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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] ist noch ein Stammbaum der Vohburger angehängt ) ,
weiß nichts davon; was bei einer so bedeutenden Ver-
wandtschaft, wie mit dem Hause Zäringen, einer aus-
drücklichen Verneinung der Frage gleich zu rechnen ist.
Eben so wenig findet die Angabe bei den neueren
bayerischen Geschichtschreibern Unterstützung. Hiemit
scheint eine treffliche Gelegenheit verloren, eine deutsche
Frau auf Kosten der beiden welschen Damen zu erhe-
ben, deren eine dem Herzog untreu wurde und deren
andere den, gerechten oder ungerechten, Vorwurf auf
sich lud, ihm seine Kinder nicht am Leben erhalten zu
haben. Möglich bleibt es indessen immer, daß eine
Mechtild, wenn auch ihr Geschlecht unrichtig angegeben
wird, die zweite Gemahlin des Herzogs und die Mut-
ter seiner Kinder war; womit Tschudis Berichte von
1208--12 der Hauptsache nach in Einklang stehen
würden. Nur ist hierüber nicht zu streiten.

Jedenfalls hat, wenn das Daseyn der beiden Kna-
ben auf Tschudis Zeugniß hin anerkannt werden darf,
die bisher lose schwebende Sage wenigstens einen Bo-
den gewonnen. Alsdann hat Herzog Berchtolds Lebens-
wunsch, eigene Erben zu hinterlassen, noch in seinen
letzten zehn Jahren eine kurze trügerische Erfüllung ge-
funden, und wenn seine spätgeborenen Söhne im Kin-
desalter vor dem Vater starben, er selbst aber noch in
kräftigen Jahren als ein entlaubter, gebrochener Stamm
zur Erde sank, so ist die Entstehung einer Sage von
einer dunkeln That im Hause Zäringen um so begreif-
licher. Schon der vor der Zeit erfolgte Tod des Her-
zogs mußte auffallen, wie viel mehr noch, wenn der
vorausgegangene Tod seiner Kinder das Erlöschen des
Hauses in doppelt traurigem Licht erscheinen ließ. Nun
werden zwar den Aerzten des dreizehnten Jahrhunderts
so viele und noch mehr Kinder auf dem natürlichen
Wege lege artis gestorben seyn, wie der Wissenschaft
des neunzehnten Jahrhunderts. Auf der andern Seite
würde eine Vergiftung der zäringischen Kinder weder an
sich selbst, noch an denen, welchen sie zugeschrieben
wird, etwas Unglaubliches seyn, denn die Zeit war
darnach. Selbst Vater= und Brudermord erscheint in
dem gleichen Jahrhundert und in der gleichen Gegend
als nichts ganz Ungeheures; der Vortheil überwog jeden
andern Beweggrund und entflammte zu jeder That. Hat
ja sogar Rudolph von Habsburg, den man so gern un-
ter die Beispiele des Guten einschwärzen möchte, als
er kaum flügge war und das Kyburgische Erbe noch nicht
eingethan hatte, seinen eigenen leiblichen Oheim mit Krieg
überzogen, um ihm etwas Besitz abzuzwacken und seine
Armuth zu verbessern. Allein das völlige Stillschweigen
aller gleichzeitigen Quellen bleibt doch eine unüberwind-
liche Thatsache, und wenn man auch mit Recht ein-
[Spaltenumbruch] wenden kann, daß die Zäringer keinen eigenen Chro-
nisten besaßen, der ihren Begebenheiten größere Theil-
nahme gewidmet hätte, so ist doch zu erwiedern, daß
die Geschichtschreibung jener Zeit, so dürftig sie ist,
immerhin für menschlich merkwürdige und tragische Be-
gebenheiten auch in fremden Kreisen sich nicht ganz un-
empfänglich zeigt, und daß somit eine Ermordung der
Kinder Berchtolds durch die burgundischen Herren von
den Chronisten, namentlich von denen, die sein kinder-
loses Abscheiden melden, nicht wohl unerwähnt hätte
bleiben können.

Aber auch die Sage selbst spricht ja das Bewußtseyn,
daß ihr nichts Erwiesenes zu Grunde liege, sehr be-
zeichnend aus, indem sie ( bei Justinger ) sagt, Herzog
Berchtold habe "des Mordes niemand gezeihen können."
Sah aber der strenge Richter des burgundischen Adels
den eigenen Stamm hinwelken, und folgte er, der sich
vergebens mit Tanz und Orgelspiel zu erheitern strebte,
seinen Kindern bald in's Grab, so war der Sage zu
der politischen Grundlage hin, wonach die mit Bern
verbündeten Städte als seine Erben und Rächer erschie-
nen, auch ein natürlicher Anhaltspunkt gegeben, daher
man die Erzählung, wie sie bei dem Berner Chronisten
steht, als den burgundischen Antheil der Sage be-
zeichnen kann.

Die Solothurner Ueberlieferung dagegen, wie der
Glarner Chronist nebst seinen Zeitgenossen sie erzählt,
wird man den alemannischen Zweig der Sage nen-
nen dürfen. Dabei mag man den Erfund der Ausgra-
bung von 1544, auf welchen, wie leicht zu erachten,
seit Tschudi, Stumpf und Münster sämmtliche Erzähler
der angeblichen Geschichte von dem Verbrechen der Her-
zogin von Zäringen hinweisen, auf sich beruhen lassen;
denn wenn auch, wie schon ein Jahrhundert vorher
aufgezeichnet wurde, die Kinder Berchtolds V. wirklich
in Solothurn begraben worden sind, so müssen darum
die Gebeine, die Münster sah und deren Beschreibung
dem von Tschudi angegebenen Altersverhältniß wi-
derspricht, noch nicht gerade die ihrigen gewesen seyn;
und auch das Haupt erfordert keine tragische Deutung,
da man das Mittel, das der "Rheinische Antiquarius"
aus den neunziger Jahren erzählt, nämlich, wenn der
Sarg um einen Fuß zu kurz war, den Todten um einen
Kopf kürzer zu machen, in den kindlichen Jahrhunder-
ten, von welchen die Rede ist, häufig angewendet hat.

Daß nun zwar die Solothurner Sage durch die ge-
schichtlichen Quellen widerlegt ist, haben wir gleich an-
fangs gesehen. Die Herzogin Clementia, zu welcher wir
jetzt zurückkehren, hat ein anderes Schicksal erlitten, als
das ihr von der Sage zugedachte. Jhr Gemahl hat sie
nicht enthaupten, noch hiren "Cörpel" unter dem Galgen
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] ist noch ein Stammbaum der Vohburger angehängt ) ,
weiß nichts davon; was bei einer so bedeutenden Ver-
wandtschaft, wie mit dem Hause Zäringen, einer aus-
drücklichen Verneinung der Frage gleich zu rechnen ist.
Eben so wenig findet die Angabe bei den neueren
bayerischen Geschichtschreibern Unterstützung. Hiemit
scheint eine treffliche Gelegenheit verloren, eine deutsche
Frau auf Kosten der beiden welschen Damen zu erhe-
ben, deren eine dem Herzog untreu wurde und deren
andere den, gerechten oder ungerechten, Vorwurf auf
sich lud, ihm seine Kinder nicht am Leben erhalten zu
haben. Möglich bleibt es indessen immer, daß eine
Mechtild, wenn auch ihr Geschlecht unrichtig angegeben
wird, die zweite Gemahlin des Herzogs und die Mut-
ter seiner Kinder war; womit Tschudis Berichte von
1208—12 der Hauptsache nach in Einklang stehen
würden. Nur ist hierüber nicht zu streiten.

Jedenfalls hat, wenn das Daseyn der beiden Kna-
ben auf Tschudis Zeugniß hin anerkannt werden darf,
die bisher lose schwebende Sage wenigstens einen Bo-
den gewonnen. Alsdann hat Herzog Berchtolds Lebens-
wunsch, eigene Erben zu hinterlassen, noch in seinen
letzten zehn Jahren eine kurze trügerische Erfüllung ge-
funden, und wenn seine spätgeborenen Söhne im Kin-
desalter vor dem Vater starben, er selbst aber noch in
kräftigen Jahren als ein entlaubter, gebrochener Stamm
zur Erde sank, so ist die Entstehung einer Sage von
einer dunkeln That im Hause Zäringen um so begreif-
licher. Schon der vor der Zeit erfolgte Tod des Her-
zogs mußte auffallen, wie viel mehr noch, wenn der
vorausgegangene Tod seiner Kinder das Erlöschen des
Hauses in doppelt traurigem Licht erscheinen ließ. Nun
werden zwar den Aerzten des dreizehnten Jahrhunderts
so viele und noch mehr Kinder auf dem natürlichen
Wege lege artis gestorben seyn, wie der Wissenschaft
des neunzehnten Jahrhunderts. Auf der andern Seite
würde eine Vergiftung der zäringischen Kinder weder an
sich selbst, noch an denen, welchen sie zugeschrieben
wird, etwas Unglaubliches seyn, denn die Zeit war
darnach. Selbst Vater= und Brudermord erscheint in
dem gleichen Jahrhundert und in der gleichen Gegend
als nichts ganz Ungeheures; der Vortheil überwog jeden
andern Beweggrund und entflammte zu jeder That. Hat
ja sogar Rudolph von Habsburg, den man so gern un-
ter die Beispiele des Guten einschwärzen möchte, als
er kaum flügge war und das Kyburgische Erbe noch nicht
eingethan hatte, seinen eigenen leiblichen Oheim mit Krieg
überzogen, um ihm etwas Besitz abzuzwacken und seine
Armuth zu verbessern. Allein das völlige Stillschweigen
aller gleichzeitigen Quellen bleibt doch eine unüberwind-
liche Thatsache, und wenn man auch mit Recht ein-
[Spaltenumbruch] wenden kann, daß die Zäringer keinen eigenen Chro-
nisten besaßen, der ihren Begebenheiten größere Theil-
nahme gewidmet hätte, so ist doch zu erwiedern, daß
die Geschichtschreibung jener Zeit, so dürftig sie ist,
immerhin für menschlich merkwürdige und tragische Be-
gebenheiten auch in fremden Kreisen sich nicht ganz un-
empfänglich zeigt, und daß somit eine Ermordung der
Kinder Berchtolds durch die burgundischen Herren von
den Chronisten, namentlich von denen, die sein kinder-
loses Abscheiden melden, nicht wohl unerwähnt hätte
bleiben können.

Aber auch die Sage selbst spricht ja das Bewußtseyn,
daß ihr nichts Erwiesenes zu Grunde liege, sehr be-
zeichnend aus, indem sie ( bei Justinger ) sagt, Herzog
Berchtold habe „des Mordes niemand gezeihen können.“
Sah aber der strenge Richter des burgundischen Adels
den eigenen Stamm hinwelken, und folgte er, der sich
vergebens mit Tanz und Orgelspiel zu erheitern strebte,
seinen Kindern bald in's Grab, so war der Sage zu
der politischen Grundlage hin, wonach die mit Bern
verbündeten Städte als seine Erben und Rächer erschie-
nen, auch ein natürlicher Anhaltspunkt gegeben, daher
man die Erzählung, wie sie bei dem Berner Chronisten
steht, als den burgundischen Antheil der Sage be-
zeichnen kann.

Die Solothurner Ueberlieferung dagegen, wie der
Glarner Chronist nebst seinen Zeitgenossen sie erzählt,
wird man den alemannischen Zweig der Sage nen-
nen dürfen. Dabei mag man den Erfund der Ausgra-
bung von 1544, auf welchen, wie leicht zu erachten,
seit Tschudi, Stumpf und Münster sämmtliche Erzähler
der angeblichen Geschichte von dem Verbrechen der Her-
zogin von Zäringen hinweisen, auf sich beruhen lassen;
denn wenn auch, wie schon ein Jahrhundert vorher
aufgezeichnet wurde, die Kinder Berchtolds V. wirklich
in Solothurn begraben worden sind, so müssen darum
die Gebeine, die Münster sah und deren Beschreibung
dem von Tschudi angegebenen Altersverhältniß wi-
derspricht, noch nicht gerade die ihrigen gewesen seyn;
und auch das Haupt erfordert keine tragische Deutung,
da man das Mittel, das der „Rheinische Antiquarius“
aus den neunziger Jahren erzählt, nämlich, wenn der
Sarg um einen Fuß zu kurz war, den Todten um einen
Kopf kürzer zu machen, in den kindlichen Jahrhunder-
ten, von welchen die Rede ist, häufig angewendet hat.

Daß nun zwar die Solothurner Sage durch die ge-
schichtlichen Quellen widerlegt ist, haben wir gleich an-
fangs gesehen. Die Herzogin Clementia, zu welcher wir
jetzt zurückkehren, hat ein anderes Schicksal erlitten, als
das ihr von der Sage zugedachte. Jhr Gemahl hat sie
nicht enthaupten, noch hiren „Cörpel“ unter dem Galgen
[Ende Spaltensatz]

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[851/0011] 851 ist noch ein Stammbaum der Vohburger angehängt ) , weiß nichts davon; was bei einer so bedeutenden Ver- wandtschaft, wie mit dem Hause Zäringen, einer aus- drücklichen Verneinung der Frage gleich zu rechnen ist. Eben so wenig findet die Angabe bei den neueren bayerischen Geschichtschreibern Unterstützung. Hiemit scheint eine treffliche Gelegenheit verloren, eine deutsche Frau auf Kosten der beiden welschen Damen zu erhe- ben, deren eine dem Herzog untreu wurde und deren andere den, gerechten oder ungerechten, Vorwurf auf sich lud, ihm seine Kinder nicht am Leben erhalten zu haben. Möglich bleibt es indessen immer, daß eine Mechtild, wenn auch ihr Geschlecht unrichtig angegeben wird, die zweite Gemahlin des Herzogs und die Mut- ter seiner Kinder war; womit Tschudis Berichte von 1208—12 der Hauptsache nach in Einklang stehen würden. Nur ist hierüber nicht zu streiten. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 851. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/11>, abgerufen am 11.06.2024.