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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Menschenfreunden, noch irgend ein öffentlicher Ankläger,
der auf die Frauenquälerei ein besonderes Auge hat. Es
sind immer die Weiber selbst, die, wenn sie sich anders
nicht mehr helfen können, als Klägerinnen gegen die
Männer auftreten. Mit welcher Sorgfalt dagegen die
Gesellschaft zum Schutze gegen Thierquälerei sich des ge-
ringsten mißhandelten vierfüßigen Geschöpfs annimmt!
Wehe dem Mann, der seinem Pferd oder seinem Ochsen
zu hart mit der Peitsche zusetzt! Die Thierfreunde sind
eine mächtige, reiche Gesellschaft, sie haben die besten Ad-
vokaten in ihren Diensten, und der Thierquäler, unge-
achtet seines Eigenthumsrechts auf Pferd und Ochsen, kann
sicher seyn, daß die Gesellschaft nicht eher ruht, als bis
sie ihn zur Strafe gezogen hat. Die Thierfreunde sind
in ihrem Werke durchaus von christlichen Gefühlen be-
seelt. Seit geraumer Zeit haben sie nun mit Entsetzen
den Qualen zugesehen, welche die Juden den armen
Thieren durch die Art ihres Schlachtens bereiten.
Ochsen und Schafe langsam sich verbluten zu lassen, das
ist gegen alle Menschlichkeit. "Seht, wie wir Christen
unsere Thiere schlachten! Wir versetzen ihnen einen Schlag
auf den Kopf, der sie zu Boden wirft und für alle fer-
neren unempfindlich macht, während die Physiologie dar-
thut, daß während der fünfzehn Minuten, die ein Ochse
braucht, um sich völlig zu verbluten, er keineswegs für
das Gefühl des Leidens abgestorben ist." Mit solchen
Beweisgründen und vielen andern suchten sie denn darzu-
thun, daß die seit dreitausend Jahren übliche Schlacht-
methode der Juden eine Thierquälerei constituire und ge-
gen die Parlamentsakte von 1849 verstoße. Sie haben
daher den Talmud vor den Schranken des englischen Ge-
setzes belangt, um durch das englische Gesetz ein Verdam-
mungsurtheil gegen den Talmud auszuwirken. Nun weiß
man, daß der Lordmayor der City der Richter ist, der
über Fälle der Art zu erkennen hat, und sonderbar ge-
nug muß es sich fügen, daß im Augenblick, wo der
Talmud vor diesen Richterstuhl gezogen ward, ein Jude,
Solomons mit Namen -- nicht zu verwechseln mit Sa-
lomon -- Lordmayor von London ist. Es ist dieß der-
selbe Solomons, der vor einigen Jahren, zum Parlaments-
mitglied gewählt, sich weigerte den christlichen Eid zu
leisten und aus dem Parlament gewaltsam entfernt wer-
den mußte, weil er trotz der Eidesweigerung sich das Recht
mitzustimmen nicht nehmen lassen wollte. Jn der Ma-
gistratur ist Solomons glücklicher als in der Legislatur;
kein Mensch bestritt ihm das Recht, die höchste Würde in
der City zu bekleiden. Aber war es nicht für ihn, den
Juden, eine höchst perplexe Lage, eine wahre Jronie des
Schicksals, im Augenblick, wo er sein Amt antrat, sich
zwischen Talmud und englisches Gesetz gestellt zu sehen?
Der weise Solomons wußte sich nicht anders zu helfen,
als daß er eine Reise vorschützte und dem Alderman Laurie
den Richterstuhl, den Talmud, das englische Gesetz und
die Thierfreunde überließ.

Die Juden waren indessen nicht unthätig geblieben;
[Spaltenumbruch] sie hatten für den Tag, wo der Talmud vor Lauries
Richterstuhl stand, den besten Advokaten geworben und
die ersten Doktoren und Chirurgen kommen lassen, um
Zeugniß abzulegen, daß ihre Schlachtweise keineswegs mit
so vielen Qualen verbunden sey, wie es die Thier-
freunde auszumalen suchten. Die Thierfreunde hatten
aber ebenfalls Doktoren und Physiologen zur Seite, welche
die Aussagen der von den Juden citirten Doktoren wi-
derlegen sollten. Von beiden Seiten wurde hart gekämpft,
der Gerichtssaal in eine völlige Judenschule umgewandelt,
indem die ersten Aerzte der Stadt die Frage, wie lange
ein Ochse zu leiden habe, und ob die Schlachtmethode der
Juden schmerzlicher und peinlicher sey, als die der Chri-
sten, mit dem größten Ernste und mit wahrhaft talmudisti-
scher Spitzfindigkeit diskutirten. Auch die jüdischen Schläch-
ter waren gegenwärtig und mußten ihre Operationsweise
mit allen Umständen beschreiben. Die Juden sowohl als
die christlichen Thierfreunde hatten als Zeugen Constabler
citirt, die während der Todesqualen eines Ochsen zugegen
gewesen, der des Experimentes wegen auf jüdische Weise
geschlachtet worden. Es war keineswegs eine so leichte
Sache, genau die Zeit zu ermitteln, die ein Stück Vieh,
das auf jüdische oder auf christliche Weise geschlachtet wor-
den, noch lebt, ehe der Tod seinen Leiden ein Ende macht.
Die Juden brachten unter anderm vor, bevor die Thier-
freunde die Juden über die Art und Weise, wie sie das
Rindvieh tödteten, zur Rechenschaft zögen, thäten sie gut,
ein wenig auf die Art und Weise zu achten, wie die Chri-
sten Rebhühner und Hasen zu Tod hetzten und Gänse
zu Tod fütterten, um dieselben gänzlich in Leber auf-
gehen zu lassen und Leberpasteten aus ihnen zu ver-
fertigen. Nachdem die Gründe pro und contra von
beiden Seiten erschöpft waren, gab Alderman Laurie
sein Urtheil ab, das darauf hinauslief, daß das Parla-
ment durch sein Gesetz von 1849 zum Schutze der Thiere
unmöglich im Sinne gehabt haben könne, dem Talmud
und den Juden einen Schlag zu versetzen, und daß die
Thierfreunde eine etwas späte Entdeckung gemacht haben,
wenn sie glauben, daß die seit dreitausend Jahren übliche
Schlachtmethode der Juden unter die Rubrik Thierquälerei
zu stellen sey.

Vom Talmud zur Bibel. Jn der Bibel heißt es:
"du sollst den Tag des Herrn heiligen, du sollst am sieben-
ten Tag von aller Arbeit ruhen;" und im statute book
von 1640 hat das englische Gesetz dieses göttliche Gebot
dahin gedeutet, daß, wer den siebenten Tag dadurch ent-
heiligt, daß er seinem täglichen Beruf oder seiner täglichen
Arbeit an diesem Tag nachgeht, mit einer Geld= oder ent-
sprechenden Gefängnißstrafe belegt werden solle. Jn den
Provinzen ist es gewöhnlich der Geistliche, der über Fälle
der Art zu Gericht sitzt. Man kann sich daher leicht vor-
stellen, daß ein Richter, der zugleich Priester ist, mit be-
sonderer Strenge auf der genauen Befolgung dieses Ge-
botes besteht. Wird gleich das Richteramt unentgeltlich
ausgeübt, so ist doch das Amt eines Rektors ein sehr
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Menschenfreunden, noch irgend ein öffentlicher Ankläger,
der auf die Frauenquälerei ein besonderes Auge hat. Es
sind immer die Weiber selbst, die, wenn sie sich anders
nicht mehr helfen können, als Klägerinnen gegen die
Männer auftreten. Mit welcher Sorgfalt dagegen die
Gesellschaft zum Schutze gegen Thierquälerei sich des ge-
ringsten mißhandelten vierfüßigen Geschöpfs annimmt!
Wehe dem Mann, der seinem Pferd oder seinem Ochsen
zu hart mit der Peitsche zusetzt! Die Thierfreunde sind
eine mächtige, reiche Gesellschaft, sie haben die besten Ad-
vokaten in ihren Diensten, und der Thierquäler, unge-
achtet seines Eigenthumsrechts auf Pferd und Ochsen, kann
sicher seyn, daß die Gesellschaft nicht eher ruht, als bis
sie ihn zur Strafe gezogen hat. Die Thierfreunde sind
in ihrem Werke durchaus von christlichen Gefühlen be-
seelt. Seit geraumer Zeit haben sie nun mit Entsetzen
den Qualen zugesehen, welche die Juden den armen
Thieren durch die Art ihres Schlachtens bereiten.
Ochsen und Schafe langsam sich verbluten zu lassen, das
ist gegen alle Menschlichkeit. „Seht, wie wir Christen
unsere Thiere schlachten! Wir versetzen ihnen einen Schlag
auf den Kopf, der sie zu Boden wirft und für alle fer-
neren unempfindlich macht, während die Physiologie dar-
thut, daß während der fünfzehn Minuten, die ein Ochse
braucht, um sich völlig zu verbluten, er keineswegs für
das Gefühl des Leidens abgestorben ist.“ Mit solchen
Beweisgründen und vielen andern suchten sie denn darzu-
thun, daß die seit dreitausend Jahren übliche Schlacht-
methode der Juden eine Thierquälerei constituire und ge-
gen die Parlamentsakte von 1849 verstoße. Sie haben
daher den Talmud vor den Schranken des englischen Ge-
setzes belangt, um durch das englische Gesetz ein Verdam-
mungsurtheil gegen den Talmud auszuwirken. Nun weiß
man, daß der Lordmayor der City der Richter ist, der
über Fälle der Art zu erkennen hat, und sonderbar ge-
nug muß es sich fügen, daß im Augenblick, wo der
Talmud vor diesen Richterstuhl gezogen ward, ein Jude,
Solomons mit Namen — nicht zu verwechseln mit Sa-
lomon — Lordmayor von London ist. Es ist dieß der-
selbe Solomons, der vor einigen Jahren, zum Parlaments-
mitglied gewählt, sich weigerte den christlichen Eid zu
leisten und aus dem Parlament gewaltsam entfernt wer-
den mußte, weil er trotz der Eidesweigerung sich das Recht
mitzustimmen nicht nehmen lassen wollte. Jn der Ma-
gistratur ist Solomons glücklicher als in der Legislatur;
kein Mensch bestritt ihm das Recht, die höchste Würde in
der City zu bekleiden. Aber war es nicht für ihn, den
Juden, eine höchst perplexe Lage, eine wahre Jronie des
Schicksals, im Augenblick, wo er sein Amt antrat, sich
zwischen Talmud und englisches Gesetz gestellt zu sehen?
Der weise Solomons wußte sich nicht anders zu helfen,
als daß er eine Reise vorschützte und dem Alderman Laurie
den Richterstuhl, den Talmud, das englische Gesetz und
die Thierfreunde überließ.

Die Juden waren indessen nicht unthätig geblieben;
[Spaltenumbruch] sie hatten für den Tag, wo der Talmud vor Lauries
Richterstuhl stand, den besten Advokaten geworben und
die ersten Doktoren und Chirurgen kommen lassen, um
Zeugniß abzulegen, daß ihre Schlachtweise keineswegs mit
so vielen Qualen verbunden sey, wie es die Thier-
freunde auszumalen suchten. Die Thierfreunde hatten
aber ebenfalls Doktoren und Physiologen zur Seite, welche
die Aussagen der von den Juden citirten Doktoren wi-
derlegen sollten. Von beiden Seiten wurde hart gekämpft,
der Gerichtssaal in eine völlige Judenschule umgewandelt,
indem die ersten Aerzte der Stadt die Frage, wie lange
ein Ochse zu leiden habe, und ob die Schlachtmethode der
Juden schmerzlicher und peinlicher sey, als die der Chri-
sten, mit dem größten Ernste und mit wahrhaft talmudisti-
scher Spitzfindigkeit diskutirten. Auch die jüdischen Schläch-
ter waren gegenwärtig und mußten ihre Operationsweise
mit allen Umständen beschreiben. Die Juden sowohl als
die christlichen Thierfreunde hatten als Zeugen Constabler
citirt, die während der Todesqualen eines Ochsen zugegen
gewesen, der des Experimentes wegen auf jüdische Weise
geschlachtet worden. Es war keineswegs eine so leichte
Sache, genau die Zeit zu ermitteln, die ein Stück Vieh,
das auf jüdische oder auf christliche Weise geschlachtet wor-
den, noch lebt, ehe der Tod seinen Leiden ein Ende macht.
Die Juden brachten unter anderm vor, bevor die Thier-
freunde die Juden über die Art und Weise, wie sie das
Rindvieh tödteten, zur Rechenschaft zögen, thäten sie gut,
ein wenig auf die Art und Weise zu achten, wie die Chri-
sten Rebhühner und Hasen zu Tod hetzten und Gänse
zu Tod fütterten, um dieselben gänzlich in Leber auf-
gehen zu lassen und Leberpasteten aus ihnen zu ver-
fertigen. Nachdem die Gründe pro und contra von
beiden Seiten erschöpft waren, gab Alderman Laurie
sein Urtheil ab, das darauf hinauslief, daß das Parla-
ment durch sein Gesetz von 1849 zum Schutze der Thiere
unmöglich im Sinne gehabt haben könne, dem Talmud
und den Juden einen Schlag zu versetzen, und daß die
Thierfreunde eine etwas späte Entdeckung gemacht haben,
wenn sie glauben, daß die seit dreitausend Jahren übliche
Schlachtmethode der Juden unter die Rubrik Thierquälerei
zu stellen sey.

Vom Talmud zur Bibel. Jn der Bibel heißt es:
„du sollst den Tag des Herrn heiligen, du sollst am sieben-
ten Tag von aller Arbeit ruhen;“ und im statute book
von 1640 hat das englische Gesetz dieses göttliche Gebot
dahin gedeutet, daß, wer den siebenten Tag dadurch ent-
heiligt, daß er seinem täglichen Beruf oder seiner täglichen
Arbeit an diesem Tag nachgeht, mit einer Geld= oder ent-
sprechenden Gefängnißstrafe belegt werden solle. Jn den
Provinzen ist es gewöhnlich der Geistliche, der über Fälle
der Art zu Gericht sitzt. Man kann sich daher leicht vor-
stellen, daß ein Richter, der zugleich Priester ist, mit be-
sonderer Strenge auf der genauen Befolgung dieses Ge-
botes besteht. Wird gleich das Richteramt unentgeltlich
ausgeübt, so ist doch das Amt eines Rektors ein sehr
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856, S. 1053. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856/21>, abgerufen am 11.06.2024.