Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856.[Beginn Spaltensatz]
kaum in Deutschland seyn kann, ist es vielleicht am Guise war nicht zum Handeln aufgelegt. Er hoffte Seine fürstliche Eleganz und sein innerer Hoch- De Thou enthüllt in seinen Memoiren einen son- Die große Unternehmung des Augenblicks hieß Der Arzt des Königs, Miron, behauptet es nach Die Sache war nicht leicht, da er immer nur sehr Der König hatte sich Crillon vertraut, welcher es Jndessen war Guise beim Nachtessen. Jn einem [Beginn Spaltensatz]
kaum in Deutschland seyn kann, ist es vielleicht am Guise war nicht zum Handeln aufgelegt. Er hoffte Seine fürstliche Eleganz und sein innerer Hoch- De Thou enthüllt in seinen Memoiren einen son- Die große Unternehmung des Augenblicks hieß Der Arzt des Königs, Miron, behauptet es nach Die Sache war nicht leicht, da er immer nur sehr Der König hatte sich Crillon vertraut, welcher es Jndessen war Guise beim Nachtessen. Jn einem <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="1143"/><fw type="pageNum" place="top">1143</fw><cb type="start"/> kaum in Deutschland seyn kann, ist es vielleicht am<lb/> Platze, einen Theil dieses Kapitels zu übersetzen. Das<lb/> Drama spielt auf dem Schlosse zu Blois.</p><lb/> <p>Guise war nicht zum Handeln aufgelegt. Er hoffte<lb/> nicht viel; er war seiner selbst und seiner Rolle müde<lb/> und müde seiner Freunde. Er war boshaft wie ein<lb/> Affe, verlegen wie ein Page, aber zur Heuchelei nur<lb/> wenig geeignet. Die schwerfällige spanische Tartuferie,<lb/> die mönchische Scheinheiligkeit, die Schenkstubenfrömmig-<lb/> keit der Ligueurs hatten ihn mit Ekel erfüllt. Als Haupt<lb/> einer Partei hatte er das große Unglück, seine Partei<lb/> ganz, im vollen Lichte, außer dem Schatten gesehen zu<lb/> haben.</p><lb/> <p>Seine fürstliche Eleganz und sein innerer Hoch-<lb/> muth entfernten ihn von den kleinen Leuten und er<lb/> schauderte vor dem Gedanken, wieder schmutzige Hände<lb/> drücken zu müssen. Der berühmte Montaigen, ein sehr<lb/> feiner Beobachter, der Guise und den König von Na-<lb/> varra sehr genau gekannt hatte, sagte zum jüngeren De<lb/> Thou ( dem Historiker ) , der erstere sey ganz und gar<lb/> nicht katholisch und der letztere ganz und gar nicht pro-<lb/> testantisch. Wäre Guise nicht von Jugend auf zur Rolle<lb/> eines Führers der Katholiken verdammt gewesen, er<lb/> hätte vielmehr zur Religion der Reiter vom Rhein<lb/> hingeneigt, zur Augsburgischen Confession, welche, wie<lb/> es scheint, sein Bruder und sein Oheim, der Kardinal<lb/> von Lothringen, einen Augenblick angenommen hatten.</p><lb/> <p>De Thou enthüllt in seinen Memoiren einen son-<lb/> derbaren Umstand. Als er durch Blois kam, fragte<lb/> ihn der Unterhändler Schomberg, warum er, nachdem<lb/> er dem Herzog seine Aufwartung gemacht, so schnell<lb/> weiter reise? De Thou antwortete, er hege vor dem<lb/> Herzog große Achtung, gestand aber offenherzig, daß<lb/> er sich darum entferne, weil er in des Herzogs Umge-<lb/> bung fast nur zu Grunde gerichtete Leute und Schurken<lb/> sehe. Schomberg hinterbrachte das dem Guise, welcher<lb/> nicht widersprach. „Was wollen Sie?“ sagte er; „ich<lb/> bin ehrlichen Leuten von jeher vergebens entgegenge-<lb/> kommen. Jch brauche Freunde, und ich nehme, was<lb/> sich mir bietet.“ — ( Guise hatte immer viele Banditen<lb/> und Spadassins um sich, die ihm fortwährende Verle-<lb/> genheiten und Conflikte mit der Justiz verursachten. ) —<lb/> Mit einem solchen Hofe und mit solchen Freunden<lb/> fühlte sich Guise nicht wohl und war er nicht sein ei-<lb/> gener Freund. Er suchte zu vergessen. Er trank nicht;<lb/> er suchte einen andern Rausch, der nicht minder ver-<lb/> derblich ist. Er verschaffte sich ohne zu große Heim-<lb/> lichkeit weltliche Zerstreuungen, die sich gar leicht anboten.<lb/> Die Damen, immer zärtlich gegen den Mann des<lb/> Tages, waren zu <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="5"/>gütig. Zu seiner moralischen Leere<lb/><cb n="2"/> kam die Ermattung nach den Ausschweifungen, oft sogar<lb/> Ohnmachten. Wie andere Stutzer jener Zeit trug er<lb/> Eingemachtes bei sich, um etwas zu nehmen und sich<lb/> zu stärken, wenn ihn die Schwäche überkam.</p><lb/> <p>Die große Unternehmung des Augenblicks hieß<lb/> Madame de Noirmoutiers; das neue und reizende<lb/> Abenteuer umstrickte ihn ganz. Es hielt ihn in Blois<lb/> und dessen verhängnißvollem Schlosse fest.</p><lb/> <p>Der Arzt des Königs, Miron, behauptet es nach<lb/> dem Ereigniß von Heinrich <hi rendition="#aq">III</hi>. gehört zu haben, daß<lb/> Guise am 22. December einen Entschluß gefaßt und<lb/> in einer heftigen Scene seine definitive Entlassung ge-<lb/> geben und erklärt habe, daß er am nächsten Tage ab-<lb/> reisen werde. So hat er selbst den König, der noch<lb/> schwankend war, bestimmt und zu handeln gezwungen.</p><lb/> <p>Die Sache war nicht leicht, da er immer nur sehr<lb/> stark begleitet kam und sein ganzes Gefolge immer mit<lb/> ihm in das Zimmer des Königs trat. Dieser war<lb/> daher gezwungen, viele Leute in's Vertrauen zu ziehen<lb/> und einen Conseiltag zu wählen, weil, da das Con-<lb/> seil in einer großen Stube zwischen Treppe und Vor-<lb/> zimmer des Königs gehalten wurde, Guise an diesem<lb/> Tage sein Gefolge auf der Treppe lassen und allein<lb/> bleiben mußte. Wenn ihn dann der König zu sich rief,<lb/> war er durch zwei Stuben von seinen Vertheidigern<lb/> getrennt.</p><lb/> <p>Der König hatte sich Crillon vertraut, welcher es<lb/> auf sich nahm, außerhalb auf der Hut zu seyn und zu<lb/> rechten Zeit die Schloßthore zu schließen. Er rief Lar-<lb/> chaut, Capitain der Garden, und befahl ihm, sich mit<lb/> einem Bittgesuch um Bezahlung der Garden Guise in den<lb/> Weg zu stellen, so daß er ihn von seinem Gefolge<lb/> trenne. Hierauf benachrichtigte er das Conseil, daß er<lb/> nächsten Tages, Morgens sehr früh, Rath halten, die<lb/> Geschäfte abmachen und seinen ganzen Hof in ein Land-<lb/> haus nächst <hi rendition="#aq">Notre-Dame-des-Noyers</hi> mitnehmen wolle,<lb/> um dort seine Andacht zu verrichten und sich für Weih-<lb/> nacht vorzubereiten. Er befahl, daß ihn seine Karosse<lb/> Morgens an der Thüre der Hirschgalerie erwarte. Zwi-<lb/> schen zehn und eilf Uhr Abends schloß er sich mit<lb/> de Termes in sein Kabinet ein. Um Mitternacht sagte<lb/> er ihm: „Mein Sohn, gehe jetzt schlafen und sage dem<lb/> Huissier du Halde, daß er mich unfehlbar um vier Uhr<lb/> wecke, und du selbst stelle dich dann auch hier ein.“<lb/> Hierauf nahm er seinen Leuchter und ging zu Bett,<lb/> zur Königin.</p><lb/> <p>Jndessen war Guise beim Nachtessen. Jn einem<lb/> Moment kamen ihm da bis an fünf Warnungen zu. Er<lb/> lag schon im Bette, als noch andere nachfolgten. „Das<lb/> würde nie aufhören,“ sagte er, „wenn man das alles<lb/> beachten wollte.“ Er steckte das letzte Briefchen unter<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [1143/0015]
1143
kaum in Deutschland seyn kann, ist es vielleicht am
Platze, einen Theil dieses Kapitels zu übersetzen. Das
Drama spielt auf dem Schlosse zu Blois.
Guise war nicht zum Handeln aufgelegt. Er hoffte
nicht viel; er war seiner selbst und seiner Rolle müde
und müde seiner Freunde. Er war boshaft wie ein
Affe, verlegen wie ein Page, aber zur Heuchelei nur
wenig geeignet. Die schwerfällige spanische Tartuferie,
die mönchische Scheinheiligkeit, die Schenkstubenfrömmig-
keit der Ligueurs hatten ihn mit Ekel erfüllt. Als Haupt
einer Partei hatte er das große Unglück, seine Partei
ganz, im vollen Lichte, außer dem Schatten gesehen zu
haben.
Seine fürstliche Eleganz und sein innerer Hoch-
muth entfernten ihn von den kleinen Leuten und er
schauderte vor dem Gedanken, wieder schmutzige Hände
drücken zu müssen. Der berühmte Montaigen, ein sehr
feiner Beobachter, der Guise und den König von Na-
varra sehr genau gekannt hatte, sagte zum jüngeren De
Thou ( dem Historiker ) , der erstere sey ganz und gar
nicht katholisch und der letztere ganz und gar nicht pro-
testantisch. Wäre Guise nicht von Jugend auf zur Rolle
eines Führers der Katholiken verdammt gewesen, er
hätte vielmehr zur Religion der Reiter vom Rhein
hingeneigt, zur Augsburgischen Confession, welche, wie
es scheint, sein Bruder und sein Oheim, der Kardinal
von Lothringen, einen Augenblick angenommen hatten.
De Thou enthüllt in seinen Memoiren einen son-
derbaren Umstand. Als er durch Blois kam, fragte
ihn der Unterhändler Schomberg, warum er, nachdem
er dem Herzog seine Aufwartung gemacht, so schnell
weiter reise? De Thou antwortete, er hege vor dem
Herzog große Achtung, gestand aber offenherzig, daß
er sich darum entferne, weil er in des Herzogs Umge-
bung fast nur zu Grunde gerichtete Leute und Schurken
sehe. Schomberg hinterbrachte das dem Guise, welcher
nicht widersprach. „Was wollen Sie?“ sagte er; „ich
bin ehrlichen Leuten von jeher vergebens entgegenge-
kommen. Jch brauche Freunde, und ich nehme, was
sich mir bietet.“ — ( Guise hatte immer viele Banditen
und Spadassins um sich, die ihm fortwährende Verle-
genheiten und Conflikte mit der Justiz verursachten. ) —
Mit einem solchen Hofe und mit solchen Freunden
fühlte sich Guise nicht wohl und war er nicht sein ei-
gener Freund. Er suchte zu vergessen. Er trank nicht;
er suchte einen andern Rausch, der nicht minder ver-
derblich ist. Er verschaffte sich ohne zu große Heim-
lichkeit weltliche Zerstreuungen, die sich gar leicht anboten.
Die Damen, immer zärtlich gegen den Mann des
Tages, waren zu _____gütig. Zu seiner moralischen Leere
kam die Ermattung nach den Ausschweifungen, oft sogar
Ohnmachten. Wie andere Stutzer jener Zeit trug er
Eingemachtes bei sich, um etwas zu nehmen und sich
zu stärken, wenn ihn die Schwäche überkam.
Die große Unternehmung des Augenblicks hieß
Madame de Noirmoutiers; das neue und reizende
Abenteuer umstrickte ihn ganz. Es hielt ihn in Blois
und dessen verhängnißvollem Schlosse fest.
Der Arzt des Königs, Miron, behauptet es nach
dem Ereigniß von Heinrich III. gehört zu haben, daß
Guise am 22. December einen Entschluß gefaßt und
in einer heftigen Scene seine definitive Entlassung ge-
geben und erklärt habe, daß er am nächsten Tage ab-
reisen werde. So hat er selbst den König, der noch
schwankend war, bestimmt und zu handeln gezwungen.
Die Sache war nicht leicht, da er immer nur sehr
stark begleitet kam und sein ganzes Gefolge immer mit
ihm in das Zimmer des Königs trat. Dieser war
daher gezwungen, viele Leute in's Vertrauen zu ziehen
und einen Conseiltag zu wählen, weil, da das Con-
seil in einer großen Stube zwischen Treppe und Vor-
zimmer des Königs gehalten wurde, Guise an diesem
Tage sein Gefolge auf der Treppe lassen und allein
bleiben mußte. Wenn ihn dann der König zu sich rief,
war er durch zwei Stuben von seinen Vertheidigern
getrennt.
Der König hatte sich Crillon vertraut, welcher es
auf sich nahm, außerhalb auf der Hut zu seyn und zu
rechten Zeit die Schloßthore zu schließen. Er rief Lar-
chaut, Capitain der Garden, und befahl ihm, sich mit
einem Bittgesuch um Bezahlung der Garden Guise in den
Weg zu stellen, so daß er ihn von seinem Gefolge
trenne. Hierauf benachrichtigte er das Conseil, daß er
nächsten Tages, Morgens sehr früh, Rath halten, die
Geschäfte abmachen und seinen ganzen Hof in ein Land-
haus nächst Notre-Dame-des-Noyers mitnehmen wolle,
um dort seine Andacht zu verrichten und sich für Weih-
nacht vorzubereiten. Er befahl, daß ihn seine Karosse
Morgens an der Thüre der Hirschgalerie erwarte. Zwi-
schen zehn und eilf Uhr Abends schloß er sich mit
de Termes in sein Kabinet ein. Um Mitternacht sagte
er ihm: „Mein Sohn, gehe jetzt schlafen und sage dem
Huissier du Halde, daß er mich unfehlbar um vier Uhr
wecke, und du selbst stelle dich dann auch hier ein.“
Hierauf nahm er seinen Leuchter und ging zu Bett,
zur Königin.
Jndessen war Guise beim Nachtessen. Jn einem
Moment kamen ihm da bis an fünf Warnungen zu. Er
lag schon im Bette, als noch andere nachfolgten. „Das
würde nie aufhören,“ sagte er, „wenn man das alles
beachten wollte.“ Er steckte das letzte Briefchen unter
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Weitere Informationen:Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.
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