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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] und der morgen vor dem Weringerhofe halb und halb
als Gast erscheinen sollte. Also sagte Bärbl zu, brachte
eine unbehagliche Nacht fast ohne Schlaf hin und
schmückte am nächsten Morgen den Sonntagshut des
Lämmer Franz so reich als möglich.

Nach dem Gottesdienste versammelte sich Jung und
Alt in Weringers Hofraum. An einem Tisch in der
Mitte saßen die Musikanten und auf einem Mauervor-
sprung ein Junge, der an einer Fichtenstaude den Preis
des Tages hielt: einen mit Bändern geschmückten neuen
Hut für den Sieger und ein Paar Strümpfe für seine
Tänzerin. Zu vier Seiten des Kreises standen als
Preisrichter vier Bauern des Orts mit Gewehren, von
denen einer den Zweig eines Wallnußbaumes in der
Hand hielt. Noch ehe der Tanz begann, schritt ein
Mann mit einem Sack durch den Hofraum und leerte
daraus eine Menge Holzäpfel auf den Boden, während
ein anderer auf einen Baum stieg und eine geladene
Flinte mit brennender Lunte daran befestigte. Jetzt
begann die Musik und die Mädchen drangen aus der
Nachbarschaft herzu; sogleich wurden sie von den Bur-
schen ergriffen und auf den Plan entführt. Der Bursche
des ersten Paares bekam den Wallnußzweig in die Hand
und behielt ihn bis zum nächsten Preisrichter; hierauf
empfing ihn dieser und gab ihn dem zweiten Tänzer.
So wälzte sich nun der fröhliche Schwarm unter Scher-
zen und Lachen über die Holzäpfel hin, wobei hie und
da ein Pärchen auf den Boden zu liegen kam, bis
plötzlich die Lunte das Pulver erreichte und das Gewehr
losging. -- Franz Lämmer, der mit Bärbl dahinflog
und den Nußbaumzweig eben in der Hand hielt, war
abermals der Sieger.

Man zog nun nach dem Wirthshause, wo der
schöne Lämmer die Festgäste bewirthen mußte, worauf
es den Nachmittag bis spät in die Nacht gewöhnlichen
Tanz gab.

Bärbl war heiterer geworden als sie dachte. Es
schmeichelte ihr doch, den schönsten und besten Tänzer
zu haben; auch der Umstand, daß ihre Eltern im
Wirthshause erschienen, sie lächelnd und liebevoll beob-
achteten und öfter zu sich an den Tisch riefen, trug
viel zu ihrer vergnügten Stimmung bei. Als sie gegen
[Spaltenumbruch] Mitternacht mit ihren Eltern aufbrach, um nach Hause
zu gehen, erhoben sich auf Lämmers Wink alle Mu-
sikanten und begleiteten sie, lustige Weisen spielend, bis
vor den Weringerhof. "Ein rechter Bursch!" sagte der
Weringer wiederholt vor Schlafengehen. "Er hat ein
schönes Wesen, man kann was auf ihn halten."

Leider blieb jener Tag nicht ohne betrübende Fol-
gen. Man war kaum in den ersten Schlummer ver-
fallen, als ein greller Lärm das ganze Dorf aufschreckte.
Der schöne Lämmer war auf seinem nächtlichen Heim-
weg von zwei Burschen überfallen und arg zugerichtet
worden; man sagte aus Eifersucht. Der Fall machte
im Weringerhofe natürlich das meiste Aufsehen. Schreck
und Mitleid ergriffen Bärbl's Herz; ihre Mutter nahm
heftig Partei für den schönen unglücklichen Burschen;
der Weringer aber warf sich rasch in sein Gewand und
ging der Stelle des Unglücks zu.

Er fand den jungen Lämmer bereits verbunden
und außer Gefahr. Einige Streiche mit Faustringen
hatten ihn zwar schwer, aber nicht gefährlich getroffen.
Der Weringer ließ sich den Vorfall genau erzählen und
hörte mit Befriedigung, daß der junge Lämmer sich
wacker gewehrt und schließlich seine überlegenen Gegner
in die Flucht getrieben habe.

Auf dem Heimwege beschäftigte den Weringer nichts
Geringeres als eine mögliche Verbindung zwischen seiner
Tochter und diesem wackern Burschen, der ihm aus-
nehmend gefiel und über dessen Eltern und künftige
Aussichten das beste erzählt wurde. Er ahnte freilich
nicht, daß indessen seine Tochter zu Hause eine wichtige
Generalbeichte ihrer Liebe ablegte, in welcher der Name
Franz Lämmer nicht vorkam. Von der Sorge getrie-
ben, daß dieser Vorfall mit dem Lämmer nicht der
einzige bleiben könnte, noch mehr von der Vorliebe er-
schreckt, welche sich bei Vater und Mutter bereits für
den schönen Burschen zeigte, hatte sich Bärbl schnell
ein Herz genommen und ihrer Mutter ihr ganzes Ge-
heimniß mit Wolfgang eröffnet. Aus der Entschieden-
heit und leidenschaftlichen Hast, mit welcher Bärbl ihr
Liebesbekenntniß ablegte, war bestimmt genug zu ent-
nehmen, daß hier Widerspruch oder Zwang wohl schwer-
lich etwas ändern konnten.

[Ende Spaltensatz]

( Der zweite Abschnitt folgt nächstens. )




[Beginn Spaltensatz] und der morgen vor dem Weringerhofe halb und halb
als Gast erscheinen sollte. Also sagte Bärbl zu, brachte
eine unbehagliche Nacht fast ohne Schlaf hin und
schmückte am nächsten Morgen den Sonntagshut des
Lämmer Franz so reich als möglich.

Nach dem Gottesdienste versammelte sich Jung und
Alt in Weringers Hofraum. An einem Tisch in der
Mitte saßen die Musikanten und auf einem Mauervor-
sprung ein Junge, der an einer Fichtenstaude den Preis
des Tages hielt: einen mit Bändern geschmückten neuen
Hut für den Sieger und ein Paar Strümpfe für seine
Tänzerin. Zu vier Seiten des Kreises standen als
Preisrichter vier Bauern des Orts mit Gewehren, von
denen einer den Zweig eines Wallnußbaumes in der
Hand hielt. Noch ehe der Tanz begann, schritt ein
Mann mit einem Sack durch den Hofraum und leerte
daraus eine Menge Holzäpfel auf den Boden, während
ein anderer auf einen Baum stieg und eine geladene
Flinte mit brennender Lunte daran befestigte. Jetzt
begann die Musik und die Mädchen drangen aus der
Nachbarschaft herzu; sogleich wurden sie von den Bur-
schen ergriffen und auf den Plan entführt. Der Bursche
des ersten Paares bekam den Wallnußzweig in die Hand
und behielt ihn bis zum nächsten Preisrichter; hierauf
empfing ihn dieser und gab ihn dem zweiten Tänzer.
So wälzte sich nun der fröhliche Schwarm unter Scher-
zen und Lachen über die Holzäpfel hin, wobei hie und
da ein Pärchen auf den Boden zu liegen kam, bis
plötzlich die Lunte das Pulver erreichte und das Gewehr
losging. — Franz Lämmer, der mit Bärbl dahinflog
und den Nußbaumzweig eben in der Hand hielt, war
abermals der Sieger.

Man zog nun nach dem Wirthshause, wo der
schöne Lämmer die Festgäste bewirthen mußte, worauf
es den Nachmittag bis spät in die Nacht gewöhnlichen
Tanz gab.

Bärbl war heiterer geworden als sie dachte. Es
schmeichelte ihr doch, den schönsten und besten Tänzer
zu haben; auch der Umstand, daß ihre Eltern im
Wirthshause erschienen, sie lächelnd und liebevoll beob-
achteten und öfter zu sich an den Tisch riefen, trug
viel zu ihrer vergnügten Stimmung bei. Als sie gegen
[Spaltenumbruch] Mitternacht mit ihren Eltern aufbrach, um nach Hause
zu gehen, erhoben sich auf Lämmers Wink alle Mu-
sikanten und begleiteten sie, lustige Weisen spielend, bis
vor den Weringerhof. „Ein rechter Bursch!“ sagte der
Weringer wiederholt vor Schlafengehen. „Er hat ein
schönes Wesen, man kann was auf ihn halten.“

Leider blieb jener Tag nicht ohne betrübende Fol-
gen. Man war kaum in den ersten Schlummer ver-
fallen, als ein greller Lärm das ganze Dorf aufschreckte.
Der schöne Lämmer war auf seinem nächtlichen Heim-
weg von zwei Burschen überfallen und arg zugerichtet
worden; man sagte aus Eifersucht. Der Fall machte
im Weringerhofe natürlich das meiste Aufsehen. Schreck
und Mitleid ergriffen Bärbl's Herz; ihre Mutter nahm
heftig Partei für den schönen unglücklichen Burschen;
der Weringer aber warf sich rasch in sein Gewand und
ging der Stelle des Unglücks zu.

Er fand den jungen Lämmer bereits verbunden
und außer Gefahr. Einige Streiche mit Faustringen
hatten ihn zwar schwer, aber nicht gefährlich getroffen.
Der Weringer ließ sich den Vorfall genau erzählen und
hörte mit Befriedigung, daß der junge Lämmer sich
wacker gewehrt und schließlich seine überlegenen Gegner
in die Flucht getrieben habe.

Auf dem Heimwege beschäftigte den Weringer nichts
Geringeres als eine mögliche Verbindung zwischen seiner
Tochter und diesem wackern Burschen, der ihm aus-
nehmend gefiel und über dessen Eltern und künftige
Aussichten das beste erzählt wurde. Er ahnte freilich
nicht, daß indessen seine Tochter zu Hause eine wichtige
Generalbeichte ihrer Liebe ablegte, in welcher der Name
Franz Lämmer nicht vorkam. Von der Sorge getrie-
ben, daß dieser Vorfall mit dem Lämmer nicht der
einzige bleiben könnte, noch mehr von der Vorliebe er-
schreckt, welche sich bei Vater und Mutter bereits für
den schönen Burschen zeigte, hatte sich Bärbl schnell
ein Herz genommen und ihrer Mutter ihr ganzes Ge-
heimniß mit Wolfgang eröffnet. Aus der Entschieden-
heit und leidenschaftlichen Hast, mit welcher Bärbl ihr
Liebesbekenntniß ablegte, war bestimmt genug zu ent-
nehmen, daß hier Widerspruch oder Zwang wohl schwer-
lich etwas ändern konnten.

[Ende Spaltensatz]

( Der zweite Abschnitt folgt nächstens. )




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[800/0008] 800 und der morgen vor dem Weringerhofe halb und halb als Gast erscheinen sollte. Also sagte Bärbl zu, brachte eine unbehagliche Nacht fast ohne Schlaf hin und schmückte am nächsten Morgen den Sonntagshut des Lämmer Franz so reich als möglich. Nach dem Gottesdienste versammelte sich Jung und Alt in Weringers Hofraum. An einem Tisch in der Mitte saßen die Musikanten und auf einem Mauervor- sprung ein Junge, der an einer Fichtenstaude den Preis des Tages hielt: einen mit Bändern geschmückten neuen Hut für den Sieger und ein Paar Strümpfe für seine Tänzerin. Zu vier Seiten des Kreises standen als Preisrichter vier Bauern des Orts mit Gewehren, von denen einer den Zweig eines Wallnußbaumes in der Hand hielt. Noch ehe der Tanz begann, schritt ein Mann mit einem Sack durch den Hofraum und leerte daraus eine Menge Holzäpfel auf den Boden, während ein anderer auf einen Baum stieg und eine geladene Flinte mit brennender Lunte daran befestigte. Jetzt begann die Musik und die Mädchen drangen aus der Nachbarschaft herzu; sogleich wurden sie von den Bur- schen ergriffen und auf den Plan entführt. Der Bursche des ersten Paares bekam den Wallnußzweig in die Hand und behielt ihn bis zum nächsten Preisrichter; hierauf empfing ihn dieser und gab ihn dem zweiten Tänzer. So wälzte sich nun der fröhliche Schwarm unter Scher- zen und Lachen über die Holzäpfel hin, wobei hie und da ein Pärchen auf den Boden zu liegen kam, bis plötzlich die Lunte das Pulver erreichte und das Gewehr losging. — Franz Lämmer, der mit Bärbl dahinflog und den Nußbaumzweig eben in der Hand hielt, war abermals der Sieger. Man zog nun nach dem Wirthshause, wo der schöne Lämmer die Festgäste bewirthen mußte, worauf es den Nachmittag bis spät in die Nacht gewöhnlichen Tanz gab. Bärbl war heiterer geworden als sie dachte. Es schmeichelte ihr doch, den schönsten und besten Tänzer zu haben; auch der Umstand, daß ihre Eltern im Wirthshause erschienen, sie lächelnd und liebevoll beob- achteten und öfter zu sich an den Tisch riefen, trug viel zu ihrer vergnügten Stimmung bei. Als sie gegen Mitternacht mit ihren Eltern aufbrach, um nach Hause zu gehen, erhoben sich auf Lämmers Wink alle Mu- sikanten und begleiteten sie, lustige Weisen spielend, bis vor den Weringerhof. „Ein rechter Bursch!“ sagte der Weringer wiederholt vor Schlafengehen. „Er hat ein schönes Wesen, man kann was auf ihn halten.“ Leider blieb jener Tag nicht ohne betrübende Fol- gen. Man war kaum in den ersten Schlummer ver- fallen, als ein greller Lärm das ganze Dorf aufschreckte. Der schöne Lämmer war auf seinem nächtlichen Heim- weg von zwei Burschen überfallen und arg zugerichtet worden; man sagte aus Eifersucht. Der Fall machte im Weringerhofe natürlich das meiste Aufsehen. Schreck und Mitleid ergriffen Bärbl's Herz; ihre Mutter nahm heftig Partei für den schönen unglücklichen Burschen; der Weringer aber warf sich rasch in sein Gewand und ging der Stelle des Unglücks zu. Er fand den jungen Lämmer bereits verbunden und außer Gefahr. Einige Streiche mit Faustringen hatten ihn zwar schwer, aber nicht gefährlich getroffen. Der Weringer ließ sich den Vorfall genau erzählen und hörte mit Befriedigung, daß der junge Lämmer sich wacker gewehrt und schließlich seine überlegenen Gegner in die Flucht getrieben habe. Auf dem Heimwege beschäftigte den Weringer nichts Geringeres als eine mögliche Verbindung zwischen seiner Tochter und diesem wackern Burschen, der ihm aus- nehmend gefiel und über dessen Eltern und künftige Aussichten das beste erzählt wurde. Er ahnte freilich nicht, daß indessen seine Tochter zu Hause eine wichtige Generalbeichte ihrer Liebe ablegte, in welcher der Name Franz Lämmer nicht vorkam. Von der Sorge getrie- ben, daß dieser Vorfall mit dem Lämmer nicht der einzige bleiben könnte, noch mehr von der Vorliebe er- schreckt, welche sich bei Vater und Mutter bereits für den schönen Burschen zeigte, hatte sich Bärbl schnell ein Herz genommen und ihrer Mutter ihr ganzes Ge- heimniß mit Wolfgang eröffnet. Aus der Entschieden- heit und leidenschaftlichen Hast, mit welcher Bärbl ihr Liebesbekenntniß ablegte, war bestimmt genug zu ent- nehmen, daß hier Widerspruch oder Zwang wohl schwer- lich etwas ändern konnten. ( Der zweite Abschnitt folgt nächstens. )

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 800. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/8>, abgerufen am 03.12.2024.