Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856.Aus Südfrankreich, Oktober. Nimes. -- Die römischen Alterthümer. Unlängst habe ich Sie mit der Beschreibung des Die in einer weiten, fruchtbaren, an Oelbäumen und Folgen wir, um so lange als möglich im Schatten Aus Südfrankreich, Oktober. Nimes. — Die römischen Alterthümer. Unlängst habe ich Sie mit der Beschreibung des Die in einer weiten, fruchtbaren, an Oelbäumen und Folgen wir, um so lange als möglich im Schatten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0023" n="1055"/> <fw type="pageNum" place="top">1055</fw> <div type="jArticle" n="2"> <head>Aus Südfrankreich, <date>Oktober</date>.</head><lb/> <argument> <p>Nimes. — Die römischen Alterthümer.</p> </argument> <cb type="start"/> <p>Unlängst habe ich Sie mit der Beschreibung des<lb/> Städtchens Aigues=Mortes in mittelalterliche Hallen ge-<lb/> führt; lassen Sie uns heute noch einen Schritt weiter<lb/> zurück in das Alterthum thun auf den classisch römischen<lb/> Boden, und zwar in die Stadt, welcher, was römische<lb/> Alterthümer betrifft, unter allen Städten Südfrankreichs<lb/> entschieden der Preis zuerkannt wird, <hi rendition="#g">Nimes</hi> ( das alte<lb/> Nemausus ) . Wohl mag der römische Triumphbogen ( <hi rendition="#aq">arc de<lb/> Marius</hi> genannt ) zu Orange ( <hi rendition="#aq">Arausio</hi> ) sich den schönsten<lb/> in Rom an die Seite stellen, wohl mag Arles ( <hi rendition="#aq">Arelate )</hi><lb/> gegen ihre Nebenbuhlerin Nimes mit ihrem » <hi rendition="#aq">théâtre<lb/> d'Auguste et de Livie</hi> «, ihrem Rolandsthurm, ihrem<lb/> das zu Nimes an Größe etwas übetreffenden Amphithea-<lb/> ter, ihrem Forum, ihrem alten Obelisken ( vielleicht dem<lb/> einzigen Monolithen von Granit, der in dieser Größe<lb/> außerhalb Egyptens errichtet wurde ) , in die Schranken<lb/> treten, so bleibt doch Nimes der Ruhm, die schönsten<lb/> Perlen römischer Baukunst, die sich außerhalb Jtaliens<lb/> finden, zu besitzen, weil die Denkmäler in dieser Stadt<lb/> beinahe vollständig erhalten sind, und darum in jedem<lb/> Besucher den tiefsten und zugleich wohlthuendsten Eindruck<lb/> hinterlassen müssen. </p><lb/> <p>Die in einer weiten, fruchtbaren, an Oelbäumen und<lb/> Weinfeldern reichen Ebene gelegene Stadt wird auf der<lb/> Nordwestseite von einem kleinen Hügel beherrscht, auf<lb/> dessen Spitze sich ein kolossaler Römerthurm erhebt, <hi rendition="#aq">la<lb/> Tour Magne</hi> genannt, der aber nicht zur Hälfte erhalten<lb/> ist, versehen mit vielen Seitenvorsprüngen, die von so kleinen,<lb/> aber behauenen Steinen gebaut sind, daß ein oberfläch-<lb/> licher Blick sie für moderne Backsteine halten könnte. Jn<lb/> einem kleinen Fichtenwäldchen und hübschen Anlagen stei-<lb/> gen wir zur Ebene herab, wo wir am Fuß des Hügels<lb/> eine große Quelle und unmittelbar daneben die ausge-<lb/> zeichnet erhaltenen römischen Bäder entdecken, die zum<lb/> Theil heute noch als Schwimmschule benützt werden. Sie<lb/> bestehen aus mehreren Bassins, die von vielen, theils<lb/> durch runde Bögen, theils durch kleine zierliche Säulen<lb/> getragenen, unterirdischen Galerien umgeben sind, in<lb/> denen das Wasser bald in mehr als Mannshöhe, bald<lb/> nur wenige Schuh tief, bald einfach durchfließend, bald<lb/> in einer sanften Caskade von der Seite herunterquellend<lb/> sich ausbreitet, während der Boden überall mit Stein-<lb/> platten glatt belegt ist. Eine Abtheilung dieser Galerien<lb/> bildet eine kleine Jnsel, auf der zwischen einer Menge<lb/> herrlich blühender Oleandersträuche einige steinerne Nym-<lb/> phen und Najaden, übrigens aus neuerer Zeit, umherlie-<lb/> gen. Bei einer Hitze von 30 Grad im Schatten konnte<lb/> ich mich kaum enthalten, in diese klaren einladenden Flu-<lb/> then hinabzuspringen. — Hart neben dem Ursprung der<lb/><cb n="2"/> Quelle erblickt man noch den zur Hälfte in Trümmern<lb/> liegenden Dianatempel, bei dem aber nur einige ganz<lb/> eigenthümliche Säulenkapitäle, die umherliegen, Jnteresse<lb/> bieten. Da das Ganze zu sehr zertrümmert ist, sind<lb/> auch die Meinungen darüber getheilt. Manche wollen darin<lb/> die Reste eines Pantheons erkennen; wir wollen darum<lb/> auch die Aussage unseres Führers, der uns vor einem<lb/> Portal eine Vertiefung zeigt mit der Bemerkung, hier<lb/> habe die Priesterin Orakel ertheilt, dahin gestellt seyn<lb/> lassen. </p><lb/> <p>Folgen wir, um so lange als möglich im Schatten<lb/> zu bleiben, den Alleen längs der Fontaine, so führen<lb/> uns diese bald auf die Boulevards der Stadt, wo wir<lb/> sogleich auf einem freien Platz ein anderes Denkmal aus<lb/> der Römerzeit erblicken, das nicht nur an Zierlichkeit und<lb/> Feinheit des Geschmacks alle römischen Denkmäler in<lb/> Frankreich übertrifft, sondern auch, da es <hi rendition="#g">vollständig</hi><lb/> erhalten ist, sich dem Schönsten, was Rom von seiner<lb/> großen Vergangenheit aufweisen kann, füglich an die Seite<lb/> stellen darf, das aber thörichter Weise jetzt einen sehr<lb/> prosaischen Namen hat, — <hi rendition="#aq">maison carrée</hi>. Es ist dieß<lb/> ein zu Ehren der Söhne des Agrippa, Cajus und Lucius,<lb/> erbauter Tempel in Form eines länglichten Vierecks; da-<lb/> her jener Name. Dieses im reinsten griechischen Styl<lb/> aufgeführte Gebäude, das übrigens nach Länge, Breite<lb/> und Höhe nur geringe Dimensionen hat, beginnt mit einer<lb/> von zehn reizend schlanken corinthischen Säulen getragenen<lb/> Vorhalle, in der einige große antike Vasen stehen. Der<lb/> Porticus läuft um das ganze Gebäude herum, das daher<lb/> mit einem Kranz von dreißig Säulen geschmückt ist. Theils<lb/> die vollendete Grazie und Feinheit dieser Säulen, theils<lb/> und besonders die über ihnen rings am Fries herum-<lb/> laufenden Skulpturen von unnachahmlicher Präcision<lb/> und Zartheit gießen über dieses Meisterwerk griechisch-<lb/> römischer Baukunst eine so unbeschreibliche Anmuth aus,<lb/> das edle Maaß, die reinen Formen des frei und leicht,<lb/> fast elastisch getragenen Gebäudes geben dem Ganzen einen<lb/> so frisch lebendigen, ich möchte sagen duftigen, blumigen<lb/> Ausdruck, daß das Auge in trunkenem Entzücken von<lb/> diesem wohlthuenden Zauber sich bannen läßt. Man hat<lb/> oft versucht, den vollendet classischen Styl dieses Gebäudes<lb/> nachzuahmen, aber keine der Copien darf sich auch nur<lb/> entfernt dem Original vergleichen; so z. B. ist die darnach<lb/> gebaute Magdalenenkirche in Paris so unendlich plump<lb/> und schwerfällig gegenüber der luftigen Zierlichkeit dieses<lb/> Tempels, daß Jener in der That Recht hatte, der einst<lb/> sagte, sie verhalte sich zu ihrem Original in Nimes wie<lb/> eine Stallmagd zu einer Sylphide. Und hätte Nimes<lb/> nichts weiter von römischen Alterthümern als allein diese<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1055/0023]
1055
Aus Südfrankreich, Oktober.
Nimes. — Die römischen Alterthümer.
Unlängst habe ich Sie mit der Beschreibung des
Städtchens Aigues=Mortes in mittelalterliche Hallen ge-
führt; lassen Sie uns heute noch einen Schritt weiter
zurück in das Alterthum thun auf den classisch römischen
Boden, und zwar in die Stadt, welcher, was römische
Alterthümer betrifft, unter allen Städten Südfrankreichs
entschieden der Preis zuerkannt wird, Nimes ( das alte
Nemausus ) . Wohl mag der römische Triumphbogen ( arc de
Marius genannt ) zu Orange ( Arausio ) sich den schönsten
in Rom an die Seite stellen, wohl mag Arles ( Arelate )
gegen ihre Nebenbuhlerin Nimes mit ihrem » théâtre
d'Auguste et de Livie «, ihrem Rolandsthurm, ihrem
das zu Nimes an Größe etwas übetreffenden Amphithea-
ter, ihrem Forum, ihrem alten Obelisken ( vielleicht dem
einzigen Monolithen von Granit, der in dieser Größe
außerhalb Egyptens errichtet wurde ) , in die Schranken
treten, so bleibt doch Nimes der Ruhm, die schönsten
Perlen römischer Baukunst, die sich außerhalb Jtaliens
finden, zu besitzen, weil die Denkmäler in dieser Stadt
beinahe vollständig erhalten sind, und darum in jedem
Besucher den tiefsten und zugleich wohlthuendsten Eindruck
hinterlassen müssen.
Die in einer weiten, fruchtbaren, an Oelbäumen und
Weinfeldern reichen Ebene gelegene Stadt wird auf der
Nordwestseite von einem kleinen Hügel beherrscht, auf
dessen Spitze sich ein kolossaler Römerthurm erhebt, la
Tour Magne genannt, der aber nicht zur Hälfte erhalten
ist, versehen mit vielen Seitenvorsprüngen, die von so kleinen,
aber behauenen Steinen gebaut sind, daß ein oberfläch-
licher Blick sie für moderne Backsteine halten könnte. Jn
einem kleinen Fichtenwäldchen und hübschen Anlagen stei-
gen wir zur Ebene herab, wo wir am Fuß des Hügels
eine große Quelle und unmittelbar daneben die ausge-
zeichnet erhaltenen römischen Bäder entdecken, die zum
Theil heute noch als Schwimmschule benützt werden. Sie
bestehen aus mehreren Bassins, die von vielen, theils
durch runde Bögen, theils durch kleine zierliche Säulen
getragenen, unterirdischen Galerien umgeben sind, in
denen das Wasser bald in mehr als Mannshöhe, bald
nur wenige Schuh tief, bald einfach durchfließend, bald
in einer sanften Caskade von der Seite herunterquellend
sich ausbreitet, während der Boden überall mit Stein-
platten glatt belegt ist. Eine Abtheilung dieser Galerien
bildet eine kleine Jnsel, auf der zwischen einer Menge
herrlich blühender Oleandersträuche einige steinerne Nym-
phen und Najaden, übrigens aus neuerer Zeit, umherlie-
gen. Bei einer Hitze von 30 Grad im Schatten konnte
ich mich kaum enthalten, in diese klaren einladenden Flu-
then hinabzuspringen. — Hart neben dem Ursprung der
Quelle erblickt man noch den zur Hälfte in Trümmern
liegenden Dianatempel, bei dem aber nur einige ganz
eigenthümliche Säulenkapitäle, die umherliegen, Jnteresse
bieten. Da das Ganze zu sehr zertrümmert ist, sind
auch die Meinungen darüber getheilt. Manche wollen darin
die Reste eines Pantheons erkennen; wir wollen darum
auch die Aussage unseres Führers, der uns vor einem
Portal eine Vertiefung zeigt mit der Bemerkung, hier
habe die Priesterin Orakel ertheilt, dahin gestellt seyn
lassen.
Folgen wir, um so lange als möglich im Schatten
zu bleiben, den Alleen längs der Fontaine, so führen
uns diese bald auf die Boulevards der Stadt, wo wir
sogleich auf einem freien Platz ein anderes Denkmal aus
der Römerzeit erblicken, das nicht nur an Zierlichkeit und
Feinheit des Geschmacks alle römischen Denkmäler in
Frankreich übertrifft, sondern auch, da es vollständig
erhalten ist, sich dem Schönsten, was Rom von seiner
großen Vergangenheit aufweisen kann, füglich an die Seite
stellen darf, das aber thörichter Weise jetzt einen sehr
prosaischen Namen hat, — maison carrée. Es ist dieß
ein zu Ehren der Söhne des Agrippa, Cajus und Lucius,
erbauter Tempel in Form eines länglichten Vierecks; da-
her jener Name. Dieses im reinsten griechischen Styl
aufgeführte Gebäude, das übrigens nach Länge, Breite
und Höhe nur geringe Dimensionen hat, beginnt mit einer
von zehn reizend schlanken corinthischen Säulen getragenen
Vorhalle, in der einige große antike Vasen stehen. Der
Porticus läuft um das ganze Gebäude herum, das daher
mit einem Kranz von dreißig Säulen geschmückt ist. Theils
die vollendete Grazie und Feinheit dieser Säulen, theils
und besonders die über ihnen rings am Fries herum-
laufenden Skulpturen von unnachahmlicher Präcision
und Zartheit gießen über dieses Meisterwerk griechisch-
römischer Baukunst eine so unbeschreibliche Anmuth aus,
das edle Maaß, die reinen Formen des frei und leicht,
fast elastisch getragenen Gebäudes geben dem Ganzen einen
so frisch lebendigen, ich möchte sagen duftigen, blumigen
Ausdruck, daß das Auge in trunkenem Entzücken von
diesem wohlthuenden Zauber sich bannen läßt. Man hat
oft versucht, den vollendet classischen Styl dieses Gebäudes
nachzuahmen, aber keine der Copien darf sich auch nur
entfernt dem Original vergleichen; so z. B. ist die darnach
gebaute Magdalenenkirche in Paris so unendlich plump
und schwerfällig gegenüber der luftigen Zierlichkeit dieses
Tempels, daß Jener in der That Recht hatte, der einst
sagte, sie verhalte sich zu ihrem Original in Nimes wie
eine Stallmagd zu einer Sylphide. Und hätte Nimes
nichts weiter von römischen Alterthümern als allein diese
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