Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.[Beginn Spaltensatz]
Flaschen, es zu schöpfen und nach Hause zu tragen. Wir standen gerade auf den Stufen von St. Agnese Einen festlichen Anblick gewährt am Ostermorgen Wir hatten nun bereits die Erfahrung, daß uns ( Schluß folgt. ) [Beginn Spaltensatz]
Flaschen, es zu schöpfen und nach Hause zu tragen. Wir standen gerade auf den Stufen von St. Agnese Einen festlichen Anblick gewährt am Ostermorgen Wir hatten nun bereits die Erfahrung, daß uns ( Schluß folgt. ) <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0007" n="847"/><fw type="pageNum" place="top">847</fw><cb type="start"/> Flaschen, es zu schöpfen und nach Hause zu tragen.<lb/> Einige füllten auch Gläser davon und tranken es gleich<lb/> in der Kirche, während andere bloß die Finger ein-<lb/> tauchten. Keiner unterließ aber die goldenen Zehen der<lb/> Mutter Gottes zu küssen.</p><lb/> <p>Wir standen gerade auf den Stufen von St. Agnese<lb/> vor dem Gitter mit den Tauben und blickten über das<lb/> Marktgewimmel auf der Piazza Navona hin, wo alles<lb/> zappelt und schreit, so lustig und beweglich, unter dem<lb/> Silberregen des wie aus Felsen sprudelnden Riesen-<lb/> brunnens von Bernini, tausend einzelne Genrebilder<lb/> der buntesten Art, zu einem allgemeinen Rhythmus<lb/> verschlungen. Da, mit dem Donner der Mittagskanone<lb/> von der Engelsburg, tönten alle Glocken der ganzen<lb/> Stadt in einander, ein Sturm von Glocken, zum er-<lb/> stenmal seit Gründonnerstag. Das war ein freudiger<lb/> Augenblick. Ganz Rom lachte auf, und die Sonne<lb/> schien so hell und warm: der Herr ist auferstanden!<lb/> Nachmittags sah man von Haus zu Haus Priester<lb/> wandeln mit dem Weihwasser, von Chorknaben beglei-<lb/> tet, denn jedes Haus wird heute für das ganze Jahr<lb/> eingesegnet, durch alle Stockwerke. Man pflegt Eier<lb/> in eine Schüssel zu legen, sie ganz mit Blumen zu<lb/> umringen und zu bedecken, und auch dieß weihen zu<lb/> lassen.</p><lb/> <p>Einen festlichen Anblick gewährt am Ostermorgen<lb/> die Peterskirche mit dem Purpurkleide, das sie um ihre<lb/> Marmorwände geworfen hat. Es scheint wie hinge-<lb/> zaubert, aber die, welche es befestigen, wagen ihr Le-<lb/> ben dabei, Männer aus dem Volke, äußerst gewandt und<lb/> kühn. Man nennt sie die St. Pieterani; sie wohnen<lb/> in den kleinen, unter dem Vatikan wie angeklebten<lb/> Häusern, welche gleich Spielwaaren hinter der Colonnade<lb/> vorschauen. Die Peterskirche hat aber auch ihre eige-<lb/> nen Mosaicisten, Maler, Bildhauer, Architekten, die<lb/> man ebenfalls unter jenem gemeinschaftlichen Namen<lb/> begreift. Jene Arbeiter kriechen, um das erwähnte Ge-<lb/> schäft zu vollbringen, aus kleinen, von unten nicht zu<lb/> unterscheidenden Oeffnungen im Gesims, das in schwin-<lb/> delnder Höhe ringsum läuft. Allein dasselbe ist noch<lb/> weit von der Stelle entfernt, wo die rothe Bekleidung<lb/><cb n="2"/> befestigt werden soll, und springt überdieß noch beträchtlich<lb/> vor. Da läßt sich einer am Seile herab, ein Eisen<lb/> in der Hand, mit dem er förmlich ankert am Marmor,<lb/> in den Akanthusblättern der Pilaster, und so versucht<lb/> er die Hacken einzuhängen, welche die unermeßlichen<lb/> Purpurstreifen tragen — eine halsbrechende Art von<lb/> Ringelspiel. Der St. Pieterano, der heute Abend zuletzt<lb/> die großen Flammen zwischen den Perlreihen der Lam-<lb/> pen, zuhöchst auf der Kuppel, am Kreuze, anzündet,<lb/> nimmt die Hostie, ehe er mit der äußersten Gefahr die<lb/> kleine Leiter erklimmt. Er schwebt in der Luft, man<lb/> vermag die Stufen nicht zu erkennen. Aber freilich<lb/> schwindelt man Nachts auch weniger, eben weil man<lb/> nichts sieht.</p><lb/> <p>Wir hatten nun bereits die Erfahrung, daß uns<lb/> in den Massen die malerischen Elemente näher treten,<lb/> und waren beinahe froh, selbst mit den Billets keinen<lb/> Platz mehr auf den Tribunen erringen zu können. Da<lb/> wogte alles durcheinander: die Fürstengarde, von Gold<lb/> und Scharlach strotzend, vielleicht die prächtigste Waffe,<lb/> die Bürgergarde, grün und amaranth mit weißen Bü-<lb/> schen, englische Uniformen, mit langen Ladies am Arme,<lb/> französische Offiziere, Pariserinnen, die wie kleine Schiffe<lb/> segeln, Chorherrn von St. Peter, Kapuziner und Ge-<lb/> birgsvolk, die Lakaien der Cardinäle und Prinzen, blau<lb/> oder roth, mit Borden über und über bedeckt, die<lb/> Heerden von Bäuerinnen, mit den tiefernsten Gesichtern<lb/> und dem weißen Segel des an beiden Enden spitzen-<lb/> artig durchbrochenen Kopftuchs, die Eseltreiber mit<lb/> dem Stabe und der sandalenartigen Fußbekleidung von<lb/> umwickeltem Linnen. Kein Hof mißt sich wohl mit dem<lb/> päpstlichen an Glanz und Hoheit, und an keinem hat<lb/> das Volk, der elendeste Bettler, als wählte er noch<lb/> heute seinen Pontifex selbst, so viel Festantheil: Lum-<lb/> pen und Purpur, Ordenssterne und Franziskanerstricke —<lb/> alles ist hier gleich vor dem Oberhirten. Jn diesen<lb/> Abdruck des himmlischen Monarchismus mischt sich<lb/> noch viel von der ursprünglichen Demokratie des Chri-<lb/> stenthums. Sie ist doch hier tief in das Blut ge-<lb/> drungen.</p><lb/> <cb type="end"/> <p> <hi rendition="#c">( Schluß folgt. )</hi> </p> </div><lb/> <space dim="vertical"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </text> </TEI> [847/0007]
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Flaschen, es zu schöpfen und nach Hause zu tragen.
Einige füllten auch Gläser davon und tranken es gleich
in der Kirche, während andere bloß die Finger ein-
tauchten. Keiner unterließ aber die goldenen Zehen der
Mutter Gottes zu küssen.
Wir standen gerade auf den Stufen von St. Agnese
vor dem Gitter mit den Tauben und blickten über das
Marktgewimmel auf der Piazza Navona hin, wo alles
zappelt und schreit, so lustig und beweglich, unter dem
Silberregen des wie aus Felsen sprudelnden Riesen-
brunnens von Bernini, tausend einzelne Genrebilder
der buntesten Art, zu einem allgemeinen Rhythmus
verschlungen. Da, mit dem Donner der Mittagskanone
von der Engelsburg, tönten alle Glocken der ganzen
Stadt in einander, ein Sturm von Glocken, zum er-
stenmal seit Gründonnerstag. Das war ein freudiger
Augenblick. Ganz Rom lachte auf, und die Sonne
schien so hell und warm: der Herr ist auferstanden!
Nachmittags sah man von Haus zu Haus Priester
wandeln mit dem Weihwasser, von Chorknaben beglei-
tet, denn jedes Haus wird heute für das ganze Jahr
eingesegnet, durch alle Stockwerke. Man pflegt Eier
in eine Schüssel zu legen, sie ganz mit Blumen zu
umringen und zu bedecken, und auch dieß weihen zu
lassen.
Einen festlichen Anblick gewährt am Ostermorgen
die Peterskirche mit dem Purpurkleide, das sie um ihre
Marmorwände geworfen hat. Es scheint wie hinge-
zaubert, aber die, welche es befestigen, wagen ihr Le-
ben dabei, Männer aus dem Volke, äußerst gewandt und
kühn. Man nennt sie die St. Pieterani; sie wohnen
in den kleinen, unter dem Vatikan wie angeklebten
Häusern, welche gleich Spielwaaren hinter der Colonnade
vorschauen. Die Peterskirche hat aber auch ihre eige-
nen Mosaicisten, Maler, Bildhauer, Architekten, die
man ebenfalls unter jenem gemeinschaftlichen Namen
begreift. Jene Arbeiter kriechen, um das erwähnte Ge-
schäft zu vollbringen, aus kleinen, von unten nicht zu
unterscheidenden Oeffnungen im Gesims, das in schwin-
delnder Höhe ringsum läuft. Allein dasselbe ist noch
weit von der Stelle entfernt, wo die rothe Bekleidung
befestigt werden soll, und springt überdieß noch beträchtlich
vor. Da läßt sich einer am Seile herab, ein Eisen
in der Hand, mit dem er förmlich ankert am Marmor,
in den Akanthusblättern der Pilaster, und so versucht
er die Hacken einzuhängen, welche die unermeßlichen
Purpurstreifen tragen — eine halsbrechende Art von
Ringelspiel. Der St. Pieterano, der heute Abend zuletzt
die großen Flammen zwischen den Perlreihen der Lam-
pen, zuhöchst auf der Kuppel, am Kreuze, anzündet,
nimmt die Hostie, ehe er mit der äußersten Gefahr die
kleine Leiter erklimmt. Er schwebt in der Luft, man
vermag die Stufen nicht zu erkennen. Aber freilich
schwindelt man Nachts auch weniger, eben weil man
nichts sieht.
Wir hatten nun bereits die Erfahrung, daß uns
in den Massen die malerischen Elemente näher treten,
und waren beinahe froh, selbst mit den Billets keinen
Platz mehr auf den Tribunen erringen zu können. Da
wogte alles durcheinander: die Fürstengarde, von Gold
und Scharlach strotzend, vielleicht die prächtigste Waffe,
die Bürgergarde, grün und amaranth mit weißen Bü-
schen, englische Uniformen, mit langen Ladies am Arme,
französische Offiziere, Pariserinnen, die wie kleine Schiffe
segeln, Chorherrn von St. Peter, Kapuziner und Ge-
birgsvolk, die Lakaien der Cardinäle und Prinzen, blau
oder roth, mit Borden über und über bedeckt, die
Heerden von Bäuerinnen, mit den tiefernsten Gesichtern
und dem weißen Segel des an beiden Enden spitzen-
artig durchbrochenen Kopftuchs, die Eseltreiber mit
dem Stabe und der sandalenartigen Fußbekleidung von
umwickeltem Linnen. Kein Hof mißt sich wohl mit dem
päpstlichen an Glanz und Hoheit, und an keinem hat
das Volk, der elendeste Bettler, als wählte er noch
heute seinen Pontifex selbst, so viel Festantheil: Lum-
pen und Purpur, Ordenssterne und Franziskanerstricke —
alles ist hier gleich vor dem Oberhirten. Jn diesen
Abdruck des himmlischen Monarchismus mischt sich
noch viel von der ursprünglichen Demokratie des Chri-
stenthums. Sie ist doch hier tief in das Blut ge-
drungen.
( Schluß folgt. )
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