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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] überwiegend passive, scheinbar stagnirende, materielle
Bewegungen zu unterscheiden.

Sofern wir nun oben gezeigt haben, daß Substanz
und Bewegung nur zwei verschiedene Ausdrücke für ein
und dasselbe sind, die sich nur dadurch unterscheiden,
daß der Ausdruck Substanz mehr das Beharrliche in
der Bewegung, der Ausdruck Bewegung hingegen mehr
die Bewegung im Beharrenden betont, befinden wir
uns jetzt auf dem Standpunkte, mit Klarheit zu erken-
nen, daß der in den Naturwissenschaften noch immer
nicht erledigte Streit, ob man gewisse Erscheinungen
des Seyns, z. B. die Wärme, das Licht, die Seele
u. s. w. als Substanzen oder als bloße Bewegungen, Un-
dulationen betrachten müsse, nichts als ein leerer Wort-
streit ist, dem man nur insofern eine gewisse Berechti-
gung zuschreiben kann, als im Gebiet der einzelnen
Substanzen und Bewegungen die Verschiedenheit der
Ausdrücke allerdings bedeutungsvoller erscheint als in
Bezug auf die Universalsubstanz oder Universalbewegung,
indem sich eben hier für die vorwiegend active Substanz
mehr der Ausdruck Bewegung, dagegen für die vorwie-
gend passive Substanz mehr der Ausdruck Substanz als
bezeichnend erweist, ohne daß man darum behaupten
könnte, für irgend eine Erscheinung lasse sich lediglich
und allein der eine oder der andere der beiden Aus-
drücke gebrauchen, da auch die activste Erscheinung noch
einen gewissen Grad von Passivität, und selbst die
passivste noch irgend ein Quantum von Activität besitzt.

Außerdem geht aus unserer Darstellung hervor,
daß der Begriff "Substanz" keineswegs, wie von man-
chen angenommen wird, identisch ist mit dem Begriff
"Materie" oder "Stoff," sondern ein höherer, weiterer
Begriff ist, welcher außer der materiellen Substanz auch
noch die immaterielle, geistige Substanz in sich begreift.
Zwar werden wohl auch die Ausdrücke "Materie" und
"Stoff" nicht selten in geistigem Sinn gebraucht, z. B.
wenn man von einer Rechtsmaterie, vom Stoff einer
Dichtung u. dgl. spricht; in demjenigen Sinne aber,
wie die Begriffe "Stoff" und "Materie" einmal in der
Wissenschaft, namentlich von den Naturwissenschaften
festgestellt und bestimmt sind, lassen sie sich auf die gei-
stigen, ja selbst auf manche sinnliche Manifestationen
des Seyns nicht anwenden, und man kann daher wohl
von einer Wärme= oder Lichtsubstanz, aber streng
genommen nicht von einem Wärme= oder Licht stoff
reden. Wenn das Licht eine Substanz genannt wird,
so wird damit weiter nichts gesagt, als daß das Licht
ist, existirt, was selbst der entschiedenste Anhänger
der Undulationstheorie nicht bestreiten wird; nennt man
aber das Licht eine Materie, so wird damit ausge-
sprochen, daß es eine überwiegend passive, träge
[Spaltenumbruch] Substanz sey, und dieß dürften selbst die entschiedensten
Anhänger der Emanationstheorie nicht behaupten wollen.
Bezeichnet man das Licht als eine Bewegung, so
heißt das nichts anderes als: es ist eine Manifestation
des Seyns, auf welche der Ausdruck Bewegung, weil
er mehr die active Seite des Seyns hervor hebt, besser
paßt als der Ausdruck Substanz, und insofern stellt sich
diese Bezeichnung allerdings als die vorzuziehende dar;
nur darf man dabei nicht an eine schlechthin substanz-
lose Bewegung denken und muß die wesentliche Jden-
tität von Substanz und Bewegung im Sinn behalten.

Will man sich des Ausdrucks "Bewegung" in dem
eben gedachten Sinne vorzugsweise für die vorherrschend
activen, immateriellen Substanzen, dagegen des Aus-
drucks "Stoff" für die vorherrschend passiven, mate-
riellen Substanzen bedienen, so kommen dadurch die
Bewegungen und Stoffe zu einander in dasselbe gegen-
sätzliche Verhältniß zu stehen, wie die immateriellen
und materiellen Substanzen, d. h. sie verhalten sich zu
einander wie Minus und Plus; die Bewegungen sind
also gleichsam Minus=Stoffe und Plus=Bewegungen,
dagegen die Stoffe Plus=Stoffe und Minus=Bewe-
gungen. Es gilt mithin für die Substanzen überhaupt
das Gesetz: je mehr eine Substanz Materie ist, um so
weniger ist sie Bewegung, und je mehr sie Bewegung
ist, um so weniger ist sie Materie. Da aber hiebei
Bewegung nicht mehr als reine vox media, sondern
als vorherrschend active Bewegung, d. h. als das
Bewegende oder die Ursache der Bewegung genommen,
die Ursache der Bewegung aber gemeinhin als Kraft
bezeichnet wird, so können wir das eben ausgesprochene
Gesetz auch so ausdrücken: je mehr eine Substanz die
Eigenschaften der Materie besitzt, um so weniger besitzt
sie die Eigenschaften der Kraft, und je mehr sie die
Eigenschaften der Kraft besitzt, um so weniger besitzt
sie die Eigenschaften der Materie. Es stehen also auch
Kraft und Stoff zu einander im umgekehrten Ver-
hältnisse; und es ist daher eine gänzliche Verkennung
dieses Verhältnisses, wenn die Materialisten behaupten,
die Kraft sey nur eine Eigenschaft der Materie.
Die Eigenschaft steht zu dem Dinge, welchem sie an-
gehört, stets und nothwendig in gleichem Verhältnisse.
Jst z. B. Kühnheit die Eigenschaft des Helden, so muß
der größere Held auch die größere Kühnheit besitzen.
Wäre also die Kraft wirklich eine Eigenschaft der Ma-
terie, so müßte ein Stoff, je mehr er die wesentlichen
Eigenschaften der Materie, z. B. Undurchdringlichkeit,
Trägheit, Schwere, Räumlichkeit besitzt, um so
kraftvoller, d. h. um so mehr im Stande seyn, aus
eigenem und innerem Antriebe sich selbst und Anderes
in Bewegung zu setzen. Es ist aber gerade umgekehrt.
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] überwiegend passive, scheinbar stagnirende, materielle
Bewegungen zu unterscheiden.

Sofern wir nun oben gezeigt haben, daß Substanz
und Bewegung nur zwei verschiedene Ausdrücke für ein
und dasselbe sind, die sich nur dadurch unterscheiden,
daß der Ausdruck Substanz mehr das Beharrliche in
der Bewegung, der Ausdruck Bewegung hingegen mehr
die Bewegung im Beharrenden betont, befinden wir
uns jetzt auf dem Standpunkte, mit Klarheit zu erken-
nen, daß der in den Naturwissenschaften noch immer
nicht erledigte Streit, ob man gewisse Erscheinungen
des Seyns, z. B. die Wärme, das Licht, die Seele
u. s. w. als Substanzen oder als bloße Bewegungen, Un-
dulationen betrachten müsse, nichts als ein leerer Wort-
streit ist, dem man nur insofern eine gewisse Berechti-
gung zuschreiben kann, als im Gebiet der einzelnen
Substanzen und Bewegungen die Verschiedenheit der
Ausdrücke allerdings bedeutungsvoller erscheint als in
Bezug auf die Universalsubstanz oder Universalbewegung,
indem sich eben hier für die vorwiegend active Substanz
mehr der Ausdruck Bewegung, dagegen für die vorwie-
gend passive Substanz mehr der Ausdruck Substanz als
bezeichnend erweist, ohne daß man darum behaupten
könnte, für irgend eine Erscheinung lasse sich lediglich
und allein der eine oder der andere der beiden Aus-
drücke gebrauchen, da auch die activste Erscheinung noch
einen gewissen Grad von Passivität, und selbst die
passivste noch irgend ein Quantum von Activität besitzt.

Außerdem geht aus unserer Darstellung hervor,
daß der Begriff „Substanz“ keineswegs, wie von man-
chen angenommen wird, identisch ist mit dem Begriff
„Materie“ oder „Stoff,“ sondern ein höherer, weiterer
Begriff ist, welcher außer der materiellen Substanz auch
noch die immaterielle, geistige Substanz in sich begreift.
Zwar werden wohl auch die Ausdrücke „Materie“ und
„Stoff“ nicht selten in geistigem Sinn gebraucht, z. B.
wenn man von einer Rechtsmaterie, vom Stoff einer
Dichtung u. dgl. spricht; in demjenigen Sinne aber,
wie die Begriffe „Stoff“ und „Materie“ einmal in der
Wissenschaft, namentlich von den Naturwissenschaften
festgestellt und bestimmt sind, lassen sie sich auf die gei-
stigen, ja selbst auf manche sinnliche Manifestationen
des Seyns nicht anwenden, und man kann daher wohl
von einer Wärme= oder Lichtsubstanz, aber streng
genommen nicht von einem Wärme= oder Licht stoff
reden. Wenn das Licht eine Substanz genannt wird,
so wird damit weiter nichts gesagt, als daß das Licht
ist, existirt, was selbst der entschiedenste Anhänger
der Undulationstheorie nicht bestreiten wird; nennt man
aber das Licht eine Materie, so wird damit ausge-
sprochen, daß es eine überwiegend passive, träge
[Spaltenumbruch] Substanz sey, und dieß dürften selbst die entschiedensten
Anhänger der Emanationstheorie nicht behaupten wollen.
Bezeichnet man das Licht als eine Bewegung, so
heißt das nichts anderes als: es ist eine Manifestation
des Seyns, auf welche der Ausdruck Bewegung, weil
er mehr die active Seite des Seyns hervor hebt, besser
paßt als der Ausdruck Substanz, und insofern stellt sich
diese Bezeichnung allerdings als die vorzuziehende dar;
nur darf man dabei nicht an eine schlechthin substanz-
lose Bewegung denken und muß die wesentliche Jden-
tität von Substanz und Bewegung im Sinn behalten.

Will man sich des Ausdrucks „Bewegung“ in dem
eben gedachten Sinne vorzugsweise für die vorherrschend
activen, immateriellen Substanzen, dagegen des Aus-
drucks „Stoff“ für die vorherrschend passiven, mate-
riellen Substanzen bedienen, so kommen dadurch die
Bewegungen und Stoffe zu einander in dasselbe gegen-
sätzliche Verhältniß zu stehen, wie die immateriellen
und materiellen Substanzen, d. h. sie verhalten sich zu
einander wie Minus und Plus; die Bewegungen sind
also gleichsam Minus=Stoffe und Plus=Bewegungen,
dagegen die Stoffe Plus=Stoffe und Minus=Bewe-
gungen. Es gilt mithin für die Substanzen überhaupt
das Gesetz: je mehr eine Substanz Materie ist, um so
weniger ist sie Bewegung, und je mehr sie Bewegung
ist, um so weniger ist sie Materie. Da aber hiebei
Bewegung nicht mehr als reine vox media, sondern
als vorherrschend active Bewegung, d. h. als das
Bewegende oder die Ursache der Bewegung genommen,
die Ursache der Bewegung aber gemeinhin als Kraft
bezeichnet wird, so können wir das eben ausgesprochene
Gesetz auch so ausdrücken: je mehr eine Substanz die
Eigenschaften der Materie besitzt, um so weniger besitzt
sie die Eigenschaften der Kraft, und je mehr sie die
Eigenschaften der Kraft besitzt, um so weniger besitzt
sie die Eigenschaften der Materie. Es stehen also auch
Kraft und Stoff zu einander im umgekehrten Ver-
hältnisse; und es ist daher eine gänzliche Verkennung
dieses Verhältnisses, wenn die Materialisten behaupten,
die Kraft sey nur eine Eigenschaft der Materie.
Die Eigenschaft steht zu dem Dinge, welchem sie an-
gehört, stets und nothwendig in gleichem Verhältnisse.
Jst z. B. Kühnheit die Eigenschaft des Helden, so muß
der größere Held auch die größere Kühnheit besitzen.
Wäre also die Kraft wirklich eine Eigenschaft der Ma-
terie, so müßte ein Stoff, je mehr er die wesentlichen
Eigenschaften der Materie, z. B. Undurchdringlichkeit,
Trägheit, Schwere, Räumlichkeit besitzt, um so
kraftvoller, d. h. um so mehr im Stande seyn, aus
eigenem und innerem Antriebe sich selbst und Anderes
in Bewegung zu setzen. Es ist aber gerade umgekehrt.
[Ende Spaltensatz]

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[728/0008] 728 überwiegend passive, scheinbar stagnirende, materielle Bewegungen zu unterscheiden. Sofern wir nun oben gezeigt haben, daß Substanz und Bewegung nur zwei verschiedene Ausdrücke für ein und dasselbe sind, die sich nur dadurch unterscheiden, daß der Ausdruck Substanz mehr das Beharrliche in der Bewegung, der Ausdruck Bewegung hingegen mehr die Bewegung im Beharrenden betont, befinden wir uns jetzt auf dem Standpunkte, mit Klarheit zu erken- nen, daß der in den Naturwissenschaften noch immer nicht erledigte Streit, ob man gewisse Erscheinungen des Seyns, z. 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Wenn das Licht eine Substanz genannt wird, so wird damit weiter nichts gesagt, als daß das Licht ist, existirt, was selbst der entschiedenste Anhänger der Undulationstheorie nicht bestreiten wird; nennt man aber das Licht eine Materie, so wird damit ausge- sprochen, daß es eine überwiegend passive, träge Substanz sey, und dieß dürften selbst die entschiedensten Anhänger der Emanationstheorie nicht behaupten wollen. Bezeichnet man das Licht als eine Bewegung, so heißt das nichts anderes als: es ist eine Manifestation des Seyns, auf welche der Ausdruck Bewegung, weil er mehr die active Seite des Seyns hervor hebt, besser paßt als der Ausdruck Substanz, und insofern stellt sich diese Bezeichnung allerdings als die vorzuziehende dar; nur darf man dabei nicht an eine schlechthin substanz- lose Bewegung denken und muß die wesentliche Jden- tität von Substanz und Bewegung im Sinn behalten. 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Wäre also die Kraft wirklich eine Eigenschaft der Ma- terie, so müßte ein Stoff, je mehr er die wesentlichen Eigenschaften der Materie, z. B. Undurchdringlichkeit, Trägheit, Schwere, Räumlichkeit besitzt, um so kraftvoller, d. h. um so mehr im Stande seyn, aus eigenem und innerem Antriebe sich selbst und Anderes in Bewegung zu setzen. Es ist aber gerade umgekehrt.

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt31_1856/8>, abgerufen am 21.11.2024.