Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] jene Stätten in Mannheim nicht als unebenbürtig bei-
seite lassen.

Mir ist es jetzt vorzugsweise um das Schillerhaus
in dem pfälzischen Städtchen Oggersheim zu thun, be-
züglich dessen ich dem Verfasser einen Jrrthum nachzuwei-
sen mich verpflichtet fühle. Nicht als wollte ich ihm einen
gewichtigen Vorwurf daraus machen, daß er ein Haus
für das dortige Schillerhaus erklärt und als solches be-
schreibt, das es in der That nicht ist; ich will um so
mehr ohne Tadel berichtigen, als es schon Hunderten, ja
seiner Zeit mir selbst so ergangen ist wie dem Verfasser.
Er ist irre geführt worden, und auch das nicht in bös-
licher oder schelmischer Absicht, sondern weil sein Führer
eben selbst im Jrrthum war. Man hat es in Oggers-
heim, wo Schiller nach seiner Flucht von Stuttgart im
Oktober 1782 ein Versteck suchte und fand, weil er sich
in dem nahen Mannheim nicht sicher glaubte, allzulange
versäumt, das Haus, in welchem er während sieben Wo-
chen wohnte, etwa durch eine Gedenktafel auszuzeichnen,
und so ist im Laufe der Zeit selbst bei vielen Vewohnern
des Städtchens ein anderes Haus, als das ächte, zu dem
Rufe gekommen, den großen Dichter beherbergt zu haben.

Dieses nur aus einem Erdgeschoß bestehende Häus-
chen, welches Rank flüchtig schildert und vor dem schon
so mancher reisende Verehrer Schillers andächtig stehen
blieb, liegt außerhalb der Mauer und des Grabens von
Oggersheim an der Frankenthaler Straße, während der
ehemalige Viehhof, in dem Schiller wirklich wohnte, just
am entgegengesetzten südlichen Ende des Städtchens in der
Speyerer Straße steht. Ohne Zweifel hat das halbwegs
poetische Aussehen jenes Häuschens, vor dem ein kleiner
Garten sich befindet, mit dazu beigetragen, es in jenen
Ruf zu bringen. Es ist aber noch ein Grund dafür vor-
handen. Schiller besuchte nämlich öfters den damaligen
Stadteinnehmer Derheim und benutzte dessen ziemlich reich-
haltige Bibliothek. Da nun dieser Derheim später, und
zwar nach Schillers Weggang von Oggersheim, sich das
erwähnte Häuschen erbaute, so erklärt sich leicht, wie
des Dichters Name nach und nach in Beziehung zu dieser
Wohnung gebracht wurde, obwohl er sie wahrscheinlich
nie gesehen.

Ein Kenner der Biographie und der Briefe Schillers
hätte sich freilich weniger leicht irre führen lassen sollen.
Jn einem Briefe vom ersten November 1782 sagt ja der
Dichter selbst, er wohne zu Oggersheim im Viehhof. Ei-
nem Wirthshause mit solchem Schilde gleicht das erwähnte
Häuschen von vornherein nicht, und jedenfalls war die
Frage nahe gelegt, welches Haus des Städtchens zum
Viehhof geschildet gewesen sey. Aber natürlich, wer denkt
daran, wenn einem die Bewohner des Orts selbst sagen:
Das da draußen ist das Schillerhäuschen! Jch kann auch
darüber Rank keinen Vorwurf machen, zumal es mir,
wie gesagt, vor Jahren ganz ähnlich ergangen ist, wie ihm.
Wir Leute von der Feder haben keinen Begriff davon,
daß fast die ganze Bevölkerung eines Orts rein vergessen
[Spaltenumbruch] könne, wo einst ein solcher Mann gelebt, und doch
dürfte man noch vor kurzem in das ächte Schillerhaus zu
Oggersheim getreten seyn und die jetzigen Bewohner dessel-
ben nach dem Zimmer gefragt haben, in welchem einst
der große Mann gewohnt, sie würden einen ganz verwun-
dert angesehen und nicht begriffen haben, von was und
von wem man rede.

Der ehemalige Viehhof also, dessen Schild längst ein-
gezogen, ist das drittletzte Haus in der Speyerer Straße,
und zwar rechter Hand, wenn man dem Ausgange des
Städtchens zuschreitet. Es ist von dem größeren Haus
und Hof eines Brauers durch ein Gäßchen getrennt, also
ein Eckhaus, zweistockig, wie man hier zu Lande die
Häuser mit einer Etage über dem Erdgeschosse nennt.
Rechts der Thorfahrt hat es drei, links zwei, im obern
Geschosse acht Fenster, und die Stube, in welcher Schiller
als Dr. Schmidt mit seinem getreuen Streicher hauste,
ist die obere Eckstube. Da ist indeß keine Spur mehr von
der ehemaligen Einrichtung, kein Gegenstand, der an den
großen Dichter erinnerte. Von der Familie des damali-
gen Viehhofwirths Schick wohnt niemand mehr in Oggers-
heim; dessen Tochter, eine Wittwe Schumann, aber lebt
noch in Germersheim und bewahrt als einzige Reliquie
von Schiller ein blaues Bändchen. Es müssen gute,
freundliche Leute gewesen seyn diese Schick, denn Schiller
sagt, als er im Jahr 1783 den Viehhof wieder besucht
habe, sey er in einer Weise empfangen worden, die ihn
sehr gerührt habe.

Jetzt endlich wird gesorgt werden, daß Reisende, die
das Schillerhaus in Oggersheim aufsuchen wollen, nicht
wieder irre geführt werden. Wir werden das König
Ludwig zu danken haben. Zwar besteht in Bayern längst
ein königlicher Befehl, daß die Gemeinden merkwürdige
Stellen und Gebäude durch Gedenktafeln auszeichnen sollen,
und doch hat König Ludwig den Bürgermeister von Oggers-
heim erst darauf aufmerksam machen müssen, was man
dort dem Andenken Schillers und allen Verehrern dessel-
ben, wie auch der eigenen Gemeinde schuldig sey. Der
König hat nämlich seine bei ihm auf Villa Ludwigshöhe
verweilende Schwester, die Kaiserin Wittwe von Oester-
reich, auch nach Oggersheim geführt, wo früher der Lo-
rettanischen Wallfahrtskapelle gegenüber ein kurfürstliches
Sommerschloß gestanden, in welchem das hohe Geschwi-
sterpaar in den Tagen seiner Kindheit öfters verweilt
hatte. Bei dieser Gelegenheit schon forderte er den Bür-
germeister auf, eine Tafel an dem Hause anbringen zu
lassen, das Schiller einst bewohnte, und wiederholte am
17. Juli diese Aufforderung, als er zum andernmal mit
seiner Tochter, der Frau Großherzogin Mathilde von
Hessen, nach Oggersheim gekommen war, um den Eckstein
zu dem Hauptgebäude der großartigen Sammetfabrik zu
legen, welche dort im Entstehen ist. "Vergessen Sie mir
die Gedenktafel für Schiller nicht!" sagte der König zum
Bürgermeister, und ich denke, das Wort aus solchem
Munde soll ziehen, wenn's die Sache selbst nicht thut.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] jene Stätten in Mannheim nicht als unebenbürtig bei-
seite lassen.

Mir ist es jetzt vorzugsweise um das Schillerhaus
in dem pfälzischen Städtchen Oggersheim zu thun, be-
züglich dessen ich dem Verfasser einen Jrrthum nachzuwei-
sen mich verpflichtet fühle. Nicht als wollte ich ihm einen
gewichtigen Vorwurf daraus machen, daß er ein Haus
für das dortige Schillerhaus erklärt und als solches be-
schreibt, das es in der That nicht ist; ich will um so
mehr ohne Tadel berichtigen, als es schon Hunderten, ja
seiner Zeit mir selbst so ergangen ist wie dem Verfasser.
Er ist irre geführt worden, und auch das nicht in bös-
licher oder schelmischer Absicht, sondern weil sein Führer
eben selbst im Jrrthum war. Man hat es in Oggers-
heim, wo Schiller nach seiner Flucht von Stuttgart im
Oktober 1782 ein Versteck suchte und fand, weil er sich
in dem nahen Mannheim nicht sicher glaubte, allzulange
versäumt, das Haus, in welchem er während sieben Wo-
chen wohnte, etwa durch eine Gedenktafel auszuzeichnen,
und so ist im Laufe der Zeit selbst bei vielen Vewohnern
des Städtchens ein anderes Haus, als das ächte, zu dem
Rufe gekommen, den großen Dichter beherbergt zu haben.

Dieses nur aus einem Erdgeschoß bestehende Häus-
chen, welches Rank flüchtig schildert und vor dem schon
so mancher reisende Verehrer Schillers andächtig stehen
blieb, liegt außerhalb der Mauer und des Grabens von
Oggersheim an der Frankenthaler Straße, während der
ehemalige Viehhof, in dem Schiller wirklich wohnte, just
am entgegengesetzten südlichen Ende des Städtchens in der
Speyerer Straße steht. Ohne Zweifel hat das halbwegs
poetische Aussehen jenes Häuschens, vor dem ein kleiner
Garten sich befindet, mit dazu beigetragen, es in jenen
Ruf zu bringen. Es ist aber noch ein Grund dafür vor-
handen. Schiller besuchte nämlich öfters den damaligen
Stadteinnehmer Derheim und benutzte dessen ziemlich reich-
haltige Bibliothek. Da nun dieser Derheim später, und
zwar nach Schillers Weggang von Oggersheim, sich das
erwähnte Häuschen erbaute, so erklärt sich leicht, wie
des Dichters Name nach und nach in Beziehung zu dieser
Wohnung gebracht wurde, obwohl er sie wahrscheinlich
nie gesehen.

Ein Kenner der Biographie und der Briefe Schillers
hätte sich freilich weniger leicht irre führen lassen sollen.
Jn einem Briefe vom ersten November 1782 sagt ja der
Dichter selbst, er wohne zu Oggersheim im Viehhof. Ei-
nem Wirthshause mit solchem Schilde gleicht das erwähnte
Häuschen von vornherein nicht, und jedenfalls war die
Frage nahe gelegt, welches Haus des Städtchens zum
Viehhof geschildet gewesen sey. Aber natürlich, wer denkt
daran, wenn einem die Bewohner des Orts selbst sagen:
Das da draußen ist das Schillerhäuschen! Jch kann auch
darüber Rank keinen Vorwurf machen, zumal es mir,
wie gesagt, vor Jahren ganz ähnlich ergangen ist, wie ihm.
Wir Leute von der Feder haben keinen Begriff davon,
daß fast die ganze Bevölkerung eines Orts rein vergessen
[Spaltenumbruch] könne, wo einst ein solcher Mann gelebt, und doch
dürfte man noch vor kurzem in das ächte Schillerhaus zu
Oggersheim getreten seyn und die jetzigen Bewohner dessel-
ben nach dem Zimmer gefragt haben, in welchem einst
der große Mann gewohnt, sie würden einen ganz verwun-
dert angesehen und nicht begriffen haben, von was und
von wem man rede.

Der ehemalige Viehhof also, dessen Schild längst ein-
gezogen, ist das drittletzte Haus in der Speyerer Straße,
und zwar rechter Hand, wenn man dem Ausgange des
Städtchens zuschreitet. Es ist von dem größeren Haus
und Hof eines Brauers durch ein Gäßchen getrennt, also
ein Eckhaus, zweistockig, wie man hier zu Lande die
Häuser mit einer Etage über dem Erdgeschosse nennt.
Rechts der Thorfahrt hat es drei, links zwei, im obern
Geschosse acht Fenster, und die Stube, in welcher Schiller
als Dr. Schmidt mit seinem getreuen Streicher hauste,
ist die obere Eckstube. Da ist indeß keine Spur mehr von
der ehemaligen Einrichtung, kein Gegenstand, der an den
großen Dichter erinnerte. Von der Familie des damali-
gen Viehhofwirths Schick wohnt niemand mehr in Oggers-
heim; dessen Tochter, eine Wittwe Schumann, aber lebt
noch in Germersheim und bewahrt als einzige Reliquie
von Schiller ein blaues Bändchen. Es müssen gute,
freundliche Leute gewesen seyn diese Schick, denn Schiller
sagt, als er im Jahr 1783 den Viehhof wieder besucht
habe, sey er in einer Weise empfangen worden, die ihn
sehr gerührt habe.

Jetzt endlich wird gesorgt werden, daß Reisende, die
das Schillerhaus in Oggersheim aufsuchen wollen, nicht
wieder irre geführt werden. Wir werden das König
Ludwig zu danken haben. Zwar besteht in Bayern längst
ein königlicher Befehl, daß die Gemeinden merkwürdige
Stellen und Gebäude durch Gedenktafeln auszeichnen sollen,
und doch hat König Ludwig den Bürgermeister von Oggers-
heim erst darauf aufmerksam machen müssen, was man
dort dem Andenken Schillers und allen Verehrern dessel-
ben, wie auch der eigenen Gemeinde schuldig sey. Der
König hat nämlich seine bei ihm auf Villa Ludwigshöhe
verweilende Schwester, die Kaiserin Wittwe von Oester-
reich, auch nach Oggersheim geführt, wo früher der Lo-
rettanischen Wallfahrtskapelle gegenüber ein kurfürstliches
Sommerschloß gestanden, in welchem das hohe Geschwi-
sterpaar in den Tagen seiner Kindheit öfters verweilt
hatte. Bei dieser Gelegenheit schon forderte er den Bür-
germeister auf, eine Tafel an dem Hause anbringen zu
lassen, das Schiller einst bewohnte, und wiederholte am
17. Juli diese Aufforderung, als er zum andernmal mit
seiner Tochter, der Frau Großherzogin Mathilde von
Hessen, nach Oggersheim gekommen war, um den Eckstein
zu dem Hauptgebäude der großartigen Sammetfabrik zu
legen, welche dort im Entstehen ist. „Vergessen Sie mir
die Gedenktafel für Schiller nicht!“ sagte der König zum
Bürgermeister, und ich denke, das Wort aus solchem
Munde soll ziehen, wenn's die Sache selbst nicht thut.

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0020" n="860"/><fw type="pageNum" place="top">860</fw><cb type="start"/>
jene Stätten in Mannheim nicht als unebenbürtig bei-<lb/>
seite lassen.   </p><lb/>
          <p>Mir ist es jetzt vorzugsweise um das Schillerhaus<lb/>
in dem pfälzischen Städtchen <hi rendition="#g">Oggersheim</hi> zu thun, be-<lb/>
züglich dessen ich dem Verfasser einen Jrrthum nachzuwei-<lb/>
sen mich verpflichtet fühle. Nicht als wollte ich ihm einen<lb/>
gewichtigen Vorwurf daraus machen, daß er ein Haus<lb/>
für das dortige Schillerhaus erklärt und als solches be-<lb/>
schreibt, das es in der That nicht ist; ich will um so<lb/>
mehr ohne Tadel berichtigen, als es schon Hunderten, ja<lb/>
seiner Zeit mir selbst so ergangen ist wie dem Verfasser.<lb/>
Er ist irre geführt worden, und auch das nicht in bös-<lb/>
licher oder schelmischer Absicht, sondern weil sein Führer<lb/>
eben selbst im Jrrthum war. Man hat es in Oggers-<lb/>
heim, wo Schiller nach seiner Flucht von Stuttgart im<lb/>
Oktober 1782 ein Versteck suchte und fand, weil er sich<lb/>
in dem nahen Mannheim nicht sicher glaubte, allzulange<lb/>
versäumt, das Haus, in welchem er während sieben Wo-<lb/>
chen wohnte, etwa durch eine Gedenktafel auszuzeichnen,<lb/>
und so ist im Laufe der Zeit selbst bei vielen Vewohnern<lb/>
des Städtchens ein anderes Haus, als das ächte, zu dem<lb/>
Rufe gekommen, den großen Dichter beherbergt zu haben.   </p><lb/>
          <p>Dieses nur aus einem Erdgeschoß bestehende Häus-<lb/>
chen, welches Rank flüchtig schildert und vor dem schon<lb/>
so mancher reisende Verehrer Schillers andächtig stehen<lb/>
blieb, liegt außerhalb der Mauer und des Grabens von<lb/>
Oggersheim an der Frankenthaler Straße, während der<lb/>
ehemalige Viehhof, in dem Schiller wirklich wohnte, just<lb/>
am entgegengesetzten südlichen Ende des Städtchens in der<lb/>
Speyerer Straße steht. Ohne Zweifel hat das halbwegs<lb/>
poetische Aussehen jenes Häuschens, vor dem ein kleiner<lb/>
Garten sich befindet, mit dazu beigetragen, es in jenen<lb/>
Ruf zu bringen. Es ist aber noch ein Grund dafür vor-<lb/>
handen. Schiller besuchte nämlich öfters den damaligen<lb/>
Stadteinnehmer Derheim und benutzte dessen ziemlich reich-<lb/>
haltige Bibliothek. Da nun dieser Derheim später, und<lb/>
zwar nach Schillers Weggang von Oggersheim, sich das<lb/>
erwähnte Häuschen erbaute, so erklärt sich leicht, wie<lb/>
des Dichters Name nach und nach in Beziehung zu dieser<lb/>
Wohnung gebracht wurde, obwohl er sie wahrscheinlich<lb/>
nie gesehen.   </p><lb/>
          <p>Ein Kenner der Biographie und der Briefe Schillers<lb/>
hätte sich freilich weniger leicht irre führen lassen sollen.<lb/>
Jn einem Briefe vom ersten November 1782 sagt ja der<lb/>
Dichter selbst, er wohne zu Oggersheim im Viehhof. Ei-<lb/>
nem Wirthshause mit solchem Schilde gleicht das erwähnte<lb/>
Häuschen von vornherein nicht, und jedenfalls war die<lb/>
Frage nahe gelegt, welches Haus des Städtchens zum<lb/>
Viehhof geschildet gewesen sey. Aber natürlich, wer denkt<lb/>
daran, wenn einem die Bewohner des Orts selbst sagen:<lb/>
Das da draußen ist das Schillerhäuschen! Jch kann auch<lb/>
darüber Rank keinen Vorwurf machen, zumal es mir,<lb/>
wie gesagt, vor Jahren ganz ähnlich ergangen ist, wie ihm.<lb/>
Wir Leute von der Feder haben keinen Begriff davon,<lb/>
daß fast die ganze Bevölkerung eines Orts rein vergessen<lb/><cb n="2"/>
könne, wo einst ein solcher Mann gelebt, und doch<lb/>
dürfte man noch vor kurzem in das ächte Schillerhaus zu<lb/>
Oggersheim getreten seyn und die jetzigen Bewohner dessel-<lb/>
ben nach dem Zimmer gefragt haben, in welchem einst<lb/>
der große Mann gewohnt, sie würden einen ganz verwun-<lb/>
dert angesehen und nicht begriffen haben, von was und<lb/>
von wem man rede.   </p><lb/>
          <p>Der ehemalige Viehhof also, dessen Schild längst ein-<lb/>
gezogen, ist das drittletzte Haus in der Speyerer Straße,<lb/>
und zwar rechter Hand, wenn man dem Ausgange des<lb/>
Städtchens zuschreitet. Es ist von dem größeren Haus<lb/>
und Hof eines Brauers durch ein Gäßchen getrennt, also<lb/>
ein Eckhaus, zweistockig, wie man hier zu Lande die<lb/>
Häuser mit einer Etage über dem Erdgeschosse nennt.<lb/>
Rechts der Thorfahrt hat es drei, links zwei, im obern<lb/>
Geschosse acht Fenster, und die Stube, in welcher Schiller<lb/>
als <hi rendition="#aq">Dr</hi>. Schmidt mit seinem getreuen Streicher hauste,<lb/>
ist die obere Eckstube. Da ist indeß keine Spur mehr von<lb/>
der ehemaligen Einrichtung, kein Gegenstand, der an den<lb/>
großen Dichter erinnerte. Von der Familie des damali-<lb/>
gen Viehhofwirths Schick wohnt niemand mehr in Oggers-<lb/>
heim; dessen Tochter, eine Wittwe Schumann, aber lebt<lb/>
noch in Germersheim und bewahrt als einzige Reliquie<lb/>
von Schiller ein blaues Bändchen. Es müssen gute,<lb/>
freundliche Leute gewesen seyn diese Schick, denn Schiller<lb/>
sagt, als er im Jahr 1783 den Viehhof wieder besucht<lb/>
habe, sey er in einer Weise empfangen worden, die ihn<lb/>
sehr gerührt habe. </p><lb/>
          <p>Jetzt endlich wird gesorgt werden, daß Reisende, die<lb/>
das Schillerhaus in Oggersheim aufsuchen wollen, nicht<lb/>
wieder irre geführt werden. Wir werden das König<lb/>
Ludwig zu danken haben. Zwar besteht in Bayern längst<lb/>
ein königlicher Befehl, daß die Gemeinden merkwürdige<lb/>
Stellen und Gebäude durch Gedenktafeln auszeichnen sollen,<lb/>
und doch hat König Ludwig den Bürgermeister von Oggers-<lb/>
heim erst darauf aufmerksam machen müssen, was man<lb/>
dort dem Andenken Schillers und allen Verehrern dessel-<lb/>
ben, wie auch der eigenen Gemeinde schuldig sey. Der<lb/>
König hat nämlich seine bei ihm auf Villa Ludwigshöhe<lb/>
verweilende Schwester, die Kaiserin Wittwe von Oester-<lb/>
reich, auch nach Oggersheim geführt, wo früher der Lo-<lb/>
rettanischen Wallfahrtskapelle gegenüber ein kurfürstliches<lb/>
Sommerschloß gestanden, in welchem das hohe Geschwi-<lb/>
sterpaar in den Tagen seiner Kindheit öfters verweilt<lb/>
hatte. Bei dieser Gelegenheit schon forderte er den Bür-<lb/>
germeister auf, eine Tafel an dem Hause anbringen zu<lb/>
lassen, das Schiller einst bewohnte, und wiederholte am<lb/>
17. Juli diese Aufforderung, als er zum andernmal mit<lb/>
seiner Tochter, der Frau Großherzogin Mathilde von<lb/>
Hessen, nach Oggersheim gekommen war, um den Eckstein<lb/>
zu dem Hauptgebäude der großartigen Sammetfabrik zu<lb/>
legen, welche dort im Entstehen ist. &#x201E;Vergessen Sie mir<lb/>
die Gedenktafel für Schiller nicht!&#x201C; sagte der König zum<lb/>
Bürgermeister, und ich denke, das Wort aus solchem<lb/>
Munde soll ziehen, wenn's die Sache selbst nicht thut.   </p><lb/>
          <cb type="end"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[860/0020] 860 jene Stätten in Mannheim nicht als unebenbürtig bei- seite lassen. Mir ist es jetzt vorzugsweise um das Schillerhaus in dem pfälzischen Städtchen Oggersheim zu thun, be- züglich dessen ich dem Verfasser einen Jrrthum nachzuwei- sen mich verpflichtet fühle. Nicht als wollte ich ihm einen gewichtigen Vorwurf daraus machen, daß er ein Haus für das dortige Schillerhaus erklärt und als solches be- schreibt, das es in der That nicht ist; ich will um so mehr ohne Tadel berichtigen, als es schon Hunderten, ja seiner Zeit mir selbst so ergangen ist wie dem Verfasser. Er ist irre geführt worden, und auch das nicht in bös- licher oder schelmischer Absicht, sondern weil sein Führer eben selbst im Jrrthum war. Man hat es in Oggers- heim, wo Schiller nach seiner Flucht von Stuttgart im Oktober 1782 ein Versteck suchte und fand, weil er sich in dem nahen Mannheim nicht sicher glaubte, allzulange versäumt, das Haus, in welchem er während sieben Wo- chen wohnte, etwa durch eine Gedenktafel auszuzeichnen, und so ist im Laufe der Zeit selbst bei vielen Vewohnern des Städtchens ein anderes Haus, als das ächte, zu dem Rufe gekommen, den großen Dichter beherbergt zu haben. Dieses nur aus einem Erdgeschoß bestehende Häus- chen, welches Rank flüchtig schildert und vor dem schon so mancher reisende Verehrer Schillers andächtig stehen blieb, liegt außerhalb der Mauer und des Grabens von Oggersheim an der Frankenthaler Straße, während der ehemalige Viehhof, in dem Schiller wirklich wohnte, just am entgegengesetzten südlichen Ende des Städtchens in der Speyerer Straße steht. Ohne Zweifel hat das halbwegs poetische Aussehen jenes Häuschens, vor dem ein kleiner Garten sich befindet, mit dazu beigetragen, es in jenen Ruf zu bringen. Es ist aber noch ein Grund dafür vor- handen. Schiller besuchte nämlich öfters den damaligen Stadteinnehmer Derheim und benutzte dessen ziemlich reich- haltige Bibliothek. Da nun dieser Derheim später, und zwar nach Schillers Weggang von Oggersheim, sich das erwähnte Häuschen erbaute, so erklärt sich leicht, wie des Dichters Name nach und nach in Beziehung zu dieser Wohnung gebracht wurde, obwohl er sie wahrscheinlich nie gesehen. Ein Kenner der Biographie und der Briefe Schillers hätte sich freilich weniger leicht irre führen lassen sollen. Jn einem Briefe vom ersten November 1782 sagt ja der Dichter selbst, er wohne zu Oggersheim im Viehhof. Ei- nem Wirthshause mit solchem Schilde gleicht das erwähnte Häuschen von vornherein nicht, und jedenfalls war die Frage nahe gelegt, welches Haus des Städtchens zum Viehhof geschildet gewesen sey. Aber natürlich, wer denkt daran, wenn einem die Bewohner des Orts selbst sagen: Das da draußen ist das Schillerhäuschen! Jch kann auch darüber Rank keinen Vorwurf machen, zumal es mir, wie gesagt, vor Jahren ganz ähnlich ergangen ist, wie ihm. Wir Leute von der Feder haben keinen Begriff davon, daß fast die ganze Bevölkerung eines Orts rein vergessen könne, wo einst ein solcher Mann gelebt, und doch dürfte man noch vor kurzem in das ächte Schillerhaus zu Oggersheim getreten seyn und die jetzigen Bewohner dessel- ben nach dem Zimmer gefragt haben, in welchem einst der große Mann gewohnt, sie würden einen ganz verwun- dert angesehen und nicht begriffen haben, von was und von wem man rede. Der ehemalige Viehhof also, dessen Schild längst ein- gezogen, ist das drittletzte Haus in der Speyerer Straße, und zwar rechter Hand, wenn man dem Ausgange des Städtchens zuschreitet. Es ist von dem größeren Haus und Hof eines Brauers durch ein Gäßchen getrennt, also ein Eckhaus, zweistockig, wie man hier zu Lande die Häuser mit einer Etage über dem Erdgeschosse nennt. Rechts der Thorfahrt hat es drei, links zwei, im obern Geschosse acht Fenster, und die Stube, in welcher Schiller als Dr. Schmidt mit seinem getreuen Streicher hauste, ist die obere Eckstube. Da ist indeß keine Spur mehr von der ehemaligen Einrichtung, kein Gegenstand, der an den großen Dichter erinnerte. Von der Familie des damali- gen Viehhofwirths Schick wohnt niemand mehr in Oggers- heim; dessen Tochter, eine Wittwe Schumann, aber lebt noch in Germersheim und bewahrt als einzige Reliquie von Schiller ein blaues Bändchen. Es müssen gute, freundliche Leute gewesen seyn diese Schick, denn Schiller sagt, als er im Jahr 1783 den Viehhof wieder besucht habe, sey er in einer Weise empfangen worden, die ihn sehr gerührt habe. Jetzt endlich wird gesorgt werden, daß Reisende, die das Schillerhaus in Oggersheim aufsuchen wollen, nicht wieder irre geführt werden. Wir werden das König Ludwig zu danken haben. Zwar besteht in Bayern längst ein königlicher Befehl, daß die Gemeinden merkwürdige Stellen und Gebäude durch Gedenktafeln auszeichnen sollen, und doch hat König Ludwig den Bürgermeister von Oggers- heim erst darauf aufmerksam machen müssen, was man dort dem Andenken Schillers und allen Verehrern dessel- ben, wie auch der eigenen Gemeinde schuldig sey. Der König hat nämlich seine bei ihm auf Villa Ludwigshöhe verweilende Schwester, die Kaiserin Wittwe von Oester- reich, auch nach Oggersheim geführt, wo früher der Lo- rettanischen Wallfahrtskapelle gegenüber ein kurfürstliches Sommerschloß gestanden, in welchem das hohe Geschwi- sterpaar in den Tagen seiner Kindheit öfters verweilt hatte. Bei dieser Gelegenheit schon forderte er den Bür- germeister auf, eine Tafel an dem Hause anbringen zu lassen, das Schiller einst bewohnte, und wiederholte am 17. Juli diese Aufforderung, als er zum andernmal mit seiner Tochter, der Frau Großherzogin Mathilde von Hessen, nach Oggersheim gekommen war, um den Eckstein zu dem Hauptgebäude der großartigen Sammetfabrik zu legen, welche dort im Entstehen ist. „Vergessen Sie mir die Gedenktafel für Schiller nicht!“ sagte der König zum Bürgermeister, und ich denke, das Wort aus solchem Munde soll ziehen, wenn's die Sache selbst nicht thut.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/20
Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 860. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/20>, abgerufen am 21.11.2024.