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Marburger Zeitung. Nr. 96, Marburg, 12.08.1902.

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Marburger Zeitung Nr. 96, 12. August 1902.

[Spaltenumbruch]

wird wieder für die Bundesleitung kandidiert
werden, der ebenfalls -- wenn auch aus anderen
Gründen -- nicht hineinpaßt. Das ist der der-
zeitige Abgeordnete Dr. Tschan. Abg. Dr. Tschan
gilt in seiner engeren Heimat als "Güter-
schlächter" und, was noch trauriger ist. Herr Abg.
Dr. Tschan ist diesen, für einen deutsch-
nationalen Abgeordneten furchtbaren
Anschuldigungen nicht beweiskräftig
entgegengetreten.
Wir brauchen nicht viel
Worte weiter über diesen Gegenstand zu verlieren.
Herr Abg. Dr. Tschan, der gewesene Geschäfts-
genosse des jüdischen Güterparzellieres Bermeiser,
kann unter keinen Umständen den Ehrenplatz in der
Bundesleitung einnehmen. Wir erwarten von der
Einsicht sowohl Herrn Kießlichs als Herrn Dr.
Tschans, daß sie sich durch niemanden bewegen
lassen werden, die ihnen wahrscheinlich angebotenen
Bundesleitungsstellen zu übernehmen. An ihrerstatt
würden wir mit gutem Gewissen die Herren Dr.
Männl aus Leitmeritz und Dr. Titta aus
Trebnitz vorschlagen. Beide sind tüchtige, erprobte,
deutsche Männer und, was hier stark in Betracht
kommt -- weder im Schönerianischen noch im
Wols'schen Sinne hervorgetreten.

Zum Schlusse dieser Betrachtungen möchten
wir noch den Wunsch aussprechen, daß Herr Ab-
geordneter Dr. Karl Schücker nach wie vor die
Oberleitung des Bundes beibehalte. Wenn auch
Herr Abg. Dr. K. Schücker einer konservativeren
Partei angehört, als die Mehrzahl der Bundes-
mitglieder, so hat er sich doch immer als warmer
und opferfreudiger Freund der herrlichen Bundes-
sache erwiesen. Und Herr Abgeordneter Dr. Karl
Schücker ist ein tadellos ehrenhafter deutscher Mann,
in dessen reinen Händen das Banner und Wappen
des "Bundes der Deutschen in Böhmen" am besten
gewahrt ist. Hermann Böhm.




Politische Amschau.
Inland.
Ein Stimmungsbild aus Ost-Galizien.

"Es ist eine Tatsache, schreibt ein hervor-
ragender ruthenischer Abgeordneter, daß die
Arbeitslöhne in Galizien sehr niedrig und
einer Erhöhung bedürftig sind. Zu diesem Uebel
gesellt sich aber auch noch die Ausbeutung und der
Schwindel bei der Auszahlung der Löhne, die
gewöhnlich durch die Dorfschenke erfolgt, wobei
die Arbeiter auf diese Art um einen beträchtlichen
Teil des ihnen gebührenden Lohnes kommen.
Schließlich muß man auch der Behandlung des
Arbeiters, ja sogar des besitzenden Bauern vonseite
mancher Gutsherren oder Gutspächter, insbesondere
aber einzelner Qekonomie-Verwalter, welche noch
immer von den Traditionen der Aera der Frohn-
arbeiten durchdrungen sind, Erwähnung tun.

Diese unwürdige Behandlung des ruthenischen
Bauern, welche auch ein bedeutender Teil der
galizischen Beamtenschaft, insbesondere bei den
politischen Behörden, nicht los werden kann, trägt
sehr viel zur Erregung des in seinem Selbstbewußt-
[Spaltenumbruch] sein bedeutend fortgeschrittenen ruthenischen Volkes
bei. Diese Umstände gaben den Anlaß dazu, daß
die Feldarbeiter die Erhöhung der Löhne verlangten
und in den Ausstand traten. Es ist nicht minder
eine Tatsache, daß nicht nur ruthenische, sondern
auch polnische Bauern hiebei solidarisch vor-
gingen, daß dieselben fast ausnahmslos in ruhiger
und würdiger Weise ihre Wünsche vorbrachten, und
daß es nur dort, wo die ruhig beratenden Bauern
gewaltsam auseinander getrieben oder von Gen-
darmen mit Kolbenstößen zur Aufnahme der Arbeit
angetrieben wurden, oder wo der Gutsherr oder
Pächter ihnen in unwürdiger Weise entgegentrat.
hie und da zu Ausschreitungen gekommen ist. Daß
aber gesengt und geplündert wurde, daß Leben und
Eigentum der Gutsherren bedroht worden wäre, kann
durch Tatsachen nicht erhärtet werden.

Ebenso entbehrt die Behauptung einer Be-
gründung, daß ruthenische Bauern mit Sensen und
geschliffenen Messern wie toll auf die Gutshöfe
stürmten. Es wurde z. B. die massenhafte An-
sammlung der Bauern -- ungefähr tausend
Menschen -- in Zeleny Kut im Bezirke Husiatyn in
den polnischen Blättern als ein Ueberfall des Guts-
hofes hinausposaunt; die Wahrheit ist aber, daß
dort nur ein Gendarm zugegen war und weder
diesem, noch dem Gutsherrn ein Haar gekrümmt
wurde. Ebenso ist es unrichtig, daß Branntwein-
boutiquen kurz und klein geschlagen wurden, um den
Schnaps aus den Fässern in vollen Zügen zu schlürfen.
Tatsache ist es dagegen, daß in vielen Dörfern der
Boykott gegen Dorfschenken beschlossen wurde, daß
die Trunksucht in Ostgalizien dank dem Eifer der
ruthenischen Geistlichkeit bedeutend abgenommen hat,
und daß professionelle Trunkenbolde zu den seltenen
Ausnahmen gehören. Ein ruthenischer Pfarrer
wurde übrigens vom Bezirkshauptmanne in Tarnopol
für die Ermahnung zur Enthaltsamkeit
vom Schnaps zu einer Strafe von 100 Kronen
verurteilt!
In manchen Ortschaften, wo die
Gutsherren unbedingt auf der Aufrechthaltung der
bisherigen Hungerlöhne bestanden und Gendarmerie
oder Militär requierierten, um entweder die Arbeiter
zur Aufnahme der Arbeit zu zwingen oder durch
Herbeiziehung fremder Arbeiter den einheimischen
den Verdienst zu entziehen, ist es allerdings zu
Ausschreitungen gekommen, bei denen vonseite der
Intervenierenden Mangel an Takt bekundet wurde.
Der Agitation. Unwissenheit und Trunkenheit alles
dies zuzuschreiben, geht nicht an.

Die Zustände in Galizien sind un-
haltbar geworden, und es wäre an der Zeit, daß
die maßgebenden Kreise dieselben mit eigenen Augen
ansehen und prüften, nicht aber durch das Prisma
gefärbter, tendenziöser Berichte beurteilten; es ist
auch höchste Zeit, daß in diesem Lande wirklich
europäisch regiert werde, und dies liegt nicht
im Interesse des ruthenischen Volkes, sondern zu-
nächst im Interesse Oesterreichs."

Liberale Fluß- und Diätenregulierung.

Ein Beitrag zum liberalen Verwaltungs-
ratsproblem. Eine sehr kennzeichnende Tatsache hat
sich bei den Verhandlungen über die Fluß-
[Spaltenumbruch] regulierung ergeben. Darnach wird eine eigene
Regulierungskommission zusammentreten, deren vor-
aussichtlich einziges deutsches Mitglied der be-
rühmte Dr. Schreiner sein dürfte. Es ist nämlich
gar nicht daran zu zweifeln, daß sich derselbe infolge
seiner großen Bescheidenheit trotz des Mangels
fachmännischer Kenntnisse von der deutschen Sektion
des Landeskulturrates in diese Regulierungs-
kommission wählen läßt. Aus den Erläuterungs-
berichten des Vortrages ist nun zu entnehmen
gewesen, daß von der ganzen zum größeren Teile
deutschen Radbusa nur der Teil reguliert werden soll,
welcher jene gemischtsprachige Strecke durchfließt, in
welcher 4 oder 5 Kohlenwerke gelegen sind, denen
diese Flußregulierung ganz besonders auf den Leib
geschrieben zu sein scheint. Diese Kohlenwerke gehören
aber zufällig jener Gesellschaft, deren Mitglied,
besoldeter Verwaltungsrat der biedere Dr. Schreiner
ist, von der Mies, dem Hauptfluß des Schreiner'schen
Wahlbezirkes soll aber nur ein kleines Stückchen bei
Pilsen (im Tschechischen) reguliert werden, im
Uebrigen wird die Mies nicht angerührt. Das ist
also die bisherige Tätigkeit dieses wackeren Ab-
geordneten für seine Wähler einerseits, für seine
Kohlen andrerseits, denn er war bisher der einzige
Deutsche, welcher vor der Verfassung der Gesetz-
vorlage den maßgebenden Vorberatungen beigezogen
war. Inwieweit durch seine Bemühungen für diese
Kohlenwerke den landwirtschaftlichen Interessen
gedient wird, welche der Präsident des deutschen
Landeskulturrates doch vor allem vertreten soll,
überlassen wir getrost der Beurteilung jener, welche
einst in Bewunderung für den liberalen Tanz ums
goldene Kalb versunken sind.

Derselbe Dr. Schreiner glaubte sich bei der
Beratung über die Flußregulierungen besonders
wichtig machen zu müssen und brachte zum Hohn
und Gelächter der gesammten Fachkreise einen An-
trag ein, mit der Forderung, daß die Plätze für
die künftige Talsperre des Böhmerwaldes derart
gewählt werden sollen, daß hiezu möglichst wenig
(!) Grundfläche in Beschlag gelegt werde. Wer die
Grundsätze für den Bau von Talsperren kennt,
kann da getrost behaupten, daß ein größerer Unsinn
und eine größere Unkenntnis noch selten mit so
selbstbewußter Anmaßung angebracht worden ist.
Da es Zweck der Talsperre ist, recht viel Nieder-
schlagwasser zurückzuhalten, so daß einerseits die
Hochwässer gemildert, anderseits aber durch recht-
zeitiges Ablassen dieser unschädlich gemachten Menge
die Niederwässer gehoben werden, so kann doch
nur jene Stelle für die Talsperre die richtige sein,
wo mit einer möglichst kurzen und niedrigen
Mauer eine möglichst große Fläche unter Stau ge-
setzt wird. Der berichtigte Vielsprecher und All-
wisser hat somit einen glänzenden Nachweis in
Form eines gedruckten Gesetzantrages für seine
Unfähigkeit zur Mitberatung in diesen wichtigen
Flußregulierungsfragen gebracht. Es ist dies ein
Hauptstück der liberalen Partei.






[Spaltenumbruch]

Dreizehntes Kapitel.

Gegen vier Uhr nachmittags war Stefan Foga-
rassy mit dem Berliner Expreßzuge in der Universitäts-
stadt angekommen, und schon zwei Stunden später
hatte er die volle Gewißheit erlangt, daß die guten
Ratschläge seines neuen Freundes Paolo Avolo ihn
wirklich auf die rechte Fährte geleitet.

Er wußte, daß die, welche er suchte, sich als
Fräulein Maud Hohenstein im Hause der Frau Geheim-
rat Mangold befand, und daß er nur noch ein paar
Tausend Schritte zurückzulegen brauchte, um sie endlich
wiederzusehen. Aber er wußte auch, daß sie ihm jetzt
nicht wieder entschlüpfen konnte und daß er sich des-
halb Zeit lassen durfte, seine Handlungen wohl zu
überlegen. Signor Avolo, der noch am ersten Tage
ihrer Bekanntschaft sein Vertrauter geworden war, hatte
ihn eindringlich davor gewarnt, der schönen Madame
Carpeaux etwa ganz unerwartet gegenüber zu
treten.

"Sie ist keine von denen, die durch das Bewußt-
sein einer Schuld demütiger und gefügiger werden",
hatte er gesagt, "und wenn sie Deiner ganz unvor-
bereitet ansichtig würde, mein guter Fogarassy, so ist
tausend gegen eins zu wetten, daß sie Dir gerade
um des von ihr begangenen Unrechts willen einen
nicht sehr freundlichen Empfang bereiten würde. Mit
all zu großem Ungestüm kannst Du Dir da leicht Alles
verderben, und am Ende findest Du sie nur wieder,
um sie erst recht für immer zu verlieren."

Bis zu welcher Siedehitze auch die Spannung
dieser letzten Tage des Forschens und Suchens die Leiden-
[Spaltenumbruch] schaft des jungen Malers gesteigert haben mochte, so
viel Verstandesklarheit hatte er sich doch noch bewahrt,
um der Warnung des menschenkundigen Akrobaten
eingedenk zu bleiben, und um ihre Berechtigung einzu-
sehen. Und wie schwer es ihm auch fiel, seine brennende
Ungeduld zu zügeln, faßte er doch den Entschluß, nicht
ohne Weiteres vor die wiedergefundene Geliebte hinzu-
treten, sondern ihr zunächst zu schreiben, damit sie noch
vor dem Wiedersehen über seine Gesinnung wie über
seine auf ihr gemeinsames Glück gerichteten Zukunfts-
absichten völlig im Klaren sei.

Eines freilich konnte er sich nicht versagen. Wenn
er sie selbst heute noch nicht sehen durfte, so wollte
er wenigstens die Stätte sehen, wo sie weilte, das
Haus, hinter dessen Mauern sie sich vor ihm hatte
verbergen wollen, um vielleicht vor Sehnsucht nach ihm
zu vergehen.

Mit hochgeschlagenem Mantelkragen und tief in
die Stirn hinabgezogenem Hute machte er sich auf
den Weg nach der Mangoldschen Villa, deren Lage
er sich genau hatte bezeichnen lassen. Wohl zehnmal
ging er an der gegenüberliegenden Seite der Straße
auf und nieder, um sich das Aeußere des Gebäudes bis
in die kleinsten Einzelheiten einzuprägen, und mit den
glühendsten Farben malte er sich dabei die Seligkeiten
der Stunde aus, die er morgen unter dem Dache dieses
Hauses verleben würde.

Seine Hoffnung, daß der Zufall gnädig genug
sein möchte, ihn schon heute das süße Antlitz der Ge-
liebten oder ihre holde Gestalt erspähen zu lassen,
erfüllte sich allerdings nicht. Und obwohl es ihm nicht
[Spaltenumbruch] leicht wurde, sich von dem Anblick ihrer jetzigen Wohn-
stätte loszureißen, mußte er doch endlich nach dem Hotel
zurückkehren, wenn es nicht zu spät werden sollte, ihr
den Brief, den er zu schreiben beabsichtigte, noch heute
zu übersenden.

Ach, es war eine schwere Aufgabe, die er sich da
gestellt hatte. Wie sollte er in knappe Sätze und auf
wenige Seiten zusammendrängen, was an leiden-
schaftlichen Empfindungen und sehnsüchtigen Wünschen
seine Seele erfüllte! Und wie sollte er ihr zu erkennen
geben, daß er in den Besitz ihres Geheimnisses gelangt
sei, ohne ihr wehe zu thun und ohne sie zu beschämen!
Denn sie sollte ja nicht glauben, daß er gekommen
sei, um den großmütig Verzeihenden zu spielen!
Sie sollte ihn vielmehr schon in dem Briefe, der ihr
sein Erscheinen ankündigte, als das sehen, was er
wirklich war: als den demütig Flehenden und Werbenden,
der dankbar den Saum ihres Gewandes küssen würde,
wenn sie ihm die Erlaubnis gewährte, ihre verhaßten
Fesseln zu brechen.




(Fortsetzung folgt.


Marburger Zeitung Nr. 96, 12. Auguſt 1902.

[Spaltenumbruch]

wird wieder für die Bundesleitung kandidiert
werden, der ebenfalls — wenn auch aus anderen
Gründen — nicht hineinpaßt. Das iſt der der-
zeitige Abgeordnete Dr. Tſchan. Abg. Dr. Tſchan
gilt in ſeiner engeren Heimat als „Güter-
ſchlächter“ und, was noch trauriger iſt. Herr Abg.
Dr. Tſchan iſt dieſen, für einen deutſch-
nationalen Abgeordneten furchtbaren
Anſchuldigungen nicht beweiskräftig
entgegengetreten.
Wir brauchen nicht viel
Worte weiter über dieſen Gegenſtand zu verlieren.
Herr Abg. Dr. Tſchan, der geweſene Geſchäfts-
genoſſe des jüdiſchen Güterparzellieres Bermeiſer,
kann unter keinen Umſtänden den Ehrenplatz in der
Bundesleitung einnehmen. Wir erwarten von der
Einſicht ſowohl Herrn Kießlichs als Herrn Dr.
Tſchans, daß ſie ſich durch niemanden bewegen
laſſen werden, die ihnen wahrſcheinlich angebotenen
Bundesleitungsſtellen zu übernehmen. An ihrerſtatt
würden wir mit gutem Gewiſſen die Herren Dr.
Männl aus Leitmeritz und Dr. Titta aus
Trebnitz vorſchlagen. Beide ſind tüchtige, erprobte,
deutſche Männer und, was hier ſtark in Betracht
kommt — weder im Schönerianiſchen noch im
Wolſ’ſchen Sinne hervorgetreten.

Zum Schluſſe dieſer Betrachtungen möchten
wir noch den Wunſch ausſprechen, daß Herr Ab-
geordneter Dr. Karl Schücker nach wie vor die
Oberleitung des Bundes beibehalte. Wenn auch
Herr Abg. Dr. K. Schücker einer konſervativeren
Partei angehört, als die Mehrzahl der Bundes-
mitglieder, ſo hat er ſich doch immer als warmer
und opferfreudiger Freund der herrlichen Bundes-
ſache erwieſen. Und Herr Abgeordneter Dr. Karl
Schücker iſt ein tadellos ehrenhafter deutſcher Mann,
in deſſen reinen Händen das Banner und Wappen
des „Bundes der Deutſchen in Böhmen“ am beſten
gewahrt iſt. Hermann Böhm.




Politiſche Amſchau.
Inland.
Ein Stimmungsbild aus Oſt-Galizien.

„Es iſt eine Tatſache, ſchreibt ein hervor-
ragender rutheniſcher Abgeordneter, daß die
Arbeitslöhne in Galizien ſehr niedrig und
einer Erhöhung bedürftig ſind. Zu dieſem Uebel
geſellt ſich aber auch noch die Ausbeutung und der
Schwindel bei der Auszahlung der Löhne, die
gewöhnlich durch die Dorfſchenke erfolgt, wobei
die Arbeiter auf dieſe Art um einen beträchtlichen
Teil des ihnen gebührenden Lohnes kommen.
Schließlich muß man auch der Behandlung des
Arbeiters, ja ſogar des beſitzenden Bauern vonſeite
mancher Gutsherren oder Gutspächter, insbeſondere
aber einzelner Qekonomie-Verwalter, welche noch
immer von den Traditionen der Aera der Frohn-
arbeiten durchdrungen ſind, Erwähnung tun.

Dieſe unwürdige Behandlung des rutheniſchen
Bauern, welche auch ein bedeutender Teil der
galiziſchen Beamtenſchaft, insbeſondere bei den
politiſchen Behörden, nicht los werden kann, trägt
ſehr viel zur Erregung des in ſeinem Selbſtbewußt-
[Spaltenumbruch] ſein bedeutend fortgeſchrittenen rutheniſchen Volkes
bei. Dieſe Umſtände gaben den Anlaß dazu, daß
die Feldarbeiter die Erhöhung der Löhne verlangten
und in den Ausſtand traten. Es iſt nicht minder
eine Tatſache, daß nicht nur rutheniſche, ſondern
auch polniſche Bauern hiebei ſolidariſch vor-
gingen, daß dieſelben faſt ausnahmslos in ruhiger
und würdiger Weiſe ihre Wünſche vorbrachten, und
daß es nur dort, wo die ruhig beratenden Bauern
gewaltſam auseinander getrieben oder von Gen-
darmen mit Kolbenſtößen zur Aufnahme der Arbeit
angetrieben wurden, oder wo der Gutsherr oder
Pächter ihnen in unwürdiger Weiſe entgegentrat.
hie und da zu Ausſchreitungen gekommen iſt. Daß
aber geſengt und geplündert wurde, daß Leben und
Eigentum der Gutsherren bedroht worden wäre, kann
durch Tatſachen nicht erhärtet werden.

Ebenſo entbehrt die Behauptung einer Be-
gründung, daß rutheniſche Bauern mit Senſen und
geſchliffenen Meſſern wie toll auf die Gutshöfe
ſtürmten. Es wurde z. B. die maſſenhafte An-
ſammlung der Bauern — ungefähr tauſend
Menſchen — in Zeleny Kut im Bezirke Huſiatyn in
den polniſchen Blättern als ein Ueberfall des Guts-
hofes hinauspoſaunt; die Wahrheit iſt aber, daß
dort nur ein Gendarm zugegen war und weder
dieſem, noch dem Gutsherrn ein Haar gekrümmt
wurde. Ebenſo iſt es unrichtig, daß Branntwein-
boutiquen kurz und klein geſchlagen wurden, um den
Schnaps aus den Fäſſern in vollen Zügen zu ſchlürfen.
Tatſache iſt es dagegen, daß in vielen Dörfern der
Boykott gegen Dorfſchenken beſchloſſen wurde, daß
die Trunkſucht in Oſtgalizien dank dem Eifer der
rutheniſchen Geiſtlichkeit bedeutend abgenommen hat,
und daß profeſſionelle Trunkenbolde zu den ſeltenen
Ausnahmen gehören. Ein rutheniſcher Pfarrer
wurde übrigens vom Bezirkshauptmanne in Tarnopol
für die Ermahnung zur Enthaltſamkeit
vom Schnaps zu einer Strafe von 100 Kronen
verurteilt!
In manchen Ortſchaften, wo die
Gutsherren unbedingt auf der Aufrechthaltung der
bisherigen Hungerlöhne beſtanden und Gendarmerie
oder Militär requierierten, um entweder die Arbeiter
zur Aufnahme der Arbeit zu zwingen oder durch
Herbeiziehung fremder Arbeiter den einheimiſchen
den Verdienſt zu entziehen, iſt es allerdings zu
Ausſchreitungen gekommen, bei denen vonſeite der
Intervenierenden Mangel an Takt bekundet wurde.
Der Agitation. Unwiſſenheit und Trunkenheit alles
dies zuzuſchreiben, geht nicht an.

Die Zuſtände in Galizien ſind un-
haltbar geworden, und es wäre an der Zeit, daß
die maßgebenden Kreiſe dieſelben mit eigenen Augen
anſehen und prüften, nicht aber durch das Prisma
gefärbter, tendenziöſer Berichte beurteilten; es iſt
auch höchſte Zeit, daß in dieſem Lande wirklich
europäiſch regiert werde, und dies liegt nicht
im Intereſſe des rutheniſchen Volkes, ſondern zu-
nächſt im Intereſſe Oeſterreichs.“

Liberale Fluß- und Diätenregulierung.

Ein Beitrag zum liberalen Verwaltungs-
ratsproblem. Eine ſehr kennzeichnende Tatſache hat
ſich bei den Verhandlungen über die Fluß-
[Spaltenumbruch] regulierung ergeben. Darnach wird eine eigene
Regulierungskommiſſion zuſammentreten, deren vor-
ausſichtlich einziges deutſches Mitglied der be-
rühmte Dr. Schreiner ſein dürfte. Es iſt nämlich
gar nicht daran zu zweifeln, daß ſich derſelbe infolge
ſeiner großen Beſcheidenheit trotz des Mangels
fachmänniſcher Kenntniſſe von der deutſchen Sektion
des Landeskulturrates in dieſe Regulierungs-
kommiſſion wählen läßt. Aus den Erläuterungs-
berichten des Vortrages iſt nun zu entnehmen
geweſen, daß von der ganzen zum größeren Teile
deutſchen Radbuſa nur der Teil reguliert werden ſoll,
welcher jene gemiſchtſprachige Strecke durchfließt, in
welcher 4 oder 5 Kohlenwerke gelegen ſind, denen
dieſe Flußregulierung ganz beſonders auf den Leib
geſchrieben zu ſein ſcheint. Dieſe Kohlenwerke gehören
aber zufällig jener Geſellſchaft, deren Mitglied,
beſoldeter Verwaltungsrat der biedere Dr. Schreiner
iſt, von der Mies, dem Hauptfluß des Schreiner’ſchen
Wahlbezirkes ſoll aber nur ein kleines Stückchen bei
Pilſen (im Tſchechiſchen) reguliert werden, im
Uebrigen wird die Mies nicht angerührt. Das iſt
alſo die bisherige Tätigkeit dieſes wackeren Ab-
geordneten für ſeine Wähler einerſeits, für ſeine
Kohlen andrerſeits, denn er war bisher der einzige
Deutſche, welcher vor der Verfaſſung der Geſetz-
vorlage den maßgebenden Vorberatungen beigezogen
war. Inwieweit durch ſeine Bemühungen für dieſe
Kohlenwerke den landwirtſchaftlichen Intereſſen
gedient wird, welche der Präſident des deutſchen
Landeskulturrates doch vor allem vertreten ſoll,
überlaſſen wir getroſt der Beurteilung jener, welche
einſt in Bewunderung für den liberalen Tanz ums
goldene Kalb verſunken ſind.

Derſelbe Dr. Schreiner glaubte ſich bei der
Beratung über die Flußregulierungen beſonders
wichtig machen zu müſſen und brachte zum Hohn
und Gelächter der geſammten Fachkreiſe einen An-
trag ein, mit der Forderung, daß die Plätze für
die künftige Talſperre des Böhmerwaldes derart
gewählt werden ſollen, daß hiezu möglichſt wenig
(!) Grundfläche in Beſchlag gelegt werde. Wer die
Grundſätze für den Bau von Talſperren kennt,
kann da getroſt behaupten, daß ein größerer Unſinn
und eine größere Unkenntnis noch ſelten mit ſo
ſelbſtbewußter Anmaßung angebracht worden iſt.
Da es Zweck der Talſperre iſt, recht viel Nieder-
ſchlagwaſſer zurückzuhalten, ſo daß einerſeits die
Hochwäſſer gemildert, anderſeits aber durch recht-
zeitiges Ablaſſen dieſer unſchädlich gemachten Menge
die Niederwäſſer gehoben werden, ſo kann doch
nur jene Stelle für die Talſperre die richtige ſein,
wo mit einer möglichſt kurzen und niedrigen
Mauer eine möglichſt große Fläche unter Stau ge-
ſetzt wird. Der berichtigte Vielſprecher und All-
wiſſer hat ſomit einen glänzenden Nachweis in
Form eines gedruckten Geſetzantrages für ſeine
Unfähigkeit zur Mitberatung in dieſen wichtigen
Flußregulierungsfragen gebracht. Es iſt dies ein
Hauptſtück der liberalen Partei.






[Spaltenumbruch]

Dreizehntes Kapitel.

Gegen vier Uhr nachmittags war Stefan Foga-
raſſy mit dem Berliner Expreßzuge in der Univerſitäts-
ſtadt angekommen, und ſchon zwei Stunden ſpäter
hatte er die volle Gewißheit erlangt, daß die guten
Ratſchläge ſeines neuen Freundes Paolo Avolo ihn
wirklich auf die rechte Fährte geleitet.

Er wußte, daß die, welche er ſuchte, ſich als
Fräulein Maud Hohenſtein im Hauſe der Frau Geheim-
rat Mangold befand, und daß er nur noch ein paar
Tauſend Schritte zurückzulegen brauchte, um ſie endlich
wiederzuſehen. Aber er wußte auch, daß ſie ihm jetzt
nicht wieder entſchlüpfen konnte und daß er ſich des-
halb Zeit laſſen durfte, ſeine Handlungen wohl zu
überlegen. Signor Avolo, der noch am erſten Tage
ihrer Bekanntſchaft ſein Vertrauter geworden war, hatte
ihn eindringlich davor gewarnt, der ſchönen Madame
Carpeaux etwa ganz unerwartet gegenüber zu
treten.

„Sie iſt keine von denen, die durch das Bewußt-
ſein einer Schuld demütiger und gefügiger werden“,
hatte er geſagt, „und wenn ſie Deiner ganz unvor-
bereitet anſichtig würde, mein guter Fogaraſſy, ſo iſt
tauſend gegen eins zu wetten, daß ſie Dir gerade
um des von ihr begangenen Unrechts willen einen
nicht ſehr freundlichen Empfang bereiten würde. Mit
all zu großem Ungeſtüm kannſt Du Dir da leicht Alles
verderben, und am Ende findeſt Du ſie nur wieder,
um ſie erſt recht für immer zu verlieren.“

Bis zu welcher Siedehitze auch die Spannung
dieſer letzten Tage des Forſchens und Suchens die Leiden-
[Spaltenumbruch] ſchaft des jungen Malers geſteigert haben mochte, ſo
viel Verſtandesklarheit hatte er ſich doch noch bewahrt,
um der Warnung des menſchenkundigen Akrobaten
eingedenk zu bleiben, und um ihre Berechtigung einzu-
ſehen. Und wie ſchwer es ihm auch fiel, ſeine brennende
Ungeduld zu zügeln, faßte er doch den Entſchluß, nicht
ohne Weiteres vor die wiedergefundene Geliebte hinzu-
treten, ſondern ihr zunächſt zu ſchreiben, damit ſie noch
vor dem Wiederſehen über ſeine Geſinnung wie über
ſeine auf ihr gemeinſames Glück gerichteten Zukunfts-
abſichten völlig im Klaren ſei.

Eines freilich konnte er ſich nicht verſagen. Wenn
er ſie ſelbſt heute noch nicht ſehen durfte, ſo wollte
er wenigſtens die Stätte ſehen, wo ſie weilte, das
Haus, hinter deſſen Mauern ſie ſich vor ihm hatte
verbergen wollen, um vielleicht vor Sehnſucht nach ihm
zu vergehen.

Mit hochgeſchlagenem Mantelkragen und tief in
die Stirn hinabgezogenem Hute machte er ſich auf
den Weg nach der Mangoldſchen Villa, deren Lage
er ſich genau hatte bezeichnen laſſen. Wohl zehnmal
ging er an der gegenüberliegenden Seite der Straße
auf und nieder, um ſich das Aeußere des Gebäudes bis
in die kleinſten Einzelheiten einzuprägen, und mit den
glühendſten Farben malte er ſich dabei die Seligkeiten
der Stunde aus, die er morgen unter dem Dache dieſes
Hauſes verleben würde.

Seine Hoffnung, daß der Zufall gnädig genug
ſein möchte, ihn ſchon heute das ſüße Antlitz der Ge-
liebten oder ihre holde Geſtalt erſpähen zu laſſen,
erfüllte ſich allerdings nicht. Und obwohl es ihm nicht
[Spaltenumbruch] leicht wurde, ſich von dem Anblick ihrer jetzigen Wohn-
ſtätte loszureißen, mußte er doch endlich nach dem Hotel
zurückkehren, wenn es nicht zu ſpät werden ſollte, ihr
den Brief, den er zu ſchreiben beabſichtigte, noch heute
zu überſenden.

Ach, es war eine ſchwere Aufgabe, die er ſich da
geſtellt hatte. Wie ſollte er in knappe Sätze und auf
wenige Seiten zuſammendrängen, was an leiden-
ſchaftlichen Empfindungen und ſehnſüchtigen Wünſchen
ſeine Seele erfüllte! Und wie ſollte er ihr zu erkennen
geben, daß er in den Beſitz ihres Geheimniſſes gelangt
ſei, ohne ihr wehe zu thun und ohne ſie zu beſchämen!
Denn ſie ſollte ja nicht glauben, daß er gekommen
ſei, um den großmütig Verzeihenden zu ſpielen!
Sie ſollte ihn vielmehr ſchon in dem Briefe, der ihr
ſein Erſcheinen ankündigte, als das ſehen, was er
wirklich war: als den demütig Flehenden und Werbenden,
der dankbar den Saum ihres Gewandes küſſen würde,
wenn ſie ihm die Erlaubnis gewährte, ihre verhaßten
Feſſeln zu brechen.




(Fortſetzung folgt.


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[2/0002] Marburger Zeitung Nr. 96, 12. Auguſt 1902. wird wieder für die Bundesleitung kandidiert werden, der ebenfalls — wenn auch aus anderen Gründen — nicht hineinpaßt. Das iſt der der- zeitige Abgeordnete Dr. Tſchan. Abg. Dr. Tſchan gilt in ſeiner engeren Heimat als „Güter- ſchlächter“ und, was noch trauriger iſt. Herr Abg. Dr. Tſchan iſt dieſen, für einen deutſch- nationalen Abgeordneten furchtbaren Anſchuldigungen nicht beweiskräftig entgegengetreten. Wir brauchen nicht viel Worte weiter über dieſen Gegenſtand zu verlieren. Herr Abg. Dr. Tſchan, der geweſene Geſchäfts- genoſſe des jüdiſchen Güterparzellieres Bermeiſer, kann unter keinen Umſtänden den Ehrenplatz in der Bundesleitung einnehmen. Wir erwarten von der Einſicht ſowohl Herrn Kießlichs als Herrn Dr. Tſchans, daß ſie ſich durch niemanden bewegen laſſen werden, die ihnen wahrſcheinlich angebotenen Bundesleitungsſtellen zu übernehmen. An ihrerſtatt würden wir mit gutem Gewiſſen die Herren Dr. Männl aus Leitmeritz und Dr. Titta aus Trebnitz vorſchlagen. Beide ſind tüchtige, erprobte, deutſche Männer und, was hier ſtark in Betracht kommt — weder im Schönerianiſchen noch im Wolſ’ſchen Sinne hervorgetreten. Zum Schluſſe dieſer Betrachtungen möchten wir noch den Wunſch ausſprechen, daß Herr Ab- geordneter Dr. Karl Schücker nach wie vor die Oberleitung des Bundes beibehalte. Wenn auch Herr Abg. Dr. K. Schücker einer konſervativeren Partei angehört, als die Mehrzahl der Bundes- mitglieder, ſo hat er ſich doch immer als warmer und opferfreudiger Freund der herrlichen Bundes- ſache erwieſen. Und Herr Abgeordneter Dr. Karl Schücker iſt ein tadellos ehrenhafter deutſcher Mann, in deſſen reinen Händen das Banner und Wappen des „Bundes der Deutſchen in Böhmen“ am beſten gewahrt iſt. Hermann Böhm. Politiſche Amſchau. Inland. Ein Stimmungsbild aus Oſt-Galizien. „Es iſt eine Tatſache, ſchreibt ein hervor- ragender rutheniſcher Abgeordneter, daß die Arbeitslöhne in Galizien ſehr niedrig und einer Erhöhung bedürftig ſind. Zu dieſem Uebel geſellt ſich aber auch noch die Ausbeutung und der Schwindel bei der Auszahlung der Löhne, die gewöhnlich durch die Dorfſchenke erfolgt, wobei die Arbeiter auf dieſe Art um einen beträchtlichen Teil des ihnen gebührenden Lohnes kommen. Schließlich muß man auch der Behandlung des Arbeiters, ja ſogar des beſitzenden Bauern vonſeite mancher Gutsherren oder Gutspächter, insbeſondere aber einzelner Qekonomie-Verwalter, welche noch immer von den Traditionen der Aera der Frohn- arbeiten durchdrungen ſind, Erwähnung tun. Dieſe unwürdige Behandlung des rutheniſchen Bauern, welche auch ein bedeutender Teil der galiziſchen Beamtenſchaft, insbeſondere bei den politiſchen Behörden, nicht los werden kann, trägt ſehr viel zur Erregung des in ſeinem Selbſtbewußt- ſein bedeutend fortgeſchrittenen rutheniſchen Volkes bei. Dieſe Umſtände gaben den Anlaß dazu, daß die Feldarbeiter die Erhöhung der Löhne verlangten und in den Ausſtand traten. Es iſt nicht minder eine Tatſache, daß nicht nur rutheniſche, ſondern auch polniſche Bauern hiebei ſolidariſch vor- gingen, daß dieſelben faſt ausnahmslos in ruhiger und würdiger Weiſe ihre Wünſche vorbrachten, und daß es nur dort, wo die ruhig beratenden Bauern gewaltſam auseinander getrieben oder von Gen- darmen mit Kolbenſtößen zur Aufnahme der Arbeit angetrieben wurden, oder wo der Gutsherr oder Pächter ihnen in unwürdiger Weiſe entgegentrat. hie und da zu Ausſchreitungen gekommen iſt. Daß aber geſengt und geplündert wurde, daß Leben und Eigentum der Gutsherren bedroht worden wäre, kann durch Tatſachen nicht erhärtet werden. Ebenſo entbehrt die Behauptung einer Be- gründung, daß rutheniſche Bauern mit Senſen und geſchliffenen Meſſern wie toll auf die Gutshöfe ſtürmten. Es wurde z. B. die maſſenhafte An- ſammlung der Bauern — ungefähr tauſend Menſchen — in Zeleny Kut im Bezirke Huſiatyn in den polniſchen Blättern als ein Ueberfall des Guts- hofes hinauspoſaunt; die Wahrheit iſt aber, daß dort nur ein Gendarm zugegen war und weder dieſem, noch dem Gutsherrn ein Haar gekrümmt wurde. Ebenſo iſt es unrichtig, daß Branntwein- boutiquen kurz und klein geſchlagen wurden, um den Schnaps aus den Fäſſern in vollen Zügen zu ſchlürfen. Tatſache iſt es dagegen, daß in vielen Dörfern der Boykott gegen Dorfſchenken beſchloſſen wurde, daß die Trunkſucht in Oſtgalizien dank dem Eifer der rutheniſchen Geiſtlichkeit bedeutend abgenommen hat, und daß profeſſionelle Trunkenbolde zu den ſeltenen Ausnahmen gehören. Ein rutheniſcher Pfarrer wurde übrigens vom Bezirkshauptmanne in Tarnopol für die Ermahnung zur Enthaltſamkeit vom Schnaps zu einer Strafe von 100 Kronen verurteilt! In manchen Ortſchaften, wo die Gutsherren unbedingt auf der Aufrechthaltung der bisherigen Hungerlöhne beſtanden und Gendarmerie oder Militär requierierten, um entweder die Arbeiter zur Aufnahme der Arbeit zu zwingen oder durch Herbeiziehung fremder Arbeiter den einheimiſchen den Verdienſt zu entziehen, iſt es allerdings zu Ausſchreitungen gekommen, bei denen vonſeite der Intervenierenden Mangel an Takt bekundet wurde. Der Agitation. Unwiſſenheit und Trunkenheit alles dies zuzuſchreiben, geht nicht an. Die Zuſtände in Galizien ſind un- haltbar geworden, und es wäre an der Zeit, daß die maßgebenden Kreiſe dieſelben mit eigenen Augen anſehen und prüften, nicht aber durch das Prisma gefärbter, tendenziöſer Berichte beurteilten; es iſt auch höchſte Zeit, daß in dieſem Lande wirklich europäiſch regiert werde, und dies liegt nicht im Intereſſe des rutheniſchen Volkes, ſondern zu- nächſt im Intereſſe Oeſterreichs.“ Liberale Fluß- und Diätenregulierung. Ein Beitrag zum liberalen Verwaltungs- ratsproblem. Eine ſehr kennzeichnende Tatſache hat ſich bei den Verhandlungen über die Fluß- regulierung ergeben. Darnach wird eine eigene Regulierungskommiſſion zuſammentreten, deren vor- ausſichtlich einziges deutſches Mitglied der be- rühmte Dr. Schreiner ſein dürfte. Es iſt nämlich gar nicht daran zu zweifeln, daß ſich derſelbe infolge ſeiner großen Beſcheidenheit trotz des Mangels fachmänniſcher Kenntniſſe von der deutſchen Sektion des Landeskulturrates in dieſe Regulierungs- kommiſſion wählen läßt. Aus den Erläuterungs- berichten des Vortrages iſt nun zu entnehmen geweſen, daß von der ganzen zum größeren Teile deutſchen Radbuſa nur der Teil reguliert werden ſoll, welcher jene gemiſchtſprachige Strecke durchfließt, in welcher 4 oder 5 Kohlenwerke gelegen ſind, denen dieſe Flußregulierung ganz beſonders auf den Leib geſchrieben zu ſein ſcheint. Dieſe Kohlenwerke gehören aber zufällig jener Geſellſchaft, deren Mitglied, beſoldeter Verwaltungsrat der biedere Dr. Schreiner iſt, von der Mies, dem Hauptfluß des Schreiner’ſchen Wahlbezirkes ſoll aber nur ein kleines Stückchen bei Pilſen (im Tſchechiſchen) reguliert werden, im Uebrigen wird die Mies nicht angerührt. Das iſt alſo die bisherige Tätigkeit dieſes wackeren Ab- geordneten für ſeine Wähler einerſeits, für ſeine Kohlen andrerſeits, denn er war bisher der einzige Deutſche, welcher vor der Verfaſſung der Geſetz- vorlage den maßgebenden Vorberatungen beigezogen war. Inwieweit durch ſeine Bemühungen für dieſe Kohlenwerke den landwirtſchaftlichen Intereſſen gedient wird, welche der Präſident des deutſchen Landeskulturrates doch vor allem vertreten ſoll, überlaſſen wir getroſt der Beurteilung jener, welche einſt in Bewunderung für den liberalen Tanz ums goldene Kalb verſunken ſind. Derſelbe Dr. Schreiner glaubte ſich bei der Beratung über die Flußregulierungen beſonders wichtig machen zu müſſen und brachte zum Hohn und Gelächter der geſammten Fachkreiſe einen An- trag ein, mit der Forderung, daß die Plätze für die künftige Talſperre des Böhmerwaldes derart gewählt werden ſollen, daß hiezu möglichſt wenig (!) Grundfläche in Beſchlag gelegt werde. Wer die Grundſätze für den Bau von Talſperren kennt, kann da getroſt behaupten, daß ein größerer Unſinn und eine größere Unkenntnis noch ſelten mit ſo ſelbſtbewußter Anmaßung angebracht worden iſt. Da es Zweck der Talſperre iſt, recht viel Nieder- ſchlagwaſſer zurückzuhalten, ſo daß einerſeits die Hochwäſſer gemildert, anderſeits aber durch recht- zeitiges Ablaſſen dieſer unſchädlich gemachten Menge die Niederwäſſer gehoben werden, ſo kann doch nur jene Stelle für die Talſperre die richtige ſein, wo mit einer möglichſt kurzen und niedrigen Mauer eine möglichſt große Fläche unter Stau ge- ſetzt wird. Der berichtigte Vielſprecher und All- wiſſer hat ſomit einen glänzenden Nachweis in Form eines gedruckten Geſetzantrages für ſeine Unfähigkeit zur Mitberatung in dieſen wichtigen Flußregulierungsfragen gebracht. Es iſt dies ein Hauptſtück der liberalen Partei. Dreizehntes Kapitel. Gegen vier Uhr nachmittags war Stefan Foga- raſſy mit dem Berliner Expreßzuge in der Univerſitäts- ſtadt angekommen, und ſchon zwei Stunden ſpäter hatte er die volle Gewißheit erlangt, daß die guten Ratſchläge ſeines neuen Freundes Paolo Avolo ihn wirklich auf die rechte Fährte geleitet. Er wußte, daß die, welche er ſuchte, ſich als Fräulein Maud Hohenſtein im Hauſe der Frau Geheim- rat Mangold befand, und daß er nur noch ein paar Tauſend Schritte zurückzulegen brauchte, um ſie endlich wiederzuſehen. Aber er wußte auch, daß ſie ihm jetzt nicht wieder entſchlüpfen konnte und daß er ſich des- halb Zeit laſſen durfte, ſeine Handlungen wohl zu überlegen. Signor Avolo, der noch am erſten Tage ihrer Bekanntſchaft ſein Vertrauter geworden war, hatte ihn eindringlich davor gewarnt, der ſchönen Madame Carpeaux etwa ganz unerwartet gegenüber zu treten. „Sie iſt keine von denen, die durch das Bewußt- ſein einer Schuld demütiger und gefügiger werden“, hatte er geſagt, „und wenn ſie Deiner ganz unvor- bereitet anſichtig würde, mein guter Fogaraſſy, ſo iſt tauſend gegen eins zu wetten, daß ſie Dir gerade um des von ihr begangenen Unrechts willen einen nicht ſehr freundlichen Empfang bereiten würde. Mit all zu großem Ungeſtüm kannſt Du Dir da leicht Alles verderben, und am Ende findeſt Du ſie nur wieder, um ſie erſt recht für immer zu verlieren.“ Bis zu welcher Siedehitze auch die Spannung dieſer letzten Tage des Forſchens und Suchens die Leiden- ſchaft des jungen Malers geſteigert haben mochte, ſo viel Verſtandesklarheit hatte er ſich doch noch bewahrt, um der Warnung des menſchenkundigen Akrobaten eingedenk zu bleiben, und um ihre Berechtigung einzu- ſehen. Und wie ſchwer es ihm auch fiel, ſeine brennende Ungeduld zu zügeln, faßte er doch den Entſchluß, nicht ohne Weiteres vor die wiedergefundene Geliebte hinzu- treten, ſondern ihr zunächſt zu ſchreiben, damit ſie noch vor dem Wiederſehen über ſeine Geſinnung wie über ſeine auf ihr gemeinſames Glück gerichteten Zukunfts- abſichten völlig im Klaren ſei. Eines freilich konnte er ſich nicht verſagen. Wenn er ſie ſelbſt heute noch nicht ſehen durfte, ſo wollte er wenigſtens die Stätte ſehen, wo ſie weilte, das Haus, hinter deſſen Mauern ſie ſich vor ihm hatte verbergen wollen, um vielleicht vor Sehnſucht nach ihm zu vergehen. Mit hochgeſchlagenem Mantelkragen und tief in die Stirn hinabgezogenem Hute machte er ſich auf den Weg nach der Mangoldſchen Villa, deren Lage er ſich genau hatte bezeichnen laſſen. Wohl zehnmal ging er an der gegenüberliegenden Seite der Straße auf und nieder, um ſich das Aeußere des Gebäudes bis in die kleinſten Einzelheiten einzuprägen, und mit den glühendſten Farben malte er ſich dabei die Seligkeiten der Stunde aus, die er morgen unter dem Dache dieſes Hauſes verleben würde. Seine Hoffnung, daß der Zufall gnädig genug ſein möchte, ihn ſchon heute das ſüße Antlitz der Ge- liebten oder ihre holde Geſtalt erſpähen zu laſſen, erfüllte ſich allerdings nicht. Und obwohl es ihm nicht leicht wurde, ſich von dem Anblick ihrer jetzigen Wohn- ſtätte loszureißen, mußte er doch endlich nach dem Hotel zurückkehren, wenn es nicht zu ſpät werden ſollte, ihr den Brief, den er zu ſchreiben beabſichtigte, noch heute zu überſenden. Ach, es war eine ſchwere Aufgabe, die er ſich da geſtellt hatte. Wie ſollte er in knappe Sätze und auf wenige Seiten zuſammendrängen, was an leiden- ſchaftlichen Empfindungen und ſehnſüchtigen Wünſchen ſeine Seele erfüllte! Und wie ſollte er ihr zu erkennen geben, daß er in den Beſitz ihres Geheimniſſes gelangt ſei, ohne ihr wehe zu thun und ohne ſie zu beſchämen! Denn ſie ſollte ja nicht glauben, daß er gekommen ſei, um den großmütig Verzeihenden zu ſpielen! Sie ſollte ihn vielmehr ſchon in dem Briefe, der ihr ſein Erſcheinen ankündigte, als das ſehen, was er wirklich war: als den demütig Flehenden und Werbenden, der dankbar den Saum ihres Gewandes küſſen würde, wenn ſie ihm die Erlaubnis gewährte, ihre verhaßten Feſſeln zu brechen. (Fortſetzung folgt.

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 96, Marburg, 12.08.1902, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger96_1902/2>, abgerufen am 21.11.2024.