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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Beispiel Bettina für ihr Goethedenkmal verwendet hat;
im zweiten fordern wir den Anschluß an die Tracht
der Zeit, und wollen wir und soll die Nachwelt den
Mann erblicken, wie er der Mitwelt erschien. Denn
auch für die Art des geistigen Wirkens ist die äußere
Erscheinungsform der Persönlichkeit nicht gleichgültig,
und ein Dichter im Frack ist ein anderer als der im
Kaftan. Da gilt es denn für die frühere Zeit der
Nationaltracht das möglichst Plastische abzugewinnen,
das in ihr Charakteristische so zu behandeln, wie es
den Gesetzen der Gewandung am gemäßesten erscheint.
So verfuhren schon die Griechen, und der Künstler-
mantel eines Raphael oder Dürer ist von Schwan-
thaler sinnvoll und schön behandelt worden, ähnlich
wie manches Mittelalterliche. Die anschließenden Bein-
kleider, das knappe Wams jener Zeit können leicht
so wiedergegeben werden, daß durch gewölbte Flächen
und eingefurchte Falten das Muskelspiel des Körpers
nicht verborgen, sondern in seinen großen Zügen noch
verstärkt wird. Der Ueberwurf des Mantels zeigt
dann in größerer Freiheit daneben das Architektonische
und der eigenen Schwere Dahingegebene, in welchem
die allgemeine Grundstimmung der Gestalt eben so wie-
dertönen kann, als er ihr zugleich zum umgrenzen-
zenden, ihre Totalität hervorhebenden Rahmen dient.
Selbst den Panzer kann der Bildhauer so behandeln,
daß in ihm der kriegerische Geist als der seinen Leib
selber fest machende und sich in Erz rüstende gefühlt
wird.

Treten wir aus den Tagen der Nationaltracht in
die Jahrhunderte der durch die civilisirte Welt verbrei-
teten wechselnden Moden, so wäre der Bildhauer frei-
lich übel daran, wenn er sich an die zufälligen Ge-
schmacklosigkeiten einzelner Jahre halten müßte. Allein
gerade hier ist seine Aufgabe wieder die Läuterung
und Reinigung der Erscheinungswelt. Für die Gene-
rationen, für ganze oder halbe Jahrhunderte liegt in-
nerhalb der einzelnen kleinen Veränderungen etwas
Bleibendes, dessen Bild eben in dem beständigen Wech-
sel gesucht wird, weil es dem freilich sein selbst hierin
nicht bewußten Geist der Zeit gemäß ist, und in den
bunten Modefarben bricht sich das einfache Licht der
Sitte. Dieß hat der Künstler herauszufinden, der sei-
nen Helden nicht abbilden soll, wie er an einem ge-
wissen Tag gerade angezogen war, sondern wie er die
eigene Jndividualität in der äußern Weise seines Jahr-
hunderts verwirklichte. Das Friedrichsdenkmal von
Rauch und Rietschels Lessing, so wie mehrere Krieger-
statuen des Erstgenannten und Thorwaldsens Byron
haben hier glücklich den rechten Weg eingeschlagen.
Dabei auf den Mantel verzichten wollen, den wir ja
[Spaltenumbruch] tragen, weil in seine conventionellen Falten sich doch
die Langeweile der Unproductivität gering begabter Bild-
hauer nicht verhüllt, hieße in der Poesie den Vers
verbannen, weil schlechte Reimer vergeblich in ihm das
Wesen der Poesie gesucht. Ein Streit, wie Schiller
und Goethe zu bilden seyen, ist nur durch die doppelte
That zu schlichten, wie es glücklicherweise auch ge-
schieht. Sie waren auf das Jdeale gerichtete Naturen,
sie traten die Erbschaft des Griechenthums für die
christlich germanische Welt völlig an, ihr Geist bewegte
sich in antiken Formen, und das ideale Gewand des
Alterthums darf darum auch ihr Leib tragen. Anderer-
seits waren sie Deutsche und Söhne des achtzehnten
Jahrhunderts, in volksthümlicher Größe die Banner-
träger der gegenwärtigen Bildung, und somit ist die
Forderung berechtigt, die in ihrer Erscheinung den Aus-
druck unserer Sitte und unseres Lebens nicht entbehren
will. Nur daß der Künstler es verstehe, diesen in sei-
nem wesenhaften Charakter zu ergründen, und nach
dem Begriff der Plastik, nach dem Gesetz der Schön-
heit darzustellen. Denn sonst würde man an den Aus-
spruch erinnert, den Goethe that, als er einmal eine
seiner Büsten sah, angethan mit einer Weste, in die
er die Hand gesteckt hatte: "So würde ich mich schä-
men vor meinem Herzog dazustehen, geschweige vor
Welt und Nachwelt." Vor der Statue muß uns das
Gefühl der Gegenwart und der Ewigkeit des Abgebil-
deten ergreifen.

Schließlich können wir hier noch der Attribute
Erwähnung thun. Sie mochten ursprünglich ein Bei-
werk seyn, welches auf eine symbolische Weise die
Gestalt kenntlich machte, deren objektives, allgemein
gültiges Jdeal noch nicht gefunden, die noch nicht durch
ihre eigenen Formen deutlich genug bezeichnet war. So
waren Adler, Pfau, Eule gleich einer Jnschrift neben
Zeus, Juno, Minerva. Auch die vollendete Kunst hat
Attribute beibehalten, sie dann aber organisch mit der
Composition des Ganzen und mit der Gestalt in der
Art verknüpft, daß sie durch die Situation derselben
bedingt erscheinen. Apollon, der siegreiche Kämpfer,
hat den Bogen, der Musenführer die Leyer nicht so-
wohl als äußerliches Beiwerk, denn als das Mittel
seiner Thätigkeit, seiner Wesensoffenbarung. Der Mensch
webt ja nicht bloß Stoffe der Natur zu seinem Ge-
wand, er bereitet sich auch Werkzeuge zur Vollfüh-
rung seines Willens, und je zweckmäßiger sie gebaut
sind, desto mehr zeigt sich der Wille und sein Voll-
bringen in ihnen. Zeus führt den Stab der Macht,
Pallas Athene die Lanze, Poseidon den Dreizack, Bac-
chus den Thyrsus, und die Art, wie sie solche schwin-
gen oder sich daran anlehnen, macht diese Attribute zu
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Beispiel Bettina für ihr Goethedenkmal verwendet hat;
im zweiten fordern wir den Anschluß an die Tracht
der Zeit, und wollen wir und soll die Nachwelt den
Mann erblicken, wie er der Mitwelt erschien. Denn
auch für die Art des geistigen Wirkens ist die äußere
Erscheinungsform der Persönlichkeit nicht gleichgültig,
und ein Dichter im Frack ist ein anderer als der im
Kaftan. Da gilt es denn für die frühere Zeit der
Nationaltracht das möglichst Plastische abzugewinnen,
das in ihr Charakteristische so zu behandeln, wie es
den Gesetzen der Gewandung am gemäßesten erscheint.
So verfuhren schon die Griechen, und der Künstler-
mantel eines Raphael oder Dürer ist von Schwan-
thaler sinnvoll und schön behandelt worden, ähnlich
wie manches Mittelalterliche. Die anschließenden Bein-
kleider, das knappe Wams jener Zeit können leicht
so wiedergegeben werden, daß durch gewölbte Flächen
und eingefurchte Falten das Muskelspiel des Körpers
nicht verborgen, sondern in seinen großen Zügen noch
verstärkt wird. Der Ueberwurf des Mantels zeigt
dann in größerer Freiheit daneben das Architektonische
und der eigenen Schwere Dahingegebene, in welchem
die allgemeine Grundstimmung der Gestalt eben so wie-
dertönen kann, als er ihr zugleich zum umgrenzen-
zenden, ihre Totalität hervorhebenden Rahmen dient.
Selbst den Panzer kann der Bildhauer so behandeln,
daß in ihm der kriegerische Geist als der seinen Leib
selber fest machende und sich in Erz rüstende gefühlt
wird.

Treten wir aus den Tagen der Nationaltracht in
die Jahrhunderte der durch die civilisirte Welt verbrei-
teten wechselnden Moden, so wäre der Bildhauer frei-
lich übel daran, wenn er sich an die zufälligen Ge-
schmacklosigkeiten einzelner Jahre halten müßte. Allein
gerade hier ist seine Aufgabe wieder die Läuterung
und Reinigung der Erscheinungswelt. Für die Gene-
rationen, für ganze oder halbe Jahrhunderte liegt in-
nerhalb der einzelnen kleinen Veränderungen etwas
Bleibendes, dessen Bild eben in dem beständigen Wech-
sel gesucht wird, weil es dem freilich sein selbst hierin
nicht bewußten Geist der Zeit gemäß ist, und in den
bunten Modefarben bricht sich das einfache Licht der
Sitte. Dieß hat der Künstler herauszufinden, der sei-
nen Helden nicht abbilden soll, wie er an einem ge-
wissen Tag gerade angezogen war, sondern wie er die
eigene Jndividualität in der äußern Weise seines Jahr-
hunderts verwirklichte. Das Friedrichsdenkmal von
Rauch und Rietschels Lessing, so wie mehrere Krieger-
statuen des Erstgenannten und Thorwaldsens Byron
haben hier glücklich den rechten Weg eingeschlagen.
Dabei auf den Mantel verzichten wollen, den wir ja
[Spaltenumbruch] tragen, weil in seine conventionellen Falten sich doch
die Langeweile der Unproductivität gering begabter Bild-
hauer nicht verhüllt, hieße in der Poesie den Vers
verbannen, weil schlechte Reimer vergeblich in ihm das
Wesen der Poesie gesucht. Ein Streit, wie Schiller
und Goethe zu bilden seyen, ist nur durch die doppelte
That zu schlichten, wie es glücklicherweise auch ge-
schieht. Sie waren auf das Jdeale gerichtete Naturen,
sie traten die Erbschaft des Griechenthums für die
christlich germanische Welt völlig an, ihr Geist bewegte
sich in antiken Formen, und das ideale Gewand des
Alterthums darf darum auch ihr Leib tragen. Anderer-
seits waren sie Deutsche und Söhne des achtzehnten
Jahrhunderts, in volksthümlicher Größe die Banner-
träger der gegenwärtigen Bildung, und somit ist die
Forderung berechtigt, die in ihrer Erscheinung den Aus-
druck unserer Sitte und unseres Lebens nicht entbehren
will. Nur daß der Künstler es verstehe, diesen in sei-
nem wesenhaften Charakter zu ergründen, und nach
dem Begriff der Plastik, nach dem Gesetz der Schön-
heit darzustellen. Denn sonst würde man an den Aus-
spruch erinnert, den Goethe that, als er einmal eine
seiner Büsten sah, angethan mit einer Weste, in die
er die Hand gesteckt hatte: „So würde ich mich schä-
men vor meinem Herzog dazustehen, geschweige vor
Welt und Nachwelt.“ Vor der Statue muß uns das
Gefühl der Gegenwart und der Ewigkeit des Abgebil-
deten ergreifen.

Schließlich können wir hier noch der Attribute
Erwähnung thun. Sie mochten ursprünglich ein Bei-
werk seyn, welches auf eine symbolische Weise die
Gestalt kenntlich machte, deren objektives, allgemein
gültiges Jdeal noch nicht gefunden, die noch nicht durch
ihre eigenen Formen deutlich genug bezeichnet war. So
waren Adler, Pfau, Eule gleich einer Jnschrift neben
Zeus, Juno, Minerva. Auch die vollendete Kunst hat
Attribute beibehalten, sie dann aber organisch mit der
Composition des Ganzen und mit der Gestalt in der
Art verknüpft, daß sie durch die Situation derselben
bedingt erscheinen. Apollon, der siegreiche Kämpfer,
hat den Bogen, der Musenführer die Leyer nicht so-
wohl als äußerliches Beiwerk, denn als das Mittel
seiner Thätigkeit, seiner Wesensoffenbarung. Der Mensch
webt ja nicht bloß Stoffe der Natur zu seinem Ge-
wand, er bereitet sich auch Werkzeuge zur Vollfüh-
rung seines Willens, und je zweckmäßiger sie gebaut
sind, desto mehr zeigt sich der Wille und sein Voll-
bringen in ihnen. Zeus führt den Stab der Macht,
Pallas Athene die Lanze, Poseidon den Dreizack, Bac-
chus den Thyrsus, und die Art, wie sie solche schwin-
gen oder sich daran anlehnen, macht diese Attribute zu
[Ende Spaltensatz]

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Die anschließenden Bein- kleider, das knappe Wams jener Zeit können leicht so wiedergegeben werden, daß durch gewölbte Flächen und eingefurchte Falten das Muskelspiel des Körpers nicht verborgen, sondern in seinen großen Zügen noch verstärkt wird. Der Ueberwurf des Mantels zeigt dann in größerer Freiheit daneben das Architektonische und der eigenen Schwere Dahingegebene, in welchem die allgemeine Grundstimmung der Gestalt eben so wie- dertönen kann, als er ihr zugleich zum umgrenzen- zenden, ihre Totalität hervorhebenden Rahmen dient. Selbst den Panzer kann der Bildhauer so behandeln, daß in ihm der kriegerische Geist als der seinen Leib selber fest machende und sich in Erz rüstende gefühlt wird. Treten wir aus den Tagen der Nationaltracht in die Jahrhunderte der durch die civilisirte Welt verbrei- teten wechselnden Moden, so wäre der Bildhauer frei- lich übel daran, wenn er sich an die zufälligen Ge- schmacklosigkeiten einzelner Jahre halten müßte. Allein gerade hier ist seine Aufgabe wieder die Läuterung und Reinigung der Erscheinungswelt. Für die Gene- rationen, für ganze oder halbe Jahrhunderte liegt in- nerhalb der einzelnen kleinen Veränderungen etwas Bleibendes, dessen Bild eben in dem beständigen Wech- sel gesucht wird, weil es dem freilich sein selbst hierin nicht bewußten Geist der Zeit gemäß ist, und in den bunten Modefarben bricht sich das einfache Licht der Sitte. Dieß hat der Künstler herauszufinden, der sei- nen Helden nicht abbilden soll, wie er an einem ge- wissen Tag gerade angezogen war, sondern wie er die eigene Jndividualität in der äußern Weise seines Jahr- hunderts verwirklichte. Das Friedrichsdenkmal von Rauch und Rietschels Lessing, so wie mehrere Krieger- statuen des Erstgenannten und Thorwaldsens Byron haben hier glücklich den rechten Weg eingeschlagen. Dabei auf den Mantel verzichten wollen, den wir ja tragen, weil in seine conventionellen Falten sich doch die Langeweile der Unproductivität gering begabter Bild- hauer nicht verhüllt, hieße in der Poesie den Vers verbannen, weil schlechte Reimer vergeblich in ihm das Wesen der Poesie gesucht. Ein Streit, wie Schiller und Goethe zu bilden seyen, ist nur durch die doppelte That zu schlichten, wie es glücklicherweise auch ge- schieht. Sie waren auf das Jdeale gerichtete Naturen, sie traten die Erbschaft des Griechenthums für die christlich germanische Welt völlig an, ihr Geist bewegte sich in antiken Formen, und das ideale Gewand des Alterthums darf darum auch ihr Leib tragen. Anderer- seits waren sie Deutsche und Söhne des achtzehnten Jahrhunderts, in volksthümlicher Größe die Banner- träger der gegenwärtigen Bildung, und somit ist die Forderung berechtigt, die in ihrer Erscheinung den Aus- druck unserer Sitte und unseres Lebens nicht entbehren will. Nur daß der Künstler es verstehe, diesen in sei- nem wesenhaften Charakter zu ergründen, und nach dem Begriff der Plastik, nach dem Gesetz der Schön- heit darzustellen. Denn sonst würde man an den Aus- spruch erinnert, den Goethe that, als er einmal eine seiner Büsten sah, angethan mit einer Weste, in die er die Hand gesteckt hatte: „So würde ich mich schä- men vor meinem Herzog dazustehen, geschweige vor Welt und Nachwelt.“ Vor der Statue muß uns das Gefühl der Gegenwart und der Ewigkeit des Abgebil- deten ergreifen. Schließlich können wir hier noch der Attribute Erwähnung thun. Sie mochten ursprünglich ein Bei- werk seyn, welches auf eine symbolische Weise die Gestalt kenntlich machte, deren objektives, allgemein gültiges Jdeal noch nicht gefunden, die noch nicht durch ihre eigenen Formen deutlich genug bezeichnet war. So waren Adler, Pfau, Eule gleich einer Jnschrift neben Zeus, Juno, Minerva. Auch die vollendete Kunst hat Attribute beibehalten, sie dann aber organisch mit der Composition des Ganzen und mit der Gestalt in der Art verknüpft, daß sie durch die Situation derselben bedingt erscheinen. Apollon, der siegreiche Kämpfer, hat den Bogen, der Musenführer die Leyer nicht so- wohl als äußerliches Beiwerk, denn als das Mittel seiner Thätigkeit, seiner Wesensoffenbarung. Der Mensch webt ja nicht bloß Stoffe der Natur zu seinem Ge- wand, er bereitet sich auch Werkzeuge zur Vollfüh- rung seines Willens, und je zweckmäßiger sie gebaut sind, desto mehr zeigt sich der Wille und sein Voll- bringen in ihnen. Zeus führt den Stab der Macht, Pallas Athene die Lanze, Poseidon den Dreizack, Bac- chus den Thyrsus, und die Art, wie sie solche schwin- gen oder sich daran anlehnen, macht diese Attribute zu

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 855. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/15>, abgerufen am 24.11.2024.