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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Anfrage von oben, ihren Willen halb durch Zeichen,
halb durch Worte kund.

Alsbald erschienen zwei stämmige Bursche, der
eine bejahrt, der andere jung, jeder mit einer brennen-
den Fackel und einem keulenartigen Stock versehen. Eine
Seitenthür am westlichen Eingang wurde leise geöffnet,
und Frau Sarah schlich sich recognoscirend hinein.
Finster und todtenstill lagen die weiten Räume der
Kirche, welche das Mondlicht jetzt ganz verlassen hatte,
und kein Laut noch Schimmer sprach von der Anwe-
senheit menschlicher Wesen.

"Sonderbar!" murmelte Sarah, "sollte mir Elias
etwas vorgemacht haben? Unmöglich! Wenn aber --
wenn -- -- Sie müssen in der Sakristei hinter dem
Chor seyn, denn dort gibt es allein etwas zu stehlen."

Sie rief ihre Begleiter zu sich und bedeutete dieselben,
einzeln, jeder in einem Seitenschiff, mit gesenkter Fackel
und unter dem Schutz der Pfeiler vorsichtig nach dem
Chor voranzugehen. Nach einigen, durch die Unheim-
lichkeit des Ortes und der Zeit eingegebenen Einwen-
dungen folgten die Wächter diesem Befehl, und Sarah
selbst schlich, ihre Laterne unter der Schürze verbergend
und den Schürhaken fest in der Rechten, durch das
Mittelschiff voran. Am Chor angekommen vereinigte
man sich wieder, ohne das Geringste entdeckt zu haben;
die Thür der Sakristei zeigte sich verschlossen und un-
verletzt; Frau Sarah leuchtete auf den Boden, und der
Staub, welcher sich im Verlauf der Woche dort ange-
sammelt hatte, lag gänzlich unversehrt.

"Es ist niemand in der Kirche," sagte nun der
jüngere Wächter, "Herr Schnecke muß sich geirrt haben."
-- "Dann wäre ihm besser," entgegnete Sarah ingrim-
mig, "am jüngsten Tag die Posaune des Gerichts zu
verschlafen! Aber es kann nicht seyn!" -- "Er wird
vielleicht," flüsterte der Aeltere schüchtern, während ihm
der andere ein abwehrendes Zeichen machte, "er wird
vielleicht die grauen Kobolde gesehen haben." -- "Graue
Kobolde!" wiederholte Sarah höhnisch, "graue Kobolde!
Unsinn, alter, grauer Esel! Solche gibt es, wie ich
sehe, aber graue Kobolde gibt es nicht, wenn sie nicht
gerade im Bierkrug --"

Jhre Worte unterbrach ein gewaltiger Schlag,
welcher von oben durch die Kirche schallte, sie in ihren
Grundfesten zu erschüttern schien und in mehrfachem
Echo aus Seitenschiffen und Chor widerdröhnte. Alle
drei standen betäubt, und selbst Sarah blieb sprach-
los, bis die nun folgenden Schläge der Glocken, welche
wie ein immer wiederholtes Echo jenes Tones erschie-
nen, verhallt waren.

"Eilf Uhr!" riefen jetzt die Wächter und machten
Miene sich eiligst aus der Kirche zu entfernen. --
[Spaltenumbruch] "Wem sein Amt lieb ist, der bleibt!" schrie Sarah, in-
dem sie beide an den Ermeln ergriff. "Wir haben die
Spur der Bösewichter!"

Allein ihr Eifer war vergeblich, ihre Begleiter
zeigten sich von einem panischen Schrecken ergriffen, sie
murrten etwas von wahnsinniger Tollkühnheit, die grauen
Kobolde zu leugnen, welche ihre Anwesenheit so eben
auf die entsetzlichste Weise kund gegeben, und gelang-
ten in beständigem Zerren mit der Frau des Küsters
an den Eingang, durch welchen sie eingetreten waren.
Allein dort erhielt die letztere Beistand, denn in dem-
selben Augenblick trat Schnecke ein, eine Laterne in der
Hand und gefolgt von einem ältlichen Herrn in ganz
schwarzem Anzug, klein, rund und glatt wie der Kü-
ster, nur nicht so voll und roth wie dieser. Es war
der Oberpfarrer der Redcliffkirche, Herr William Weston.

Mit schnellen Worten berichtete ihm Sarah die
Widerspenstigkeit der Untergebenen. Diese suchten sich
durch die Thatsache zu rechtfertigen, daß man die Kirche
ohne Erfolg durchsucht habe.

"Aber mein Mann hat die Räuber selbst durch ein
Luftloch einsteigen sehen," keifte Sarah dagegen, "und --"
-- "Ruhe! nur Ruhe!" gebot Herr Weston. "Ruhe
und Gelassenheit! Wenn die Kirche wirklich durchsucht
worden ist, dann könnte man sich füglich wieder zu-
rückziehen."

Schnecke, der in diesem Fall sein eigenes Haupt
von einem schweren Ungewitter bedroht sah, rüstete sich
zu einem Einwand, als Sarah wiederum das Wort
ergriff. "Man ist noch nicht in den oberen Theilen
der Kirche gewesen, Ehrwürden," sagte sie, "und von
dort wurde vorhin ein Ton gehört, welcher nur von
der Anwesenheit der Frevler herrühren kann." -- "Gott
weiß, wo der Ton herkam!" seufzte der ältere Wächter
bedenklich. -- "Ja, Gott weiß es!" wiederholte der
Jüngere.

Herrn Weston schien es bei dieser Sache nicht
ganz geheuer zu seyn, er sah sich mehrmals nach allen
Seiten um und that dann einen Schritt nach der Thür,
welcher ihn zugleich in die Mitte der Anwesenden brachte.
"Aberglaube," sagte er, "ist eine große Sünde und
Muth die schönste Tugend des Mannes. Wenn etwas
Ueberirdisches hier walten sollte, so würde es nur von
guter und göttlicher Natur seyn. Es könnte demnach
ohne alle Bedenklichkeit auch der obere Theil der Kirche
durchsucht werden, allein da es in hohem Grade un-
wahrscheinlich ist, daß sich Diebe statt dahin, wo sich
Werthvolles befindet, in den leeren Aufenthalt des Un-
geziefers begeben sollten, so denke ich, daß wir Alle
getrost und in dem Bewußtseyn, unsere Pflicht, auch
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Anfrage von oben, ihren Willen halb durch Zeichen,
halb durch Worte kund.

Alsbald erschienen zwei stämmige Bursche, der
eine bejahrt, der andere jung, jeder mit einer brennen-
den Fackel und einem keulenartigen Stock versehen. Eine
Seitenthür am westlichen Eingang wurde leise geöffnet,
und Frau Sarah schlich sich recognoscirend hinein.
Finster und todtenstill lagen die weiten Räume der
Kirche, welche das Mondlicht jetzt ganz verlassen hatte,
und kein Laut noch Schimmer sprach von der Anwe-
senheit menschlicher Wesen.

„Sonderbar!“ murmelte Sarah, „sollte mir Elias
etwas vorgemacht haben? Unmöglich! Wenn aber —
wenn — — Sie müssen in der Sakristei hinter dem
Chor seyn, denn dort gibt es allein etwas zu stehlen.“

Sie rief ihre Begleiter zu sich und bedeutete dieselben,
einzeln, jeder in einem Seitenschiff, mit gesenkter Fackel
und unter dem Schutz der Pfeiler vorsichtig nach dem
Chor voranzugehen. Nach einigen, durch die Unheim-
lichkeit des Ortes und der Zeit eingegebenen Einwen-
dungen folgten die Wächter diesem Befehl, und Sarah
selbst schlich, ihre Laterne unter der Schürze verbergend
und den Schürhaken fest in der Rechten, durch das
Mittelschiff voran. Am Chor angekommen vereinigte
man sich wieder, ohne das Geringste entdeckt zu haben;
die Thür der Sakristei zeigte sich verschlossen und un-
verletzt; Frau Sarah leuchtete auf den Boden, und der
Staub, welcher sich im Verlauf der Woche dort ange-
sammelt hatte, lag gänzlich unversehrt.

„Es ist niemand in der Kirche,“ sagte nun der
jüngere Wächter, „Herr Schnecke muß sich geirrt haben.“
— „Dann wäre ihm besser,“ entgegnete Sarah ingrim-
mig, „am jüngsten Tag die Posaune des Gerichts zu
verschlafen! Aber es kann nicht seyn!“ — „Er wird
vielleicht,“ flüsterte der Aeltere schüchtern, während ihm
der andere ein abwehrendes Zeichen machte, „er wird
vielleicht die grauen Kobolde gesehen haben.“ — „Graue
Kobolde!“ wiederholte Sarah höhnisch, „graue Kobolde!
Unsinn, alter, grauer Esel! Solche gibt es, wie ich
sehe, aber graue Kobolde gibt es nicht, wenn sie nicht
gerade im Bierkrug —“

Jhre Worte unterbrach ein gewaltiger Schlag,
welcher von oben durch die Kirche schallte, sie in ihren
Grundfesten zu erschüttern schien und in mehrfachem
Echo aus Seitenschiffen und Chor widerdröhnte. Alle
drei standen betäubt, und selbst Sarah blieb sprach-
los, bis die nun folgenden Schläge der Glocken, welche
wie ein immer wiederholtes Echo jenes Tones erschie-
nen, verhallt waren.

„Eilf Uhr!“ riefen jetzt die Wächter und machten
Miene sich eiligst aus der Kirche zu entfernen. —
[Spaltenumbruch] „Wem sein Amt lieb ist, der bleibt!“ schrie Sarah, in-
dem sie beide an den Ermeln ergriff. „Wir haben die
Spur der Bösewichter!“

Allein ihr Eifer war vergeblich, ihre Begleiter
zeigten sich von einem panischen Schrecken ergriffen, sie
murrten etwas von wahnsinniger Tollkühnheit, die grauen
Kobolde zu leugnen, welche ihre Anwesenheit so eben
auf die entsetzlichste Weise kund gegeben, und gelang-
ten in beständigem Zerren mit der Frau des Küsters
an den Eingang, durch welchen sie eingetreten waren.
Allein dort erhielt die letztere Beistand, denn in dem-
selben Augenblick trat Schnecke ein, eine Laterne in der
Hand und gefolgt von einem ältlichen Herrn in ganz
schwarzem Anzug, klein, rund und glatt wie der Kü-
ster, nur nicht so voll und roth wie dieser. Es war
der Oberpfarrer der Redcliffkirche, Herr William Weston.

Mit schnellen Worten berichtete ihm Sarah die
Widerspenstigkeit der Untergebenen. Diese suchten sich
durch die Thatsache zu rechtfertigen, daß man die Kirche
ohne Erfolg durchsucht habe.

„Aber mein Mann hat die Räuber selbst durch ein
Luftloch einsteigen sehen,“ keifte Sarah dagegen, „und —“
— „Ruhe! nur Ruhe!“ gebot Herr Weston. „Ruhe
und Gelassenheit! Wenn die Kirche wirklich durchsucht
worden ist, dann könnte man sich füglich wieder zu-
rückziehen.“

Schnecke, der in diesem Fall sein eigenes Haupt
von einem schweren Ungewitter bedroht sah, rüstete sich
zu einem Einwand, als Sarah wiederum das Wort
ergriff. „Man ist noch nicht in den oberen Theilen
der Kirche gewesen, Ehrwürden,“ sagte sie, „und von
dort wurde vorhin ein Ton gehört, welcher nur von
der Anwesenheit der Frevler herrühren kann.“ — „Gott
weiß, wo der Ton herkam!“ seufzte der ältere Wächter
bedenklich. — „Ja, Gott weiß es!“ wiederholte der
Jüngere.

Herrn Weston schien es bei dieser Sache nicht
ganz geheuer zu seyn, er sah sich mehrmals nach allen
Seiten um und that dann einen Schritt nach der Thür,
welcher ihn zugleich in die Mitte der Anwesenden brachte.
„Aberglaube,“ sagte er, „ist eine große Sünde und
Muth die schönste Tugend des Mannes. Wenn etwas
Ueberirdisches hier walten sollte, so würde es nur von
guter und göttlicher Natur seyn. Es könnte demnach
ohne alle Bedenklichkeit auch der obere Theil der Kirche
durchsucht werden, allein da es in hohem Grade un-
wahrscheinlich ist, daß sich Diebe statt dahin, wo sich
Werthvolles befindet, in den leeren Aufenthalt des Un-
geziefers begeben sollten, so denke ich, daß wir Alle
getrost und in dem Bewußtseyn, unsere Pflicht, auch
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Es könnte demnach ohne alle Bedenklichkeit auch der obere Theil der Kirche durchsucht werden, allein da es in hohem Grade un- wahrscheinlich ist, daß sich Diebe statt dahin, wo sich Werthvolles befindet, in den leeren Aufenthalt des Un- geziefers begeben sollten, so denke ich, daß wir Alle getrost und in dem Bewußtseyn, unsere Pflicht, auch

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856, S. 1035. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856/3>, abgerufen am 29.05.2024.