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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Bürgerschule aufgestellt. Die Galerie besteht ihrem besten
Jnhalte nach aus vortrefflichen Stücken der neuesten französi-
schen Schule: da ist Delaroches Napoleon in Fontainebleau,
Biards Kampf mit den Eisbären, vor allem aber -- wenn
man Calame dem Namen wie der Schule nach zu den
Franzosen rechnen will, unter denen er freilich als Land-
schafter einzig seyn möchte -- die drei herrlichften Land-
schaften, die ich von diesem kenne, seine Pästumtempel,
der Waldsturm in den Alpen und der Sonnenaufgang an
der Monterosakette. Jn allen andern Gebieten ist die
Sammlung freilich noch sehr im Entstehen.

Auch mit Denkmälern geizt man nicht. Sebastian
Bach, Vater Gellert haben die ihren wohl verdient, und
seit Jahr und Tag sitzt nun auch unmittelbar vor dem
großen Gasthofe zum Blumenberg an der Promenade des
Ranstädter Thores der alte Hahnemann; sitzt und sinnt
vielleicht über die goldenen Lorbeeren, mit denen er von
[Spaltenumbruch] oben herab seinen magnetisch inspirirten Schüler in Köthen
sich krönen sieht. Du sublime au ridicule il n'y a qu'un
pas
, scheint der ehrgeizige Meister zu denken, während
der Jünger unter dem Lächeln Fortunas behaglich in sei-
nen großen, schwarzen Bart und sich in's Fäustchen lachen
mag, wenn sein gewaltiger Leipziger Gegner Bock ihn un-
verdrossen mit den Hörnern stößt. -- Doch dieß ist nicht
meine Sache. Genug für heute. Vielleicht ist es mir ver-
gönnt, in späteren Briefen die Mannigfaltigkeit deutschen
Lebens in engen Kreisen weiter auszuführen. Vielleicht
folgen Sie mir künftig einmal in das nahe reiche Alten-
burger Bauernland, in die goldene Aue, die Thüringer
Berge, in den Harz, wohl gar in die bodenkalte, arme
Region unseres unglücklichen Eichsfeldes. Die wechselnd-
sten Bilder sächsischen Lebens streifen hier einander und
harren des Zeichners.

[Ende Spaltensatz]



Vom Mittelrhein, August.

Ein Schillerhaus.

[Beginn Spaltensatz]

Die in Leipzig erscheinende Reisebibliothek hat unter
andern dankenswerthen Gaben auch eine solche von Josef
Rank unter dem Titel "Schillerhäuser" gebracht. Die
kleine Schrift ist um so freundlicher aufgenommen wor-
den, als die Zahl der Freunde und Verehrer des großen
Dichters nicht etwa im Abnehmen, sondern von Geschlecht
zu Geschlecht im Wachsen begriffen ist. Der sogenannte
Cultus des Genius ist ja, trotz der materiellen Richtung
unserer Tage, keineswegs aufgegeben, er zählt der begei-
sterten Priester und Priesterinnen immer noch genug, ja
deren Zahl ist gewachsen, seit die Werke der Heroen deut-
scher Literatur durch leicht zu erwerbende Ausgaben dem
gesammten Volke immer näher gebracht werden. Je näher
nun der beflügelte Reiseverkehr jene Orte rückt, die wir
als classische zu betrachten gewohnt sind, weil unsere
Classiker an denselben gelebt und gewirkt, gedichtet und
geschrieben, oder auch gerungen und geduldet haben; je
häufiger die vorsätzlichen und gelegenheitlichen Wallfahrten
nach solchen Orten werden, desto zeitgemäßer sind Erschei-
nungen, wie das erwähnte Schriftchen von Rank, das
uns in Schillers Geburtshaus zu Marbach, in sein Ver-
steck zu Oggersheim und seine Zufluchtsstätte zu Bauer-
bach, so wie in die Schillerhäuser zu Gohlis, Loschwitz,
Rudolstadt, Jena und Weimar führt.

Daß nun Rank bei Aufstellung seiner hübschen Galerie
die Wohnungen Schillers in Mannheim eben so übergehen
zu müssen glaubte, wie die Stätten seines Aufenthalts in
[Spaltenumbruch] Stuttgart, Leipzig u. s. w., das will mir nicht recht ein-
leuchten. Hielt sich doch der Dichter gerade in Mannheim
fast zwei volle Jahre, von Ende Juli 1783 bis in den
April des Jahres 1785 auf; ist doch eben Mannheim für
ihn und sein späteres poetisches Leben und Schaffen ein
Ort von der entscheidendsten Wichtigkeit geworden. Auch
fehlt es ja in Mannheim nicht an Stellen, welche würdig
wären, jener Galerie der Schillerhäuser eingereiht zu
werden. Da steht neben dem Schloßplatze das Haus, in
welchem er fast den ganzen Sommer des Jahrs 1783 ver-
lebte. Später wohnte er im Hause des Maurers Hölzel,
das freilich jetzt völlig umgebaut ist und dem Schiefer-
decker Bracht gehört. Es ist das Haus Litera B 1. Nr. 11.
Unverändert aber steht noch das Gartenhäuschen hinter
dem Hause des Schreinermeisters Schmidt, welches damals
dem Nagelschmied Diehl gehörte und das man Lit. B. 5.
Nr. 8. findet. Die Wände dieses Gartenhäuschens haben
den jungen ringenden Dichter namentlich in den geweih-
ten Stunden des poetischen Schaffens umfangen. Dort
war er vorzugsweise mit der Umarbeitung der Räuber
beschäftigt, dort vollendete er Fiesko und Kabale und
Liebe, dort entstanden die Anfänge des Don Karlos.

Jch hoffe und glaube, daß die erste Auflage der
"Schillerhäuser" nicht die letzte seyn wird, und da das
Büchlein ohnehin einer wesentlichen Veränderung bedarf,
wie ich sogleich nachweisen werde, so wird wohl sein Ver-
fasser Gelegenheit finden, Fehlendes nachzutragen, und
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Bürgerschule aufgestellt. Die Galerie besteht ihrem besten
Jnhalte nach aus vortrefflichen Stücken der neuesten französi-
schen Schule: da ist Delaroches Napoleon in Fontainebleau,
Biards Kampf mit den Eisbären, vor allem aber — wenn
man Calame dem Namen wie der Schule nach zu den
Franzosen rechnen will, unter denen er freilich als Land-
schafter einzig seyn möchte — die drei herrlichften Land-
schaften, die ich von diesem kenne, seine Pästumtempel,
der Waldsturm in den Alpen und der Sonnenaufgang an
der Monterosakette. Jn allen andern Gebieten ist die
Sammlung freilich noch sehr im Entstehen.

Auch mit Denkmälern geizt man nicht. Sebastian
Bach, Vater Gellert haben die ihren wohl verdient, und
seit Jahr und Tag sitzt nun auch unmittelbar vor dem
großen Gasthofe zum Blumenberg an der Promenade des
Ranstädter Thores der alte Hahnemann; sitzt und sinnt
vielleicht über die goldenen Lorbeeren, mit denen er von
[Spaltenumbruch] oben herab seinen magnetisch inspirirten Schüler in Köthen
sich krönen sieht. Du sublime au ridicule il n'y a qu'un
pas
, scheint der ehrgeizige Meister zu denken, während
der Jünger unter dem Lächeln Fortunas behaglich in sei-
nen großen, schwarzen Bart und sich in's Fäustchen lachen
mag, wenn sein gewaltiger Leipziger Gegner Bock ihn un-
verdrossen mit den Hörnern stößt. — Doch dieß ist nicht
meine Sache. Genug für heute. Vielleicht ist es mir ver-
gönnt, in späteren Briefen die Mannigfaltigkeit deutschen
Lebens in engen Kreisen weiter auszuführen. Vielleicht
folgen Sie mir künftig einmal in das nahe reiche Alten-
burger Bauernland, in die goldene Aue, die Thüringer
Berge, in den Harz, wohl gar in die bodenkalte, arme
Region unseres unglücklichen Eichsfeldes. Die wechselnd-
sten Bilder sächsischen Lebens streifen hier einander und
harren des Zeichners.

[Ende Spaltensatz]



Vom Mittelrhein, August.

Ein Schillerhaus.

[Beginn Spaltensatz]

Die in Leipzig erscheinende Reisebibliothek hat unter
andern dankenswerthen Gaben auch eine solche von Josef
Rank unter dem Titel „Schillerhäuser“ gebracht. Die
kleine Schrift ist um so freundlicher aufgenommen wor-
den, als die Zahl der Freunde und Verehrer des großen
Dichters nicht etwa im Abnehmen, sondern von Geschlecht
zu Geschlecht im Wachsen begriffen ist. Der sogenannte
Cultus des Genius ist ja, trotz der materiellen Richtung
unserer Tage, keineswegs aufgegeben, er zählt der begei-
sterten Priester und Priesterinnen immer noch genug, ja
deren Zahl ist gewachsen, seit die Werke der Heroen deut-
scher Literatur durch leicht zu erwerbende Ausgaben dem
gesammten Volke immer näher gebracht werden. Je näher
nun der beflügelte Reiseverkehr jene Orte rückt, die wir
als classische zu betrachten gewohnt sind, weil unsere
Classiker an denselben gelebt und gewirkt, gedichtet und
geschrieben, oder auch gerungen und geduldet haben; je
häufiger die vorsätzlichen und gelegenheitlichen Wallfahrten
nach solchen Orten werden, desto zeitgemäßer sind Erschei-
nungen, wie das erwähnte Schriftchen von Rank, das
uns in Schillers Geburtshaus zu Marbach, in sein Ver-
steck zu Oggersheim und seine Zufluchtsstätte zu Bauer-
bach, so wie in die Schillerhäuser zu Gohlis, Loschwitz,
Rudolstadt, Jena und Weimar führt.

Daß nun Rank bei Aufstellung seiner hübschen Galerie
die Wohnungen Schillers in Mannheim eben so übergehen
zu müssen glaubte, wie die Stätten seines Aufenthalts in
[Spaltenumbruch] Stuttgart, Leipzig u. s. w., das will mir nicht recht ein-
leuchten. Hielt sich doch der Dichter gerade in Mannheim
fast zwei volle Jahre, von Ende Juli 1783 bis in den
April des Jahres 1785 auf; ist doch eben Mannheim für
ihn und sein späteres poetisches Leben und Schaffen ein
Ort von der entscheidendsten Wichtigkeit geworden. Auch
fehlt es ja in Mannheim nicht an Stellen, welche würdig
wären, jener Galerie der Schillerhäuser eingereiht zu
werden. Da steht neben dem Schloßplatze das Haus, in
welchem er fast den ganzen Sommer des Jahrs 1783 ver-
lebte. Später wohnte er im Hause des Maurers Hölzel,
das freilich jetzt völlig umgebaut ist und dem Schiefer-
decker Bracht gehört. Es ist das Haus Litera B 1. Nr. 11.
Unverändert aber steht noch das Gartenhäuschen hinter
dem Hause des Schreinermeisters Schmidt, welches damals
dem Nagelschmied Diehl gehörte und das man Lit. B. 5.
Nr. 8. findet. Die Wände dieses Gartenhäuschens haben
den jungen ringenden Dichter namentlich in den geweih-
ten Stunden des poetischen Schaffens umfangen. Dort
war er vorzugsweise mit der Umarbeitung der Räuber
beschäftigt, dort vollendete er Fiesko und Kabale und
Liebe, dort entstanden die Anfänge des Don Karlos.

Jch hoffe und glaube, daß die erste Auflage der
„Schillerhäuser“ nicht die letzte seyn wird, und da das
Büchlein ohnehin einer wesentlichen Veränderung bedarf,
wie ich sogleich nachweisen werde, so wird wohl sein Ver-
fasser Gelegenheit finden, Fehlendes nachzutragen, und
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[859/0019] 859 Bürgerschule aufgestellt. Die Galerie besteht ihrem besten Jnhalte nach aus vortrefflichen Stücken der neuesten französi- schen Schule: da ist Delaroches Napoleon in Fontainebleau, Biards Kampf mit den Eisbären, vor allem aber — wenn man Calame dem Namen wie der Schule nach zu den Franzosen rechnen will, unter denen er freilich als Land- schafter einzig seyn möchte — die drei herrlichften Land- schaften, die ich von diesem kenne, seine Pästumtempel, der Waldsturm in den Alpen und der Sonnenaufgang an der Monterosakette. Jn allen andern Gebieten ist die Sammlung freilich noch sehr im Entstehen. Auch mit Denkmälern geizt man nicht. Sebastian Bach, Vater Gellert haben die ihren wohl verdient, und seit Jahr und Tag sitzt nun auch unmittelbar vor dem großen Gasthofe zum Blumenberg an der Promenade des Ranstädter Thores der alte Hahnemann; sitzt und sinnt vielleicht über die goldenen Lorbeeren, mit denen er von oben herab seinen magnetisch inspirirten Schüler in Köthen sich krönen sieht. Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas, scheint der ehrgeizige Meister zu denken, während der Jünger unter dem Lächeln Fortunas behaglich in sei- nen großen, schwarzen Bart und sich in's Fäustchen lachen mag, wenn sein gewaltiger Leipziger Gegner Bock ihn un- verdrossen mit den Hörnern stößt. — Doch dieß ist nicht meine Sache. Genug für heute. Vielleicht ist es mir ver- gönnt, in späteren Briefen die Mannigfaltigkeit deutschen Lebens in engen Kreisen weiter auszuführen. Vielleicht folgen Sie mir künftig einmal in das nahe reiche Alten- burger Bauernland, in die goldene Aue, die Thüringer Berge, in den Harz, wohl gar in die bodenkalte, arme Region unseres unglücklichen Eichsfeldes. Die wechselnd- sten Bilder sächsischen Lebens streifen hier einander und harren des Zeichners. Vom Mittelrhein, August. Ein Schillerhaus. Die in Leipzig erscheinende Reisebibliothek hat unter andern dankenswerthen Gaben auch eine solche von Josef Rank unter dem Titel „Schillerhäuser“ gebracht. Die kleine Schrift ist um so freundlicher aufgenommen wor- den, als die Zahl der Freunde und Verehrer des großen Dichters nicht etwa im Abnehmen, sondern von Geschlecht zu Geschlecht im Wachsen begriffen ist. Der sogenannte Cultus des Genius ist ja, trotz der materiellen Richtung unserer Tage, keineswegs aufgegeben, er zählt der begei- sterten Priester und Priesterinnen immer noch genug, ja deren Zahl ist gewachsen, seit die Werke der Heroen deut- scher Literatur durch leicht zu erwerbende Ausgaben dem gesammten Volke immer näher gebracht werden. Je näher nun der beflügelte Reiseverkehr jene Orte rückt, die wir als classische zu betrachten gewohnt sind, weil unsere Classiker an denselben gelebt und gewirkt, gedichtet und geschrieben, oder auch gerungen und geduldet haben; je häufiger die vorsätzlichen und gelegenheitlichen Wallfahrten nach solchen Orten werden, desto zeitgemäßer sind Erschei- nungen, wie das erwähnte Schriftchen von Rank, das uns in Schillers Geburtshaus zu Marbach, in sein Ver- steck zu Oggersheim und seine Zufluchtsstätte zu Bauer- bach, so wie in die Schillerhäuser zu Gohlis, Loschwitz, Rudolstadt, Jena und Weimar führt. Daß nun Rank bei Aufstellung seiner hübschen Galerie die Wohnungen Schillers in Mannheim eben so übergehen zu müssen glaubte, wie die Stätten seines Aufenthalts in Stuttgart, Leipzig u. s. w., das will mir nicht recht ein- leuchten. Hielt sich doch der Dichter gerade in Mannheim fast zwei volle Jahre, von Ende Juli 1783 bis in den April des Jahres 1785 auf; ist doch eben Mannheim für ihn und sein späteres poetisches Leben und Schaffen ein Ort von der entscheidendsten Wichtigkeit geworden. Auch fehlt es ja in Mannheim nicht an Stellen, welche würdig wären, jener Galerie der Schillerhäuser eingereiht zu werden. Da steht neben dem Schloßplatze das Haus, in welchem er fast den ganzen Sommer des Jahrs 1783 ver- lebte. Später wohnte er im Hause des Maurers Hölzel, das freilich jetzt völlig umgebaut ist und dem Schiefer- decker Bracht gehört. Es ist das Haus Litera B 1. Nr. 11. Unverändert aber steht noch das Gartenhäuschen hinter dem Hause des Schreinermeisters Schmidt, welches damals dem Nagelschmied Diehl gehörte und das man Lit. B. 5. Nr. 8. findet. Die Wände dieses Gartenhäuschens haben den jungen ringenden Dichter namentlich in den geweih- ten Stunden des poetischen Schaffens umfangen. Dort war er vorzugsweise mit der Umarbeitung der Räuber beschäftigt, dort vollendete er Fiesko und Kabale und Liebe, dort entstanden die Anfänge des Don Karlos. Jch hoffe und glaube, daß die erste Auflage der „Schillerhäuser“ nicht die letzte seyn wird, und da das Büchlein ohnehin einer wesentlichen Veränderung bedarf, wie ich sogleich nachweisen werde, so wird wohl sein Ver- fasser Gelegenheit finden, Fehlendes nachzutragen, und

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 859. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/19>, abgerufen am 21.11.2024.