Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.[Beginn Spaltensatz]
selbst herrscht immer während der ganzen Woche wech- Jndessen zeigen sich in der Peterskirche, auf einem Lustiger noch florirt die römische Gastronomie am Durch alles das hindurch machten wir uns Bahn [Beginn Spaltensatz]
selbst herrscht immer während der ganzen Woche wech- Jndessen zeigen sich in der Peterskirche, auf einem Lustiger noch florirt die römische Gastronomie am Durch alles das hindurch machten wir uns Bahn <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0006" n="846"/><fw type="pageNum" place="top">846</fw><cb type="start"/> selbst herrscht immer während der ganzen Woche wech-<lb/> selndes Leben. Es ist wie eine Stadt für sich. Hier<lb/> rauschen » <hi rendition="#aq">principesse</hi> « am Arme ihrer Begleiter in schlep-<lb/> penden schwarzen Gewändern durch die Säulenhallen;<lb/> da exercirt Militär, welches die Kathedrale innen und<lb/> außen wie mit bunten Schnüren umwindet und einfaßt,<lb/> dort wandern Processionen. Hier sammelt sich eine<lb/> Mädchenschaar, eine Schule, in blauen Röcken mit<lb/> weißen Kopftüchern, von Nonnen in schwarzem Ordens-<lb/> habit begleitet, um den Cardinal Penitenziere zu er-<lb/> warten. Jener Priester hält einen langen Stab, mit<lb/> welchem er jedem, der nach abgelegtem Bekenntnisse noch<lb/> einmal vor den Beichtstuhl hintritt, zur Absolution auf<lb/> den Kopf hintippt. Heute flammt keiner von den zahl-<lb/> losen goldenen Blüthenstengeln um St. Peters Grab,<lb/> heute ist alles Nacht und Finsterniß. Nur die Kapelle<lb/> des heiligen Grabes leuchtet in die dämmernden Wöl-<lb/> bungen. Der krystallklare Gesang des Miserere<lb/> schwingt sich empor. Es hat auch bereits wieder oben<lb/> in der Sirtinischen Kapelle begonnen; Töne fliegen<lb/> heraus, Blicke hinein durch den Purpurvorhang, der<lb/> sich nur selten lüftet hinter den breiten Schultern der<lb/> Trabanten, und vor dem die Menge wie an der Him-<lb/> melsschwelle lauscht, indeß über uns, neben der blut-<lb/> rothen Draperie, sich schaurig düster unter den Fresken<lb/> Vasaris das Gemetzel der Bartholomäusnacht erkennen<lb/> läßt. Wir zogen heute auch vor, außen in diesen<lb/> Räumen der Sala Regia zu verweilen und das Ge-<lb/> wimmel zu betrachten. Jeder einzelne macht Figur,<lb/> jede Welle hat ihren Charakter für sich: die Trach-<lb/> ten aus dem Gebirge, die mittelalterlichen Hof-<lb/> costüme, Priester, Mönche, große Herrn, schöne Da-<lb/> men, Abb<hi rendition="#aq">é</hi>s, Krieger aller Waffengattungen, Fischer,<lb/> Maulthiertreiber, Trachten aller Zeiten und Länder;<lb/> auch einzelne hyperboräische Toiletten von drastischer<lb/> Wirkung; z. B. die Engländerin mit dem Fuchs-<lb/> schwanze am Schleier, wie eine Guirlande um den<lb/> Kopf. Es ist ein frommer Maskenball im kirchlichen<lb/> Carneval.</p><lb/> <p>Jndessen zeigen sich in der Peterskirche, auf einem<lb/> der Pfeileraltane der Kuppel, wie Erscheinungen, Geist-<lb/> liche, die Reliquien hoch emporhebend. Beim Fackel-<lb/> scheine schreitet der Papst mit seinem Gefolge durch das<lb/> Spalier der Soldaten. Das Volk, das Militär, alles<lb/> sinkt in die Knie. Er selbst kniet nieder am Goldge-<lb/> länder des Apostelgrabes unter den erloschenen Lampen,<lb/> wie der marmorne Papst von Canova unten auf den<lb/> Stufen vor der goldenen Thüre der Nische, und ver-<lb/> schwindet nach vollendetem Gebete in der Sakraments-<lb/> kapelle. Das ist das Signal zum allgemeinen Davon-<lb/> eilen über den Petersplatz, durch seine Säulenkränze,<lb/><cb n="2"/> über die Rom fast geisterhaft widerspiegelnde Tiber,<lb/> durch die Straßen voll bunter Lampen vor den Eß-<lb/> waaren, Früchten und Blumen, voll beleuchteter Kü-<lb/> chenzelte <choice><abbr>ec.</abbr></choice>, wo man im Dahinrollen nur zuweilen un-<lb/> willkürlich zusammenschreckt, wenn uns gleich Gespen-<lb/> stern aus leeren Augenhöhlen schwarze „Sacconi“ an-<lb/> starren, die in larvenhafte Kaputzen gehüllten Bruder-<lb/> schaften, mit Pilgerstäben und Büchsen in der Hand.</p><lb/> <p>Lustiger noch florirt die römische Gastronomie am<lb/> Ostersamstag. „Was sind das für Früchte,“ fragten<lb/> wir, „die mit ihren grünen Blättern über den Laden-<lb/> thüren hängen?“ — „Es sind Käse und Cervelatwürste.“<lb/> — Morgen früh, an Ostern, pflegt man nämlich Cer-<lb/> velat mit Eiern zu essen. Von allen Seiten thürmen<lb/> sich ungeheure Käselaibe, oft hundertpfündig, wie zu-<lb/> sammengerollte Riesenschlangen auf einander, oft hoch<lb/> wie Säulen, welche dann als Kapitäle weiße, blumen-<lb/> besteckte Formen vom Teig der Fritti tragen; ganze<lb/> Gewölbe voll kolossaler Speckscheiben, vergoldet und<lb/> farbig bemalt, die wir Anfangs für buntgeränderte Tep-<lb/> piche oder Shawls hielten. Wie brüsten sich sämmt-<lb/> liche Fleischerbuden mit den Osterlämmern, den Ziegen-<lb/> böcklein in Reihe und Glied! Jn allen stecken, wie<lb/> zum Opfer, festliche Blumensträuße. Jeder sucht den<lb/> andern dabei an Geschmack zu überbieten. Einer hat<lb/> seine Hingeschlachteten mit lauter weißen und rothen<lb/> Levkojen verziert, und triumphirend flammen Abends<lb/> die Gasflammen davor. Ueber den ambulanten Küchen<lb/> hängen, gleich Soffitten, dicke Laubgewinde, in denen<lb/> auch, wie billig, der schmackhafte Lorbeer seine Stelle<lb/> findet. Und welche Heere von Tonnen und Körben<lb/> voll schneeiger Eier, zwischen welche mit künstlerischem<lb/> Jnstinkt Arabesken von kleinen Blumen und feinem Kräu-<lb/> terwerk gestreut sind! An allen Gassenecken bieten sich<lb/> Bretzeln feil, die ein Ei wie mit einem Körbchen um-<lb/> bauen und oben eine künstliche Blume tragen; eine frisch-<lb/> duftende wäre nicht rar genug. Häufig drängt sich ein<lb/> Volkstrupp, um kleine schwarze Vögel zu kaufen, die<lb/> wie eine erschlagene Armee auf dem Pflaster hingestreckt<lb/> liegen.</p><lb/> <p>Durch alles das hindurch machten wir uns Bahn<lb/> nach St. Agostino. Das wunderthätige Marmorbild,<lb/> eine ernste, schöne Römerin von Sansovino, ist diesen<lb/> Morgen noch mit schwarzen Schleiern umhüllt, aber<lb/> unter ihnen blitzen doch noch Juwelen. Die Toiletten<lb/> dieser vielverehrten Madonna sind das Entzücken der<lb/> hiesigen jungen Mädchen, welche beständig davon zu<lb/> erzählen wissen. Heute wird das kupferne Weihbecken<lb/> vor diesem Altare besonders geweiht. Es war ganz<lb/> voll Wasser. Die Leute kamen mit Glaskännchen, mit<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [846/0006]
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selbst herrscht immer während der ganzen Woche wech-
selndes Leben. Es ist wie eine Stadt für sich. Hier
rauschen » principesse « am Arme ihrer Begleiter in schlep-
penden schwarzen Gewändern durch die Säulenhallen;
da exercirt Militär, welches die Kathedrale innen und
außen wie mit bunten Schnüren umwindet und einfaßt,
dort wandern Processionen. Hier sammelt sich eine
Mädchenschaar, eine Schule, in blauen Röcken mit
weißen Kopftüchern, von Nonnen in schwarzem Ordens-
habit begleitet, um den Cardinal Penitenziere zu er-
warten. Jener Priester hält einen langen Stab, mit
welchem er jedem, der nach abgelegtem Bekenntnisse noch
einmal vor den Beichtstuhl hintritt, zur Absolution auf
den Kopf hintippt. Heute flammt keiner von den zahl-
losen goldenen Blüthenstengeln um St. Peters Grab,
heute ist alles Nacht und Finsterniß. Nur die Kapelle
des heiligen Grabes leuchtet in die dämmernden Wöl-
bungen. Der krystallklare Gesang des Miserere
schwingt sich empor. Es hat auch bereits wieder oben
in der Sirtinischen Kapelle begonnen; Töne fliegen
heraus, Blicke hinein durch den Purpurvorhang, der
sich nur selten lüftet hinter den breiten Schultern der
Trabanten, und vor dem die Menge wie an der Him-
melsschwelle lauscht, indeß über uns, neben der blut-
rothen Draperie, sich schaurig düster unter den Fresken
Vasaris das Gemetzel der Bartholomäusnacht erkennen
läßt. Wir zogen heute auch vor, außen in diesen
Räumen der Sala Regia zu verweilen und das Ge-
wimmel zu betrachten. Jeder einzelne macht Figur,
jede Welle hat ihren Charakter für sich: die Trach-
ten aus dem Gebirge, die mittelalterlichen Hof-
costüme, Priester, Mönche, große Herrn, schöne Da-
men, Abbés, Krieger aller Waffengattungen, Fischer,
Maulthiertreiber, Trachten aller Zeiten und Länder;
auch einzelne hyperboräische Toiletten von drastischer
Wirkung; z. B. die Engländerin mit dem Fuchs-
schwanze am Schleier, wie eine Guirlande um den
Kopf. Es ist ein frommer Maskenball im kirchlichen
Carneval.
Jndessen zeigen sich in der Peterskirche, auf einem
der Pfeileraltane der Kuppel, wie Erscheinungen, Geist-
liche, die Reliquien hoch emporhebend. Beim Fackel-
scheine schreitet der Papst mit seinem Gefolge durch das
Spalier der Soldaten. Das Volk, das Militär, alles
sinkt in die Knie. Er selbst kniet nieder am Goldge-
länder des Apostelgrabes unter den erloschenen Lampen,
wie der marmorne Papst von Canova unten auf den
Stufen vor der goldenen Thüre der Nische, und ver-
schwindet nach vollendetem Gebete in der Sakraments-
kapelle. Das ist das Signal zum allgemeinen Davon-
eilen über den Petersplatz, durch seine Säulenkränze,
über die Rom fast geisterhaft widerspiegelnde Tiber,
durch die Straßen voll bunter Lampen vor den Eß-
waaren, Früchten und Blumen, voll beleuchteter Kü-
chenzelte , wo man im Dahinrollen nur zuweilen un-
willkürlich zusammenschreckt, wenn uns gleich Gespen-
stern aus leeren Augenhöhlen schwarze „Sacconi“ an-
starren, die in larvenhafte Kaputzen gehüllten Bruder-
schaften, mit Pilgerstäben und Büchsen in der Hand.
Lustiger noch florirt die römische Gastronomie am
Ostersamstag. „Was sind das für Früchte,“ fragten
wir, „die mit ihren grünen Blättern über den Laden-
thüren hängen?“ — „Es sind Käse und Cervelatwürste.“
— Morgen früh, an Ostern, pflegt man nämlich Cer-
velat mit Eiern zu essen. Von allen Seiten thürmen
sich ungeheure Käselaibe, oft hundertpfündig, wie zu-
sammengerollte Riesenschlangen auf einander, oft hoch
wie Säulen, welche dann als Kapitäle weiße, blumen-
besteckte Formen vom Teig der Fritti tragen; ganze
Gewölbe voll kolossaler Speckscheiben, vergoldet und
farbig bemalt, die wir Anfangs für buntgeränderte Tep-
piche oder Shawls hielten. Wie brüsten sich sämmt-
liche Fleischerbuden mit den Osterlämmern, den Ziegen-
böcklein in Reihe und Glied! Jn allen stecken, wie
zum Opfer, festliche Blumensträuße. Jeder sucht den
andern dabei an Geschmack zu überbieten. Einer hat
seine Hingeschlachteten mit lauter weißen und rothen
Levkojen verziert, und triumphirend flammen Abends
die Gasflammen davor. Ueber den ambulanten Küchen
hängen, gleich Soffitten, dicke Laubgewinde, in denen
auch, wie billig, der schmackhafte Lorbeer seine Stelle
findet. Und welche Heere von Tonnen und Körben
voll schneeiger Eier, zwischen welche mit künstlerischem
Jnstinkt Arabesken von kleinen Blumen und feinem Kräu-
terwerk gestreut sind! An allen Gassenecken bieten sich
Bretzeln feil, die ein Ei wie mit einem Körbchen um-
bauen und oben eine künstliche Blume tragen; eine frisch-
duftende wäre nicht rar genug. Häufig drängt sich ein
Volkstrupp, um kleine schwarze Vögel zu kaufen, die
wie eine erschlagene Armee auf dem Pflaster hingestreckt
liegen.
Durch alles das hindurch machten wir uns Bahn
nach St. Agostino. Das wunderthätige Marmorbild,
eine ernste, schöne Römerin von Sansovino, ist diesen
Morgen noch mit schwarzen Schleiern umhüllt, aber
unter ihnen blitzen doch noch Juwelen. Die Toiletten
dieser vielverehrten Madonna sind das Entzücken der
hiesigen jungen Mädchen, welche beständig davon zu
erzählen wissen. Heute wird das kupferne Weihbecken
vor diesem Altare besonders geweiht. Es war ganz
voll Wasser. Die Leute kamen mit Glaskännchen, mit
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Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung
Weitere Informationen:Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.
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