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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] verscharren lassen; denn sie hat noch siebzehn Jahre nach
seinem Tode gelebt. Wer hierin an der Sage festhal-
ten wollte, müßte annehmen, daß ihre Verwandten ihr
dieß nach 1235, dem kaiserlichen Spruche trotzend, an-
gethan haben; aber diese Annahme ermangelt jeden Be-
weises. Dennoch bietet die Behandlung, die der Her-
zogin von ihren Schwägern widerfahren ist, eine Seite
für die Anknüpfung der Sage dar. Ohne Zweifel hat
Graf Egeno von Urach, als er nach Berchtolds Tode
zugriff und den alemannischen Theil der Erbschaft in
Besitz nahm, mit dem Freiburger Schlosse zugleich die
Wittwe des Herzogs in seine Hände bekommen. Sie
scheint jedoch weniger ihm als seinem Schwager von
Kyburg im Wege gestanden zu haben, der den burgun-
dischen Theil erbte. Zu diesem gehörte nämlich die bei
Bern gelegene Stadt Burgdorf mit dem der Herzogin
als Leibgeding verschriebenen Schlosse. Auch Burgdorf
war ein zäringisches Zwingburgund; Berchtold V. gab
ihm eine Ringmauer und Stadtgerechtigkeit, nachdem
er über den burgundischen Adel einen Sieg errungen
hatte, den er an einem Thor daselbst durch eine in
Stein gehauene Jnschrift verewigen ließ. * Romanisch hieß
die Stadt nach seinem Namen Berthoud, deutsch Bur-
tolf. Die Burg daselbst aber war uralt und nach der Sage
von zwei Brüdern Sintram und Baltram, die einen
großen Drachen erschlagen hatten, erbaut. Dort also
würde Clementia, wie es scheint, der Absicht ihres
Gemahls gemäß, unter bürgerlichem Schutze gewohnt
haben, ein mächtiger Stein des Anstoßes für den Gra-
fen von Kyourg, der noch obendrein nach der her-
kömmlichen Weise der Zeit zu besorgen hatte, daß sich
Bewerber einfinden könnten, welche bereit wären, die
sämmtlichen Ansprüche der Wittwe zu erheirathen. Alles
dieß war abgeschnitten, wenn der Freiburger Schwager
sie in sicherem Gewahrsam hielt. Der Kyburger selbst
mußte vorsichtig zu Werke gehen, weil er den burgun-
dischen Adel, welchem ihr für sie thätiger Vater, Graf
Stephan, angehörte, zu schonen hatte. Wirklich findet
man auch im Jahr 1230, also zu der Zeit, da Cle-
mentia noch gefangen lag, den Grafen von Kyburg,
Herrn zu Burgdorf, mit den üchtländischen Grafen und
Landesherren wider die Berner verbunden, die sich dieser
Anfechtung wegen unter die Schirmherrschaft des Grafen
von Savoyen begeben mußten. Es wird somit als nahezu
erwiesen anzunehmen seyn, daß die beiden Schwäger ge-
gen Clementia zusammenhielten und für den Liebesdienst,
welchen der Uracher dem Kyburger leistete, sich mit
[Spaltenumbruch] einander abfanden. Daß sodann die Schwägerinnen
die Gesinnung ihrer Männer gegen die verlassene Wittwe
theilten, wird man für mehr als wahrscheinlich ansehen
dürfen. Um aber die Mißhandlung zu rechtfertigen,
werden sie es an Bezichten gegen die Gefangene nicht
haben fehlen lassen. Wenn nun die Kinder unter ih-
ren Händen weggestorben waren, wenn selbst ihr Ge-
mahl sein Lebensziel früher erreicht hatte, als es ihm
von der Natur gesteckt schien, so wird man ziemlich
sicher vermuthen können, welcher Art der Bezicht war,
der ihr, obgleich von lachenden Erben, aufgebürdet wurde;
und wenn sie nicht die wirkliche Mutter der Kinder,
sondern ihre Stiefmutter war, so mußte der Verdacht
nur um so leichter auch bei Andern Eingang finden.

Jn keinem Fall jedoch kann etwas Erweisbares
gegen die Herzogin vorgelegen haben; denn es ist, wie
wir sahen, kein Bezicht gegen sie in die beiden Rechts-
sprüche des Königs Heinrich und des Kaisers Friedrich
übergegangen; noch mehr, der Kaiser hat in seine Sen-
tenz die Anklage des Grafen Stephan von Burgund
gegen den Peiniger seiner Tochter wörtlich aufnehmen
lassen; er ließ es also zu, daß das Verfahren des Gra-
fen von Urach als ein "gewaltthätiges und nichtswür-
diges " bezeichnet wurde. Wohl aber mag der Bezicht,
wie es die Art der Verleumdung ist, im Stillen sich
verbreitet haben; ja selbst angenommen, daß Cle-
mentia nicht der Giftmischerei beschuldigt worden ist,
daß es gar an dem Gegenstande derselben, nämlich an
den in Frage stehenden Kindern des Herzogs Berch-
told, gefehlt hat, so muß doch jedenfalls in dem ale-
mannischen
Theile der zäringischen Herrschaft, welchem
Solothurn näher lag, die lange und schwere Haft, die
der oberste Richter des Landes über die Herzogin Wittwe
verhängte, bei den Menschen ein dauerndes Andenken an
die Burgunderin hinterlassen haben, ein Andenken, das,
bei der ohnehin vorhandenen Neigung der Sage, eine
Vergiftung und eine Stiefmutter zusammenzubringen,
ganz geeignet war, die burgundische Ueberlieferung von
dem Ausgange des Hauses Zäringen durch die solothur-
nische Zuthat zu vervollständigen.

Die Geschichte hat uns von Clementia von Zä-
ringen weder Gutes noch Böses hinterlassen; aber es
muß ihr gut geschrieben werden, daß sie lange Zeit,
vielleicht die längste ihres Lebens, eine freudenlose Dul-
derin war, und es ist des Bösen viel von ihr genom-
men, wenn die Sage, die sie, unter fremdem Namen
zwar, zur Mörderin ihrer Kinder machte, in Nichts
zerfällt. Denn dieses Ergebniß der Untersuchung
wird, auch wenn man zwischen 1208 und 1218 ein
kurzes Daseyn zweier Schößlinge des erlöschenden zärin-
gischen Stammes zugibt, als unzweifelhaft betrachtet
[Ende Spaltensatz]

* Sie lautete: Berchtoldus dux Zaringiae, qui vicit
Burgundiones, fecit hanc portam.

[Beginn Spaltensatz] verscharren lassen; denn sie hat noch siebzehn Jahre nach
seinem Tode gelebt. Wer hierin an der Sage festhal-
ten wollte, müßte annehmen, daß ihre Verwandten ihr
dieß nach 1235, dem kaiserlichen Spruche trotzend, an-
gethan haben; aber diese Annahme ermangelt jeden Be-
weises. Dennoch bietet die Behandlung, die der Her-
zogin von ihren Schwägern widerfahren ist, eine Seite
für die Anknüpfung der Sage dar. Ohne Zweifel hat
Graf Egeno von Urach, als er nach Berchtolds Tode
zugriff und den alemannischen Theil der Erbschaft in
Besitz nahm, mit dem Freiburger Schlosse zugleich die
Wittwe des Herzogs in seine Hände bekommen. Sie
scheint jedoch weniger ihm als seinem Schwager von
Kyburg im Wege gestanden zu haben, der den burgun-
dischen Theil erbte. Zu diesem gehörte nämlich die bei
Bern gelegene Stadt Burgdorf mit dem der Herzogin
als Leibgeding verschriebenen Schlosse. Auch Burgdorf
war ein zäringisches Zwingburgund; Berchtold V. gab
ihm eine Ringmauer und Stadtgerechtigkeit, nachdem
er über den burgundischen Adel einen Sieg errungen
hatte, den er an einem Thor daselbst durch eine in
Stein gehauene Jnschrift verewigen ließ. * Romanisch hieß
die Stadt nach seinem Namen Berthoud, deutsch Bur-
tolf. Die Burg daselbst aber war uralt und nach der Sage
von zwei Brüdern Sintram und Baltram, die einen
großen Drachen erschlagen hatten, erbaut. Dort also
würde Clementia, wie es scheint, der Absicht ihres
Gemahls gemäß, unter bürgerlichem Schutze gewohnt
haben, ein mächtiger Stein des Anstoßes für den Gra-
fen von Kyourg, der noch obendrein nach der her-
kömmlichen Weise der Zeit zu besorgen hatte, daß sich
Bewerber einfinden könnten, welche bereit wären, die
sämmtlichen Ansprüche der Wittwe zu erheirathen. Alles
dieß war abgeschnitten, wenn der Freiburger Schwager
sie in sicherem Gewahrsam hielt. Der Kyburger selbst
mußte vorsichtig zu Werke gehen, weil er den burgun-
dischen Adel, welchem ihr für sie thätiger Vater, Graf
Stephan, angehörte, zu schonen hatte. Wirklich findet
man auch im Jahr 1230, also zu der Zeit, da Cle-
mentia noch gefangen lag, den Grafen von Kyburg,
Herrn zu Burgdorf, mit den üchtländischen Grafen und
Landesherren wider die Berner verbunden, die sich dieser
Anfechtung wegen unter die Schirmherrschaft des Grafen
von Savoyen begeben mußten. Es wird somit als nahezu
erwiesen anzunehmen seyn, daß die beiden Schwäger ge-
gen Clementia zusammenhielten und für den Liebesdienst,
welchen der Uracher dem Kyburger leistete, sich mit
[Spaltenumbruch] einander abfanden. Daß sodann die Schwägerinnen
die Gesinnung ihrer Männer gegen die verlassene Wittwe
theilten, wird man für mehr als wahrscheinlich ansehen
dürfen. Um aber die Mißhandlung zu rechtfertigen,
werden sie es an Bezichten gegen die Gefangene nicht
haben fehlen lassen. Wenn nun die Kinder unter ih-
ren Händen weggestorben waren, wenn selbst ihr Ge-
mahl sein Lebensziel früher erreicht hatte, als es ihm
von der Natur gesteckt schien, so wird man ziemlich
sicher vermuthen können, welcher Art der Bezicht war,
der ihr, obgleich von lachenden Erben, aufgebürdet wurde;
und wenn sie nicht die wirkliche Mutter der Kinder,
sondern ihre Stiefmutter war, so mußte der Verdacht
nur um so leichter auch bei Andern Eingang finden.

Jn keinem Fall jedoch kann etwas Erweisbares
gegen die Herzogin vorgelegen haben; denn es ist, wie
wir sahen, kein Bezicht gegen sie in die beiden Rechts-
sprüche des Königs Heinrich und des Kaisers Friedrich
übergegangen; noch mehr, der Kaiser hat in seine Sen-
tenz die Anklage des Grafen Stephan von Burgund
gegen den Peiniger seiner Tochter wörtlich aufnehmen
lassen; er ließ es also zu, daß das Verfahren des Gra-
fen von Urach als ein „gewaltthätiges und nichtswür-
diges “ bezeichnet wurde. Wohl aber mag der Bezicht,
wie es die Art der Verleumdung ist, im Stillen sich
verbreitet haben; ja selbst angenommen, daß Cle-
mentia nicht der Giftmischerei beschuldigt worden ist,
daß es gar an dem Gegenstande derselben, nämlich an
den in Frage stehenden Kindern des Herzogs Berch-
told, gefehlt hat, so muß doch jedenfalls in dem ale-
mannischen
Theile der zäringischen Herrschaft, welchem
Solothurn näher lag, die lange und schwere Haft, die
der oberste Richter des Landes über die Herzogin Wittwe
verhängte, bei den Menschen ein dauerndes Andenken an
die Burgunderin hinterlassen haben, ein Andenken, das,
bei der ohnehin vorhandenen Neigung der Sage, eine
Vergiftung und eine Stiefmutter zusammenzubringen,
ganz geeignet war, die burgundische Ueberlieferung von
dem Ausgange des Hauses Zäringen durch die solothur-
nische Zuthat zu vervollständigen.

Die Geschichte hat uns von Clementia von Zä-
ringen weder Gutes noch Böses hinterlassen; aber es
muß ihr gut geschrieben werden, daß sie lange Zeit,
vielleicht die längste ihres Lebens, eine freudenlose Dul-
derin war, und es ist des Bösen viel von ihr genom-
men, wenn die Sage, die sie, unter fremdem Namen
zwar, zur Mörderin ihrer Kinder machte, in Nichts
zerfällt. Denn dieses Ergebniß der Untersuchung
wird, auch wenn man zwischen 1208 und 1218 ein
kurzes Daseyn zweier Schößlinge des erlöschenden zärin-
gischen Stammes zugibt, als unzweifelhaft betrachtet
[Ende Spaltensatz]

* Sie lautete: Berchtoldus dux Zaringiae, qui vicit
Burgundiones, fecit hanc portam.
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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 852. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/12>, abgerufen am 21.11.2024.