Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856.[Beginn Spaltensatz]
Gegenstand, welcher, an dem elfenbeinernen Griff mit Ein kleiner runder Hut von feinem, langhaarigem, Wir haben in dieser Dame eine beliebte und be- Auf der Terrasse vor der Villa, welche eine Reihe "Also ist gestern wohl Gesellschaft zu Tisch dage- "Ach!" rief Kitty. "Wo ist das Bild? Jch muß Der Diener war sogleich bereit, sie hinzuführen, "Hier, Fräulein," antwortete der Diener, "lassen Der Diener schritt weiter und die Treppe hinauf. Kitty stand eine Weile prüfend vor dem Porträt. "Miß Kitty, empfangen Sie den vollkommensten [Beginn Spaltensatz]
Gegenstand, welcher, an dem elfenbeinernen Griff mit Ein kleiner runder Hut von feinem, langhaarigem, Wir haben in dieser Dame eine beliebte und be- Auf der Terrasse vor der Villa, welche eine Reihe „Also ist gestern wohl Gesellschaft zu Tisch dage- „Ach!“ rief Kitty. „Wo ist das Bild? Jch muß Der Diener war sogleich bereit, sie hinzuführen, „Hier, Fräulein,“ antwortete der Diener, „lassen Der Diener schritt weiter und die Treppe hinauf. Kitty stand eine Weile prüfend vor dem Porträt. „Miß Kitty, empfangen Sie den vollkommensten <TEI> <text> <body> <div xml:id="Nov2" type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0012" n="1092"/><fw type="pageNum" place="top">1092</fw><cb type="start"/> Gegenstand, welcher, an dem elfenbeinernen Griff mit<lb/> künstlichem, oft höchst köstbarem Schnitzwerk versehen<lb/> und auf den Blättern mit zierlichen Miniaturbildern aus<lb/> dem Schäferleben, oft von der Hand großer Meister<lb/> geschmückt, in der Hand keiner Modedame fehlen durfte.</p><lb/> <p>Ein kleiner runder Hut von feinem, langhaarigem,<lb/> silbergrauem Filz, auf den Seiten aufgekrämpt und<lb/> links mit einer goldenen Agraffe und einer rothen<lb/> Straußfeder verziert, beschirmte ein feines, regelmäßiges<lb/> Gesicht mit glühenden Lippen, weißen Zähnen und leb-<lb/> haften, dunkeln Augen, dessen durchsichtiges Jnkarnat<lb/> durch einige stern = und halbmondförmige Schönpfläster-<lb/> chen auf Stirn und Wangen, so wie durch den Puder<lb/> des emporgekämmten Haares vortheilhaft gehoben wurde.</p><lb/> <p>Wir haben in dieser Dame eine beliebte und be-<lb/> rühmte Schauspielerin des ersten Theaters der Haupt-<lb/> stadt, der von Garrick geleiteten Drurylanebühne, Miß<lb/> Katharina Clive, von ihren Freunden gewöhnlich kurz-<lb/> weg Kitty genannt, vor uns. Sie erholte sich gern von<lb/> den Anstrengungen ihres Berufs durch einen Aufenthalt<lb/> in Richmond und verkehrte dann täglich mit dem Bewoh-<lb/> ner des Erdbeerenbergs, einem ihrer eifrigsten Freunde<lb/> und Beschützer.</p><lb/> <p>Auf der Terrasse vor der Villa, welche eine Reihe<lb/> antiker Vasen schmückte, angekommen, erfuhr Kitty von<lb/> einem anwesenden Diener, daß der Ritter so eben erst<lb/> aufgestanden sey und sich noch bei der Toilette befinde.</p><lb/> <p>„Also ist gestern wohl Gesellschaft zu Tisch dage-<lb/> wesen?“ fragte sie. — „Zu dienen, Fräulein. Seiner<lb/> Gnaden Nichten waren von London gekommen, aber<lb/> in der Nacht wieder abgereist. Man blieb lange zu-<lb/> sammen, und dann begaben sich seine Gnaden, wie ge-<lb/> wöhnlich, wenn Besuch da war, noch in die Biblio-<lb/> thek und arbeiteten bis gegen Morgen.“ — „Schön,<lb/> ich werde warten. Und was gibt es sonst auf dem<lb/> Erdbeerenberg Neues?“ — „Mit der Einrichtung geht<lb/> es immer voran, Fräulein; das holländische Thierstück<lb/> über dem Kamin im Speisesaal ist gestern eingesetzt<lb/> worden, von Florenz sind vorgestern zwei neue alte<lb/> Lampen und einige Gläser angekommen, und dann, der<lb/> Herr Ritter Friedrich Reynolds sind gestern früh abgereist,<lb/> denn das große Porträt ist fertig.“</p><lb/> <p>„Ach!“ rief Kitty. „Wo ist das Bild? Jch muß<lb/> es sehen!“</p><lb/> <p>Der Diener war sogleich bereit, sie hinzuführen,<lb/> und ihm folgend trat die Schauspielerin durch eine der<lb/> gothischen Pforten in's Haus und schritt den Corridor<lb/> entlang nach der Treppe. „Mein Gott! und was gibt<lb/> es denn hier?“ fragte sie plötzlich, an der halbgeöff-<lb/> neten Thür eines weiten Gemachs stehen bleibend.<lb/> Dasselbe war von Möbeln wie von jedem sonstigen<lb/><cb n="2"/> Schmuck entblöst, an Wänden und Decke einfach weiß<lb/> getüncht, und durch mehrere große Fenster ohne farbige<lb/> Scheiben drang das Tageslicht hell und ungebrochen<lb/> herein. Einige große Kisten, zum Theil die Spuren<lb/> eines schwierigen Transports tragend, standen, wie der<lb/> Eröffnung harrend, umher.</p><lb/> <p>„Hier, Fräulein,“ antwortete der Diener, „lassen<lb/> Seine Gnaden eine Druckerei einrichten. Die große<lb/> Kiste dort in der Ecke soll eine Presse enthalten.“ —<lb/> Kitty lächelte ironisch. „Schön!“ sagte sie, „die Pa-<lb/> pierfabrik wird wohl bald nachkommen, unten an der<lb/> linken Ecke des Parks, wo der kleine Bach in die<lb/> Themse geht?“ — Jhr Begleiter schwieg verlegen. —<lb/> „Aber eine Waffenschmiede wird man doch noch haben,<lb/> oben auf dem Berg? und dann einen ostindischen Hüh-<lb/> nerhof hinter dem Kreuzgang? und eine kleine Kano-<lb/> nengießerei in der künstlichen Ruine? Wie?“</p><lb/> <p>Der Diener schritt weiter und die Treppe hinauf.<lb/> Oben angekommen bemerkte Kitty sogleich auf dem<lb/> Vorplatz ein großes, noch ganz frisches Oelbild, ein<lb/> Kniestück, welches ohne Rahmen auf einer umfangrei-<lb/> chen Staffelei stand. Es stellte einen ältlichen, sehr<lb/> großen und hageren Herrn, in einem bequemen Lehn-<lb/> stuhl sitzend, vor. Den dreieckigen Hut in der Rechten<lb/> haltend hatte er den Kopf frei, welchen eine glatte,<lb/> braune, in einen kurzen Zopf auslaufende Perrücke ohne<lb/> Puder bedeckte. Eine hohe, bleiche Stirn überwölbte<lb/> die dunkeln, glänzenden, scharf blickenden Augen, und<lb/> das ganze Gesicht trug in der langen, geraden Nase,<lb/> den schmalen, festgeschlossenen Lippen und dem zurück-<lb/> haltenden, diplomatischen Ausdruck den vollen Typus<lb/> der englischen Aristokratie. Die durchaus modische Klei-<lb/> dung zeichnete sich durch die Kostbarkeit der vom Maler<lb/> treulich nachgeahmten Zierrathen, so wie durch das<lb/> Vorherrschen heller Farben aus: schwere goldene Schnal-<lb/> len saßen auf den Schuhen, kostbare Spitzen bildeten<lb/> die Halskrause und sahen als Manschetten aus den<lb/> weiten Aermeln des Oberkleides hervor, und reiche<lb/> Silberstickerei verzierte den Rand der gelbseidenen Weste;<lb/> die Strümpfe waren gleichfalls von seide und grau,<lb/> die übrige Kleidung von hellbrauner Farbe. Die Um-<lb/> gebung, welche der Künstler dem Bild gegeben hatte,<lb/> stellte ein Zimmer des Erdbeerenbergs vor und erin-<lb/> nerte durch sein Durcheinander genügend an die hete-<lb/> rogenen Geschmacksrichtungen des Originals.</p><lb/> <p>Kitty stand eine Weile prüfend vor dem Porträt.<lb/> „Vortrefflich!“ sagte sie endlich. „Es ist als ob er<lb/> aufstehen, eine Verbeugung machen und sagen wollte:<lb/> „Madame, empfangen Sie den vollen Ausdruck meiner<lb/> Ergebenheit!“</p><lb/> <p>„Miß Kitty, empfangen Sie den vollkommensten<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [1092/0012]
1092
Gegenstand, welcher, an dem elfenbeinernen Griff mit
künstlichem, oft höchst köstbarem Schnitzwerk versehen
und auf den Blättern mit zierlichen Miniaturbildern aus
dem Schäferleben, oft von der Hand großer Meister
geschmückt, in der Hand keiner Modedame fehlen durfte.
Ein kleiner runder Hut von feinem, langhaarigem,
silbergrauem Filz, auf den Seiten aufgekrämpt und
links mit einer goldenen Agraffe und einer rothen
Straußfeder verziert, beschirmte ein feines, regelmäßiges
Gesicht mit glühenden Lippen, weißen Zähnen und leb-
haften, dunkeln Augen, dessen durchsichtiges Jnkarnat
durch einige stern = und halbmondförmige Schönpfläster-
chen auf Stirn und Wangen, so wie durch den Puder
des emporgekämmten Haares vortheilhaft gehoben wurde.
Wir haben in dieser Dame eine beliebte und be-
rühmte Schauspielerin des ersten Theaters der Haupt-
stadt, der von Garrick geleiteten Drurylanebühne, Miß
Katharina Clive, von ihren Freunden gewöhnlich kurz-
weg Kitty genannt, vor uns. Sie erholte sich gern von
den Anstrengungen ihres Berufs durch einen Aufenthalt
in Richmond und verkehrte dann täglich mit dem Bewoh-
ner des Erdbeerenbergs, einem ihrer eifrigsten Freunde
und Beschützer.
Auf der Terrasse vor der Villa, welche eine Reihe
antiker Vasen schmückte, angekommen, erfuhr Kitty von
einem anwesenden Diener, daß der Ritter so eben erst
aufgestanden sey und sich noch bei der Toilette befinde.
„Also ist gestern wohl Gesellschaft zu Tisch dage-
wesen?“ fragte sie. — „Zu dienen, Fräulein. Seiner
Gnaden Nichten waren von London gekommen, aber
in der Nacht wieder abgereist. Man blieb lange zu-
sammen, und dann begaben sich seine Gnaden, wie ge-
wöhnlich, wenn Besuch da war, noch in die Biblio-
thek und arbeiteten bis gegen Morgen.“ — „Schön,
ich werde warten. Und was gibt es sonst auf dem
Erdbeerenberg Neues?“ — „Mit der Einrichtung geht
es immer voran, Fräulein; das holländische Thierstück
über dem Kamin im Speisesaal ist gestern eingesetzt
worden, von Florenz sind vorgestern zwei neue alte
Lampen und einige Gläser angekommen, und dann, der
Herr Ritter Friedrich Reynolds sind gestern früh abgereist,
denn das große Porträt ist fertig.“
„Ach!“ rief Kitty. „Wo ist das Bild? Jch muß
es sehen!“
Der Diener war sogleich bereit, sie hinzuführen,
und ihm folgend trat die Schauspielerin durch eine der
gothischen Pforten in's Haus und schritt den Corridor
entlang nach der Treppe. „Mein Gott! und was gibt
es denn hier?“ fragte sie plötzlich, an der halbgeöff-
neten Thür eines weiten Gemachs stehen bleibend.
Dasselbe war von Möbeln wie von jedem sonstigen
Schmuck entblöst, an Wänden und Decke einfach weiß
getüncht, und durch mehrere große Fenster ohne farbige
Scheiben drang das Tageslicht hell und ungebrochen
herein. Einige große Kisten, zum Theil die Spuren
eines schwierigen Transports tragend, standen, wie der
Eröffnung harrend, umher.
„Hier, Fräulein,“ antwortete der Diener, „lassen
Seine Gnaden eine Druckerei einrichten. Die große
Kiste dort in der Ecke soll eine Presse enthalten.“ —
Kitty lächelte ironisch. „Schön!“ sagte sie, „die Pa-
pierfabrik wird wohl bald nachkommen, unten an der
linken Ecke des Parks, wo der kleine Bach in die
Themse geht?“ — Jhr Begleiter schwieg verlegen. —
„Aber eine Waffenschmiede wird man doch noch haben,
oben auf dem Berg? und dann einen ostindischen Hüh-
nerhof hinter dem Kreuzgang? und eine kleine Kano-
nengießerei in der künstlichen Ruine? Wie?“
Der Diener schritt weiter und die Treppe hinauf.
Oben angekommen bemerkte Kitty sogleich auf dem
Vorplatz ein großes, noch ganz frisches Oelbild, ein
Kniestück, welches ohne Rahmen auf einer umfangrei-
chen Staffelei stand. Es stellte einen ältlichen, sehr
großen und hageren Herrn, in einem bequemen Lehn-
stuhl sitzend, vor. Den dreieckigen Hut in der Rechten
haltend hatte er den Kopf frei, welchen eine glatte,
braune, in einen kurzen Zopf auslaufende Perrücke ohne
Puder bedeckte. Eine hohe, bleiche Stirn überwölbte
die dunkeln, glänzenden, scharf blickenden Augen, und
das ganze Gesicht trug in der langen, geraden Nase,
den schmalen, festgeschlossenen Lippen und dem zurück-
haltenden, diplomatischen Ausdruck den vollen Typus
der englischen Aristokratie. Die durchaus modische Klei-
dung zeichnete sich durch die Kostbarkeit der vom Maler
treulich nachgeahmten Zierrathen, so wie durch das
Vorherrschen heller Farben aus: schwere goldene Schnal-
len saßen auf den Schuhen, kostbare Spitzen bildeten
die Halskrause und sahen als Manschetten aus den
weiten Aermeln des Oberkleides hervor, und reiche
Silberstickerei verzierte den Rand der gelbseidenen Weste;
die Strümpfe waren gleichfalls von seide und grau,
die übrige Kleidung von hellbrauner Farbe. Die Um-
gebung, welche der Künstler dem Bild gegeben hatte,
stellte ein Zimmer des Erdbeerenbergs vor und erin-
nerte durch sein Durcheinander genügend an die hete-
rogenen Geschmacksrichtungen des Originals.
Kitty stand eine Weile prüfend vor dem Porträt.
„Vortrefflich!“ sagte sie endlich. „Es ist als ob er
aufstehen, eine Verbeugung machen und sagen wollte:
„Madame, empfangen Sie den vollen Ausdruck meiner
Ergebenheit!“
„Miß Kitty, empfangen Sie den vollkommensten
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
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