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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Perle, so müßte man bloß um ihretwillen Nimes zu den
durch Alterthümer wichtigsten Städten zählen. Das Jnnere
des Gebäudes ist jetzt ein Museum, in dem neben moder-
nen Statuen und Gemälden einige antike, sehr hübsche
Mosaiken, griechische Wagenlenker vorstellend, und eine
Menge kleiner und großer Vasen und Gefäß, und Küchen-
geschirr aller Art aus der Römerzeit zu sehen sind. Das
Gebäude ist von einem geräumigen Hof umgeben, in wel-
chem rings herum Capitäle alter Säulen und viele Steine
mit sehr leserlichen römischen Jnschriften aufgestellt sind.

Ehe wir uns länger bei dem letzten und großartigsten
römischen Denkmal in Nimes, dem Amphitheater, auf-
halten, müssen wir der Vollständigkeit wegen noch des
zwei Stunden von der Stadt entfernten, berühmten pont
du Gard
erwähnen. Es ist dieß eine über die ganze Breite
eines Thales geführte römische Wasserleitung von kolossaler
Länge und Höhe. Die drei über einander gebauten Pfeiler-
reihen, von denen die mittleren die höchsten und weitesten sind,
machen einen imposanten Eindruck. Das Ganze ist gut
erhalten und nur an dem einen äußersten Ende in Trüm-
mern und daher auch jetzt unbenützt.

Als ich das erstemal nächtlicher Weile in die Stadt
eintrat, und vom Bahnhof herkommend über die Espla-
nade den Boulevards zueilte, befiel mich plötzlich ein
Schauer. Jch stand vor einem riesigen Ungethüm, dessen
endlosen Schweif ich gar nicht absehen konnte, aus dessen
zahllosen, offenen, grauen, oft ganz schwarzen Rachen ein
unheimlicher Wind pfiff, während um seinen kahlen Schei-
tel plötzlich, wie aus seinen Nasenhöhlen hervorfliegend,
ein Schwarm von Fledermäusen kreiste. -- Jch stand vor
dem römischen Amphitheater, les Arenes genannt. Es
war ein schauerlicher, aber prächtiger, unauslöschlicher
Eindruck, als ich in der Mitte der Nacht vor diesem Koloß
stand. Todtenstille herrschte auf dem weiten Platze, kein
menschlicher Fußtritt ließ sich hören. Ohne noch ein Ob-
dach gefunden zu haben, blieb ich lange Zeit stehen und
schaute in starrer Bewunderung an den Galerien hinauf,
und während ich das Gebäude langsam umschritt, konnte
ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als ob unzählige
Drachenmäuler mich angähnten, die charybdenartig nach
den Vorübergehenden schnappen wollten. Bei lichtem Tage
betrachtet, fällt zwar das Schauerliche des Eindrucks weg,
nicht aber das Großartige. Man denke sich ein ungeheu-
res Oval, dessen Längendurchmesser über 133 Meter be-
trägt, während die zwei über einander gebauten Galerien
sammt dem Aufsatz auf der obersten 22 Meter hoch sind.
Der ganze Umkreis beider Galerien ist vollständig erhal-
[Spaltenumbruch] ten; nur der oberste Mauerkranz ist an einer kurzen Strecke
zerstört, was aber dem Ganzen keinen Eintrag thut. Be-
treten wir das Jnnere, so sind wir vor allem von den
gewaltigen Steinblöcken des Erdgeschosses überrascht, und wir
begreifen, wie die trotzigen Stirnen dieser Quaderpforten
Jahrtausende vorüberbrausen sehen konnten. Jm untern
und im obern Stockwerk führt ein Säulengang von sechzig
breiten Arkaden um das Ganze herum. Wir steigen auf
breiten Treppen zu der obern Galerie hinauf und gehen
derselben entlang. Was sind das für schwarze Säulen
und Wände, auf die wir plötzlich an einer Stelle stoßen?
Lehnen wir uns über die Brüstung und sehen hinunter.
Da stand vor 1100 Jahren der große Retter der abend-
ländischen Cultur und Religion, Carl Martell, als er
bald nach der Völkerschlacht bei Tours im Jahr 732 die
Araber von Stadt zu Stadt verfolgte und sie endlich glück-
lich über die Pyrenäen trieb. Jn diesem festen Bollwerk
hatten sie sich verschanzt und wehrten sich mit verzweifel-
tem Muth, bis sie den wüthenden Stürmen Martells, der
an einigen Stellen Feuer anlegen ließ, unterlagen. Carl
Martell war es auch, der die oben erwähnte Tour Magne
bei dieser Gelegenheit zur Hälfte zerstörte. -- Auf dem
großen freien Platz im Jnnern, auf der Arena, angelangt,
sehen wir "in weiter stets geschweiften Bogen" vierunddreißig
nah am Boden beginnende, gleichmäßig bis zum höchsten
Gipfel sich erhebende Stufenabtheilungen, die nicht weniger
als 25,000 Zuschauer fassen, aber zum Theil zertrümmert
sind. Der Führer zeigt uns auf einer derselben einen un-
geheuern hervorragenden Steinblock; darauf stand der Sitz
für die römischen Cäsaren. Wir betrachten den von blut-
roth angestrichenen Schranken umzäunten Plan. Das war
der Ort, wo das verkommene Römervolk mit Wollust
hunderte von Gladiatoren sich morden sah, wo der heid-
nische Pöbel beim Gähnen der Hyäne und dem Donner-
gebrüll des Löwen sich an den schreckensbleichen Gesichtern,
an den leisen Seufzern der blutenden, an den krampfhaften
Zuckungen der sterbenden christlichen Märtyrer weidete.
Jetzt liegt tiefe Friedensruhe über diesem stummen und doch
so laut redenden Denkmal einer verschollenen Zeit; reich-
liches Gras, viele Blumen sprossen aus den alten Stei-
nen, ja aus der obersten Mauer sind größere Gebüsche und
sogar hohe Bäume hervor gewachsen, während einige
durch die zertrümmerten Stufen unzugängliche Grotten
und Arkaden nur noch durch den stillen Wittwenschleier
des Epheus auf das fremde Gebahren einer neuen Men-
schenwelt blicken.

[Ende Spaltensatz]

( Schluß folgt. )



Verantwortlicher Redakteur: Hauff.
Druck der Buchdruckerei der J. G. Cotta' schen Buchhandlung in Stuttgart.

[Beginn Spaltensatz] Perle, so müßte man bloß um ihretwillen Nimes zu den
durch Alterthümer wichtigsten Städten zählen. Das Jnnere
des Gebäudes ist jetzt ein Museum, in dem neben moder-
nen Statuen und Gemälden einige antike, sehr hübsche
Mosaiken, griechische Wagenlenker vorstellend, und eine
Menge kleiner und großer Vasen und Gefäß, und Küchen-
geschirr aller Art aus der Römerzeit zu sehen sind. Das
Gebäude ist von einem geräumigen Hof umgeben, in wel-
chem rings herum Capitäle alter Säulen und viele Steine
mit sehr leserlichen römischen Jnschriften aufgestellt sind.

Ehe wir uns länger bei dem letzten und großartigsten
römischen Denkmal in Nimes, dem Amphitheater, auf-
halten, müssen wir der Vollständigkeit wegen noch des
zwei Stunden von der Stadt entfernten, berühmten pont
du Gard
erwähnen. Es ist dieß eine über die ganze Breite
eines Thales geführte römische Wasserleitung von kolossaler
Länge und Höhe. Die drei über einander gebauten Pfeiler-
reihen, von denen die mittleren die höchsten und weitesten sind,
machen einen imposanten Eindruck. Das Ganze ist gut
erhalten und nur an dem einen äußersten Ende in Trüm-
mern und daher auch jetzt unbenützt.

Als ich das erstemal nächtlicher Weile in die Stadt
eintrat, und vom Bahnhof herkommend über die Espla-
nade den Boulevards zueilte, befiel mich plötzlich ein
Schauer. Jch stand vor einem riesigen Ungethüm, dessen
endlosen Schweif ich gar nicht absehen konnte, aus dessen
zahllosen, offenen, grauen, oft ganz schwarzen Rachen ein
unheimlicher Wind pfiff, während um seinen kahlen Schei-
tel plötzlich, wie aus seinen Nasenhöhlen hervorfliegend,
ein Schwarm von Fledermäusen kreiste. — Jch stand vor
dem römischen Amphitheater, les Arènes genannt. Es
war ein schauerlicher, aber prächtiger, unauslöschlicher
Eindruck, als ich in der Mitte der Nacht vor diesem Koloß
stand. Todtenstille herrschte auf dem weiten Platze, kein
menschlicher Fußtritt ließ sich hören. Ohne noch ein Ob-
dach gefunden zu haben, blieb ich lange Zeit stehen und
schaute in starrer Bewunderung an den Galerien hinauf,
und während ich das Gebäude langsam umschritt, konnte
ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als ob unzählige
Drachenmäuler mich angähnten, die charybdenartig nach
den Vorübergehenden schnappen wollten. Bei lichtem Tage
betrachtet, fällt zwar das Schauerliche des Eindrucks weg,
nicht aber das Großartige. Man denke sich ein ungeheu-
res Oval, dessen Längendurchmesser über 133 Meter be-
trägt, während die zwei über einander gebauten Galerien
sammt dem Aufsatz auf der obersten 22 Meter hoch sind.
Der ganze Umkreis beider Galerien ist vollständig erhal-
[Spaltenumbruch] ten; nur der oberste Mauerkranz ist an einer kurzen Strecke
zerstört, was aber dem Ganzen keinen Eintrag thut. Be-
treten wir das Jnnere, so sind wir vor allem von den
gewaltigen Steinblöcken des Erdgeschosses überrascht, und wir
begreifen, wie die trotzigen Stirnen dieser Quaderpforten
Jahrtausende vorüberbrausen sehen konnten. Jm untern
und im obern Stockwerk führt ein Säulengang von sechzig
breiten Arkaden um das Ganze herum. Wir steigen auf
breiten Treppen zu der obern Galerie hinauf und gehen
derselben entlang. Was sind das für schwarze Säulen
und Wände, auf die wir plötzlich an einer Stelle stoßen?
Lehnen wir uns über die Brüstung und sehen hinunter.
Da stand vor 1100 Jahren der große Retter der abend-
ländischen Cultur und Religion, Carl Martell, als er
bald nach der Völkerschlacht bei Tours im Jahr 732 die
Araber von Stadt zu Stadt verfolgte und sie endlich glück-
lich über die Pyrenäen trieb. Jn diesem festen Bollwerk
hatten sie sich verschanzt und wehrten sich mit verzweifel-
tem Muth, bis sie den wüthenden Stürmen Martells, der
an einigen Stellen Feuer anlegen ließ, unterlagen. Carl
Martell war es auch, der die oben erwähnte Tour Magne
bei dieser Gelegenheit zur Hälfte zerstörte. — Auf dem
großen freien Platz im Jnnern, auf der Arena, angelangt,
sehen wir „in weiter stets geschweiften Bogen“ vierunddreißig
nah am Boden beginnende, gleichmäßig bis zum höchsten
Gipfel sich erhebende Stufenabtheilungen, die nicht weniger
als 25,000 Zuschauer fassen, aber zum Theil zertrümmert
sind. Der Führer zeigt uns auf einer derselben einen un-
geheuern hervorragenden Steinblock; darauf stand der Sitz
für die römischen Cäsaren. Wir betrachten den von blut-
roth angestrichenen Schranken umzäunten Plan. Das war
der Ort, wo das verkommene Römervolk mit Wollust
hunderte von Gladiatoren sich morden sah, wo der heid-
nische Pöbel beim Gähnen der Hyäne und dem Donner-
gebrüll des Löwen sich an den schreckensbleichen Gesichtern,
an den leisen Seufzern der blutenden, an den krampfhaften
Zuckungen der sterbenden christlichen Märtyrer weidete.
Jetzt liegt tiefe Friedensruhe über diesem stummen und doch
so laut redenden Denkmal einer verschollenen Zeit; reich-
liches Gras, viele Blumen sprossen aus den alten Stei-
nen, ja aus der obersten Mauer sind größere Gebüsche und
sogar hohe Bäume hervor gewachsen, während einige
durch die zertrümmerten Stufen unzugängliche Grotten
und Arkaden nur noch durch den stillen Wittwenschleier
des Epheus auf das fremde Gebahren einer neuen Men-
schenwelt blicken.

[Ende Spaltensatz]

( Schluß folgt. )



Verantwortlicher Redakteur: Hauff.
Druck der Buchdruckerei der J. G. Cotta' schen Buchhandlung in Stuttgart.

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[1056/0024] 1056 Perle, so müßte man bloß um ihretwillen Nimes zu den durch Alterthümer wichtigsten Städten zählen. Das Jnnere des Gebäudes ist jetzt ein Museum, in dem neben moder- nen Statuen und Gemälden einige antike, sehr hübsche Mosaiken, griechische Wagenlenker vorstellend, und eine Menge kleiner und großer Vasen und Gefäß, und Küchen- geschirr aller Art aus der Römerzeit zu sehen sind. Das Gebäude ist von einem geräumigen Hof umgeben, in wel- chem rings herum Capitäle alter Säulen und viele Steine mit sehr leserlichen römischen Jnschriften aufgestellt sind. Ehe wir uns länger bei dem letzten und großartigsten römischen Denkmal in Nimes, dem Amphitheater, auf- halten, müssen wir der Vollständigkeit wegen noch des zwei Stunden von der Stadt entfernten, berühmten pont du Gard erwähnen. Es ist dieß eine über die ganze Breite eines Thales geführte römische Wasserleitung von kolossaler Länge und Höhe. 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Carl Martell war es auch, der die oben erwähnte Tour Magne bei dieser Gelegenheit zur Hälfte zerstörte. — Auf dem großen freien Platz im Jnnern, auf der Arena, angelangt, sehen wir „in weiter stets geschweiften Bogen“ vierunddreißig nah am Boden beginnende, gleichmäßig bis zum höchsten Gipfel sich erhebende Stufenabtheilungen, die nicht weniger als 25,000 Zuschauer fassen, aber zum Theil zertrümmert sind. Der Führer zeigt uns auf einer derselben einen un- geheuern hervorragenden Steinblock; darauf stand der Sitz für die römischen Cäsaren. Wir betrachten den von blut- roth angestrichenen Schranken umzäunten Plan. Das war der Ort, wo das verkommene Römervolk mit Wollust hunderte von Gladiatoren sich morden sah, wo der heid- nische Pöbel beim Gähnen der Hyäne und dem Donner- gebrüll des Löwen sich an den schreckensbleichen Gesichtern, an den leisen Seufzern der blutenden, an den krampfhaften Zuckungen der sterbenden christlichen Märtyrer weidete. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856, S. 1056. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856/24>, abgerufen am 29.05.2024.