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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] wirbel. Der Tambour der Franzosen, welcher mit
der Truppe so eben hereinzog zur Beichte, hat seine
Trommel vor sich hingestellt auf das alte schöne Pa-
viment, als müsse die Trommel auch mit beichten. So
schlendert man von einer Kirche in die andere: in die
Rotunda, das majestätisch trauernde Pantheon, in dem
sich Raphael gebettet hat, wie auf der Schwelle zwi-
schen dem Hellenen= und Christenthum; in die Minerva,
den bunten Marmorpalast, mehr ein verschwenderischer
Krönungssaal als ein Gotteshaus. Ueberall liegt schon
der Heiland noch dunkel schlummernd in seinem Grabe
in der Kapelle zwischen einem Walde von silbernen
Kandelabern und unangezündeten Kerzen, noch gleich-
sam verlassen, obschon mancher Beter bereits tief ver-
sunken davor kniet. Der Vorhang ist noch nicht auf-
gezogen. Man stößt auf Gestalten, die so zerknirscht
das Haupt auf den Betschemel legen, daß man sich
sagt, sie müssen viel zu bereuen haben.

Der Gründonnerstag fand uns schon wieder früh
auf dem Platze. Heute war die Tribüne auf der an-
dern Seite der Confession St. Peters errichtet, unter
der nördlichen Kuppel des Querschiffs. Alte Gobelins,
die schon mancher Fuß betreten hat, decken die niedri-
gen, von der Balustrade umschlossenen Stufen, auf
denen, während der Kammerherr in spanischem Costüm
durch die Reihen her und hin wandelt, als wäre er
der Hirt, welcher diese Schaar von schwarzen Läm-
mern weiden muß, Damen aller Nationen fast orienta-
talisch in Demuth kauern, wofern sie es nicht vorziehen,
in ihren vielfältigen Mantillen und Schleiern, an die
Brustwehr gelehnt, sich in Wort oder Blick mit der
Männerwelt zu unterhalten, und da blitzt ein lebhaftes
Kleingewehrfeuer her und hin. Alle Uniformen, alle
Trachten, Husaren, Türken, die unbegreiflichsten Or-
densbänder und Sterne schwimmen dort durcheinander,
ringsum blinkende Hellebarden, Soldatenbärte, die
Spalier machen. Die rothdamastenen Logen dekorirt
die Diplomatie. Ueber dem Throne des Papstes hat
man einen Gobelin der Transfiguration Raphaels, und
auf der Mauer, an welcher die Pilger sitzen, einen der
Cena nach Leonardo ausgespannt. Schon zieht mit
zahllosen Lichtern die Procession durch das Hauptschiff
nach dem Chor, indeß vom Balkon an einem der
Pfeiler der großen Kuppel die Reliquien, hoch erhoben
in Priesterhand, der knieenden Menge gezeigt werden.
Eine Schaar weißer Chorknaben gleich Tauben, die
sich niederlassen, gruppirt sich am Hochaltar unter
St. Peters Grabbaldachin, um herüberzulugen nach
dem bevorstehenden Schauspiele. Die Menschen hoch
oben auf der Galerie der Kuppel sind wie die kleinsten
Mücken anzuschauen.

[Spaltenumbruch]

Jetzt tritt der Papst, ganz weiß gekleidet, mit sei-
nem Gefolge aus dem zwischen den Logen niederwallen-
den Purpurvorhange. Man trägt die Blumensträuße
nach, das silberne Becken, die dreizehn Handtücher, das
kleine Schürzchen von Battist, mit Spitzen besetzt,
dessen sich der heilige Vater gleich bedienen wird, wenn
er sich den Apostelgreisen nähert, welche übrigens in
ihren hohen weißen Mützen wie arme Sünder aus-
sehen, die man zum Tode führen soll, oder noch schlim-
mer, wie Pierrots. So oft der Statthalter Christi
einem der Pilgrime den Fuß gewaschen hat, küßt er
diesen Fuß. Jeder der Greise, wenn der Pontifex
kommt, ihm diesen Dienst der Liebe und Demuth zu
leisten, macht eine abwehrende Bewegung. Es bleibt
doch ein rührendes Symbol in seiner alljährlichen Er-
neuerung. Zu beklagen ist, daß man bei den Cere-
monien, wie überhaupt in der ganzen Andacht der
Charwoche, sich beständig durch das Gaffen der Touri-
sten gestört findet, deren naive Neugier die Grenzen
des Anstandes häufig überschreitet. Was der Jtaliener,
der einen so feinen Takt, eine so zarte Höflichkeit des
Herzens hat, dabei von den "Forestieri" denken mag?
Abgesehen von der Scheu vor dem Mißbrauch des
Gastrechts, sollte man doch mindestens so viel geschicht-
lichen Sinn haben, um hier eine angemessene Haltung
zu beobachten. Selbst der Protestant muß Ehrfurcht
für einen Kultus hegen, dessen starker Einheit wir alles
durch die Nacht der Zeiten überkommene Wissen und
Glauben verdanken. Gerade unter den sogenannten Ge-
bildeten drängt sich leider bei solchen Gelegenheiten oft
eine innere Rohheit vor. Es handelte sich davon, über
der Fußwaschung den Segen des Papstes von der Loggia
herab und die Cena oben in der Halle der Kirche
nicht zu versäumen. Trotz unserer Eintrittskarten muß-
ten wir darauf verzichten, Zeuge des Mahls zu seyn,
bei welchem der heilige Vater wiederum die Armen
bedient, gleich dem großen Vorgänger Gregor, der es
täglich an seiner Marmortafel that. Noch während wir
uns in der Tribune eingekeilt sahen, versicherte man
uns, daß oben bei der Cena die Menge fast ersticke.
Jndessen trieben britische Damen es so weit, daß sie
noch während der " lavanda " über unsere Balustrade vol-
tigirten, mittelst Stühlen, welche ihnen ihre Cavaliere
von der andern Seite herbeischleppten, und wir hörten
noch einige ihrer Landsmänninnen sich groß darüber
verwundern, daß die Schweizer Gardisten sich über die
Episode aufhielten. Wir werden bald Anlaß haben, ein
Seitenstück zu dieser Scene zu constatiren.

Schon nach wenigen Stunden hält unsere Equipage
wieder am Vatikan. Durch die Vorhalle mit der Con-
stantinsstatue winden wir uns zwischen auf= und
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[Beginn Spaltensatz] wirbel. Der Tambour der Franzosen, welcher mit
der Truppe so eben hereinzog zur Beichte, hat seine
Trommel vor sich hingestellt auf das alte schöne Pa-
viment, als müsse die Trommel auch mit beichten. So
schlendert man von einer Kirche in die andere: in die
Rotunda, das majestätisch trauernde Pantheon, in dem
sich Raphael gebettet hat, wie auf der Schwelle zwi-
schen dem Hellenen= und Christenthum; in die Minerva,
den bunten Marmorpalast, mehr ein verschwenderischer
Krönungssaal als ein Gotteshaus. Ueberall liegt schon
der Heiland noch dunkel schlummernd in seinem Grabe
in der Kapelle zwischen einem Walde von silbernen
Kandelabern und unangezündeten Kerzen, noch gleich-
sam verlassen, obschon mancher Beter bereits tief ver-
sunken davor kniet. Der Vorhang ist noch nicht auf-
gezogen. Man stößt auf Gestalten, die so zerknirscht
das Haupt auf den Betschemel legen, daß man sich
sagt, sie müssen viel zu bereuen haben.

Der Gründonnerstag fand uns schon wieder früh
auf dem Platze. Heute war die Tribüne auf der an-
dern Seite der Confession St. Peters errichtet, unter
der nördlichen Kuppel des Querschiffs. Alte Gobelins,
die schon mancher Fuß betreten hat, decken die niedri-
gen, von der Balustrade umschlossenen Stufen, auf
denen, während der Kammerherr in spanischem Costüm
durch die Reihen her und hin wandelt, als wäre er
der Hirt, welcher diese Schaar von schwarzen Läm-
mern weiden muß, Damen aller Nationen fast orienta-
talisch in Demuth kauern, wofern sie es nicht vorziehen,
in ihren vielfältigen Mantillen und Schleiern, an die
Brustwehr gelehnt, sich in Wort oder Blick mit der
Männerwelt zu unterhalten, und da blitzt ein lebhaftes
Kleingewehrfeuer her und hin. Alle Uniformen, alle
Trachten, Husaren, Türken, die unbegreiflichsten Or-
densbänder und Sterne schwimmen dort durcheinander,
ringsum blinkende Hellebarden, Soldatenbärte, die
Spalier machen. Die rothdamastenen Logen dekorirt
die Diplomatie. Ueber dem Throne des Papstes hat
man einen Gobelin der Transfiguration Raphaels, und
auf der Mauer, an welcher die Pilger sitzen, einen der
Cena nach Leonardo ausgespannt. Schon zieht mit
zahllosen Lichtern die Procession durch das Hauptschiff
nach dem Chor, indeß vom Balkon an einem der
Pfeiler der großen Kuppel die Reliquien, hoch erhoben
in Priesterhand, der knieenden Menge gezeigt werden.
Eine Schaar weißer Chorknaben gleich Tauben, die
sich niederlassen, gruppirt sich am Hochaltar unter
St. Peters Grabbaldachin, um herüberzulugen nach
dem bevorstehenden Schauspiele. Die Menschen hoch
oben auf der Galerie der Kuppel sind wie die kleinsten
Mücken anzuschauen.

[Spaltenumbruch]

Jetzt tritt der Papst, ganz weiß gekleidet, mit sei-
nem Gefolge aus dem zwischen den Logen niederwallen-
den Purpurvorhange. Man trägt die Blumensträuße
nach, das silberne Becken, die dreizehn Handtücher, das
kleine Schürzchen von Battist, mit Spitzen besetzt,
dessen sich der heilige Vater gleich bedienen wird, wenn
er sich den Apostelgreisen nähert, welche übrigens in
ihren hohen weißen Mützen wie arme Sünder aus-
sehen, die man zum Tode führen soll, oder noch schlim-
mer, wie Pierrots. So oft der Statthalter Christi
einem der Pilgrime den Fuß gewaschen hat, küßt er
diesen Fuß. Jeder der Greise, wenn der Pontifex
kommt, ihm diesen Dienst der Liebe und Demuth zu
leisten, macht eine abwehrende Bewegung. Es bleibt
doch ein rührendes Symbol in seiner alljährlichen Er-
neuerung. Zu beklagen ist, daß man bei den Cere-
monien, wie überhaupt in der ganzen Andacht der
Charwoche, sich beständig durch das Gaffen der Touri-
sten gestört findet, deren naive Neugier die Grenzen
des Anstandes häufig überschreitet. Was der Jtaliener,
der einen so feinen Takt, eine so zarte Höflichkeit des
Herzens hat, dabei von den „Forestieri“ denken mag?
Abgesehen von der Scheu vor dem Mißbrauch des
Gastrechts, sollte man doch mindestens so viel geschicht-
lichen Sinn haben, um hier eine angemessene Haltung
zu beobachten. Selbst der Protestant muß Ehrfurcht
für einen Kultus hegen, dessen starker Einheit wir alles
durch die Nacht der Zeiten überkommene Wissen und
Glauben verdanken. Gerade unter den sogenannten Ge-
bildeten drängt sich leider bei solchen Gelegenheiten oft
eine innere Rohheit vor. Es handelte sich davon, über
der Fußwaschung den Segen des Papstes von der Loggia
herab und die Cena oben in der Halle der Kirche
nicht zu versäumen. Trotz unserer Eintrittskarten muß-
ten wir darauf verzichten, Zeuge des Mahls zu seyn,
bei welchem der heilige Vater wiederum die Armen
bedient, gleich dem großen Vorgänger Gregor, der es
täglich an seiner Marmortafel that. Noch während wir
uns in der Tribune eingekeilt sahen, versicherte man
uns, daß oben bei der Cena die Menge fast ersticke.
Jndessen trieben britische Damen es so weit, daß sie
noch während der » lavanda « über unsere Balustrade vol-
tigirten, mittelst Stühlen, welche ihnen ihre Cavaliere
von der andern Seite herbeischleppten, und wir hörten
noch einige ihrer Landsmänninnen sich groß darüber
verwundern, daß die Schweizer Gardisten sich über die
Episode aufhielten. Wir werden bald Anlaß haben, ein
Seitenstück zu dieser Scene zu constatiren.

Schon nach wenigen Stunden hält unsere Equipage
wieder am Vatikan. Durch die Vorhalle mit der Con-
stantinsstatue winden wir uns zwischen auf= und
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 844. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/4>, abgerufen am 21.11.2024.