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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 82. Köln, 22. August 1848.

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Neue Rheinische Zeitung.
Organ der Demokratie.
No 82. Köln, Dienstag 22. August 1848.
Deutschland.
** Köln, 21. August.

Die Polendebatte in Frankfurt. (Fortsetzung.)

Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
Das Domfest von 1848.

(Fortsetzung.)

Nachdem noch der Erzbischof von Köln den Segen über die Eintracht der Völker und der Fürsten ausgesprochen, v. Gagern einen Toast auf die Berliner Versammlung ausgebracht und der Vice-Präsident des preußischen Parlaments, Hr. Philipps, für diese Artigkeit gedankt hatte, verließen Se. Majestät der König und der Erzherzog Reichsverweser den Saal. In ihrem Gefolge bemerkte man mehrere schöne Krieger in prächtigen Uniformen; im schwarzen Frack auch einen gewissen Fürsten Lichnowsky. Weshalb sprach der Hr. Lichnowsky nicht ein einziges Wort? Der Abgeordnete Lichnowsky würde uns gar zu glücklich gemacht haben, wenn er einmal das Feuerwerk seiner Beredsamkeit losgebrannt hätte. Wir hatten uns schon darauf gefreut. Wir lieben den Fürsten, er ist unser spezieller Freund, wir kennen ihn von seinen denkwürdigen Seiten. Wir hätten für unser Leben gern eine Rede des geistreichsten aller Männer zu Protokoll genommen, welch' ein Stoff für ein neues Feuilleton! Aber der Fürst verschmähte es, zu seinen besten Bekannten zu sprechen. Treulos verließ er den Saal - treuloser Fürst!

Die Herren des Tages hatten geredet. Das Gürzenich-Bankett ging seinem Ende entgegen, schon war mein Oesterreicher in dem Studium des Speisezettels bis zu den Salatbohnen, zu dem gefüllten Geflügel und zu dem Nationalgerichte des Wansbecker Boten fortgeschritten, da sollte die Feier plötzlich noch einen neuen Schwung durch das Auftreten des Abgeordneten Franz Raveaux erhalten. Der Jupiter der Nationalversammlung führte den kölnischen Deputirten an den blumenbekränzten Rand der Tribüne. Da stand nun der bleiche, schnurrbärtige Mann, dessen Namen alle Zeitungen durch halb Europa trugen und den das letzte kleine Mädchen, der letzte spielende Knabe seiner Vaterstadt kennt. Raveaux ist nicht so berühmt wie der Kölner Dom; er ist fast so bekannt wie der Kölnische Karneval, und jedenfalls wird er die Unsterblichkeit mit der Eeau de Cologne theilen. Nach einer Jugend, die ebenso gewöhnlich als unbedeutend war, nach einem Jünglingsalter, das vom Schicksal nicht ungeschoren blieb und nach einer Manneszeit, die halb und halb auf der mühsamen Reise durch den Morast kleinbürgerlicher Misere verstrich, ist Raveaux theils durch eigenes Streben, noch mehr vielleicht durch das Spiel des Zufalls auf einen Punkt gerathen, wo er fast mit einem bessern Manne sagen könnte:

Nun ich hier als Altvater sitz'
Rufen sie mich auf Plätzen und Gassen,
Zu sehen bin ich wie der alte Fritz
Auf Pfeifenköpfen und auf Tassen.

Ja, Raveaux ist ein großer Mann geworden. Wer kennt den Plato und den Socrates? Einige Schulmeister und Gymnasiasten. Wer spricht noch von Newton und Milton? Einige Naturforscher und Poeten. Wer beschäftigt sich mit Sebastian Bach und mit Michel Angelo? Einige Musikanten und Künstler. Wer aber weiß von Raveaux zu erzählen? Jeder Pfeifenkopf und jede Tasse!

Franz Raveaux hat den Gipfel des Ruhms erreicht, er steht auf der Höhe des Jahrhunderts. Wenn er noch nicht im Munde jedes Orgeldrehers lebt, so kann er noch dazu kommen; jedenfalls hat er es schon weiter gebracht, denn die Tabakshändler klebten das Bild ihres alten Konkurrenten, das Bild Raveaux' auf ihre Tabakstuten!

Wir freuen uns, daß Raveaux so emporkam, wir freuen uns doppelt darüber, weil es uns lieber ist, wenn sich die Adler vom Staube erheben, als wenn sie von stolzen Forsten hinauf in die Wolken steigen und wir freuen uns namentlich, daß er zu Ehren kam, weil unser Mitbürger schon vor dem großen Wendepunkt der neuern Zeit, weil er auch schon vor den Tagen der Revolution bei dem Volke zu Ehren zu kommen wußte.

Damit ist aber auch unsere freudige Theilnahme zu Ende. Die lokale Anhänglichkeit, mit der wir unsern Freund auf seinem Fluge begleiteten, sie verwandelt sich in ein ernstes Beobachten, sobald dieser Flug zu seinem ersten Ziele führte. Wir haben den Raveaux, der von Frankfurt für einige Zeit zurückkehrte, mit andern Augen zu betrachten, als den Raveaux, den wir seiner Zeit dorthin sandten.

Stadtliteraten berichteten seiner Zeit in jenem komischen Mausefängerstyl, der auch nicht die kleinsten Kinder davonzulocken pflegt, daß man dem nach Frankfurt abreisenden Deputirten in Brühl ein Fest gegeben habe. "Es war so schön," heißt es bei dieser Gelegenheit, "in dem alten grünen Eichenhaine den kernigen Deputirten Raveaux, den Polizeidirektor Müller und den würdigen Präsidenten Heintzmann begeisterungsvoll von Deutschlands Einheit und Freiheit sprechen und ihre Aufforderung zu hören, aus Worten müsse nun auch die starke, kräftige That werden." Wir waren nicht so glücklich, diese Feier mitzumachen; wir sahen den frischgebackenen Deputirten erst, als er mit seinen Verehrern von Brühl nach Köln zurückgekehrt war und ans Fenster trat, um durch eine kurze Rede den festlichen Tag zu beschließen.

"Der heutige Tag ist ein hoher Freudentag" sagte Hr. Raveaux, der heutige Tag ist ein unvergeßlicher für mich; möge er es auch für Euch sein. - Preßt ihn Euch tief - - tief in's Gedächtniß - die Bürgerschaft Kölns hat heute einen großen Sieg errungen. Vergeßt nie diesen schönen Tag! Es ist heute der 10. Mai - der 10. Mai lebe hoch! Ihr wähltet einen Mann, der die Eigenschaften besitzt, die den Kölner charakterisiren: treu, ehrlich und bieder". Die rhetorischen Floskeln weggelassen, sprach Hr. Raveaux nach den besten Ueberlieferungen wörtlich so. Nach unseren eigenen Notizen drückte sich der ehrenwerthe Abgeordnete noch viel unzweideutiger aus. So viel wir hörten, sagte Hr. Raveaux nämlich geradezu: daß die Stadt Köln einen ewig denkwürdigen Tag erlebt habe, weil sie ihn, den Hrn. Raveaux, zum Deputirten gewählt habe.

Man mußte lächeln über die Naivetät eines Mannes, der so vor allem Volke erklärte, daß er treu, ehrlich und bieder sei. Wenn man etwas Takt hat, so ist man gewöhnlich so gescheid, derlei herrliche Eigenschaften nicht so renommirend zur Schau zu tragen; man bewahrt sie wie kostbare Juwelen und läßt sie nur zu rechter Zeit und am rechten Orte schimmern; am allerwenigsten nimmt man sie aber in den Mund. Die Prätension: ein treuer, ein ehrlicher und ein Biedermann zu sein, war Hrn. Raveaux indeß noch zu verzeihen. Wenn er als Redner auch eine Geschmacklosigkeit beging, so ließ sich die Sache trotzdem noch hören, da der schwärmerische Abgeord- [Fortsetzung]

Neue Rheinische Zeitung.
Organ der Demokratie.
No 82. Köln, Dienstag 22. August 1848.
Deutschland.
** Köln, 21. August.

Die Polendebatte in Frankfurt. (Fortsetzung.)

Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
Das Domfest von 1848.

(Fortsetzung.)

Nachdem noch der Erzbischof von Köln den Segen über die Eintracht der Völker und der Fürsten ausgesprochen, v. Gagern einen Toast auf die Berliner Versammlung ausgebracht und der Vice-Präsident des preußischen Parlaments, Hr. Philipps, für diese Artigkeit gedankt hatte, verließen Se. Majestät der König und der Erzherzog Reichsverweser den Saal. In ihrem Gefolge bemerkte man mehrere schöne Krieger in prächtigen Uniformen; im schwarzen Frack auch einen gewissen Fürsten Lichnowsky. Weshalb sprach der Hr. Lichnowsky nicht ein einziges Wort? Der Abgeordnete Lichnowsky würde uns gar zu glücklich gemacht haben, wenn er einmal das Feuerwerk seiner Beredsamkeit losgebrannt hätte. Wir hatten uns schon darauf gefreut. Wir lieben den Fürsten, er ist unser spezieller Freund, wir kennen ihn von seinen denkwürdigen Seiten. Wir hätten für unser Leben gern eine Rede des geistreichsten aller Männer zu Protokoll genommen, welch' ein Stoff für ein neues Feuilleton! Aber der Fürst verschmähte es, zu seinen besten Bekannten zu sprechen. Treulos verließ er den Saal ‒ treuloser Fürst!

Die Herren des Tages hatten geredet. Das Gürzenich-Bankett ging seinem Ende entgegen, schon war mein Oesterreicher in dem Studium des Speisezettels bis zu den Salatbohnen, zu dem gefüllten Geflügel und zu dem Nationalgerichte des Wansbecker Boten fortgeschritten, da sollte die Feier plötzlich noch einen neuen Schwung durch das Auftreten des Abgeordneten Franz Raveaux erhalten. Der Jupiter der Nationalversammlung führte den kölnischen Deputirten an den blumenbekränzten Rand der Tribüne. Da stand nun der bleiche, schnurrbärtige Mann, dessen Namen alle Zeitungen durch halb Europa trugen und den das letzte kleine Mädchen, der letzte spielende Knabe seiner Vaterstadt kennt. Raveaux ist nicht so berühmt wie der Kölner Dom; er ist fast so bekannt wie der Kölnische Karneval, und jedenfalls wird er die Unsterblichkeit mit der Eeau de Cologne theilen. Nach einer Jugend, die ebenso gewöhnlich als unbedeutend war, nach einem Jünglingsalter, das vom Schicksal nicht ungeschoren blieb und nach einer Manneszeit, die halb und halb auf der mühsamen Reise durch den Morast kleinbürgerlicher Misère verstrich, ist Raveaux theils durch eigenes Streben, noch mehr vielleicht durch das Spiel des Zufalls auf einen Punkt gerathen, wo er fast mit einem bessern Manne sagen könnte:

Nun ich hier als Altvater sitz'
Rufen sie mich auf Plätzen und Gassen,
Zu sehen bin ich wie der alte Fritz
Auf Pfeifenköpfen und auf Tassen.

Ja, Raveaux ist ein großer Mann geworden. Wer kennt den Plato und den Socrates? Einige Schulmeister und Gymnasiasten. Wer spricht noch von Newton und Milton? Einige Naturforscher und Poeten. Wer beschäftigt sich mit Sebastian Bach und mit Michel Angelo? Einige Musikanten und Künstler. Wer aber weiß von Raveaux zu erzählen? Jeder Pfeifenkopf und jede Tasse!

Franz Raveaux hat den Gipfel des Ruhms erreicht, er steht auf der Höhe des Jahrhunderts. Wenn er noch nicht im Munde jedes Orgeldrehers lebt, so kann er noch dazu kommen; jedenfalls hat er es schon weiter gebracht, denn die Tabakshändler klebten das Bild ihres alten Konkurrenten, das Bild Raveaux' auf ihre Tabakstuten!

Wir freuen uns, daß Raveaux so emporkam, wir freuen uns doppelt darüber, weil es uns lieber ist, wenn sich die Adler vom Staube erheben, als wenn sie von stolzen Forsten hinauf in die Wolken steigen und wir freuen uns namentlich, daß er zu Ehren kam, weil unser Mitbürger schon vor dem großen Wendepunkt der neuern Zeit, weil er auch schon vor den Tagen der Revolution bei dem Volke zu Ehren zu kommen wußte.

Damit ist aber auch unsere freudige Theilnahme zu Ende. Die lokale Anhänglichkeit, mit der wir unsern Freund auf seinem Fluge begleiteten, sie verwandelt sich in ein ernstes Beobachten, sobald dieser Flug zu seinem ersten Ziele führte. Wir haben den Raveaux, der von Frankfurt für einige Zeit zurückkehrte, mit andern Augen zu betrachten, als den Raveaux, den wir seiner Zeit dorthin sandten.

Stadtliteraten berichteten seiner Zeit in jenem komischen Mausefängerstyl, der auch nicht die kleinsten Kinder davonzulocken pflegt, daß man dem nach Frankfurt abreisenden Deputirten in Brühl ein Fest gegeben habe. „Es war so schön,“ heißt es bei dieser Gelegenheit, „in dem alten grünen Eichenhaine den kernigen Deputirten Raveaux, den Polizeidirektor Müller und den würdigen Präsidenten Heintzmann begeisterungsvoll von Deutschlands Einheit und Freiheit sprechen und ihre Aufforderung zu hören, aus Worten müsse nun auch die starke, kräftige That werden.“ Wir waren nicht so glücklich, diese Feier mitzumachen; wir sahen den frischgebackenen Deputirten erst, als er mit seinen Verehrern von Brühl nach Köln zurückgekehrt war und ans Fenster trat, um durch eine kurze Rede den festlichen Tag zu beschließen.

„Der heutige Tag ist ein hoher Freudentag“ sagte Hr. Raveaux, der heutige Tag ist ein unvergeßlicher für mich; möge er es auch für Euch sein. ‒ Preßt ihn Euch tief ‒ ‒ tief in's Gedächtniß ‒ die Bürgerschaft Kölns hat heute einen großen Sieg errungen. Vergeßt nie diesen schönen Tag! Es ist heute der 10. Mai ‒ der 10. Mai lebe hoch! Ihr wähltet einen Mann, der die Eigenschaften besitzt, die den Kölner charakterisiren: treu, ehrlich und bieder“. Die rhetorischen Floskeln weggelassen, sprach Hr. Raveaux nach den besten Ueberlieferungen wörtlich so. Nach unseren eigenen Notizen drückte sich der ehrenwerthe Abgeordnete noch viel unzweideutiger aus. So viel wir hörten, sagte Hr. Raveaux nämlich geradezu: daß die Stadt Köln einen ewig denkwürdigen Tag erlebt habe, weil sie ihn, den Hrn. Raveaux, zum Deputirten gewählt habe.

Man mußte lächeln über die Naivetät eines Mannes, der so vor allem Volke erklärte, daß er treu, ehrlich und bieder sei. Wenn man etwas Takt hat, so ist man gewöhnlich so gescheid, derlei herrliche Eigenschaften nicht so renommirend zur Schau zu tragen; man bewahrt sie wie kostbare Juwelen und läßt sie nur zu rechter Zeit und am rechten Orte schimmern; am allerwenigsten nimmt man sie aber in den Mund. Die Prätension: ein treuer, ein ehrlicher und ein Biedermann zu sein, war Hrn. Raveaux indeß noch zu verzeihen. Wenn er als Redner auch eine Geschmacklosigkeit beging, so ließ sich die Sache trotzdem noch hören, da der schwärmerische Abgeord- [Fortsetzung]

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          <p>Die Herren des Tages hatten geredet. Das Gürzenich-Bankett ging seinem Ende                         entgegen, schon war mein Oesterreicher in dem Studium des Speisezettels bis                         zu den Salatbohnen, zu dem gefüllten Geflügel und zu dem Nationalgerichte                         des Wansbecker Boten fortgeschritten, da sollte die Feier plötzlich noch                         einen neuen Schwung durch das Auftreten des Abgeordneten Franz Raveaux                         erhalten. Der Jupiter der Nationalversammlung führte den kölnischen                         Deputirten an den blumenbekränzten Rand der Tribüne. Da stand nun der                         bleiche, schnurrbärtige Mann, dessen Namen alle Zeitungen durch halb Europa                         trugen und den das letzte kleine Mädchen, der letzte spielende Knabe seiner                         Vaterstadt kennt. Raveaux ist nicht so berühmt wie der Kölner Dom; er ist                         fast so bekannt wie der Kölnische Karneval, und jedenfalls wird er die                         Unsterblichkeit mit der Eeau de Cologne theilen. Nach einer Jugend, die                         ebenso gewöhnlich als unbedeutend war, nach einem Jünglingsalter, das vom                         Schicksal nicht ungeschoren blieb und nach einer Manneszeit, die halb und                         halb auf der mühsamen Reise durch den Morast kleinbürgerlicher Misère                         verstrich, ist Raveaux theils durch eigenes Streben, noch mehr vielleicht                         durch das Spiel des Zufalls auf einen Punkt gerathen, wo er fast mit einem                         bessern Manne sagen könnte:</p>
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[0413/0001] Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. No 82. Köln, Dienstag 22. August 1848. Deutschland. ** Köln, 21. Aug.. Die Polendebatte in Frankfurt. (Fortsetzung.) _ Das Domfest von 1848. (Fortsetzung.) Nachdem noch der Erzbischof von Köln den Segen über die Eintracht der Völker und der Fürsten ausgesprochen, v. Gagern einen Toast auf die Berliner Versammlung ausgebracht und der Vice-Präsident des preußischen Parlaments, Hr. Philipps, für diese Artigkeit gedankt hatte, verließen Se. Majestät der König und der Erzherzog Reichsverweser den Saal. In ihrem Gefolge bemerkte man mehrere schöne Krieger in prächtigen Uniformen; im schwarzen Frack auch einen gewissen Fürsten Lichnowsky. Weshalb sprach der Hr. Lichnowsky nicht ein einziges Wort? Der Abgeordnete Lichnowsky würde uns gar zu glücklich gemacht haben, wenn er einmal das Feuerwerk seiner Beredsamkeit losgebrannt hätte. Wir hatten uns schon darauf gefreut. Wir lieben den Fürsten, er ist unser spezieller Freund, wir kennen ihn von seinen denkwürdigen Seiten. Wir hätten für unser Leben gern eine Rede des geistreichsten aller Männer zu Protokoll genommen, welch' ein Stoff für ein neues Feuilleton! Aber der Fürst verschmähte es, zu seinen besten Bekannten zu sprechen. Treulos verließ er den Saal ‒ treuloser Fürst! Die Herren des Tages hatten geredet. Das Gürzenich-Bankett ging seinem Ende entgegen, schon war mein Oesterreicher in dem Studium des Speisezettels bis zu den Salatbohnen, zu dem gefüllten Geflügel und zu dem Nationalgerichte des Wansbecker Boten fortgeschritten, da sollte die Feier plötzlich noch einen neuen Schwung durch das Auftreten des Abgeordneten Franz Raveaux erhalten. Der Jupiter der Nationalversammlung führte den kölnischen Deputirten an den blumenbekränzten Rand der Tribüne. Da stand nun der bleiche, schnurrbärtige Mann, dessen Namen alle Zeitungen durch halb Europa trugen und den das letzte kleine Mädchen, der letzte spielende Knabe seiner Vaterstadt kennt. Raveaux ist nicht so berühmt wie der Kölner Dom; er ist fast so bekannt wie der Kölnische Karneval, und jedenfalls wird er die Unsterblichkeit mit der Eeau de Cologne theilen. Nach einer Jugend, die ebenso gewöhnlich als unbedeutend war, nach einem Jünglingsalter, das vom Schicksal nicht ungeschoren blieb und nach einer Manneszeit, die halb und halb auf der mühsamen Reise durch den Morast kleinbürgerlicher Misère verstrich, ist Raveaux theils durch eigenes Streben, noch mehr vielleicht durch das Spiel des Zufalls auf einen Punkt gerathen, wo er fast mit einem bessern Manne sagen könnte: Nun ich hier als Altvater sitz' Rufen sie mich auf Plätzen und Gassen, Zu sehen bin ich wie der alte Fritz Auf Pfeifenköpfen und auf Tassen. Ja, Raveaux ist ein großer Mann geworden. Wer kennt den Plato und den Socrates? Einige Schulmeister und Gymnasiasten. Wer spricht noch von Newton und Milton? Einige Naturforscher und Poeten. Wer beschäftigt sich mit Sebastian Bach und mit Michel Angelo? Einige Musikanten und Künstler. Wer aber weiß von Raveaux zu erzählen? Jeder Pfeifenkopf und jede Tasse! Franz Raveaux hat den Gipfel des Ruhms erreicht, er steht auf der Höhe des Jahrhunderts. Wenn er noch nicht im Munde jedes Orgeldrehers lebt, so kann er noch dazu kommen; jedenfalls hat er es schon weiter gebracht, denn die Tabakshändler klebten das Bild ihres alten Konkurrenten, das Bild Raveaux' auf ihre Tabakstuten! Wir freuen uns, daß Raveaux so emporkam, wir freuen uns doppelt darüber, weil es uns lieber ist, wenn sich die Adler vom Staube erheben, als wenn sie von stolzen Forsten hinauf in die Wolken steigen und wir freuen uns namentlich, daß er zu Ehren kam, weil unser Mitbürger schon vor dem großen Wendepunkt der neuern Zeit, weil er auch schon vor den Tagen der Revolution bei dem Volke zu Ehren zu kommen wußte. Damit ist aber auch unsere freudige Theilnahme zu Ende. Die lokale Anhänglichkeit, mit der wir unsern Freund auf seinem Fluge begleiteten, sie verwandelt sich in ein ernstes Beobachten, sobald dieser Flug zu seinem ersten Ziele führte. Wir haben den Raveaux, der von Frankfurt für einige Zeit zurückkehrte, mit andern Augen zu betrachten, als den Raveaux, den wir seiner Zeit dorthin sandten. Stadtliteraten berichteten seiner Zeit in jenem komischen Mausefängerstyl, der auch nicht die kleinsten Kinder davonzulocken pflegt, daß man dem nach Frankfurt abreisenden Deputirten in Brühl ein Fest gegeben habe. „Es war so schön,“ heißt es bei dieser Gelegenheit, „in dem alten grünen Eichenhaine den kernigen Deputirten Raveaux, den Polizeidirektor Müller und den würdigen Präsidenten Heintzmann begeisterungsvoll von Deutschlands Einheit und Freiheit sprechen und ihre Aufforderung zu hören, aus Worten müsse nun auch die starke, kräftige That werden.“ Wir waren nicht so glücklich, diese Feier mitzumachen; wir sahen den frischgebackenen Deputirten erst, als er mit seinen Verehrern von Brühl nach Köln zurückgekehrt war und ans Fenster trat, um durch eine kurze Rede den festlichen Tag zu beschließen. „Der heutige Tag ist ein hoher Freudentag“ sagte Hr. Raveaux, der heutige Tag ist ein unvergeßlicher für mich; möge er es auch für Euch sein. ‒ Preßt ihn Euch tief ‒ ‒ tief in's Gedächtniß ‒ die Bürgerschaft Kölns hat heute einen großen Sieg errungen. Vergeßt nie diesen schönen Tag! Es ist heute der 10. Mai ‒ der 10. Mai lebe hoch! Ihr wähltet einen Mann, der die Eigenschaften besitzt, die den Kölner charakterisiren: treu, ehrlich und bieder“. Die rhetorischen Floskeln weggelassen, sprach Hr. Raveaux nach den besten Ueberlieferungen wörtlich so. Nach unseren eigenen Notizen drückte sich der ehrenwerthe Abgeordnete noch viel unzweideutiger aus. So viel wir hörten, sagte Hr. Raveaux nämlich geradezu: daß die Stadt Köln einen ewig denkwürdigen Tag erlebt habe, weil sie ihn, den Hrn. Raveaux, zum Deputirten gewählt habe. Man mußte lächeln über die Naivetät eines Mannes, der so vor allem Volke erklärte, daß er treu, ehrlich und bieder sei. Wenn man etwas Takt hat, so ist man gewöhnlich so gescheid, derlei herrliche Eigenschaften nicht so renommirend zur Schau zu tragen; man bewahrt sie wie kostbare Juwelen und läßt sie nur zu rechter Zeit und am rechten Orte schimmern; am allerwenigsten nimmt man sie aber in den Mund. Die Prätension: ein treuer, ein ehrlicher und ein Biedermann zu sein, war Hrn. Raveaux indeß noch zu verzeihen. Wenn er als Redner auch eine Geschmacklosigkeit beging, so ließ sich die Sache trotzdem noch hören, da der schwärmerische Abgeord- [Fortsetzung]

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 82. Köln, 22. August 1848, S. 0413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz082_1848/1>, abgerufen am 24.04.2024.