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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] einen Fliederbusch. Hier saß sie lange wohl= und weh-
gestimmt allein und berechnete Stunde und Minute, wo
Urban in der alten, unvergeßlichen Heimath ankommen
und ihren Wolfgang sehen konnte. Aber sie wurde
aufgefunden und sehr unliebsam gestört.

Die zwei lustigen Mägde nämlich kamen und sagten,
Bärbls Eltern seyen voraus zu den "Spielleuten" und
hätten sie mitnehmen wollen; die Mutter hätte noch
extra hinterlassen, daß sie ja auch nachkommen solle.
Da in diesem Augenblick ein Ländler aus dem Wirths-
hause herüber tönte, so faßten sich die zwei Dirnen
freudetoll und tanzten um den Fliederbusch herum.

"O weh, mein Aug!" rief ein Bursch lachend über
den Zaun herüber und ging weiter. Die Dirnen er-
schracken und hörten auf zu tanzen. -- "Bärbl," sagte
die ältere Magd, "jetzt hätt' ich meinen Tänzer so gewiß
wie du, ich weiß wo ich wär'! Aber du mußt mit;
dein Vater will's, deine Mutter will's, der schöne
Preislauf aus Erdingen will's. Bist du bei uns, so
dürfen wir auch eine Stunde länger bleiben."

Bärbl war aufgestanden. So ungern sie ihren
Vorsatz änderte, so konnte sie jetzt doch nicht anders,
als dem Willen ihrer Eltern folgen; sie ging also mit.
Die erfreuten Dirnen nahmen sie in die Mitte und
jede schlang einen Arm um ihren Hals; so sangen sie
fortgehend,

Die Kirschen sind zeitig,
Die Weichsel sind braun,
Eine Jed' hat ihr Bübl',
Muß mir auch um ein's schau'n!

Bärbl wurde von den Burschen sehr ausgezeichnet.
Sie war noch nicht bis an die Thüre des Wirths-
hauses gekommen, als ihr schon einige Tänzer entgegen
eilten. Besonders "der schöne Preislauf aus Erdingen"
wählte sie als Ziel seiner dauernden Aufmerksamkeit.

Er war der Sohn eines wohlhabenden Bauern,
hatte einen ansehnlichen Hof zu erwarten und mochte
wohl ein ernsteres Auge auf die schöne Tochter We-
ringers wersen. So zum mindesten wurde die Sache
allgemein aufgefaßt und man redete die nächsten Tage
heimlich und halblaut viel von Bärbl Weringer und
dem schönen Franz Lämmer. Bärbl wußte das und
lächelte dazu; hatte ihr doch der Oberknecht Urban in-
zwischen sehr frohe Botschaft aus der alten Heimath
mitgebracht. -- "Sagt was ihr wollt," dachte sie, "ich
weiß doch, was ich weiß." Und sie ging unbekümmert
und still vergnügt inmitten des Geredes umher. Aber die
Sache war damit doch nicht abgethan. Am Sonnabend vor
Mariä Himmelfahrt saß man im Weringerhause eben
beim Nachtessen, als Bärbl erschrocken aus der Kammer
[Spaltenumbruch] sprang und auf die Fragen ihrer Mutter erwiederte:
sie hätte jemand am Kammerfester gehört und wisse
nicht, ob es ein Dieb oder Geist gewesen. Sogleich
wurde Licht genommen und nachgesehen; aber siehe da,
man fand nur einige Holzäpfel vor Bärbl's Kammer-
fenster.

Die Mägde lachten, Urban lächelte. Der We-
ringer wollte wissen, was dieß bedeute, und erhielt nach
einigem Zögern die Erklärung, daß die Aepfel von einem
Burschen kämen, welcher Bärbl zu dem morgigen Fest-
tanz lade; Bärbl mußte jetzt, wenn ihr der Bursch auch
recht wäre, dessen Sonntagshut holen lassen und mit
Bändern und Blumen zieren.

Jetzt lächelte auch der Weringer und sagte: "Da
müßt' ja wohl Bärbl erst wissen, wer der Bursch ist."
-- Hier happerte es, bis Urban den Löffel weglegte
und sagte: "Der Franz Lämmer ist's!"

Bärbl hatte sich eben zu Tisch gesetzt, stand aber
blitzschnell wieder auf und lief in die Küche. Jhre
Wangen glühten, ihre Augen wurden feucht. Es be-
trübte sie über die Maßen, daß der hübsche Bursch
aus Erdingen wirklich ernstlich an sie dachte; von Ur-
ban aber verdroß sie's peinlich, daß der die Sache so
leicht und spaßhaft nehmen konnte.

"Du bist mir auch Einer!" sagte sie noch densel-
ben Abend an der Stallecke zu ihm. "Hast ihn nicht
wieder fortrichten können? Du weißt, ich kann nicht,
ich mag nicht, ich will nicht mit dem Lämmer halten.
Das wär' so grade recht für die Leute!"

Urban erwiederte: "Du Närrle! Ein' Tänzer mußt
du doch haben und weil's der Wolfgang jetzt nicht seyn
kann, dacht' ich, soll's allerwenigstens der best' und
schönst' herum seyn." -- "Aber der Hut!" rief Bärbl
wenig besänftigt. -- "Den hol' ich dir selbst," sagte
Urban wohl gelaunt. "Dabei will ich dem Lämmer
den Daumen auf's Hirn drücken und sagen: bilde dir
nichts ein!"

Bärbl wollte eben noch dagegen kämpfen, als sie
nach der Stube gerufen wurde. Die Mutter theilte
ihr mit, daß der Vater gerne sehen würde, wenn sie
die Volkssitte mitmache, wie es üblich sey. Der We-
ringer hatte guten Grund, diesen Wunsch auszusprechen.
Der große Hof, den er jetzt besaß, war einst der Pacht-
hof eines Rittergutes gewesen, und alljährlich kam der
Lehnsherr mit seiner Familie, um hier sich und den Seinen
so wie dem Volke ein kleines Fest zu geben. Die Sitte
hatte sich seitdem erhalten und auch ohne Lehnsherrn
fuhren die Bauern fort, das Fest in der alten Weise
und an derselben Stelle zu feiern. Der Weringer
wünschte daher, daß seine Tochter einen Tänzer nicht
abweise, für den er selbst einige Vorliebe gefaßt hatte
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] einen Fliederbusch. Hier saß sie lange wohl= und weh-
gestimmt allein und berechnete Stunde und Minute, wo
Urban in der alten, unvergeßlichen Heimath ankommen
und ihren Wolfgang sehen konnte. Aber sie wurde
aufgefunden und sehr unliebsam gestört.

Die zwei lustigen Mägde nämlich kamen und sagten,
Bärbls Eltern seyen voraus zu den „Spielleuten“ und
hätten sie mitnehmen wollen; die Mutter hätte noch
extra hinterlassen, daß sie ja auch nachkommen solle.
Da in diesem Augenblick ein Ländler aus dem Wirths-
hause herüber tönte, so faßten sich die zwei Dirnen
freudetoll und tanzten um den Fliederbusch herum.

„O weh, mein Aug!“ rief ein Bursch lachend über
den Zaun herüber und ging weiter. Die Dirnen er-
schracken und hörten auf zu tanzen. — „Bärbl,“ sagte
die ältere Magd, „jetzt hätt' ich meinen Tänzer so gewiß
wie du, ich weiß wo ich wär'! Aber du mußt mit;
dein Vater will's, deine Mutter will's, der schöne
Preislauf aus Erdingen will's. Bist du bei uns, so
dürfen wir auch eine Stunde länger bleiben.“

Bärbl war aufgestanden. So ungern sie ihren
Vorsatz änderte, so konnte sie jetzt doch nicht anders,
als dem Willen ihrer Eltern folgen; sie ging also mit.
Die erfreuten Dirnen nahmen sie in die Mitte und
jede schlang einen Arm um ihren Hals; so sangen sie
fortgehend,

Die Kirschen sind zeitig,
Die Weichsel sind braun,
Eine Jed' hat ihr Bübl',
Muß mir auch um ein's schau'n!

Bärbl wurde von den Burschen sehr ausgezeichnet.
Sie war noch nicht bis an die Thüre des Wirths-
hauses gekommen, als ihr schon einige Tänzer entgegen
eilten. Besonders „der schöne Preislauf aus Erdingen“
wählte sie als Ziel seiner dauernden Aufmerksamkeit.

Er war der Sohn eines wohlhabenden Bauern,
hatte einen ansehnlichen Hof zu erwarten und mochte
wohl ein ernsteres Auge auf die schöne Tochter We-
ringers wersen. So zum mindesten wurde die Sache
allgemein aufgefaßt und man redete die nächsten Tage
heimlich und halblaut viel von Bärbl Weringer und
dem schönen Franz Lämmer. Bärbl wußte das und
lächelte dazu; hatte ihr doch der Oberknecht Urban in-
zwischen sehr frohe Botschaft aus der alten Heimath
mitgebracht. — „Sagt was ihr wollt,“ dachte sie, „ich
weiß doch, was ich weiß.“ Und sie ging unbekümmert
und still vergnügt inmitten des Geredes umher. Aber die
Sache war damit doch nicht abgethan. Am Sonnabend vor
Mariä Himmelfahrt saß man im Weringerhause eben
beim Nachtessen, als Bärbl erschrocken aus der Kammer
[Spaltenumbruch] sprang und auf die Fragen ihrer Mutter erwiederte:
sie hätte jemand am Kammerfester gehört und wisse
nicht, ob es ein Dieb oder Geist gewesen. Sogleich
wurde Licht genommen und nachgesehen; aber siehe da,
man fand nur einige Holzäpfel vor Bärbl's Kammer-
fenster.

Die Mägde lachten, Urban lächelte. Der We-
ringer wollte wissen, was dieß bedeute, und erhielt nach
einigem Zögern die Erklärung, daß die Aepfel von einem
Burschen kämen, welcher Bärbl zu dem morgigen Fest-
tanz lade; Bärbl mußte jetzt, wenn ihr der Bursch auch
recht wäre, dessen Sonntagshut holen lassen und mit
Bändern und Blumen zieren.

Jetzt lächelte auch der Weringer und sagte: „Da
müßt' ja wohl Bärbl erst wissen, wer der Bursch ist.“
— Hier happerte es, bis Urban den Löffel weglegte
und sagte: „Der Franz Lämmer ist's!“

Bärbl hatte sich eben zu Tisch gesetzt, stand aber
blitzschnell wieder auf und lief in die Küche. Jhre
Wangen glühten, ihre Augen wurden feucht. Es be-
trübte sie über die Maßen, daß der hübsche Bursch
aus Erdingen wirklich ernstlich an sie dachte; von Ur-
ban aber verdroß sie's peinlich, daß der die Sache so
leicht und spaßhaft nehmen konnte.

„Du bist mir auch Einer!“ sagte sie noch densel-
ben Abend an der Stallecke zu ihm. „Hast ihn nicht
wieder fortrichten können? Du weißt, ich kann nicht,
ich mag nicht, ich will nicht mit dem Lämmer halten.
Das wär' so grade recht für die Leute!“

Urban erwiederte: „Du Närrle! Ein' Tänzer mußt
du doch haben und weil's der Wolfgang jetzt nicht seyn
kann, dacht' ich, soll's allerwenigstens der best' und
schönst' herum seyn.“ — „Aber der Hut!“ rief Bärbl
wenig besänftigt. — „Den hol' ich dir selbst,“ sagte
Urban wohl gelaunt. „Dabei will ich dem Lämmer
den Daumen auf's Hirn drücken und sagen: bilde dir
nichts ein!“

Bärbl wollte eben noch dagegen kämpfen, als sie
nach der Stube gerufen wurde. Die Mutter theilte
ihr mit, daß der Vater gerne sehen würde, wenn sie
die Volkssitte mitmache, wie es üblich sey. Der We-
ringer hatte guten Grund, diesen Wunsch auszusprechen.
Der große Hof, den er jetzt besaß, war einst der Pacht-
hof eines Rittergutes gewesen, und alljährlich kam der
Lehnsherr mit seiner Familie, um hier sich und den Seinen
so wie dem Volke ein kleines Fest zu geben. Die Sitte
hatte sich seitdem erhalten und auch ohne Lehnsherrn
fuhren die Bauern fort, das Fest in der alten Weise
und an derselben Stelle zu feiern. Der Weringer
wünschte daher, daß seine Tochter einen Tänzer nicht
abweise, für den er selbst einige Vorliebe gefaßt hatte
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 799. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/7>, abgerufen am 21.11.2024.