Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856.[Beginn Spaltensatz]
an den linken Flügel des Gebäudes und hatte in seiner Jn einem wohlthuenden Gegensatz hiezu stand der War dieser Theil des Landsitzes so zweckmäßig als Es ging gegen Mittag, als eine junge Dame von Jn Entfaltung der Reize des Busens und der [Beginn Spaltensatz]
an den linken Flügel des Gebäudes und hatte in seiner Jn einem wohlthuenden Gegensatz hiezu stand der War dieser Theil des Landsitzes so zweckmäßig als Es ging gegen Mittag, als eine junge Dame von Jn Entfaltung der Reize des Busens und der <TEI> <text> <body> <div xml:id="Nov2" type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0011" n="1091"/><fw type="pageNum" place="top">1091</fw><cb type="start"/> an den linken Flügel des Gebäudes und hatte in seiner<lb/> Mitte einen Brunnen, welchen eine zackige Spitze von<lb/> rothem Sandstein überragte. Dieselbe war noch un-<lb/> vollendet, denn ein Steinmetz glättete und putzte an<lb/> ihren eher reichen als geschmackvollen Details. Auf<lb/> dem andern Flügel waren zwei Thürmchen mit Schieß-<lb/> scharten und schief gezogenen, schmalen Fenstern für die<lb/> Wendeltreppe aufgesetzt. Jhre Kriegstüchtigkeit war,<lb/> trotz ihres kastellartigen Aussehens, gleich Null, dage-<lb/> gen bot ihre Spitze einen hübschen Rundblick auf die<lb/> nächste Umgebung und ließ sogar im fernen Westen<lb/> die dunkeln Vorberge des Walliser Hochlandes erken-<lb/> nen. Kleinere Thurmspitzen, Galerien, Erker und<lb/> Pavillons waren an allen Ecken und Enden dieses<lb/> wunderlichen Gebäudes angebracht, welches dem Be-<lb/> schauer den Eindruck eines chaotischen Durcheinander<lb/> machte, einer humoristischen Mischung von Kapelle,<lb/> Schloß und Landsitz zum Zweck einer Theaterdekoration.</p><lb/> <p>Jn einem wohlthuenden Gegensatz hiezu stand der<lb/> kleine Park um den Erdbeerenberg. Dessen ganze An-<lb/> ordnung hatte Walpole dem ihm wohlbekannten Gar-<lb/> tenkünstler Kent überlassen, und dieser wußte nicht allein<lb/> die saftigen Wiesen, die stattlichen Baumgruppen und<lb/> die dichten Gebüsche neben und auf dem Hügel zur<lb/> Herstellung einer reizenden Landschaft voll von einzel-<lb/> nen entzückenden Plätzen auszubeuten, sondern er trug<lb/> auch dem romantischen Geschmack des Eigenthümers Rech-<lb/> nung, indem er hier eine düstere Felsengruppe durch<lb/> das Grün blicken, dort eine kleine Cascade, von einem<lb/> rauhen Baumstamme überbrückt, einen Abhang herab-<lb/> schäumen ließ, und endlich auf der zugleich schattig-<lb/> sten und entferntesten Stelle eine künstliche Ruine<lb/> aus einem halben Thurm, zwei zerrissenen Mauern<lb/> und einem schauerlichen Kellerloch bestehend, errichtete,<lb/> in welchem immerhin die Einrichtung eines behaglichen,<lb/> durch farbige Scheiben halb erleuchteten Zimmerchens<lb/> Platz fand.</p><lb/> <p>War dieser Theil des Landsitzes so zweckmäßig als<lb/> möglich angeordnet, so entsprach das Jnnere des Haupt-<lb/> gebäudes selbst wieder dessen Außerem und dem Cha-<lb/> rakter des Besitzers. Die Gänge, in welchen eine<lb/> künstliche Düsterheit herrschte, und die Zimmer, die<lb/> durch farbige Fensterscheiben eine kirchenartige Beleuch-<lb/> tung erhielten, waren zumeist mit classischen Gegen-<lb/> ständen ausgeschmückt; cannellirte Säulen mit schwe-<lb/> rem Fuß und blätterreichem Kapitäl befanden sich am<lb/> Treppenhaus, ein Merkur bewillkommte den Eintreten-<lb/> den in der Vorhalle, Copien der bedeutendsten Reste<lb/> der antiken Skulptur, des Apoll, des Bacchus, der<lb/> Minerva und der Venus in ihren verschiedenartigen<lb/> Erscheinungen standen umher. Damit vertrug es sich<lb/><cb n="2"/> denn freilich schlecht, daß das christliche Mittelalter<lb/> gleich daneben seinen Platz fand, daß eine Holbein'sche<lb/> Madonna dicht über einer Venus Anadyomene hing,<lb/> daß ein jonischer Säulenschaft eine gewaltige lombar-<lb/> dische Rüstung stützte, deren Lanze zwischen den Hör-<lb/> nern eines tanzenden Satyrs lehnte, daß ein mit<lb/> Silber gefaßtes, germanisches Trinkhorn einen römi-<lb/> schen Altar schmückte, daß in einer etruskischen Vase<lb/> allerhand kleines Klostergeräth aufbewahrt lag. Um<lb/> diesen Wirrwar vollständig zu machen, kam als ein<lb/> drittes Element noch die Mode des Tages hinzu, die<lb/> Kunst der Mitwelt, die Verketzerung der Antike in den<lb/> Zopfstyl, steife allegorische Fresken an den Treppen und<lb/> Decken, Porcellangeräth, Waffen und eine Masse des<lb/> kleinen Raritätenkrams, der sich damals in seinem voll-<lb/> sten Flor befand und von den Franzosen seither den<lb/> bezeichnenden Namen Bric Brac erhalten hat. Jn die-<lb/> sen Dingen war Walpoles Geschmack gleichfalls nicht<lb/> rein, alles Ungewöhnliche und Sonderbare reizte ihn<lb/> mehr als das wahrhaft Kunstschöne und Werthvolle,<lb/> und so konnte man dort neben Bildern von van Dyck<lb/> und Metallarbeiten von Benvenuto Cellini den leersten<lb/> und geschmacklosesten Quark erblicken, vorausgesetzt, daß<lb/> er neu war oder weither kam. Der Erdbeerenberg war<lb/> mit Einem Wort, wie sich später ein geistreicher Fran-<lb/> zose darüber ausdrückte, ein gothischer Vatikan mit<lb/> griechischen und römischen Motiven.</p><lb/> <p>Es ging gegen Mittag, als eine junge Dame von<lb/> stattlichem Wuchs und in neumodischster Toilette eine<lb/> der schattigen Alleen hinaufschritt, welche vom Flußufer<lb/> nach dem Erdbeerenberg emporführten. Sie trug ein<lb/> Gewand von schwerer rother Seide, welches oben eine<lb/> eng anschließende, vorn offene Jacke mit weiten, über<lb/> die Hüften herabfallenden Schößen bildete, unten in<lb/> eine lange, faltenreiche Robe auseinanderrauschte. Letztere<lb/> war, um am Gehen nicht zu hindern, auf beiden Sei-<lb/> ten mit weißen Rosetten aufgesteckt, wodurch darunter<lb/> ein gesticktes, spitzenbesetztes Unterkleid und ein Paar<lb/> zierlicher Füße in feinen seidenen Schuhen mit hohen<lb/> farbigen Absätzen sichtbar wurde.</p><lb/> <p>Jn Entfaltung der Reize des Busens und der<lb/> Arme war das schöne Geschlecht jener Tage weniger<lb/> zurückhaltend als in unsern spröderen Zeiten, und besonders<lb/> die Arme wurden, in Nachahmung der antiken Trachten,<lb/> gewöhnlich so weit als möglich freigelassen. Unsere<lb/> Schöne aber hatte, wie es bei der Bewegung in freier<lb/> Luft zur Abwehr der Jnsekten und Sonnenstrahlen<lb/> nothwendig war, lange und enge Aermel von weißer<lb/> Seide darüber gezogen, während ihr einen anderweiti-<lb/> gen Schutz gegen alle Jndiskretionen der Natur und<lb/> der Menschenwelt der riesige Fächer gewährte, ein<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [1091/0011]
1091
an den linken Flügel des Gebäudes und hatte in seiner
Mitte einen Brunnen, welchen eine zackige Spitze von
rothem Sandstein überragte. Dieselbe war noch un-
vollendet, denn ein Steinmetz glättete und putzte an
ihren eher reichen als geschmackvollen Details. Auf
dem andern Flügel waren zwei Thürmchen mit Schieß-
scharten und schief gezogenen, schmalen Fenstern für die
Wendeltreppe aufgesetzt. Jhre Kriegstüchtigkeit war,
trotz ihres kastellartigen Aussehens, gleich Null, dage-
gen bot ihre Spitze einen hübschen Rundblick auf die
nächste Umgebung und ließ sogar im fernen Westen
die dunkeln Vorberge des Walliser Hochlandes erken-
nen. Kleinere Thurmspitzen, Galerien, Erker und
Pavillons waren an allen Ecken und Enden dieses
wunderlichen Gebäudes angebracht, welches dem Be-
schauer den Eindruck eines chaotischen Durcheinander
machte, einer humoristischen Mischung von Kapelle,
Schloß und Landsitz zum Zweck einer Theaterdekoration.
Jn einem wohlthuenden Gegensatz hiezu stand der
kleine Park um den Erdbeerenberg. Dessen ganze An-
ordnung hatte Walpole dem ihm wohlbekannten Gar-
tenkünstler Kent überlassen, und dieser wußte nicht allein
die saftigen Wiesen, die stattlichen Baumgruppen und
die dichten Gebüsche neben und auf dem Hügel zur
Herstellung einer reizenden Landschaft voll von einzel-
nen entzückenden Plätzen auszubeuten, sondern er trug
auch dem romantischen Geschmack des Eigenthümers Rech-
nung, indem er hier eine düstere Felsengruppe durch
das Grün blicken, dort eine kleine Cascade, von einem
rauhen Baumstamme überbrückt, einen Abhang herab-
schäumen ließ, und endlich auf der zugleich schattig-
sten und entferntesten Stelle eine künstliche Ruine
aus einem halben Thurm, zwei zerrissenen Mauern
und einem schauerlichen Kellerloch bestehend, errichtete,
in welchem immerhin die Einrichtung eines behaglichen,
durch farbige Scheiben halb erleuchteten Zimmerchens
Platz fand.
War dieser Theil des Landsitzes so zweckmäßig als
möglich angeordnet, so entsprach das Jnnere des Haupt-
gebäudes selbst wieder dessen Außerem und dem Cha-
rakter des Besitzers. Die Gänge, in welchen eine
künstliche Düsterheit herrschte, und die Zimmer, die
durch farbige Fensterscheiben eine kirchenartige Beleuch-
tung erhielten, waren zumeist mit classischen Gegen-
ständen ausgeschmückt; cannellirte Säulen mit schwe-
rem Fuß und blätterreichem Kapitäl befanden sich am
Treppenhaus, ein Merkur bewillkommte den Eintreten-
den in der Vorhalle, Copien der bedeutendsten Reste
der antiken Skulptur, des Apoll, des Bacchus, der
Minerva und der Venus in ihren verschiedenartigen
Erscheinungen standen umher. Damit vertrug es sich
denn freilich schlecht, daß das christliche Mittelalter
gleich daneben seinen Platz fand, daß eine Holbein'sche
Madonna dicht über einer Venus Anadyomene hing,
daß ein jonischer Säulenschaft eine gewaltige lombar-
dische Rüstung stützte, deren Lanze zwischen den Hör-
nern eines tanzenden Satyrs lehnte, daß ein mit
Silber gefaßtes, germanisches Trinkhorn einen römi-
schen Altar schmückte, daß in einer etruskischen Vase
allerhand kleines Klostergeräth aufbewahrt lag. Um
diesen Wirrwar vollständig zu machen, kam als ein
drittes Element noch die Mode des Tages hinzu, die
Kunst der Mitwelt, die Verketzerung der Antike in den
Zopfstyl, steife allegorische Fresken an den Treppen und
Decken, Porcellangeräth, Waffen und eine Masse des
kleinen Raritätenkrams, der sich damals in seinem voll-
sten Flor befand und von den Franzosen seither den
bezeichnenden Namen Bric Brac erhalten hat. Jn die-
sen Dingen war Walpoles Geschmack gleichfalls nicht
rein, alles Ungewöhnliche und Sonderbare reizte ihn
mehr als das wahrhaft Kunstschöne und Werthvolle,
und so konnte man dort neben Bildern von van Dyck
und Metallarbeiten von Benvenuto Cellini den leersten
und geschmacklosesten Quark erblicken, vorausgesetzt, daß
er neu war oder weither kam. Der Erdbeerenberg war
mit Einem Wort, wie sich später ein geistreicher Fran-
zose darüber ausdrückte, ein gothischer Vatikan mit
griechischen und römischen Motiven.
Es ging gegen Mittag, als eine junge Dame von
stattlichem Wuchs und in neumodischster Toilette eine
der schattigen Alleen hinaufschritt, welche vom Flußufer
nach dem Erdbeerenberg emporführten. Sie trug ein
Gewand von schwerer rother Seide, welches oben eine
eng anschließende, vorn offene Jacke mit weiten, über
die Hüften herabfallenden Schößen bildete, unten in
eine lange, faltenreiche Robe auseinanderrauschte. Letztere
war, um am Gehen nicht zu hindern, auf beiden Sei-
ten mit weißen Rosetten aufgesteckt, wodurch darunter
ein gesticktes, spitzenbesetztes Unterkleid und ein Paar
zierlicher Füße in feinen seidenen Schuhen mit hohen
farbigen Absätzen sichtbar wurde.
Jn Entfaltung der Reize des Busens und der
Arme war das schöne Geschlecht jener Tage weniger
zurückhaltend als in unsern spröderen Zeiten, und besonders
die Arme wurden, in Nachahmung der antiken Trachten,
gewöhnlich so weit als möglich freigelassen. Unsere
Schöne aber hatte, wie es bei der Bewegung in freier
Luft zur Abwehr der Jnsekten und Sonnenstrahlen
nothwendig war, lange und enge Aermel von weißer
Seide darüber gezogen, während ihr einen anderweiti-
gen Schutz gegen alle Jndiskretionen der Natur und
der Menschenwelt der riesige Fächer gewährte, ein
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