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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] schafften die Pagen und die Diener fort und setzten sich
überall fest. Crillon schloß die Thore des Schlosses.
Der Sekretär des Herzogs, Pericard, hatte die Gei-
stesgegenwart, ihm sein Taschentuch zu schicken und
darin einen Zettel mit den Worten: "Retten Sie sich,
oder Sie sind ein Todter!" Aber nichts kam durch,
weder Taschentuch noch Zettel.

Guise, kaum eingetreten und kaum sitzend, las auf
den ersten Blick in den Gesichtern und wurde ein wenig
verwirrt. Er sah sich allein, und sey's vor Schrecken,
sey's vor Erschöpfung in Folge der verbrachten Nacht,
er war einer Ohnmacht nahe. "Mir ist kalt," sagte er.
Sein Satinkleid übrigens erklärte seinen Befehl, daß
man Feuer anmache. Dann sagte er: "Mir ist übel.
Herr von Morfontaine, wollten Sie dem Kammerdiener
sagen, daß ich eine Kleinigkeit aus den Schränken des
Königs haben möchte, Trauben aus Damaskus oder
Roseneingemachtes?" -- Man fand nur Pflaumen und
er mußte zufrieden seyn.

Das Auge auf der Seite seiner Narbe thränte.
Er benutzte das als Vorwand und sagte zum Kassier:
"Herr Hotman, möchten Sie nicht nachsehen, ob an
der Treppenthüre nicht einer meiner Pagen oder sonst
jemand sey, der mir ein Taschentuch brächte?" Hotman
ging hinaus, aber es scheint, daß er weder durch noch
zurückkommen konnte. Ein Kammerdiener des Königs
brachte dem Herzog ein Taschentuch.

Der König, nun gewiß, daß sein Mann da war,
sagte zu Revol: "Gehen Sie und sagen Sie Monseig-
neur de Guise, daß ich ihn in meinem alten Kabinet
zu sprechen wünsche." -- Revol wurde in dem mittle-
ren Vorzimmer durch den Thürsteher aufgehalten und kam
ganz bebend zurück. -- "Mein Gott!" rief der König,
" Revol, was ist Jhnen? Sie sind so bleich! Sie wer-
den mir alles verderben; reiben Sie Jhre Backen, reiben
Sie Jhre Backen, Revol!" -- "Es hat nichts zu be-
deuten, Sire," sagte dieser, "nur daß mich der Thür-
steher nicht durchlassen will, wenn es Ew. Majestät
nicht befehlen." Der König befahl ihm zu öffnen und
ihn und auch Monseigneur de Guise eintreten zu lassen.

Der Sieur de Marillac berichtete eben über eine
Steuerangelegenheit, als Revol eintrat; der Herzog aß
Pflaumen. Nachdem er diesem gesagt: "Monsieur, der
König verlangt Sie, er ist in seinem alten Kabinet," zieht
er sich schnell wie ein Blitz zurück und geht wieder zum
König. Der Herzog von Guise legt einige Pflaumen
in seine Büchse, wirft den Rest auf die Tischdecke:
"Meine Herrn, wenn beliebt." -- Er erhebt sich; er
faltet seinen Mantel über den linken Arm, zieht die
Handschuhe an, nimmt seine Süßigkeitenbüchse in die
linke Hand und sagt: "Adieu, meine Herrn!" Er klopft,
[Spaltenumbruch] der Thürsteher öffnet; er geht und schließt die Thüre
hinter sich.

Der Herzog tritt in das Vorzimmer und grüßt die
Acht. Nur sie waren da, sonst weder ein Page noch
ein Edelmann. Er sieht Longnac, der auf einem Sche-
mel sitzt und es nicht der Mühe werth hält aufzu-
stehen. Die andern, die standen, folgten ihm, wie
um ihm ihre Achtung zu bezeugen.

Zwei Schritte von der Kabinetsthüre faßt er seinen
Bart mit der rechten Hand, und während er sich mit
dem halben Gesicht umwendet, um die, die ihm folg-
ten, zu betrachten, wird er plötzlich vom Sieur de
Montseriac am Arm gefaßt, da dieser, der am Kamin
stand, der Meinung war, daß der Herzog zurück-
weichen wolle, um sich vertheidigen zu können. Zugleich
versetzt er ihm einen Dolchstoß in die linke Brust und
sagt: "Ah, Verräther, daran stirbst du!" Jm selben
Augenblick faßt der Sieur de Affravats seine Beine und
versetzt ihm der Sieur de Samalens von rückwärts ei-
nen tüchtigen Dolchstoß nahe der Kehle in die Brust
und der Sieur de Longnac einen Degenstoß in die Rip-
pen, während der Herzog bei allen diesen Stößen aus-
ruft: "Ach, meine Freunde! ach, meine Freunde! ach,
meine Freunde!" Und als er den Dolchstoß des Sieur
de Periac im Rückgrath fühlte, schrie er noch lauter:
"Barmherzigkeit!" Und obwohl sein Mantel sich um den
Degen verwickelt hatte, obwohl sie ihn an den Beinen
festhielten, schleifte er sie doch von einem Ende des
Zimmers zum andern, bis an das Bett des Königs,
wo er umfiel.

Die letzten Worte wurden von seinem Bruder, dem
Kardinal, gehört, da sie nur eine Bretterwand trennte.
"Ach, man tödtet meinen Bruder!" Er will sich erheben,
wird aber vom Marschall d'Aumont zurückgehalten, der
die Hand an den Degen legt und ausruft: "Nicht ge-
rührt, Mordieu! Der König hat auch mit Jhnen zu
thun!" -- Der Erzbischof von Lyon zitterte und faltete
die Hände. "Unser Leben," sagte er, "ist in der Hand
Gottes und des Königs."

Als der König erfuhr, was geschehen war, ging er an
die Thüre des Kabinets, hob den Vorhang auf, und wie
er den Guise ausgestreckt daliegen sieht, tritt er herein
und befiehlt dem Herrn von Beaulieu, zu untersuchen,
was er bei sich habe. Er findet einen rings um den
Strumpf mit einer goldenen Kette angebundenen kleinen
Schlüssel und in der Tasche des Beinkleides eine kleine
Börse und in dieser zwölf Goldthaler und ein Zettelchen,
darauf von der Hand des Herzogs geschrieben war:
"Um im Jnnern Frankreichs den Krieg zu ernähren,
bedarf's 700,000 Livres monatlich."

Während Herr von Beaulieu untersuchte, bemerkte
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] schafften die Pagen und die Diener fort und setzten sich
überall fest. Crillon schloß die Thore des Schlosses.
Der Sekretär des Herzogs, Pericard, hatte die Gei-
stesgegenwart, ihm sein Taschentuch zu schicken und
darin einen Zettel mit den Worten: „Retten Sie sich,
oder Sie sind ein Todter!“ Aber nichts kam durch,
weder Taschentuch noch Zettel.

Guise, kaum eingetreten und kaum sitzend, las auf
den ersten Blick in den Gesichtern und wurde ein wenig
verwirrt. Er sah sich allein, und sey's vor Schrecken,
sey's vor Erschöpfung in Folge der verbrachten Nacht,
er war einer Ohnmacht nahe. „Mir ist kalt,“ sagte er.
Sein Satinkleid übrigens erklärte seinen Befehl, daß
man Feuer anmache. Dann sagte er: „Mir ist übel.
Herr von Morfontaine, wollten Sie dem Kammerdiener
sagen, daß ich eine Kleinigkeit aus den Schränken des
Königs haben möchte, Trauben aus Damaskus oder
Roseneingemachtes?“ — Man fand nur Pflaumen und
er mußte zufrieden seyn.

Das Auge auf der Seite seiner Narbe thränte.
Er benutzte das als Vorwand und sagte zum Kassier:
„Herr Hotman, möchten Sie nicht nachsehen, ob an
der Treppenthüre nicht einer meiner Pagen oder sonst
jemand sey, der mir ein Taschentuch brächte?“ Hotman
ging hinaus, aber es scheint, daß er weder durch noch
zurückkommen konnte. Ein Kammerdiener des Königs
brachte dem Herzog ein Taschentuch.

Der König, nun gewiß, daß sein Mann da war,
sagte zu Révol: „Gehen Sie und sagen Sie Monseig-
neur de Guise, daß ich ihn in meinem alten Kabinet
zu sprechen wünsche.“ — Révol wurde in dem mittle-
ren Vorzimmer durch den Thürsteher aufgehalten und kam
ganz bebend zurück. — „Mein Gott!“ rief der König,
„ Révol, was ist Jhnen? Sie sind so bleich! Sie wer-
den mir alles verderben; reiben Sie Jhre Backen, reiben
Sie Jhre Backen, Révol!“ — „Es hat nichts zu be-
deuten, Sire,“ sagte dieser, „nur daß mich der Thür-
steher nicht durchlassen will, wenn es Ew. Majestät
nicht befehlen.“ Der König befahl ihm zu öffnen und
ihn und auch Monseigneur de Guise eintreten zu lassen.

Der Sieur de Marillac berichtete eben über eine
Steuerangelegenheit, als Révol eintrat; der Herzog aß
Pflaumen. Nachdem er diesem gesagt: „Monsieur, der
König verlangt Sie, er ist in seinem alten Kabinet,“ zieht
er sich schnell wie ein Blitz zurück und geht wieder zum
König. Der Herzog von Guise legt einige Pflaumen
in seine Büchse, wirft den Rest auf die Tischdecke:
„Meine Herrn, wenn beliebt.“ — Er erhebt sich; er
faltet seinen Mantel über den linken Arm, zieht die
Handschuhe an, nimmt seine Süßigkeitenbüchse in die
linke Hand und sagt: „Adieu, meine Herrn!“ Er klopft,
[Spaltenumbruch] der Thürsteher öffnet; er geht und schließt die Thüre
hinter sich.

Der Herzog tritt in das Vorzimmer und grüßt die
Acht. Nur sie waren da, sonst weder ein Page noch
ein Edelmann. Er sieht Longnac, der auf einem Sche-
mel sitzt und es nicht der Mühe werth hält aufzu-
stehen. Die andern, die standen, folgten ihm, wie
um ihm ihre Achtung zu bezeugen.

Zwei Schritte von der Kabinetsthüre faßt er seinen
Bart mit der rechten Hand, und während er sich mit
dem halben Gesicht umwendet, um die, die ihm folg-
ten, zu betrachten, wird er plötzlich vom Sieur de
Montseriac am Arm gefaßt, da dieser, der am Kamin
stand, der Meinung war, daß der Herzog zurück-
weichen wolle, um sich vertheidigen zu können. Zugleich
versetzt er ihm einen Dolchstoß in die linke Brust und
sagt: „Ah, Verräther, daran stirbst du!“ Jm selben
Augenblick faßt der Sieur de Affravats seine Beine und
versetzt ihm der Sieur de Samalens von rückwärts ei-
nen tüchtigen Dolchstoß nahe der Kehle in die Brust
und der Sieur de Longnac einen Degenstoß in die Rip-
pen, während der Herzog bei allen diesen Stößen aus-
ruft: „Ach, meine Freunde! ach, meine Freunde! ach,
meine Freunde!“ Und als er den Dolchstoß des Sieur
de Periac im Rückgrath fühlte, schrie er noch lauter:
„Barmherzigkeit!“ Und obwohl sein Mantel sich um den
Degen verwickelt hatte, obwohl sie ihn an den Beinen
festhielten, schleifte er sie doch von einem Ende des
Zimmers zum andern, bis an das Bett des Königs,
wo er umfiel.

Die letzten Worte wurden von seinem Bruder, dem
Kardinal, gehört, da sie nur eine Bretterwand trennte.
„Ach, man tödtet meinen Bruder!“ Er will sich erheben,
wird aber vom Marschall d'Aumont zurückgehalten, der
die Hand an den Degen legt und ausruft: „Nicht ge-
rührt, Mordieu! Der König hat auch mit Jhnen zu
thun!“ — Der Erzbischof von Lyon zitterte und faltete
die Hände. „Unser Leben,“ sagte er, „ist in der Hand
Gottes und des Königs.“

Als der König erfuhr, was geschehen war, ging er an
die Thüre des Kabinets, hob den Vorhang auf, und wie
er den Guise ausgestreckt daliegen sieht, tritt er herein
und befiehlt dem Herrn von Beaulieu, zu untersuchen,
was er bei sich habe. Er findet einen rings um den
Strumpf mit einer goldenen Kette angebundenen kleinen
Schlüssel und in der Tasche des Beinkleides eine kleine
Börse und in dieser zwölf Goldthaler und ein Zettelchen,
darauf von der Hand des Herzogs geschrieben war:
„Um im Jnnern Frankreichs den Krieg zu ernähren,
bedarf's 700,000 Livres monatlich.“

Während Herr von Beaulieu untersuchte, bemerkte
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856, S. 1145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt48_1856/17>, abgerufen am 21.11.2024.