieber-
hafte Flimmern. Aber in auffallendem Gegenſatz zu
dieſen Anzeichen körperlichen oder ſeeliſchen Unbehagens
legte ſie in Worten und Gebahren eine beinahe ausge-
laſſene Luſtigkeit, eine faſt kindliche Freude auf das
bevorſtehende Vergnügen an den Tag.

Da man möglichſt frühzeitig bei dem Feſte erſcheinen
wollte, hatten die Schweſtern kaum noch eine Stunde,
um ſich anzukleiden. Und ſie waren dabei ganz auf
ihre gegenſeitige Hilfe angewieſen, da die Kammerjungfer,
das einzige weibliche Weſen im Dienſtperſonal, das ſich
auf ſolche Handreichungen verſtand, von der Frau Ge-
heimrat in Anſpruch genommen wurde. Maud aber
ſchien das keineswegs als eine Unbequemlichkeit zu
empfinden. Sie beſtand darauf, daß Erika ſich zuerſt
ankleide, und ſie leiſtete ihr mit bewunderungswürdiger
Geſchicklichkeit alle kleinen Dienſte einer Zofe, wie auch
die Schweſter ſich dagegen ſträuben mochte, ſie von ihr
anzunehmen.

Ein wohlgeſchulter Haarkünſtler hätte Erikas feines
Köpfchen nicht zierlicher und gefälliger friſiren können,
als es ihre flinken Finger thaten, und als ſie ihr zuletzt
[Spaltenumbruch] auch noch behilflich geweſen war, den Domino anzu-
legen; der in ſeiner reichen Ausführung ein ganz
prächtiges Ballkoſtüm abgab, durfte ſie mit ihrem
Werke in der That vollauf zufrieden ſein.

„Sagte ich es nicht, daß ich etwas Allerliebſtes
aus Dir machen würde?“ frohlockte ſie, indem ſie die
Geſchmückte, die am Ende geduldig Alles mit ſich hatte
geſchehen laſſen, vor den hohen Ankleideſpiegel ſtellte.
„Ich wette, unter der ganzen Geſellſchaft iſt Keine, die
reizender ausſieht als Du.“

Erika zwang ſich zu einem Lächeln, um nicht
undankbar zu ſcheinen, und um ihr nicht die Freude
zu verderben.

„Du haſt Dir viel zu viel Mühe mit mir gegeben,
Maud, und haſt dabei mehr als die Hälfte unſerer
knapp bemeſſenen Zeit verſchwendet. Komm, laſſe mich
nun auch Dir behilflich ſein, ſo gut ich es vermag.“

Aber die Andere wehrte lachend ab.

„In Deinem Staat? — Was fällt Dir ein, Schatz!
Und ich mache mir das Alles auch viel beſſer allein.“

Wirklich hatte ſie in weniger als einer Viertel-
ſtunde ihr Haar geordnet, und da die Friſur genau
dieſelbe war wie die Erikas, ſahen ſich die beiden
Schweſtern viel ähnlicher, als es ſonſt der Fall war.
Eben wollte Maud ihr Kleid herabſtreifen, als ſie ſich
beſann, daß ihr noch etwas fehlte.

„Wir haben kein heißes Waſſer mehr,“ ſagte ſie
„und es iſt wohl am beſten, wenn ich es mir ſelbſt
aus der Küche heraufhole. Die Dienſtboten ſind ein
bischen langſam hier im Hauſe. Die Gutmütigkeit der
Frau Geheimrat hat ſie zu ſehr verwöhnt.“


[Spaltenumbruch]

Sie ſchlüpfte aus dem Zimmer und eilte die Treppe
hinab. Aber ſie ging nicht geradewegs in die Küche,
ſondern wandte ſich dem hinteren Gartenausgange
der Villa zu. In einer Ecke des dahin führenden
Ganges hatte Sultan, der treue Wächter des Hauſes,
ſeine Lagerſtätte, die er allabendlich mit der Pünktlichkeit
eines militäriſchen Poſtens einnahm, immer bereit, auch
dem leiſeſten fremdartigen Geräuſch nachzugehen, das
von irgendwoher ſeinen Argwohn erregt hatte.

Leiſe rief Maud den Namen des Hundes, und
in großen, freudigen Sätzen kam der prächtige Bernhar-
diner auf ſie zu. Liebkoſend ſtreichelte ihre ſchmale
Linke über ſein glänzendes, ſeidenweiches Haar, während
ſie mit der Rechten ein ſorglich in Papier geſchlagenes,
winziges Päckchen aus der Taſche zog. Einige zuſammen-
gerollte Fleiſchſchnitte waren darin, und einzeln reichte
ſie ſie unter ſchmeichelnden Worten dem Hunde, der
mit leuchtenden Augen die Leckerbiſſen gierig ver-
ſchlang.

„Armes Tier!“ flüſterte ſie dann mitleidig, indem
ſie ſich zu ihm herabneigte und ihre Wange für einen
Moment zärtlich an ſeinen ſchönen Kopf ſchmiegte.
„Es thut mir leid um Dich, aber es durfte nicht anders
ſein.“

Schweifwedelnd blickte ihr Sultan nach, um dann
ſein Lager wieder aufzuſuchen. Maud aber kehrte
mit dem aus der Küche geholten heißen Waſſer ſo
ausgelaſſen heiter zu Erika zurück, daß dieſe wahrlich
nicht auf die Vermutung kommen konnte, ihre lieb-
reizende ſtrahlende Schweſter habe ſoeben das argloſe
Vertrauen eines unſchuldigen Geſchöpfes benutzt, um
ihm tückiſch und unbarmherzig den Tod zu geben.


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[[1]/0001] Marburger Beitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4. Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.) Einſchaltungen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen Inſeratenpreis: Für die 5mal geſpaltene Zeile 12 h, be- Wiederholung bedeutender Nachlaß. — Schluß für Ein- ſchaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags Die Einzelnummer koſtet 10 h. Nr. 96 Dienstag, 12. Auguſt 1902 41. Jahrgang. Zur Hauptverſammlung des Bundes der Deutſchen in Böhmen. Sonntag, den 17. Erntings hält der Bund der Deutſchen in Böhmen ſeine diesjährige ordent- liche Hauptverſammlung in Schluckenau ab, wie ſchon mitgeteilt wurde. Wichtige Beratungsgegen- ſtände liegen vor, die hoffentlich alle zu Nutz und Frommen Deutſchböhmens einer gedeihlichen Löſung zugeführt werden. So hören wir, daß von einer Anzahl von Ortsgruppen der Antrag eingebracht worden ſei, die Hauptleitung nach Deutſchböhmen heraus zu verlegen, einen Antrag, den wir aus mannigfachen Gründen aufrichtig begrüßen würden. Ferner würde in der Hauptverſammlung darauf hingewieſen werden, daß die Mitteilungen der Bundesleitung künftig nicht mehr im Prager „D. Volksboten“, ſondern in eigens von der Haupt- leitung herausgegebenen Bundesnachrichten, wie ſie zum Beiſpiele beim „Bunde der Deutſchen Nord- mährens“ durchgeführt wurden, erſcheinen mögen. Auch das halten wir für ſehr wünſchenswert. Nun haben wir aber gehört, daß der Herausgeber des „Deutſchen Volksboten“, Herr Kießlich, ent- ſchloſſen wäre, auf die ihm vom Bunde zuge- ſprochenen 200 oder 300 fl., die er für die Auf- nahme von Bundesmitteilungen erhielt, zu verzich- ten und die Verlautbarungen der Bundesleitung unter allen Umſtänden in ſeinem Blatte, die ſon- ſtigen Bundesnachrichten nach Maßgabe des Raumes umſonſt zu veröffentlichen. Auf dieſe Weiſe ſoll die Herausgabe beſonderer „Bundesmitteilungen“ vermieden werden und andererſeits ſoll dadurch ſein Blatt (ein Organ der Wolf’ſchen Richtung) dem Bunde gegenüber gewiſſermaßen außer Obligo kommen; man würde es nicht mehr Bundeszeitung nennen können. Die guten Abſichten, welche Herrn Kießlich hiebei leiten mögen, in Ehren, aber wir glauben, daß Letzteres durch die Einſtellung einer Entſchädigung nicht erreicht werden würde. Denn ſobald im „Deutſchen Volksboten“ die Kundge- bungen der Hauptleitung u. ſ. w. erſcheinen, gilt das Prager Blatt ſo oder ſo doch für das Bun- desorgan. Welche Mißlichkeiten in unſeren jetzigen Zeiten aber daraus zu entſtehen drohen, wenn der „Bund der Deutſchen in Böhmen“, ob mit Recht oder Unrecht, verquickt werden ſollte mit der Zeitung eines ſehr ausgeſprochenen Politikers, liegt klar auf der Hand. Wir ſind demnach der Meinung, daß die Radikalkur auch in dieſem Falle das Beſſere wäre. Noch zwei Anregungen möchten wir geben. Herr Anton Kißlich wird je- denfalls wieder als erſter Obmannſtellvertreter der Bundesleitung in Vorſchlag gebracht werden. Und das dürfte — ruhig und objektiv berichtet — für die Bundesſache von Vorteil ſein. Wir bitten die alldeutſche Preſſe Böhmens, unſere Gründe vorur- teilslos zu prüfen. Herr Anton Kießlich hat ſich gewiß, das wird von keinem Kenner der Verhält- niſſe in Abrede geſtellt werden können, um die Gründung, Erhaltung und Förderung des Bundes große Verdienſte erworben. Die ſeien auch nicht im geringſten angetaſtet. Aber, wann es gilt, das Wohl und Wehe einer ſo unendlich wichtigen nationalen Einrichtung, wie es der „Bund der Deutſchen in Böhmen“ iſt, zu be- raten, dann müſſen alle Sentimentalitäten, alle achtbaren Dankesrückſichten zurücktreten vor der Erkenntnis des Notwendigen. Herr Anton Kießlich iſt, wie ſchon geſagt, ein ausgeſprochener Parteimann, ja ein leidenſchaftlicher Verfechter Wolf’ſcher Politik, die gerade jetzt — wenn wir ſo ſagen dürfen — ſich in Unterſuchung befindet. Es kann nicht unſere Sache ſein, in einem Aufſatze, der der Bundestagung gewidmet iſt, über Wolfs Perſon ein Urteil abzugeben, wenn für uns und alle Eingeweihten auch die diesbezüglichen Akten ſeit Monaten geſchloſſen ſind. Aber wer an der Spitze des „Bundes der Deutſchen in Böhmen“ ſteht, der darf, wenn der Bund nicht ſchweren Schaden leiden ſoll, keinesfalls die Wolf’ſche Angelegenheit in einer derartigen Weiſe vertreten, wie Kießlich es getan. Wir ſind natürlich auch der Ueberzeugung, daß, wie die Dinge heute ſtehen, ein unbedingter Schönerianer nicht der richtige Mann wäre, den Bund zu leiten, da dann wieder die unbedingten Wolfianer ſich zurückziehen möchten. Herrn Anton Kießlichs ein- ſeitiger Standpunkt führte ihn zu den gewagteſten Behauptungen in ſeiner Zeitung. Wir fügen hier gleich bei, daß wichtige politiſche Aufſätze ſelbſt- verſtändlich niemals ohne Wiſſen und Zuſtimmung des verantwortlichen Schriftleiters — und das iſt Herr Kießlich — zum Abdrucke gelangen können. Alſo trägt dieſer auch der Leſerwelt gegenüber die volle Verantwortung. Eines ſchönen Tages laſen wir im „Volksboten“, laſen wieder und ließen endlich das Blatt vor Erſtaunen fallen. Es wurde nämlich beiläufig geſagt, daß es Wolf in ſeiner Volksführerſchaft keinen Abbruch tuen könnte, ſelbſt wenn ihm nachgewieſen würde, daß er ein .... Raubmörder (!) ſei, immer müſſe man ihn als verdienten Volksmann gelten laſſen. Das iſt ein ſehr ſtarker Tabak. Wir können es verſtehen, daß ein Spitzbube und Schurke, wenn er ſonſt ein genialer Kopf wäre und ſich aufopferungsvoll bewieſen hätte, an der Spitze einer Räuber- oder Zigeunerbande bleiben könnte; aber daß ein über- wieſener Gauner auch noch irgend eine Rolle in einer deutſchen Volksbewegung zu ſpielen in der Lage wäre, das geht über unſeren ſittlichen Horizont hinaus. Herr Anton Kießlich hat hiemit einer gefährlichen „Uebermoral“ das Wort geſprochen, die ſelbſt der große Nietzſche in ſeinen krankhafteſten Stunden nicht als Mittel zur Volksgeſundung empfohlen hätte. Der „Bund der Deutſchen in Böhmen“, der durch Herrn Kießlich mitvertreten wird, muß vor allem vor einer ſo ungeſunden Moral geſchützt werden. Von Bundesleuten dürfen wir vielmehr erwarten, daß ſie verkünden: Wer ſich private und öffentliche Lumpereien zu ſchul- den kommen hat laſſen und deren über- führt wurde, der wird unbarmherzig aus der Liſte unſerer verdienten deut- ſchen Männer geſtrichen! Eine „Walhalla“ für geniale Spitzbuben darf in Deutſchböhmen nicht erbaut werden. Wir glauben dadurch hinlänglich dargetan zu haben, daß Herr Anton Kießlich an der Spitze unſeres Bundes nicht bleiben könne. Noch ein Herr 31. Fortſetzung. In Feſſeln der Schuld. Roman von Reinhold Ortmann. Nachdruck verboten Die halbe Stunde, auf die ſie ihren Spaziergang geſchätzt hatte, war noch nicht vorüber, als Maud zurück- kehrte. Auch die kalte Winterluft hatte ſeltſamerweiſe heute ihre Wangen nicht zu röten vermocht und in ihren Augen war noch immer dasſelbe unruhige, fieber- hafte Flimmern. Aber in auffallendem Gegenſatz zu dieſen Anzeichen körperlichen oder ſeeliſchen Unbehagens legte ſie in Worten und Gebahren eine beinahe ausge- laſſene Luſtigkeit, eine faſt kindliche Freude auf das bevorſtehende Vergnügen an den Tag. Da man möglichſt frühzeitig bei dem Feſte erſcheinen wollte, hatten die Schweſtern kaum noch eine Stunde, um ſich anzukleiden. Und ſie waren dabei ganz auf ihre gegenſeitige Hilfe angewieſen, da die Kammerjungfer, das einzige weibliche Weſen im Dienſtperſonal, das ſich auf ſolche Handreichungen verſtand, von der Frau Ge- heimrat in Anſpruch genommen wurde. Maud aber ſchien das keineswegs als eine Unbequemlichkeit zu empfinden. Sie beſtand darauf, daß Erika ſich zuerſt ankleide, und ſie leiſtete ihr mit bewunderungswürdiger Geſchicklichkeit alle kleinen Dienſte einer Zofe, wie auch die Schweſter ſich dagegen ſträuben mochte, ſie von ihr anzunehmen. Ein wohlgeſchulter Haarkünſtler hätte Erikas feines Köpfchen nicht zierlicher und gefälliger friſiren können, als es ihre flinken Finger thaten, und als ſie ihr zuletzt auch noch behilflich geweſen war, den Domino anzu- legen; der in ſeiner reichen Ausführung ein ganz prächtiges Ballkoſtüm abgab, durfte ſie mit ihrem Werke in der That vollauf zufrieden ſein. „Sagte ich es nicht, daß ich etwas Allerliebſtes aus Dir machen würde?“ frohlockte ſie, indem ſie die Geſchmückte, die am Ende geduldig Alles mit ſich hatte geſchehen laſſen, vor den hohen Ankleideſpiegel ſtellte. „Ich wette, unter der ganzen Geſellſchaft iſt Keine, die reizender ausſieht als Du.“ Erika zwang ſich zu einem Lächeln, um nicht undankbar zu ſcheinen, und um ihr nicht die Freude zu verderben. „Du haſt Dir viel zu viel Mühe mit mir gegeben, Maud, und haſt dabei mehr als die Hälfte unſerer knapp bemeſſenen Zeit verſchwendet. Komm, laſſe mich nun auch Dir behilflich ſein, ſo gut ich es vermag.“ Aber die Andere wehrte lachend ab. „In Deinem Staat? — Was fällt Dir ein, Schatz! Und ich mache mir das Alles auch viel beſſer allein.“ Wirklich hatte ſie in weniger als einer Viertel- ſtunde ihr Haar geordnet, und da die Friſur genau dieſelbe war wie die Erikas, ſahen ſich die beiden Schweſtern viel ähnlicher, als es ſonſt der Fall war. Eben wollte Maud ihr Kleid herabſtreifen, als ſie ſich beſann, daß ihr noch etwas fehlte. „Wir haben kein heißes Waſſer mehr,“ ſagte ſie „und es iſt wohl am beſten, wenn ich es mir ſelbſt aus der Küche heraufhole. Die Dienſtboten ſind ein bischen langſam hier im Hauſe. Die Gutmütigkeit der Frau Geheimrat hat ſie zu ſehr verwöhnt.“ Sie ſchlüpfte aus dem Zimmer und eilte die Treppe hinab. Aber ſie ging nicht geradewegs in die Küche, ſondern wandte ſich dem hinteren Gartenausgange der Villa zu. In einer Ecke des dahin führenden Ganges hatte Sultan, der treue Wächter des Hauſes, ſeine Lagerſtätte, die er allabendlich mit der Pünktlichkeit eines militäriſchen Poſtens einnahm, immer bereit, auch dem leiſeſten fremdartigen Geräuſch nachzugehen, das von irgendwoher ſeinen Argwohn erregt hatte. Leiſe rief Maud den Namen des Hundes, und in großen, freudigen Sätzen kam der prächtige Bernhar- diner auf ſie zu. Liebkoſend ſtreichelte ihre ſchmale Linke über ſein glänzendes, ſeidenweiches Haar, während ſie mit der Rechten ein ſorglich in Papier geſchlagenes, winziges Päckchen aus der Taſche zog. Einige zuſammen- gerollte Fleiſchſchnitte waren darin, und einzeln reichte ſie ſie unter ſchmeichelnden Worten dem Hunde, der mit leuchtenden Augen die Leckerbiſſen gierig ver- ſchlang. „Armes Tier!“ flüſterte ſie dann mitleidig, indem ſie ſich zu ihm herabneigte und ihre Wange für einen Moment zärtlich an ſeinen ſchönen Kopf ſchmiegte. „Es thut mir leid um Dich, aber es durfte nicht anders ſein.“ Schweifwedelnd blickte ihr Sultan nach, um dann ſein Lager wieder aufzuſuchen. Maud aber kehrte mit dem aus der Küche geholten heißen Waſſer ſo ausgelaſſen heiter zu Erika zurück, daß dieſe wahrlich nicht auf die Vermutung kommen konnte, ihre lieb- reizende ſtrahlende Schweſter habe ſoeben das argloſe Vertrauen eines unſchuldigen Geſchöpfes benutzt, um ihm tückiſch und unbarmherzig den Tod zu geben.

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 96, Marburg, 12.08.1902, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger96_1902/1>, abgerufen am 28.03.2024.