Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. 24. August 1856. Goethe. Am Meer von Adria, am Rhein. [Beginn Spaltensatz]
Am Rhein, am Meer von Adria Wie lieblich ist's zu gehen! Colonia, Venetia, Jch hab' euch auch gesehen; Noch seh' ich dich, Colonia, Noch fühl' ich dich, Venetia, Meerluftig mich umwehen. Am Meer von Adria, am Rhein Da hab' ich laut gepriesen Was von den Weibern und vom Wein Mir Bestes ward erwiesen; Denn heller sah ich Welt und Zeit Bei ihrer Glut und Lieblichkeit An mir vorüber fließen. Wie leicht des Glückes Stunden sind [Spaltenumbruch]
Jm Leben zu begehen, Ein schwarzgeaugt italisch Kind Das lehrte mich's verstehen; Sie wollte nicht mit Küssen ruh'n, Jch brauchte selber Nichts zu thun, Jch ließ es nur geschehen, Und trank des Weines, den sie bot, Von Lustgefühl durchdrungen, Wie dort zu Land so ohne Noth Die Rebe kommt entsprungen, Wie dort die Freude leicht gedeiht Und einer Kirche Heiligkeit, Die alle Welt bezwungen. Es war das alt' und neue Rom Mir zu versteh'n gegeben, Jn Markos und in Peters Dom Die Pfeiler und die Streben; Und sänk' die Welt in Trümmer hin, Es wissen um den Apennin Auch Trümmer schön zu leben. So ließest, unbekanntes Kind, Du mühlos mich verstehen, Wie leicht des Glückes Stunden sind Jn Leben zu begehen. Die Welt will nicht mit Sorge ruhn; Wir brauchen selber Nichts zu thun, Wir lassen's nur geschehen. [Ende Spaltensatz] Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. 24. August 1856. Goethe. Am Meer von Adria, am Rhein. [Beginn Spaltensatz]
Am Rhein, am Meer von Adria Wie lieblich ist's zu gehen! Colonia, Venetia, Jch hab' euch auch gesehen; Noch seh' ich dich, Colonia, Noch fühl' ich dich, Venetia, Meerluftig mich umwehen. Am Meer von Adria, am Rhein Da hab' ich laut gepriesen Was von den Weibern und vom Wein Mir Bestes ward erwiesen; Denn heller sah ich Welt und Zeit Bei ihrer Glut und Lieblichkeit An mir vorüber fließen. Wie leicht des Glückes Stunden sind [Spaltenumbruch]
Jm Leben zu begehen, Ein schwarzgeaugt italisch Kind Das lehrte mich's verstehen; Sie wollte nicht mit Küssen ruh'n, Jch brauchte selber Nichts zu thun, Jch ließ es nur geschehen, Und trank des Weines, den sie bot, Von Lustgefühl durchdrungen, Wie dort zu Land so ohne Noth Die Rebe kommt entsprungen, Wie dort die Freude leicht gedeiht Und einer Kirche Heiligkeit, Die alle Welt bezwungen. Es war das alt' und neue Rom Mir zu versteh'n gegeben, Jn Markos und in Peters Dom Die Pfeiler und die Streben; Und sänk' die Welt in Trümmer hin, Es wissen um den Apennin Auch Trümmer schön zu leben. So ließest, unbekanntes Kind, Du mühlos mich verstehen, Wie leicht des Glückes Stunden sind Jn Leben zu begehen. Die Welt will nicht mit Sorge ruhn; Wir brauchen selber Nichts zu thun, Wir lassen's nur geschehen. [Ende Spaltensatz] <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001" n="[793]"/> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b #fr #g #larger">Morgenblatt</hi><lb/> <space dim="vertical"/> <hi rendition="#smaller">für</hi><lb/> <space dim="vertical"/> <hi rendition="#b #fr #g"><hi rendition="#g">gebildete Leser</hi>.</hi> </titlePart> </docTitle><lb/> <space dim="vertical"/> <docImprint> <hi rendition="#fr">Nr. 34.</hi> <docDate> <hi rendition="#right">24. August 1856.</hi> </docDate> </docImprint><lb/> </titlePage> <space dim="vertical"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </front> <body> <div n="1"> <epigraph> <cit> <quote> <lg type="poem"> <l>Willst du immer weiter schweifen?</l><lb/> <l>Sieh, das Gute liegt so nah!</l><lb/> <l>Lerne nur das Glück ergreifen;</l><lb/> <l>Denn das Glück ist immer da.</l><lb/> </lg> </quote> <bibl><hi rendition="#g #right">Goethe</hi>.</bibl> </cit> </epigraph> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="1"> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#fr">Am Meer von Adria, am Rhein.</hi> </head><lb/> <cb type="start"/> <lg n="1"> <l>Am Rhein, am Meer von Adria</l><lb/> <l>Wie lieblich ist's zu gehen!</l><lb/> <l>Colonia, Venetia,</l><lb/> <l>Jch hab' euch auch gesehen;</l><lb/> <l>Noch seh' ich dich, Colonia,</l><lb/> <l>Noch fühl' ich dich, Venetia,</l><lb/> <l>Meerluftig mich umwehen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Am Meer von Adria, am Rhein</l><lb/> <l>Da hab' ich laut gepriesen</l><lb/> <l>Was von den Weibern und vom Wein</l><lb/> <l>Mir Bestes ward erwiesen;</l><lb/> <l>Denn heller sah ich Welt und Zeit</l><lb/> <l>Bei ihrer Glut und Lieblichkeit</l><lb/> <l>An mir vorüber fließen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wie leicht des Glückes Stunden sind</l><lb/> <l>Jm Leben zu begehen,</l><lb/> <l>Ein schwarzgeaugt italisch Kind</l><lb/> <l>Das lehrte mich's verstehen;</l><lb/> <l>Sie wollte nicht mit Küssen ruh'n,</l><lb/> <l>Jch brauchte selber Nichts zu thun,</l><lb/> <l>Jch ließ es nur geschehen,</l> </lg><lb/> <cb n="2"/> <lg n="4"> <l>Und trank des Weines, den sie bot,</l><lb/> <l>Von Lustgefühl durchdrungen,</l><lb/> <l>Wie dort zu Land so ohne Noth</l><lb/> <l>Die Rebe kommt entsprungen,</l><lb/> <l>Wie dort die Freude leicht gedeiht</l><lb/> <l>Und einer Kirche Heiligkeit,</l><lb/> <l>Die alle Welt bezwungen.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Es war das alt' und neue Rom</l><lb/> <l>Mir zu versteh'n gegeben,</l><lb/> <l>Jn Markos und in Peters Dom</l><lb/> <l>Die Pfeiler und die Streben;</l><lb/> <l>Und sänk' die Welt in Trümmer hin,</l><lb/> <l>Es wissen um den Apennin</l><lb/> <l>Auch Trümmer schön zu leben.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>So ließest, unbekanntes Kind,</l><lb/> <l>Du mühlos mich verstehen,</l><lb/> <l>Wie leicht des Glückes Stunden sind</l><lb/> <l>Jn Leben zu begehen.</l><lb/> <l>Die Welt will nicht mit Sorge ruhn;</l><lb/> <l>Wir brauchen selber Nichts zu thun,</l><lb/> <l>Wir lassen's nur geschehen.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb type="end"/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [[793]/0001]
Morgenblatt
für
gebildete Leser.
Nr. 34. 24. August 1856.
Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah!
Lerne nur das Glück ergreifen;
Denn das Glück ist immer da.
Goethe.
Am Meer von Adria, am Rhein.
Am Rhein, am Meer von Adria
Wie lieblich ist's zu gehen!
Colonia, Venetia,
Jch hab' euch auch gesehen;
Noch seh' ich dich, Colonia,
Noch fühl' ich dich, Venetia,
Meerluftig mich umwehen.
Am Meer von Adria, am Rhein
Da hab' ich laut gepriesen
Was von den Weibern und vom Wein
Mir Bestes ward erwiesen;
Denn heller sah ich Welt und Zeit
Bei ihrer Glut und Lieblichkeit
An mir vorüber fließen.
Wie leicht des Glückes Stunden sind
Jm Leben zu begehen,
Ein schwarzgeaugt italisch Kind
Das lehrte mich's verstehen;
Sie wollte nicht mit Küssen ruh'n,
Jch brauchte selber Nichts zu thun,
Jch ließ es nur geschehen,
Und trank des Weines, den sie bot,
Von Lustgefühl durchdrungen,
Wie dort zu Land so ohne Noth
Die Rebe kommt entsprungen,
Wie dort die Freude leicht gedeiht
Und einer Kirche Heiligkeit,
Die alle Welt bezwungen.
Es war das alt' und neue Rom
Mir zu versteh'n gegeben,
Jn Markos und in Peters Dom
Die Pfeiler und die Streben;
Und sänk' die Welt in Trümmer hin,
Es wissen um den Apennin
Auch Trümmer schön zu leben.
So ließest, unbekanntes Kind,
Du mühlos mich verstehen,
Wie leicht des Glückes Stunden sind
Jn Leben zu begehen.
Die Welt will nicht mit Sorge ruhn;
Wir brauchen selber Nichts zu thun,
Wir lassen's nur geschehen.
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