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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856.

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Literatur.
Novellen von Herman Grimm. Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz. 1856.
[Beginn Spaltensatz]

Wenn man den Weg eines neu in die Literatur tre-
tenden Talents mit Antheil und Spannung eine Weile
verfolgt hat, ohne zwischen ihm und dem Publikum jenes
bestimmte Wechselverhältniß sich bilden zu sehen, dessen am
wenigsten der Poet für eine volle freudige Entfaltung sei-
ner Kräfte entrathen kann, gibt es kein größeres Vergnügen,
als den Anblick eines Werkes, bei dem wir endlich mit
Sicherheit fühlen, daß es dem Verfasser seine zukommende
Stelle im öffentlichen Jnteresse gewinnen wird. Die erste
poetische Arbeit, welche Herman Grimm im Druck er-
scheinen ließ, ein Drama: "Armin" ( Leipzig, 1851, S.
Hirzel ) , theilte das bekannte Schicksal aller solcher Erstlinge
jugendlicher Begeisterung, die, zwar dem ergriffenen Stoff
liebevoll sich hingebend, dem Gesetz der erwählten Kunst-
form wenig Aufmerksamkeit schenkt. Getroffen von dem im
Großen und Ganzen keineswegs ungerechten Mißkredit, der
auch an die talentvollsten, ohne Rücksicht auf das Leben
der Bühne entworfenen dramatischen Versuche sich zu heften
pflegt, blieb dieses vom edelsten vaterländischen Geiste er-
füllte Gedicht im Dunkel, ob es gleich, seiner Mängel
ungeachtet, neben H. von Kleist's "Hermannsschlacht" und
dem "Fechter von Ravenna" ( die wir natürlich übrigens
ihrem Werthe nach nicht in Vergleich mit einander setzen ) ,
vielleicht unter hunderten, welche den besonders seit 1848
stark in der Luft liegenden verwandten Anregungen ihren
Ursprung verdanken, das einzige ist, von dem man sagen
darf, daß es seinen Gegenstand unserem Gefühle wahrhaft
nahe rückt. ( Man vergleiche den Ausspruch Goethes über
die Klopstockschen Hermannstragödien bei Eckermann I. 246. )
Einen bedeutenden Fortschritt in der dramatischen Com-
position zeigte die Tragödie "Demetrius" ( im Februar 1854
auf dem Berliner Hoftheater zur Darstellung gebracht ) ,
allein der Erfolg war nicht von der Art, um den Dichter,
der sich hier mit so ernstem Streben der Bühne zuwandte,
zu fortgesetzter Thätigkeit für die letztere zu ermuntern.
Das sittlich poetische Problem, das er im Charakter des
Demetrius sich vorgenommen, der ganz in die Brust des
Helden verlegte Kampf niederer und höherer Mächte,
aus welchem am Ende die Jdee der Gerechtigkeit, indem
Demetrius seinen Abfall von ihr an sich selber rächt,
triumphirend hervorgeht, wurde in seiner Reinheit nicht
begriffen, sondern eine berechnete "Verherrlichung des Le-
gitimitätsprincips " darin gesucht und mit dieser flachen Be-
merkung das Stück ein für allemal von der Berliner Kritik
auf's Achtloseste bei Seite geschoben. Als es der Autor
im nämlichen Jahr durch den Buchhandel ( Leipzig, S. Hirzel )
veröffentlichte, hatten die solchermaßen aburtheilenden Be-
richte der Berliner Zeitungscorrespondenten bereits so allge-
mein dagegen präoccupirt, daß man sich gar nicht die Mühe
[Spaltenumbruch] gab, den künstlerischen Werth der Dichtung noch einmal
selbst zu prüfen. Freilich würde auch in diesem Falle das
"größere Publikum" ihr kaum sonderlichen Geschmack ab-
gewonnen haben, da die offenbar aus dem Studium des
classischen Theaters der Franzosen entsprungene eigenthüm-
liche Weise, die ganze Action, in das Verhältniß weniger
Hauptgestalten eingeschlossen, auf den allerengsten Raum
zusammenzuziehen, mit unserer durch große Vorbilder be-
stätigten deutschen Gewohnheit in dramatischer Behandlung
historischer Stoffe zu sehr im Widerspruch steht und oben-
drein speciell für den Demetrius der reiche Schiller'sche
Entwurf den bequemsten Vorwand der Ablehnung gegen
jedes andere Verfahren darbietet.

Bereits vor dem Demetrius war "Traum und Erwa-
chen," ein Gedicht in gereimten Achtzeilen im Druck er-
schienen ( Berlin, Wilh. Hertz, 1854 ) . Hier das Zeugniß
eines ungewöhnlichen Talents anzuerkennen konnte man
nicht umhin, gerade aber die Vorzüge, welche dieses Zuge-
ständniß begründeten, sollten auch sogleich neue Bedenken
rechtfertigen. Jn das Lob der frühen Formvollendung
kleidete sich halber Zweifel an jugendfrischer Schaffenskraft,
und jenes bittere:

" Als Jüngling schon Ausgabe letzter Hand!"

womit einst Jmmermanns ungerechter Eifer Platens heute
bewunderte Künstlertugend als hoffnungslose Correctheit
spöttisch glossirte, klang doch selbst bei dem Günstigsten
durch, was wir damals über die anmuthigen Gesänge
äußern hörten. Man hatte bald eine ganze Gruppe jun-
ger Poeten beisammen, die ein wohlbekannter literarischer
Neidhart mit der Collectivsignatur: "akademische Richtung"
erledigt wissen wollte. Grimm verschuldete zunächst beson-
ders durch die zufällige, nicht glückliche Wahl des grie-
chisch = römischen Costüms für einen absolut modernen No-
vellenstoff, daß ihm sein Unterkommen in dieser Kategorie
angewiesen wurde. Die Schönheit seiner Sprache kann
nur höchst oberflächlich betrachtet den Eindruck hervor-
bringen, den jene zweideutigen Lobsprüche bezeichneten.
Himmelweit ist sie entfernt von der glatten, abstrakten
Reimfertigkeit und unrhythmischen Virtuosität, die wir
allerdings nur zu sehr gewohnt sind, im Vereine mit voll-
ständiger Gemüthsleerheit und geistiger Jmpotenz anzu-
treffen. Leichte Herrschaft über einen Vorrath klingender
Phrasen, denen die Tradition der Mustersammlungen ihren
täuschenden Schimmer poetischen Jnhalts verleiht, bildet
das Merkmal einer Classe von "Dichtern," mit welcher der
unsrige nicht das Mindeste gemein hat. Wir werden
näher sehen, wie die vertraute Freundschaft mit dem
Sprachgeiste, wirkend in der seltenen Kunst, auch das
[Ende Spaltensatz]

Literatur.
Novellen von Herman Grimm. Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz. 1856.
[Beginn Spaltensatz]

Wenn man den Weg eines neu in die Literatur tre-
tenden Talents mit Antheil und Spannung eine Weile
verfolgt hat, ohne zwischen ihm und dem Publikum jenes
bestimmte Wechselverhältniß sich bilden zu sehen, dessen am
wenigsten der Poet für eine volle freudige Entfaltung sei-
ner Kräfte entrathen kann, gibt es kein größeres Vergnügen,
als den Anblick eines Werkes, bei dem wir endlich mit
Sicherheit fühlen, daß es dem Verfasser seine zukommende
Stelle im öffentlichen Jnteresse gewinnen wird. Die erste
poetische Arbeit, welche Herman Grimm im Druck er-
scheinen ließ, ein Drama: „Armin“ ( Leipzig, 1851, S.
Hirzel ) , theilte das bekannte Schicksal aller solcher Erstlinge
jugendlicher Begeisterung, die, zwar dem ergriffenen Stoff
liebevoll sich hingebend, dem Gesetz der erwählten Kunst-
form wenig Aufmerksamkeit schenkt. Getroffen von dem im
Großen und Ganzen keineswegs ungerechten Mißkredit, der
auch an die talentvollsten, ohne Rücksicht auf das Leben
der Bühne entworfenen dramatischen Versuche sich zu heften
pflegt, blieb dieses vom edelsten vaterländischen Geiste er-
füllte Gedicht im Dunkel, ob es gleich, seiner Mängel
ungeachtet, neben H. von Kleist's „Hermannsschlacht“ und
dem „Fechter von Ravenna“ ( die wir natürlich übrigens
ihrem Werthe nach nicht in Vergleich mit einander setzen ) ,
vielleicht unter hunderten, welche den besonders seit 1848
stark in der Luft liegenden verwandten Anregungen ihren
Ursprung verdanken, das einzige ist, von dem man sagen
darf, daß es seinen Gegenstand unserem Gefühle wahrhaft
nahe rückt. ( Man vergleiche den Ausspruch Goethes über
die Klopstockschen Hermannstragödien bei Eckermann I. 246. )
Einen bedeutenden Fortschritt in der dramatischen Com-
position zeigte die Tragödie „Demetrius“ ( im Februar 1854
auf dem Berliner Hoftheater zur Darstellung gebracht ) ,
allein der Erfolg war nicht von der Art, um den Dichter,
der sich hier mit so ernstem Streben der Bühne zuwandte,
zu fortgesetzter Thätigkeit für die letztere zu ermuntern.
Das sittlich poetische Problem, das er im Charakter des
Demetrius sich vorgenommen, der ganz in die Brust des
Helden verlegte Kampf niederer und höherer Mächte,
aus welchem am Ende die Jdee der Gerechtigkeit, indem
Demetrius seinen Abfall von ihr an sich selber rächt,
triumphirend hervorgeht, wurde in seiner Reinheit nicht
begriffen, sondern eine berechnete „Verherrlichung des Le-
gitimitätsprincips “ darin gesucht und mit dieser flachen Be-
merkung das Stück ein für allemal von der Berliner Kritik
auf's Achtloseste bei Seite geschoben. Als es der Autor
im nämlichen Jahr durch den Buchhandel ( Leipzig, S. Hirzel )
veröffentlichte, hatten die solchermaßen aburtheilenden Be-
richte der Berliner Zeitungscorrespondenten bereits so allge-
mein dagegen präoccupirt, daß man sich gar nicht die Mühe
[Spaltenumbruch] gab, den künstlerischen Werth der Dichtung noch einmal
selbst zu prüfen. Freilich würde auch in diesem Falle das
„größere Publikum“ ihr kaum sonderlichen Geschmack ab-
gewonnen haben, da die offenbar aus dem Studium des
classischen Theaters der Franzosen entsprungene eigenthüm-
liche Weise, die ganze Action, in das Verhältniß weniger
Hauptgestalten eingeschlossen, auf den allerengsten Raum
zusammenzuziehen, mit unserer durch große Vorbilder be-
stätigten deutschen Gewohnheit in dramatischer Behandlung
historischer Stoffe zu sehr im Widerspruch steht und oben-
drein speciell für den Demetrius der reiche Schiller'sche
Entwurf den bequemsten Vorwand der Ablehnung gegen
jedes andere Verfahren darbietet.

Bereits vor dem Demetrius war „Traum und Erwa-
chen,“ ein Gedicht in gereimten Achtzeilen im Druck er-
schienen ( Berlin, Wilh. Hertz, 1854 ) . Hier das Zeugniß
eines ungewöhnlichen Talents anzuerkennen konnte man
nicht umhin, gerade aber die Vorzüge, welche dieses Zuge-
ständniß begründeten, sollten auch sogleich neue Bedenken
rechtfertigen. Jn das Lob der frühen Formvollendung
kleidete sich halber Zweifel an jugendfrischer Schaffenskraft,
und jenes bittere:

„ Als Jüngling schon Ausgabe letzter Hand!“

womit einst Jmmermanns ungerechter Eifer Platens heute
bewunderte Künstlertugend als hoffnungslose Correctheit
spöttisch glossirte, klang doch selbst bei dem Günstigsten
durch, was wir damals über die anmuthigen Gesänge
äußern hörten. Man hatte bald eine ganze Gruppe jun-
ger Poeten beisammen, die ein wohlbekannter literarischer
Neidhart mit der Collectivsignatur: „akademische Richtung“
erledigt wissen wollte. Grimm verschuldete zunächst beson-
ders durch die zufällige, nicht glückliche Wahl des grie-
chisch = römischen Costüms für einen absolut modernen No-
vellenstoff, daß ihm sein Unterkommen in dieser Kategorie
angewiesen wurde. Die Schönheit seiner Sprache kann
nur höchst oberflächlich betrachtet den Eindruck hervor-
bringen, den jene zweideutigen Lobsprüche bezeichneten.
Himmelweit ist sie entfernt von der glatten, abstrakten
Reimfertigkeit und unrhythmischen Virtuosität, die wir
allerdings nur zu sehr gewohnt sind, im Vereine mit voll-
ständiger Gemüthsleerheit und geistiger Jmpotenz anzu-
treffen. Leichte Herrschaft über einen Vorrath klingender
Phrasen, denen die Tradition der Mustersammlungen ihren
täuschenden Schimmer poetischen Jnhalts verleiht, bildet
das Merkmal einer Classe von „Dichtern,“ mit welcher der
unsrige nicht das Mindeste gemein hat. Wir werden
näher sehen, wie die vertraute Freundschaft mit dem
Sprachgeiste, wirkend in der seltenen Kunst, auch das
[Ende Spaltensatz]

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[1099/0019] 1099 Literatur. Novellen von Herman Grimm. Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz. 1856. Wenn man den Weg eines neu in die Literatur tre- tenden Talents mit Antheil und Spannung eine Weile verfolgt hat, ohne zwischen ihm und dem Publikum jenes bestimmte Wechselverhältniß sich bilden zu sehen, dessen am wenigsten der Poet für eine volle freudige Entfaltung sei- ner Kräfte entrathen kann, gibt es kein größeres Vergnügen, als den Anblick eines Werkes, bei dem wir endlich mit Sicherheit fühlen, daß es dem Verfasser seine zukommende Stelle im öffentlichen Jnteresse gewinnen wird. Die erste poetische Arbeit, welche Herman Grimm im Druck er- scheinen ließ, ein Drama: „Armin“ ( Leipzig, 1851, S. Hirzel ) , theilte das bekannte Schicksal aller solcher Erstlinge jugendlicher Begeisterung, die, zwar dem ergriffenen Stoff liebevoll sich hingebend, dem Gesetz der erwählten Kunst- form wenig Aufmerksamkeit schenkt. 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Als es der Autor im nämlichen Jahr durch den Buchhandel ( Leipzig, S. Hirzel ) veröffentlichte, hatten die solchermaßen aburtheilenden Be- richte der Berliner Zeitungscorrespondenten bereits so allge- mein dagegen präoccupirt, daß man sich gar nicht die Mühe gab, den künstlerischen Werth der Dichtung noch einmal selbst zu prüfen. Freilich würde auch in diesem Falle das „größere Publikum“ ihr kaum sonderlichen Geschmack ab- gewonnen haben, da die offenbar aus dem Studium des classischen Theaters der Franzosen entsprungene eigenthüm- liche Weise, die ganze Action, in das Verhältniß weniger Hauptgestalten eingeschlossen, auf den allerengsten Raum zusammenzuziehen, mit unserer durch große Vorbilder be- stätigten deutschen Gewohnheit in dramatischer Behandlung historischer Stoffe zu sehr im Widerspruch steht und oben- drein speciell für den Demetrius der reiche Schiller'sche Entwurf den bequemsten Vorwand der Ablehnung gegen jedes andere Verfahren darbietet. Bereits vor dem Demetrius war „Traum und Erwa- chen,“ ein Gedicht in gereimten Achtzeilen im Druck er- schienen ( Berlin, Wilh. Hertz, 1854 ) . Hier das Zeugniß eines ungewöhnlichen Talents anzuerkennen konnte man nicht umhin, gerade aber die Vorzüge, welche dieses Zuge- ständniß begründeten, sollten auch sogleich neue Bedenken rechtfertigen. Jn das Lob der frühen Formvollendung kleidete sich halber Zweifel an jugendfrischer Schaffenskraft, und jenes bittere: „ Als Jüngling schon Ausgabe letzter Hand!“ womit einst Jmmermanns ungerechter Eifer Platens heute bewunderte Künstlertugend als hoffnungslose Correctheit spöttisch glossirte, klang doch selbst bei dem Günstigsten durch, was wir damals über die anmuthigen Gesänge äußern hörten. Man hatte bald eine ganze Gruppe jun- ger Poeten beisammen, die ein wohlbekannter literarischer Neidhart mit der Collectivsignatur: „akademische Richtung“ erledigt wissen wollte. Grimm verschuldete zunächst beson- ders durch die zufällige, nicht glückliche Wahl des grie- chisch = römischen Costüms für einen absolut modernen No- vellenstoff, daß ihm sein Unterkommen in dieser Kategorie angewiesen wurde. Die Schönheit seiner Sprache kann nur höchst oberflächlich betrachtet den Eindruck hervor- bringen, den jene zweideutigen Lobsprüche bezeichneten. Himmelweit ist sie entfernt von der glatten, abstrakten Reimfertigkeit und unrhythmischen Virtuosität, die wir allerdings nur zu sehr gewohnt sind, im Vereine mit voll- ständiger Gemüthsleerheit und geistiger Jmpotenz anzu- treffen. Leichte Herrschaft über einen Vorrath klingender Phrasen, denen die Tradition der Mustersammlungen ihren täuschenden Schimmer poetischen Jnhalts verleiht, bildet das Merkmal einer Classe von „Dichtern,“ mit welcher der unsrige nicht das Mindeste gemein hat. Wir werden näher sehen, wie die vertraute Freundschaft mit dem Sprachgeiste, wirkend in der seltenen Kunst, auch das

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856, S. 1099. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt46_1856/19>, abgerufen am 21.11.2024.