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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] einem organischen Bestandstücke der Composition. Aber
noch weniger als das Gewand darf das Attribut die
Gestalt beschweren oder verdecken. Die Künstler be-
gnügen sich deßhalb auch wohl mit seiner Andeutung.
Der Belvederische Apollo hat nur ein kleines Stück des
Bogens, nicht den ganzen in seiner Linken; der Helm
auf dem Haupte des Kriegsgottes, oder des Achilleus,
oder der äginetischen Streiter bezeichnet den schlacht-
gerüsteten Helden, während sonst die nackte Gestalt den
kampfgestählten Leib in seiner Jugendfrische vor unsern
[Spaltenumbruch] Augen enthüllt. Schwerlich hat die melische Aphrodite
mit der breiten Fläche des Aresschildes ihren schönen
Oberkörper bedeckt; es mochten kleine Theile des Schild-
randes in ihren Händen genügen und die Lage des
Ganzen angeben. Den Sieger schmückt sein Kranz, den
bildenden Künstler kann das Modell eines seiner Werke,
den Musiker und Dichter die Leyer oder die Rolle, die
Schreibtafel und der Griffel als Werkzeug seiner eigen-
thümlichen Thätigkeit bezeichnen.

[Ende Spaltensatz]



Korrespondenz-Nachrichten.
Aus Mitteldeutschland, August.
( Schluß. )

Von Magdeburg nach Leipzig

[Beginn Spaltensatz]

Jmmer zwischen Rüben dampfen wir nun an den drei
fast zusammenhängenden kleinen Städten Schönebeck, Frohse
und Salza und an des letzteren großen Salinen vorüber.
Salza ist ein starkes Soolbad, aber welch traurige Noth-
wendigkeit, in dieser Gegend sich Genesung zu suchen! --
Die Herrnhuter Colonie Gnadau, die wir nun berühren,
mit ihren Erziehungsanstalten, Pastoralconferenzen und
feinen Weißbäckereien erscheint als eine fromme Oase in
der rationalistischen -- Wüste nun eben nicht, denn sie ist
sehr fruchtbar, aber Ebene. Bei Kalbe uberschreiten wir
die Saale, die unfern von hier, nächst Barby, in die Elbe
geht, und deren Thaleinschnitt westlich von uns liegen
bleibt. Da heutzutage gewöhnlich nur die Gegenden be-
kannt werden, durch welche eine Eisenbahn führt, so ist
es schade, daß dieses untere Saalthal von Halle bis Bern-
burg von dieser nicht berührt wird; denn vorüber an den
blauen Porphyrfelsen, Giebichenstein gegenüber, vorüber
an Wettin mit seinem plötzlichen Peterberge und der dar-
auf fast vollendeten alten fächsischen Schloßkapelle, vorbei
an Rothenburg und Könnern, bietet es die einzigen wenig
besuchten hübschen Punkte dieser schönheitsbaren Gegend.

Jch überspringe Köthen, da ich mir vorgenommen
habe, einmal einen besondern Brief aus dem Garten von
Dessau zu schreiben, dem sich jenes jetzt eingefügt hat.
Wir machen Halt in Halle, der alten Nebenbuhlerin Wit-
tenbergs. Wir stehen auf der Burg über dem Thale und
schauen in's Land hinein: Das ist die alte Saale, das ist
der Giebichenstein! "Wie können Sie mir zumuthen, in
einem Orte zu leben, in welchem die ersten Bedürfnisse
[Spaltenumbruch] des Menschen, Luft und Wasser, denselben vergiften!"
sagte einmal unwillig ein alter militärischer Pensionär,
dem man Halle als Wohnort vorgeschlagen hatte. Und
der Mann hatte recht; auf keinem Punkte des Continents
hat bekanntlich die Cholera verhältnißmäßig so arg ge-
wüthet wie in den Städten und Kreisen Halle und Skeuditz,
den Typhus noch ungerechnet, der häufig dort grassirt,
und es bleibt ein physiologisches Räthsel, wie der unheim-
liche Dämon der Cholera immer so plötzlich an der könig-
lich sächsischen Grenze Halt machen konnte. Die Krankheit
ist oftmals, besonders im Gedränge der Herbstmessen, nach
Leipzig geschleppt worden, ohne sich weder dort noch an
einer andern Stelle des Königreichs Sachsen zur Epidemie
auszubreiten. Und doch liegt Leipzig noch tiefer und ebener
als Halle, wird von Flüßchen durchschnitten, die noch träger
schleichen als die Saale dort, ist eine eng, hoch und von
Stein gebaute Stadt, und der größere Wohlstand, die
umfassendere Sorge für die Armen können allein diese
wohlthätige Befreiung schwerlich erklären. Was ist nun
der Grund davon?

Aber ungeachtet des mangelnden reinen Quellwassers
in Halle, seines schweren Kohlen= und Torfdunstes, seiner
dunkeln, winkeligen Straßen, seines zahlreichen Proleta-
riats, seiner Krankheiten, seiner weichlichen gedehnten
Mundart, der widerlichsten, die ich in Deutschland kenne,
und die einem Menschen, der Luft, Wasser und Schmutz
glücklich überwunden hätte, noch übel machen müßte, ja
trotz seines "juten jraßjrünen Jurkensalats und juten
Jänsebratens, die eine jute Gabe unseres juten, jnädigen
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] einem organischen Bestandstücke der Composition. Aber
noch weniger als das Gewand darf das Attribut die
Gestalt beschweren oder verdecken. Die Künstler be-
gnügen sich deßhalb auch wohl mit seiner Andeutung.
Der Belvederische Apollo hat nur ein kleines Stück des
Bogens, nicht den ganzen in seiner Linken; der Helm
auf dem Haupte des Kriegsgottes, oder des Achilleus,
oder der äginetischen Streiter bezeichnet den schlacht-
gerüsteten Helden, während sonst die nackte Gestalt den
kampfgestählten Leib in seiner Jugendfrische vor unsern
[Spaltenumbruch] Augen enthüllt. Schwerlich hat die melische Aphrodite
mit der breiten Fläche des Aresschildes ihren schönen
Oberkörper bedeckt; es mochten kleine Theile des Schild-
randes in ihren Händen genügen und die Lage des
Ganzen angeben. Den Sieger schmückt sein Kranz, den
bildenden Künstler kann das Modell eines seiner Werke,
den Musiker und Dichter die Leyer oder die Rolle, die
Schreibtafel und der Griffel als Werkzeug seiner eigen-
thümlichen Thätigkeit bezeichnen.

[Ende Spaltensatz]



Korrespondenz-Nachrichten.
Aus Mitteldeutschland, August.
( Schluß. )

Von Magdeburg nach Leipzig

[Beginn Spaltensatz]

Jmmer zwischen Rüben dampfen wir nun an den drei
fast zusammenhängenden kleinen Städten Schönebeck, Frohse
und Salza und an des letzteren großen Salinen vorüber.
Salza ist ein starkes Soolbad, aber welch traurige Noth-
wendigkeit, in dieser Gegend sich Genesung zu suchen! —
Die Herrnhuter Colonie Gnadau, die wir nun berühren,
mit ihren Erziehungsanstalten, Pastoralconferenzen und
feinen Weißbäckereien erscheint als eine fromme Oase in
der rationalistischen — Wüste nun eben nicht, denn sie ist
sehr fruchtbar, aber Ebene. Bei Kalbe uberschreiten wir
die Saale, die unfern von hier, nächst Barby, in die Elbe
geht, und deren Thaleinschnitt westlich von uns liegen
bleibt. Da heutzutage gewöhnlich nur die Gegenden be-
kannt werden, durch welche eine Eisenbahn führt, so ist
es schade, daß dieses untere Saalthal von Halle bis Bern-
burg von dieser nicht berührt wird; denn vorüber an den
blauen Porphyrfelsen, Giebichenstein gegenüber, vorüber
an Wettin mit seinem plötzlichen Peterberge und der dar-
auf fast vollendeten alten fächsischen Schloßkapelle, vorbei
an Rothenburg und Könnern, bietet es die einzigen wenig
besuchten hübschen Punkte dieser schönheitsbaren Gegend.

Jch überspringe Köthen, da ich mir vorgenommen
habe, einmal einen besondern Brief aus dem Garten von
Dessau zu schreiben, dem sich jenes jetzt eingefügt hat.
Wir machen Halt in Halle, der alten Nebenbuhlerin Wit-
tenbergs. Wir stehen auf der Burg über dem Thale und
schauen in's Land hinein: Das ist die alte Saale, das ist
der Giebichenstein! „Wie können Sie mir zumuthen, in
einem Orte zu leben, in welchem die ersten Bedürfnisse
[Spaltenumbruch] des Menschen, Luft und Wasser, denselben vergiften!“
sagte einmal unwillig ein alter militärischer Pensionär,
dem man Halle als Wohnort vorgeschlagen hatte. Und
der Mann hatte recht; auf keinem Punkte des Continents
hat bekanntlich die Cholera verhältnißmäßig so arg ge-
wüthet wie in den Städten und Kreisen Halle und Skeuditz,
den Typhus noch ungerechnet, der häufig dort grassirt,
und es bleibt ein physiologisches Räthsel, wie der unheim-
liche Dämon der Cholera immer so plötzlich an der könig-
lich sächsischen Grenze Halt machen konnte. Die Krankheit
ist oftmals, besonders im Gedränge der Herbstmessen, nach
Leipzig geschleppt worden, ohne sich weder dort noch an
einer andern Stelle des Königreichs Sachsen zur Epidemie
auszubreiten. Und doch liegt Leipzig noch tiefer und ebener
als Halle, wird von Flüßchen durchschnitten, die noch träger
schleichen als die Saale dort, ist eine eng, hoch und von
Stein gebaute Stadt, und der größere Wohlstand, die
umfassendere Sorge für die Armen können allein diese
wohlthätige Befreiung schwerlich erklären. Was ist nun
der Grund davon?

Aber ungeachtet des mangelnden reinen Quellwassers
in Halle, seines schweren Kohlen= und Torfdunstes, seiner
dunkeln, winkeligen Straßen, seines zahlreichen Proleta-
riats, seiner Krankheiten, seiner weichlichen gedehnten
Mundart, der widerlichsten, die ich in Deutschland kenne,
und die einem Menschen, der Luft, Wasser und Schmutz
glücklich überwunden hätte, noch übel machen müßte, ja
trotz seines „juten jraßjrünen Jurkensalats und juten
Jänsebratens, die eine jute Gabe unseres juten, jnädigen
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[856/0016] 856 einem organischen Bestandstücke der Composition. Aber noch weniger als das Gewand darf das Attribut die Gestalt beschweren oder verdecken. Die Künstler be- gnügen sich deßhalb auch wohl mit seiner Andeutung. Der Belvederische Apollo hat nur ein kleines Stück des Bogens, nicht den ganzen in seiner Linken; der Helm auf dem Haupte des Kriegsgottes, oder des Achilleus, oder der äginetischen Streiter bezeichnet den schlacht- gerüsteten Helden, während sonst die nackte Gestalt den kampfgestählten Leib in seiner Jugendfrische vor unsern Augen enthüllt. Schwerlich hat die melische Aphrodite mit der breiten Fläche des Aresschildes ihren schönen Oberkörper bedeckt; es mochten kleine Theile des Schild- randes in ihren Händen genügen und die Lage des Ganzen angeben. Den Sieger schmückt sein Kranz, den bildenden Künstler kann das Modell eines seiner Werke, den Musiker und Dichter die Leyer oder die Rolle, die Schreibtafel und der Griffel als Werkzeug seiner eigen- thümlichen Thätigkeit bezeichnen. Korrespondenz-Nachrichten. Aus Mitteldeutschland, August. ( Schluß. ) Von Magdeburg nach Leipzig Jmmer zwischen Rüben dampfen wir nun an den drei fast zusammenhängenden kleinen Städten Schönebeck, Frohse und Salza und an des letzteren großen Salinen vorüber. Salza ist ein starkes Soolbad, aber welch traurige Noth- wendigkeit, in dieser Gegend sich Genesung zu suchen! — Die Herrnhuter Colonie Gnadau, die wir nun berühren, mit ihren Erziehungsanstalten, Pastoralconferenzen und feinen Weißbäckereien erscheint als eine fromme Oase in der rationalistischen — Wüste nun eben nicht, denn sie ist sehr fruchtbar, aber Ebene. Bei Kalbe uberschreiten wir die Saale, die unfern von hier, nächst Barby, in die Elbe geht, und deren Thaleinschnitt westlich von uns liegen bleibt. Da heutzutage gewöhnlich nur die Gegenden be- kannt werden, durch welche eine Eisenbahn führt, so ist es schade, daß dieses untere Saalthal von Halle bis Bern- burg von dieser nicht berührt wird; denn vorüber an den blauen Porphyrfelsen, Giebichenstein gegenüber, vorüber an Wettin mit seinem plötzlichen Peterberge und der dar- auf fast vollendeten alten fächsischen Schloßkapelle, vorbei an Rothenburg und Könnern, bietet es die einzigen wenig besuchten hübschen Punkte dieser schönheitsbaren Gegend. Jch überspringe Köthen, da ich mir vorgenommen habe, einmal einen besondern Brief aus dem Garten von Dessau zu schreiben, dem sich jenes jetzt eingefügt hat. Wir machen Halt in Halle, der alten Nebenbuhlerin Wit- tenbergs. Wir stehen auf der Burg über dem Thale und schauen in's Land hinein: Das ist die alte Saale, das ist der Giebichenstein! „Wie können Sie mir zumuthen, in einem Orte zu leben, in welchem die ersten Bedürfnisse des Menschen, Luft und Wasser, denselben vergiften!“ sagte einmal unwillig ein alter militärischer Pensionär, dem man Halle als Wohnort vorgeschlagen hatte. Und der Mann hatte recht; auf keinem Punkte des Continents hat bekanntlich die Cholera verhältnißmäßig so arg ge- wüthet wie in den Städten und Kreisen Halle und Skeuditz, den Typhus noch ungerechnet, der häufig dort grassirt, und es bleibt ein physiologisches Räthsel, wie der unheim- liche Dämon der Cholera immer so plötzlich an der könig- lich sächsischen Grenze Halt machen konnte. Die Krankheit ist oftmals, besonders im Gedränge der Herbstmessen, nach Leipzig geschleppt worden, ohne sich weder dort noch an einer andern Stelle des Königreichs Sachsen zur Epidemie auszubreiten. Und doch liegt Leipzig noch tiefer und ebener als Halle, wird von Flüßchen durchschnitten, die noch träger schleichen als die Saale dort, ist eine eng, hoch und von Stein gebaute Stadt, und der größere Wohlstand, die umfassendere Sorge für die Armen können allein diese wohlthätige Befreiung schwerlich erklären. Was ist nun der Grund davon? Aber ungeachtet des mangelnden reinen Quellwassers in Halle, seines schweren Kohlen= und Torfdunstes, seiner dunkeln, winkeligen Straßen, seines zahlreichen Proleta- riats, seiner Krankheiten, seiner weichlichen gedehnten Mundart, der widerlichsten, die ich in Deutschland kenne, und die einem Menschen, der Luft, Wasser und Schmutz glücklich überwunden hätte, noch übel machen müßte, ja trotz seines „juten jraßjrünen Jurkensalats und juten Jänsebratens, die eine jute Gabe unseres juten, jnädigen

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 856. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/16>, abgerufen am 21.11.2024.