Neue Rheinische Zeitung. Nr. 30. Köln, 30. Juni 1848.macht; Arbeiterinnen, die ihr von den Bourgoisfrauen als bildungslose und als unmoralische Personen angeschaut, und doch zum Anputzen ihrer trägen Leiber gebraucht werdet; Arbeiterinnen, die ihr in den Dachstübchen und Fabriken schafft, auf der Straße und auf den Märkten in Wind und Wetter euer bitt'res, redliches Brod verdient, während die Demoisellen am Fenster des ersten Stocks an euch gleichgültig vorbeiblicken: erhebt euch und erobert mit uns die gemeinsame Ehre der wahren, wirklichen, anständigen Arbeit. Wir sind es satt, seit Jahrtausenden von den Geldinhabern gekreuzigt zu werden; ihr müßt endlich auch die Augen öffnen." Viele Frauen fochten diesmal mit. Gestern noch, als die Stadt bereits von den brigands und chauffeurs, (letzterer Titel wird jetzt gleichfalls von den modernen Thermidoriern wieder hervorgesucht) gesäubert war, hat ein starkes Arbeiterweib neben der Deputirtenkammer ein Pistol auf einen Offizier der Nationalgarde abgebrannt, doch nur seine Uniform getroffen; sie ward nach der Präfektur geführt, doch nur mit Mühe vor den "werft sie in die Seine" schreienden Leuten gerettet. In den vier gewaltigen Schlachten (Faubourg St. Denis, Pantheon, Isle St. Louis nebst Cite, und Faubourg St. Antoine) haben die Weiber unausgesetzt Kugeln gegossen in ihren Fingerhüten, und Schießbaumwolle gemacht, Schwefelsäure und Pech aus den Fenstern geschleudert. Die Mobilgarde ist jetzt mit einem Mal zur Prätorianergarde der herrschenden Klasse avancirt, und da die Helden dieser Garde noch sehr jung sind, meist 17 Jahre, so läßt sich recht viel von ihnen hoffen. Sie hat keinen Pardon gegeben; da die meisten ihrer Chefs ehemalige Ouvriers und in den geheimen Gesellschaften unter Ludwig Philipp bewährte Republikaner sind, zudem lauter Barrikadeurs vom Februar, so hatten auf sie die Insurgenten felsenfest gerechnet. Daher die Rache der letztern an einzelnen persönlich ihnen besonders verhaßten Abtrünnigen. Höchst brutale Szenen fanden übrigens nur auf den Barrikaden im südöstlichen Theil Statt, in dem Faubourg der Chiffoniers und Handweber, im St. Marcel, wo bekanntlich 8000 polizeilich Beaufsichtigte wohnen. Beklagenswerth ist, daß die Insurrektion, deren Majorität, für jeden einigermaßen tiefen Beobachter streng und ernst das Gute wollte, kein Programm erließ; möglich übrigens, daß ein solches existirte und von den Bourgois überall zerrissen wurde, weil es "nicht toll genug" war. Feststeht, daß viele wack're, gebildete Führer auf den Barrikaden von St. Antoine und von St. Jacques kommandirten, die das Erstaunen Arago's und Larabit's, zweier Repräsentanten, in mehrfachen Parlamentirgesprächen erregt haben. Daß Louis Blanc von der fashionabln Banquierlegion, in deren Arrondissement er zu wohnen das Unglück hat, auch diesmal wieder insultirt wurde, versteht sich; diese Herren vom Coffrefort stießen ihn in's Cafe Frascati, und stimmten mit Händeheben auf Todtschießen ab; nur ein Kollege rettete ihn in einem Kabriolet, doch flog die Kugel eines der Lions bei der Madeleine hintendrein. Der bei der letzten Wahl in die Kammer gekommene Lagrange, dieser langjährige Gefangene unter Ludwig Philipp, scheint sogar schon an der Mauer habe niederknien müssen, um die Sünde, auf den Boulevards: vive la republique rouge geschrieen zu haben, in seinem "unlautern Kommunistenblut (wie die Assemblee nationale in einer ihrer letzten Nummern sagt) zu büßen; nur mit mühevollen Nothlügen brachte ihn ein Offizier in Gewahrsam. - Die Stadt ist jetzt mit hunderttausend Liniensoldaten und Provinzialgarden bedeckt; Cavaignac affischirt die brüderlichsten Versprechen: statt Todestrafe nur Deportirung nach den interessanten Markesasinseln und dem gesunden Guyana, drei Millionen (statt dreißig) zur Beschwichtigung des pariser Elends, sofortiges Beginnen der riesenhaften Untersuchung, u. s. w. Freilich hat er nicht allein die extremen Redaktoren der Demokratie, sondern zugleich auch Girardin und den Redakteur der Assemblee nationale einstecken lassen, indessen vermuthet man nicht grundlos, letzteres geschehe blos zum Schein. Thiers freut sich (nicht weniger als Marrast) über die Tragödie, welche mindestens viertausend Todte, abgerechnet die in's Wasser "gefallenen", auf dem Pflaster ließ. Ecrasons l'infame, ist ihr Stichwort, es ist ja "die Rebellion der Blouse gegen die Civilisation und gegen den honnetten Besitz" wie ein junger preußischer wohlhäbiger Arzt mich mit vieler Weisheit gestern belehrte. A bas le travail, vive la faineantise, du riche rief der verhaftete "Pire Duchesne" in seiner vorletzten Nummer; a bas l'egalite, vive l'orde bourgeois, a bas la fraternite, vive la vertu de l'argent! Schluß der Sitzung vom 26. Juni, 2 Uhr. Hr. Degoussee, einer der Quästoren, steigt auf's Büreau und schellt mehrmals mit der Glocke. Hr. Corbon, Vizepräsident: Hier ist ein Brief des Chefs der exekutiven Gewalt (Bewegung): "Bürger Präsident, Dank der Haltung der Nationalversammlung, Dank dem bewundernswerthen Benehmen der Nationalgarde und Armee: der Aufstand ist bezwungen, die Ruhe in Paris wieder hergestellt. Sobald die mir anvertraute außerordentliche Gewalt füe das öffentliche Wohl nicht mehr nöthig sein wird, werde ich sie respektvoll in die Hände der Nationalversammlung niederlegen." Von allen Seiten : es lebe die Republik! Die Sitzung wird abermals suspendirt und nach einer Stunde, um 3 Uhr, wieder eröffnet. Der Vizepräsident (Corbon) : Bürger, ich freue mich, Ihnen mittheilen zu können, daß es mit der Blessur des Bürgers Dornes gut geht - (um so besser! um so besser!) Abermalige Suspension. Man hört draußen, nach der Rue de Bourgogne hin, lebhafte Akklamationen. Ein Detaschement der Mobilgarde, mit Zöglingen der polytechnischen Schule an der Spitze, überbringt wiederum eine auf den Barrikaden eroberte Fahne. Sie ist zur Hälfte zerrissen und ganz schwarz vom Pulverdampf. Der junge Martin trägt die Fahne; er hat das Kreuz der Ehrenlegion auf der Brust, das ihm gestern ertheilt wurde. Eine Stimme : in welchem Zustande ist Hr. Bixio? Der Präsident: wir haben von ihm keine Nachricht. Inzwischen wird an mehrere Repräsentanten die Proklamation Cavaignac's vertheilt, die alsbald in ganz Paris affichirt werden soll. (Der Leser wird sie weiter unten finden.) Die Nationalgarde von Blois langt vor den Thoren des Pallastes an; sie wird von den Repräsentanten des Lois-et-Cher-Departements begrüßt. Gegen 7 1/2 Uhr trifft ein bedeutendes Korps Nationalgarde von Seine-et-Marne vor dem Pallast ein. Abendsitzung. 8 1/2 Uhr. Senard, Präsident: Alle seit meinen vorigen Mittheilungen eingelaufenen Berichte sind völlig befriedigend. Auf den Punkten, wo man nach kämpfte, hat jetzt der Kampf aufgehört. Es bleibt nur übrig : dort die Aufregung, hier die Konsternation, die stets so großen Ereignissen nachfolgen; aber von Stunde zu Stunde mehrt sich das Gefühl des Vertrauens in die Zukunft, des Vertrauens in die Nationalversammlung und in die Rückkehr der Ordnung. Dies ist es, was beinah für alle Schmerzen, die wir in den eben verflossenen Tagen erduldet, ein heilender Trost ist. (Sehr gut! sehr gut!) Morgen, meine Herren, werden wir den momentan ununterbrochenen Lauf unserer Arbeiten fortsetzen. Morgen früh werde ich der Versammlung eine Tagesordnung vorschlagen, die ich heute Abend noch nicht anführe. Morgen werden wir zur vollständigen Ausführung des Reglements zurückkehren, das wir in einigen seiner Bestimmungen während der verflossenen Tage suspendiren mußten. Namentlich werde ich eine Abänderung über die Art, Motionen zu stellen, in Vorschlag bringen, zu dem Zweck, daß die Initiative der Versammlung vollständig gesichert werde. Die Herren Bonjean, Alem. Rousseau und andere Mitglieder: Der Augenblick ist schlecht gewählt, um uns mit reglementarischen Vorschlägen zu beschäftigen. Andere Mitglieder: Zur Ordnung. Präsident: Hätte man mich ausreden lassen, so würde man die Dringlichkeit der Bestimmungen, die ich beantrage, erkannt haben. Von allen Seiten wird "zur Ordnung" gerufen. Präsident: Ich frage die Versammlung, ob sie die Kommission des Reglements bevollmächtigen will . . . . Alem Rousseau steigt auf die Tribüne und will sprechen. Durch den allseitigen Ruf "zur Ordnung" ist er genöthigt, auf seinen Platz zurück zu kehren. Präsident: Es ist mir unmöglich, gegen eine solche Unterbrechung anzukämpfen. Ich rufe den Unterbrecher nicht zur Ordnung; ich will versuchen, meinen Gedanken vollends auszudrücken. Bonjean sagt einige Worte, die nicht bis zu uns gelangen. Präsident: Es liegt nicht in meiner Gewohnheit, Herr Bonjean, mich mit persönlichen Dingen zu beschäftigen; aber wenn Sie fortfahren, mich zu unterbrechen, so werde ich genöthigt sein, Ihnen zu erklären, daß Sie sich nicht allein gegen den Präsidenten, sondern gegen die ganze Versammlung vergehen. Die Kommission des Reglements wird beauftragt werden, die angegebenen Bestimmungen zu revidiren. Man beantragt außerdem noch eine Ergänzung zum Dekrete, welches Sie gestern in Bezug auf die Verlängerung der Wechsel und Billete angenommen. Die Modifikation des Artikels 1 lautet folgender Maßen: Die Verfallzeit derjenigen Wechsel, die in Paris und den Departements vom 23. Juni an bis zum 5. Juli inclusive zahlbar sind, wird auf 5 Tage hinausgeschoben, in der Art, daß die auf den 23. fälligen Wechsel den 28., die auf den 24. fälligen den 29. u. s. w. zahlbar sind. Die Artikel 2 und 3 werden beibehalten, wie sie gestern votirt worden sind. Die Versammlung dekretirt die Dringlichkeit. Mehrere Mitglieder: Es genügt, die Verlängerung für diejenigen Billets, welche vor dem 30. Juni fällig sind, zu reglementiren. Das Amendement wird verworfen. Der Artikel 1 wird angenommen, wie er vorgeschlagen worden. Tillancourt: Ich beantrage, daß der Hr. Präsident eingeladen werde morgen den Entwurf zu eine Proklamation an das französische Volk vorzulegen, um ihn der Versammlung bei Eröffnung der Sitzung zu unterwerfen. Corbon, Vice-Präsident, nimmt die Stelle des Präsidenten ein. - Der Vorschlag wird abgestimmt und angenommen. Präsident. Die Arbeit der Kommission in Betreff der Deportation ist noch nicht fertig: sie wird morgen der Versammlung vorgelegt werden. Flocon: spricht über die Verproviantirung von Paris, die gar nichts zu wünschen übrig ließe. Präsident: Ich höre so eben, daß die letzten Barrikaden von la Villette genommen seien. Die Sitzung wird um 9 Uhr Abends aufgehoben. - Nationalversammlung. Sitzung vom 27. Juni. Die Gegend des Sitzungssaales, von der Rivolistraße bis hinter den Burgunderplatz, gleicht immer noch einem Kriegslager. Die Kanonen sind aufgepflanzt, ganze Regimenter bivouakiren auf dem Conkordiaplatze u. s. w. Im Sitzungssaale selbst suchte unser Auge zuerst diejenigen Deputirten, welche die gestrige Nacht als Geisseln hinter den Barrikaden des Faubourgs St. Antoine's zubrachten und denen Larabit als Parlamentär diente. Wir erblickten nur Larabit. Das alte Oppositionsglied saß ziemlich zerstört auf seinem Platze; es schien sehr nachdenklich. Senard, der unermüdliche Generaladvokat, eröffnete die Sitzung um 11 Uhr. Er zeigte der Versammlung an, daß einzelne kleine Scharmützel abgerechnet, Paris, bis auf die zahllosen Wachen, ruhig geschlafen habe. In den Departements, z. B. in Marseille, habe die Kontrerevolution ebenfalls ihr Haupt erhoben, sei aber bald unterdrückt worden. In Nantes, Lyon, Rouen sei die Ruhe aufrecht erhalten worden u. s. w. In Paris selbst wache die Vollziehungsgewalt unermüdet. Die 9. und 12. Legion der Pariser Bürgerwehr (St. Antoine und St. Marceau) würden Exzesse und Mißtrauens halber so eben entwaffnet. Ferner trage er auf Niedersetzung eines Ausschusses an, der sich sofort mit den Opfern der letzten 4 Tage beschäftige. Die Nationalversammlung habe zwar bereits die Wittwen und Waisen adoptirt, aber es bleibe noch viel zu thun übrig. Es wird ein Ausschuß von 9 Glieder ernannt, der die nöthigen Anträge auszuarbeiten hat. Endlich soll eine pomphafte Revue aller herbeigeeilten Bürgerwehren stattfinden und Alles aufgeboten werden, um ihnen den für die Republick bewiesenen Eifer möglichst zu vergelten. Dieser Vorschlag fand nicht minder Beifall. Inzwischen sorgt der Gefängnißausschuß für die gehörige Verwahrung der gefangenen Insurgenten. Es ist interessant hiebei zu erfahren, daß Barrot, Thiers und V. Hugo das Geschäft der Klassifizirung, Transportirung und Verpflegung der Gefangenen zu besorgen hatten. Bei Durchsuchung von etwa 60 Insurgenten, die in Abbaye gesperrt wurden, fand man kaum 10 Franken im Ganzen! Hieraus möge man auf die Wahrheit des Geschreies der Zeitungspresse über Bestechung urtheilen. Die Sitzung wurde suspendirt, und die Glieder zogen sich in die Büreaus zurück, um mehrere Gesetzentwürfe (Deportation), Begräbnißfeierlichkeit und dergl. insgeheim zu berathen. - 3 Uhr Wiedereröffnung der Sitzung. Senart. Ehe ich dem Berichterstatter das Wort ertheile, will ich noch einem einstimmigen Wunsch entgegen kommen, indem ich Euch Kenntniß gebe von den telegraphischen Depeschen von Limoges und Marseille. Zu Limoges brachte die durch die Nachricht von den Ereignissen in Paris hervorgerufene Agitation keine Kollision hervor. Zu Marseille ist die Ruhe hergestellt, nicht ohne Blutverlust. Eine kleine Anzahl von Soldaten und Nationalgardisten ist in dem Gefecht getödtet worden, woran, wie es scheint, die Clubistes montagnards allein Theil nahmen. Die italienische Legion blieb dieser Bewegung fremd. An 15 der Montagnards sind gefallen. Die vor der Stadt arretirten Gefangenen belaufen sich auf 700. Meaulle. Berichterstatter der Kommission bezüglich des Dekrets der Deportation: Eure Kommission fand sich zwischen zwei Dekrete gestellt, Eins der Versammlung, das über alle mit den Waffen in der Hand ergriffene Individuen Deportation verhängt und ein Andres der exekutiven Gewalt, das sie vor Militärgerichte stellt. Die Kommission hat den Mittelweg zwischen den zwei entgegengesetzten Ansichten eingeschlagen. Sie hat begriffen, daß die Gesellschaft, heftig angegriffen, mit allen zu ihrer Verfügung stehenden Mitteln sich vertheidigen müsse. Es ist indeß klar, daß es unter den Revoltirten, unter den Schuldigen verschiedene Kategorien gibt. So sind sicher die, die bloß gekämpft haben, weniger schuldig, als die Lenker, die Aufhetzer, die, welche Geld vertheilt haben, um den Bürgerkrieg zu nähren. Wir schlagen euch folgende doppelte Maßregel vor: Art. 1. Gemäß einer Sicherhe tsmaßregel werden in die überseeischen französischen Besitzungen mit Ausschluß der des mittelländischen Meers, die gegenwärtig verhafteten Individuen deportirt, die an der Insurrektion des 22. Juni und der folgenden Tage Theil genommen haben. Art. 2. Die von den Kriegsgerichten eröffnete Instruktion wird fortgesetzt werden gegen die Individuen, welche die Instruktion bezeichnen würde als Aufhetzer, Anführer, Leiter der Insurrektion, sei es durch Vertheilung von Geld, Uebernahme eines Kommandos während des Kampfes oder durch Vollbringung erschwerender rebellischer Akte. Art. 3. Ein Dekret der Nationalversammlung wird die spezielle Lebensordnung bestimmen, der die transportirten Individuen unterworfen werden. Art. 4. Die exekutive Gewalt ist beauftragt unverzüglich das Dekret zu vollstrecken. General Cavaignac: Ich bin erstaunt über einige von Eurem Berichterstatter ausgesprochenen Worte. Er hat gesagt, die Kommission habe sich zwischen zwei absolute Meinungen gestellt gefunden, der Meinung der Nationalversammlung und der Meinung der exekutiven Gewalt. Ich bin erstaunt, meine Herren, daß man mir vor den Augen der N.-V., vor den Augen der Nation, eine Stellung giebt, die ich nicht eingenommen habe, die eines Menschen, der sich strenger gezeigt hätte, als die Versammlung, als die gesammte Nation. Wir machen Geschichte, meine Herrn, und man muß nicht die Verantwortlichkeit noch vermehren, die unsre Hingebung an das Vaterland, an die Republik, uns zur Pflicht macht zu übernehmen. (Verlängerte Bravos, Akklamationen!) Meaulle deutet seine Worte im Sinne Cavaignac's. Cavaignac. Die Versammlung wird mir erlauben hinzuzufügen, daß die Abänderungen des ursprünglichen Entwurfs, so weit sie mildernd sind, auf mein Verlangen stattgefunden haben Ein Mitglied verlangt, daß der Bericht gedruckt und die Diskussion auf Morgen vertagt werde. (Reklamation. Einige Stimmen: Ja! Ja!) Perree. Ich trage auf Dringlichkeitserklärung an. In den Umständen, worin wir uns befinden, begreife ich keine Verzögerung. (Sehr gut! Beifall.) Germain Sarrut bekämpft die Dringlichkeit, nicht das Dekret selbst, aber er verlangt, daß man diskutire mit Ruhe, mit Reflexion, und daß man nicht durch fatale Uebereilung, sich, wie zu andern Epochen einer nutzlosen Reue aussetze. (Skandal. Lärm. Trommeln.) Ein Mitglied. Seit zwei Tagen ist das Projekt vorgelegt. Jeder von uns hat Zeit gehabt, sich mit seinem Gewissen zu verständigen. General Lebreton. Ich bedaure meine Herrn, daß ausgezeichnete Mitglieder dieser Versammlung in einem beklagenswerthen Stillschweigen verharren! In den jetzigen feierlichen Umständen, scheint mir, muß Niemand vor seinem Antheil von Verantwortwortlichkeit zurückbeben. Ich nehme mir die Freiheit, der Versammlung einige Bemerkungen zu machen. Wir, meine Herrn, entschlüpfen so eben einer Gefahr, deren fürchterliche Bedeutsamkeit vielleicht nicht Alle begriffen haben. (Reklamationen). Die Gesellschaft, einen Augenblick in ihren Grundlagen erschüttert, erwartet von Euch einen großen Akt, einen Akt strengster Gerechtigkeit. (Sehr gut.) Diesen Akt werdet Ihr der Gesellschaft nicht abschlagen; wie die Nationalgarde, wie die Armee, wird die Versammlung ihre Pflicht erfüllen und auf der Höhe der Verhältnisse stehn. (Sehr gut. Verlängerte Bravo's.) Sarrans besteigt die Tribüne. (Geräusch, Tumult. Der Schluß! der Schluß!) Der Schluß wird zur Abstimmung gebracht und beinahe einstimmig angenommen. Der Präsident. Ich bringe die von dem Bürger Perree verlangte unmittelbare Verweisung des Dekrets in die Bureaux zur Abstimmung. Eine erste Probe ist zweifelhaft. Die unmittelbare Verweisung an die Büreaux wird verworfen. Der Präsident. Ich bringe den Druck und die Vertheilung des Berichts zur Abstimmung. Charamaul. Man mußte diesen Vorschlag vor dem andern zur Abstimmung bringen, weil er weiter ist. (Geräusch, Agitation). Der Druck wird verworfen. Pascal Duprat. Im Namen der nationalen Gerechtigkeit verlange ich, daß die Diskussion nicht unmittelbar statt hat. Ich verlange für mein Gewissen, für eures, eine gewisse Langsamkeit. Ich bitte euch, zwei, drei Stunden nachdenken zu wollen. Ich verlange den Aufschub der Diskussion bis 8 Uhr. Baroche behauptet, die Versammlung habe durch ihr Votum schon entschieden, daß die Diskussion unmittelbar statt finde. Flocon. Ich habe die Dringlichkeit votirt, aber neben dieser Dringlichkeit steht die "moralische" Zeit des Nachdenkens, welche die Gesetzgeber nicht aus den Augen verlieren dürfen. Wir werden über Menschen richten; vergessen wir nicht, daß die Geschichte die Richter richten wird; es ist dies ihr Recht. (Gelächter). Ich verlange, daß die Richter sich einen Augenblick sammeln. Mehrere Stimmen. Nein, nein! Die Vertagung auf den morgenden Tag wird verworfen, die Vertagung bis auf 8 Uhr wird mit sehr schwacher Majorität angenommen. Die Sitzung wird aufgehoben um 4 1/2 Uhr inmitten einer großen Aufregung. Drei und eine halbe Stunde Bedenkzeit wird der rachsüchtigen Versammlung mit der größten Mühe abgerungen! Das Volk vom 24. Februar vergaß sich zu Gericht zu setzen. Paris, 27. Juni. (Letzte Augenblicke der Insurrektion.) Enorme Truppenmassen der Generäle Lamoriciere und Perrot hielten das ganze Faubourg St. Antoine umschlungen. Nur von Menilmontant und Popincourt, jenseits des Kanals her beunruhigten einzelne Insurgenten-Abtheilungen die Truppen. Es schlug 10 Uhr. Die Belagerungsgeschütze, Mörser, Haubitzen und Kanonen, welche Cavaignac auf Verlangen Lamoriciere's aus Arras und La Fere (zwei Festungen) in aller Eile hatte herbeischaffen lassen, waren eingetroffen. Die Pechkränze und Brandbomben lagen bereit. Der produktivste Theil von Paris sollte vernichtet werden. Der revolutionäre Heerd brannte bereits an einigen Stellen, als Lamoriciere, ein kleinee, blutjunger, negerköpfiger Glückssoldat, umgeben von seinem ganzen Generalstabe m KafeAmand an der Ecke des Bastillenplatzes auf den Befehl zum Beginn des Bombardements wartete und mit der Uhr in der Hand die Minuten zählte, welche das Schicksal über Hunderttausende entscheiden sollte . . . . Da sprengt ein Ordonanzreiter herbei und bringt ihm die Kapitulation des Faubourgs: die Insurgenten haben die Waffen gestreckt und reißen selbst die Barrikaden nieder. Die größte Katastrophe wurde vermieden - Ströme von Blut dadurch erspart. - Das halbe Blatt der "Reforme", das heute erschienen ist, wagt nicht mehr mit Flocon die Junitage als Resultat der Intriguen des Auslandes und geheimer Bestechungen darzustellen. Dem Ernst der Ereignisse stellt es fromme Wünsche gegenüber. "Dieß schreckliche Beispiel diene uns allen als Lehre und Warnung! Ueberwachen wir uns gewissenhaft und ohne das Recht aufzugeben, beseelen wir uns mehr und mehr, Journale, Staatsgewalten, Parteien, mit jenem edlen Gefühle, dessen Namen der Februar auf seine Banner schrieb: Fraternite! - Ein Beschluß der Maires von Paris vom 26. Abends, kündet an, daß die Circulation wieder hergestellt ist, mit Ausnahme der Punkte, wo Maßregeln der Ordnung und der Ueberwachung noch unentbehrlich sind. Nach demselben Beschluß müssen alle Eigenthümer oder Miether ihre Wohnungen illuminiren, um den Dienst der Patrouillen zu erleichtern. - Neben den Schreckens- macht; Arbeiterinnen, die ihr von den Bourgoisfrauen als bildungslose und als unmoralische Personen angeschaut, und doch zum Anputzen ihrer trägen Leiber gebraucht werdet; Arbeiterinnen, die ihr in den Dachstübchen und Fabriken schafft, auf der Straße und auf den Märkten in Wind und Wetter euer bitt'res, redliches Brod verdient, während die Demoisellen am Fenster des ersten Stocks an euch gleichgültig vorbeiblicken: erhebt euch und erobert mit uns die gemeinsame Ehre der wahren, wirklichen, anständigen Arbeit. Wir sind es satt, seit Jahrtausenden von den Geldinhabern gekreuzigt zu werden; ihr müßt endlich auch die Augen öffnen.“ Viele Frauen fochten diesmal mit. Gestern noch, als die Stadt bereits von den brigands und chauffeurs, (letzterer Titel wird jetzt gleichfalls von den modernen Thermidoriern wieder hervorgesucht) gesäubert war, hat ein starkes Arbeiterweib neben der Deputirtenkammer ein Pistol auf einen Offizier der Nationalgarde abgebrannt, doch nur seine Uniform getroffen; sie ward nach der Präfektur geführt, doch nur mit Mühe vor den „werft sie in die Seine“ schreienden Leuten gerettet. In den vier gewaltigen Schlachten (Faubourg St. Denis, Pantheon, Isle St. Louis nebst Citè, und Faubourg St. Antoine) haben die Weiber unausgesetzt Kugeln gegossen in ihren Fingerhüten, und Schießbaumwolle gemacht, Schwefelsäure und Pech aus den Fenstern geschleudert. Die Mobilgarde ist jetzt mit einem Mal zur Prätorianergarde der herrschenden Klasse avancirt, und da die Helden dieser Garde noch sehr jung sind, meist 17 Jahre, so läßt sich recht viel von ihnen hoffen. Sie hat keinen Pardon gegeben; da die meisten ihrer Chefs ehemalige Ouvriers und in den geheimen Gesellschaften unter Ludwig Philipp bewährte Republikaner sind, zudem lauter Barrikadeurs vom Februar, so hatten auf sie die Insurgenten felsenfest gerechnet. Daher die Rache der letztern an einzelnen persönlich ihnen besonders verhaßten Abtrünnigen. Höchst brutale Szenen fanden übrigens nur auf den Barrikaden im südöstlichen Theil Statt, in dem Faubourg der Chiffoniers und Handweber, im St. Marcel, wo bekanntlich 8000 polizeilich Beaufsichtigte wohnen. Beklagenswerth ist, daß die Insurrektion, deren Majorität, für jeden einigermaßen tiefen Beobachter streng und ernst das Gute wollte, kein Programm erließ; möglich übrigens, daß ein solches existirte und von den Bourgois überall zerrissen wurde, weil es „nicht toll genug“ war. Feststeht, daß viele wack're, gebildete Führer auf den Barrikaden von St. Antoine und von St. Jacques kommandirten, die das Erstaunen Arago's und Larabit's, zweier Repräsentanten, in mehrfachen Parlamentirgesprächen erregt haben. Daß Louis Blanc von der fashionabln Banquierlegion, in deren Arrondissement er zu wohnen das Unglück hat, auch diesmal wieder insultirt wurde, versteht sich; diese Herren vom Coffrefort stießen ihn in's Café Frascati, und stimmten mit Händeheben auf Todtschießen ab; nur ein Kollege rettete ihn in einem Kabriolet, doch flog die Kugel eines der Lions bei der Madeleine hintendrein. Der bei der letzten Wahl in die Kammer gekommene Lagrange, dieser langjährige Gefangene unter Ludwig Philipp, scheint sogar schon an der Mauer habe niederknien müssen, um die Sünde, auf den Boulevards: vive la république rouge geschrieen zu haben, in seinem „unlautern Kommunistenblut (wie die Assemblée nationale in einer ihrer letzten Nummern sagt) zu büßen; nur mit mühevollen Nothlügen brachte ihn ein Offizier in Gewahrsam. ‒ Die Stadt ist jetzt mit hunderttausend Liniensoldaten und Provinzialgarden bedeckt; Cavaignac affischirt die brüderlichsten Versprechen: statt Todestrafe nur Deportirung nach den interessanten Markesasinseln und dem gesunden Guyana, drei Millionen (statt dreißig) zur Beschwichtigung des pariser Elends, sofortiges Beginnen der riesenhaften Untersuchung, u. s. w. Freilich hat er nicht allein die extremen Redaktoren der Demokratie, sondern zugleich auch Girardin und den Redakteur der Assemblée nationale einstecken lassen, indessen vermuthet man nicht grundlos, letzteres geschehe blos zum Schein. Thiers freut sich (nicht weniger als Marrast) über die Tragödie, welche mindestens viertausend Todte, abgerechnet die in's Wasser „gefallenen“, auf dem Pflaster ließ. Ecrasons l'infame, ist ihr Stichwort, es ist ja „die Rebellion der Blouse gegen die Civilisation und gegen den honnetten Besitz“ wie ein junger preußischer wohlhäbiger Arzt mich mit vieler Weisheit gestern belehrte. A bas le travail, vive la faineantise, du riche rief der verhaftete „Pire Duchesne“ in seiner vorletzten Nummer; à bas l'égalité, vive l'orde bourgeois, à bas la fraternité, vive la vertu de l'argent! Schluß der Sitzung vom 26. Juni, 2 Uhr. Hr. Degoussée, einer der Quästoren, steigt auf's Büreau und schellt mehrmals mit der Glocke. Hr. Corbon, Vizepräsident: Hier ist ein Brief des Chefs der exekutiven Gewalt (Bewegung): „Bürger Präsident, Dank der Haltung der Nationalversammlung, Dank dem bewundernswerthen Benehmen der Nationalgarde und Armee: der Aufstand ist bezwungen, die Ruhe in Paris wieder hergestellt. Sobald die mir anvertraute außerordentliche Gewalt füe das öffentliche Wohl nicht mehr nöthig sein wird, werde ich sie respektvoll in die Hände der Nationalversammlung niederlegen.“ Von allen Seiten : es lebe die Republik! Die Sitzung wird abermals suspendirt und nach einer Stunde, um 3 Uhr, wieder eröffnet. Der Vizepräsident (Corbon) : Bürger, ich freue mich, Ihnen mittheilen zu können, daß es mit der Blessur des Bürgers Dornès gut geht ‒ (um so besser! um so besser!) Abermalige Suspension. Man hört draußen, nach der Rue de Bourgogne hin, lebhafte Akklamationen. Ein Detaschement der Mobilgarde, mit Zöglingen der polytechnischen Schule an der Spitze, überbringt wiederum eine auf den Barrikaden eroberte Fahne. Sie ist zur Hälfte zerrissen und ganz schwarz vom Pulverdampf. Der junge Martin trägt die Fahne; er hat das Kreuz der Ehrenlegion auf der Brust, das ihm gestern ertheilt wurde. Eine Stimme : in welchem Zustande ist Hr. Bixio? Der Präsident: wir haben von ihm keine Nachricht. Inzwischen wird an mehrere Repräsentanten die Proklamation Cavaignac's vertheilt, die alsbald in ganz Paris affichirt werden soll. (Der Leser wird sie weiter unten finden.) Die Nationalgarde von Blois langt vor den Thoren des Pallastes an; sie wird von den Repräsentanten des Lois-et-Cher-Departements begrüßt. Gegen 7 1/2 Uhr trifft ein bedeutendes Korps Nationalgarde von Seine-et-Marne vor dem Pallast ein. Abendsitzung. 8 1/2 Uhr. Senard, Präsident: Alle seit meinen vorigen Mittheilungen eingelaufenen Berichte sind völlig befriedigend. Auf den Punkten, wo man nach kämpfte, hat jetzt der Kampf aufgehört. Es bleibt nur übrig : dort die Aufregung, hier die Konsternation, die stets so großen Ereignissen nachfolgen; aber von Stunde zu Stunde mehrt sich das Gefühl des Vertrauens in die Zukunft, des Vertrauens in die Nationalversammlung und in die Rückkehr der Ordnung. Dies ist es, was beinah für alle Schmerzen, die wir in den eben verflossenen Tagen erduldet, ein heilender Trost ist. (Sehr gut! sehr gut!) Morgen, meine Herren, werden wir den momentan ununterbrochenen Lauf unserer Arbeiten fortsetzen. Morgen früh werde ich der Versammlung eine Tagesordnung vorschlagen, die ich heute Abend noch nicht anführe. Morgen werden wir zur vollständigen Ausführung des Reglements zurückkehren, das wir in einigen seiner Bestimmungen während der verflossenen Tage suspendiren mußten. Namentlich werde ich eine Abänderung über die Art, Motionen zu stellen, in Vorschlag bringen, zu dem Zweck, daß die Initiative der Versammlung vollständig gesichert werde. Die Herren Bonjean, Alem. Rousseau und andere Mitglieder: Der Augenblick ist schlecht gewählt, um uns mit reglementarischen Vorschlägen zu beschäftigen. Andere Mitglieder: Zur Ordnung. Präsident: Hätte man mich ausreden lassen, so würde man die Dringlichkeit der Bestimmungen, die ich beantrage, erkannt haben. Von allen Seiten wird „zur Ordnung“ gerufen. Präsident: Ich frage die Versammlung, ob sie die Kommission des Reglements bevollmächtigen will . . . . Alem Rousseau steigt auf die Tribüne und will sprechen. Durch den allseitigen Ruf „zur Ordnung“ ist er genöthigt, auf seinen Platz zurück zu kehren. Präsident: Es ist mir unmöglich, gegen eine solche Unterbrechung anzukämpfen. Ich rufe den Unterbrecher nicht zur Ordnung; ich will versuchen, meinen Gedanken vollends auszudrücken. Bonjean sagt einige Worte, die nicht bis zu uns gelangen. Präsident: Es liegt nicht in meiner Gewohnheit, Herr Bonjean, mich mit persönlichen Dingen zu beschäftigen; aber wenn Sie fortfahren, mich zu unterbrechen, so werde ich genöthigt sein, Ihnen zu erklären, daß Sie sich nicht allein gegen den Präsidenten, sondern gegen die ganze Versammlung vergehen. Die Kommission des Reglements wird beauftragt werden, die angegebenen Bestimmungen zu revidiren. Man beantragt außerdem noch eine Ergänzung zum Dekrete, welches Sie gestern in Bezug auf die Verlängerung der Wechsel und Billete angenommen. Die Modifikation des Artikels 1 lautet folgender Maßen: Die Verfallzeit derjenigen Wechsel, die in Paris und den Departements vom 23. Juni an bis zum 5. Juli inclusive zahlbar sind, wird auf 5 Tage hinausgeschoben, in der Art, daß die auf den 23. fälligen Wechsel den 28., die auf den 24. fälligen den 29. u. s. w. zahlbar sind. Die Artikel 2 und 3 werden beibehalten, wie sie gestern votirt worden sind. Die Versammlung dekretirt die Dringlichkeit. Mehrere Mitglieder: Es genügt, die Verlängerung für diejenigen Billets, welche vor dem 30. Juni fällig sind, zu reglementiren. Das Amendement wird verworfen. Der Artikel 1 wird angenommen, wie er vorgeschlagen worden. Tillancourt: Ich beantrage, daß der Hr. Präsident eingeladen werde morgen den Entwurf zu eine Proklamation an das französische Volk vorzulegen, um ihn der Versammlung bei Eröffnung der Sitzung zu unterwerfen. Corbon, Vice-Präsident, nimmt die Stelle des Präsidenten ein. ‒ Der Vorschlag wird abgestimmt und angenommen. Präsident. Die Arbeit der Kommission in Betreff der Deportation ist noch nicht fertig: sie wird morgen der Versammlung vorgelegt werden. Flocon: spricht über die Verproviantirung von Paris, die gar nichts zu wünschen übrig ließe. Präsident: Ich höre so eben, daß die letzten Barrikaden von la Villette genommen seien. Die Sitzung wird um 9 Uhr Abends aufgehoben. ‒ Nationalversammlung. Sitzung vom 27. Juni. Die Gegend des Sitzungssaales, von der Rivolistraße bis hinter den Burgunderplatz, gleicht immer noch einem Kriegslager. Die Kanonen sind aufgepflanzt, ganze Regimenter bivouakiren auf dem Conkordiaplatze u. s. w. Im Sitzungssaale selbst suchte unser Auge zuerst diejenigen Deputirten, welche die gestrige Nacht als Geisseln hinter den Barrikaden des Faubourgs St. Antoine's zubrachten und denen Larabit als Parlamentär diente. Wir erblickten nur Larabit. Das alte Oppositionsglied saß ziemlich zerstört auf seinem Platze; es schien sehr nachdenklich. Senard, der unermüdliche Generaladvokat, eröffnete die Sitzung um 11 Uhr. Er zeigte der Versammlung an, daß einzelne kleine Scharmützel abgerechnet, Paris, bis auf die zahllosen Wachen, ruhig geschlafen habe. In den Departements, z. B. in Marseille, habe die Kontrerevolution ebenfalls ihr Haupt erhoben, sei aber bald unterdrückt worden. In Nantes, Lyon, Rouen sei die Ruhe aufrecht erhalten worden u. s. w. In Paris selbst wache die Vollziehungsgewalt unermüdet. Die 9. und 12. Legion der Pariser Bürgerwehr (St. Antoine und St. Marceau) würden Exzesse und Mißtrauens halber so eben entwaffnet. Ferner trage er auf Niedersetzung eines Ausschusses an, der sich sofort mit den Opfern der letzten 4 Tage beschäftige. Die Nationalversammlung habe zwar bereits die Wittwen und Waisen adoptirt, aber es bleibe noch viel zu thun übrig. Es wird ein Ausschuß von 9 Glieder ernannt, der die nöthigen Anträge auszuarbeiten hat. Endlich soll eine pomphafte Revue aller herbeigeeilten Bürgerwehren stattfinden und Alles aufgeboten werden, um ihnen den für die Republick bewiesenen Eifer möglichst zu vergelten. Dieser Vorschlag fand nicht minder Beifall. Inzwischen sorgt der Gefängnißausschuß für die gehörige Verwahrung der gefangenen Insurgenten. Es ist interessant hiebei zu erfahren, daß Barrot, Thiers und V. Hugo das Geschäft der Klassifizirung, Transportirung und Verpflegung der Gefangenen zu besorgen hatten. Bei Durchsuchung von etwa 60 Insurgenten, die in Abbaye gesperrt wurden, fand man kaum 10 Franken im Ganzen! Hieraus möge man auf die Wahrheit des Geschreies der Zeitungspresse über Bestechung urtheilen. Die Sitzung wurde suspendirt, und die Glieder zogen sich in die Büreaus zurück, um mehrere Gesetzentwürfe (Deportation), Begräbnißfeierlichkeit und dergl. insgeheim zu berathen. ‒ 3 Uhr Wiedereröffnung der Sitzung. Senart. Ehe ich dem Berichterstatter das Wort ertheile, will ich noch einem einstimmigen Wunsch entgegen kommen, indem ich Euch Kenntniß gebe von den telegraphischen Depeschen von Limoges und Marseille. Zu Limoges brachte die durch die Nachricht von den Ereignissen in Paris hervorgerufene Agitation keine Kollision hervor. Zu Marseille ist die Ruhe hergestellt, nicht ohne Blutverlust. Eine kleine Anzahl von Soldaten und Nationalgardisten ist in dem Gefecht getödtet worden, woran, wie es scheint, die Clubistes montagnards allein Theil nahmen. Die italienische Legion blieb dieser Bewegung fremd. An 15 der Montagnards sind gefallen. Die vor der Stadt arretirten Gefangenen belaufen sich auf 700. Meaulle. Berichterstatter der Kommission bezüglich des Dekrets der Deportation: Eure Kommission fand sich zwischen zwei Dekrete gestellt, Eins der Versammlung, das über alle mit den Waffen in der Hand ergriffene Individuen Deportation verhängt und ein Andres der exekutiven Gewalt, das sie vor Militärgerichte stellt. Die Kommission hat den Mittelweg zwischen den zwei entgegengesetzten Ansichten eingeschlagen. Sie hat begriffen, daß die Gesellschaft, heftig angegriffen, mit allen zu ihrer Verfügung stehenden Mitteln sich vertheidigen müsse. Es ist indeß klar, daß es unter den Revoltirten, unter den Schuldigen verschiedene Kategorien gibt. So sind sicher die, die bloß gekämpft haben, weniger schuldig, als die Lenker, die Aufhetzer, die, welche Geld vertheilt haben, um den Bürgerkrieg zu nähren. Wir schlagen euch folgende doppelte Maßregel vor: Art. 1. Gemäß einer Sicherhe tsmaßregel werden in die überseeischen französischen Besitzungen mit Ausschluß der des mittelländischen Meers, die gegenwärtig verhafteten Individuen deportirt, die an der Insurrektion des 22. Juni und der folgenden Tage Theil genommen haben. Art. 2. Die von den Kriegsgerichten eröffnete Instruktion wird fortgesetzt werden gegen die Individuen, welche die Instruktion bezeichnen würde als Aufhetzer, Anführer, Leiter der Insurrektion, sei es durch Vertheilung von Geld, Uebernahme eines Kommandos während des Kampfes oder durch Vollbringung erschwerender rebellischer Akte. Art. 3. Ein Dekret der Nationalversammlung wird die spezielle Lebensordnung bestimmen, der die transportirten Individuen unterworfen werden. Art. 4. Die exekutive Gewalt ist beauftragt unverzüglich das Dekret zu vollstrecken. General Cavaignac: Ich bin erstaunt über einige von Eurem Berichterstatter ausgesprochenen Worte. Er hat gesagt, die Kommission habe sich zwischen zwei absolute Meinungen gestellt gefunden, der Meinung der Nationalversammlung und der Meinung der exekutiven Gewalt. Ich bin erstaunt, meine Herren, daß man mir vor den Augen der N.-V., vor den Augen der Nation, eine Stellung giebt, die ich nicht eingenommen habe, die eines Menschen, der sich strenger gezeigt hätte, als die Versammlung, als die gesammte Nation. Wir machen Geschichte, meine Herrn, und man muß nicht die Verantwortlichkeit noch vermehren, die unsre Hingebung an das Vaterland, an die Republik, uns zur Pflicht macht zu übernehmen. (Verlängerte Bravos, Akklamationen!) Mèaulle deutet seine Worte im Sinne Cavaignac's. Cavaignac. Die Versammlung wird mir erlauben hinzuzufügen, daß die Abänderungen des ursprünglichen Entwurfs, so weit sie mildernd sind, auf mein Verlangen stattgefunden haben Ein Mitglied verlangt, daß der Bericht gedruckt und die Diskussion auf Morgen vertagt werde. (Reklamation. Einige Stimmen: Ja! Ja!) Perrèe. Ich trage auf Dringlichkeitserklärung an. In den Umständen, worin wir uns befinden, begreife ich keine Verzögerung. (Sehr gut! Beifall.) Germain Sarrut bekämpft die Dringlichkeit, nicht das Dekret selbst, aber er verlangt, daß man diskutire mit Ruhe, mit Reflexion, und daß man nicht durch fatale Uebereilung, sich, wie zu andern Epochen einer nutzlosen Reue aussetze. (Skandal. Lärm. Trommeln.) Ein Mitglied. Seit zwei Tagen ist das Projekt vorgelegt. Jeder von uns hat Zeit gehabt, sich mit seinem Gewissen zu verständigen. General Lebreton. Ich bedaure meine Herrn, daß ausgezeichnete Mitglieder dieser Versammlung in einem beklagenswerthen Stillschweigen verharren! In den jetzigen feierlichen Umständen, scheint mir, muß Niemand vor seinem Antheil von Verantwortwortlichkeit zurückbeben. Ich nehme mir die Freiheit, der Versammlung einige Bemerkungen zu machen. Wir, meine Herrn, entschlüpfen so eben einer Gefahr, deren fürchterliche Bedeutsamkeit vielleicht nicht Alle begriffen haben. (Reklamationen). Die Gesellschaft, einen Augenblick in ihren Grundlagen erschüttert, erwartet von Euch einen großen Akt, einen Akt strengster Gerechtigkeit. (Sehr gut.) Diesen Akt werdet Ihr der Gesellschaft nicht abschlagen; wie die Nationalgarde, wie die Armee, wird die Versammlung ihre Pflicht erfüllen und auf der Höhe der Verhältnisse stehn. (Sehr gut. Verlängerte Bravo's.) Sarrans besteigt die Tribüne. (Geräusch, Tumult. Der Schluß! der Schluß!) Der Schluß wird zur Abstimmung gebracht und beinahe einstimmig angenommen. Der Präsident. Ich bringe die von dem Bürger Perrèe verlangte unmittelbare Verweisung des Dekrets in die Bureaux zur Abstimmung. Eine erste Probe ist zweifelhaft. Die unmittelbare Verweisung an die Büreaux wird verworfen. Der Präsident. Ich bringe den Druck und die Vertheilung des Berichts zur Abstimmung. Charamaul. Man mußte diesen Vorschlag vor dem andern zur Abstimmung bringen, weil er weiter ist. (Geräusch, Agitation). Der Druck wird verworfen. Pascal Duprat. Im Namen der nationalen Gerechtigkeit verlange ich, daß die Diskussion nicht unmittelbar statt hat. Ich verlange für mein Gewissen, für eures, eine gewisse Langsamkeit. Ich bitte euch, zwei, drei Stunden nachdenken zu wollen. Ich verlange den Aufschub der Diskussion bis 8 Uhr. Baroche behauptet, die Versammlung habe durch ihr Votum schon entschieden, daß die Diskussion unmittelbar statt finde. Flocon. Ich habe die Dringlichkeit votirt, aber neben dieser Dringlichkeit steht die „moralische“ Zeit des Nachdenkens, welche die Gesetzgeber nicht aus den Augen verlieren dürfen. Wir werden über Menschen richten; vergessen wir nicht, daß die Geschichte die Richter richten wird; es ist dies ihr Recht. (Gelächter). Ich verlange, daß die Richter sich einen Augenblick sammeln. Mehrere Stimmen. Nein, nein! Die Vertagung auf den morgenden Tag wird verworfen, die Vertagung bis auf 8 Uhr wird mit sehr schwacher Majorität angenommen. Die Sitzung wird aufgehoben um 4 1/2 Uhr inmitten einer großen Aufregung. Drei und eine halbe Stunde Bedenkzeit wird der rachsüchtigen Versammlung mit der größten Mühe abgerungen! Das Volk vom 24. Februar vergaß sich zu Gericht zu setzen. Paris, 27. Juni. (Letzte Augenblicke der Insurrektion.) Enorme Truppenmassen der Generäle Lamoriciére und Perrot hielten das ganze Faubourg St. Antoine umschlungen. Nur von Menilmontant und Popincourt, jenseits des Kanals her beunruhigten einzelne Insurgenten-Abtheilungen die Truppen. Es schlug 10 Uhr. Die Belagerungsgeschütze, Mörser, Haubitzen und Kanonen, welche Cavaignac auf Verlangen Lamoricière's aus Arras und La Fere (zwei Festungen) in aller Eile hatte herbeischaffen lassen, waren eingetroffen. Die Pechkränze und Brandbomben lagen bereit. Der produktivste Theil von Paris sollte vernichtet werden. Der revolutionäre Heerd brannte bereits an einigen Stellen, als Lamoricière, ein kleinee, blutjunger, negerköpfiger Glückssoldat, umgeben von seinem ganzen Generalstabe m KaféAmand an der Ecke des Bastillenplatzes auf den Befehl zum Beginn des Bombardements wartete und mit der Uhr in der Hand die Minuten zählte, welche das Schicksal über Hunderttausende entscheiden sollte . . . . Da sprengt ein Ordonanzreiter herbei und bringt ihm die Kapitulation des Faubourgs: die Insurgenten haben die Waffen gestreckt und reißen selbst die Barrikaden nieder. Die größte Katastrophe wurde vermieden ‒ Ströme von Blut dadurch erspart. ‒ Das halbe Blatt der „Réforme“, das heute erschienen ist, wagt nicht mehr mit Flocon die Junitage als Resultat der Intriguen des Auslandes und geheimer Bestechungen darzustellen. Dem Ernst der Ereignisse stellt es fromme Wünsche gegenüber. „Dieß schreckliche Beispiel diene uns allen als Lehre und Warnung! Ueberwachen wir uns gewissenhaft und ohne das Recht aufzugeben, beseelen wir uns mehr und mehr, Journale, Staatsgewalten, Parteien, mit jenem edlen Gefühle, dessen Namen der Februar auf seine Banner schrieb: Fraternité! ‒ Ein Beschluß der Maires von Paris vom 26. Abends, kündet an, daß die Circulation wieder hergestellt ist, mit Ausnahme der Punkte, wo Maßregeln der Ordnung und der Ueberwachung noch unentbehrlich sind. Nach demselben Beschluß müssen alle Eigenthümer oder Miether ihre Wohnungen illuminiren, um den Dienst der Patrouillen zu erleichtern. ‒ Neben den Schreckens- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div xml:id="ar030_005" type="jArticle"> <p><pb facs="#f0002" n="0144"/> macht; Arbeiterinnen, die ihr von den Bourgoisfrauen als bildungslose und als unmoralische Personen angeschaut, und doch zum Anputzen ihrer trägen Leiber gebraucht werdet; Arbeiterinnen, die ihr in den Dachstübchen und Fabriken schafft, auf der Straße und auf den Märkten in Wind und Wetter euer bitt'res, redliches Brod verdient, während die Demoisellen am Fenster des ersten Stocks an euch gleichgültig vorbeiblicken: erhebt euch und erobert mit uns die gemeinsame Ehre der wahren, wirklichen, anständigen Arbeit. Wir sind es satt, seit Jahrtausenden von den Geldinhabern gekreuzigt zu werden; ihr müßt endlich auch die Augen öffnen.“ Viele Frauen fochten diesmal mit. Gestern noch, als die Stadt bereits von den brigands und chauffeurs, (letzterer Titel wird jetzt gleichfalls von den modernen Thermidoriern wieder hervorgesucht) gesäubert war, hat ein starkes Arbeiterweib neben der Deputirtenkammer ein Pistol auf einen Offizier der Nationalgarde abgebrannt, doch nur seine Uniform getroffen; sie ward nach der Präfektur geführt, doch nur mit Mühe vor den „werft sie in die Seine“ schreienden Leuten gerettet. In den vier gewaltigen Schlachten (Faubourg St. Denis, Pantheon, Isle St. Louis nebst Citè, und Faubourg St. Antoine) haben die Weiber unausgesetzt Kugeln gegossen in ihren Fingerhüten, und <hi rendition="#g">Schießbaumwolle</hi> gemacht, Schwefelsäure und Pech aus den Fenstern geschleudert. Die Mobilgarde ist jetzt mit einem Mal zur Prätorianergarde der herrschenden Klasse avancirt, und da die Helden dieser Garde noch sehr jung sind, meist 17 Jahre, so läßt sich recht viel von ihnen hoffen. Sie hat keinen Pardon gegeben; da die meisten ihrer Chefs ehemalige Ouvriers und in den geheimen Gesellschaften unter Ludwig Philipp bewährte Republikaner sind, zudem lauter Barrikadeurs vom Februar, so hatten auf sie die Insurgenten felsenfest gerechnet. Daher die Rache der letztern an einzelnen persönlich ihnen besonders verhaßten Abtrünnigen. Höchst brutale Szenen fanden übrigens nur auf den Barrikaden im südöstlichen Theil Statt, in dem Faubourg der Chiffoniers und Handweber, im St. Marcel, wo bekanntlich 8000 polizeilich Beaufsichtigte wohnen. Beklagenswerth ist, daß die Insurrektion, deren Majorität, für jeden einigermaßen tiefen Beobachter streng und ernst das Gute wollte, kein Programm erließ; möglich übrigens, daß ein solches existirte und von den Bourgois überall zerrissen wurde, weil es „nicht toll genug“ war. Feststeht, daß viele wack're, gebildete Führer auf den Barrikaden von St. Antoine und von St. Jacques kommandirten, die das Erstaunen Arago's und Larabit's, zweier Repräsentanten, in mehrfachen Parlamentirgesprächen erregt haben. Daß Louis Blanc von der fashionabln Banquierlegion, in deren Arrondissement er zu wohnen das Unglück hat, auch diesmal wieder insultirt wurde, versteht sich; diese Herren vom Coffrefort stießen ihn in's Café Frascati, und stimmten mit Händeheben auf Todtschießen ab; nur ein Kollege rettete ihn in einem Kabriolet, doch flog die Kugel eines der Lions bei der Madeleine hintendrein. Der bei der letzten Wahl in die Kammer gekommene Lagrange, dieser langjährige Gefangene unter Ludwig Philipp, scheint sogar schon an der Mauer habe niederknien müssen, um die Sünde, auf den Boulevards: vive la république rouge geschrieen zu haben, in seinem „unlautern Kommunistenblut (wie die Assemblée nationale in einer ihrer letzten Nummern sagt) zu büßen; nur mit mühevollen Nothlügen brachte ihn ein Offizier in Gewahrsam. ‒ Die Stadt ist jetzt mit hunderttausend Liniensoldaten und Provinzialgarden bedeckt; Cavaignac affischirt die brüderlichsten Versprechen: statt Todestrafe <hi rendition="#g">nur</hi> Deportirung nach den interessanten Markesasinseln und dem gesunden Guyana, <hi rendition="#g">drei</hi> Millionen (statt dreißig) zur Beschwichtigung des pariser Elends, sofortiges Beginnen der riesenhaften Untersuchung, u. s. w. Freilich hat er nicht allein die extremen Redaktoren der Demokratie, sondern zugleich auch Girardin und den Redakteur der Assemblée nationale einstecken lassen, indessen vermuthet man nicht grundlos, letzteres geschehe blos zum Schein. Thiers freut sich (nicht weniger als Marrast) über die Tragödie, welche mindestens viertausend Todte, abgerechnet die in's Wasser „gefallenen“, auf dem Pflaster ließ. Ecrasons l'infame, ist ihr Stichwort, es ist ja „die Rebellion der Blouse gegen die Civilisation und gegen den honnetten Besitz“ wie ein junger preußischer wohlhäbiger Arzt mich mit vieler Weisheit gestern belehrte. A bas le travail, vive la faineantise, du riche rief der verhaftete „Pire Duchesne“ in seiner vorletzten Nummer; à bas l'égalité, vive l'orde bourgeois, à bas la fraternité, vive la vertu de l'argent!</p> <p><hi rendition="#g">Schluß der Sitzung</hi> vom 26. Juni, 2 Uhr. Hr. Degoussée, einer der Quästoren, steigt auf's Büreau und schellt mehrmals mit der Glocke. Hr. Corbon, Vizepräsident: Hier ist ein Brief des Chefs der exekutiven Gewalt (Bewegung):</p> <p>„Bürger Präsident, Dank der Haltung der Nationalversammlung, Dank dem bewundernswerthen Benehmen der Nationalgarde und Armee: der Aufstand ist bezwungen, die Ruhe in Paris wieder hergestellt. Sobald die mir anvertraute außerordentliche Gewalt füe das öffentliche Wohl nicht mehr nöthig sein wird, werde ich sie respektvoll in die Hände der Nationalversammlung niederlegen.“ Von allen Seiten : es lebe die Republik! Die Sitzung wird abermals suspendirt und nach einer Stunde, um 3 Uhr, wieder eröffnet.</p> <p>Der Vizepräsident (Corbon) : Bürger, ich freue mich, Ihnen mittheilen zu können, daß es mit der Blessur des Bürgers Dornès gut geht ‒ (um so besser! um so besser!)</p> <p>Abermalige Suspension.</p> <p>Man hört draußen, nach der Rue de Bourgogne hin, lebhafte Akklamationen. Ein Detaschement der Mobilgarde, mit Zöglingen der polytechnischen Schule an der Spitze, überbringt wiederum eine auf den Barrikaden eroberte Fahne. Sie ist zur Hälfte zerrissen und ganz schwarz vom Pulverdampf. Der junge Martin trägt die Fahne; er hat das Kreuz der Ehrenlegion auf der Brust, das ihm gestern ertheilt wurde. Eine Stimme : in welchem Zustande ist Hr. Bixio? Der Präsident: wir haben von ihm keine Nachricht. Inzwischen wird an mehrere Repräsentanten die Proklamation Cavaignac's vertheilt, die alsbald in ganz Paris affichirt werden soll. (Der Leser wird sie weiter unten finden.) Die Nationalgarde von Blois langt vor den Thoren des Pallastes an; sie wird von den Repräsentanten des Lois-et-Cher-Departements begrüßt. Gegen 7 1/2 Uhr trifft ein bedeutendes Korps Nationalgarde von Seine-et-Marne vor dem Pallast ein.</p> <p><hi rendition="#g">Abendsitzung.</hi> 8 1/2 Uhr. Senard, Präsident: Alle seit meinen vorigen Mittheilungen eingelaufenen Berichte sind völlig befriedigend. Auf den Punkten, wo man nach kämpfte, hat jetzt der Kampf aufgehört. Es bleibt nur übrig : dort die Aufregung, hier die Konsternation, die stets so großen Ereignissen nachfolgen; aber von Stunde zu Stunde mehrt sich das Gefühl des Vertrauens in die Zukunft, des Vertrauens in die Nationalversammlung und in die Rückkehr der Ordnung. Dies ist es, was beinah für alle Schmerzen, die wir in den eben verflossenen Tagen erduldet, ein heilender Trost ist. (Sehr gut! sehr gut!) Morgen, meine Herren, werden wir den momentan ununterbrochenen Lauf unserer Arbeiten fortsetzen. Morgen früh werde ich der Versammlung eine Tagesordnung vorschlagen, die ich heute Abend noch nicht anführe. Morgen werden wir zur vollständigen Ausführung des Reglements zurückkehren, das wir in einigen seiner Bestimmungen während der verflossenen Tage suspendiren mußten. Namentlich werde ich eine Abänderung über die Art, Motionen zu stellen, in Vorschlag bringen, zu dem Zweck, daß die Initiative der Versammlung vollständig gesichert werde.</p> <p>Die Herren Bonjean, Alem. Rousseau und andere Mitglieder: Der Augenblick ist schlecht gewählt, um uns mit reglementarischen Vorschlägen zu beschäftigen.</p> <p>Andere Mitglieder: Zur Ordnung.</p> <p>Präsident: Hätte man mich ausreden lassen, so würde man die Dringlichkeit der Bestimmungen, die ich beantrage, erkannt haben.</p> <p>Von allen Seiten wird „zur Ordnung“ gerufen.</p> <p>Präsident: Ich frage die Versammlung, ob sie die Kommission des Reglements bevollmächtigen will . . . . </p> <p>Alem Rousseau steigt auf die Tribüne und will sprechen. Durch den allseitigen Ruf „zur Ordnung“ ist er genöthigt, auf seinen Platz zurück zu kehren.</p> <p>Präsident: Es ist mir unmöglich, gegen eine solche Unterbrechung anzukämpfen. Ich rufe den Unterbrecher nicht zur Ordnung; ich will versuchen, meinen Gedanken vollends auszudrücken.</p> <p>Bonjean sagt einige Worte, die nicht bis zu uns gelangen.</p> <p>Präsident: Es liegt nicht in meiner Gewohnheit, Herr Bonjean, mich mit persönlichen Dingen zu beschäftigen; aber wenn Sie fortfahren, mich zu unterbrechen, so werde ich genöthigt sein, Ihnen zu erklären, daß Sie sich nicht allein gegen den Präsidenten, sondern gegen die ganze Versammlung vergehen. Die Kommission des Reglements wird beauftragt werden, die angegebenen Bestimmungen zu revidiren. Man beantragt außerdem noch eine Ergänzung zum Dekrete, welches Sie gestern in Bezug auf die Verlängerung der Wechsel und Billete angenommen.</p> <p>Die Modifikation des Artikels 1 lautet folgender Maßen: Die Verfallzeit derjenigen Wechsel, die in Paris und den Departements vom 23. Juni an bis zum 5. Juli inclusive zahlbar sind, wird auf 5 Tage hinausgeschoben, in der Art, daß die auf den 23. fälligen Wechsel den 28., die auf den 24. fälligen den 29. u. s. w. zahlbar sind.</p> <p>Die Artikel 2 und 3 werden beibehalten, wie sie gestern votirt worden sind.</p> <p>Die Versammlung dekretirt die Dringlichkeit.</p> <p>Mehrere Mitglieder: Es genügt, die Verlängerung für diejenigen Billets, welche vor dem 30. Juni fällig sind, zu reglementiren.</p> <p>Das Amendement wird verworfen.</p> <p>Der Artikel 1 wird angenommen, wie er vorgeschlagen worden.</p> <p>Tillancourt: Ich beantrage, daß der Hr. Präsident eingeladen werde morgen den Entwurf zu eine Proklamation an das französische Volk vorzulegen, um ihn der Versammlung bei Eröffnung der Sitzung zu unterwerfen.</p> <p>Corbon, Vice-Präsident, nimmt die Stelle des Präsidenten ein.</p> <p>‒ Der Vorschlag wird abgestimmt und angenommen.</p> <p>Präsident. Die Arbeit der Kommission in Betreff der Deportation ist noch nicht fertig: sie wird morgen der Versammlung vorgelegt werden.</p> <p>Flocon: spricht über die Verproviantirung von Paris, die gar nichts zu wünschen übrig ließe.</p> <p>Präsident: Ich höre so eben, daß die letzten Barrikaden von la Villette genommen seien.</p> <p>Die Sitzung wird um 9 Uhr Abends aufgehoben.</p> <p>‒ <hi rendition="#g">Nationalversammlung.</hi> Sitzung vom 27. Juni. Die Gegend des Sitzungssaales, von der Rivolistraße bis hinter den Burgunderplatz, gleicht immer noch einem Kriegslager. Die Kanonen sind aufgepflanzt, ganze Regimenter bivouakiren auf dem Conkordiaplatze u. s. w. Im Sitzungssaale selbst suchte unser Auge zuerst diejenigen Deputirten, welche die gestrige Nacht als Geisseln hinter den Barrikaden des Faubourgs St. Antoine's zubrachten und denen Larabit als Parlamentär diente. Wir erblickten nur Larabit. Das alte Oppositionsglied saß ziemlich zerstört auf seinem Platze; es schien sehr nachdenklich. Senard, der unermüdliche Generaladvokat, eröffnete die Sitzung um 11 Uhr. Er zeigte der Versammlung an, daß einzelne kleine Scharmützel abgerechnet, Paris, bis auf die zahllosen Wachen, ruhig geschlafen habe. In den Departements, z. B. in Marseille, habe die Kontrerevolution ebenfalls ihr Haupt erhoben, sei aber bald unterdrückt worden. In Nantes, Lyon, Rouen sei die Ruhe aufrecht erhalten worden u. s. w. In Paris selbst wache die Vollziehungsgewalt unermüdet. Die 9. und 12. Legion der Pariser Bürgerwehr (St. Antoine und St. Marceau) würden Exzesse und Mißtrauens halber so eben entwaffnet. Ferner trage er auf Niedersetzung eines Ausschusses an, der sich sofort mit den Opfern der letzten 4 Tage beschäftige. Die Nationalversammlung habe zwar bereits die Wittwen und Waisen adoptirt, aber es bleibe noch viel zu thun übrig.</p> <p>Es wird ein Ausschuß von 9 Glieder ernannt, der die nöthigen Anträge auszuarbeiten hat. Endlich soll eine pomphafte Revue aller herbeigeeilten Bürgerwehren stattfinden und Alles aufgeboten werden, um ihnen den für die Republick bewiesenen Eifer möglichst zu vergelten. Dieser Vorschlag fand nicht minder Beifall. Inzwischen sorgt der Gefängnißausschuß für die gehörige Verwahrung der gefangenen Insurgenten. Es ist interessant hiebei zu erfahren, daß Barrot, Thiers und V. Hugo das Geschäft der Klassifizirung, Transportirung und Verpflegung der Gefangenen zu besorgen hatten. Bei Durchsuchung von etwa 60 Insurgenten, die in Abbaye gesperrt wurden, fand man kaum 10 Franken im Ganzen! Hieraus möge man auf die Wahrheit des Geschreies der Zeitungspresse über Bestechung urtheilen. Die Sitzung wurde suspendirt, und die Glieder zogen sich in die Büreaus zurück, um mehrere Gesetzentwürfe (Deportation), Begräbnißfeierlichkeit und dergl. insgeheim zu berathen.</p> <p>‒ <hi rendition="#g">3 Uhr Wiedereröffnung der Sitzung.</hi></p> <p>Senart. Ehe ich dem Berichterstatter das Wort ertheile, will ich noch einem einstimmigen Wunsch entgegen kommen, indem ich Euch Kenntniß gebe von den telegraphischen Depeschen von Limoges und Marseille. Zu Limoges brachte die durch die Nachricht von den Ereignissen in Paris hervorgerufene Agitation keine Kollision hervor. Zu Marseille ist die Ruhe hergestellt, nicht ohne Blutverlust. Eine kleine Anzahl von Soldaten und Nationalgardisten ist in dem Gefecht getödtet worden, woran, <hi rendition="#g">wie es scheint,</hi> die Clubistes montagnards allein Theil nahmen. Die italienische Legion blieb dieser Bewegung fremd. An 15 der Montagnards sind gefallen. Die vor der Stadt arretirten Gefangenen belaufen sich auf 700.</p> <p>Meaulle. Berichterstatter der Kommission bezüglich des Dekrets der Deportation:</p> <p>Eure Kommission fand sich zwischen zwei Dekrete gestellt, Eins der Versammlung, das über alle mit den Waffen in der Hand ergriffene Individuen Deportation verhängt und ein Andres der exekutiven Gewalt, das sie vor Militärgerichte stellt. Die Kommission hat den Mittelweg zwischen den zwei entgegengesetzten Ansichten eingeschlagen. Sie hat begriffen, daß die Gesellschaft, heftig angegriffen, mit allen zu ihrer Verfügung stehenden Mitteln sich vertheidigen müsse. Es ist indeß klar, daß es unter den Revoltirten, unter den Schuldigen verschiedene Kategorien gibt. So sind sicher die, die bloß gekämpft haben, weniger schuldig, als die Lenker, die Aufhetzer, die, welche Geld vertheilt haben, um den Bürgerkrieg zu nähren. Wir schlagen euch folgende doppelte Maßregel vor:</p> <p>Art. 1. Gemäß einer Sicherhe tsmaßregel werden in die überseeischen französischen Besitzungen mit Ausschluß der des mittelländischen Meers, die gegenwärtig verhafteten Individuen deportirt, die an der Insurrektion des 22. Juni und der folgenden Tage Theil genommen haben.</p> <p>Art. 2. Die von den Kriegsgerichten eröffnete Instruktion wird fortgesetzt werden gegen die Individuen, welche die Instruktion bezeichnen würde als Aufhetzer, Anführer, Leiter der Insurrektion, sei es durch Vertheilung von Geld, Uebernahme eines Kommandos während des Kampfes oder durch Vollbringung erschwerender rebellischer Akte.</p> <p>Art. 3. Ein Dekret der Nationalversammlung wird die spezielle Lebensordnung bestimmen, der die transportirten Individuen unterworfen werden.</p> <p>Art. 4. Die exekutive Gewalt ist beauftragt unverzüglich das Dekret zu vollstrecken.</p> <p>General Cavaignac: Ich bin erstaunt über einige von Eurem Berichterstatter ausgesprochenen Worte. Er hat gesagt, die Kommission habe sich zwischen zwei absolute Meinungen gestellt gefunden, der Meinung der Nationalversammlung und der Meinung der exekutiven Gewalt. Ich bin erstaunt, meine Herren, daß man mir vor den Augen der N.-V., vor den Augen der Nation, eine Stellung giebt, die ich nicht eingenommen habe, die eines Menschen, der sich strenger gezeigt hätte, als die Versammlung, als die gesammte Nation. Wir machen <hi rendition="#g">Geschichte,</hi> meine Herrn, und man muß nicht die Verantwortlichkeit noch vermehren, die unsre Hingebung an das Vaterland, an die Republik, uns zur Pflicht macht zu übernehmen. (Verlängerte Bravos, Akklamationen!)</p> <p>Mèaulle deutet seine Worte im Sinne Cavaignac's.</p> <p>Cavaignac. Die Versammlung wird mir erlauben hinzuzufügen, daß die Abänderungen des ursprünglichen Entwurfs, so weit sie mildernd sind, auf mein Verlangen stattgefunden haben</p> <p>Ein Mitglied verlangt, daß der Bericht gedruckt und die Diskussion auf Morgen vertagt werde. (Reklamation. Einige Stimmen: Ja! Ja!)</p> <p>Perrèe. Ich trage auf Dringlichkeitserklärung an. In den Umständen, worin wir uns befinden, begreife ich keine Verzögerung. (Sehr gut! Beifall.)</p> <p>Germain Sarrut bekämpft die Dringlichkeit, nicht das Dekret selbst, aber er verlangt, daß man diskutire mit Ruhe, mit Reflexion, und daß man nicht durch fatale Uebereilung, sich, wie zu andern Epochen einer nutzlosen Reue aussetze. (Skandal. Lärm. Trommeln.)</p> <p>Ein Mitglied. Seit zwei Tagen ist das Projekt vorgelegt. Jeder von uns hat Zeit gehabt, sich mit seinem Gewissen zu verständigen.</p> <p>General Lebreton. Ich bedaure meine Herrn, daß ausgezeichnete Mitglieder dieser Versammlung in einem beklagenswerthen Stillschweigen verharren! In den jetzigen feierlichen Umständen, scheint mir, muß Niemand vor seinem Antheil von Verantwortwortlichkeit zurückbeben. Ich nehme mir die Freiheit, der Versammlung einige Bemerkungen zu machen. Wir, meine Herrn, entschlüpfen so eben einer Gefahr, deren fürchterliche Bedeutsamkeit vielleicht nicht Alle begriffen haben. (Reklamationen). Die Gesellschaft, einen Augenblick in ihren Grundlagen erschüttert, erwartet von Euch einen großen Akt, einen Akt strengster Gerechtigkeit. (Sehr gut.) Diesen Akt werdet Ihr der Gesellschaft nicht abschlagen; wie die Nationalgarde, wie die Armee, wird die Versammlung ihre Pflicht erfüllen und auf der Höhe der Verhältnisse stehn. (Sehr gut. Verlängerte Bravo's.)</p> <p>Sarrans besteigt die Tribüne. (Geräusch, Tumult. Der Schluß! der Schluß!)</p> <p>Der Schluß wird zur Abstimmung gebracht und beinahe einstimmig angenommen.</p> <p>Der Präsident. Ich bringe die von dem Bürger Perrèe verlangte unmittelbare Verweisung des Dekrets in die Bureaux zur Abstimmung.</p> <p>Eine erste Probe ist zweifelhaft. Die unmittelbare Verweisung an die Büreaux wird verworfen.</p> <p>Der Präsident. Ich bringe den Druck und die Vertheilung des Berichts zur Abstimmung.</p> <p>Charamaul. Man mußte diesen Vorschlag vor dem andern zur Abstimmung bringen, weil er weiter ist. (Geräusch, Agitation).</p> <p>Der Druck wird verworfen.</p> <p>Pascal Duprat. Im Namen der nationalen Gerechtigkeit verlange ich, daß die Diskussion nicht unmittelbar statt hat. Ich verlange für mein Gewissen, für eures, eine gewisse Langsamkeit. Ich bitte euch, zwei, drei Stunden nachdenken zu wollen. Ich verlange den Aufschub der Diskussion bis 8 Uhr.</p> <p>Baroche behauptet, die Versammlung habe durch ihr Votum schon entschieden, daß die Diskussion unmittelbar statt finde.</p> <p>Flocon. Ich habe die Dringlichkeit votirt, aber neben dieser Dringlichkeit steht die „<hi rendition="#g">moralische</hi>“ Zeit des Nachdenkens, welche die Gesetzgeber nicht aus den Augen verlieren dürfen. Wir werden über Menschen richten; vergessen wir nicht, daß die Geschichte die Richter richten wird; es ist dies ihr Recht. (Gelächter). Ich verlange, daß die Richter sich einen Augenblick sammeln.</p> <p>Mehrere Stimmen. Nein, nein!</p> <p>Die Vertagung auf den morgenden Tag wird verworfen, die Vertagung bis auf 8 Uhr wird mit sehr schwacher Majorität angenommen. Die Sitzung wird aufgehoben um 4 1/2 Uhr inmitten einer großen Aufregung.</p> <p>Drei und eine halbe Stunde Bedenkzeit wird der rachsüchtigen Versammlung mit der größten Mühe abgerungen! Das Volk vom 24. Februar vergaß sich zu Gericht zu setzen.</p> </div> <div xml:id="ar030_006" type="jArticle"> <head>Paris, 27. Juni.</head> <p><hi rendition="#g">(Letzte Augenblicke der Insurrektion.)</hi> Enorme Truppenmassen der Generäle Lamoriciére und Perrot hielten das ganze Faubourg St. Antoine umschlungen. Nur von Menilmontant und Popincourt, jenseits des Kanals her beunruhigten einzelne Insurgenten-Abtheilungen die Truppen. Es schlug 10 Uhr. Die Belagerungsgeschütze, Mörser, Haubitzen und Kanonen, welche Cavaignac auf Verlangen Lamoricière's aus Arras und La Fere (zwei Festungen) in aller Eile hatte herbeischaffen lassen, waren eingetroffen. Die Pechkränze und Brandbomben lagen bereit. Der produktivste Theil von Paris sollte vernichtet werden. Der revolutionäre Heerd brannte bereits an einigen Stellen, als Lamoricière, ein kleinee, blutjunger, negerköpfiger Glückssoldat, umgeben von seinem ganzen Generalstabe m KaféAmand an der Ecke des Bastillenplatzes auf den Befehl zum Beginn des Bombardements wartete und mit der Uhr in der Hand die Minuten zählte, welche das Schicksal über Hunderttausende entscheiden sollte . . . . Da sprengt ein Ordonanzreiter herbei und bringt ihm die Kapitulation des Faubourgs: die Insurgenten haben die Waffen gestreckt und reißen selbst die Barrikaden nieder. Die größte Katastrophe wurde vermieden ‒ Ströme von Blut dadurch erspart.</p> <p>‒ Das halbe Blatt der <hi rendition="#g">„Réforme“,</hi> das heute erschienen ist, wagt nicht mehr mit <hi rendition="#g">Flocon</hi> die Junitage als Resultat der Intriguen des Auslandes und geheimer Bestechungen darzustellen. Dem Ernst der Ereignisse stellt es fromme Wünsche gegenüber. „Dieß schreckliche Beispiel diene uns allen als Lehre und Warnung! Ueberwachen wir uns gewissenhaft und ohne das Recht aufzugeben, beseelen wir uns mehr und mehr, Journale, Staatsgewalten, Parteien, mit jenem edlen Gefühle, dessen Namen der Februar auf seine Banner schrieb: <hi rendition="#g">Fraternité!</hi> ‒ Ein Beschluß der Maires von Paris vom 26. Abends, kündet an, daß die Circulation wieder hergestellt ist, mit Ausnahme der Punkte, wo Maßregeln der Ordnung und der Ueberwachung noch unentbehrlich sind. Nach demselben Beschluß müssen alle Eigenthümer oder Miether ihre Wohnungen illuminiren, um den Dienst der Patrouillen zu erleichtern. ‒ Neben den Schreckens- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0144/0002]
macht; Arbeiterinnen, die ihr von den Bourgoisfrauen als bildungslose und als unmoralische Personen angeschaut, und doch zum Anputzen ihrer trägen Leiber gebraucht werdet; Arbeiterinnen, die ihr in den Dachstübchen und Fabriken schafft, auf der Straße und auf den Märkten in Wind und Wetter euer bitt'res, redliches Brod verdient, während die Demoisellen am Fenster des ersten Stocks an euch gleichgültig vorbeiblicken: erhebt euch und erobert mit uns die gemeinsame Ehre der wahren, wirklichen, anständigen Arbeit. Wir sind es satt, seit Jahrtausenden von den Geldinhabern gekreuzigt zu werden; ihr müßt endlich auch die Augen öffnen.“ Viele Frauen fochten diesmal mit. Gestern noch, als die Stadt bereits von den brigands und chauffeurs, (letzterer Titel wird jetzt gleichfalls von den modernen Thermidoriern wieder hervorgesucht) gesäubert war, hat ein starkes Arbeiterweib neben der Deputirtenkammer ein Pistol auf einen Offizier der Nationalgarde abgebrannt, doch nur seine Uniform getroffen; sie ward nach der Präfektur geführt, doch nur mit Mühe vor den „werft sie in die Seine“ schreienden Leuten gerettet. In den vier gewaltigen Schlachten (Faubourg St. Denis, Pantheon, Isle St. Louis nebst Citè, und Faubourg St. Antoine) haben die Weiber unausgesetzt Kugeln gegossen in ihren Fingerhüten, und Schießbaumwolle gemacht, Schwefelsäure und Pech aus den Fenstern geschleudert. Die Mobilgarde ist jetzt mit einem Mal zur Prätorianergarde der herrschenden Klasse avancirt, und da die Helden dieser Garde noch sehr jung sind, meist 17 Jahre, so läßt sich recht viel von ihnen hoffen. Sie hat keinen Pardon gegeben; da die meisten ihrer Chefs ehemalige Ouvriers und in den geheimen Gesellschaften unter Ludwig Philipp bewährte Republikaner sind, zudem lauter Barrikadeurs vom Februar, so hatten auf sie die Insurgenten felsenfest gerechnet. Daher die Rache der letztern an einzelnen persönlich ihnen besonders verhaßten Abtrünnigen. Höchst brutale Szenen fanden übrigens nur auf den Barrikaden im südöstlichen Theil Statt, in dem Faubourg der Chiffoniers und Handweber, im St. Marcel, wo bekanntlich 8000 polizeilich Beaufsichtigte wohnen. Beklagenswerth ist, daß die Insurrektion, deren Majorität, für jeden einigermaßen tiefen Beobachter streng und ernst das Gute wollte, kein Programm erließ; möglich übrigens, daß ein solches existirte und von den Bourgois überall zerrissen wurde, weil es „nicht toll genug“ war. Feststeht, daß viele wack're, gebildete Führer auf den Barrikaden von St. Antoine und von St. Jacques kommandirten, die das Erstaunen Arago's und Larabit's, zweier Repräsentanten, in mehrfachen Parlamentirgesprächen erregt haben. Daß Louis Blanc von der fashionabln Banquierlegion, in deren Arrondissement er zu wohnen das Unglück hat, auch diesmal wieder insultirt wurde, versteht sich; diese Herren vom Coffrefort stießen ihn in's Café Frascati, und stimmten mit Händeheben auf Todtschießen ab; nur ein Kollege rettete ihn in einem Kabriolet, doch flog die Kugel eines der Lions bei der Madeleine hintendrein. Der bei der letzten Wahl in die Kammer gekommene Lagrange, dieser langjährige Gefangene unter Ludwig Philipp, scheint sogar schon an der Mauer habe niederknien müssen, um die Sünde, auf den Boulevards: vive la république rouge geschrieen zu haben, in seinem „unlautern Kommunistenblut (wie die Assemblée nationale in einer ihrer letzten Nummern sagt) zu büßen; nur mit mühevollen Nothlügen brachte ihn ein Offizier in Gewahrsam. ‒ Die Stadt ist jetzt mit hunderttausend Liniensoldaten und Provinzialgarden bedeckt; Cavaignac affischirt die brüderlichsten Versprechen: statt Todestrafe nur Deportirung nach den interessanten Markesasinseln und dem gesunden Guyana, drei Millionen (statt dreißig) zur Beschwichtigung des pariser Elends, sofortiges Beginnen der riesenhaften Untersuchung, u. s. w. Freilich hat er nicht allein die extremen Redaktoren der Demokratie, sondern zugleich auch Girardin und den Redakteur der Assemblée nationale einstecken lassen, indessen vermuthet man nicht grundlos, letzteres geschehe blos zum Schein. Thiers freut sich (nicht weniger als Marrast) über die Tragödie, welche mindestens viertausend Todte, abgerechnet die in's Wasser „gefallenen“, auf dem Pflaster ließ. Ecrasons l'infame, ist ihr Stichwort, es ist ja „die Rebellion der Blouse gegen die Civilisation und gegen den honnetten Besitz“ wie ein junger preußischer wohlhäbiger Arzt mich mit vieler Weisheit gestern belehrte. A bas le travail, vive la faineantise, du riche rief der verhaftete „Pire Duchesne“ in seiner vorletzten Nummer; à bas l'égalité, vive l'orde bourgeois, à bas la fraternité, vive la vertu de l'argent!
Schluß der Sitzung vom 26. Juni, 2 Uhr. Hr. Degoussée, einer der Quästoren, steigt auf's Büreau und schellt mehrmals mit der Glocke. Hr. Corbon, Vizepräsident: Hier ist ein Brief des Chefs der exekutiven Gewalt (Bewegung):
„Bürger Präsident, Dank der Haltung der Nationalversammlung, Dank dem bewundernswerthen Benehmen der Nationalgarde und Armee: der Aufstand ist bezwungen, die Ruhe in Paris wieder hergestellt. Sobald die mir anvertraute außerordentliche Gewalt füe das öffentliche Wohl nicht mehr nöthig sein wird, werde ich sie respektvoll in die Hände der Nationalversammlung niederlegen.“ Von allen Seiten : es lebe die Republik! Die Sitzung wird abermals suspendirt und nach einer Stunde, um 3 Uhr, wieder eröffnet.
Der Vizepräsident (Corbon) : Bürger, ich freue mich, Ihnen mittheilen zu können, daß es mit der Blessur des Bürgers Dornès gut geht ‒ (um so besser! um so besser!)
Abermalige Suspension.
Man hört draußen, nach der Rue de Bourgogne hin, lebhafte Akklamationen. Ein Detaschement der Mobilgarde, mit Zöglingen der polytechnischen Schule an der Spitze, überbringt wiederum eine auf den Barrikaden eroberte Fahne. Sie ist zur Hälfte zerrissen und ganz schwarz vom Pulverdampf. Der junge Martin trägt die Fahne; er hat das Kreuz der Ehrenlegion auf der Brust, das ihm gestern ertheilt wurde. Eine Stimme : in welchem Zustande ist Hr. Bixio? Der Präsident: wir haben von ihm keine Nachricht. Inzwischen wird an mehrere Repräsentanten die Proklamation Cavaignac's vertheilt, die alsbald in ganz Paris affichirt werden soll. (Der Leser wird sie weiter unten finden.) Die Nationalgarde von Blois langt vor den Thoren des Pallastes an; sie wird von den Repräsentanten des Lois-et-Cher-Departements begrüßt. Gegen 7 1/2 Uhr trifft ein bedeutendes Korps Nationalgarde von Seine-et-Marne vor dem Pallast ein.
Abendsitzung. 8 1/2 Uhr. Senard, Präsident: Alle seit meinen vorigen Mittheilungen eingelaufenen Berichte sind völlig befriedigend. Auf den Punkten, wo man nach kämpfte, hat jetzt der Kampf aufgehört. Es bleibt nur übrig : dort die Aufregung, hier die Konsternation, die stets so großen Ereignissen nachfolgen; aber von Stunde zu Stunde mehrt sich das Gefühl des Vertrauens in die Zukunft, des Vertrauens in die Nationalversammlung und in die Rückkehr der Ordnung. Dies ist es, was beinah für alle Schmerzen, die wir in den eben verflossenen Tagen erduldet, ein heilender Trost ist. (Sehr gut! sehr gut!) Morgen, meine Herren, werden wir den momentan ununterbrochenen Lauf unserer Arbeiten fortsetzen. Morgen früh werde ich der Versammlung eine Tagesordnung vorschlagen, die ich heute Abend noch nicht anführe. Morgen werden wir zur vollständigen Ausführung des Reglements zurückkehren, das wir in einigen seiner Bestimmungen während der verflossenen Tage suspendiren mußten. Namentlich werde ich eine Abänderung über die Art, Motionen zu stellen, in Vorschlag bringen, zu dem Zweck, daß die Initiative der Versammlung vollständig gesichert werde.
Die Herren Bonjean, Alem. Rousseau und andere Mitglieder: Der Augenblick ist schlecht gewählt, um uns mit reglementarischen Vorschlägen zu beschäftigen.
Andere Mitglieder: Zur Ordnung.
Präsident: Hätte man mich ausreden lassen, so würde man die Dringlichkeit der Bestimmungen, die ich beantrage, erkannt haben.
Von allen Seiten wird „zur Ordnung“ gerufen.
Präsident: Ich frage die Versammlung, ob sie die Kommission des Reglements bevollmächtigen will . . . .
Alem Rousseau steigt auf die Tribüne und will sprechen. Durch den allseitigen Ruf „zur Ordnung“ ist er genöthigt, auf seinen Platz zurück zu kehren.
Präsident: Es ist mir unmöglich, gegen eine solche Unterbrechung anzukämpfen. Ich rufe den Unterbrecher nicht zur Ordnung; ich will versuchen, meinen Gedanken vollends auszudrücken.
Bonjean sagt einige Worte, die nicht bis zu uns gelangen.
Präsident: Es liegt nicht in meiner Gewohnheit, Herr Bonjean, mich mit persönlichen Dingen zu beschäftigen; aber wenn Sie fortfahren, mich zu unterbrechen, so werde ich genöthigt sein, Ihnen zu erklären, daß Sie sich nicht allein gegen den Präsidenten, sondern gegen die ganze Versammlung vergehen. Die Kommission des Reglements wird beauftragt werden, die angegebenen Bestimmungen zu revidiren. Man beantragt außerdem noch eine Ergänzung zum Dekrete, welches Sie gestern in Bezug auf die Verlängerung der Wechsel und Billete angenommen.
Die Modifikation des Artikels 1 lautet folgender Maßen: Die Verfallzeit derjenigen Wechsel, die in Paris und den Departements vom 23. Juni an bis zum 5. Juli inclusive zahlbar sind, wird auf 5 Tage hinausgeschoben, in der Art, daß die auf den 23. fälligen Wechsel den 28., die auf den 24. fälligen den 29. u. s. w. zahlbar sind.
Die Artikel 2 und 3 werden beibehalten, wie sie gestern votirt worden sind.
Die Versammlung dekretirt die Dringlichkeit.
Mehrere Mitglieder: Es genügt, die Verlängerung für diejenigen Billets, welche vor dem 30. Juni fällig sind, zu reglementiren.
Das Amendement wird verworfen.
Der Artikel 1 wird angenommen, wie er vorgeschlagen worden.
Tillancourt: Ich beantrage, daß der Hr. Präsident eingeladen werde morgen den Entwurf zu eine Proklamation an das französische Volk vorzulegen, um ihn der Versammlung bei Eröffnung der Sitzung zu unterwerfen.
Corbon, Vice-Präsident, nimmt die Stelle des Präsidenten ein.
‒ Der Vorschlag wird abgestimmt und angenommen.
Präsident. Die Arbeit der Kommission in Betreff der Deportation ist noch nicht fertig: sie wird morgen der Versammlung vorgelegt werden.
Flocon: spricht über die Verproviantirung von Paris, die gar nichts zu wünschen übrig ließe.
Präsident: Ich höre so eben, daß die letzten Barrikaden von la Villette genommen seien.
Die Sitzung wird um 9 Uhr Abends aufgehoben.
‒ Nationalversammlung. Sitzung vom 27. Juni. Die Gegend des Sitzungssaales, von der Rivolistraße bis hinter den Burgunderplatz, gleicht immer noch einem Kriegslager. Die Kanonen sind aufgepflanzt, ganze Regimenter bivouakiren auf dem Conkordiaplatze u. s. w. Im Sitzungssaale selbst suchte unser Auge zuerst diejenigen Deputirten, welche die gestrige Nacht als Geisseln hinter den Barrikaden des Faubourgs St. Antoine's zubrachten und denen Larabit als Parlamentär diente. Wir erblickten nur Larabit. Das alte Oppositionsglied saß ziemlich zerstört auf seinem Platze; es schien sehr nachdenklich. Senard, der unermüdliche Generaladvokat, eröffnete die Sitzung um 11 Uhr. Er zeigte der Versammlung an, daß einzelne kleine Scharmützel abgerechnet, Paris, bis auf die zahllosen Wachen, ruhig geschlafen habe. In den Departements, z. B. in Marseille, habe die Kontrerevolution ebenfalls ihr Haupt erhoben, sei aber bald unterdrückt worden. In Nantes, Lyon, Rouen sei die Ruhe aufrecht erhalten worden u. s. w. In Paris selbst wache die Vollziehungsgewalt unermüdet. Die 9. und 12. Legion der Pariser Bürgerwehr (St. Antoine und St. Marceau) würden Exzesse und Mißtrauens halber so eben entwaffnet. Ferner trage er auf Niedersetzung eines Ausschusses an, der sich sofort mit den Opfern der letzten 4 Tage beschäftige. Die Nationalversammlung habe zwar bereits die Wittwen und Waisen adoptirt, aber es bleibe noch viel zu thun übrig.
Es wird ein Ausschuß von 9 Glieder ernannt, der die nöthigen Anträge auszuarbeiten hat. Endlich soll eine pomphafte Revue aller herbeigeeilten Bürgerwehren stattfinden und Alles aufgeboten werden, um ihnen den für die Republick bewiesenen Eifer möglichst zu vergelten. Dieser Vorschlag fand nicht minder Beifall. Inzwischen sorgt der Gefängnißausschuß für die gehörige Verwahrung der gefangenen Insurgenten. Es ist interessant hiebei zu erfahren, daß Barrot, Thiers und V. Hugo das Geschäft der Klassifizirung, Transportirung und Verpflegung der Gefangenen zu besorgen hatten. Bei Durchsuchung von etwa 60 Insurgenten, die in Abbaye gesperrt wurden, fand man kaum 10 Franken im Ganzen! Hieraus möge man auf die Wahrheit des Geschreies der Zeitungspresse über Bestechung urtheilen. Die Sitzung wurde suspendirt, und die Glieder zogen sich in die Büreaus zurück, um mehrere Gesetzentwürfe (Deportation), Begräbnißfeierlichkeit und dergl. insgeheim zu berathen.
‒ 3 Uhr Wiedereröffnung der Sitzung.
Senart. Ehe ich dem Berichterstatter das Wort ertheile, will ich noch einem einstimmigen Wunsch entgegen kommen, indem ich Euch Kenntniß gebe von den telegraphischen Depeschen von Limoges und Marseille. Zu Limoges brachte die durch die Nachricht von den Ereignissen in Paris hervorgerufene Agitation keine Kollision hervor. Zu Marseille ist die Ruhe hergestellt, nicht ohne Blutverlust. Eine kleine Anzahl von Soldaten und Nationalgardisten ist in dem Gefecht getödtet worden, woran, wie es scheint, die Clubistes montagnards allein Theil nahmen. Die italienische Legion blieb dieser Bewegung fremd. An 15 der Montagnards sind gefallen. Die vor der Stadt arretirten Gefangenen belaufen sich auf 700.
Meaulle. Berichterstatter der Kommission bezüglich des Dekrets der Deportation:
Eure Kommission fand sich zwischen zwei Dekrete gestellt, Eins der Versammlung, das über alle mit den Waffen in der Hand ergriffene Individuen Deportation verhängt und ein Andres der exekutiven Gewalt, das sie vor Militärgerichte stellt. Die Kommission hat den Mittelweg zwischen den zwei entgegengesetzten Ansichten eingeschlagen. Sie hat begriffen, daß die Gesellschaft, heftig angegriffen, mit allen zu ihrer Verfügung stehenden Mitteln sich vertheidigen müsse. Es ist indeß klar, daß es unter den Revoltirten, unter den Schuldigen verschiedene Kategorien gibt. So sind sicher die, die bloß gekämpft haben, weniger schuldig, als die Lenker, die Aufhetzer, die, welche Geld vertheilt haben, um den Bürgerkrieg zu nähren. Wir schlagen euch folgende doppelte Maßregel vor:
Art. 1. Gemäß einer Sicherhe tsmaßregel werden in die überseeischen französischen Besitzungen mit Ausschluß der des mittelländischen Meers, die gegenwärtig verhafteten Individuen deportirt, die an der Insurrektion des 22. Juni und der folgenden Tage Theil genommen haben.
Art. 2. Die von den Kriegsgerichten eröffnete Instruktion wird fortgesetzt werden gegen die Individuen, welche die Instruktion bezeichnen würde als Aufhetzer, Anführer, Leiter der Insurrektion, sei es durch Vertheilung von Geld, Uebernahme eines Kommandos während des Kampfes oder durch Vollbringung erschwerender rebellischer Akte.
Art. 3. Ein Dekret der Nationalversammlung wird die spezielle Lebensordnung bestimmen, der die transportirten Individuen unterworfen werden.
Art. 4. Die exekutive Gewalt ist beauftragt unverzüglich das Dekret zu vollstrecken.
General Cavaignac: Ich bin erstaunt über einige von Eurem Berichterstatter ausgesprochenen Worte. Er hat gesagt, die Kommission habe sich zwischen zwei absolute Meinungen gestellt gefunden, der Meinung der Nationalversammlung und der Meinung der exekutiven Gewalt. Ich bin erstaunt, meine Herren, daß man mir vor den Augen der N.-V., vor den Augen der Nation, eine Stellung giebt, die ich nicht eingenommen habe, die eines Menschen, der sich strenger gezeigt hätte, als die Versammlung, als die gesammte Nation. Wir machen Geschichte, meine Herrn, und man muß nicht die Verantwortlichkeit noch vermehren, die unsre Hingebung an das Vaterland, an die Republik, uns zur Pflicht macht zu übernehmen. (Verlängerte Bravos, Akklamationen!)
Mèaulle deutet seine Worte im Sinne Cavaignac's.
Cavaignac. Die Versammlung wird mir erlauben hinzuzufügen, daß die Abänderungen des ursprünglichen Entwurfs, so weit sie mildernd sind, auf mein Verlangen stattgefunden haben
Ein Mitglied verlangt, daß der Bericht gedruckt und die Diskussion auf Morgen vertagt werde. (Reklamation. Einige Stimmen: Ja! Ja!)
Perrèe. Ich trage auf Dringlichkeitserklärung an. In den Umständen, worin wir uns befinden, begreife ich keine Verzögerung. (Sehr gut! Beifall.)
Germain Sarrut bekämpft die Dringlichkeit, nicht das Dekret selbst, aber er verlangt, daß man diskutire mit Ruhe, mit Reflexion, und daß man nicht durch fatale Uebereilung, sich, wie zu andern Epochen einer nutzlosen Reue aussetze. (Skandal. Lärm. Trommeln.)
Ein Mitglied. Seit zwei Tagen ist das Projekt vorgelegt. Jeder von uns hat Zeit gehabt, sich mit seinem Gewissen zu verständigen.
General Lebreton. Ich bedaure meine Herrn, daß ausgezeichnete Mitglieder dieser Versammlung in einem beklagenswerthen Stillschweigen verharren! In den jetzigen feierlichen Umständen, scheint mir, muß Niemand vor seinem Antheil von Verantwortwortlichkeit zurückbeben. Ich nehme mir die Freiheit, der Versammlung einige Bemerkungen zu machen. Wir, meine Herrn, entschlüpfen so eben einer Gefahr, deren fürchterliche Bedeutsamkeit vielleicht nicht Alle begriffen haben. (Reklamationen). Die Gesellschaft, einen Augenblick in ihren Grundlagen erschüttert, erwartet von Euch einen großen Akt, einen Akt strengster Gerechtigkeit. (Sehr gut.) Diesen Akt werdet Ihr der Gesellschaft nicht abschlagen; wie die Nationalgarde, wie die Armee, wird die Versammlung ihre Pflicht erfüllen und auf der Höhe der Verhältnisse stehn. (Sehr gut. Verlängerte Bravo's.)
Sarrans besteigt die Tribüne. (Geräusch, Tumult. Der Schluß! der Schluß!)
Der Schluß wird zur Abstimmung gebracht und beinahe einstimmig angenommen.
Der Präsident. Ich bringe die von dem Bürger Perrèe verlangte unmittelbare Verweisung des Dekrets in die Bureaux zur Abstimmung.
Eine erste Probe ist zweifelhaft. Die unmittelbare Verweisung an die Büreaux wird verworfen.
Der Präsident. Ich bringe den Druck und die Vertheilung des Berichts zur Abstimmung.
Charamaul. Man mußte diesen Vorschlag vor dem andern zur Abstimmung bringen, weil er weiter ist. (Geräusch, Agitation).
Der Druck wird verworfen.
Pascal Duprat. Im Namen der nationalen Gerechtigkeit verlange ich, daß die Diskussion nicht unmittelbar statt hat. Ich verlange für mein Gewissen, für eures, eine gewisse Langsamkeit. Ich bitte euch, zwei, drei Stunden nachdenken zu wollen. Ich verlange den Aufschub der Diskussion bis 8 Uhr.
Baroche behauptet, die Versammlung habe durch ihr Votum schon entschieden, daß die Diskussion unmittelbar statt finde.
Flocon. Ich habe die Dringlichkeit votirt, aber neben dieser Dringlichkeit steht die „moralische“ Zeit des Nachdenkens, welche die Gesetzgeber nicht aus den Augen verlieren dürfen. Wir werden über Menschen richten; vergessen wir nicht, daß die Geschichte die Richter richten wird; es ist dies ihr Recht. (Gelächter). Ich verlange, daß die Richter sich einen Augenblick sammeln.
Mehrere Stimmen. Nein, nein!
Die Vertagung auf den morgenden Tag wird verworfen, die Vertagung bis auf 8 Uhr wird mit sehr schwacher Majorität angenommen. Die Sitzung wird aufgehoben um 4 1/2 Uhr inmitten einer großen Aufregung.
Drei und eine halbe Stunde Bedenkzeit wird der rachsüchtigen Versammlung mit der größten Mühe abgerungen! Das Volk vom 24. Februar vergaß sich zu Gericht zu setzen.
Paris, 27. Juni. (Letzte Augenblicke der Insurrektion.) Enorme Truppenmassen der Generäle Lamoriciére und Perrot hielten das ganze Faubourg St. Antoine umschlungen. Nur von Menilmontant und Popincourt, jenseits des Kanals her beunruhigten einzelne Insurgenten-Abtheilungen die Truppen. Es schlug 10 Uhr. Die Belagerungsgeschütze, Mörser, Haubitzen und Kanonen, welche Cavaignac auf Verlangen Lamoricière's aus Arras und La Fere (zwei Festungen) in aller Eile hatte herbeischaffen lassen, waren eingetroffen. Die Pechkränze und Brandbomben lagen bereit. Der produktivste Theil von Paris sollte vernichtet werden. Der revolutionäre Heerd brannte bereits an einigen Stellen, als Lamoricière, ein kleinee, blutjunger, negerköpfiger Glückssoldat, umgeben von seinem ganzen Generalstabe m KaféAmand an der Ecke des Bastillenplatzes auf den Befehl zum Beginn des Bombardements wartete und mit der Uhr in der Hand die Minuten zählte, welche das Schicksal über Hunderttausende entscheiden sollte . . . . Da sprengt ein Ordonanzreiter herbei und bringt ihm die Kapitulation des Faubourgs: die Insurgenten haben die Waffen gestreckt und reißen selbst die Barrikaden nieder. Die größte Katastrophe wurde vermieden ‒ Ströme von Blut dadurch erspart.
‒ Das halbe Blatt der „Réforme“, das heute erschienen ist, wagt nicht mehr mit Flocon die Junitage als Resultat der Intriguen des Auslandes und geheimer Bestechungen darzustellen. Dem Ernst der Ereignisse stellt es fromme Wünsche gegenüber. „Dieß schreckliche Beispiel diene uns allen als Lehre und Warnung! Ueberwachen wir uns gewissenhaft und ohne das Recht aufzugeben, beseelen wir uns mehr und mehr, Journale, Staatsgewalten, Parteien, mit jenem edlen Gefühle, dessen Namen der Februar auf seine Banner schrieb: Fraternité! ‒ Ein Beschluß der Maires von Paris vom 26. Abends, kündet an, daß die Circulation wieder hergestellt ist, mit Ausnahme der Punkte, wo Maßregeln der Ordnung und der Ueberwachung noch unentbehrlich sind. Nach demselben Beschluß müssen alle Eigenthümer oder Miether ihre Wohnungen illuminiren, um den Dienst der Patrouillen zu erleichtern. ‒ Neben den Schreckens-
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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