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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] absteigenden Volks= und Soldatenhaufen, Zügen von
Bäuerinnen mit rothen Röcken und weißen Kopftüchern,
Pilgern mit umgehängten Rosenkränzen und Reliquien
von Elfenbein, die Haupttreppe hinan nach der Sala
Regia. Nur ein purpurner Damastvorhang trennt uns
noch von der Sixtinischen Kapelle, in welcher schwarze
Frauenschleier wallen, Welle an Welle, diesseits des
goldenen Gitters, das die Weltlichkeit vom Klerus
scheidet; denn die Damen sind es vorzüglich, welche
sich jedes Jahr zum Miserere drängen. Auf der für
sie bestimmten Seite schaaren sie sich gleich schwarzen
Vögeln. Mannshohe gelbe Kerzen brennen düster auf
eben so großen Silberleuchtern auf dem Gitter und
dem Altar jenseits, neben welchem der heilige Vater
unter dem Thronhimmel sitzt, schneeweiß von der silber-
nen Tiare bis zur Fußspitze. An der andern Wand
flimmert eine Lichterpyramide, die uns als eine Art
Uhr gilt. So oft ein Psalm gesungen ist, wird eine
der Kerzen ausgelöscht. Auch hier wieder die Kammer-
herrn in ihrer dunkeln spanischen Kleidung, die derb-
schulterigen Schweizer mit ihren Hellebarden, deren
farbig gestreifter Rücken unerbittlich ist bei dem weich-
sten Flehen von schönen Lippen in allen lebenden Mund-
arten. Spät rauschen einige Französinnen herein,
sichtbar mit dem vollen Siegesgefühl der großen Armee,
und können es nicht begreifen, daß sie keinen Platz
mehr finden sollen. Die eine derselben wollte dem
Trabanten aus Helvetien kommandiren, ihnen Platz zu
machen. " Nous sommes femmes d'officiers francais,"
herrschte sie, und ließ den päpstlichen Kammerherrn herbei
holen. " Il n'y a plus de place, dit-on," rief sie;
" c'est tout-a-fait ridicule; je ne vois pourtant pas ici
une seule dame de la division
!" Sie wand, sie drehte
sich, sie befahl, drohte; aber es half nichts, der Hi-
dalgo mit der goldenen Kette und dem Knebelbart zuckte
die Achseln, zeigte auf die vollen Vorderreihen und be-
deutete die Pariserinnen umzukehren, um von einer
andern Seite in das Centrum zu gelangen, wo man
in Masse kaiserliche Uniformen und Henri=quatres ge-
wahrte. Das hinderte ihn aber nicht, im Rücken der
französischen Eroberinnen, mit Lächeln und ritterlicher
Handbewegung Gnaden austheilend, in den ersten
Bänken seinen Römerinnen Platz zu schaffen, und für
diese Damen schoben sich auch die Schweizerschultern
seitwärts. So läßt uns öfters ein kleiner Zug hinter
die Coulissen der Politik lugen. Zeichnen sich nicht
auch in diesem Benehmen ihrer Weiber beide Na-
tionen, England wie Frankreich, in ihrer Eigenthüm-
lichkeit, ja sehr charakteristisch für ihr Auftreten in
Jtalien in der neuesten Tagesgeschichte? Man dürfte
diese Episoden, so leicht sie dem Beobachter entschlüpfen
[Spaltenumbruch] konnten, nicht bloß für typisch, sondern auch für sym-
bolisch erklären.

Allzu langsam verlöschen die Lichter auf der Py-
ramide rechts. Dieser lange Psalmgesang ist nur das
erschöpfende Vorspiel für das Hauptdrama, welches
wenige Minuten währt. Aber nach und nach dämmerte
es immer mehr in der Kapelle; als die Flämmchen
jener Pyramide erstorben waren, erloschen plötzlich
sämmtliche Kerzen über dem Altare und dem Goldgitter,
und nun erhoben sich die Stimmen vom Chor, den
man nur am hellen Scheine seitwärts errieth. Es ist
einem bei diesem Sang, als thue sich wirklich der Him-
mel auf -- wie eine Glorie. Man glaubt in ein Bild
von Fiesole, in seine verklärten Engelsköpfe zu schauen.
Welch seliges Verhallen, hinschwebend vor dem ewigen
Gerichte Michel Angelos! Das Ganze endete, wie
jedes Miserere hier, mit einem Donner. Nun fluthet
es schwarz hinaus von Menschen. Ganz zuletzt zog der
Papst, von seinem Hofstaate und den Trabanten um-
geben, voraus die fackeltragenden Diener in ihrer spa-
nischen Tracht von glänzend rothem Damast, mit dem
Sakramente nach der Paulinischen Kapelle, durch deren
Portal Tageshelle auf die in phantastisches Halbdunkel
getauchte Sala Regia wiederstrahlte. Es war etwas
Zauberhaftes, die Perspektive in dieses Heiligthum, das
ganz in Licht schwamm, in Licht zitterte: tausend und
tausend Kerzen, der krystallene Grabaltar gleich einem
Throne, Stukkaturen, Statuen, alles so optisch vertieft,
daß es weit zurück trat. Alles schwebte wie in Son-
nenlicht, während an der Schwelle die Menge wogte,
düstere Massen, von Uniformen durchblitzt, wie fun-
kelndes Geschmeide an einem schwarzen Mantel. Nach
dem Gebete in der Paulinischen Kapelle, welche erst
auf Veranstaltung Pius IX. in solcher Weise restaurirt
worden, kehrte er " in palazzo " zurück. Einzelne Streif-
lichter der Fackeln irrten über die historischen Trachten,
die mannigfachen Gestalten und Gesichter, die großen
Wandgemälde, bis die kleine Procession, die wirklich
ein geschichtliches Gepräge hatte, nachdem sie dem
blendenden Lichtmeer entstiegen war, allmählig in ar-
chitektonischen Schatten schwand, wie ein Geisterbild.
Das bunteste Gewühl trug uns die langsam sich sen-
kenden Treppen hinab. Unten, am Ausgange der Hallen
bei der Colonnade, wo die Wagen vorfahren, berührte
unser Ohr ein fremder, seltsamer Schall, der uns aber
aus der Romantik in die Wirklichkeit zurückrief: ein
derber Schlag mit der flachen Klinge, den der Dra-
goner einem Kutscher gegeben, welcher wahrscheinlich
die Ordnung gebrochen hatte.

Den folgenden Charfreitag -- was kann man anders
thun, als wieder nach St. Peter fahren? Jn der Kirche
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] absteigenden Volks= und Soldatenhaufen, Zügen von
Bäuerinnen mit rothen Röcken und weißen Kopftüchern,
Pilgern mit umgehängten Rosenkränzen und Reliquien
von Elfenbein, die Haupttreppe hinan nach der Sala
Regia. Nur ein purpurner Damastvorhang trennt uns
noch von der Sixtinischen Kapelle, in welcher schwarze
Frauenschleier wallen, Welle an Welle, diesseits des
goldenen Gitters, das die Weltlichkeit vom Klerus
scheidet; denn die Damen sind es vorzüglich, welche
sich jedes Jahr zum Miserere drängen. Auf der für
sie bestimmten Seite schaaren sie sich gleich schwarzen
Vögeln. Mannshohe gelbe Kerzen brennen düster auf
eben so großen Silberleuchtern auf dem Gitter und
dem Altar jenseits, neben welchem der heilige Vater
unter dem Thronhimmel sitzt, schneeweiß von der silber-
nen Tiare bis zur Fußspitze. An der andern Wand
flimmert eine Lichterpyramide, die uns als eine Art
Uhr gilt. So oft ein Psalm gesungen ist, wird eine
der Kerzen ausgelöscht. Auch hier wieder die Kammer-
herrn in ihrer dunkeln spanischen Kleidung, die derb-
schulterigen Schweizer mit ihren Hellebarden, deren
farbig gestreifter Rücken unerbittlich ist bei dem weich-
sten Flehen von schönen Lippen in allen lebenden Mund-
arten. Spät rauschen einige Französinnen herein,
sichtbar mit dem vollen Siegesgefühl der großen Armee,
und können es nicht begreifen, daß sie keinen Platz
mehr finden sollen. Die eine derselben wollte dem
Trabanten aus Helvetien kommandiren, ihnen Platz zu
machen. » Nous sommes femmes d'officiers français
herrschte sie, und ließ den päpstlichen Kammerherrn herbei
holen. » Il n'y a plus de place, dit-on,« rief sie;
» c'est tout-a-fait ridicule; je ne vois pourtant pas ici
une seule dame de la division
!« Sie wand, sie drehte
sich, sie befahl, drohte; aber es half nichts, der Hi-
dalgo mit der goldenen Kette und dem Knebelbart zuckte
die Achseln, zeigte auf die vollen Vorderreihen und be-
deutete die Pariserinnen umzukehren, um von einer
andern Seite in das Centrum zu gelangen, wo man
in Masse kaiserliche Uniformen und Henri=quatres ge-
wahrte. Das hinderte ihn aber nicht, im Rücken der
französischen Eroberinnen, mit Lächeln und ritterlicher
Handbewegung Gnaden austheilend, in den ersten
Bänken seinen Römerinnen Platz zu schaffen, und für
diese Damen schoben sich auch die Schweizerschultern
seitwärts. So läßt uns öfters ein kleiner Zug hinter
die Coulissen der Politik lugen. Zeichnen sich nicht
auch in diesem Benehmen ihrer Weiber beide Na-
tionen, England wie Frankreich, in ihrer Eigenthüm-
lichkeit, ja sehr charakteristisch für ihr Auftreten in
Jtalien in der neuesten Tagesgeschichte? Man dürfte
diese Episoden, so leicht sie dem Beobachter entschlüpfen
[Spaltenumbruch] konnten, nicht bloß für typisch, sondern auch für sym-
bolisch erklären.

Allzu langsam verlöschen die Lichter auf der Py-
ramide rechts. Dieser lange Psalmgesang ist nur das
erschöpfende Vorspiel für das Hauptdrama, welches
wenige Minuten währt. Aber nach und nach dämmerte
es immer mehr in der Kapelle; als die Flämmchen
jener Pyramide erstorben waren, erloschen plötzlich
sämmtliche Kerzen über dem Altare und dem Goldgitter,
und nun erhoben sich die Stimmen vom Chor, den
man nur am hellen Scheine seitwärts errieth. Es ist
einem bei diesem Sang, als thue sich wirklich der Him-
mel auf — wie eine Glorie. Man glaubt in ein Bild
von Fiesole, in seine verklärten Engelsköpfe zu schauen.
Welch seliges Verhallen, hinschwebend vor dem ewigen
Gerichte Michel Angelos! Das Ganze endete, wie
jedes Miserere hier, mit einem Donner. Nun fluthet
es schwarz hinaus von Menschen. Ganz zuletzt zog der
Papst, von seinem Hofstaate und den Trabanten um-
geben, voraus die fackeltragenden Diener in ihrer spa-
nischen Tracht von glänzend rothem Damast, mit dem
Sakramente nach der Paulinischen Kapelle, durch deren
Portal Tageshelle auf die in phantastisches Halbdunkel
getauchte Sala Regia wiederstrahlte. Es war etwas
Zauberhaftes, die Perspektive in dieses Heiligthum, das
ganz in Licht schwamm, in Licht zitterte: tausend und
tausend Kerzen, der krystallene Grabaltar gleich einem
Throne, Stukkaturen, Statuen, alles so optisch vertieft,
daß es weit zurück trat. Alles schwebte wie in Son-
nenlicht, während an der Schwelle die Menge wogte,
düstere Massen, von Uniformen durchblitzt, wie fun-
kelndes Geschmeide an einem schwarzen Mantel. Nach
dem Gebete in der Paulinischen Kapelle, welche erst
auf Veranstaltung Pius IX. in solcher Weise restaurirt
worden, kehrte er » in palazzo « zurück. Einzelne Streif-
lichter der Fackeln irrten über die historischen Trachten,
die mannigfachen Gestalten und Gesichter, die großen
Wandgemälde, bis die kleine Procession, die wirklich
ein geschichtliches Gepräge hatte, nachdem sie dem
blendenden Lichtmeer entstiegen war, allmählig in ar-
chitektonischen Schatten schwand, wie ein Geisterbild.
Das bunteste Gewühl trug uns die langsam sich sen-
kenden Treppen hinab. Unten, am Ausgange der Hallen
bei der Colonnade, wo die Wagen vorfahren, berührte
unser Ohr ein fremder, seltsamer Schall, der uns aber
aus der Romantik in die Wirklichkeit zurückrief: ein
derber Schlag mit der flachen Klinge, den der Dra-
goner einem Kutscher gegeben, welcher wahrscheinlich
die Ordnung gebrochen hatte.

Den folgenden Charfreitag — was kann man anders
thun, als wieder nach St. Peter fahren? Jn der Kirche
[Ende Spaltensatz]

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Alles schwebte wie in Son- nenlicht, während an der Schwelle die Menge wogte, düstere Massen, von Uniformen durchblitzt, wie fun- kelndes Geschmeide an einem schwarzen Mantel. Nach dem Gebete in der Paulinischen Kapelle, welche erst auf Veranstaltung Pius IX. in solcher Weise restaurirt worden, kehrte er » in palazzo « zurück. Einzelne Streif- lichter der Fackeln irrten über die historischen Trachten, die mannigfachen Gestalten und Gesichter, die großen Wandgemälde, bis die kleine Procession, die wirklich ein geschichtliches Gepräge hatte, nachdem sie dem blendenden Lichtmeer entstiegen war, allmählig in ar- chitektonischen Schatten schwand, wie ein Geisterbild. Das bunteste Gewühl trug uns die langsam sich sen- kenden Treppen hinab. Unten, am Ausgange der Hallen bei der Colonnade, wo die Wagen vorfahren, berührte unser Ohr ein fremder, seltsamer Schall, der uns aber aus der Romantik in die Wirklichkeit zurückrief: ein derber Schlag mit der flachen Klinge, den der Dra- goner einem Kutscher gegeben, welcher wahrscheinlich die Ordnung gebrochen hatte. Den folgenden Charfreitag — was kann man anders thun, als wieder nach St. Peter fahren? Jn der Kirche

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 845. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/5>, abgerufen am 21.11.2024.